33
Ashley badet in der warmen Sonne Hawaiis, und die sanften Klänge einer Ukulele dringen in ihren Halbschlaf. Sie atmet tief ein und dreht sich langsam auf den Bauch, damit die Sonne auch ihre Fußsohlen und die Rückseite ihrer Beine erreicht.
»Das ist Leben«, schnurrt Ashley.
»Möchtest du noch etwas trinken?«
Ashley schießt hoch. »Kevin?« Der elegante Arzt trägt Hawaiishorts und hält ein Glas mit einem Erdbeer-Drink auf zerstoßenem Eis mit einem Papierschirmchen in der Hand.
»Ich hätte gerne etwas zu trinken.« Sie streckt ihre Hand nach ihm aus, und Kevin ergreift sie.
»Hättest du nicht lieber einen einfachen Eistee?« Seth taucht auf, ebenfalls in Hawaiishorts, und Ashley wendet sich ab, damit er das Weiße in ihren Augen nicht aufblitzen sieht. Er entzieht Kevin ihre Hand und nimmt sie in seine eigene, aber Ashley ist besorgt.
»Seth? Du solltest dich besser eincremen.«
Seth ignoriert ihre Warnung. »Für dich würde ich durch die Wüste gehen, Ashley. Dieses zuckersüße Zeug willst du doch gar nicht. Einfachheit ist gefragt, Ashley. Du hast es lieber einfach.« Sie nimmt den angebotenen Eistee, und Seth presst ein Stück Zitrone über dem Glas aus, sorgfältig darauf bedacht, nichts auf seine schwarzen Socken zu spritzen. Dann stellt sie das Glas neben sich auf den Tisch, ohne davon zu trinken.
»Sie braucht etwas Kräftigeres. Eine gute Marguerita mit einer Prise Salz am Glasrand.« Colin, der sehr muskulöse Handwerker, erscheint aus dem Nichts, lässt die Muskeln seines doppelten Sixpacks und seiner kräftigen Beine spielen und trägt Flip-Flops und schwarze Shorts mit einem lila Hai darauf.
»Was sie braucht, ist etwas europäisch Angehauchtes. Vielleicht eine Weinschorle?« Perfekt gekleidet in seinem Armani-Anzug hält Hans ihr ein Glas spritziger Schorle auf einem Silbertablett hin. Man hört das Eis knacken, als er die Flasche hochhält, um Ashleys Glas bis zum Rand zu Rillen.
Ashley schüttelt den Kopf. »Nein, ich will Wasser. Reines, gefiltertes Wasser.« Ashley sieht ihre Verehrer an. »Mit gestoßenem Eis.« Die Männer starren einander an und wissen nicht, wie sie die einfache Bitte erfüllen sollen. Plötzlich erscheint ein Blitz, und alle schauen zum Himmel und bedecken ihre Augen vor der hellen Sonne. »Egal.« Ashley schiebt sich durch die Männer hindurch. »Keiner von euch hat, was ich will.«
»Ashley, wach auf aus deinen Tagträumen, komm rein und hol Miles. Brea wartet.« Mrs. Browning tappt ungeduldig mit dem Fuß, während ich hinter dem Lenkrad meines Cabrios sitze und mich in einer besseren Welt als dieser verliere.
Meine Gedanken sind ganz weit weg von Mrs. Brownings Mund, der sich bewegt. Ich wünschte, ich würde im Badeanzug wirklich so gut aussehen. In meinen Träumen gibt es diese Zauberspiegel. Deshalb ist es dort so schön.
»Du hast den Hund nicht mitgebracht, sehr gut.«
Und dann ist mein Traum auf magische Weise verschwunden. Er verliert sich in Mrs. Brownings kantigem Gesicht. Breas Mutter hat die spitzeste Nase, die man sich vorstellen kann. Man denkt immer, sie fängt gleich an zu wachsen, während sie spricht, wie bei Pinocchio. Nicht, dass sie lügt. Es wäre ja schon beinahe ein Segen, wenn sie das täte, denn was sie wirklich denkt, ist so viel schlimmer als jede Notlüge.
»Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Mrs. Browning«, begrüße ich sie, greife nach meiner Handtasche und steige aus. Ich bin heute Morgen nicht aufgelegt für Lügen, und wenn Mrs. Browning keine Lust hat, habe ich auch keine.
»Werd nicht frech. Ich habe den ganzen Morgen auf dich gewartet, ich will nämlich in den Country Club, um die Weihnachtsfeier vorzubereiten. Brea hat gesagt du kommst, und ich habe mich darauf verlassen. Eigentlich sollte ich es ja besser wissen.«
In mir brennt eine Sicherung durch. »Wissen Sie, Mrs. Browning, alle Eltern von Freunden, die ich je kennen gelernt habe, mochten mich. Sogar Eltern von Jungen aus der Schulzeit, die mich sitzen gelassen haben, schicken mir heute noch Weihnachtskarten. Warum um alles in der Welt hassen Sie mich so?«
Sie spitzt die Lippen wie ein wütender Vogel aus einem Hitchcock-Film. »Ich hasse niemanden. Ich bin Christ. Und als Christ glaube ich, dass man gewisse Regeln einhalten sollte. Ashley Stockingdale, hast du die leiseste Ahnung, wie spät es ist?«
Ich kratze mich am Kopf. Ich weiß nicht nur, wie spät es hier ist, ich weiß auch, wie spät es in Taiwan, Indien und England ist.
»Ich bin nicht zu spät, Mrs. Browning. Ich bin sogar früh dran. Ich habe Brea gesagt, dass ich komme, sobald der Handwerker da ist.« Ich schlage die Autotür zu.
»Pfff.« Sie geht zu ihrem Wagen und dreht sich dann noch einmal zu mir um.
»Sogar Ihr Mann hatte mich gern«, erinnere ich sie.
»Ich habe dich auch gern, Ashley. Nur manchmal kann ich dich nicht leiden. Du bist so von dir selbst eingenommen.«
Ich nicke. »Da haben Sie recht. Aber wer ist das nicht?« Was ist mit dem Weihnachtsmarkt im Country Club? Ich gehe die Stufen zu Breas Haus hinauf, und sie empfängt mich an der Tür. »Wieso bist du auf? Marsch, wieder ins Bett mit dir.«
Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Ich soll mich ein wenig bewegen wegen der Blutzirkulation. Armer Miles, er langweilt sich zu Tode. Er will die schöne Weihnachtsbeleuchtung sehen und vielleicht auch den Weihnachtsmann.«
»Den Weihnachtsmann?«, frage ich ungläubig. »Das sollte er definitiv mit seiner Mama machen.«
»Es ist sein erstes Weihnachten, Ashley. Er braucht unbedingt ein Foto mit dem Weihnachtsmann, und ich kann nicht. Es sei denn, du willst meinen Rollstuhl und Miles’ Buggy schieben. Und meine Mutter wird ihn zu irgendeinem billigen Kaufhaus-Weihnachtsmann bringen.«
Ich gehe durch die Fliegengittertür und sehe Miles auf dem Boden, wie er auf einem Gummiring für zahnende Babys kaut und auf seine Füße schaut. »Na gut. Was soll er anhaben?«
Brea zeigt mir einen kleinen rot-grün karierten Nicki-Strampler. »Von Heartstrings«, sagt sie, eine Marke, von der ich noch nie etwas gehört habe.
