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A

NDRÉ ST. CLAIR kehrte in der festen Überzeugung auf sein Schiff zurück, dass der König unverzüglich einen Angriff auf Isaac Comnenus unternehmen würde.

Doch Richard tat nichts dergleichen und zeigte sich stattdessen umsichtig. Am frühen Nachmittag übersandte er Comnenus einen Brief, den er mit Hilfe der Bischöfe verfasst hatte und dessen Tonfall angesichts der Provokation, der er sich ausgesetzt sah, erstaunlich mild ausfiel: Wenn Isaac die Überlebenden des Schiffbruchs mit all ihrer Habe freiließ und Richards Schätze zurückgab, einschließlich des Siegels von England, das für niemand anderen von Nutzen war, würde Richard keine weiteren Schritte gegen Zypern oder seinen Kaiser unternehmen, sondern mitsamt seiner Streitmacht weitersegeln und nicht zurückkehren.

Unterdessen kamen am Horizont die restlichen Schiffe der Schwadron in Sicht, die Richards Vorhut bildete. Noch bevor die Flotte vor Anker gegangen war, traf Comnenus’ Antwort auf Richards Brief ein, und während der Bote damit zu Richards Galeere hinausruderte, zeigte sich Isaac Comnenus selbst auf dem Strand vor der Stadt. Er präsentierte sich mit einer zusammengewürfelten Soldatenschar, die vor den Stadttoren Barrikaden errichtete, um ihren Trotz zu demonstrieren.

Isaacs Antwort auf Richards versöhnlichen Brief war so unverschämt und arrogant, dass die Berater des Königs bei der Lektüre nur den Kopf schütteln und den Mann für verrückt erklären konnten.

Er würde seine Gefangenen nicht freigeben, sagte Isaac, und nicht eine Goldmünze herausrücken. Die Eindringlinge aus dem Westen, so schrieb er, hätten durch ihr respektloses Eindringen in sein Territorium seinem Ruf geschadet und hätten daher seinen Unmut und die Beschlagnahme ihres Besitzes verdient. Sie müssten die Erniedrigung und die Verluste akzeptieren, die ihnen ganz recht geschähen. Er gehe davon aus, so hieß es in dem Brief, dass er nichts mehr von ihnen hören würde außer der baldigen Nachricht von ihrer Abreise. Schließlich ermahnte er sie noch zur Dankbarkeit dafür, dass er überhaupt geantwortet habe, denn normalerweise würde sich kein Kaiser dazu herablassen, sich mit einem bloßen König abzugeben.

Richard stand wie vom Donner gerührt da, während ihm sein Kanzler diese Antwort vorlas. Dann brach er in wildes Gelächter aus und ordnete die unverzügliche Landung von dreihundert Bewaffneten an, die sich im Schutz von zweihundert Bogen- und Armbrustschützen an den Strand begeben sollten, auf dem Comnenus umherscharwenzelte.

Es dauerte keine Stunde, bis sie an Land waren. Isaacs Männer stellten sich ihnen zwar todesmutig entgegen, doch etwas so Grauenvolles – und Wirksames – wie die Salven der Pfeile und Bolzen aus den Bogen und Armbrüsten hatten sie noch nicht erlebt, und so zerstreuten sie sich rasch und überließen Richards Truppen das Feld.

Den ganzen Abend und die Nacht hindurch widmete sich Richard dem Entladen seiner Kavalleriepferde, von denen die meisten nun über einen Monat auf See verbracht hatten und sich in einem Zustand befanden, in dem an Reiten nicht zu denken war. Dennoch ging noch vor dem Morgengrauen die Nachricht um, dass Richard auf der Suche nach zwanzig Freiwilligen war, die mit ihm die fünf Meilen nach Kolossi reiten würden, wohin sich Isaac und seine Männer vermutlich am Abend zuvor geflüchtet hatten.

André hatte eine schlaflose Nacht an Deck verbracht. Sobald er hörte, wie die Wachen am Pier dem Mann am Bug seines Schiffes diese Nachricht zuriefen, machte er sich auf die Suche nach dem Kapitän seines Schiffes und bestand darauf, dem Ruf als Vasall des Königs Folge zu leisten. Doch Tournedos, der gerade erst aufgestanden war, schüttelte den Kopf, da es ihm als Marinekommandeur nicht zustehe, einem Ritter eine solche Bitte zu erfüllen. Stattdessen schickte er ihn zum ranghöchsten Templeroffizier an Bord.

Mit diesem Mann – einem allgemein beliebten Ritter namens Don Antonio del’ Aquila – hatte André zwar noch nie gesprochen, doch er kannte ihn vom Sehen. Jetzt traf er ihn auf dem langen Achterdeck an, wo er mit dem Steuermann an der Reling stand und sich leise mit einem weiteren Ritter unterhielt. Del’ Aquila runzelte die Stirn, als er unterbrochen wurde, lauschte dann aber der Bitte St. Clairs, wenn auch ungeduldig und ohne den Blick von seinem Gesprächspartner abzuwenden. Dann verweigerte er André mit knappen Worten seine Erlaubnis.

Erstaunt über die endgültige Antwort des Templers, fragte ihn André, mit welchem Recht er ihm die Bitte verweigere. Hartnäckig beharrte er darauf, dass er sein Gehorsamsgelübde noch nicht abgelegt habe und daher nicht gezwungen sei, Anweisungen der Templer zu befolgen, solange es keine ausdrücklichen Befehle seien.

Del’ Aquila, der unter den Templern schlicht Aquila genannt wurde, war bereits im Begriff gewesen, sein unterbrochenes Gespräch fortzusetzen, und hatte die Hand ausgestreckt, um sie seinem Begleiter vertraulich auf die Schulter zu legen. Jetzt hielt er inne, richtete sich auf und hob entschuldigend den Finger, bevor er sich dem Mann zuwandte, der ihm so offen widersprach. Das Flackern einer Lampe an der Spritzwand tauchte sein Gesicht in Licht und Schatten, und André rechnete fest damit, dort Wut zu sehen. Stattdessen betrachtete ihn Aquila einige Sekunden lang ruhig und mit unergründlicher Miene. Er war noch ein jüngerer Mann im besten Kampfesalter; André schätzte sein Alter auf zweiunddreißig oder dreiunddreißig. Er hatte einen dichten rötlich-braunen Bart, der allerdings im Dämmerlicht fast schwarz aussah und den er kurz rasiert unter der Kapuze seiner Rüstung trug. Sein weißer Überwurf trug vorn und hinten das langschenklige rote Kreuz der Tempelritter Outremers, doch im oberen linken Viertel dieses Kreuzes war zusätzlich das gleichschenklige schwarze Kreuz mit den auslaufenden Enden zu sehen, das das ursprüngliche Ordensemblem gewesen war, bevor ihm das leuchtend rote Kreuz als Symbol für das Blut Christi folgte. Die wenigen Männer, die beide Insignien trugen, hatten sich im Kampf hervorgetan.

Aquila blickte St. Clair mit zusammengekniffenen Augen an und nagte an seiner Oberlippe. Dann holte er tief Luft und wandte sich dem anderen Mann zu.

»Verzeiht mir, Signor Loranzo, aber ich muss mich mit … dieser Angelegenheit befassen. Wenn Ihr in meinem Quartier auf mich warten würdet, folge ich Euch so schnell wie möglich.«

Sein Gegenüber verneigte sich tief und entfernte sich, und Aquila winkte André mit gekrümmtem Zeigefinger.

