16

Ferret hörte den Schuss. Er fiel nahe genug, um deutlich als Knall aufzufallen. Seine Sensoren zeigten an, dass der Schuss innerhalb eines Gitters von etwa hundert Metern Seitenlänge gefallen war. Und innerhalb dieses Gitters war Dagger. Wie nicht anders zu erwarten oben auf der Kammlinie. Aber ohne Zielfernrohr konnte er unmöglich einen Schuss auf ihn absetzen, der die Chance auf einen Treffer bot. Und einfach willkürlich herumballern kam nicht infrage, weil Dagger dann ja sofort die Energiequelle anpeilen konnte. Ärgerlich.

Immerhin konnte er das, was er in Erfahrung gebracht hatte, an Tirdal weiterleiten, in der Annahme, der Hoffnung, dass Tirdal noch am Leben war. Das würde ihm zeigen, wie die Dinge standen, und wenn sie beide gegen Dagger vorgingen, würden sie es vielleicht schaffen, ihn zur Flucht zu veranlassen. Außerdem würde es wieder dunkel werden müssen. Wenn sie zusätzlich ein wenig ausruhten, würde ihnen das den Vorteil verschaffen, den sie brauchten.

Aber vorausgesetzt, sie hatten Erfolg, würde Tirdal ein paar recht unangenehme Fragen glaubwürdig beantworten müssen.

Er fügte das Koordinatengitter einer Sendung bei und schickte sie an Tirdal. Dann schickte er das Gitter auch an Dagger, bloß um ihn wissen zu lassen, dass er beobachtet wurde. Ferret grinste, ein grimassenhaftes Lächeln, das ihm selbst Angst gemacht hätte. Schmerz, Angst, Müdigkeit und Schmutz verschafften ihm eine Visage, die selbst einer Hexe Furcht eingejagt hätte.

Tirdal spürte den Schuss und warf sich ins Wasser, das Artefakt flog davon. Die Kugel knallte an ihm vorbei, überschüttete ihn mit Sand und Grasspitzen. Das war so nahe gewesen, dass er es nicht nur gehört, sondern auch das Klatschen der Schockwelle verspürt hatte. Dann wurde ihm bewusst, dass ihn der Schuss getroffen hatte, sich durch seinen Rucksack und seine Schulter gebohrt hatte. Es war eine belanglose Wunde, aber sie würde äußerst schmerzhaft sein, da ja das ganze Gewicht des Rucksacks darauf lasten würde. Trotzdem, er durfte nicht zulassen, dass Dagger glaubte, er habe Erfolg gehabt.

»Das war ein guter Schuss, Dagger«, spottete Tirdal, mit Erfolg bemüht, seiner Stimme nicht anmerken zu lassen, dass er Schmerzen verspürte. »Natürlich nicht gut genug für ein intelligentes Ziel, aber gut genug für einen Steinbrocken oder einen Pappkameraden auf dem Schießplatz.« Er ließ sich weiter hinunterrollen, um das Artefakt wieder zu sichern.

»Ich schieße gut genug, Elf«, erwiderte Dagger, vor Wut schnaubend. »Du bist einfach ein dreckiger, kleiner Schwindler.« Dass Tirdal den Schuss überlebt hatte, erregte ihn sichtlich. Offenbar empfand er es als Beleidigung, dass Tirdal nicht tot war. Na ja, aus der Richtung würde er noch mit mehr Beleidigungen rechnen müssen.

»Schwindler, Dagger? Lautet das inoffizielle Motto der FATs nicht: ›Wenn du nicht schwindelst, gibst du dir keine Mühe‹? So betrachtet ist deine Koordination und deine Kontrolle auch Schwindel, weil dazu nicht jeder fähig ist. Nein, wenn dieses Spiel richtig gespielt werden soll, muss jeder Spieler alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Ein Schütze von deinem Format kann doch sicherlich meine Ausweichmanöver vorhersehen … wenn man ihm genügend Zeit lässt. Genau genommen solltest du eigentlich bereits ein Muster erkannt haben, wenn du so schlau bist, wie du dir das einbildest.« Das war eine gefährliche Aussage. Tirdal war nicht bewusst, dass er bereits ein Muster geliefert hätte, aber möglicherweise hatte er das doch. Er musste Dagger unbedingt dazu bringen, dass er noch weniger überlegte, sich nur auf seine Instinkte verließ, um damit den anderen zu schwächen.

In dem Augenblick kam das Signal von Ferret herein. Er räumte den Bildschirm frei und ließ es darauf erscheinen und studierte die Karte, die es anzeigte. Sein Darhel-Gerät konnte ihm den Großteil derselben Daten ebenfalls liefern, aber das wusste Ferret natürlich nicht. Und das bewies, dass Ferret ein Verbündeter war, zumindest bis Dagger aus dem Spiel genommen war. Nachher würden sie eben sehen müssen.