»Süß.«
»Nimmst du ihn mit ins Einkaufszentrum?«, meint Brea, und es hört sich an wie eine Frage, ist aber eigentlich ein Befehl. »Nach Stanford. Dort haben sie den besten Weihnachtsmann.«
»Ich treffe mich um eins mit Kevin zum Essen. Du hast Glück, dass wir uns dort verabredet haben.«
»Dann solltest du machen, dass du loskommst. Ich lasse ihm den Schlafanzug an, und du kannst ihn dann dort umziehen. Dann kann er sich nicht schmutzig machen. Okay?«
»Okay, Brea.«
Ihr Gesichtsausdruck entspannt sich, und Friede kommt über sie. »In seiner Windeltasche ist alles, was du brauchst. So gegen elf muss er gefüttert werden.«
»Klar«, entgegne ich, als Brea mir die Tasche gibt, in der die halbe Welt Platz hätte. Ich setze Miles in seinen Tragesitz. »Brea, du darfst diese Tasche nicht heben. Gute Güte, was hast du denn da alles drin?«
»Denk daran, ihm die Haare zu bürsten, bevor er fotografiert wird. Mit der Windel hier kannst du ihn noch mal abwischen vor dem Foto, und Ashley...«
»Ja, Brea.«
»Danke. Ich weiß, dass John vergessen würde, ihm die Haare zu bürsten, und wenn er den Verkehr dort sehen würde, würde er einfach umdrehen.«
Für Brea tue ich alles. Das weiß sie. Sie würde auch alles für mich tun. Wir sind unser gegenseitiger Fanclub. »Kein Problem. Wenn ich etwas gelernt habe in diesem Leben, dann ist es, mich durch das Einkaufszentrum zu schlängeln. Eine Stelle zu behalten ist dagegen scheinbar nicht so mein Ding.«
»Wenn du einen reichen Mann heiratest, musst du dich vielleicht auch nur im Einkaufszentrum auskennen«, meint Brea augenzwinkernd.
»Verlass dich nicht zu sehr darauf. Den Mann, der sich meine Einkäufe leisten kann, muss ich erst noch finden.«
Wir lachen beide, und dann wird Brea wieder ernst. »Früher dachte ich immer, Geld sei mir wichtig, bis ich John kennen lernte. Mit ihm würde ich auch in einer Hütte hausen.«
Ich halte abwehrend die Hand hoch. »Versuch das bloß nicht mit mir. Seth hatte Geld. Aber man sagt, wer reich heiratet, muss sich jeden Cent verdienen. Und ich glaube, das stimmt.«
»Kevin ist nicht so.«
»Kevin ist nur ein guter Freund«, erwidere ich, um den Tatsachen aus dem Weg zu gehen. Das Letzte, was ich im Moment noch brauchen kann, ist, mich zu verlieben.
»Du wirst das schon noch gebacken kriegen. Ganz bestimmt«, meint Brea und lächelt wissend.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das glauben soll, aber manchmal tut es gut, ein bisschen in einer Fantasiewelt zu leben. Einer Welt, in der ich aussehe wie die Schönheiten in Bachelorette im Badeanzug, nur nicht ganz so billig, und mindestens vier Männer zur Auswahl habe.
Es ist die Woche nach Thanksgiving, und das Treiben im Einkaufszentrum ist der Wahnsinn. In Stanford ist immer viel los, aber wenn es einen echten Anlass zum Einkäufen gibt, außer gut gekleidet und/oder metrosexuell zu sein, dann ist alles hoffnungslos überfüllt.
Nachdem ich eine Ewigkeit nach einem Parkplatz gesucht habe, ziehe ich Miles in seinem Tragesitz aus dem Auto und mache ihn auf dem Buggygestell fest. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich herausfinde, wie das geht, und dabei bin ich es als Patentanwältin gewöhnt, Zeichnungen zu lesen. Miles gluckst nur vor sich hin ob meiner Unzulänglichkeit, und ich schwöre, wenn ich je einen Mann finde, der so geduldig ist, werde ich ihn auf der Stelle heiraten.
Wir machen uns mit unserem ganzen Gepäck auf den Weg quer über den Parkplatz und sehen aus, als könnten wir auch einen überraschenden Schneeeinbruch überleben, obwohl es hier nicht mehr geschneit hat, seit ich ein Baby war. Wir kommen zum Stand mit dem Weihnachtsmann, und die Warteschlange davor schlängelt sich schon im Zickzack, so dass die Lombard Street in San Francisco, Amerikas kurvigste Straße, wie ein Spaziergang dagegen wirkt. Ich schaue auf Miles hinunter und merke, dass ich ihn noch umziehen muss.