»Kommt mit mir; wir gehen ein Stück.«

André schloss sich ihm an, und der andere Mann fragte: »Warum wollt Ihr denn mit Richard reiten?«

»Der Herzog ist mein Lehnshe–«

»Das weiß ich, Master St. Clair, aber warum möchtet Ihr mit ihm reiten?«

André blinzelte überrascht, weil Aquila seinen Namen kannte, doch er erwiderte: »Es ist meine Vasallenpflicht.«

»Nein, es ist Eure Vasallenpflicht, seinen Befehlen Folge zu leisten. In diesem Fall hat er aber keinen Befehl ausgesprochen. Er hat nach Freiwilligen gerufen. Lasst mich also noch einmal fragen: Warum möchtet Ihr mit ihm reiten?«

»Weil –«

André hielt inne, weil ihm bewusst war, dass er auf der Suche nach einer Lüge war, um seine Wünsche zu rechtfertigen. Dann gab er sich lächelnd geschlagen.

»Weil ich gern wieder einmal ein Pferd zwischen den Beinen spüren würde.«

»Nach der langen Zeit auf See, meint Ihr.«

»Aye.«

»Glaubt Ihr, Ihr seid der Einzige mit diesem Wunsch?«

»Nein, gewiss –«

»Ah.«

Sie hatten das Ruder passiert und schritten nun langsam auf der rechten Seite des Achterdecks entlang. Dabei waren sie sich der wachsamen Augen und der lauschenden Ohren des Wachtpostens am Ruder bewusst und entfernten sich so weit wie möglich von ihm. Erst dann blieb Aquila stehen und wandte sich St. Clair zu, bis sie fast Nase an Nase standen. Er packte André am Handgelenk, sah ihn mit finsterer Miene an und senkte theatralisch die Stimme.

»Rührt Euch nicht. Wendet Euren Blick nicht von mir ab. Hört mir gut zu. Hört mir zu, so wie uns jedes Ohr auf diesem Schiff zuhört! Nehmen wir einmal an, ich gestatte Euch, Euren Lehnsherrn zu begleiten. Ihr würdet vielleicht fünf Meilen weit reiten, wenn sich denn ein Tier findet, das nach einem Monat auf See in der Lage ist, eine solche Entfernung zurückzulegen. Dann würdet Ihr vielleicht auf diesen zypriotischen Kaiser und seine Armee von Narren treffen und mit ihnen kämpfen. Doch es ist denkbar, dass Ihr auf einem alles andere als gesunden Pferd in schwierigem Gelände gegen Männer kämpft, deren Fähigkeiten zwar lachhaft sind, die aber dennoch einen Zufallstreffer landen könnten. Stellt Euch einmal vor, einer dieser unfähigen Kämpfer hätte das Glück, Euch zufällig umzubringen.«

Er hielt inne und ließ seine Worte wirken, ohne den Blick von Andrés Augen abzuwenden.

»Das habt Ihr dann davon«, fuhr er fort, und seine Stimme war kaum mehr als ein durchdringendes Flüstern.

»Sir André St. Clair, umgekommen auf unbekanntem Grund und Boden, mitten im Nichts, ohne etwas erreicht zu haben, und alles, was Ihr im vergangenen Jahr durchgemacht habt, ist null und nichtig, verschwendete Zeit und Mühe. Und nicht nur Eure eigene Zeit und Mühe, sondern auch die all derer, die Euch während dieser Zeit auf Eure Aufgabe in Outremer vorbereitet haben.«

Er hielt inne, während zunächst Verwirrung und dann Begreifen in Andrés Blick aufkeimten. Dann zog er eine Augenbraue hoch und nickte bestätigend.

»Wir Befehlshaber hier an Bord haben schon lange vor Richards Ruf nach Freiwilligen beschlossen, dass die Angelegenheiten des Tempels stets Vorrang vor denen eines bloßen Königs haben müssen«, fuhr er jetzt lauter fort. »Unsere Aufgabe und unsere erklärte Pflicht ist es, das Heilige Land lebend zu erreichen und dort die Kraft und das Blut zu ersetzen, das unser heiliger Orden in den Schlachten der letzten Jahre gelassen hat. Unsere Reserven dort sind ernstlich geschwunden, sodass unser Fortbestand gefährdet ist. Wir können es uns nicht leisten, auch nur das Leben eines einzigen Mannes zu riskieren oder gar zu verlieren, bevor wir Saladin und seinen Horden überhaupt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Das Schicksal der ganzen Christenheit könnte im Lande Christi von jedem Einzelnen von uns abhängen, vielleicht sogar von einem von uns … Und wer will sagen, wer dieser eine sein könnte?«

Sein Blick hielt André in seinem Bann.

»Also bleiben wir an Bord unserer Schiffe und halten uns unter unsresgleichen, wenn wir an Land gehen. Wir sorgen dafür, dass uns nichts zustößt, und vermeiden es, in bedeutungslose, von Stolz diktierte Streitereien verwickelt zu werden, bei denen gute Männer sinnlos umkommen könnten. Versteht Ihr mich?«

Vor allem verstand André, dass er erneut und unerwartet auf ein Mitglied des Ordens von Sion gestoßen war, dem sein geheimer Auftrag in Outremer bekannt war. Auch hatte er Aquilas Worte haargenau verstanden, und natürlich sah er die Begründung ein, mit der ihm der Mann seine Bitte verweigerte. Er kam sich töricht und selbstsüchtig vor.

Das Wortgeklingel über das Schicksal der Christenheit, das von den Templern abhing, war nur für die Ohren jener bestimmt, die ihr Gespräch womöglich mithörten. Die eigentliche Botschaft für André war gewesen, dass er von den Brüdern in Sion unablässig beobachtet und bewacht und notfalls vor sich selbst geschützt wurde.

»Ja, Bruder Aquila. Ich verstehe … voll und ganz. Und ich bedaure, Euch durch eine solche Nichtigkeit aufgefallen zu sein. Verzeiht mir.«

»Das ist nicht nötig, denn es ist ja nichts geschehen. Aber von nun an bleibt Ihr an Bord, es sei denn, König Richard lässt Euch persönlich rufen.«

Es gelang André zu lächeln, und er neigte den Kopf.

»Diese Bedingung kann ich sogar noch verbessern, Senior del’ Aquila. Ich werde Richard nur Folge leisten, wenn er mich als mein Lehnsherr, der Herzog von Aquitanien, rufen lässt. Ansonsten werde ich hierbleiben und keine törichten Risiken eingehen. Dem englischen Reich schulde ich nichts.«

Während sie ihr Gespräch beendeten, brachen Richard und seine Reiter bereits nach Westen gen Kolossi auf. Auch als er sie davonreiten hörte – es war noch zu dunkel, um sie zu sehen –, spürte André kein Bedauern mehr zurückzubleiben. Aquilas Ermahnung hatte ihn daran erinnert, welches die Prioritäten in seinem Leben waren.

Den Rest des Morgens verbrachte er damit, seine Waffen zu pflegen, vor allem seine Armbrust, die er vom Salz und Rost der vergangenen Monate auf See befreite. Dann reinigte er seine Bolzen und überzeugte sich, dass seine Bogensehnen unbeschädigt geblieben und nicht nass geworden waren.

Nach dem Mittagsmahl begab er sich mit zwei anderen Rittern an Land, wo die Armbrustschützen Zielscheiben aufgebaut hatten. Dort übte er eine Stunde lang, bis Richard und seine Begleiter reich beladen von ihrem Ritt zurückkehrten. Die Nachricht von ihrem erfolgreichen Raubzug verbreitete sich schnell und löste großen Jubel aus.

Die Männer hatten Isaacs Lager ungeschützt vorgefunden. Sämtliche Insassen schliefen, weil niemand die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass der Feind ihnen noch in derselben Nacht folgen könnte. Richard hatte unverzüglich angegriffen, und der folgende Kampf war von Anfang an vollkommen einseitig gewesen, da die Feinde panisch aus ihren Betten sprangen und in die Hügel flohen. Niemand versuchte auch nur, seine abgelegten Kleider oder Waffen anzulegen, um sich zu verteidigen.