»Was das Schwindeln angeht«, sagte er in bewusst menschlich klingendem, bösartig amüsiertem Tonfall, »ich war ja nicht derjenige, der eine Granate in eine Gruppe sich ausruhender Kameraden geworfen und sich dabei selbst hinter einem Felsbrocken versteckt hat.«

Damit schien er den anderen genügend gereizt zu haben, dachte Tirdal, als vier Schüsse über seine Deckung hinwegpfiffen und Erdreich ins Wasser fegten. Und sein Sinn zeigte ihm Daggers Umgebung, plötzlich war die Verbindung zwischen ihnen beiden ganz solide. Er sah das Bild im Zielfernrohr, sah sich selbst als winzige Gestalt, die sich gerade rechtzeitig bewegt hatte und weggetaucht war. Die Sonne war dort drüben, also befand sich Dagger auf jenem Felsvorsprung im Osten, ganz wie Ferret das gesagt hatte. Tirdal holte sich das Bild aus seiner Erinnerung zurück und bestätigte es mit einem Bild aus den Kameras der Anzugsensoren. Dagger war … ziemlich genau dort drüben, und das war möglicherweise sogar in Reichweite seiner Punch-Gun, wenn er jetzt gleich schoss. Er rief sich ins Gedächtnis, dass die Punch-Gun eine mit Lichtgeschwindigkeit funktionierende Waffe war. Er brauchte bloß die 0,7416 Sekunden Aufladezeit einzukalkulieren und zwischen den Schüssen Deckung zu suchen. Tirdal stellte das Artefakt ab und machte sich an die Arbeit.

Sein Anzugcomputer lieferte ihm die Landkarte, und er suchte einen nicht ganz so steilen Abschnitt des von der Sonne ausgebrannten Bachufers auf. Dann richtete er sich auf und – Pounk! – schoss, ließ sich fallen, arbeitete sich rechts hinter einen vorstehenden Felsbrocken, richtete sich auf und – Pounk! – tauchte wieder ab, huschte links an einem flachen Schieferbrocken vorbei, richtete sich auf und – Pounk! – schob sich wieder ein Stück nach links hinter einen ausgehärteten Brocken Ton, feuerte und links und feuerte und links und noch einmal vom selben Standort aus, und das Ganze so willkürlich, wie ein geordneter Verstand das schaffen konnte.

Ein Sinn erreichte ihn, aber nicht von Dagger, der schoss, sondern von Dagger, der in Panik geriet. Tirdal grinste sein alle Zähne freilegendes Grinsen. Dann lud er sich das Artefakt wieder auf und zog weiter.

Ferret blieb reglos liegen, während dort drüben das Feuergefecht ablief. Dagger schoss sichtlich nicht sehr gut. Interessant. Er war ein Ass auf dem Schießplatz, großartig bei den Übungen, hatte gute Arbeit gegen die Käfer geleistet, die sie angefallen hatten. Was echte Gefechte anging, so war Ferret zwar darüber informiert, an welchen er teilgenommen hatte, war sich aber keiner besonderen Belobigungen für seine Schießleistungen bewusst. Freilich, im echten Feindeinsatz ging häufig etwas schief, aber das Ganze passte doch irgendwie zu Daggers eiskalter, berechnender Fassade. Wenn es wirklich darauf ankam, war er einfach kein so beeindruckender Schütze. Gut zu wissen.

Für den Augenblick atmete Ferret die fauligen Gerüche ein, das Gras, die fremden Pollen, die Erde und all das, was die Würmer übrig gelassen hatten. Die lokale Sonne stand im Westen und leuchtete Dagger in die Augen. Nach den vier Schüssen hatte er den Scharfschützen recht gut in einem Quadrat von zehn Meter Seitenlänge lokalisiert, wobei er die Schallverzerrung miteinkalkuliert hatte, die das Gras verursachte. Er war fest überzeugt, dass Dagger sich genau dort befand, und möglicherweise würde er sogar einen brauchbaren Schuss auf ihn abgeben können, so extrem die Distanz auch war.

Dann fing Tirdal an, das Feuer zu erwidern. Darhel waren also durchaus imstande, mit voller Absicht auf jemanden zu schießen. Die Philosophie, die sie davon abhielt, sich an Kriegshandlungen zu beteiligen, war offenbar nur eine Art Richtlinie. Tirdal und vermutlich auch andere hatten es offenbar geschafft, darüber hinwegzukommen. War auch Zeit, dachte er, dass sie einen Teil der Last auf sich nahmen. Und dann kam ihm in den Sinn, ob es nicht auch allmählich Zeit wurde, dass die Menschen sich mehr um sie kümmerten. Militante Darhel würden recht unangenehm sein, wenn man bedachte, dass sie weit besseren Zugang zu GalTech hatten.

Einen Augenblick lang lag Ferret einfach da und grinste. Dann drang die Erkenntnis langsam in sein müdes Gehirn durch, dass es Zeit war, sich in Bewegung zu setzen. Er zog die Knie an und fing an, unter den bewegten Grashalmen herauszukriechen, hoffte dabei, Dagger ein paar Meter näher zu kommen. Wenn er das ein paarmal wiederholte, würde er nahe genug herankommen, um aus der Deckung einen Schuss auf ihn abgeben zu können, einen Schuss innerhalb der Reichweite seiner Waffe.

Es würde natürlich ein guter Schuss sein müssen. Er würde nur für einen einzigen Zeit haben, dann würde Dagger das Feuer erwidern. Vielleicht würde er sogar treffen, selbst wenn er im Augenblick kein besonderes Geschick an den Tag legte. Offenbar wich Tirdal ihm aus. Und Ferret war im Augenblick nicht so beweglich.