»Komm, wir suchen eine Toilette«, beruhige ich ihn.
Als Belohnung bekomme ich ein vergnügtes Quieken. Als wir die Toilette betreten, entdecke ich, dass ich nicht die Einzige bin, die diese Idee hatte. Auch am Wickeltisch steht eine Schlange. Als ob Amerikas Damentoiletten nicht schon voll genug wären. Jetzt müssen wir sie noch mit Kleinkindern, Buggys und Windeltaschen voller Designer-Babyartikel teilen.
Endlich sind wir an der Reihe. Ein Baby umzuziehen hat sich recht einfach angehört, denn das letzte Mal, als ich Miles umgezogen habe, war er krank gewesen und wehrte sich nicht. Aber heute ist er ein Häufchen zappelnder Arme und Beine, die sich dagegen sträuben, auf diesem entwürdigenden Plastiktisch umgezogen zu werden. Ich habe seine modische Babydecke darauf ausgebreitet, damit er nicht merkt, wo wir eigentlich sind, aber Babys sind wie Berglöwen, sie kennen ihre Umgebung genau.
Nach der »Karo-Katastrophe«, wie ich es nennen würde, stellen wir uns wieder in der Schlange schreiender Babys, tobender Kleinkinder und sonderlicher Mütter, meist mit Kindermädchen im Schlepptau, an. Der Weihnachtsmann macht gerade Pause, und in der Schlange bewegt sich gar nichts. »Brea, jetzt schuldest du mir wirklich was«, murmle ich vor mich hin.
»Ashley!« Ich höre meinen Namen, und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Arin auf mich zusteuert, diesmal ohne den Bindi- Punkt und den Sari. Sie sieht sogar wirklich gut aus in ihrem schwarzen Pullover über der weißen Bluse. Ziemlich professionell.
»Hallo! Ich dachte, du bist in Indien«, sage ich so freundlich wie möglich, um nicht anzudeuten, dass ich eigentlich meine: Ich dachte, du bist in Indien und legst noch einmal letzte Hand an Seth und seine übergroße Eindungsangst.
»Nein, noch nicht. Ich bleibe noch über Weihnachten. Meine Eltern kommen aus Boston, und sie wollen noch einmal etwas Zeit mit mir verbringen.«
Ich grinse stumm. Also wird Seth Weihnachten allein verbringen. Wenn ich an den armen, einsamen Seth im großen Indien denke ... Na gut, ich kann mir das Lächeln dabei nicht verkneifen. Auch wenn ich weiß, dass Rache Gottes Sache ist, fühlt sie sich manchmal gut an. Wir sind sündige Menschen. Aber dann gewinnt mein gutmütiges Herz, und er tut mir doch leid. Kein Job ist es wert, dass man das Leben, das man kennt, zurücklässt, es sei denn, man ist ein Abenteurer. Ich bin das nicht. Und Seth eigentlich auch nicht.
Die Schlange setzt sich in Bewegung, und ich entferne mich langsam von Arin, aber sie folgt mir einfach.
»Ist das Miles?«
Ich nicke.
»Er wird immer hübscher. Wie geht es Brea?«
»Ich glaube, sie hat die Bettruhe allmählich satt, aber sie wird sie noch brauchen, wenn sie erst zwei Babys hat. Sie kann immer noch nichts essen, deshalb bekommt sie Flüssignahrung. Ich kann es kaum fassen, wie viel Arbeit einer dieser Kleinen alleine macht.« Während wir uns unterhalten, hole ich Miles’ Bürste heraus und fange an, seine rotbraunen Locken zu bürsten. Dieses Kind ist bildhübsch.
