9
Ich stehe in der Dunkelheit vor meinem Haus und sehe Seths Rücklichtern nach, die um die nächste Ecke verschwinden. Da fallen mir plötzlich Worte aus der Vergangenheit ein. Als ich auf dem College war, hatte jemand eine Liebeserklärung auf die Säulen eines Gebäudes geschrieben, an dem ich immer vorbeiging. Die Worte waren nur mit Kreide gemalt, aber wahrscheinlich war der Hausmeister romantisch veranlagt, denn sie blieben lange Zeit dort stehen. Sie lauteten:
Ich will viel Geld verdienen,
damit ich ihr schöne Schuhe kaufen kann.
Die Zeilen waren zwar nicht von einem großen Dichter wie Yeats, aber etwas daran faszinierte mich so, dass sie mir bis heute im Gedächtnis blieben. Was gäbe es für ein persönlicheres oder romantischeres Geschenk als qualitativ hochwertiges Schuhwerk für die Angebetete? Und Seth würde mir niemals Schuhe kaufen, denn das wäre für ihn das Gleiche wie Schmuck zu kaufen - für beides hat er keine Verwendung. Es widerstrebt dem Praktischen und gehört in den Bereich des Romantischen. Und wenn er etwas meisterhaft beherrscht, dann ist es, jeder Romantik aus dem Weg zu gehen.
Rechnet man diese Gleichung zu Ende, kommt man zu dem Ergebnis, dass er mich niemals heiraten wird, weil er sich nicht dazu überwinden kann, das Praktische aufzugeben, um unserer Beziehung willen. Ihn stören die roten Stoppschilder bei jeder Biegung, die unsere Freundschaft macht, nicht.
Aber mich. Und jetzt ist es passiert. Sollte das das erste Mal sein, dass ich überhaupt darüber nachdenke, was ich eigentlich von dieser Beziehung will?
Seth glaubt, dass ich mit dieser Freundschaftskiste im Teeniestil für den Rest meines Lebens zufrieden sein werde. Heiraten passt nicht in sein Leben, weil er einen Teil seiner selbst nicht mit mir teilen will. Der Gedanke, Seth aufzugeben, fängt an sich anzufühlen, als gäbe man eine ungesunde Gewohnheit auf Ich liebe ihn, aber er ist vielleicht nicht das Beste für mich. Als Seth mich küsste, hat er sich unangenehm gewunden, wie ein Wurm, der von einem Vogel verschluckt wird. Ich löse in diesem Mann keine romantischen Gefühle aus, sondern Angst. Und das ist einfach nicht das Richtige für mich.
Meine Sicht der Dinge fängt langsam an sich zu verändern. Unwillkürlich frage ich mich, ob Gott mir wohl etwas Besseres bringen wird, wenn ich Seth loslasse. Könnte er mir jemanden bringen, bei dem ich mich nicht immer so hingehalten fühlen würde und so vorsichtig sein müsste? Unsicherheit ist schließlich kein natürlicher Zustand, oder?