Die Karte, die von Ferret hereinkam, unterbrach Daggers Sicht. Er überflog sie sofort, konnte zunächst nichts mit ihr anfangen, da er seiner Kenntnis nach nichts ausgelöst hatte. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm bewusst wurde, dass es sich um eine Kartendarstellung seines Standorts handelte. Der kleine Mistkerl war noch am Leben und hatte sich mit dem Darhel zusammengetan. Nun, das war ja ganz in seinem Sinne, schließlich hatte Dagger ohnehin vorgehabt, ihn zu töten, und das war ja nur umso erfreulicher. Trotzdem gab er einen knurrenden Laut von sich. Arschloch.

Dann zuckte er zusammen, als der erste Schuss gegen die Klippenwand peitschte. Tirdal schoss zurück! Das konnte der tatsächlich! Kein angenehmer Gedanke, wenn sich das zu einem richtigen Gefecht entwickeln sollte!

Dennoch war es für die Punch-Gun eine extreme Distanz, und der kleine Elf hatte kaum Erfahrung mit gezieltem Feuer. Er duckte sich, um zu schießen, falls der kleine Mistkerl wieder auftauchen sollte, und das tat er auch, aber dort drüben. Felssplitter von dem ersten Explosionsgeschoss regneten auf ihn herab, dann traf der zweite Schuss über Daggers linker Seite auf und dann ein weiterer ein paar Meter unter ihm, und gleich darauf noch ein vierter. Jetzt war er aus der unmittelbaren Schusszone – dieser armselige, kleine Bastard konnte wirklich nicht schießen. Er, Dagger, hätte selbst mit einer Punch-Gun besser getroffen. Jetzt ärgerte er sich, dass er sich von dem Knirps hatte Angst einjagen lassen.

Dann kam die Welt unter ihm ins Rutschen, und der Felsvorsprung geriet in Bewegung, bewegte sich auf die Bäume zu.

Er richtete sich halb auf und versuchte nach hinten wegzukrabbeln, aber dafür war es zu spät. Der Erdrutsch war jetzt voll in Bewegung. Er brachte es trotzdem fertig, gegen die neue Bergwand zu taumeln, während alles andere unter ihm zusammenbrach und er in die Tiefe stürzte, wenn auch nur etwa acht Meter. Er landete weich, weil hauptsächlich Erde in die Tiefe gerutscht war, die jetzt rings um ihn in die Höhe flog und ihn unter sich begrub.

Er hielt den Atem an und gab sich alle Mühe, nicht in Panik zu geraten, schlug mit den Armen um sich, bis er spürte, dass sie im Freien waren. Halb grub er sich heraus, halb schwamm er nach oben und schnaubte von dem Staub, der ihm in die Lungen geraten war. Wolken von rotem Sand und Erde hingen in der Luft, und ihr Geruch schlug ihm in die Nase, und dazu kam der beißende Gestank von dem Erdreich, das der Strahl der Punch-Gun verdampft hatte. Er spie Erde aus und sehnte sich erneut nach Wasser.

Er riss den Kopf herum, von panischer Angst geplagt, Tirdal oder Ferret vor sich zu sehen, tastete nach seinem Gewehr, aber das war noch unter der Erde begraben. Sein rechtes Knie stieß dagegen, wie er so um sich schlug, und er tauchte bis zur Schulter in den lockeren Boden, um es zu packen.

Es herauszubekommen kostete einige Mühe, und die Waffe war über und über mit Erde verklebt. Er würde zusehen müssen, bald Deckung zu finden, um sie zu zerlegen. Für den Augenblick klopfte er den Lauf frei, so gut das ging, und schoss dann ein Projektil senkrecht in den Boden. Es machte nicht viel Lärm, da es kaum Zeit hatte, eine Schockwelle zu erzeugen, ließ aber die Erde aufspritzen und säuberte den Lauf. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war etwas Erde im Lauf kleben geblieben, aber für den Augenblick musste das reichen. Er versuchte zu stehen, kippte aber um, verspürte Schwindel, Benommenheit und Schmerz. Was nun?

Die Antwort lag auf der Hand. Er hatte sich beim Sturz den Knöchel verrenkt, verspürte die ersten Anzeichen von Hitzeerschöpfung und war vor Müdigkeit wie ausgebrannt. Er brauchte Ruhe, Wasser, etwas Ordentliches zu essen und ärztliche Versorgung. Wie mochte wohl der Zustand dieses kleinen Scheißers sein? Offensichtlich hatte er Wasser und brauchte keine Nahrung … nein, Augenblick, er brauchte eine Menge Nahrung … vielleicht hatte er Tiere gegessen. Schön, aber was war dann mit seiner Aversion gegen das Töten? Vielleicht tötete der Kerl sogar vernunftbegabte Wesen? Gab es da vielleicht irgendein Feedback in sein Gehirn? Verdammt noch mal, vielleicht reichten ein paar Schüsse auf große Tiere in seiner Nähe aus, um ihn zu betäuben. Warum hatte er nicht schon früher daran gedacht? Und was war sonst? Wie stand es um Ferret? Wie kam der mit der Situation zurecht? Freilich, da er der Letzte war, konnte er anhalten und sich Wasser besorgen, aber die Verletzungen und die Müdigkeit würden auch für ihn nicht gerade hilfreich sein.

