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EAN PIERRE TOURNEDOS war der Sohn einer Kaufmannsfamilie, die eine bescheidene Handelsflotte besaß. Mit sechsundzwanzig Jahren hatte man ihn eingeladen, dem Orden des Tempels als eine Art Extraordinarius beizutreten und gegen angemessenes Entgelt sein Wissen und sein Können der Konstruktion eines Schiffes zu widmen, das es dem rapide anwachsenden Orden ermöglichen würde, nicht länger nur an Land zu operieren.

Tournedos entwarf ein großes Schiff, das Männer, Fracht und Vieh transportieren konnte. Was das Schiff so einzigartig machte, war die Tatsache, dass sein Entwurf vorsah, dass es einer Mannschaft von Kriegermönchen Unterschlupf bot. Diese waren es gewohnt, unter kargen Bedingungen zu leben und mit beengten Unterkünften vorliebzunehmen, die normale Seeleute niemals akzeptiert hätten. Dank der außerordentlichen Disziplin und des religiösen Gehorsams der Männer konnte das Schiff auch als Kriegsschiff dienen, wenn es notwendig wurde, und so war es mit dreifachen Ruderbänken, Kampfplattformen und einem metallverstärkten Rammbug versehen. Gleichermaßen ließ es sich zu einem schwimmenden Kloster umbauen – eine Tatsache, die genauso revolutionär war, wie es die Idee kämpfender Mönche noch vor neunzig Jahren gewesen war.

Da die Ordensregel im Alltag der Mönche eine große Rolle spielte, gab es im Inneren des Schiffes gleich unter dem Ruderdeck einen Raum, in dem sich die Ordensbrüder zum Gebet und zur Messe versammeln konnten. Es war ein beengter, unbequemer Raum, der es einem Mann nur im Mittelgang gestattete, aufrecht zu stehen, doch die Männer, die ihn benutzten, interessierten sich nicht für Annehmlichkeiten und boten Gott die Strapazen, die sie erduldeten, mit Freuden als Buße dar.

Der Mittelgang war der einzige Zugang. Von dort krochen oder kletterten die Brüder an die ihnen zugewiesenen Plätze, wo sie nachts schliefen, um sich dann wieder sitzend oder kniend den Gebeten und Lesungen der Regel zu widmen.

Die Einrichtung dieses Raumes war ein außergewöhnliches Zugeständnis in einer Zeit, in der jeder Zoll an Bord kostbarer Platz war, doch dies war um des seelischen und körperlichen Wohlbefindens der Brüder willen für notwendig befunden worden.

In der Folge hatte man drei Schwesterschiffe gebaut, und es befanden sich noch fünf weitere Schiffe nach demselben Entwurf im Bau. Gemeinsam bildeten sie das, was die Templer die Mittelmeerschwadron nannten, und ihr Heimathafen war Brindisi am Absatz des italienischen Stiefels.

Brindisi, eines der ältesten Ordenshäuser des Ordens in Italien, hatte in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung für die seefahrerischen Interessen der Templer gewonnen. Ganz in der Nähe befand sich eine Reihe von Werften, denen man nachsagte, sie hätten schon zu Römerzeiten existiert. Die Schiffe, die sie bauten, waren teuer – und ihren Preis wert.

Tournedos, inzwischen Befehlshaber der Schwadron, war von Brindisi nach Messina gesegelt, um sich der großen Flotte anzuschließen, die Richard von England für seine Expedition ins Heilige Land zusammenstellte. Dort hatte er die hohen Offiziere an Bord genommen, die das Kontingent der Templer bei dieser Expedition anführten, darunter einige der ranghöchsten Templer der ganzen Christenwelt, die es alle kaum abwarten konnten, die Schiffe zu inspizieren, von denen sie schon so viel gehört hatten.

Mit ihnen kam weitere Verstärkung an Bord, darunter wiederum die rangniedersten Mitglieder des Ordens – die jüngste Ausbeute an Rekruten und Novizen.

Nun stand Tournedos auf dem Achterdeck seines Schiffes und betrachtete die Szene ringsum. Sie hatten an diesem Morgen Anker geworfen, nachdem sie bei Flut in Limassol eingelaufen waren, und die Insel Zypern, deren raue Hügel weder Wärme noch Zuflucht zu spenden schienen, ragte über ihm auf.

Wieder einmal kam Tournedos zu dem Schluss, dass die Insel Zypern, die er in seiner gesamten Seefahrerlaufbahn erst zweimal besucht hatte, all ihrer Schönheit zum Trotz keinerlei Anziehungskraft auf ihn ausübte.

Er richtete den Blick nach rechts, wo in etwa einer Viertelmeile Entfernung zwei riesige Schiffe lagen, die Dromone, zu deren Schutz man ihn entsandt hatte und die sein eigenes Schiff wie ein Spielzeug aussehen ließen. Ein Ruderboot war mit hoher Geschwindigkeit von seinem Schiff zum nähergelegenen der beiden Dromone unterwegs, von dem bereits eine Zustiegsrampe heruntergelassen wurde.

Tournedos kratzte sich geistesabwesend die bärtige Wange, dann wandte er sich erneut dem Anlegeplatz in seinem Rücken zu, wo jetzt drei weitere Neuankömmlinge vor Anker gingen. Seit man ihn auf ihr Näherkommen aufmerksam gemacht hatte, hatte er sie etwa ein halbes Dutzend mal nach irgendwelchen Erkennungszeichen abgesucht, und das wiederholte er jetzt noch einmal. Es waren Christenschiffe, denn sie waren leicht von den kühn geschnittenen Galeeren zu unterscheiden, die die Moslempiraten benutzten. Sie näherten sich von Osten her, vielleicht sogar aus Outremer – in diesem Fall hätte er sie gar nicht kennen können.

Er zog die Nase kraus. Er würde gewiss im Lauf der nächsten Stunde herausfinden, wer sie waren. Dann richtete er den Blick auf die hohen, dicht gedrängten Gebäude an der Hafenfront von Limassol.

Nach allem, was man Tournedos erzählt hatte, hatte der sogenannte Kaiser von Zypern, Isaac Comnenus, eine unbedeutende Gelegenheit, sich zu bereichern, in eine drohende Katastrophe für sich und seine Landsleute ausarten lassen. Statt die Gelegenheit zu nutzen und sich die Gunst Richards zu erwerben, hatte er, als die Überlebenden des Sturmes hilfesuchend in seinen Hafen geweht worden waren, die zukünftige Königin von England und ihre Gefährtin, die ehemalige Königin Siziliens, beleidigt und damit den Mann, der der zukünftige Bräutigam der einen und der Bruder der anderen war, unwiderruflich gegen sich aufgebracht.

Richard von England, der immer öfter Löwenherz genannt wurde, war dem ahnungslosen und schlecht unterrichteten Isaac zu diesem Zeitpunkt bereits sehr viel näher gewesen, als es sich dieser hätte träumen lassen. Und nun musste Isaac für seine Torheit und seine Gier bezahlen.

Richards Flotte würde am folgenden Tag mit seiner gesamten Armee in Limassol eintreffen, und mit dem Ausschiffen der Soldaten würde das Leben für die Bewohner der Region und ihren selbsternannten Kaiser eine interessante Wendung nehmen.

ANDRÉ ST. CLAIR stand mit angespannten Nerven in seinem Boot und wartete darauf, dass ihm der Steuermann das Signal zum Springen gab. Vor ihm hing eine gefährlich schwankende Rampe, die an Ketten befestigt und mit hölzernen Querleisten versehen war, um das Abrutschen zu verhindern. André schluckte krampfhaft und ballte die Hände zu Fäusten. Wieder huschte sein Blick zum Steuermann hinüber, der mit der Gelassenheit des Experten am Ruder stand.

