28
Das Restaurant ist dunkel, und die klassische Klaviermusik gibt mir das Gefühl, in einem sehr teuren Aufzug zu sein. Es riecht nach einer Mischung aus Wein und verschiedenen Designer-Parfüms, die miteinander um Aufmerksamkeit wetteifern. Nicht gerade die appetitlichste Duftmischung, muss ich sagen. Wir sind die einzigen Gäste unter sechzig, und ich bin die einzige Frau, die nicht vor Diamanten strotzt, als fände hier eine Verkaufsveranstaltung des Teleshoppingsenders QVC statt. Das treiben also die oberen Zehntausend an Thanksgiving, wenn ihre Köche und Haushälterinnen frei haben, um für ihre eigenen Familien zu kochen, und die noblen Küchen nur noch Küchenausstellungen sind.
Ich schaue Kevin an, und er steuert nicht geradewegs auf den Oberkellner zu, wie ich das von einem selbstbewussten Arzt erwartet hätte. Er bleibt stehen, als wartete er darauf, dass ich die Sache in die Hand nehme. Nun, ich bin nicht schüchtern. Ich trete vor, und da merke ich, dass er absichtlich stehen geblieben ist.
»Was ist?«, frage ich, wie seine Mutter. »Ist es wegen meiner legeren Hose?«
Er zieht mich nach draußen auf den Parkplatz und lacht los, als hätte er die ganze Zeit die Luft angehalten. »Ich kann da drinnen nicht essen«, sagt er.
»Warum nicht?«
»Ich wollte nicht mit meinen Eltern essen gehen. Und ich will auch nicht mit vierzig ihrer Klone essen.«
»Ich denke, du hast Hunger.«
Er starrt mich an und, nicht zum ersten Mal fällt mir auf, wie perfekt seine Züge geschnitten sind. Sie kennen doch Johnny Depps unglaubliches Profil, dieses Aussehen, das einen dahinschmelzen lässt und dazu verleitet, sein Gesicht in Marmor meißeln zu wollen. Ganz ehrlich, Kevin hätte die besten Chancen, auch in Marmor gemeißelt zu werden. Er spricht mit mir, aber einen Moment lang bin ich ganz weg.
»Was?«, frage ich.
»Diese Leute da drin tragen Abendgarderobe. Ich will keinen Hummer zu Thanksgiving. Das ist ihre Art, sich einzureden, ihr Leben sei nicht total verpfuscht. Sie wollen sich nicht eingestehen, dass sie niemanden haben, der für sie kocht oder zu dem sie gehen könnten. So will ich nicht enden, und deshalb denke ich, wir sollten erst gar nicht so anfangen.«
»Hummer an Thanksgiving ist auch nicht gerade ein sparsamer Lebensstil.« Als ob ich ihm das erklären müsste.
»Ist dir aufgefallen, wie begeistert meine Eltern von dem Gedanken waren, zu deinen Eltern eingeladen zu werden?«
»Ich dachte, sie hätten es dir zuliebe getan.«
»Meine Eltern waren an Thanksgiving auf einem Golfturnier, Ashley. Findest du das nicht ein bisschen traurig?«
Ich zucke mit den Schultern. Klingt nicht so tragisch, finde ich. Palm Springs, ein Golfplatz und ein Wellness-Hotel? Ich wünschte, mein Leben wäre so verpfuscht.
»Sie wussten nicht, wo sie hin sollten, deshalb sind sie hergekommen. Sie wussten ja nicht mal, ob ich zu Hause bin. Ich glaube, sie hoffen, dass ich ein bisschen Wärme in ihr Leben bringe.«
»Sie schienen ganz zufrieden zu sein. Dafür, dass sie ohne Gott leben, meine ich.« Ich zucke mit den Schultern. »Wenn man nicht an Gott glaubt, besteht das Leben doch aus nichts anderem, als vor ihm davonzulaufen. Deine Mutter hat mir erzählt, dass sie bei den Damen den zweiten Platz belegt hat. Nach allem, was ich über Golf weiß, muss das ein ziemlich gutes Gefühl sein.«
»Nichts liegt mir ferner, als sie zu verurteilen, Ashley. Ich bin froh, dass sie noch etwas anderes tun, als auf diese IQ:Kongresse zu gehen. Aber ich habe Georgia aus gutem Grund verlassen.« Er schnaubt lachend. »Es tut mir leid. Ich weiß, was du jetzt denkst: armer reicher Junge, was?«
»Nein, das habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich habe gedacht, dass ich gerne kochen lernen würde, damit ich dir das Gefühl geben kann, dass es einen Ort für dich gibt an Thanksgiving.«
»Ich glaube, das ist das Schönste, was je jemand zu mir gesagt hat.«
Er starrt mich an, seine grünen Augen schauen direkt in meine, und ich spüre, wie seine weiche Hand über meine Wange streicht. »Ich weiß nicht, warum ich das mit dir wusste, Ashley, aber es war mir klar, als ich dich zum ersten Mal sah. Damals, als du im Gottesdienst gesungen hast, da habe ich erkannt, dass du genau die bist, als die du dich ausgibst. Du bist nicht unbedingt darauf aus, einen Arzt zu heiraten, stimmt’s?«
Hat er gerade heiraten gesagt? Ich fasse es nicht. »Ich hätte gerne jemanden, der da ist. Und du bist nie da und hast immer diesen Pager bei dir. Außerdem habe ich schon so lange auf meinen Traumprinzen gewartet. Ich will mit meinem Leben zufrieden sein, wie es ist. Ich habe ein gutes Leben.«
»Ich werde da sein, Ashley.«
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. Niemand hat je so mit mir geredet wie Kevin. Er ist geradlinig. Ich bin es gewöhnt, mit den Männern von Silicon Valley Verbal-Poker zu spielen. Bei Kevin gibt es dazu keinen Grund. Er sagt, was er meint, und meint, was er sagt. Ohne Furcht und Zittern.