Dagger war klar, dass er dringend ausruhen musste. Er hatte einfach keine andere Wahl. Er konnte dieses Tempo einfach nicht mehr durchhalten, und verdammt, es fing auch schon wieder an dunkel zu werden. Er ließ sich von der Schwerkraft auf die weiche Erde hinunterziehen, um ein wenig zu verschnaufen.

Dann peitschte ihm ein weiterer Schuss aus einer Punch-Gun Erde fast ins Gesicht.

Er presste sich tiefer in den Boden, rollte sich seitwärts weg, weg von dem Schuss. Sein Verstand, der in solchen Dingen erfahren war, selbst wenn er im Augenblick die Orientierung ein wenig verloren hatte, sagte ihm, dass der Schuss von Süden kam. Das musste also Ferret sein. Wenn die beiden sich zusammentaten, dann war Dagger in einer ungünstigen Position, in der Zwickmühle sozusagen. Er riss sein Gewehr hoch, verfolgte mit dem Zielfernrohr die schnell verfliegende Plasmaspur, die zu der Stelle führte, von der der Schuss gekommen war, und markierte sie.

Dann rutschte er den Hang hinunter, tauschte Schussposition und Distanz gegen Sicherheit und Tarnung ein. Dort hinten steckte also dieses kleine Arschloch und versuchte besonders schlau zu sein. Dagegen würde er jetzt etwas unternehmen. Er brauchte nur wenige Sekunden, um den Punkt in seinem Fadenkreuz zu beleuchten und einen Schuss abzugeben. Es konnte ja sein, dass Ferret sich von dem Punkt entfernt hatte, aber wenn nicht, war er jetzt tot. Und wenn er sich entfernt hatte, würde er jetzt gleich lernen, dass Dagger sich darauf verstand, jemanden ausfindig zu machen.

Ferret hatte sich bewegt und gleich nach Dagger erneut geschossen. Dagger wälzte sich zur Seite, richtete sich auf und schoss ebenfalls noch einmal. Jede noch verbliebene Angst war jetzt wie aus ihm herausgespült. Das war das, wofür er lebte: eine Herausforderung an seinen Witz und seine Reflexe. »Nur zu, Ferret«, sprach er in das Komm. »Ich habe deinen Namen in eine Kugel geritzt.«

Ferret hörte das und erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hätte sich näher an Dagger heranarbeiten sollen, solange der abgelenkt war. Er hatte geglaubt, solange Dagger beschäftigt war, hätte ein Schuss eine gute Chance und sei relativ sicher. Er hatte nicht erwartet, dass der Mann Richtung und Bedrohung so schnell ausmachen und dann auch noch darauf reagieren würde können. Dagger war ein guter Schütze, ein verdammt guter Schütze sogar. Der erste Schuss war nur einen Meter entfernt gewesen, noch während er sich bewegt hatte. Und der zweite hätte ihm beinahe das Gesicht weggerissen.

Aber hinter dem Ego dieses verdammten Scharfschützen steckte etwas, das einfach nach einer Antwort schrie. »Zum Teufel, Dagger, ich habe keine Angst vor der mit meinem Namen drauf«, sagte er, und während er das sagte, bereitete er sich darauf vor, wieder zu schießen und weiter zu rennen, »aber die vielen anderen, auf denen bloß ›derzeitiger Bewohner‹ steht, ärgern mich wirklich.«

Damit hatte er den anderen genügend gereizt, erkannte Ferret, als ein weiterer Schuss vorbeipfiff. Aber jetzt hatte er sich festgelegt. Er verfügte über eine kleine Bodensenke, die ihm Deckung bot, nur Gesicht und Arme waren sichtbar, und jeder Schuss, der ihn traf, würde ihn so schnell töten, dass er das überhaupt nicht bemerken würde.

Sein Plan war es, unbewegt liegen zu bleiben, Dagger zu beobachten und dabei Schüsse abzugeben, die denen eines Scharfschützen so nahe wie möglich kamen. Das Visier der Punch-Gun war bei weitem nicht so präzise wie das eines Gauss-Karabiners, aber für Distanzen unter tausend Metern war es gut genug; theoretisch war die Waffe sogar genauer, da sie mit Lichtgeschwindigkeit schoss. Und die Stoßkraft – der »Punch« – auf kurze Distanz war wesentlich größer, daher die Slangbezeichnung, und jeder gute Schuss würde zählen.

Die Kugel, die Dagger gerade abgefeuert hatte, kam von genau dort. Ferret zielte so gut er konnte, sah eine kleine Bewegung, bei der es sich um den getarnten Dagger handeln konnte, und feuerte.

Er verfehlte sein Ziel offenbar, jedenfalls kam gleich darauf eine weitere Kugel herangeflogen. Sie fetzte das Gras auf und schlug so nahe bei ihm ein, dass er die Schockwelle spüren konnte. Für ein so winziges Projektil war das beeindruckend. Er würde noch einmal schießen und dann weiterziehen, entschied er und schob seine Waffe ein Stück nach rechts.

Dagger sah zu, wie die Schüsse hereinkamen. Dort drüben also war Ferret, und wenn sie weiter Schüsse wechselten, würde er über kurz oder lang treffen. Nur – Ferret würde möglicherweise ebenfalls treffen. Er war dort im Gras, aber selbst in der späten Nachmittagssonne war er auf Infrarot nicht zu erkennen. Es könnte also vielleicht klug sein, Deckung zu suchen.