»Wartet«, knurrte der kräftige Seemann, dessen Blick ebenfalls an der Kante der schwebenden Plattform hing, ohne dass seine Hand das Ruder losließ. »Sie ziehen sie schon nicht ohne Euch hoch. Langsam … langsam … Achtung … jetzt!«

André sprang und landete mit beiden Füßen auf der Rampe, während seine Linke eine der Ketten umklammerte. Er atmete heftig aus, dann sah er sich noch einmal nach dem Steuermann um und dankte ihm mit einem Kopfnicken. Genau, als er dann den Blick in die andere Richtung hob, neigte sich das Schiff über ihm – das größte, das André je gesehen hatte – von einer Welle gehoben zur Seite, sodass es über ihm hing … und er spürte, wie ihm die Galle hochkam.

Er schluckte entschlossen und machte sich daran, sich an der steilen Rampe hochzuziehen. Vor jedem Schritt vergewisserte er sich, dass seine Schuhe festen Halt auf der Querleiste hatten, denn die hölzerne Rampe war nass und rutschig, und er hatte nicht vor, in voller Rüstung ins Meer zu stürzen. Auf halber Höhe der bauchigen Bordwand des Dromons vollführte die Rampe eine Zickzackwendung und verlief dann beinahe waagerecht weiter. Zwischen den beiden Teilstücken befand sich eine Plattform, auf der André kurz innehielt, um dafür zu sorgen, dass er vorzeigbar war, wenn er an Deck des Schiffes trat.

Dieser kleine Zwischenhalt war Richards Idee gewesen. Frauen, so hatte der König angedeutet, waren launische Geschöpfe, die sich sehr von Äußerlichkeiten beeinflussen ließen … und André hatte die Andeutung verstanden.

Während er sich seine Kleider zurechtzupfte, meldete sich eine leise innere Stimme, die ihm zumurmelte, dass persönliche Eitelkeit eine Sünde sei und es ohnehin ein Skandal sei, dass sich ein Templer mit Frauen abgab, ganz gleich welcher Herkunft.

Wenn der Tag kam, an dem er sein endgültiges Gelübde ablegte, so wusste er, dass man von ihm verlangen würde, jedem Umgang mit Frauen abzuschwören. Vorerst jedoch sagte er sich, dass er ja noch kein Tempelritter war, sondern seinem Lehnsherrn, Herzog Richard, verpflichtet war – und dass später noch genug Zeit für Buße und Selbstaufgabe sein würde. Also wand er seine Schultern, bis sein Umhang wieder bequem fiel.

Während er auf der Plattform stand, betrachtete auch er die drei neuen Schiffe, die sich dem Anlegeplatz genähert hatten. Er kannte sie nicht, doch das war auch nicht zu erwarten. Sein Wissen über Schiffe und über die Seefahrt reichte jeweils bis zu den Planken des Decks, das sich gerade unter seinen Füßen befand, und dort endete es. André St. Clair war kein Seemann und würde nie einer werden. Er wusste, dass jedes kundige Auge im Hafen auf die Neuankömmlinge gerichtet sein würde und man sie entweder willkommen heißen oder verjagen würde. Ganz gleich, was geschah, ihn selbst betraf es vorerst nicht.

Er setzte sich wieder in Bewegung, und nun dauerte es nicht mehr lange, bis er den Einlass an der Spitze der Rampe erreichte, wo ihn fünf bunt gekleidete Würdenträger erwarteten – und ihn betrachteten, als hätten sie eine Ratte gefunden, die an ihrer Bordwand entlangkroch.

Drei von ihnen waren noch kostbarer gekleidet als der Rest, und einer davon musste Sir Richard de Bruce sein, der englisch-normannische Offizier, der das Oberkommando über die drei Dromone hatte. Die anderen waren wahrscheinlich die Kapitäne der beiden anderen Schiffe, und die weniger glänzend herausgeputzten Offiziere waren wohl Oberleutnants.

Rasch ließ er den Blick über das Deck schweifen, doch es waren keine Frauen zu sehen. Er trat durch den Einlass, den ihm ein gewöhnlicher Seemann aufhielt. Instinktiv wählte er dann den hochgewachsensten – und hochmütigsten – der fünf Männer aus, nahm vor ihm Haltung an und salutierte.

»Sir Richard de Bruce? Ich überbringe Euch den Gruß König Richards und schriftliche Grüße an seine Verlobte, Prinzessin Berengaria, und an seine geliebte Schwester Joanna, die Königin von Sizilien. Mein Name ist André St. Clair, und ich bin Ritter aus Poitou, dessen Lehnsherr Richard als Herzog von Aquitanien und Graf von Poitou ist.«

Nachdem der Höflichkeit so schnell wie möglich Genüge getan war, teilte ihm de Bruce – ein selbstherrlicher Fatzke von der Art, die André am meisten hasste – mit abgehackten, formellen Worten mit, die Damen hätten sich zu ihrem Mittagsmahl zurückgezogen und er würde sie von Andrés Ankunft in Kenntnis setzen. Vorerst jedoch wies er einen der Leutnants mit der Hand, in der er den Brief des Königs hielt, an, Sir André zu einem schattigen Fleckchen auf dem Achterdeck zu führen, wo er sich in Ruhe sammeln konnte, während er darauf wartete, zu den Damen gerufen zu werden.

André sagte nichts, sondern nickte nur und wandte de Bruce und seinen Gefolgsleuten den Rücken zu, um dem Leutnant zu der Stelle zu folgen, auf die der Kommandant gezeigt hatte. Dort blickte er auf die drei neu eingetroffenen Schiffe hinaus und bändigte seine Wut über den unwürdigen Empfang, indem er sich das Gespräch ins Gedächtnis rief, das er Tags zuvor mit Richard Plantagenet geführt hatte.

Richard hatte André zum Steven seiner Galeere rufen lassen, weil sie dort ungestört waren. Er hatte in Hemdsärmeln dort gesessen und gearbeitet. Er brauchte einen Mann, so sagte er, für eine Aufgabe, die er nur jemandem anvertrauen konnte, der sich nicht gegen ihn wenden würde.

»Und dann musste ich an Euch denken«, sagte er, »und an Euer trostloses Büßerdasein in Eurer Zelle auf dem Templerschiff.« Sein Gesicht brach in ein breites Grinsen aus, und er erhob die Stimme. »Ich weiß, dass Euer Schwertarm inzwischen voll verheilt ist, aber könnt Ihr Eure Knie noch benutzen, nachdem Ihr so lange auf dem Holzboden gebetet habt?«

Er wartete die Antwort nicht ab – anscheinend rechnete er auch gar nicht mit einer Antwort –, sondern sprach sofort weiter und teilte André mit, dass er ihn gemeinsam mit der Templerschwadron nach Limassol auf Zypern schicken würde. Richard und die Armee würden einen Tag später mit der morgendlichen Ebbe folgen.

»Es hat meine Dromone und all ihre Fracht nach Limassol verschlagen, meine zukünftige Gemahlin, meine Schwester und meine Kriegsschatulle – das ganze Geld, das ich zusammengetragen habe, um diesen Krieg zu führen. Alles dort, in der Hand dieses verrückten Kaisers.«

»Kaiser, Mylord?«

»Aye, irgend so ein Dummkopf, der in Zypern regiert, ein Byzantiner, der sich den Thron gestohlen hat, bedroht die Sicherheit der Frauen. Außerdem ist ihm das Siegel Englands in die Hände gefallen, und er trägt es um den Hals wie ein Stück Flitterkram. Ich werde nach Zypern fahren, um ihn aus seinem Loch zu treiben und ihn zu verjagen. Es ist Eile geboten, und der Templermarschall Etienne de Troyes hat sich bereiterklärt, mir seine vier schnellen Schiffe zu borgen – natürlich erst, nachdem ich den Verlust der Schatulle erwähnt hatte, der unseren Feldzug ins Heilige Land drastisch abkürzen könnte. Die Templer werden die Frauen bewachen und sie notfalls mit ihrem Leben beschützen, gleichzeitig jedoch ihren heiligen Abstand wahren, um sich nicht zu versündigen.«

Richard verdrehte die Augen.