Isaac war verschwunden, und man ging davon aus, dass er inmitten der anderen geflüchtet war. Es hieß, er sei ins Landesinnere unterwegs und halte durch das Troodosgebirge auf Nicosia zu, das siebzig Meilen entfernt lag.

Richard war bester Laune. Der Tag war Sonntag, der zwölfte Mai, das Fest des heiligen Pancras im Jahre 1191, und er sollte neben dem Sieg über den ahnungslosen Isaac noch andere bedeutende Ereignisse mit sich bringen, beginnend mit dem Eintreffen der restlichen Flotte, die eher als erwartet am Horizont auftauchte.

André, der an Land gegangen war, befand sich auf dem Rückweg zu seinem Boot am Strand, als er eine vertraute Stimme hörte, die seinen Namen rief, und den König persönlich hinter sich hergaloppieren sah. Richards Gesicht war rot angelaufen, und es war nicht zu übersehen, dass er mit sich selbst zufrieden war. Er schwang sich aus dem Sattel und warf André einen Arm um die Schultern, um ihn dann an seine Brust zu ziehen.

»Ich habe Euer Gesicht heute Morgen vermisst«, begann er, bevor er André aus seiner Umarmung entließ. »Ich hatte Euch an meiner Seite erwartet, als ich nach Freiwilligen gerufen habe, doch dann habe ich gesehen, dass Ihr nicht der einzige Templer wart, der in der Truppe fehlte. Keiner von Euch war dabei. Warum war das so? Möchte mir der Tempel etwas mitteilen?«

André grinste reumütig und bewegte seine rechte Schulter, die auch Monate nach der Verletzung manchmal noch empfindlich war.

»Ja und nein, Mylord. Ich habe versucht, die Erlaubnis zu bekommen, doch wie alle anderen, die dasselbe versucht haben, wurde mir ins Gedächtnis gerufen, dass meine erste Pflicht bei dieser Expedition der Wiederaufbau des Ordens in Outremer ist. Man hat mich darauf hingewiesen, dass ein ruhm- und sinnloser Tod durch die Hand eines Rüpels auf einem unbedeutenden Feld in Zypern dem Tempel nur wenig Nutzen bringen würde, wohingegen meine Anwesenheit im Heiligen Land im Namen Gottes Großes bewirken könnte.«

»Hah!«

Richards kräftiges Lachen zeugte davon, dass selbst die Politik der Templer ihm an diesem Tag die Laune nicht verderben konnte.

»Wohingegen mein eigener ruhm- und sinnloser Tod bei ebendiesem Unterfangen keinerlei Auswirkungen auf den Tempel hätte! Grundgütiger, die Arroganz dieser Menschen ist wirklich nicht zu glauben!«

Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde.

»Aber Ihr seid doch nach wie vor mein Vasall, oder? Ihr habt doch in meiner Abwesenheit kein Gelübde abgelegt?«

Er sah Andrés Kopfschütteln, und sein Grinsen wurde breiter.

»Das ist großartig, denn bevor die Flotte vor Anker geht und Gott Eure Loyalität für sich beansprucht, brauche ich Euch noch, Junge, um in meinem Namen Großes zu bewirken.«

Immer noch grinsend sah er sich beinahe verstohlen um wie ein kleiner Junge, der einen Streich im Schilde führt. Dann zupfte er André am Ärmel und zog ihn beiseite in den schützenden Zwischenraum zwischen zwei Holzschuppen.

»Ihr müsst etwas für mich tun, nur Ihr allein, und zwar jetzt sofort, solange meine Entscheidung noch frisch ist.«

»Natürlich, Mylord. Was denn?«

Der König fixierte ihn scharf, schien zu zögern, doch dann sprudelten die Worte so schnell aus ihm heraus, dass sie sich zu überschlagen schienen.

»Ihr müsst Euch ein Boot besorgen.«

»Schon geschehen, Mylord. Ich habe eins hier.«

»Gut. Dann nehmt es und begebt Euch zu den Dromonen in der Bucht. Dort werdet bei meiner Verlobten vorstellig und teilt ihr mit, dass wir heute vermählt werden, sie und ich, heute Abend vor dem Abendmahl. Bis dahin soll sie sich ankleiden und sich vorbereiten. Ihr bleiben dafür noch einige Stunden Zeit – mindestens zwei, vielleicht drei. Ich habe auf dem Rückweg von Kolossi bereits mit Vater Nicolas, meinem Kaplan, gesprochen. Er wird den Eheritus vollziehen und ist ebenfalls bereits mit den Vorbereitungen befasst. Wir werden die Kapelle des heiligen Georg, des Drachentöters, in der Burg Limassol benutzen, und die anwesenden Bischöfe aus unseren Domänen – der Bischof von Evreux ist hier und ein weiterer aus Bayonne sowie einige Erzbischöfe – werden sie offiziell zur Königin von England salben und ihr die Krone aufsetzen, sobald wir Mann und Frau sind. Sagt Ihr all dies, und ermahnt Joanna, sich mit darum zu kümmern. Sie soll ihre und Berengarias Zofen mitbringen, um die Königin von dieser Ansammlung grimmiger Kirchenmänner abzuschirmen. Und vergesst nicht, de Sables Stellvertreter Coutreau mitzuteilen, wie viele Frauen an Land gehen werden, damit er sich um ihren Transport kümmern kann. Er wird eine überdachte Barkasse brauchen, damit sie auf der Überfahrt nicht vom Wind zerzaust oder durchnässt werden. Es geht schließlich nicht an, dass sie unter all den eitlen Gecken, die sich hier versammeln werden, sobald sich die Nachricht herumspricht, wie die gerupften Hühner erscheinen.«

Er hielt abrupt inne, dann packte er André erneut an der Schulter, und die Umklammerung seiner Finger durchdrang sogar das Kettenhemd, das André unter seinem Überwurf trug.

»Habt Ihr das alles verstanden?«

»Aye, Mylord.«

Rasch wiederholte André seine Instruktionen. Noch während er sie für den König herunterbetete, dachte er jedoch, dass all dies sehr plötzlich und ohne Vorwarnung gekommen war, und er fragte sich, warum. Die Fastenzeit war lange vorüber, und die Osterzeit mit all ihren Anspielungen auf Wiedergeburt und Fruchtbarkeit war im Sturm untergegangen. Nun hätte man die Verlobung bis in alle Ewigkeit hinausziehen können, ohne dass irgendjemand nur eine Augenbraue hochgezogen hätte, denn der bevorstehende Feldzug in Outremer warf seinen täglich wachsenden Schatten über alles andere.

Warum also, fragte sich André, diese plötzliche Dringlichkeit, die Hochzeit nun innerhalb eines Tages zu vollziehen? Noch tags zuvor war nach Andrés Besuch bei der Prinzessin keine Rede davon gewesen. Er fragte sich, ob der König diesen Schritt tun musste, solange sein Hochgefühl über den Sieg über den Inseltyrannen anhielt – bevor ihn der Mut verließ?

Er suchte nach Anzeichen von Panik oder Verzweiflung in Richards Verhalten – und stellte fest, dass er beides sah, auch wenn sich der König fest im Griff hatte.

Richard fuhr nun fort.

