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Was habe ich mir nur dabei gedacht? Das ist das Einzige, was mir einfällt, als Sophia, die gegenwärtige Lebensgefährtin meines Chefs, die Tür öffnet. Ich glaube, Seth blieb tatsächlich der Mund offen stehen. Ich weiß, dass es mir so ging. Sie sieht aus wie ein Bademoden-Model nach der Bildbearbeitung. Ich habe tatsächlich ein wenig Mitleid mit ihr, weil sie so umwerfend aussieht, dass man gar nicht weiß, was man zu ihr sagen soll. Ich frage mich, wie sie sich da mit anderen Menschen unterhalten will. Man ist einfach vollkommen sprachlos bei ihrer Schönheit. Unter welchem Druck sie wohl lebt? Das braucht kein Mensch. Nachdem sich mein aufgewühltes Inneres wieder beruhigt hat, bin ich überzeugt, dass ein durchschnittliches Aussehen vollkommen genügt.
Seth schaut sie an, dann schaut er zu mir, und ich kann förmlich hören, was er denkt. Ja klar, dein Chef hat es auf dich abgesehen, nicht auf dieses italienische Model, das ihm jederzeit zur Verfügung steht. Erde an Ashley. Fahr dein aufgeblasenes Ego runter.
»Ashley.« Beim Klang von Sophias italienischem Akzent sind Seth und ich beide sprachlos, als wären wir überrascht, dass sie sprechen kann. »Und Sie müssen Seth sein.« Seth nickt, und ich strecke ihr unbeholfen den Blumentopf hin, den wir mitgebracht haben. »Oh, wie schön. Danke«, sagt Sophia und nimmt den Topf.
»Es ist ein afrikanisches Veilchen. Es wächst besonders gut in einem Blumenfenster.« Ich hatte Sophia schon einmal gesehen, aber noch nicht mit Make-up, und sie kann sich wirklich herausputzen. Ich wusste schon immer, dass sie umwerfend aussieht, aber umwerfendes Aussehen sollte ein bisschen gerechter verteilt sein unter dem weiblichen Geschlecht. Sie ist wie Supermans Krypton, das man nie direkt anschauen darf.
»Wir haben ein Blumenfenster. Kommen Sie doch herein.
Hans legt gerade die Shrimpsspieße auf den Grill, und ich habe ein wunderbares Pesto dazu gemacht.« Sie schaut zu Seth. »Kann ich Ihnen die Jacke abnehmen?«
Er schüttelt den Kopf. Scheinbar ist er immer noch sprachlos.
»Ein schönes Haus haben Sie«, versuche ich ins Gespräch zu kommen.
»Es ist schön, aber klein, nein? Hans muss für all diese Kinder Unterhalt zahlen, da können wir wohl froh sein, ein Dach über dem Kopf zu haben.« Sie lacht etwas metallen, setzt sich auf ein langes rotes Plüschsofa und stellt die Pflanze neben sich auf einen Glastisch. Sie tätschelt den Platz neben sich. »Kommen Sie, setzen Sie sich doch.«
Ich lasse meinen Blick umherschweifen, als ich mich setze. Das Haus sieht aus wie aus der »Alten Welt«. Obwohl es ein für diese Gegend typisches Flachdachhaus ist, hat es Säulen aus Kalksinter und Marmor, wie eine Villa in der Toskana. Neben dem reich verzierten Kamin steht ein Miniaturflügel, und die raue Tapete sieht aus wie Stoff. Eine einzige Ausnahme katapultiert mich in die Gegenwart zurück: die moderne Kunst, die die Wände schmückt. Alles ist eher elegant, bis auf die Bilder. Sie sehen aus, als stammten sie aus der Gemäldegalerie einer psychiatrischen Abteilung. Bunt und wütend.
»Nette Bilder«, meint Seth zurückhaltend.
Was? Ach Seth, das ganze Zimmer ist voller schöner Dinge, und du musst diese Psychokunst loben?