Arin räuspert sich. »Ich glaube, Seth kommt aus Indien zurück.«
Meine Welt bricht zusammen. »Wie meinst du das? Zu Weihnachten?«
»Nein, es gefällt ihm nicht. Er kommt ganz nach Hause. Er hat gesagt, er hat versucht, es dir am Telefon zu erzählen, aber du schienst nicht besonders interessiert.«
»Ich freue mich für ihn, wenn er sich so entschieden hat.« Welche Frau will schon hören, dass sie ihrem Ex in der Gemeinde zukünftig wieder aus dem Weg gehen muss?
»Wie es scheint, bist du auch nicht an Kevin interessiert. Was interessiert dich dann, Ashley?«
»Warum sagst du das? Warum soll ich nicht an Kevin interessiert sein?«
»Bist du?«
Gute Frage. Er ist zum Umfallen gut aussehend, ein absoluter Kavalier, und die Chemie zwischen uns ist einfach überwältigend. Also bin ich zumindest ein bisschen interessiert. Aber ich muss zugeben, dass ich mich nach der Sache mit Seth frage, ob ich wirklich einen Mann in meinem Leben brauche. Und Kevins rassistische Eltern sind die perfekte Krönung der Sache.
»Das wird sich noch zeigen, denke ich.«
Arin nickt. »Und Seth? Wo steht er?«
»Irgendwo im Bundesstaat Punjab, glaube ich.«
Arin scheint fürchterlich interessiert an meinem Liebesieben, und ich frage mich, was sie daran so fasziniert, wenn man bedenkt, wie ärmlich und dürftig es ist.
»Er liebt dich, Ashley.«
»Wer liebt mich?«
Sie sieht aus, als würde sie mir gleich ihr Herz ausschütten, und ich wappne mich innerlich.
»Seth. Ich dachte, er und ich hätten die gleiche Leidenschaft für die Mission. Ich habe Gottes Führung falsch verstanden. Genauer gesagt habe ich, glaube ich, gar nicht auf Gott gehört. Seth und ich sind nicht die Richtigen füreinander.«
»Hast du nicht schon einmal vor mir gestanden und das Gleiche von Kevin behauptet? Dass er mich liebt? Und du willst wissen, wann ein Mann mich liebt? Ich glaube, das muss ich schon selbst herausfinden.« Ich nehme Miles auf die andere Hüfte. »Ich weiß übrigens, wie man sicher herausfinden kann, wann etwas nicht Gottes Wille ist. Wenn man alles nach seinem eigenen Willen arrangieren muss, dann weiß man auch, wessen Wille es ist.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, dass ihr beide euch wirklich liebt.«
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich glaube, keiner weiß, woran man einen verliebten Ingenieur erkennt.«
Sie nickt und lächelt mich an. »Es tut mir leid. Ich habe mit Kevins Herz gespielt und dann mit deinem. Und jetzt stehe ich ganz alleine da und werde in ein fremdes Land in die Mission geschickt. Ich wollte nur wissen, wo mein Platz ist.«
Ich kann nicht anders als Mitleid mit Arin haben. Sie ist so daran gewöhnt, dass alles nach ihren Wünschen läuft, dass ihr nie der Gedanke gekommen ist, dass Gott vielleicht etwas anderes vorhat. Das kann ich verstehen. Ich hasse diesen Gedanken auch. Es gibt nichts Schlimmeres, als festzustellen, dass man nichts wirklich unter Kontrolle hat. Man muss einfach mit Gottes Strom schwimmen und das Beste daraus machen.
Miles fängt an zu schreien, und ich nehme ihn wieder auf die andere Hüfte, wickle seine Decke um ihn und drehe ihn mit dem Gesicht zu dem wunderschönen bunten und glitzernden Weihnachtsmannstand.