»Gut. Sagt der Prinzessin, es wird eine herrliche Hochzeit. Es gibt hier in Limassol ein Benediktinerkloster, und man sagt mir, sie singen wunderschön. Für Musik und feinstes Kerzenlicht und duftende Weihrauchwolken ist also gesorgt. Sagt Ihr das, damit sie nicht glaubt, dass sie um eine königliche Hochzeit gebracht werden soll. Das darf sie nicht glauben. Musik, Licht und Weihrauch … und danach ein Hochzeitsfest. Es drehen sich schon Ochsen, Schafe und Schweine am Spieß, und man bereitet Fisch und Geflügel zu.«

Der König brach ab, und Zweifel erfüllte plötzlich sein Gesicht. Er blickte hinter sich.

»Zumindest gehe ich davon aus. So wurde es mir versprochen –«

Rasch wandte er sich wieder zu André um.

»So sei es. Geht und tut, was ich Euch gesagt habe. Ich muss mich jetzt um andere Dinge kümmern und weitere Anweisungen erteilen. Rasch jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Bevor André seinen Salut vollenden konnte, hatte sich Richard in den Sattel geschwungen, sein Pferd abrupt gewendet und war fort. Ohne Rücksicht auf die Umstehenden durchpflügte er die Menge am Strand. André begab sich zu seinem Boot.

Diesmal erwartete man ihn nicht, als er an der Bordwand des Dromons eintraf, und nachdem sein Bootsführer das Schiff angerufen hatte, musste er eine Weile warten, bis ihm jemand eine Strickleiter zuwarf – offenbar hielt man ihn diesmal nicht für bedeutend genug, um die schwere Rampe vom Schiff zu senken. Beklommen musste er in dem schwankenden Boot stehen, bis es einem seiner Ruderer gelang, die Strickleiter mit einem Ruder zu fixieren und sie so zu halten, dass André sie ergreifen konnte. Er packte die Leiterstricke mit beiden Händen und lehnte sich zurück. Während er an der gewölbten Bordwand des gigantischen Schiffs emporblickte, fragte er sich, wie er es fertigbringen sollte, in voller Rüstung dort hinaufzuklettern.

»Ich danke Euch«, rief er dem Ruderer zu. »Falls ich nicht ertrinke, brauche ich nicht lange.«

Immerhin erreichte er das Deck trockenen Fußes, und er tröstete sich mit dem Gedanken, dass nur seine eigenen Männer seine peinliche Klettertour mit angesehen hatten. Gleichzeitig brachte es ihn jedoch in Rage, dass man ihn der Gefahr ausgesetzt hatte, unbeobachtet ins Meer zu stürzen. Ein Seemann an Deck öffnete das Törchen in der Bordwand, um ihn einzulassen, und zwei Offiziere näherten sich ihm beiläufig – und anmaßend, so dachte er –, um ihn in Augenschein zu nehmen. Einer von ihnen, den Verzierungen seiner Kleidung nach der Ranghöhere, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch André hob so heftig die Hand, dass er dem Mann fast einen Nasenstüber versetzt hätte.

»Nehmt gefälligst Haltung an, wenn Ihr mit einem Abgesandten des Königs sprecht, unverschämter Flegel«, fuhr er den Mann an. »Ich stehe hier an Stelle Richards von England, und ich überbringe Neuigkeiten von ihm für seine Verlobte und für seine Schwester Joanna, die Königin von Sizilien. Würdet Ihr Richard auch so unverschämt und respektlos behandeln? Müsste er sich ebenfalls von Hand an Bord Eures Schiffes hieven?«

Er betrachtete die zunehmende Blässe im Gesicht des ahnungslosen Offiziers und trat gnadenlos noch dichter an den Mann heran.

»Ihr könnt gewiss sein, dass ich ihn davon in Kenntnis setzen werde, wenn ich heute Nachmittag zu ihm zurückkehre. Und vergesst ja nie wieder, dass dies nicht Euer Schiff ist und es auch niemals sein wird. Es ist das Schiff eines Königs. Es ist König Richards Schiff.«

Abrupt wandte er den Kopf und wies mit dem Zeigefinger auf den zweiten, jüngeren Offizier.

»Ihr da! Schwachkopf! Macht den Mund zu und holt mir Sir Richard de Bruce her. Auf der Stelle!«

Das letzte Wort rief er mit solchem Nachdruck, dass er dem jungen Mann jeden Versuch einer Antwort abschnitt und dieser auf dem Absatz herumfuhr und durch eine Tür in der Heckwand eilte. André starrte ihm nach, ohne seine angespannte Miene abzulegen.

»Sir …«

»Schweigt! Ihr hattet Eure Gelegenheit, etwas zu sagen, als ich mich dem Schiff genähert habe, und Ihr habt es vorgezogen, mich schweigend zu beleidigen, anstatt mir Eure Hilfe oder Höflichkeit zuteilwerden zu lassen. Jetzt werdet Ihr erfahren, was es heißt, nasse Lumpen zu tragen und als gewöhnlicher Seemann die Ruder zu bedienen. Bereitet Euch schon einmal darauf vor.«

Der Offizier glotzte ihn bestürzt an. Dann öffnete sich die Tür in seinem Rücken, und Kommodore de Bruce trat heraus und betrachtete sie beide neugierig. Damit wusste André, dass ihm der jüngere Offizier bereits berichtet hatte, was an Deck vor sich ging.

»Master St. Clair«, sagte er mit dem Anflug eines Stirnrunzelns. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch wiederzusehen.«

»Eindeutig. Euer zahmer Affe hier wohl ebenso wenig. Ich verlange, dass dieser Mann auf der Stelle seines Ranges und seiner Dienstpflichten enthoben wird, wegen Faulheit, Respektlosigkeit und grober Unverschämtheit gegenüber einem Boten des Königs und damit dem König selbst.«

Er hob rasch die Hand, um dem Protest seines Gegenübers Einhalt zu gebieten.

»Tut, was ich sage, Master de Bruce. Versucht nicht, mich umzustimmen oder das Verhalten des Mannes zu entschuldigen; ich warne Euch. Er ist nicht in der Lage, ein Offiziersamt zu bekleiden, und wenn er unter meinem Kommando stünde, würde ich ihn auspeitschen lassen und ihn zwingen, als einfacher Seemann zu dienen. Sorgt dafür, dass meinen Wünschen Folge geleistet wird. Ich erwarte, dass es geschehen ist, wenn ich das Schiff wieder verlasse, was im Lauf der nächsten Stunde der Fall sein sollte. Ich beabsichtige, König Richard persönlich von den Vorgängen zu berichten.«

»Ich habe die nötige Befehlsgewalt nicht, Sir. Der Kommandeur des Schiffes –«

»Dann seid Ihr gar nicht der Kommodore dieser Dromone?«

»Doch, das bin ich, aber –«

»Kein Aber, Master de Bruce. Entweder habt Ihr das Kommando oder nicht. Was soll ich König Richard sagen?«

De Bruce ließ die Schultern hängen.

»Nun denn, ich werde dem Kapitän Anweisung erteilen … Aber Sir André, dieser Mann ist der ranghöchste Leutnant auf diesem Schiff.«

»War er das, bei Gott? Nun, dann ist er ja tief gesunken. Nun teilt bitte den Damen Berengaria und Joanna mit, dass ich ihnen eine dringende Botschaft des Königs überbringe.«

De Bruce richtete sich auf und nickte.

»Natürlich. Auf der Stelle.«

Er warf dem verurteilten Offizier einen eisigen Blick zu.

»Ihr, Sir, wartet in meiner Kajüte.«

Dann gingen beide Männer, und nur der jüngere Offizier blieb niedergeschlagen an Deck zurück. André drehte ihm den Rücken zu und richtete den Blick zum Bug des Schiffes. Der Seemann, der ihn an Deck gelassen hatte, stand in Habachtstellung da, den Blick auf André gerichtet, die Miene absolut ausdruckslos.