»André, ich muss den Männern in meiner Umgebung stets wachsamen Auges begegnen. Überall lauern Verschwörungen, Listen, geheime Allianzen und Verrat. Ich weiß, dass Philip allein bereit wäre, jeden Preis an den zu bezahlen, der diese Hochzeit unterbindet, die meine Mutter zwischen England und Navarra gestiftet hat. Und er ist nur einer der Feinde, die ich unter unseren Freunden habe. Selbst dem Marschall der Templer kann ich nicht trauen, denn seine Loyalität gilt dem Papst, und dem Papst wäre nichts lieber, als dass England ohne Thronerben bleibt und daher zum Spielball Philip Capets und seiner treuen Verbündeten, der Heiligen Mutter Kirche, wird. Rom hat mir nicht verziehen, dass mein Vater Thomas Becket ermordet hat. Und Philip wird mir nie verzeihen, dass ich ihn abgewiesen habe … ihn und seine bemitleidenswerte Schwester.«

Er seufzte.

»Ich kann niemandem glauben, weil hier so viel auf dem Spiel steht, dass ich mich stets frage, ob man mir die Wahrheit sagt oder ob wieder einmal jemand bestochen worden ist, um mich vom Kurs abzubringen. Ihr werdet so etwas nicht tun. Es ist Eurem Charakter fremd.«

Er ergriff zwei versiegelte Päckchen, die auf der Ecke seines Tisches lagen, und warf sie André nacheinander zu.

»Diese Briefe sind für Joanna und für Prinzessin Berengaria. Joannas Brief habe ich mit einem Strich neben dem Siegel gekennzeichnet. Ich möchte, dass Ihr Euch unverzüglich mit diesen Briefen zu ihrem Dromon begebt und sie ihnen persönlich überbringt. Vertraut diese Aufgabe niemand anderem an. Führt sie persönlich aus. Bittet in meinem Namen um eine Audienz bei den Damen, dann wartet ihre Antworten ab, denn ich habe ihnen verschiedene Fragen gestellt und deutlich gesagt, dass ich mich sehr auf die Genauigkeit ihrer Antworten verlasse.«

Ein kleines Lächeln stahl sich in Richards Mundwinkel.

»Ich kenne die Prinzessin noch nicht gut, aber Joanna hat sich noch nie etwas vormachen lassen, schon als kleines Mädchen nicht. Wenn in ihrer Nähe etwas faul ist, wird sie es inzwischen gerochen haben. Ihr Wissen und ihre Meinung sind für mich von unschätzbarem Wert. Ich habe mich mit Freude daran erinnert, dass Ihr ebenfalls lesen und schreiben könnt. Dies vervielfacht Euren Wert bei diesem Unterfangen. Hört Joanna genau zu und macht Euch Notizen von allem, was Ihr für wichtig erachtet.«

Außerdem sollte André einen Brief für Sir Richard de Bruce mitnehmen, den der König als »guten Seemann und fähigen Kommandeur, aber arroganten, unfreundlichen und hochmütigen Menschen« beschrieb. Darin erhielt de Bruce die Anweisung, André umfassend über die Situation in Zypern zu unterrichten und ihm Geld zu geben, welches er möglicherweise brauchen würde, um weitere Informanten zu bestechen oder zu kaufen.

»Ich erwarte, dass Ihr bei meiner Ankunft in Limassol bereitsteht. Wir werden uns unter vier Augen unterhalten, und Ihr werdet mir alles berichten, was Ihr in Erfahrung bringen konntet. Alles, André. Ist das klar? Versteht Ihr genau, was ich von Euch verlange?«

André nickte.

»Und nun, bei Gott, muss ich mich den Bischöfen widmen, die gewiss für das Wohlergehen meiner zukünftigen Braut beten wollen.«

Er hielt inne, und ein teuflisches Grinsen verwandelte sein Gesicht.

»Ich gestehe Euch, dass ich letzte Nacht tatsächlich an das Wohlergehen meiner Verlobten gedacht habe. Wenn sie vergewaltigt würde und bei ihrer Rückkehr erfolgreich schwanger wäre, würde es mir einigen Ärger ersparen, meint Ihr nicht auch?«

Er blinzelte, und sein Lächeln verblasste, verschwand aber nicht ganz.

»Nein, anscheinend nicht. Also schön, Sir André, fort mit Euch. Haltet die Augen auf und den Mund geschlossen, und lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen.«

Dann hatte André salutiert und war gegangen. Es hatte ihn alle Mühe gekostet, das Entsetzen zu verbergen, das er bei Richards zynischen Worten über das Wohlergehen seiner Zukünftigen empfunden hatte. Er redete sich ein, dass der König es nicht ernst gemeint hatte.

Als André schließlich zu seiner Audienz gerufen wurde, führte man ihn zu einer Tür im Aufbau des Achterdecks. Ein Wachtposten klopfte an und trat beiseite. André stellte sich an seinen Platz, und die Tür öffnete sich nach innen. Wieder starrte ihm ein bewaffneter Wachtposten entgegen, ging dann einen Schritt zur Seite und winkte ihm einzutreten. Die Tür war so niedrig, dass sich André bücken musste, um hindurchzupassen. Dann schob er sich an dem Wachtposten vorbei, der den Bauch einzog, um den Besucher vorbeizulassen.

Innen stellte André erstaunt fest, dass die Kammer, die er betreten hatte, winzig klein war und eine so niedrige Decke hatte, dass er kaum aufrecht darin stehen konnte. Dazu war sie finster, denn das einzige natürliche Licht waren die Sonnenstrahlen, die durch eine vergitterte Luke in der Decke fielen und ein Schachbrettmuster auf den Boden malten. Die rauchigen Lampen, die an den Schiffsbalken befestigt waren, taten nur wenig dazu, die Schwärze zu erhellen. Er spürte die menschlichen Gestalten – Frauengestalten – eher, als dass er sie sah; es waren drei in einer dunklen Ecke zu seiner Rechten und zwei zu seiner Linken. Zwei Damen saßen an einem kleinen Tisch, auf dem die Überreste einer einfachen Mahlzeit standen. Er sah an ihrer Haltung, dass beide die Augen auf ihn gerichtet hatten, daher verbeugte er sich tief und wandte sich an beide gleichzeitig.

»Ich bitte die Damen um Verzeihung, denn ich weiß nicht, welche von Euch beiden welche ist, und das Licht in diesem Kämmerchen ist sehr schlecht. Mein Name ist André St. Clair, Ritter aus Poitou, und ich überbringe Euch Grüße und Briefe von meinem Lehnsherrn Richard, der mich in aller Eile zu Euch geschickt hat, um Euch sein Versprechen zu überbringen, dass er mit seiner gesamten Flotte auf dem Weg ist und morgen hier sein wird, um persönlich mit Euch zu sprechen.«

»Ooh, là, là! Da hat sich Richard ja einen ganz Schlauen gesucht.«

Die Sprecherin war die Frau rechts am Tisch, und irgendetwas an ihrer Stimme, eine Reife, die er von der jungen Prinzessin nicht erwartet hätte, hätte ihn jede Wette eingehen lassen, dass dies Joanna Plantagenet war. Er blickte angestrengt in die finstere Ecke, in der sie saß, und beschloss, es lieber darauf ankommen zu lassen, dass man ihn für dumm hielt, als weiter wie ein schüchterner Schuljunge dazustehen. Er lächelte und zog eine Augenbraue hoch.