»Ich weiß, das hilft nicht wirklich, aber ich habe mich absichtlich zwischen Seth und dich gedrängt, und es tut mir leid, Ashley.«
»Hätte Seth mich wirklich geliebt, hätte uns nichts trennen können ... wenn es Gottes Wille gewesen wäre. Aber das war es nicht. Ich versichere dir, Seth musste auf die Suche gehen. Er musste die Leine kappen.«
»Was?«
Wir sind jetzt ganz vorne in der Warteschlange, und Miles entdeckt den Weihnachtsmann. Er beobachtet den roten Mantel und den beängstigenden weißen Bart und fängt an zu wimmern, als wollte er sagen: Ich werde nicht da hinaufgehen. Wehe, du zwingst mich. Mit weit aufgerissenen Augen und roter Nase schaut er zu mir auf, als wollte er laut NEIIIN! schreien, so ähnlich wie Luke Skywalker, als er entdeckt, dass Darth Vader sein Vater ist.
»Ich dachte nur, du solltest es wissen«, sagt Arin schließlich. »Seth liebt dich, nicht mich.«
Ich lache. »Seth liebt sich selbst, Arin. Er wird alles tun, um sich vor Leuten wie mir und echten Gefühlen zu schützen. Du solltest diese Lektion besser gleich lernen. Wenn ein Mann dich nicht will, dann geh weiter, denn dann hat Gott etwas viel Besseres für dich bereit.«
»Du bist so reif, Ashley. Ich hoffe, dass ich einmal so werde wie du, wenn ich erwachsen bin.«
»Das würde ich nicht mal meinem schlimmsten Feind wünschen.«
»Welche Variante wollen Sie, A, B oder C?«, fragt mich eine übereifrige Elfe, und Miles fängt bei ihrem Anblick an zu schreien.
»C«, sage ich, ohne hinzuschauen. Es ist die teuerste Variante, und nach meiner Erfahrung mit Brea und Babybildern zu urteilen, wird sie das Bestmögliche wollen.
Ich gebe Arin Miles für einen Augenblick. Sie zeigt ihm die Bauklötze, und in angemessener Entfernung zum Weihnachtsmann fängt er an, sich zu beruhigen. Ich nehme ihn wieder zu mir und lächle Arin an. »Danke, dass du mir das alles erzählt hast. Danke für deine Ehrlichkeit.« Aber in Gedanken bin ich bei der Elfe.
»Dann bis Sonntag, Ashley.«
Ich nehme Miles und hebe ihn auf die Bühne zum Weihnachtsmann, als er anfängt zu schreien, als würde er misshandelt. Ich versuche ihn zu beruhigen, aber sein Gesicht wird immer röter. »Kann ich ein bisschen mit ihm auf und ab gehen?«, frage ich die muntere Elfe.
Die Elfe schaut über die Menge. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?«
»Das Bild ist für meine beste Freundin. Sie bringt mich um, wenn er darauf weint. Nehmen Sie so lange den nächsten Kunden dran. Bitte.«
Ich gehe mit Miles im Gang auf und ab, und es ist, als hätte er einen Ein- und Ausschaltknopf. Jedes Mal, wenn wir uns vom Weihnachtsmann entfernen, beruhigt er sich, und wenn wir uns ihm nähern, brüllt er los.
»Ich bin gleich wieder da«, sage ich mit dem Selbstbewusstsein eines Arnold Schwarzenegger. Ich gehe mit Miles so lange auf und ab, bis er in meinem Arm einschläft. Dann gehe ich zurück zum Weihnachtsmann, und wir machen ein Bild mit dem friedlich schlafenden Miles in seinem Schoß.
Ich fühle mich, als hätte ich gerade den Mount Everest bestiegen. In jeder Hinsicht. Ich spüre jeden Muskel, weil ich Miles im Einkaufszentrum herumgetragen habe, und meine Füße tun mir trotz meiner bequemen Kate-Spade-Schuhe weh. Aber in Wirklichkeit muss ich an Seth und seine Rückkehr denken. Was, wenn er mich wirklich liebt? Werde ich je vergessen können, dass er mich so einfach mit einem Telefonanruf abserviert und mich mit dem alleinigen Sorgerecht für unseren Hund zurückgelassen hat? Ich glaube nicht.