Als ich hineingehe, ist Kay in der Küche und gießt Kerzen, und das ganze Haus riecht nach Wachs mit Zimtaroma. Sie schaut von der tiefroten Flüssigkeit auf, die sie gerade in die Behälter gießt. »War es schön bei Hans?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich glaube schon.«
»Klingt ja sehr überzeugend. Du hättest daheimbleiben und mit mir Kerzen gießen sollen. Ich habe die Singlegruppe eingeladen, aber sie haben beschlossen, lieber ins Kino zu gehen. Jetzt bin ich für Weihnachten gerüstet, während die anderen versuchen werden, bei Macy’s die letzten Kerzen zu ergattern.«
»Ich habe beschlossen, die Hälfte deines Hauses zu kaufen«, platze ich heraus und schaue ihr geradewegs in die Augen. »Natürlich nur, wenn du das immer noch willst.«
»Das hast du beschlossen?« Sie hört auf, das Wachs einzufüllen, und stemmt eine Faust in die Hüfte. »Warum? Ist das so ein Gefühlsausbruch von dir, den du morgen wieder bereuen wirst?«
»Nein.« Aber etwas in mir fragt sich das schon. »Ich glaube jedenfalls nicht. Auf jeden Fall werde ich keinen Rückzieher machen. Ich habe lange genug auf irgendetwas gewartet, findest du nicht? Ich kann nicht für immer in der Warteschleife leben.«
»Was ist, wenn es am Freitag eine Verlobung gibt, Ashley?«
»Und wenn nicht? Ich will nicht mehr jede meiner Entscheidungen von meinen romantischen Hoffnungen abhängig machen. Das ist erbärmlich. Da!« Ich gebe ihr den Vertrag, den sie mir vor Wochen schon gegeben hat. Während ich über meine Zukunft nachgedacht habe, habe ich ihn die ganze Zeit mit mir in meiner Handtasche herumgetragen. »Diesmal meine ich es ernst. Er ist unterschrieben. Morgen nach dem Gottesdienst können wir zum Notar gehen.«
»Bist du dir ganz sicher, dass du das willst?«
»Absolut sicher. Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie sehr ich dein Angebot überhaupt schätze. Du bist eine wunderbare Freundin, Kay. Dieses Haus zwingt mich, meinen Job bei Gainnet zu behalten und dort klarzukommen, bis ich Chefsyndikus bin. Ich brauche eine echte Motivation. Ich muss wirklich aufhören, in einer Traumwelt zu leben.«
»Du bist so ehrgeizig, Ashley. Heißt das, du wirst Dr. Kevin anrufen?«
»Es heißt, dass Romantik keine Ausflucht mehr für mich ist. Wann immer ich ein Verlangen danach verspüre, werde ich zu Bloomingdale’s gehen und Schuhe kaufen und alle Männer meiden wie die Pest. Weißt du, was wahre Zufriedenheit ist? Wenn einem die Schuhe immer noch gefallen, nachdem man den Kontoauszug gesehen hat. Die Vorstellung, dass ich diese Art von Zufriedenheit je bei einem Mann erfahren könnte, ist lächerlich.«
»Du könntest mal in deiner Bibel lesen«, schlägt Kay vor. »Mir scheint, dass deine Theologie etwas aus dem Gleichgewicht gekommen ist, wenn ich das mal so sagen darf.«
»Willst du mir jetzt eine Predigt über Zufriedenheit halten? Das Gleiche könnte nämlich auch für dich gelten, wenn ich dich an die Granitarbeitsflächen und die neuen Badezimmer erinnern darf. Deine Unzufriedenheit facht meine noch an.« Ich lächle, und wir fangen beide an zu kichern.
Kay gießt wieder die blutrote Flüssigkeit in die Behälter. »Treffer!«
»Hey, tut mir leid, Kay. Ich wollte dich nicht angreifen. Du hast deine Traumküche verdient.« Auf der Küchentheke steht ein Kürbiskuchen, der förmlich nach mir ruft. Ich mache gerade Diät, aber jetzt kommen die Feiertage. Und Kay backt. Das Fleisch ist schwach. »Kann ich was davon haben?«
»Nimm dir.« Sie hält mir ein Messer und eine Serviette hin. »Was hat Hans von Seth gehalten?«
»Er meint, Seth sei es nicht wert, dass ich meine Karriere opfere«, antworte ich mit vollem Mund. »Aber Hans hat seine eigenen Motive. Er will ja immer noch, dass ich am Dienstag mit ihm nach Taiwan fliege. Aber ich habe einen Plan. Ich werde am Samstagmorgen fliegen.«
»Du glaubst nicht, dass Seth dir einen Antrag machen wird?« Aber die Art, wie sie die Frage stellt, klingt mehr wie, Du bist nicht so dämlich zu glauben, dass Freitag der große Tag sein wird?