Aber diese Beleidigung hatte ihn wirklich gereizt. Was zum Teufel bildete sich dieser Ferret eigentlich ein, seine Schießkünste zu kritisieren? Und wer zum Teufel war Tirdal? Sie hatten genauso viel geschossen wie er. Hielten die sich für etwas Besonderes? Waren sie vielleicht gar stolz darauf, dass sie es nicht schafften?

Nein, Ferret würde es ihm für diese Bemerkung heimzahlen. Und in dem Augenblick sah Dagger es.

Das Gras bewegte sich ganz leicht, und da war Ferret, schwer zu sehen, aber doch mit deutlichen Konturen. Er trug nicht Chamäleon. Entweder hatte er technische Probleme oder er hatte es einfach vergessen. Und jetzt war Zahltag!

»Aber Ferret«, sagte er, »anscheinend hast du dein Chamäleon vergessen.« Und noch während er das letzte Wort aussprach, streichelte er den Abzug.

Einen kurzen Augenblick lang stellte das Universum eine Verbindung zwischen zwei Bewusstseinen her.

Es war jene Verbindung zwischen Jäger und Beute. Die Beute wusste, dass sie einen kritischen und endgültigen Fehler gemacht hatte und blickte auf. Der Ausdruck in Ferrets Gesicht war nicht etwa Angst, wenn auch eine Andeutung davon zu verspüren war. Da war auch Widerwille wegen des Scheiterns nach einem so zähen Kampf. Aber in erster Linie war es Bedauern und Trauer darüber, dass das Artefakt jetzt den Planeten mit einem der beiden anderen verlassen würde.

Der Jäger wusste, dass sein Schuss ein Treffer war. Dagger lächelte ein grausames Lächeln, und eine Aufwallung fast sexueller Erregung durchpulste ihn. Je mehr Mühe das Ziel bereitet hatte, umso größer war der Nervenkitzel, und Ferret war ihm wirklich auf den Geist gegangen. Er hatte alle Zeit der Welt oder weniger als eine Sekunde. Sein Finger streichelte den Abzug, und das Gauss-Gewehr schleuderte sein Projektil mit einem Knall hinaus.

Auf diese Distanz konnte man die Flugzeit vernachlässigen. Durch das Zielfernrohr war eine »Kielwelle« in der Luft zu sehen, kleine Wellen, die sich von einem bogenförmigen, konischen Gebilde entfernten. Wie nannte man das doch gleich wieder?, überlegte Dagger. Er würde es irgendwann einmal nachschlagen müssen.

Dann fetzte das Geschoss durch Ferrets Gesicht, sein Mantel schälte sich ab und gab ein Mikrogramm Antimaterie frei. Das war überflüssig gewesen; jedes beliebige Geschoss hätte getötet. Aber Dagger war froh, dass es so exzessiv sein würde. Es gab eine leise, dumpfe Explosion, die er erst eine Sekunde später hören würde, weil Fleisch und Knochen zunächst die Reaktion dämpften, ehe sie sich vor der Schockwelle ausdehnten, zu schnell, als dass menschliche Augen es sehen könnten. Ferret verschwand einfach, alles oberhalb der Gürtellinie verdampfte in einer Kombination aus Dampfexplosion und Schockwelle. Seine Punch-Gun fiel zu Boden, nahm seine vom Körper abgetrennten Hände mit, und aus seiner unteren Körperhälfte spritzte es rot, rosa und grau – Innereien, die sich zu einem stinkenden Haufen vor ihm auftürmten.

»Das war klasse«, sagte Dagger im Flüsterton, und das Lächeln gefror ihm auf dem Gesicht. Ein Arschloch erledigt, noch eines übrig. »Hey, Tirdal«, sendete er, »Ferret liegt tot vor mir. Du bist der Nächste.«

Natürlich antwortete Tirdal. Er hatte immer eine schlagfertige Antwort parat. »Ja, zu dem Schluss bin ich auch gelangt. Wie bedauerlich für Ferret. Aber für mich macht es einiges leichter, wenn jetzt nur noch der schwächere Verstand hinter mir her ist. Wir werden einander in Kürze sehen, Dagger. Oder zumindest einer von uns wird den anderen sehen.«

»Dann solltest du besser hoffen, dass du das bist, Tirdal. Obwohl du nicht viel anderes tun kannst, als dich zu ducken. Mit diesem Schießprügel kommst du nicht auf Schussweite an mich heran.«

»›Hoffnung‹ ist ein Begriff, den wir Darhel nicht kennen«, erwiderte Tirdal. »Wir werden einfach sehen. ›Viel Glück‹, in der Sprache der Menschen.«

»Ja, du kannst mich auch mal, Darhel. Jetzt sind sechs weg und noch einer übrig«, sagte Dagger.

Tirdal war jetzt bloß noch lästig. Mit dem einen Abschuss auf seiner Liste fühlte Dagger sich gleich wesentlich besser.