»Danke. Ich habe sie selbst gemalt.« Sophia steht auf und geht im Zimmer umher. Sie trägt Espandrillos, Leinenhosen und eine weite Seidenbluse - alles cremefarben. Sie sieht aus, als hätte sie noch nie in ihrem Leben gearbeitet, als wäre sie dazu erschaffen, nur eine schöne Verzierung zu sein. Sophia zeigt auf ein Gemälde. »Das da nenne ich Druck, weil es die Zeit darstellt, als ich in Hans’ Familie gekommen bin. Ich wusste nicht, dass man so viel Angst haben kann, bis ich rund um die Uhr mit Kindern lebte.« Während sie spricht, schüttelt sie die flache Hand, um ihre Worte zu unterstreichen.
Ah, vielleicht hatte die Angst etwas damit zu tun, dass du der Mutter den Mann ausgespannt hast? »Sind Sie extra nach Amerika gekommen, um Kindermädchen zu sein?«
»Ja. Aber dann habe ich festgestellt, dass mir Kinder nicht besonders liegen.« Wieder dieses metallene Lachen. »Sie sind so schmutzig. Ständig haben sie Essen an den Fingern und machen Krach.« Sie hält sich die Ohren zu. »Oh, dieser Lärm!«
An Seths Gesichtsausdruck sehe ich, dass sie für ihn soeben ein wenig von ihrem Zauber verloren hat. »Sie wollen also keine Kinder?«, fragt Seth. Seltsam. Mich hat er das nie gefragt.
»Auf keinen Fall. Hans hat schon genug zum Bevölkerungswachstum beigetragen, und ich bin für Bevölkerungskontrolle. Das ist zwar für mein katholisches Heimatland ein sehr seltener Standpunkt, aber ich bin davon überzeugt.« Sophia geht zu einem anderen Gemälde und gestikuliert dabei heftig in typisch italienischer Manier.
Hmm. Wie soll ich es beschreiben? Es hat etwas Skelettartiges, ist ganz in Rot gehalten, um den Eindruck gespannter Muskeln zu vermitteln, wie in einem Anatomiebuch. Außen ist es schwarz, und die Augen treten hervor wie bei einem Gespenst in einem Halloween-Geisterhaus. Sophia erzählt weiter: »Das hier nenne ich Tod. Es soll das Ende einer Beziehung darstellen und die Gefühle dabei. Man fühlt sich nackt und entblößt. Wie sagt man? Die Nerven liegen blank.«
Und Brea glaubt wirklich, dass mein Gedicht beängstigend ist? Diese Frau sollte man mitsamt ihren Bildern in die Psychiatrie stecken. »Interessant«, sage ich. Was soll man schon sagen, wenn die Augen von etwas Unansehnlichem attackiert werden, das sich auch noch Kunst nennt. Und das da? Das heißt bestimmt »Zwangsja cke«.
Seth steht mit weit aufgerissenen, ungläubig starrenden Augen da. Sophia wirkt wie das Mädchen aus der Bierwerbung, bis sie einem die brutale Realität ihres Gefühlslebens um die Ohren schlägt. Seths gerunzelter Stirn nach zu urteilen, entwickelt sich seine Furcht vor Juweliergeschäften und Ringen durch die Erkenntnis, dass eine so schöne Frau so finstere Gefühle in sich tragen kann, gerade zu einer Furcht vor Frauen im Allgemeinen. Er starrt mich an, als hätte ich ihn verraten. Wir werden niemals heiraten. Er denkt wahrscheinlich, dass ich wie in Das Bildnis des Dorian Gray irgendeine schreckliche Wahrheit verberge.
Zu unserer großen Erleichterung kommt Hans herein. »Ashley, Sie sehen umwerfend aus!« Er umarmt mich, tritt dann einen Schritt zurück, um mich anzusehen, und zieht dabei die Augenbrauen hoch. »Keine Patentanwältin sollte so gut aussehen. Wie soll ich da denn arbeiten?«
Seth tritt hervor und streckt meinem Chef die Hand hin. »Seth Greenwood, Ashleys Freund. Schön, Sie kennen zu lernen.«
»Freund? Ich dachte ...« Hans schaut mich fragend an und fährt dann fort. »Ich dachte, dass ein Mann, der schlau genug ist, sich unsere Ashley zu angeln, sie sofort zum Altar führt. Kein Ring?« Hans nimmt meine Hand und hält Seth meine nackten Finger hin.
»Wir haben gerade Sophias Kunstwerke bewundert«, meint Seth und weicht dem Thema Heiraten geschickt aus. Wie immer.