Was haltet Ihr wohl davon, fragte sich André, der sich nun selbst zu fragen begann, ob er wohl zu streng mit dem Leutnant verfahren war und ein Exempel statuiert hatte, nur um seine eigene Wut abzureagieren. Doch im nächsten Moment verflog dieser Gedanke wieder, denn er wusste, dass er recht hatte – er erinnerte sich noch genau an das herablassende Verhalten des Mannes bei Andrés Ankunft tags zuvor. Zwar hatte der Mann ihn bei dieser Gelegenheit nicht explizit beleidigt, doch seine Herablassung war dennoch nicht zu übersehen gewesen.

Er schob die Gedanken an den Mann beiseite, und die Tür in seinem Rücken öffnete sich erneut. De Bruce teilte ihm mit, dass ihn die Damen augenblicklich empfangen würden.

HATTE SICH ANDRÉ über die unerschütterliche Entschlossenheit des Königs gewundert, sofort vermählt zu werden, und hatte er sogleich damit gerechnet, dass diese Entscheidung alle Beteiligten in große Schwierigkeiten stürzen würde, so bereitete ihn doch nichts auf die ungläubige und aufgebrachte Reaktion der Frauen auf dem Dromon vor.

Aus heiterem Himmel brach ein Sturm über ihn los, der ihm den Atem raubte, und erst jetzt begann er zu begreifen, zu was für einem Verbrechen gegenüber der Verlobten und der Schwester des Königs er sich hatte überreden lassen. Es spielte keine Rolle, dass er nur der Überbringer der Nachricht war, der mit der Tat nichts zu tun hatte; irgendjemand musste die Entrüstung der Frauen über sich ergehen lassen, und er war nun einmal das nächste und am besten geeignete Ziel.

Es war sein Glück, dass die Frauen keine Zeit zu verlieren hatten, weil sie sich hastig in ihre Vorbereitungen stürzen mussten, und so war er schnell wieder vergessen und geriet in einen Wirbelwind aus hektischen Anordnungen, einen Schneesturm aus rauschenden Frauenkleidern, und ehe er sich versah, hatte man ihn aus der Kajüte geworfen.

Inmitten der Verwirrung war es ihm jedoch immerhin gelungen, die Antwort zu bekommen, die er brauchte: De Sables Barkasse musste neun Frauen Platz bieten. Die Prinzessin würde ihr betagtes Kindermädchen und zwei jüngere Damen aus Navarra mitbringen; Joanna würde von ihrer Zofe Maria und drei weiteren Frauen aus Sizilien begleitet werden, die zu ihrem Hofstaat gehört hatten, als sie noch Königin war.

Als er auf das Törchen in der Bordwand zuhielt, stellte er fest, dass man die Rampe hinabgelassen hatte, und dieser Anblick erinnerte ihn wieder an das, was er hier ins Rollen gebracht hatte. André trug dem Seemann am Ausgang auf, seiner Bootsmannschaft zuzurufen, dass er bald da sein würde. Dann wandte er sich dem jüngeren Leutnant zu, der immer noch dastand und ihn argwöhnisch beobachtete.

»Ruft mir Sir Richard herbei.«

»Ja, Sir André.«

Es war die knappe Antwort eines Offiziers im Dienst, und der Leutnant fuhr abrupt herum, um die Aufforderung auszurichten. Kurz darauf kam Sir Richard de Bruce aus seiner Kajüte und trat mit starrer Miene vor Sir André, der ihm zunickte.

»Was habt Ihr mit dem anderen Mann gemacht?«

»Ich habe ihm in seiner Kajüte Arrest erteilt.«

»Das reicht nicht. Entkleidet ihn bis aufs Hemd, legt ihn in Ketten und lasst ihn dort drüben in der Ecke öffentlich bewachen, bis der König sein Urteil gefällt hat. Es wird diesem selbstzufriedenen Dummkopf nicht schaden, die Welt eine Weile aus dem Blickwinkel derer zu betrachten, die vom Schicksal weniger begünstigt sind als er. Er muss sich wieder daran erinnern, dass er als Unteroffizier auf einem Schiff des Königs kaum mehr Bedeutung hat als das Gesindel, das er befehligt, und es sich nicht leisten kann, sich beleidigend zu verhalten. Wie heißt er übrigens?«

»De Blois, Sir André.«

St. Clairs Augenbrauen fuhren in die Höhe, doch dann lächelte er.

»Wirklich? Einer seiner Verwandten hat sich vor einiger Zeit alle Mühe gegeben, mich umzubringen. Das ist ja interessant, dass dieser Mann zu seiner Sippe gehört. Es scheint in der Familie zu liegen …«

André ließ den Kommodore stehen und begab sich zum Ausgang, den ihm der Seemann aufhielt. Sein Boot wartete am Fuß der Rampe, und diesmal sprang er mühelos an Bord und ließ sich am Heck nieder, während sich seine Ruderer in Bewegung setzten.

Und dann machte André Bekanntschaft mit einem der Wunder der Seefahrt. Er fragte seinen Steuermann, ob er wohl wüsste, wo sie am besten nach dem Grafen von Coutreau suchten, dem stellvertretenden Befehlshaber der Flotte. Daraufhin ließ der Mann den Blick kurz über die vor Anker liegenden Schiffe schweifen, um dann ohne zu zögern auf eines der neu eingetroffenen Schiffe zu zeigen.

»Dort drüben«, brummte er, »auf dem Engländer.«

»Wie könnt Ihr das wissen?«

André war aufrichtig erstaunt, und der kräftige Steuermann tippte sich grinsend an die Nase.

»Die Standarte, Sir, die Flagge, die über allen anderen weht, mit den drei grünen Dreiecken auf dem weißen Feld und den zwei Enden. Das ist die Standarte des Flottenkommandeurs. Er nimmt sie auf jedes Schiff mit, sodass der Rest der Flotte jederzeit weiß, wo er sich befindet. Grüne Dreiecke stehen für seinen Stellvertreter, das heißt, der Kommandeur selbst ist nicht da. Auf seiner Standarte sind die Dreiecke blau, ansonsten ist es die gleiche Flagge.«

André war sehr beeindruckt.

»Und das ist immer so?«

»Immer, Sir, ohne Ausnahme. Wo immer sich der Flottenkommandeur aufhält, ist auch seine Standarte, und sie wird stets ganz oben angebracht. Das gebietet allein schon die Vernunft. Denn wenn es Schwierigkeiten gibt oder Krieg herrscht, halten die Leute, die Hilfe brauchen oder Befehle erwarten, nach dem Flaggschiff Ausschau, dem Schiff mit der Flagge des Kommandeurs.«

»Bei Gott, was für eine gute Idee! Wer hat sich das ausgedacht?«

Der Steuermann neigte den Kopf und tippte sich erneut an die Nase.

»Jemand, der klüger ist als ich, Sir … und ein paar Jahre älter. Ich glaube nicht, dass es je eine Zeit auf See gegeben hat, in der es nicht so war. Wie schon gesagt, ist es doch nur vernünftig, oder?«

»Aye, da habt Ihr recht.« Ein Grinsen breitete sich langsam auf Andrés Gesicht aus. »Dann bringt mich nun also auf der Stelle zum Kommandeur der Flotte.«

MEHRERE HOCHRANGIGE Tempelritter wohnten an diesem Abend der königlichen Vermählung bei, um Zeugen der Hochzeit und der Krönung der neuen Königin zu sein. Allen Berichten nach war es ein festlicher Anlass. Massen von Kerzen tauchten die Kapelle in goldenes Licht, durch das die Weihrauchwolken schwebten. Mönche aus fünf Abteien vereinigten sich mit den Mitgereisten zu einem Chor, dessen Gesänge einzigartig waren. Ein Heer von Bischöfen, angetan mit ihren besten, juwelenbesetzten Roben und begleitet von kostbar gekleideten Akolythen, verwandelten die Szene in ein glitzerndes Farbenmeer, in dessen Mitte die Braut und ihre Begleiterinnen trotz der kurzen Vorbereitungszeit die Augen der anwesenden Laien – und zweifellos auch manch eines Kirchenfürsten – blendeten.