»Schlau, Mylady? Darf ich fragen, wie Ihr darauf kommt?«

»Nun, durch die Gewandtheit, mit der Ihr der Falle ausgewichen seid, raten zu müssen, wer von uns wer ist, denn dieses Ratespiel hättet Ihr nicht gewinnen können, ohne mindestens eine von uns zu beleidigen. St. Clair sagt Ihr? Seid Ihr mit Sir Henry verwandt, der der Fechtmeister meiner Mutter war?«

»Ja, Mylady. Er ist mein Vater.«

»Dann kenne ich Euch, oder ich kannte Euch als Kind. Tretet näher.«

Das tat André, erleichtert, dass er richtig geraten hatte, und Joanna hob den dünnen, dunklen Schleier, der ihre Züge verhüllt hatte, und ihr Gesicht kam zum Vorschein. In der Dunkelheit leuchtete es fast. Auch er erinnerte sich jetzt an sie. Sie war einige Jahre älter als er, und bis er alt genug war, um davonzulaufen und sich zu verstecken, hatten sie und ihre Freundinnen ihn gnadenlos bei ihren Spielen eingesetzt. Damals hatte er sie niemals als hübsches Mädchen wahrgenommen – wahrscheinlich war er einfach zu jung gewesen. Sie hatte ein bemerkenswertes Gesicht, und während andere Männer sie oft als Schönheit bezeichneten, kam ihm als Erstes ein anderes Wort in den Sinn, als er sie unverschleiert sah – nämlich Stärke.

Sie trug eine weiße Haube, die ihr Haar verbarg und ihr Gesicht einrahmte, und der Schleier war mit einem Schmuckkamm daran festgesteckt. Ihre breite, hohe Stirn hatte noch keine Falten – sie war jünger als ihr Bruder Richard –, und sie hatte blassgoldene Augenbrauen und Wimpern, dunkelblaue Augen über hohen, wohlgeformten Wangenknochen, eine gerade, kräftige Nase und einen breiten, lebendigen Mund.

Doch diese Augen und dieser Mund waren von winzigen Krähenfüßen eingerahmt – einst war sie eine Königin gewesen, doch ihr betagter Mann hatte keinen Sohn mit ihr zeugen können, und inzwischen war sie seit Jahren Witwe.

Sie winkte ihn näher, und ihm wurde bewusst, dass sie sein Gesicht der gleichen genauen Betrachtung unterzog wie er das ihre. Dann nickte sie kaum merklich, und ihre kleinen Falten glätteten sich.

»Ich erinnere mich an Euch. Ihr wart ein sehr hübscher kleiner Junge, und Ihr seid zu einem sehr hübschen Mann herangewachsen.«

Es lag etwas in ihrem Tonfall, das André merkwürdig vorkam, doch zunächst achtete er nicht weiter darauf, und sie fuhr fort.

»Meine zukünftige Schwester habt Ihr noch nicht kennengelernt, oder? Berengaria, dies ist Sir André St. Clair, einer von Richards … Freunden.«

Wieder fing er diesen merkwürdigen Unterton auf, der an Verachtung grenzte, doch als er sich nun lächelnd an Berengaria wandte, begriff er, was sie damit andeutete, und er spürte, wie er vor Verlegenheit rot wurde. Er erstarrte, und das Lächeln erstarb ihm auf den Lippen. Dann richtete er sich wütend auf, so verletzt, dass er jede Umsicht vergaß.

»Madam, Ihr tut mir Unrecht«, platzte er heraus, entrüstet, dass ihn jemand mit den Schönlingen in Verbindung brachte, die den König umschwärmten.

»Euer Bruder ist mein Lehnsherr, und ich bin sein getreuer Vasall. Hin und wieder habe ich die Ehre, sein Vertrauen zu genießen, und ich kann nichts Unehrenhaftes daran finden, sein Freund zu sein. Aber ich zähle nicht zu seinen … Freunden

Die Betonung, die er auf das letzte Wort legte, ließ keinen Raum für Missverständnisse, und Joanna Plantagenet fuhr abrupt zurück, als sähe sie sich plötzlich bedroht. Erst jetzt begriff er, wie übereilt und grob er auf ihre Bemerkung reagiert hatte, und ihm wurde klar, dass er sie vielleicht missverstanden hatte – doch es war zu spät. Er machte sich auf ihre Zurechtweisung gefasst. Sie jedoch sagte eine Zeit lang gar nichts und betrachtete ihn nur mit leicht gerunzelter Stirn. Dann richtete sie sich auf ihrem Stuhl auf.

»Verzeiht mir, Sir André.«

Überrascht von ihrer nachsichtigen Reaktion, verbeugte sich Sir André und legte sich die Hand auf die Brust.

»Es ist bereits vergessen, Mylady.«

Wieder betrachtete ihn die ehemalige Königin nachdenklich. Sie legte den Kopf ein wenig schief, dann nickte sie.

»Nun denn. Berengaria, beginnen wir noch einmal von vorn. Ich stelle Euch Sir André St. Clair vor, einen aquitanischen Ritter in Diensten meines Bruders, einen Mann, der Vertrauen und Hochachtung verdient. Sir André, dies ist Prinzessin Berengaria von Navarra, die zukünftige Gattin Eures Lehnsherrn, meines Bruders, Herzog Richard. Ich bezeichne ihn vor Euch als Herzog, weil ich davon ausgehe, dass sein Rang als König von England Euch nicht viel bedeutet …«

Sie verstummte, und André verneigte sich erneut, diesmal vor der Prinzessin. Jetzt fiel es ihm leicht, Joannas Lächeln zu erwidern.

»Ich schwöre Euch, Mylady, wäre Euer Bruder König von Aquitanien und nicht Herzog, so klänge dies vielleicht bedeutsamer, doch es hätte keinerlei Einfluss auf das Pflichtgefühl und die Treue, die ich ihm schon heute als Herzog entgegenbringe.«

Wieder wandte er sich der Prinzessin zu und ging vor ihr auf das rechte Knie nieder.

»Teuerste Prinzessin, ich muss Euch um Verzeihung für meine Worte bitten. Auch wenn mir als Ritter Aquitaniens und Poitous der Königstitel Eures zukünftigen Gemahls wenig bedeutet, werde ich Euch mit Freuden persönlich die Treue schwören, wenn Ihr Königin von England und Herzogin von Aquitanien seid.«

Nun war es an Prinzessin Berengaria, ihren Schleier zu heben, damit er ihr Gesicht betrachten konnte. Als sie die Arme hob, konnte er nicht umhin, ihre wohlgeformten Brüste wahrzunehmen. Er konnte beinahe spüren, wie sich Joannas Blick in ihn bohrte und seine Reaktion beobachtete, und so konzentrierte er sich angestrengt auf die Hände der Prinzessin, die immer noch mit dem Schleier befasst waren.

Sein Kopf jedoch war von keinem anderen Gedanken erfüllt als dem, was für ein Verbrechen und welch eine Sünde es doch war, eine solche Schönheit an einen Mann wie Richard Plantagenet zu verschwenden, den ein solch üppiger Frauenkörper doch nur anwidern würde, während er sich selbst mit üppig bemuskelter Männerschönheit umgab. Sogleich fragte er sich, ob Berengaria möglicherweise argwöhnte – und einfach akzeptierte –, was auf sie zukommen würde, wenn sie Königin an der Seite eines Mannes wurde, der Frauen weder mochte noch begehrte.

Die Prinzessin, die ihn jetzt ebenfalls anlächelte, neigte wohlwollend den Kopf. Bevor sie jedoch etwas zu ihm sagte, wandte sie sich an den Wachtposten, der immer noch mit dem Rücken an der Kajütentür stand und sich den Anschein gab, nichts von den Vorgängen mitzubekommen.

»Lasst uns bitte allein. Wartet draußen.«

Sie richtete den Blick auf die gegenüberliegende Ecke, wo die drei anderen Frauen kauerten.

»Ihr könnt Euch auch zurückziehen. Sollten wir etwas brauchen, werden wir Euch rufen.«

Der Wachtposten richtete sich auf und salutierte, dann schob er die Zofen vor sich aus der Kajüte und ließ die beiden Fürstinnen allein mit André zurück, der in der dunklen Kajüte immer noch zu Füßen der Prinzessin kniete. Als sich die Tür fest hinter dem Wachtposten geschlossen hatte, richtete die Prinzessin ihr Lächeln wieder auf André,

»Master St. Clair, Ihr seid hier höchst willkommen, als Freund und als Vertrauter meines Verlobten Richard, und es ist nicht notwendig, dass Ihr dort auf Euren Knien leidet. Steht auf, Sir. Sagtet Ihr nicht bei Eurem Eintreten, dass Ihr Briefe des Königs dabeihabt?«

Ihre Stimme hatte etwas vage Fremdländisches an sich, das jedoch nicht unangenehm war, und ihm wurde bewusst, dass er noch niemals in Navarra, dem Königreich ihres Vaters südlich der Pyrenäen gewesen war. Dort führte ihr Volk seit Jahrhunderten Krieg gegen die moslemischen Mauren, und diese ständige Kampfbereitschaft war eines der Dinge gewesen, die Richards Mutter dazu verlockt hatten, König Sancho VI. von Navarra als Verbündeten zu gewinnen, indem sie diese Ehe arrangierte.