»Sie ist unglaublich, nicht wahr? So begabt, und ihr Talent ist in Amerika noch vollkommen unentdeckt.« Hans küsst Sophia auf die Wange. »Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten? Wein? Martini? Oder etwas anderes?«
»Ich hätte gerne eine Cola Light, wenn Sie so etwas da haben«, antworte ich, und Sophia schaut mich an, als wäre ich vom Mars.
»Wein ist gut für die Verdauung«, sagt sie. »Amerikaner stopfen sich zu viele Chemikalien in den Körper.«
»Ich fürchte, für meine Verdauung ist er nicht gut«, entgegne ich achselzuckend.
»Und Sie, Seth?«, fragt Hans.
»Wasser, wenn Sie welches haben.«
»Ihr Amerikaner!«, sagt Hans und trottet hinaus in die Küche. Er kommt mit zwei Gläsern zurück ins Wohnzimmer, wo Stille herrscht. »Was machen Sie so den ganzen Tag, Seth?«
»Ich bin Abteilungsleiter für Software bei Mitei.«
Hans verzieht den Mund und nickt, als wäre er beeindruckt. »Miteis Aktienkurs ist gestiegen. Ich hoffe, Sie haben einen Teil Ihres Gehaltes in Aktien angelegt. Sie täten gut daran.«
»Ich habe ein paar Aktien.« Seth lächelt etwas. An seinem Grinsen kann ich erkennen, dass er mehr als nur ein paar hat.
»Scheint so, als ginge es Ihnen ganz gut.« Plötzlich steht Hans auf. »Ich muss nach draußen gehen, die Spieße umdrehen. Ashley, kommen Sie doch mit mir, dann können wir uns ein wenig übers Geschäft unterhalten. Seth scheint sich für Sophias Kunst zu interessieren.«
Zögernd trete ich auf die kleine Terrasse hinaus. Ein Springbrunnen mit einem Löwenkopf wird von indirektem Licht beleuchtet. Plötzlich muss ich an Daniel in der Löwengrube denken. Die Hitze des Grills schlägt mir entgegen, und ich fühle mich wie Daniels Freund Mesach im Feuerofen. Mein Herz klopft wie wild. Hans dreht sich zu mir, und sein gut aussehendes Gesicht wird vom Licht des Springbrunnens angestrahlt.
»Ich habe unseren Flug für Dienstag gebucht«, sagt Hans. »Aber ich habe doch gesagt, ich ...«
»Sie treffen sich mit Ihrem Pastor?« Hans lacht nur.
Meine Nase brennt, weil mir die Tränen in die Augen steigen. »Ich werde Seth heiraten.«
Hans schaut auf den Betonboden. »Natürlich werden Sie das. Aber zuerst werden Sie Chefsyndikus. Hausfrau können Sie später noch spielen. Seth hat es nicht eilig. Das sehe ich.«
»Versuchen Sie nicht, mich zu beschwichtigen, Hans. Was soll das heißen, Hausfrau kann ich später noch spielen? Heißt das, Sie erwarten eine Gegenleistung für die Beförderung?«
Hans lacht laut auf. »Sehe ich so aus, als hätte ich es nötig, eine Gegenleistung zu erwarten, Ashley?«
Punkt für ihn. »Nein, aber ich verstehe nicht, warum Sie auf einmal einen Chefsyndikus brauchen.«
»Ich will Ihnen nichts vormachen; Sie sind unheimlich hübsch. Ja sogar umwerfend. Ist es das, was Sie von mir hören wollen?«
Ich verschränke die Arme. »Und?«
»Und das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass Sie die cleverste Patentanwältin sind, die ich je kennen gelernt habe. Wenn ich Ihnen eine technische Sache erkläre, können Sie mir auf der Stelle sagen, wie die Chancen stehen, dafür ein Patent zu bekommen. Diese Art Informationen sind der Schlüssel zu steigenden Aktienkursen.« Hans hebt den Deckel vom Grill. »Schöne Frauen gibt es dutzendweise. Aber gute Patentanwälte muss man suchen wie eine Nadel im Heuhaufen. Ich verstehe nicht, warum andere Geschäftsführer das nicht erkennen, aber wer das Patentrecht hat, dem gehört die Technik dahinter. Und bis nach zwanzig Jahren das Patent erlischt, ist die Technik ohnehin veraltet.« Dabei zeigt er mit der Grillzange auf mich.