André und seine Mitstreiter konnten die Gesänge des gigantischen Mönchschores nicht einmal hören. Wie jeder andere im Hafen von Limassol, der an diesem Abend nicht direkt mit der Hochzeit zu tun hatte, waren sie damit beschäftigt, die Ankunft der Flotte zu organisieren. Einem jeden von ihnen war vor dem Eintreffen der ersten Schiffe eine Aufgabe zugeteilt worden, und der Nachmittag und Abend flogen unter der harten Arbeit dahin, die bis in die finstersten Nachtstunden hinein andauerte. Sie arbeiteten in Gruppen, und auch hier bildeten die Templer ihre eigenen Mannschaften und hielten sich von den anderen fern, während man gemeinsam dafür sorgte, dass jedem Schiff sein Platz zugewiesen wurde.

Als die erste Schicht der Dockarbeiter – Arbeiter aus dem Ort genau wie Soldaten und Seeleute – an diesem Abend schlafen ging, waren sie völlig erschöpft und gereizt, und bei mehr als einer Schlägerei war sogar Blut geflossen. Doch auch jetzt war die Arbeit noch nicht getan, und frische Mannschaften übernahmen ihre Plätze.

St. Clair erhob sich zwar wie üblich zum Morgengebet, aber er hatte in den vergangenen sechsunddreißig Stunden kaum geschlafen und empfand daher kaum Schuldgefühle, als er sich hinterher eine abgelegene Ecke suchte und sich unbemerkt noch einmal zum Schlafen zusammenrollte, während seine Kameraden ihren Dienst antraten. Als er eine Stunde vor dem Mittag erfrischt erwachte, stellte er fest, dass der Tag zu Ehren der Hochzeit des Königs zum Feiertag erklärt worden war. Angelockt von lauten Stimmen und köstlichem Bratenduft trat er an die Reling und sah, dass der Strand voller Männer war, die sich am Strand um ein Häuflein Lagerfeuer drängten. Dazwischen stand ein Bierfass aufgebockt – ein Anblick, der ihm schlagartig den Mund austrocknete und ihm Lust auf den Geschmack des kühlen Gebräus machte.

Er trat in sein Quartier, das um diese Tageszeit so gut wie verlassen war, legte seine Rüstung ab und kleidete sich zum ersten Mal seit Wochen nur in Hemd und Hose. Er freute sich wie ein Junge, sich frei bewegen zu können, und ging an Land, um sich zu den Feiernden zu gesellen. Dort besorgte er sich einen Krug Bier, und jemand schnitt ihm eine Scheibe Fleisch von einem der Spieße ab. Er legte das Fleisch zwischen zwei frische Brotscheiben und suchte sich ein Plätzchen, an dem er sich hinsetzen und gemütlich essen konnte. An einem der Feuer fand er einen Baumstamm, der zwei Männern Platz bot, und ließ sich darauf nieder, um zu essen und zuzuhören.

Alle Welt redete natürlich von der gestrigen Hochzeit, aber zugleich von den drei Schiffen aus Outremer, die immer noch im Hafen lagen. Sie hatten König Guido und seinen Hofstaat bedeutender Würdenträger sowie hundertsechzig Ritter an Bord. Für das Gerede über die Hochzeit interessierte sich André wenig, denn er war sich sicher, dass er bald mehr darüber erfahren würde, als nötig war. Die Besucher aus Outremer hingegen interessierten ihn brennend – einige der Ritter in ihren vom Kampf gezeichneten Rüstungen hatte er ja schon gesehen.

Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, warum König Guido, der rechtmäßige König Jerusalems, das Land zu Kriegszeiten verlassen sollte, noch dazu in Begleitung so vieler kampfbereiter Ritter – es sei denn, man hatte ihn seines Amtes enthoben. Er hatte Glück, denn die Männer, die mit ihm am Feuer saßen, gehörten Richards Leibgarde an und bekamen daher vieles aus erster Hand mit, weil ihre Schutzbefohlenen sie gewöhnlich mehr oder weniger ignorierten.

König Philip von Frankreich, so erfuhr er, hatte sich bei seiner Landung in Acre entschlossen, Conrad von Montferrat – nicht Guido von Lusignan – in seinem Anspruch auf die Krone Jerusalems zu unterstützen. Das überraschte André sehr, wusste er doch, dass Conrad sowohl ein Vetter als auch ein Vasall Barbarossas war und dass er genau wie der sogenannte Heilige Römische Kaiser der christlich-orthodoxen Kirche anhing. Beide hatten vor Jahren öffentlich geschworen, sich für die Vormachtstellung der orthodoxen Kirche in Jerusalem einzusetzen – ein Schwur, den der Papst alarmiert zur Kenntnis genommen und verurteilt hatte und der dazu geführt hatte, dass der Papst den derzeitigen fränkischen Feldzug zur Rückeroberung der Heiligen Stadt geradezu panisch vorangetrieben hatte, einen Feldzug, zu dessen Anführern Philip zählte.

Inzwischen war Barbarossa tot; seine Armee stellte keine Bedrohung der römischen Pfründe mehr dar, doch wenn sich Philip von Frankreich nun offen auf die Seite Conrads von Montferrat stellte und Guidos legitimen Anspruch auf das Königreich Jerusalem leugnete, bedeutete dies, dass der König von Frankreich dem Papst mit Absicht eine lange Nase zeigte … und dass er Richard, seinen Mitkommandeur, in diesen Trotz mit einbezog. Dies war allerdings ein Fehler, denn nun war Richard gezwungen, seinerseits eine Seite zu wählen, und eine solche Entscheidung konnte niemandem dienlich sein.

André empfand wenig persönliche Sympathien für König Guidos Zwangslage, denn dieser Mann entsprach nicht der landläufigen Vorstellung von einem heldenhaften Anführer – schon gar nicht, wenn man ihn mit Richard verglich. Guido bewies immer wieder mit deprimierender Vorhersehbarkeit, dass seine Wankelmütigkeit keine Grenzen kannte und dass er nicht in der Lage war, unbeeinflusst von anderen eine eigene Meinung zu vertreten und zu behaupten. Das änderte jedoch nichts daran, dass sein Anspruch auf die Krone rechtmäßig war, wenn er auch auf tönernen Füßen stand.

Die unbestrittene Inhaberin der Krone Jerusalems war Guidos Gemahlin Sybilla gewesen, die Schwester und einzige überlebende Erbin des Leprakönigs Balduin IV. Niemand hatte Sybillas Anspruch auf die Thronfolge angezweifelt, nachdem der einzige männliche Thronerbe, ein kränklicher Neffe ihres Bruders, bereits als Kind gestorben war. Dann hatte sie ihren Liebhaber Guido von Lusignan zu ihrem Mitregenten erwählt und den betagten Patriarchen von Jerusalem gezwungen, diesen nicht nur zum Prinzen und königlichen Berater zu ernennen, sondern ihn zum rechtmäßigen König zu krönen. Der gesamte Adel ihres Reiches reagierte entsetzt, denn man betrachtete Guido als Eindringling, als Abenteurer und als schamlosen Opportunisten.

Er war als Unbekannter in das Königreich gekommen. Angeblich war er von edler Herkunft, doch sein Hintergrund war höchst fragwürdig. Dennoch war es ihm gelungen, sich bei den Baronen vor Ort so beliebt zu machen, dass sie ihn für die Dauer der Minderjährigkeit des Thronerben zum Regenten erklärten – ein Amt, das er alles andere als ehrenhaft bekleidete.