»Das sagte ich, Mylady. Verzeiht mir, ich habe sie hier in meiner Gürteltasche.«

Er erhob sich und zog die beiden kleinen Zylinder aus dem Beutel an seiner Hüfte. Er betrachtete sie blinzelnd im schlechten Licht der Kammer, dann reichte er jeder der beiden Frauen die an sie adressierte Rolle.

Beide machten sich unverzüglich daran, sie zu öffnen. Berengaria wies mit einem geistesabwesenden Lächeln an André vorbei.

»Macht es Euch doch bequem, Sir André, während wir die Briefe lesen. Hinter Euch steht ein Stuhl. Wir brauchen nicht lange.«

André neigte gehorsam den Kopf und trat zu dem Stuhl. Als er sich umwandte, um sich zu setzen, sah er, wie Joanna den Blick hastig auf ihren Brief senkte. Er hätte sie gern angelächelt, doch sie ignorierte ihn, und so richtete er seine Aufmerksamkeit auf Prinzessin Berengaria. Er war froh, dass sich seine Augen inzwischen auf das dunkle Zimmerchen eingestellt hatten und er sie deutlich sehen konnte. Noch mehr freute er sich, dass er jetzt Gelegenheit hatte, sie genauer zu betrachten, während sie Richards Brief las, der anscheinend lang und ausführlich war.

Was kann Richard Plantagenet wohl zu sagen haben, schriftlich oder mündlich, das auf Euren guten Willen und auf Eure Neugier stößt?, fragte er sich, und sein Blick heftete sich auf das schwarze Löckchen, das sich aus ihrer Haube befreit hatte und sich nun auf ihrer linken Wange ringelte. Als spürte sie seinen Blick, hob Berengaria die Hand und steckte die verirrte Locke wieder unter das weiße Leinen, ohne den Blick von ihrem Brief zu heben.

Schwarzes Haar, dachte er nun, denn auch ihre Augenbrauen malten sich deutlich in ihrem Gesicht ab. Schwarzes Haar und so dunkle Augen, dass sie ebenfalls tintenschwarz wirkten. Im Moment hatte sie die Augen jedoch zum Lesen gesenkt, und das Einzige, was er davon sehen konnte, waren ihre langen, geschwungenen Wimpern, die direkt auf ihren makellosen Wangen zu liegen schienen.

Richards Königin war eine Schönheit, wie sie ihm noch nie begegnet war, und er war beileibe nicht ohne Erfahrung. Sie strahlte etwas Lebendiges aus und schien große Freuden zu verheißen, und die fremde Schattierung ihrer Haut erzählte von anderen Ländern und einem wärmeren Klima. Er war schon vielen Frauen mit dunklem Haar und dunklen Augen begegnet; es war also nicht nur der dunkle Ton, der das Exotische an ihr ausmachte.

Eigentlich, so dachte er plötzlich, kannte er nur vier Frauen, die man tatsächlich als blond bezeichnen konnte, mit flachsfarbenem Haar und leuchtend blauen Augen; vier Frauen von … er hielt inne, unangenehm überrascht, dass er nicht sagen konnte, wie viele es waren. Vier von wie vielen Frauen? Wie viele Frauen waren ihm mehr oder minder vertraut? Zu wie vielen Frauen hatte er sich hingezogen gefühlt? Dies zumindest waren nicht viele, und er versuchte, sie sich ins Gedächtnis zu rufen, angefangen mit der letzten, Eloise de Chamberg, die auf dem Grund und Boden seines Vaters umgekommen war und damit indirekt seine Aufnahme in die Reihen der Tempelritter herbeigeführt hatte.

Berengaria regte sich und ließ den Brief sinken, und er ließ von seinem Gedankengang ab und konzentrierte sich wieder auf die Prinzessin, die ihn jedoch keines Blickes würdigte.

Ihre vollen, roten Lippen waren leicht gespitzt, und um ihre Augenwinkel zogen sich kleine Fältchen, während sich ihr Blick selbstvergessen ins Leere richtete. Geistesabwesend kratzte sie mit der Fingerspitze über den Stoff ihres Mieders, und ohne es zu ahnen, lenkte sie sein Augenmerk damit erneut auf die Fülle ihrer Weiblichkeit. Wusste sie, dass ihr zukünftiger Gemahl Männer liebte? Und wenn ja, log sie sich selbst dann vor, sie könnte ihn ändern?

André hatte keinerlei Erfahrung in solchen Dingen, und er enthielt sich jedes moralischen Urteils. Manche dieser Männer konnte er problemlos als Freunde oder Kameraden akzeptieren und ignorierte ihre Neigungen, während er anderen – und diese schienen in der Überzahl zu sein – lieber gänzlich aus dem Weg ging, weil sie sich den meisten gegenüber noch weniger tolerant verhielten, als sie es für sich selbst erwarteten. Im Großen und Ganzen jedoch war er es zufrieden, sein eigenes Leben zu leben und sie das ihre leben zu lassen.

Jedenfalls war es seine Beobachtung, dass sich solche Männer an ihresgleichen hielten und wenig Zeit und noch weniger Verwendung für Frauen hatten. Er hatte genug ältere Männer unter ihnen gesehen, um zu wissen, dass man dieser Vorliebe nicht entwuchs. Es war keine Phase, die man durchlebte und dann vergaß. André war überzeugt, dass dieser Zustand von Dauer war, und er ging davon aus, dass auch die Liebe der leidenschaftlichsten und treuesten Frau nicht die Macht hatte, etwas daran zu ändern. Er hegte keinen Zweifel daran, dass Richard seine ehelichen Pflichten erfüllen und mit Berengaria einen Erben zeugen würde, doch sobald dies geschehen war, würde der König es der Frau überlassen, das Kind aufzuziehen, und sich mit seinen Freunden davonmachen. Das war das Schicksal vieler Frauen.

Er ertappte sich dabei, dass er die Stirn runzelte, weil ihn Berengarias offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber etwas so Zerstörerischem verblüffte. War es wirklich möglich, dass sie von all dem nichts ahnte? Sie war neu hier und kam aus einen behüteten Zuhause, doch auch bei diesem Gedanken regte sich in seinem Hinterkopf eine schwache Erinnerung an vergangene Gerüchte, die Richard eine romantische Verbindung mit ihrem Bruder Sancho nachgesagt hatten. Auch diesen Gedanken schob er beiseite und begann von Neuem.

Sie war fremd hier und hatte noch nicht genug gesehen, um ihre Vorstellungen von ihrer zukünftigen Ehe zu überdenken. Niemand hätte den Affront riskiert, ihr etwas zuzuflüstern. Wer hätte es ihr auch erzählen sollen – außer Joanna, die selbstlos als Freundin, zukünftige Schwester und Beraterin agierte?

Außerdem war diese Frau eine Königin, die ihre Pflicht nie vergaß, und die Pflicht einer Königin bestand darin, Söhne zu gebären, so wie es die Pflicht eines Königs war, diese zu zeugen. Richard hatte öffentlich die Absicht erklärt, von seinen lüsternen, unnatürlichen Vorlieben abzulassen und einen Erben für England zu zeugen, und André zweifelte nicht daran, dass er das tatsächlich auch tun würde.

Joanna hatte ihren Brief zu Ende gelesen und richtete nun das Wort an ihn.