»Warum fragst du?«
»Einfach so. Drücken wir es mal so aus, ich verstehe deinen Freund nicht.«
Ich verschlinge die letzten Krümel von Kays leckerem Kürbiskuchen, ignoriere dabei sämtliche Diätabsichten und sage Gute Nacht. Ich gehe in mein Zimmer, das übersät ist mit all den Kleidungsstücken, die ich anprobiert habe, bevor ich heute Abend weggegangen bin. Ich schaue in den Spiegel über der Kommode, wo ein Bild von Seth und mir hängt, in Jeans und karierten Hemden, wie wir uns für das Erntefest in der Gemeinde herausgeputzt hatten. Ich nehme es in die Hand und betrachte es. Dabei fällt mir auf, dass wir nicht glücklich wirken. Wir sehen aus, als fühlten wir uns unwohl. Vielleicht wirken wir sogar etwas skeptisch.
Ich habe neun Monate meines Lebens und zahllose tolle Klamotten an den falschen Mann verschwendet. Jetzt ist Arin wieder da, und vielleicht ist das ja genau Gottes Zeitplan. Vielleicht kann sie die Romantik in diesem Mann wecken. Etwa zwei Sekunden lang fühle ich, wie ich über mich hinauswachse, dann fahre ich die Krallen aus. Ich hoffe nur, dass ihre Kinder aussehen werden wie kleine Urwaldaffen und dass sie Arin zu ihrem Leben als Missionarin zurückholen werden.
Ich sehe mich in meinem Zimmer um: die schneeweiße Deckenleiste, darunter die sonnengelben Wände und eine Mischung aus antiken und rustikalen Möbeln. Wissen Sie was? Ich habe einen großartigen Geschmack. In diesem Zimmer bin ich glücklich. Bei Seth bin ich nervös.
An jenem Abend auf der Hochzeit meines Bruders, als Seth kam und mich einfach aus den Socken haute, dachte ich, dieses Gefühl würde für immer anhalten. Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass nichts für immer hält, außer Jesus, und was das Leben auf dieser Erde angeht, ist Grundbesitz in Palo Alto daher die bessere Grundlage. Ein zuverlässiger Holzbau mit original Parkettböden und einer begehrenswerten Adresse - man soll in jeder Lage zufrieden sein, wie der Apostel Paulus schreibt. Also lasse ich mich auf mein Bett fallen und falte die Hände hinter dem Kopf. Ich bin zufrieden, ich bin zufrieden, sage ich mir immer wieder vor, bis ich eingeschlafen bin.
Nachdem ich am Freitag bei der Arbeit nur körperlich anwesend war und alles für die Taiwanreise am nächsten Tag vorbereitet habe, komme ich abends neugierig, aber auch vorsichtig zu meiner Überraschungsparty zu Seths Eigentumswohnung. Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen soll, falls er mich tatsächlich fragt, ob ich ihn heiraten will. Das letzte Mal, dass Seth mich »überraschte«, war am Valentinstag, als er mir einen glitzernden Briefbeschwerer aus Acryl mit einem Bibelvers darin schenkte. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als ich an die Tür klopfe. Ich habe mich angezogen, als wäre ich zu allem bereit, ein Wildlederblazer mit einem Tweedrock von Ann Taylor. Man kann es als elegant oder als leger betrachten, je nach Anlass.
Seth macht auf. Er trägt ein Sweatshirt mit dem Schriftzug der Stanford Uni und eine löcherige Jeans. Das ist kein gutes Zeichen. Mein Lächeln lässt merklich nach.
»Hi«, begrüße ich ihn so begeistert wie möglich.
»Auch hi. Bist du aufgeregt?«, fragt Seth.
»Sollte ich das?«
»Ich glaube schon. Ich habe Wochen gewartet, bis ich genau das Passende gefunden habe, und jetzt habe ich es.«
»Das klingt sehr geheimnisvoll.«
»Dann kann ich dich umso besser überraschen, meine Liebe.« Er nimmt meine Hand, hilft mir aus meinem Wildlederblazer und hängt ihn an die Garderobe.