»Warum müssen wir dann am Dienstag fliegen, wenn ich so schnell bin? Kann ich nicht auch nach Dienstag noch schnell sein?«
»Ich treffe mich dort mit einigen chinesischen Vertretern und möchte, dass Sie dabei sind. Sie wissen, was die Taiwanesen und Chinesen davon halten, einen Termin abzusagen. Was gibt es hier so Wichtiges, das nicht warten kann?«
Ich schaue hinein zu Seth, der versucht, so viel Abstand wie möglich von Sophia zu halten. »Ich habe am Freitag etwas ganz Besonderes vor.«
»Dann müssen Sie sich entscheiden, Ashley. Ich weiß, Sie sind noch jung und waren noch nie verheiratet, aber der Erfolg ist das, was letztlich bleibt. Und er hinterlässt Sicherheiten auf der Bank.« Er schaut nach drinnen zu Seth und dann wieder zu mir. »Sie setzen auf etwas, das vielleicht niemals eintreten wird, und ich biete Ihnen dagegen die Möglichkeit, Ihren Erfolg selbst zu verwirklichen.«
Warum fühle ich mich jetzt so mies? »Ich bin nicht wie Sophia, Hans. Ich will Ehefrau und Mutter sein. Ich bin nicht damit zufrieden, mich für den Rest meines Lebens mit Patenten herumzuschlagen.«
»Das sagen Sie nur, weil Sie noch nie Ehefrau waren.«
»Was haben Sie gegen die Ehe? Werden Sie Sophia nicht heiraten?«
Hans lacht. »Ich werde nie wieder heiraten. Die Ehe ist wie eine Wunde, die man offen hält, bis man völlig ausgeblutet ist. Ich habe kein Blut mehr übrig. Ohne Bluttransfusion komme ich nicht mehr infrage.«
»Nach ihren Gemälden zu urteilen, scheint es Sophia genauso zu gehen.« Ich stehe da und starre ihn an, und dann verschränke ich die Arme.
»Man könnte wohl sagen, dass wir seelenverwandt sind. Wer sagt eigentlich, dass sich Gegenteile anziehen?«
»Sie beide brauchen Jesus. Wenn Sie die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehen könnten, hätten Sie mehr Hoffnung. Und mehr werde ich Ihnen heute nicht predigen.« Ich lehne mich an die Ziegelwand.
»Das ist auch gut so, denn es ist verboten, andere am Arbeitsplatz zu bekehren.«
»Ist es nicht. Nur wenn man seine Autorität über die Angestellten dazu missbraucht und ihnen gegen ihren Willen predigt. Aber sexuelle Belästigung ist verboten.«
Er lacht. »Na gut.« Hans nimmt die Spieße vom Grill.
»Woher wussten Sie, dass ich nicht wirklich verlobt bin?«, frage ich ihn, weil ich weiß, dass es sinnlos ist, so zu tun, als wüsste Hans nicht genau, dass ich ihn angelogen habe.
Er reicht mir den Teller mit den Spießen. »Ich habe im Leben ein paar Dinge über Frauen gelernt.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Doch, Sie müssen nur einmal darüber nachdenken. Ich will nicht, dass Sie mich beschuldigen, ich würde Sie belästigen.« Er zwinkert mir zu und setzt den Deckel auf den Grill. »Sie sind zu intelligent, um Seth zu heiraten, Ashley. Er versteht Ihre Komplexität nicht. Glauben Sie mir und schonen Sie Ihre Nerven.« Dabei hält er zwei Finger in die Luft, als hielte er eine Zigarette. »Das war eine kostenlose Beratung.«
»Und Sie sind zu klug, um nicht auf Gott zu hören. Glauben Sie mir.« Ich zeige auf ihn. »Hiermit gebe ich Ihnen die kostenlose Beratung wieder zurück.«
Hans lächelt und zwinkert mir zu, dann gehen wir zurück ins Wohnzimmer, wo der arme Seth schon fast ins Koma gefallen ist. Er hat ganz glasige Augen, und ich frage mich, wann er zum letzten Mal geblinzelt hat. »Hallo Seth, hast du eine Kunstführung bekommen?«
»Bon appetit!« Hans nimmt mir den Teller mit den Spießen ab und stellt ihn auf den Tisch, wo Sophia schon ihr Pesto und wunderschöne Kristallgläser platziert hat. Er tut so, als wollte er uns allen Wein einschenken und lächelt, als er unsere Gläser auslässt. Er macht Sophias Glas randvoll, und sie kippt es hinunter, als wäre es Traubensaft.