»Mein Bruder sagt, ich soll Euch voll und ganz vertrauen und Euch nichts verschweigen …«

Sie richtete den Blick auf Berengaria.

»Hat er das zu Euch ebenfalls gesagt?«

Die Prinzessin nickte, und Joanna wandte sich langsam wieder zu André um. Sie legte den Kopf ein wenig schräg und betrachtete ihn mit großen Augen.

»Ich frage mich, ob Ihr wohl eine Vorstellung davon habt, welchen Respekt er Euch damit zollt. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Bruder Richard so etwas je über einen anderen Menschen gesagt hat. Ihr müsst ein sehr außergewöhnlicher junger Mann sein, Sir André St. Clair. Doch wir haben vieles zu besprechen, also lasst uns anfangen. Richard hat mir eine ganze Reihe von Fragen über die Ereignisse seit unserer Ankunft in Zypern gestellt, und er wünscht, dass ich sie Euch beantworte. Ich gehe davon aus, dass er dieselbe Bitte auch an Berengaria gerichtet hat.«

»Ja«, pflichtete ihr die Prinzessin bei.

»Nun denn, würdet Ihr lieber mit jeder von uns allein sprechen, oder können wir dieses Gespräch zu dritt führen?«

»Zusammen wäre wahrscheinlich das Beste, Mylady, wenn Ihr nichts dagegen habt. Wir sitzen hier bequem und dürften kaum gestört oder belauscht werden.«

Er wies auf die vergitterte Luke über ihren Köpfen.

»Zumindest, wenn wir leise sprechen. Diese Luke führt zum Deck, und ich schlage vor, wir verhalten uns, als säße dort oben ein Spion mit sehr großen, gespitzten Ohren. Mylady Joanna, möchtet Ihr den Anfang machen?«

So saßen sie zu dritt am Tisch und unterhielten sich leise, während das Gittermuster aus Sonnenlicht über den Boden kroch. Als es schließlich verschwand, bat André an Deck um Licht, und sie hielten mit ihrem Gespräch inne, bis man ihnen Kerzen und neue Lampen gebracht und diese angezündet hatte.

St. Clair hatte über vieles nachzudenken, nachdem er sich schließlich von ihnen verabschiedet hatte. Auf sein eigenes Schiff zurückgekehrt, setzte er sich sogleich daran, sich Notizen zu machen. Als er an jenem Abend sein Schlaflager aufsuchte, war er geradezu erschöpft. Vor seinem inneren Auge sah er die beiden Frauen in ihrer unterschiedlichen Schönheit und bedauerte nicht zum ersten Mal, dass es ihm als Tempelritter bald nicht mehr möglich sein würde, solch unschuldige Stunden in der Gesellschaft von Frauen zu verbringen.

RICHARDS GALEERE traf erst spät am nächsten Morgen ein. Sie wurde von zwei weiteren Galeeren begleitet, doch von der nachfolgenden Flotte war am Horizont nichts zu sehen. André bestieg das Boot, das ihm Tournedos zur Verfügung gestellt hatte, und steuerte das Schiff des Königs an, sobald es vor Anker gegangen war. Doch bevor er es erreichte, stellte er fest, dass ihm ein anderes Boot zuvorgekommen war, das von den drei unbekannten Schiffen stammte, die am Vortag eingetroffen waren. Murmelnd befahl er seinem Steuermann, auf Abstand von den Fremden zu bleiben. Deren Boot war eine Barkasse, die rot und dunkelgrün angestrichen war und mit acht Ruderern bemannt war. Es hatte eine Heckplattform, die zehn Männern Platz bot. Während André sie zählte, stellte er fest, dass sie alle Ritter waren, ein jeder in voller Rüstung und mit seinem eigenen Wappen, von denen er jedoch keines erkannte.

Nun wurde er erst recht neugierig, denn die Unbekannten, die jetzt an Bord des königlichen Schiffes kletterten, machten den Eindruck, als hätten sie einiges hinter sich. Ihre Schilde sahen alt und abgenutzt aus, und ihre Kettenpanzer waren vom langen Tragen beinahe blank poliert. Auch die Farben ihrer Insignien machten einen ausgeblichenen Eindruck.

Während er beobachtete, wie sich die Ritter an Deck der Galeere drängten, signalisierte er seinem Steuermann, sich noch ein Stück weiter zurückzuziehen und zu warten.

Kurz nachdem der letzte Fremde an Bord gegangen war, legte die Barkasse wieder von der Bordwand ab und machte Platz für ein sehr viel kleineres Boot, das nun von der anderen Seite des Schiffes her auftauchte, um seinerseits einen Passagier aufzunehmen. André richtete sich auf, als er den Mann sah, der nun an die Bordwand trat, und das strenge, stirnrunzelnde, humorlose Gesicht eines seiner bekanntesten und unpopulärsten Landsleute erkannte: Etienne de Troyes, Großmeister der Templer in Poitou und der ranghöchste Tempelritter der Expedition. De Troyes stieg in sein Boot, ohne sich umzusehen, setzte sich ans Heck und zog sich seine Kapuze über den Kopf, während sich sein Ruderer aus Leibeskräften in die Riemen legte.

Fast eine Stunde war verstrichen, als sich die zehn Besucher wieder zu ihrer Barkasse begaben. Richard begleitete sie persönlich und blickte auf sie hinunter, bis sie sich in Bewegung gesetzt hatten. André wusste, dass ihn der König gesehen hatte, doch er verharrte wartend, bis Richard in seine Richtung blickte und ihm zuwinkte, um sich dann abzuwenden.

Der Sturm war zwar längst vorüber, doch das Wasser war immer noch unruhig und der Wellengang so unvorhersehbar, dass er sich bei seinem Sprung verschätzte. Er landete in den Netzen, die an der Bordwand hingen, und wäre um ein Haar ins Meer gestürzt. Er betrat das königliche Schiff von den Knien abwärts triefend nass und hinterließ eine Spur pfützenartiger Fußabdrücke auf dem Deck, als er sich zum Heck begab, wo Richard an seinem Tisch saß und einem seiner Schreiber etwas diktierte.

Hinter ihm drängte sich eine Gruppe von Offizieren und Schaulustigen, die keinen Hehl daraus machten, wie sehr sie St. Clairs tropfnasse Erscheinung missbilligten. André verzog keine Miene und schenkte ihnen keine Beachtung, denn die Gegenwart des Königs verbot, dass sich seine Hand auf seinen Schwertgriff legte.

Bei seinem Näherkommen blickte Richard auf. Angesichts der nassen Spur zog er fragend die Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts dazu, sondern nickte nur und erbat sich mit erhobenem Finger noch einige Momente Ruhe, um seinen Schreiber zu Ende zu instruieren. So leise, dass sich André hätte anstrengen müssen, um ihn zu verstehen, wäre er denn neugierig gewesen, las der Mönch dem König vor, was er geschrieben hatte. Richard hörte ihm zu, nickte und entließ den Mann.

»André. Habt Ihr die Antworten, die ich brauche?«

»Aye, Mylord.«

»Ausgezeichnet.«

Er hob die Stimme, sodass ihn die hinter ihm Stehenden hören konnten.

»Lasst uns alle allein. Ihr habt bereits genug zu bereden, und einige von Euch haben viel zu tun. Solange ich hier mit Sir André beschäftigt bin, möchte ich Euch nur noch aus so großem Abstand sehen, dass an ein Mithören nicht zu denken ist. Fort mit Euch. Halt!«

Mit erhobener Hand gebot er ihnen noch einmal Einhalt.