»Ist sonst schon jemand da?«
»Brea und John warten noch auf ihren Babysitter. Kay ist unterwegs. Ich habe auch Sam, Kevin und Arin eingeladen. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.«
Ich habe das Gefühl, dass mein Herz stillsteht. »Du hast Kevin und Arin eingeladen?«
»Das ist doch in Ordnung, oder?«
»Da ich nicht weiß, was für eine Überraschung du geplant hast, kann ich diese Frage wahrscheinlich nicht beantworten.«
Es klingelt. Es ist Sam. Sam ist groß und stämmig und immer in Sorge darum, wo er seine nächste Mahlzeit herbekommt. Vor allem eine, die nichts kostet. »Hallo, Ash.« Er nickt mir zu. Wenn er kleiner wäre, würde ich nachsehen, ob er große, pelzige Füße hat wie ein Hobbit. »Hi Mann, was gibt’s zu essen?«, fragt er Seth.
»Ich werde Pizza bestellen.«
Die Hälfte der Gäste macht gerade Diät, aber das sage ich nicht. Feiern wir einfach eine Gluten-Party, denn ich habe das dumpfe Gefühl, dass die Kohlehydrate heute Abend mein kleinstes Problem sein werden.
Kevin kommt als Nächster, und er bringt einen Strauß pfirsichfarbener Rosen mit. »Für den Ehrengast.« Er streckt mir die Blumen hin und zwinkert mir zu, als ich sie nehme. Unsere Blicke treffen sich, und als braves, beinahe verlobtes Mädchen löse ich mich schnell wieder von seinem Blick.
»Danke«, sage ich, nehme die Rosen und vermeide sorgfältig jeden weiteren Blickkontakt. »Du hast wohl Aktien von deinem Blumengeschäft.« Blickkontakt zu haben mit einem Mann, der aussieht wie Hugh Jackman und redet wie ein Romantiker, ist sehr gefährlich. Kevin erfüllt all meine romantischen Träume, aber er passt nicht in meine praktische Realität. Er ist zu perfekt, und ich glaube, er sucht eher nach einer Zuchtfrau als nach einer Partnerin. Das macht mir mit meinen hervorragenden Ergebnissen beim College-Aufnahmetest Angst. Kavalier sein ist für die Männer in Silicon Valley ungefähr das Gleiche wie gute Manieren für einen Cowboy im Fernsehen.
Als Nächste kommt Kay, und sie trägt ein Kleid. Kaum zu glauben. Ich wusste gar nicht, dass sie eines hat. Sie hat einen Kürbiskuchen mitgebracht und überreicht ihn Seth. »Ich dachte, du kannst vielleicht noch etwas zum Nachtisch brauchen.«
»Zum Nachtisch? Das wird mein Frühstück. Ihr könnt euch selbst Nachtisch organisieren«, meint Seth mit einem schelmischen Grinsen. Er ist wirklich ganz in seinem Element, und was auch immer er für mich vorbereitet hat, er ist ganz ausgelassen. Ich habe ihn selten so aufgekratzt erlebt. Es ist beunruhigend, aber irgendwie auch süß.
Schließlich kommen Brea und John, und Brea sieht aus, als erwartete sie den Verlobungsring. Sie trägt eine Schwangerschaftscordhose von Lilly Pulitzer und ein handbemaltes Oberteil über ihrem dicker werdenden Bauch. Sie sieht wie immer hinreißend aus. Arin ist noch nicht aufgetaucht, und wahrscheinlich ist sie gerade zu beschäftigt damit, irgendwo mit einem nicht gläubigen Mann zu flirten, um uns mit ihrer Gegenwart zu beehren.