André schluckte den letzten Bissen seiner Mahlzeit herunter und wischte sich mit dem Handrücken das Fett von den Lippen, um dann einen ordentlichen Schluck zu trinken und den Blick auf seinen Nachbarn zu richten, einen breitschultrigen, aber schlanken, glattrasierten Mann mit einer Hakennase und einem hohlwangigen Gesicht, das keine Lippen und Zähne zu haben schien. Der Mann hatte sich gerade erst neben ihn gesetzt und machte sich eben mit Hingabe über ein dickes Stück Schweinefleisch her. Zunächst schenkte er niemandem Beachtung, doch als André ihn grüßte, sah er ihn an und erwiderte den Gruß mit einem Grunzlaut. Dann schob er sich das Fleisch in die Wange. André fiel auf, dass er sich nichts zu trinken mitgebracht hatte.

»Hervorragendes Fleisch«, sagte der Mann. »Habt Ihr es auch probiert?«

Er öffnete beim Sprechen kaum den Mund, sodass sein Akzent – André hatte keine Ahnung, aus welcher Region er stammen mochte – belegt und näselnd klang. Doch immerhin konnte André ihn verstehen, und er freute sich darüber, denn die Chancen, in diesem zusammengewürfelten Haufen jemanden zu finden, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten konnte, waren gering. Er schluckte einen Rülpser herunter und nickte.

»Nein, ich glaube, was ich gegessen habe, war Ziegenfleisch, aber es war gut. Wann ist eigentlich der Feiertag ausgerufen worden? Ich habe es erst erfahren, als ich vor einer Stunde aufgewacht bin und das Fleisch gerochen habe.«

Sein Nachbar zog die Nase hoch.

»Letzte Nacht um Mitternacht«, sagte er.

»Was ist denn mit den Männern, die die Schiffe entladen?«

»Was soll mit ihnen sein? Irgendjemand muss es ja tun. Ich habe gestern den ganzen Nachmittag gearbeitet, und in der Nacht hatte ich Wache. Euch habe ich doch auch dort gesehen, oder, bei den Templern? Seid Ihr einer von ihnen?«

André grunzte.

»Aye, ein Novize, völlig unbedeutend. Noch kein richtiger Templer, aber auch kein normaler Mann mehr.«

Er hob seinen leeren Krug.

»Ich hole mir noch Bier. Soll ich Euch etwas mitbringen?«

Der Mann sah sich um, als wäre er überrascht, dass er keins hatte, dann machte er Anstalten aufzustehen.

»Ich komme mit.«

»Nein, dann verlieren wir unsere Sitzplätze. Bleibt nur hier und esst zu Ende.«

Als er zurückkehrte, war sein neuer Nachbar mit essen fertig und starrte nun trübselig ins Feuer. André reichte ihm einen Bierkrug und setzte sich wieder neben ihn.

»Findet Ihr es nicht interessant, dass König Guido hier auftaucht, weitab von seinem normalen Aufenthaltsort, während wir doch eigentlich auf dem Weg sind, ihm zu helfen?«

»Interessant?« Der Mann zuckte mit den Achseln. »Nein. Ich meine … vielleicht, wenn man etwas darum gibt. Aber wer tut das schon? Außerdem sind wir ja nicht unterwegs, um ihm zu helfen. Wir sind unterwegs, um die Sarazenen aus dem Land Gottes zu vertreiben, oder nicht? Es für die Kirche zurückzuerobern …«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich sehe nicht viel, was dafür spräche, dass wir ihm helfen. Wenn Ihr mich fragt, verdient er den Königstitel kaum. Ich meine, unser Richard hier, das ist ein König. Sieht aus wie ein König, kleidet sich wie ein König und verhält sich auch so. So muss ein König sein … ein Kämpfer. Jemand, der weiß, was ihm zusteht, und der jedem den Kopf abreißt, der auch nur einen schiefen Blick darauf wirft. Das ist ein König. Diese anderen Gestalten. Ich meine, seht Euch Philip an. Oder lieber nicht. Seht Ihr einen König, wenn Ihr ihn anseht? Ich glaube nicht. Oh, wir wissen alle, dass er König ist … und er redet wie ein König und trägt kostbare Kleider, aber er ist viel zu zimperlich. Natürlich würde er Euch im Schlaf ermorden oder in einer finsteren Gasse abstechen lassen, wenn Ihr ihm in die Quere kommt, aber er würde Euch nie ins Auge sehen, bevor er Euch mit bloßen Händen den Kopf abreißt, wie es Richard tun würde. Und nach allem, was ich höre, ist dieser König Guido genauso.«

»Was habt Ihr denn gehört? Wie heißt Ihr übrigens?«

»Nickon. Eigentlich Nicholas, aber alle sagen Nickon. Und Ihr?«

André sagte es ihm.

»Nun denn, André, nach allem, was man mir erzählt, scheint es, als ob dieser König Guido von Jerusalem zwar ein guter Kämpfer ist, aber er kommt nicht oft zum Kämpfen, falls Ihr versteht, was ich meine. Es gibt nicht viele, die ihn für einen guten Anführer halten. Man macht ihm allein die verlorene Schlacht von Hattin zum Vorwurf, wo so viele Templer und Hospitalritter abgeschlachtet worden sind und wir aus dem Heiligen Land vertrieben wurden. Es heißt, er hat dort verloren, weil er sich nicht zu einer Entscheidung durchringen konnte. Einer seiner Begleiter hat vorgestern mit dem König – unserem König – gesprochen, und ich hatte genau dort Wache. Dieser Kerl, ein mächtiger Baron aus Jerusalem, hat gesagt, es sei Guido gewesen, der vor zwei Jahren mit der Belagerung von Acre begonnen hat und Saladins Männer seitdem dort beschäftigt hält.«

Er drehte den Kopf und musterte André von der Seite her.

»Wusstet Ihr, dass er selbst einmal in Saladins Gefangenschaft geraten ist?«

André schüttelte den Kopf, und Nickon nickte ernst.

»So war es aber, über ein Jahr lang. Nun ist es natürlich nicht dasselbe, ob man als einfacher dreckiger Soldat in Gefangenschaft gerät oder als König, denn Saladin hat ihn dann gehen lassen, nachdem Guido ihm versprochen hatte, nicht wieder gegen ihn zu kämpfen. Das hat Guido versprochen! Dann kam er frei und hat sofort damit begonnen, eine Armee aufzustellen. Nun ja, ein Versprechen gegenüber einem gottlosen Heiden ist ja eigentlich kein Versprechen, oder? Vor allem unter … Ihr wisst schon …«

»Druck?«

»Genau. Nun denn, er hat eine Weile gebraucht, aber schließlich konnte er eine Armee aufstellen und Acre belagern. Ihr habt doch schon von Acre gehört, oder? Ihr wisst, was es ist?«

»Ja … und nein. Vage. Was ist denn so wichtig an Acre?«

»Nun, es ist eine Hafenstadt. Eine der Städte, die Saladin unmittelbar nach Hattin überrannt und an sich gerissen hat. Die einzige Stadt, die er damals nicht erwischt hat, war Tyrus, und das ist Conrad von Montferrat zu verdanken. Er ist einer von Barbarossas Männern und ist zufällig am selben Tag, an dem die Verantwortlichen schon die Kapitulation beschlossen hatten, in den Hafen gesegelt. Er hat die Kapitulation verhindert, und am Ende hat sich Saladin zurückgezogen … hat kehrtgemacht, ist nach Süden marschiert und hat stattdessen Acre eingenommen. Seine Armee hält es immer noch besetzt, obwohl Guido sie nun schon seit zwei Jahren belagert.«

André zog die Stirn in Falten.