Immerhin, es würde schnell dunkel werden. Sein Hochgefühl überdeckte eine bleierne Welle von Müdigkeit, die ihn zu Boden zerren wollte. Am besten entfernte er sich ein kleines Stück und suchte sich irgendwo eine Stelle, um sich … für die Nacht … zu verstecken. Keine angenehme Vorstellung, aber er würde sich vor Tirdal und lokalen Lebewesen verstecken, nicht vor der Dunkelheit. Er war ziemlich dicht an Tirdal herangekommen und konnte seinen Standort beobachten, auch diesen ausgefransten Punkt am Felsvorsprung, für den Fall, dass der Elf heraufkam, um nachzusehen. Aber er hätte gewettet, dass Freund Darhel dafür zu furchtsam und zu unerfahren war.

Unterdessen ging es um Nahrung und Wasser. Sein Prozessor konnte salatähnliches Zeug herstellen, das eine Menge Flüssigkeit enthielt. Das würde genügen müssen, entschied er. Es würde zwar wie Gras schmecken, ihn aber immerhin für den Augenblick am Leben erhalten. Und Tirdal würde nicht angreifen, weil er sich nicht darauf verlassen konnte, bis auf Schussweite an ihn heranzukommen, ohne selbst erschossen zu werden. Dagger befand sich für den Augenblick in der günstigeren Position, nämlich oben.

Wo aber jetzt das Lager aufschlagen? Er konnte sich erneut an den Hang schmiegen und sich bis zum Hals mit Erde bedecken und Kopf und Schultern mit dem Tarnzeug aus seinem Rucksack abdecken, das er mit ein paar Steinen und Ästen abstützte. Ja, das würde gehen. Unter Umständen würde das sogar kühl sein, er brauchte dazu nur die Anzugtemperatur ein wenig herunterzudrehen. Die Erde würde die Energie absorbieren und sie abstrahlen, und das weit genug verteilt, sodass man es nicht bemerkte.

Aber eines nach dem anderen. Er musste ein Nano für seinen Knöchel schlucken, eine Menge Gras in den Prozessor stopfen, damit der ihm Wasser lieferte, und schließlich seinen Gewehrlauf reinigen.

Mit einiger Mühe arbeitete er sich aus dem Geröll heraus und fing vorsichtig an zu kriechen. Auf die Weise blieb er dicht am Boden und schützte zugleich seinen schmerzenden Knöchel. Er riss mit beiden Händen Gras aus und stopfte es in den Prozessor, bis der voll war. Wenn man ihn nicht so voll packte, funktionierte er besser, aber dies war schließlich eine Notsituation. Er presste den Nanoträger gegen seinen Knöchel. Das Zeug drang ein, fühlte sich kalt an, dann begann der Knöchel zu jucken und wurde schließlich taub. Hoffentlich würde er ihn in der Morgendämmerung wieder einsetzen können.

Er musste sich damit begnügen, den Lauf seines Karabiners mit einem Reinigungsstab zu säubern, anstatt ihn völlig zu zerlegen. Er konnte einfach das Risiko nicht eingehen, dass er einzelne Teile verlor. Die elektrostatisch geladene Bürste schien aber alles herauszuputzen, und er würde einfach davon ausgehen müssen, dass das Zielfernrohr noch richtig justiert war, und es, wenn nötig, eben neu einstellen. Für Ferret hatte es gereicht, aber da hatte die Distanz auch nicht einmal tausend Meter betragen, und er wusste nicht, wie genau das Geschoss getroffen hatte. Ein paar Mikroradians daneben war eine Abweichung, die sich bei größerer Distanz erheblich aufbaute. Außerdem konnte es sein, dass es sich gelockert hatte, und das würde seine Zielsicherheit beeinträchtigen. Aber im Augenblick war daran nichts zu ändern.

Es war jetzt beinahe dunkel, das Licht verblasste ebenso schnell wie in den Tropen der Erde, selbst in dieser Breite. Er warf einen prüfenden Blick auf den Prozessor und wurde mit dem Anblick grüner, rechtwinkliger Blätter belohnt, die an Salatblätter erinnerten. Er schnappte sie sich, so schnell sie herauskamen, stopfte sie sich in den Mund und kaute. Ja, eine halbe Stunde mit diesem Zeug, und er würde genügend Flüssigkeit für einen Tag haben. Und wenn er dann aufwachte, musste er dringend ein Ei legen, entschied er. Unglaublich, wie lange diese Jagd schon dauerte.

Obwohl er sich nach dem Essen erfrischt und gesünder fühlte, war Dagger doch unbeschreiblich erschöpft. Der Schmerz zerrte und zupfte immer noch an seinem Bein, und dazu kamen die Dutzende kleiner Wehwehchen und Gebrechen, die sich zwischen den Schlafperioden noch verstärkten. Er rollte sich zusammen, zog sich die Decke über Kopf und Schultern und trat mit seinem unverletzten Fuß nach unten. Erde rieselte weich über ihn herunter und verdeckte alles außer seinem Gesicht. Solange er die Chamäleonschaltung aufrechterhielt, sollte er eigentlich unsichtbar sein.

Und morgen, dachte er, während sein Bewusstsein langsam verblasste, morgen würde er sich um diesen verdammten Elf kümmern.