»Hallo!« Breas Lächeln verschwindet augenblicklich, als sie Seths Sweatshirt bemerkt. »Seth, bist du denn für diesen Anlass richtig angezogen?«
Er schaut hinunter auf die leuchtend roten Buchstaben, die seine Brust schmücken. »Ich bin für alles angezogen. Stanford Kleiderordnung!« Er hebt die Arme. »Okay, hört mal alle her. Ich weiß, dass ihr es vor Neugier kaum noch aushaltet und wissen wollt, weshalb ich euch heute eingeladen habe.« Er vollführt ein paar Tanzschritte. »Ich kann es kaum erwarten, es euch zu sagen.«
Seth zieht mich zu sich und sieht mir in die Augen. »Ashley, wir sind jetzt schon ziemlich lange befreundet, und in diesen Monaten habe ich dich mehr als einmal sagen hören, dass die Stille in deinem Haus dich wahnsinnig macht und dass du dich nach Gesellschaft und Unterhaltung sehnst.«
Ich schüttle ganz leicht den Kopf, um ihm klarzumachen, dass er gerade sehr unhöflich gegenüber Kay war, aber Seth kapiert nichts. Er quasselt einfach weiter.
»Komm schon, Greenwood, was soll das alles?«, fragt John.
Ja, was soll das bedeuten, Greenwood?
»Na gut, wartet alle hier.« Seth läuft ins Hinterzimmer seiner Wohnung und kommt zurück mit - nein, nicht mit einer schwarzen Samtschachtel. Mit etwas, das zwei Augen, eine feuchte Nase und Hängeohren hat und eine blaue Schleife trägt. »Ich habe Ewigkeiten nach einem reinrassigen Boxer gesucht. Deshalb musste ich den ersten Termin verschieben. Aber dann habe ich dieses Kerlchen im Tierheim gefunden, und er hat auch ein bisschen Boxer in sich. Er ist ein Terrier-Boxer-Mischling, und sie haben mir versichert, dass er höchstens sieben oder acht Kilo wiegen wird.« Er schaut zu Kay. »Ich hoffe, du bist einverstanden, Kay, aber ich wusste einfach, dass Ashley jemanden braucht, der ihr Gesellschaft leistet.«
Jemanden, Seth. Jemanden. Und was ist Kay? Ein Stück Fleisch?
Er streckt mir den Welpen entgegen. »Was hältst du von ihm?«
Ich bin sprachlos. »Ich weiß nicht, ob ich mir ein Haustier erlauben kann. Ich fliege morgen nach Taiwan«, stammle ich.
»Das ist das Gute daran. Ich nehme ihn, wenn du weg bist. Das ist vollkommen problemlos, Ash. Du wirst schon sehen.« Er überreicht mir den Welpen, und als ich den süßen Kleinen in den Arm nehme, spüre ich, wie mir die Tränen kommen. Er ist warm und zittert ganz leicht. Seine traurigen, braunen Augen schauen mich verloren und verlassen an, und ich spüre, dass auch er Schmerz kennt. Vielleicht haben wir beide mehr gemeinsam, als ich dachte. Ich muss meine ganze Kraft aufbringen, um nicht in Tränen auszubrechen. Ein Hund! Er hat mir einen Hund gekauft. Wir binden uns nicht durch eine Heirat aneinander, sondern durch das geteilte Sorgerecht für einen Hund.
Kevin kommt an meine Seite, legt den Blumenstrauß weg, nimmt meine Hand und drückt sie, und ich spüre, wie mir eine Träne über die Wange läuft. Nein, nein, bitte sei nicht so lieb zu mir, sonst verliere ich die Beherrschung. Brea kennt mich genau, und deshalb schaut sie nicht in meine Richtung.
Der Hund leckt mir das Gesicht und kuschelt sich in meine Armbeuge. Ich wünschte, sie stünden nicht alle um mich herum, starrten mich an und warteten auf meine Reaktion. Am liebsten würde ich mit dem Hund verschwinden und alle menschlichen Wesen aus meinem Leben verbannen. Ich schmiege mich eng an den Kleinen und versuche zu vergessen, wo ich bin.
»Er ist wunderbar«, sage ich schließlich, und alle applaudieren, was meinen kleinen Hund erschreckt. Ich halte ihn fester, damit er fühlt, dass er in Sicherheit ist.