»Das verstehe ich ja alles, aber was hat es damit zu tun, dass Guido und Conrad Feinde sind?«

»Gar nichts … und alles. Conrad und Guido sind wie zwei Katzen, die sich um dieselbe Maus streiten. Die Maus ist das Königreich Jerusalem, und darum geht es letztlich bei allem, was im Heiligen Land geschieht. Der Zufall hat Conrad nach Tyrus verschlagen und zum Retter der Stadt gemacht. Nun ist er Marquis von Tyrus. Guido ist nach Jerusalem gereist und hat mit der zukünftigen Königin angebändelt – und jetzt ist er König von Jerusalem. Conrad ist neidisch. Das Königreich ist größer als seine kleine Hafenstadt, und er will es für sich. Und wenn es stimmt, was Guidos Mann gestern erzählt hat, ist es gut möglich, dass er es eines Tages auch bekommt. Conrad argumentiert damit – und er scheint mit dieser Meinung nicht allein zu sein –, dass Guido dort nur König geworden ist, weil Sibylla Königin war. Sibylla ist letztes Jahr gestorben. Ergo, so befinden Conrad und seine Anhänger, hat Guido keinen Anspruch auf den Thron mehr.«

»Aber Guido ist doch rechtmäßig gekrönt worden, oder nicht?«

Der Mann sah André mit hochgezogenen Augenbrauen an und hob schulterzuckend die Arme.

»Ich weiß es nicht. Man hat vergessen, mich zur Krönung einzuladen.«

»Aye, so war es aber, durch den alten Patriarchen von Jerusalem.«

Nickon spitzte seine Lippen – ein merkwürdiges Mienenspiel angesichts der Tatsache, dass er ja kaum Lippen hatte und sein Mund kaum mehr war als eine waagerechte Linie. Dennoch gelang es ihm, auf diese Weise große Skepsis zu vermitteln. Als André Anstalten machte, ihn nach dem Grund dafür zu fragen, hob er kopfschüttelnd die Hand.

»Stellt Euch einmal folgende Frage, Junge: Glaubt Ihr wirklich, dass sich Montferrat und seine Speichellecker auch nur einen Moment lang dafür interessieren, was irgendein seniler Bischof vor fünf Jahren getan hat? Hier geht es um ein Königreich, Junge …«

Er hielt inne, dann brach er in ein faltiges Grinsen aus.

»Genau das hat der Mann aus Jerusalem gestern gesagt, nachdem König Richard exakt wie Ihr von König Guidos Krönung angefangen hat. Seit Conrad in Tyrus gelandet ist und von den Ereignissen in Hattin gehört hat, arbeitet er unablässig daran, Guido zu untergraben und seinen Platz einzunehmen. Als Guido nach seiner Freilassung aus Saladins Gefangenschaft in Tyrus ankam, hat er als Erstes die Schlüssel der Stadt von Conrad gefordert, weil er der König war und dies alles war, was ihm von seinem Königreich blieb. Conrad hat ihm Feigheit und Nutzlosigkeit vorgeworfen und Guido ins Gesicht gesagt, mit seiner schändlichen Niederlage in Hattin habe er das Recht auf den Thron verwirkt. Kurz darauf hat er selbst Anspruch auf das Königreich erhoben und Guido aus der Stadt geworfen. Falsche Bescheidenheit kennt er nicht. Er war ja schon vom Niemand zum Marquis von Tyrus aufgestiegen, da schien ihm der Schritt zur Königswürde wohl nicht mehr sehr schwer.«

Nickons Grinsen verflog.

»Da es keinen Ort gab, an den sich Guido hätte zurückziehen können, verweilte er einfach vor den Toren von Tyrus und machte sich außerhalb der Stadtmauern daran, eine Armee aufzustellen. Guido hat ihn nicht daran gehindert; im Gegenteil, er hat ihm Männer geschickt, weil er zu viele hungrige Mäuler in der Stadt hatte. Schließlich bekam Guido ungefähr siebenhundert Mann zusammen, die meisten davon Templer, darunter auch der Meister des Tempels, ein gewisser de Rid –«

»Gerard de Ridefort«

»Genau. Damit änderte sich seine Lage, denn durch den Rückhalt der Templer verstärkte sich der Zustrom der Männer, und bald verfügte er über mehrere tausend Bewaffnete, die auf einen Kampf brannten. Im August hat er sie nach Süden geführt und Acre eingekreist. Weil er fürchtete, Guido könnte die Oberhand gewinnen, hat Conrad ihm einen Teil seiner eigenen Truppen zur Verstärkung der Belagerung geschickt. Eine Weile ist es ihm und Guido gelungen zusammenzuarbeiten, und als es vor der Stadt zum Aufeinandertreffen mit Saladins Truppen kam, hat sich Guido tapfer geschlagen, das muss man ihm lassen. Doch dann bildeten sich Splittergruppen in der Armee – Guidos Männer gegen Conrads –, und so ist die Lage über ein Jahr lang geblieben. Dann …«

»Was ist dann geschehen?«, drängte André, als Nickon Atem holte.

»Nun, dann ist König Philip mit seiner Hälfte der Armee aufgekreuzt. Er hat mit beiden Männern Gespräche geführt, die Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen und sich schließlich für Conrad entschieden. Deshalb ist König Guido hier. Er hat beschlossen, nicht auf Richard warten zu können, weil Philip überall erzählt hat, König Richard sei es wichtiger, sich mit seinen Freunden zu amüsieren als das Heilige Land zu erreichen. Also hat Guido Philip und Conrad vor den Toren von Acre allein gelassen und ist mit seinen tapfersten Rittern hierhergefahren, um Richard zum eiligen Aufbruch nach Acre zu mahnen, damit er Philip wieder unter Kontrolle bringt.«

»Und glaubt Ihr, das gelingt ihm?«

»Den König zur Eile treiben?« Nickon verzog das Gesicht. »Ich glaube, das hat er schon. Richard hat ihm sorgfältig zugehört und ihm neue Kleider und eine Rüstung zum Geschenk gemacht, weil Guidos alte Kleider völlig zerschlissen waren und sein Kettenpanzer verrostet war. Außerdem hat er ihm für seine Verluste fünfzehnhundert Pfund in Silbermünzen gegeben. Ich diene dem König schon seit Jahren, und so etwas tut er nicht für einen Menschen, den er nicht mag oder dem er nicht zu helfen gedenkt.«

»Hm. Und was glaubt Ihr Eurer Erfahrung nach, was er nun tun wird?«

Darauf bekam er keine Antwort mehr, denn noch während er die Frage stellte, kam einer von Nickons Freunden eilig auf ihr Feuer zugeschritten, und die Nachricht, die er mitbrachte, ließ sie beide hastig aufstehen. Isaac Comnenus, so sagte der Mann, hatte Unterhändler zu Richard geschickt, um ihm ein Friedensangebot zu unterbreiten, und Richard hatte einen Waffenstillstand ausgerufen und sich bereiterklärt, am Nachmittag vor den Toren von Limassol mit dem Kaiser zusammenzutreffen. Der König wolle mit allem Prunk und Pomp auftreten, daher werde seine Leibgarde augenblicklich wieder in den Dienst berufen, um ihn in Paraderüstung zu begleiten.

Sekunden später war Nickon verschwunden, und André war wieder allein. Er wollte sich die Konfrontation zwischen seinem König und Isaac Comnenus nicht entgehen lassen, daher begab er sich an Bord seines Schiffes, nahm seine Armbrust mit, um vielleicht doch später noch damit üben zu können, und brach zu Fuß an den Ort der Begegnung auf, eine kleine Anhöhe in der Ebene westlich der Stadttore.