»Percy, Ihr habt Eure Anweisungen für Eure Leute, sodass alles für die Ankunft der Schwadron bereit ist, die uns folgt. Niemand soll an Land gehen, bis ich es anordne, doch wenn es so weit ist, erwarte ich einen reibungslosen Ablauf. Neuville, Ihr habt die Aufgabe, mein Zelt zu errichten und es zu bewachen. Lasst die Wachleute von den Dromonen an Land gehen, sorgt dafür, dass sie von genügend Schützen begleitet werden, dann schlagt unser Lager dort rechts auf der Anhöhe auf, die den Strand und das Stadttor überblickt. Es ist möglich, dass sich der sogenannte Kaiser dieses traurigen Ortes noch in der Stadt befindet. Sorgt also dafür, dass er uns keine Schwierigkeiten macht. Ihr habt gute drei Stunden Zeit. Und nun fort mit Euch, damit ich mich mit Sir André befassen kann.«

Unter allgemeinem Gemurmel zerstreute sich sein Gefolge. Dabei warfen nicht wenige der Männer André unverhohlene Blicke zu, die von schlichter Neugier über Argwohn bis hin zu offener Feindseligkeit reichten. Der König winkte André zu sich und wies ihn an, sich auf den Stuhl vor dem Tisch zu setzen.

»Kommt, setzt Euch und sprecht mit mir. Es wird noch mindestens einen oder zwei Tage dauern, bis die Flotte eintrifft – der Schaden ist doch sehr groß. Aber bis zum Abend wird eine Schwadron unserer schnellsten Schiffe mit meinen besten Soldaten hier eintreffen.«

Er ließ den Blick über den Hafen schweifen.

»Da ich keine brennenden Gebäude in der Stadt sehe, gehe ich davon aus, dass sich meine Wachen noch an Bord der Dromone befinden und es den Damen gut geht?«

»So ist es, Mylord, und sie freuen sich auf das Wiedersehen mit Euch.«

»Und was ist mit dieser Kreatur, diesem Comnenus, hat er sie irgendwie bedroht oder belästigt?«

»Nein, nicht direkt. Lady Joanna lässt sich nicht aus der Fassung bringen, und sie ist eine gute Menschenkennerin. Als er mit versöhnlichen Gesten und einer Einladung, an Land zu kommen, auf sie zugekommen ist, war sie es, die beschlossen hat, dass es sicherer und klüger wäre, mitsamt der beiden Dromone und ihrer Fracht auf Abstand von ihm zu bleiben.«

»Das war sehr vernünftig von ihr. Allerdings gehe ich davon aus, dass de Bruce auch ohne sie zu diesem Schluss gekommen wäre.«

Er beobachtete Andrés Gesicht und zögerte.

»Seid Ihr nicht dieser Meinung?«

»Nein, Mylord, bei allem Respekt, ich glaube es nicht. Ich habe mich heute Morgen ausführlich mit dem Kommodore unterhalten, und er hat mir deutlich den Eindruck vermittelt, dass er die Vorgehensweise der Königin nicht billigt. Hätte er die Befugnis gehabt, Comnenus’ Einladung zu Verhandlungen Folge zu leisten, so glaubt er, dass vieles ohne Feindseligkeiten zu erreichen gewesen wäre. Er betrachtet die Haltung Eurer Schwester als Affront gegenüber seiner Autorität.«

»Hmm. Und glaubt Ihr, dass er recht hat, dass er zu einem Einvernehmen mit Comnenus hätte gelangen können?«

»Nein, Mylord. Comnenus hat unsere Hilfegesuche von Anfang an mit Verachtung gestraft. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits unsere Toten geschändet und den Schatz aus dem Wrack geraubt. Erst als ihm der Gedanke kam, die unversehrten Schiffe könnten noch weitere Schätze enthalten, hat er einzulenken versucht. Er hatte keine Schiffe, mit denen er die Dromone hätte angreifen können, und keine Armee, mit der er zu Land hätte angreifen können. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zu versuchen, unsere Schiffe mit List zu gewinnen. Eure Schwester hat richtig gehandelt. Es ist unmöglich zu sagen, was geschehen wäre, wenn sie es nicht getan hätte, aber es ist sehr wohl möglich, dass Ihr es jetzt nicht nur mit einer geraubten Kriegsschatulle, sondern obendrein mit königlichen Geiseln zu tun hättet.«

»Aye, ich zweifle kaum daran, dass das so ist«, räumte der König grollend ein. »Erzählt mir von diesem Comnenus. Bis jetzt kenne ich ihn ja nur gerüchteweise. Ich nehme an, Ihr konntet Euch Auskünfte aus erster Hand besorgen?«

»Aye, Mylord.«

St. Clair lehnte sich zurück, legte die gespitzten Finger unter sein Kinn und ordnete seine Gedanken.

»Er ist ein merkwürdiger Mann, das war nicht schwer herauszufinden. Ein Tyrann natürlich, den viele für wahnsinnig halten. Sein eigenes Volk, das er brutal behandelt, empfindet zum Großteil nichts als Abscheu und Verachtung für ihn. Dass er Byzantiner ist, wussten wir ja schon, doch es sieht so aus, als sei einer seiner Onkel tatsächlich Kaiser von Konstantinopel gewesen. Das schwört Isaac jedenfalls. Er ist vor etwa sechs Jahren hier gelandet, und irgendwie ist es ihm beinahe auf der Stelle gelungen, dem Byzantinischen Reich die Herrschaft über die Insel zu entreißen. Seitdem bezeichnet er sich als Kaiser.«

Allmählich wurde ihm bewusst, wie kalt seine Füße in den schweren, nassen Stiefeln geworden waren.

»Jedenfalls scheint er allgemein verhasst zu sein, und doch klammert er sich mit eiserner Faust an seine Macht. Sein eigenes Volk redet über seine unersättliche Gier und seinen verlogenen Charakter, und seine Grausamkeit muss unvorstellbar sein. De Bruce hat mir heute Morgen erzählt, dass seit seiner Machtergreifung viele wohlhabende Familien von der Insel geflohen sind. Wer noch hier ist, ist es nur, weil er keine Möglichkeit zur Flucht hat und an seinen Besitz hier gefesselt ist. Unter diesem Menschen herrscht große Verzweiflung über Isaacs Gier und seine Übergriffe auf ihr Eigentum.«

»Der Mann klingt ja wie ein Ungeheuer«, brummte Richard, dem natürlich nicht bewusst war, dass dies ebenso gut eine Schilderung seiner eigenen Methoden zur Finanzierung seines Krieges in Outremer hätte sein können. St. Clair entging diese Ironie nicht.

»Und das ist nur der Anfang«, fügte er hinzu. »Anscheinend behandelt er auch seine eigenen Offiziere und Untergebenen brutal und lässt sie bei jeder Gelegenheit auspeitschen oder mit Geldstrafen belegen, sodass sie ihn bis auf den letzten Mann hassen.«

»Warum ermorden sie ihn denn dann nicht? Das ergibt alles keinen Sinn. Versteht der Dummkopf denn gar nichts von der Kunst, Menschen zu führen? Welcher Wahnsinn treibt einen Herrscher oder Heerführer dazu, die Menschen zu misshandeln, die er am nötigsten hat, um sich in seinem Amt zu behaupten? Dieser Mensch regiert sein Inselreich ja tatsächlich wie ein Verrückter. Dafür spricht zusätzlich dieser Unsinn mit den Dromonen. Hat er wirklich auch nur einen Moment lang geglaubt, dass niemand nach einem solchen Schatz suchen würde? Und hat er wirklich geglaubt, dass die, die ihn suchen würden, Schwächlinge und Dummköpfe sein würden? Der Mann ist ein Idiot.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, erwiderte St. Clair. »Man erzählt sich, dass er als junger Mann – und anscheinend herausragender Soldat – mit dem byzantinischen Heer nach Armenien in den Krieg gezogen ist und dort in Gefangenschaft geriet und in die Sklaverei verkauft wurde. Angeblich hat er mehrere Jahre wie ein wildes Tier in Eisen und Ketten verbracht, weil er so stark und widerspenstig war. Was ihm aus dieser Zeit geblieben ist, ist rasender Hass gegenüber allen Westeuropäern. Das könnte natürlich seine feindselige Reaktion beim Anblick zweier Schiffe aus dem Westen erklären, die vor seiner Insel Anker geworfen hatten und um Hilfe baten.«

»Aye, das klingt plausibel … Aber es ändert nichts an meinem Verlangen, ihn zu zerquetschen wie eine Spinne. Was wisst Ihr sonst noch? Wie konnte es zu dem Unglück kommen?«

André zuckte mit den Schultern.