Brea hat feuchte Augen und schüttelt nur den Kopf. John hält sie am Arm. Ich habe Angst um Seth. Wenn sie einen stumpfen Gegenstand hätte, wäre er wirklich in Gefahr. Sie geht auf Seth zu, mit John auf den Fersen. »Du hast Ashley tatsächlich einen Hund gekauft, ohne sie vorher zu fragen?«, stellt sie ihn zur Rede.
»Ich habe ihn aus dem Tierheim geholt. Ist er nicht genau das Richtige? Schau nur, sie mögen sich schon.«
Der Hund und ich klammern uns aneinander, als ginge es um unser Leben, verunsichert durch unsere fremdartige Umgebung. Kevin kommt noch einmal zu mir. »Der Hund ist goldig, Ashley. Die Kinder im Krankenhaus werden ihn lieben, wenn du ihn mal mitbringst.«
Ich schaue Kevin an und spüre, wie mir die Tränen über die Wange laufen.
»Ich glaube, der Hund braucht ein bisschen frische Luft.« Kevin öffnet die Haustür und zerrt mich auf den Bürgersteig hinaus.
Einen Augenblick lang kann ich gar nichts sagen, dann schaue ich den Hund an, und alles bricht aus mir heraus. »Wie konnte ich nur so dumm sein?«
Kevins Kiefermuskeln spannen sich an. »Warum glaubst du, du bist dumm, Ashley?«
»Ich hätte es wissen müssen. Warum habe ich es nicht gewusst, Kevin?«
Er legt mir seine Hand auf die Wange und wischt meine Tränen ab. »Weil es manchmal leichter ist, sich etwas vorzumachen.« Er nimmt den Hund hoch. »Lass uns wieder hineingehen. Lass ihn nicht sehen, dass du so aufgelöst bist.«
Ich nicke, richte mich auf und öffne die Tür. Kevin setzt den Welpen im Flur ab und verabschiedet sich mit einem Winken. Er wirft mir einen letzten Blick voll Zustimmung zu ... und voll Abscheu.
»Willst du nicht zum Pizzaessen bleiben?«, fragt Seth ihn.
»Nein, und Ashley macht gerade Diät. Bestell besser einen Salat für sie.« Mit diesen Worten geht Kevin, und ich wünschte, ich würde mit ihm gehen.
Brea und John sind die Nächsten. »Es ist ein süßer Hund, Ashley«, sagt Brea leise. »Ruf mich an.« Das hat sie gesagt, aber gemeint hat sie, »Bring ihn um, Ashley, und dann ruf mich an und schildere mir jede grausige Einzelheit.«
Kay schaut ebenfalls angewidert drein. »Wir sehen uns zu Hause. Wenn ich an unsere Parkettböden denke, weiß ich nicht, wo du das Vieh halten willst.« Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss.
Jetzt sind also nur noch Seth, ich, der Hund und Sam übrig, um auf die Pizza zu warten. Ich glaube, ich wusste irgendwie, dass es keine Verlobungsparty werden würde, aber musste es unbedingt eine öffentliche Demütigung vor all meinen guten Freunden sein? Das war wirklich nicht nötig gewesen. Ich überreiche Seth den Hund.
»Vielen Dank, aber ich glaube nicht, dass ich ihn behalten kann«, sage ich, und es tut mir leid, dass ich meine Wut jetzt an dem armen, kleinen, unschuldigen Tier auslasse.
Seth steht die Enttäuschung über meine Ablehnung ins Gesicht geschrieben. Am liebsten würde ich ihn fragen, wie er sich jetzt fühlt. Wenigstens waren keine seiner Freunde da, um zuzusehen, so wie meine. Nur Sam, und der interessiert sich nur für eine Extraportion Salami auf seiner Pizza. Ich gehe ohne meinen Ann- Taylor-Wildlederblazer, aber in Würde. Zumindest im Augenblick.