Tirdal beschloss ein wenig auszuruhen, ehe er den Marsch fortsetzte. Da Dagger jetzt ruhig war, konnte er das tun, obwohl er natürlich keine Garantie dafür hatte, dass es lange so bleiben würde. Aber das würde Zeit bis später haben – falls es ein Später gab. Da waren Dinge, die jetzt erledigt werden mussten, beispielsweise einen Ort aufsuchen, der ihm Schutz gegen Schüsse oder Raubtiere bot. Er war nicht sicher, ob er den Unterschied zwischen dem schlafenden Dagger und Dagger in Schießtrance fühlen konnte, und deshalb hatte er vor, weiterhin auf gute Deckung zu achten und vorsichtig zu sein. Probehalber fühlte er nach Süden, entdeckte dort aber nichts, was auf Ferrets Anwesenheit deutete, und als Dagger geschossen hatte, war da ein kurzes Aufblitzen von Furcht gewesen. Trotzdem rief er: »Ferret, bist du da?« Keine Antwort. Er musste also davon ausgehen, dass Ferret tot war. Nicht gut. Der junge Mann hatte ganz eindeutig gezeigt, was in ihm steckte – er hatte sie zwei Tage lang verfolgt, obwohl er schwer verwundet gewesen war. Er hätte ein besseres Los verdient.

Die Flieger hatten Tirdal ziemlich beunruhigt, aber jetzt kreisten sie im schwächer werdenden Tageslicht ein gutes Stück südlich von ihm. Vermutlich hatte der Schuss auf Ferret genügend Dampf hochgeschleudert, um den Blutgeruch deutlich herauskommen zu lassen. Das würde ihr Interesse erklären. Er wusste nicht, ob es Nachtgeschöpfe waren, aber jedenfalls war es gut, dass sie seine unmittelbare Umgebung verlassen hatten.

Tirdal wusste, dass es für Menschen unangenehm wäre zu wissen, dass diese Kreaturen einen der ihren auffraßen. Ihm setzte das emotional überhaupt nicht zu, er war lediglich froh, dass sie damit von ihm abgelenkt wurden. Ferret hatte bei dem Vorfall eine beeindruckende Leistung gezeigt, und das galt es zu überlegen und zu berichten. Und unterdessen war er Tirdal immer noch nützlich, auch wenn er jetzt nur mehr einen Köder darstellte. Er wünschte, er hätte sein Bewusstsein besser untersuchen können. Es war verängstigt, verletzt und überwältigt gewesen, hatte aber trotz aller Behinderungen unbeirrt an seinem Ziel festgehalten. Wahrhaft das Herz eines Kriegers, so wenig ausge| bildet und erfahren es auch gewesen war.

Aber das Universum war nicht fair, und darüber nachzugrübeln würde nichts ändern. Tirdal würde später meditieren und an Ferret denken; für den Augenblick gab es Dringenderes zu tun. Er ließ sich so tief es ging in die Senke hinunter, die der Bach sich gegraben hatte, und stellte damit sicher, dass sein Kopf von draußen nicht zu sehen war.

Als Erstes kam die Wunde an seinem Rücken. Sie befand sich an einem Ort, wo sich normalerweise ein Kamerad um ihre Versorgung kümmern musste, aber das stand hier nicht zur Debatte. Er öffnete seinen Anzug und zog ihn herunter, vermied es dabei, seinen eigenen Schweißgestank einzuatmen. Zweihundertundsiebzig Erdstunden in dem Anzug ohne zu baden. Das war einer der glanzvolleren Aspekte des Militärdienstes.

Vorsichtig griff er nach hinten und konnte mit einigen Verrenkungen eine mit Nanniten beladene Bandage anbringen. Die Wunde würde in zwei oder drei Tagen heilen, entschied er, allerdings eine Furche hinterlassen, die später von Fachleuten behandelt werden musste. Und bis dahin würde er diese Box nicht mehr auf der Schulter tragen.

Am besten steckte er sie in seine Streifentasche und verteilte so das Gewicht etwas. Wenn er den Hüftgurt straffer zog und dazu auch das Kopfband benutzte, konnte er die Masse ganz gut verteilen. Aber so beladen würde er weniger flexibel sein. Wahrscheinlich würde er das Gewicht doch wieder auf seine Schultern laden und irgendwie damit zurechtkommen müssen.

Dazu sollte er überflüssige Masse entfernen. Es gab Dinge in der Tasche, die er ganz sicherlich bei diesem Einsatz nicht mehr brauchen würde, also griff er hinein und fing an zu sortieren.

Er würde den Anzug wechseln, entschied er. Den beschädigten konnte er zurücklassen. Er überlegte einen Augenblick, blieb aber dann dabei, ja, das würde gehen. Selbst wenn die Chamäleonstromkreise ausfielen, hatte er doch vor, weit genug entfernt zu sein, um Daggers Feuer ausweichen zu können, und die Tarnung hatte ihm bis jetzt nicht geholfen, weshalb also einen zerrissenen Anzug behalten? Er zog den Reißverschluss auf und schlüpfte mit steifen Schultern und geduckt in den anderen Anzug. Dabei nahm er eine ganze Menge Sand mit, aber das ließ sich nicht vermeiden. Jetzt, um fünf Kilo erleichtert, überlegte er, worauf er sonst noch verzichten konnte.

Socken. Eigentlich brauchte er keine Socken, auch wenn die Menschen sie ausgaben, und er würde sich in nächster Zeit ohnehin nicht noch einmal umziehen. Es reichte also, ein Paar zu behalten und den Rest liegen zu lassen. Er überlegte, sie als zusätzliche Polsterung für die Trageriemen zu benutzen, aber da er ohnehin das Gewicht reduzierte, konnte er sich das auch sparen.