Sie nimmt ihm die Flasche aus der Hand und schenkt sich noch ein Glas ein. »Seth hat mir erzählt, dass er mit Software arbeitet. Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber ich nehme mal an, es hat mit Computern zu tun. Wenn ich es zulassen würde, würdet ihr drei euch bestimmt die ganze Zeit über Geschäftliches unterhalten. Aber das werde ich nicht.« Sophia wirft ihr langes, dunkles Haar zurück und wirft Hans einen strengen Blick zu. »Lasst uns über etwas Interessantes sprechen.«
Meine Gedanken rasen. Was könnte für Sophia wohl interessant sein? »Ich will mich auch nicht über Software unterhalten, Sophia. Ich habe den ganzen Tag mit Computern zu tun. Manchmal sogar die ganze Nacht. Worüber wollen wir uns unterhalten?«, frage ich voller Begeisterung.
»Hundewelpen. Ich liebe Hundewelpen«, erklärt Sophia. »Ich mag vor allem kleine schwarze und kuschelige, wuschelige braune. Ich mag alle möglichen Welpen.«
Ich fange an zu lachen, merke aber schnell, dass sie nicht versucht die grausame Cruella DeVil aus 101 Dalmatiner zu imitieren. Ich räuspere mich. »Ja, Welpen sind wunderbar.«
»Meinst du das ernst, Ashley?«, fragt Seth.
»Natürlich. Wer mag denn keine Hundewelpen?«
»Ich bin froh, dass du das sagst. Ich war mir nicht sicher, ob du Haustiere magst.«
»Ich mag auch kleine Kätzchen«, verkündet Sophia. Wir schauen sie an, als wäre sie der autistische Rainman.
»Nun, Ashley, was halten Sie denn bisher von Gainnet?«, fragt Hans.
»Ich glaube, allmählich habe ich den Dreh raus. Ich denke, bis Anfang nächsten Jahres werden wir einige wichtige Patente landen können.«
»Das höre ich gerne. Seth, da haben Sie einen echten Gewinn gemacht. Wann wird die Hochzeit sein?«
So gut es geht, ohne dass Seth es bemerkt, werfe ich Hans einen bösen Blick zu. »Was für einen Welpen hättest du gerne, Ashley?«, fragt Seth.
»Einen süßen, kleinen. Einen, den ich in einer großen Handtasche mit zur Arbeit nehmen und unter meinem Schreibtisch verstecken kann.«
»Das geht aber nicht, wenn Sie in Taiwan sind«, warnt Hans mich. »Wir werden in den nächsten drei Monaten mindestens drei Mal nach Taiwan fliegen.«
Drei Mal. Das macht einen ganzen Monat aus! »Ich kann sowieso keinen Hund halten, Hans. Ich wohne zur Miete.«
»Ich dachte, du kaufst Kay die Hälfte von ihrem Haus ab?«, wirft Seth ein.
»Das dachte ich auch«, schaltet sich Hans dazwischen. Woher haben die Männer um mich herum plötzlich ein so gutes Gedächtnis? »Ich habe mich noch nicht entschieden.« Während wir uns unterhalten, essen wir die Grillspieße, und ich habe das Gefühl, dass mein ganzes Gesicht mitisst. Ich versuche, meine Finger so appetitlich wie möglich abzulecken. Wir plaudern weiter, und meine Aufmerksamkeit wandert wieder zu Hans.
»Wir fliegen am Dienstag nach Taiwan. Hat Ashley Ihnen das schon gesagt?«, fragt Hans.
»Aber...«, protestiert Seth. »Ich dachte ...«
»Ich habe nie zugesagt, am Dienstag zu fliegen. Seth und ich hatten schon lange, bevor diese Reise geplant war, etwas vor am Freitag. Nicht wahr, Seth?«
Hans redet weiter. »Das war sicher, bevor er wusste, dass Sie bald Chefsyndikus werden. Hat sie Ihnen das erzählt, Seth? Ich werde mich beim Vorstand für sie einsetzen.«
Seth presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und seine blauen Augen sind im Kerzenlicht deutlich dunkler geworden. »Ich wollte am Freitagabend eine Party für sie geben, Hans. Sie hat in letzter Zeit sehr viel gearbeitet.«
»Sie können die Party feiern, wenn sie wieder zurück ist. Sie wird am Samstag wieder da sein, und dann kann sie auch feiern, dass sie Chefsyndikus geworden ist«, meint Hans und bringt noch mehr Baguette.