Ich fummle an meinen Fingern herum, und er hebt mein Kinn immer wieder hoch, damit ich ihm in die Augen schaue.
»Ich weiß, dass du gerne da wärst, Kevin. Aber ich bin sehr anspruchsvoll. Zumindest hat Seth das immer behauptet.« Ich löse mich mit einem Lachen und gehe zum Auto.
»Seth kennt dich nicht, Ashley, hat dich nie gekannt«, ruft Kevin mir nach. »Und ich fange an zu glauben, du kennst dich selbst auch nicht.«
Ich nicke. »Damit hast du wahrscheinlich recht. Er hat mich nie gekannt.«
»Als er dir am Strand die Tulpen gebracht hat...«
Ich reiße die Augen weit auf. »Woher weißt du das?«
»Ich habe ihm gesagt, dass das deine Lieblingsblumen sind. In San Francisco habe ich gesehen, wie du dir welche ausgesucht hast, als wir aus dem Parkhaus kamen.«
Ich wusste doch, dass Seth nicht genug Verstand hat, um mir Blumen zu kaufen. »Lass uns zu Kay gehen und Reste essen.« Ich nehme seine Hand. »Wir müssen über unsere Zukunft nicht hier und jetzt entscheiden. Wir haben alle Zeit der Welt dazu.« Gute Güte, ich klinge schon wie Seth. »Und dann können wir deine Eltern von meinen befreien. Oder umgekehrt.«
»Lass uns zu unseren Eltern fahren. Wer weiß, was sie für wüste Geheimnisse ausplaudern. Dort wird es auch Reste geben.«
»Und jede Menge Verwandtschaft und ganz besonders meinen Bruder. Lass uns lieber schnell bei Kay etwas essen. Macht es dir etwas aus? Ich will nur ein Thanksgiving, an dem ich zur Abwechslung mal keine Magentabletten vor lauter Angst nehmen muss.«
Ohne ein Wort öffnet Kevin mir die Autotür, und wir fahren zu mir nach Hause. Als wir bei mir um die Ecke biegen, sehe ich Rhett die Straße entlangtraben. Aber er erkennt unser Auto und läuft nach Hause.
»Dieser Hund bringt mich noch ins Grab.«
»Dieser Hund liebt dich«, meint Kevin kopfschüttelnd.
»Ich mag ihn auch.«
Sobald ich aus dem Auto steige, springt Rhett an mir hoch, und meine Hose bekommt ein Giraffenmuster aus braunen Pfotenabdrücken.
»Rhett!« Ich bücke mich und knuddle meinen Hund. »Du warst ein braver Hund, den ganzen Tag zu Hause. Komm, du bekommst eine Belohnung.«
Ich laufe hinter Rhett den Weg zum Haus entlang und öffne die Haustür. Als wir hereinkommen, schaut Kay gerade Zeit der Zärtlichkeit. Sie schnieft und hat ein Papiertaschentuch in der Hand. Mit geröteten Augen schaut sie mich an. »Was machst du denn hier?«
»Kevin und ich wollten ein paar Bissen essen, wenn es dir nichts ausmacht.«
Kay schaltet den Fernseher aus und steht auf, um in die Küche zu gehen.
»Setz dich hin, Kay. Wir machen das schon selbst.«
»Nein, nein. Bitte lass mich das machen. Es wird mir guttun, jemanden zu bedienen, der es zu schätzen weiß.«
»Wir haben den ganzen Tag noch nichts gegessen, Kay. Wir werden es zu schätzen wissen, wie ein schwer arbeitender Cowboy die Wagenkolonne«, meint Kevin und tätschelt sich den Bauch.
Ich schaue Kevin mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Bist du jetzt auf einmal Clint Eastwood, oder was?«
Er zeigt auf mich. »Nur weiter so. Du rettest mir noch den Tag.« Er kommt ganz nah zu mir und nimmt mich in die Arme, während Kay fröhlich summend in ihr Reich verschwindet. »Du wirst also eines Tages für mich kochen?«, flüstert er in mein Haar.
»Ich habe gesagt, ich würde gerne für dich kochen können. Ich habe nicht gesagt, dass ich es kann.« Ich schaue auf. »Aber ich werde es versuchen.«
»Ich finde es großartig, dass du für mich kochen willst«, raunt Kevinr.
Einatmen. Ausatmen. »Na dann, Kochkurs, ich komme!«
Er beugt sich zu mir und küsst mich fest und entschlossen. In meinem Magen bricht ein Sturm los, aber ich ignoriere ihn. Irgendetwas stimmt hier nicht. Der Schausteller P. T. Barnum hat einmal gesagt, jede Minute wird ein Trottel geboren. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade dabei bin, mein letztes Hemd wegzugeben.