Munition. Das Energiepack in der Punch-Gun reichte noch für achtzig Schüsse bei voller Leistung. Das sollte genügen. Trotzdem würde er sich ein Ersatzmagazin mitnehmen. Blieben vier, die er hier lassen konnte. Seine Kamera und den Recorder behielt er besser. Sie waren nicht schwer und enthielten wichtige Informationen.

Damit hatte er seine Last um etwa zehn Kilo reduziert. Das würde durchaus hilfreich sein, und jetzt, wo er die Box in seinem Pack trug, war sie bei weitem nicht mehr so sperrig.

Aber warum tat er das? Tirdal zweifelte keine Sekunde daran, dass der Scharfschütze irgendwo ein Peilgerät hatte, und die Box war dafür der logische Ort. Er saß da, hielt sie im Schoß, drehte sie hin und her, bis er den Transponder schließlich fand. Ein fast nicht wahrnehmbarer Fleck, der ebenso gut Schmutz hätte sein können, bloß dass er sich nicht wegwischen ließ, auch mit einiger Mühe nicht. Um die Peilmarken zu entfernen, brauchte man ein spezielles Lösungsmittel. Er versuchte mit seiner Monomolekularklinge daran herumzukratzen, schaffte es aber nur, den Deckel des Geräts zu zerkratzen.

Also. Er wurde angepeilt, nicht nur verfolgt. Mit Verfolgung hätte er klarkommen können; Dagger würde ihm schließlich nahe kommen, und dann würde er eine vernünftige Chance haben. Er hätte gleich im Camp auf eine Entscheidung drängen müssen, in Kontakt bleiben. Aber vor die Wahl gestellt, von einem Hornissengeschoss getroffen zu werden oder gegen das ultimative Verbot zu verstoßen, ein vernunftbegabtes Wesen zu töten, hatte er sich für das seiner Ansicht nach geringere Übel entschieden. Er hätte Druck machen müssen, als Ferret zu schießen begonnen hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte er Dagger zwar nicht gesehen, aber ein paar Schüsse als Feuerschutz hätten sicherlich nicht geschadet. Zumindest wäre es für Ferrets Moral gut gewesen – und es hätte Dagger vielleicht aus dem Konzept gebracht. Aber in Wahrheit brauchte sein Darhel-Bewusstsein eine sehr dezidierte Entscheidung, um überhaupt zu schießen, und die hatte er nicht getroffen. Und jetzt würde er den Preis dafür bezahlen müssen.

Er wusste, dass er angepeilt wurde. Aber wusste Dagger, dass er das wusste? Das war die Frage. Seit der Zeit auf der Wiese hatte der Scharfschütze nicht mehr so bereitwillig auf Provokationen reagiert, aber Tirdal konnte seine Wut und seinen Zorn dort draußen spüren, irgendwo. Nicht nahe, aber ganz sicher auf seiner Spur. Wenn ihm nicht bewusst war, dass Tirdal das Gerät irgendwo abgelegt hatte … ja, das war eine Idee.

Jetzt herrschte Ruhe. Ruhe gegenüber seinem Sinn im schwächer werdenden Licht. Hatte Dagger beschlossen, auszuruhen? Wenn das der Fall war, konnte Tirdal sich an ihn heranpirschen und ihn töten.

Das Problem war, dass er seinen Sinn dafür nicht einsetzen durfte, da ihn sonst die Reaktion auf den Kampf ins Lintatai schleudern würde. Aber ohne seinen Sinn war er einem Schuss Daggers hilflos ausgesetzt.

Nein, Dagger musste nahe genug herankommen, durfte aber nicht zum Schuss kommen. In der Hinsicht war ein sich ausruhender Dagger von Nachteil. Tirdal war darauf angewiesen, dass er nicht mit sich im Reinen war. Er konnte den Mann natürlich wecken, aber das würde seinen Plan verraten. Dagger würde zwar noch müder werden, aber wissen, dass Tirdal sich ihm nicht nähern konnte. Das war ein Vorteil, den er sich bewahren musste.

Er überlegte, sich nach Süden zurückzuziehen, zurück an den Schauplatz der Morde. Dort lag ihr gesamtes Gerät. Aber darunter war nichts, was er brauchte, was den weiten Marsch gerechtfertigt hätte, und darüber hinaus würde auf die Weise Dagger zwischen ihm und dem zweiten Abholpunkt sein; das schränkte seine Optionen ein. Es wäre schön, einiges von dem Gerät zu haben, aber nicht genügend lohnend. Ferrets Peilgerät für Lebenssignale könnte nützlich sein, und wahrscheinlich hatte er auch Munition und Wasser. Aber er war im Gebrauch des Peilgeräts nicht geübt und würde seine Deckung verlassen müssen, um es zu holen. Nein, auch das lohnte nicht.

Also hieß es zunächst ruhen und sich dann wieder in Bewegung setzen, wenn Dagger sich rührte. Tirdal sandte seinen Sinn hinaus, tastete die Umgebung nach Wetter und Lebewesen ab, dabei einem ganz bestimmten Lebewesen, und lehnte sich dann an seinen Rucksack. Sein Überbewusstsein konnte sich entspannen und erholen, während sein Unterbewusstsein wach blieb. Das war nicht so gut wie echter Schlaf, aber nachhaltige Meditation würde helfen.