Seth legt die Serviette auf den Tisch und schiebt mit einem Quietschen seinen Stuhl zurück. »Entschuldigt mich bitte ...«
»Ich habe euch gesagt, dass wir uns lieber über Hunde unterhalten sollten!«, wirft Sophia ein und stapft ebenfalls davon.
Ich habe noch nie zuvor erlebt, dass Seth die Beherrschung verliert. Es ist faszinierend, das zu beobachten, und einen Augenblick lang sehe ich, glaube ich, so etwas wie Eifersucht in seinen Augen. Wie ist das nur möglich? Wie kann er sich wochenlang davor drücken, mit mir allein zu sein, und dann sauer sein, wenn ich mich meiner Arbeit widme oder ein eigenes Haus kaufen will? Was habe ich denn für eine Wahl?
»Wir sollten besser gehen. Vielen Dank für die Einladung, Hans, und richten Sie bitte Sophia unseren Dank aus. Ihr Pesto war ausgezeichnet.«
Ich folge Seth zur Haustür hinaus und sehe noch, wie Hans in der Tür steht und das Licht seinen muskulösen Körper umspielt. Das Lächeln auf seinem Gesicht reicht bis zu den Augen, und mir bleibt nur noch, wie eine Bettlerin meinem Freund hinterherzuhasten.
»Seth, warte auf mich! Du bist zu schnell für mich.«
»Ich bin zu schnell?« Dabei schlägt er sich mit der Hand auf die Brust .Jawohl, du hättest wohl nicht geglaubt, dass ich das je sage. »Ich bin zu schnell? Hans scheint auch recht schnell zu sein, und bei ihm stört dich das nicht.«
»Was soll denn das heißen? Ich habe ja versucht, dir zu erklären, dass ...« Ich schaue auf meine Hände.
»Freitagabend. Ich habe alle zu mir nach Hause eingeladen. Ich habe lange an dieser Überraschungsparty für dich gearbeitet, aber dein Job hat mal wieder alles versaut. Immer geht es um deinen Job.«
»Meinen Job? Meinen Job?« Ich kann meine Wut kaum noch unterdrücken. »Ausgerechnet du, wo du rund um die Uhr, sieben Tage die Woche arbeitest, willst mir erzählen, es sei mein Job? Was soll ich denn tun, Seth? Du hast gesagt, es sei eine gute Idee, dass ich Kay die Hälfte von ihrem Haus abkaufe. Was glaubst du, sagt mir das? Du hast mich fast ausgelacht, als ich dir erzählt habe, dass ich glaube, dass Hans hinter mir her ist. Und wenn ich dann eine Entscheidung treffe, Chefsyndikus zu werden, um das Haus bezahlen zu können und aus Hans’ Reichweite zu kommen, bist du sauer auf mich, weil sich mein Terminplan ändert. Ich verstehe dich einfach nicht, Seth.« Ich bleibe stehen.
Seth kommt auf mich zu, und ich spüre seine Nähe bis in den kleinen Zeh. Ganz gleich wie wütend ich bin, dieser Mann kann mit mir machen, was er will. Er legt seine Hände um mein Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich will, aber du bedeutest mir viel, Ashley Wilkes Stockingdale, und ich will nicht, dass man so mit dir umgeht.«
Was ich wirklich seltsam finde, denn geht nicht gerade er »so« mit mir um? Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. Er küsst mich hier draußen, mitten in der Nacht, und ich bin wie gefangen von diesem Augenblick, aber ich fühle nichts.
Hans steht immer noch in der Tür, als Seth und ich uns voneinander lösen. Wir sehen aus wie armselige Pennäler, die sich auf dem Gehweg küssen. Ich kann Breas warnende Stimme in meinen Ohren hören: Küsse niemals am Gartenzaun, denn Liebe macht blind, doch die Nachbarn schaun.