»Auf ganz erklärliche Weise. Der Sturm hat hier über Zypern schließlich sein Ende gefunden. Die drei Dromone sind von den Böen den ganzen Weg bis hierher getrieben worden. De Bruce glaubt, dass es an ihrer Größe lag. Ihre Bordwände haben dem Wind eine Angriffsfläche wie ein Segel geboten, viel mehr als bei anderen Schiffen, und daher wurden sie auch viel weiter abgetrieben als der Rest der Flotte. Wie dem auch sei, jedenfalls haben sie die Insel in der Morgendämmerung des dritten Sturmtages gesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten Wind und Seegang zwar ihren Höhepunkt überschritten, waren aber immer noch mächtig und wild. Sie haben das Land erst gesehen, als ihm die drei Dromone schon zu nahe gekommen waren, und das Schiff, das dem Ufer am nächsten war, wurde in die felsige Untiefe getrieben, die die Einheimischen Fels der Aphrodite nennen. Dort ist es auf Grund gelaufen und von Wind und Wellen zertrümmert worden. Es gab nichts, was die anderen Schiffe hätten tun können.«

Die Macht der Wellen, so berichtete André weiter, war derart gewaltig gewesen, dass es nur wenigen Überlebenden des Schiffbruchs gelang, ans Ufer zu schwimmen. Dann waren die Fischer und Inselbewohner an den Strand gekommen, um zu bergen, was sie konnten, wie es bei ihnen Tradition war. Doch die Fischer hatten Gold unter den Wrackteilen gefunden, und es hatte nicht lange gedauert, bis Comnenus davon hörte.

»Die bloße Nachricht, dass Goldmünzen ans Ufer gespült worden waren, war anscheinend genug, um ihn anzulocken. Ein Fischer hatte Euer Siegel um den Hals hängen, und Comnenus hat es gesehen und beschlagnahmt, ohne jedoch zunächst zu wissen, was es war. Dann ist einer seiner Männer getaucht und hat von Kisten mit Gold unter den Trümmern am Meeresboden berichtet.«

Bald darauf hatte man dem Herrscher berichtet, zwei weitere riesige Schiffe seien von Westen hergeweht worden. Sie lägen vor Limassol und bäten um die Erlaubnis zum Anlegen. »Westen« war für Isaac das verhasste Wort, und so hatte er den Schiffen zunächst die Einfahrt in den Hafen verweigern lassen und gleichzeitig alle Überlebenden des Schiffbruchs einkerkern lassen. Erst nachdem er Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, wurde ihm klar, dass sich vielleicht weitere Schätze an Bord dieser Schiffe befanden.

»Es heißt, er war hin und her gerissen zwischen dem Verlangen, sofort nach Limassol zu fahren und die beiden Schiffe festzusetzen, und der Angst, den Ort des Schiffbruchs zu verlassen, bevor er sicher sein konnte, dass auch das letzte Stück des Schatzes gefunden war. Natürlich konnte er niemandem trauen, auch seinen eigenen Männern nicht. Also hat er gewartet und dabei vor Ungeduld getobt, bis jede einzelne Münze geborgen war. Bei seiner Rückkehr nach Limassol musste er dann feststellen, dass er den beiden Dromonen nicht das Geringste entgegenzusetzen hatte. Man hatte ihm zwar gesagt, dass es gigantische Schiffe sind, aber weil er noch nie etwas Größeres als ein Fischerboot gesehen hatte und der Dromon auf den Felsen schon vor seinem Eintreffen völlig zerstört worden war, wurde ihm erst klar, was ›gigantisch‹ tatsächlich bedeutete, als er die Schiffe vor sich gesehen hat. Er wusste sofort, dass er gegen diese Monster nichts ausrichten konnte.«

Richard hörte ihm stirnrunzelnd zu, und André fuhr fort.

»An diesem Punkt gab er sich dann plötzlich versöhnlich und bot seinen unerwarteten Besuchern seine persönliche Freundschaft, seine Hilfe und seine Gastfreundschaft an. Bereits zuvor hatte er de Bruce ausrichten lassen, er befände sich nicht in Limassol, sondern er hätte im Landesinneren in Nikosia zu tun, und dieser hätte ihm glatt geglaubt, doch dann haben ihn seine eigenen Leute verraten. De Bruce war genauestens informiert, wann Comnenus von dem Wrack zurückkehrte, was man aus den Überresten geborgen hatte und was mit den Überlebenden und den Leichen der Opfer geschehen war.«

»Halt! Ihr sagt, de Bruce weiß all das von Comnenus’ eigenen Leuten? Warum ist er dann nicht mit Joannas Vorgehensweise einverstanden gewesen? Er muss doch gewusst haben, dass sie recht hatte.«

»Nein, Mylord, er wusste, dass sie eine Frau ist und daher wenig von der Realität des Krieges und der Politik versteht –«

»Grundgütiger, Mann! Joanna hat jahrelang als Königin regiert, noch dazu in Sizilien! Sie versteht mehr von Politik, als de Bruce je lernen wird.«

St. Clair nickte.

»Aye, das stimmt wahrscheinlich. Aber de Bruce war fest davon überzeugt, dass er Comnenus überlegen gewesen wäre. Zypern hat keine nennenswerte Seestreitmacht, seine Armee ist in einem erbärmlichen Zustand, schlecht ausgebildetes Gesindel ohne Stolz oder Kampfgeist. Es mag unglaublich klingen, doch es gibt auf der ganzen Insel keine Ritter. Der Kaiser hat sie alle vertrieben, weil er fürchtete, sie könnten sich gegen ihn verschwören. Kurz, de Bruce hat geglaubt, ohne Schwierigkeiten seine Überlegenheit demonstrieren zu können.«

»Aber doch nicht von einem Schiff aus. Dazu hätte er zuerst an Land gehen müssen.«

»Aye, Sir, das hätte er auch gekonnt. Er hatte eine vollständige Kompanie Eurer Männer an Bord – oder mindestens zwei Drittel einer Kompanie. Zweihundert disziplinierte Männer. Er glaubt, dass er ganz Zypern damit hätte einnehmen können, weil Isaac von seinen Leuten im Stich gelassen worden wäre.«

Richards Miene war skeptisch.

»Vielleicht … vielleicht auch nicht. Doch das spielt jetzt keine Rolle mehr. Joanna hat sich durchgesetzt. Was dann?«

»Das ist es mehr oder minder, Mylord. Alles Weitere könnt Ihr den Antworten auf Eure Fragen entnehmen. Vorerst ist das alles, was ich habe.«

Der König kratzte sich nachdenklich den Kopf, dann nickte er entschlossen.

»So sei es. Ihr habt Eure Sache gut gemacht und mir mitgebracht, was ich brauche. Jetzt kann ich eine Entscheidung treffen, was mir vor einer Stunde noch nicht möglich gewesen wäre. Wenn ich es wünsche, kann ich diesen Narren von einem Kaiser sofort mit gutem Grund und fester Überzeugung angreifen. Ich danke Euch dafür. Nun geht und organisiert Euch etwas zu essen. Wir unterhalten uns später noch einmal, wenn ich Zeit hatte, über alles nachzudenken, was Ihr mir berichtet habt. Nein, halt. Prinzessin Berengaria … wie habt Ihr sie angetroffen? In welcher Stimmung, meine ich? War sie …?«

»Der Prinzessin ging es gut, Mylord. Sie war bei bester Gesundheit und Laune. Sie erwartet Eure Ankunft mit großer Freude.«

»Aye, nun ja … war sie … was haltet Ihr von ihr? Ist sie nicht eine Schönheit?«

»Schönheit … ja, Mylord, das ist sie. Hinreißend. Sie wird eine hübsche Braut und eine gute Königin werden.«

»Das wird sie … das wird sie gewiss. Einmal mehr gilt Euch mein Dank, Master St. Clair. Nun lebt wohl.«