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Ihre Route für den Rückmarsch verlief quer über die flachen Hügel, mit denen sie schon vorher Bekanntschaft gemacht hatten. Eine Weile bewegten sie sich auf Wildpfaden, die parallel zu den Hügeln verliefen. Vermutlich handelte es sich bei diesen Hügeln um die Überreste eines alten Gebirges, denen die Elemente im Laufe der Jahrhunderttausende zugesetzt hatten, möglicherweise um die Ausläufer der höheren Gebirgszüge, die sich im Osten und Westen des Gletschertals und der Flussebene dazwischen auftürmten. Es gab auch andere Anzeichen auf vulkanische Aktivität in ferner Vergangenheit, die darauf hindeuteten, dass dieses Gelände eine bewegte Jugend durchgemacht hatte.

Sobald sie die Tslek-»Anlage« hinter sich gelassen hatten, beschleunigten sie ihren Marsch und verließen die Wildpfade. Raubtiere aller Art liebten solche Pfade aus naheliegenden Gründen, und keiner der FATs sehnte sich nach einem Kampf. Andere Gründe für über das Normalmaß hinausgehende Vorsicht gab es nicht, dafür tausend Gründe, den Planeten so schnell wie möglich zu verlassen. Deshalb beeilten sie sich; Ferret kam gut voran und legte ein beachtliches Geschick im Aufspüren gut begehbarer Routen an den Tag, ohne dabei darauf zu verzichten, den Schutz hoher Büsche zu suchen. Es war nur selten erforderlich, Umwege um Hindernisse zu machen, bloß einmal ließ er sie einen weiten Bogen um einen umgestürzten Baumstamm schlagen, der vielleicht ein Nest der bissigen Ameisen hätte enthalten können. Tirdal beobachtete Ferret dabei und versuchte herauszubekommen, wie er das machte. Es handelte sich ganz offenkundig um eine Fähigkeit, in der er selbst über keinerlei Erfahrung verfügte.

In der zweiten Nacht kamen sie an einen ziemlich tiefen Fluss mit kräftiger Strömung, der sich eine Schlucht durch die Felsformationen vor ihnen gegraben hatte.

»Wir müssen einen Umweg stromabwärts machen, bis wir eine passende Furt finden«, sagte Ferret. »Es sei denn, wir wollen eine Brücke aus Moly-Seil bauen.«

»Nein«, entschied Shiva. »Da ist es sicherer und vermutlich auch weniger zeitraubend, einen Umweg zu machen. Fünf Minuten Pause, dann geht's weiter.«

Der Weg stromabwärts führte sie über mit Geröll und größeren Felsbrocken übersätes vulkanisches Gestein mit unregelmäßig wachsenden Bäumen am Uferrand, die weiter hinten höher und gerade wurden. Der Boden war üppig und roch angenehm, Mineralstoffe aus aufgebrochenem Gestein und verfaulten Blättern hatten ihn dunkel und fruchtbar gemacht. Für die erfahrenen Soldaten stellte er kein besonderes Hindernis dar, da er meist bergab führte und es genügend Möglichkeiten zum Festhalten gab. Sie brachten schnell drei Kilometer des steilen, felsigen Ufers hinter sich, wobei die Bots stets die Vorhut bildeten.

»Vor uns wird es eben«, teilte Gorilla mit.

Zehn Minuten später wurde das Gelände flach. Sie befanden sich wieder auf der Gletscherebene. Kaum dass sie eine Stelle erreicht hatten, die so aussah, als würde sie sich für die Flussüberquerung eignen, rief Gorilla: »Hey! Anomalie!« Das war nicht sonderlich laut, aber eindringlich.

»Welche Art?«, fragte Bell Toll, während Shiva die anderen mit einer Handbewegung aufforderte, einen Halbkreis zu bilden.

»Nicht hier«, antwortete Gorilla und schüttelte den Kopf. »Vor uns in westlicher Richtung. Eine Energiesignatur. Klein und unbewegt.«

»Ist das nicht großartig?«, witzelte Bell Toll. »Okay, sehen Sie zu, dass Sie mit den Bots möglichst viel rausfinden. Alle bleiben hier. Tirdal, was haben Sie für mich? Können Sie es spüren?«

»Ja, jetzt schon.« Er nickte. »Es ist ganz schwach. Nicht Tslek. Da ist etwas, aber es scheint nicht einmal lebendig zu sein. Einfach … da, anwesend. Und es hat eine psychische Komponente. Mehr kann ich jetzt nicht sagen. Aber ganz eindeutig nicht lebendig.«

»Okay, Ferret übernimmt die Spitze, Sie rücken ein Stück zu ihm auf und halten die Augen offen. Denken Sie daran, dass er im Anschleichen mehr Erfahrung hat als Sie. Gorilla, Sie lassen Ihre Bots weit ausschwärmen und ganz langsam vorgehen; wir wollen vermeiden, dieses Ding zu erschrecken, was immer es auch sein mag, aber wir müssen es selbst sehen. Shiva, arbeiten Sie zwei Rückzugsrouten aus – eine langsam und vorsichtig, die andere auf Teufel komm raus. Bitte alle bestätigen … okay, gehen wir's an.«

Tirdal und Ferret legten ihre Rucksäcke ab und krochen davon. Das Bildmaterial von Gorillas Bots half ihnen, dem wuchernden Wurzelwerk auszuweichen. Der Boden war jetzt wieder weich und sumpfig, und die Luft mit dem Geruch feuchten, verfaulenden Lebens geschwängert. Die einzigen Lebewesen, die sie zu sehen bekamen, waren winzige Aasfresser. Solange sie so auf dem Boden dahinkrochen, boten ihnen die schirmähnlichen Blätterkronen der Büsche Deckung. Auf ihrem Weg zwischen den verschlungenen Baumwurzeln kamen sie an einem Ameisenhaufen mit dichtem Verkehr käferähnlicher Insekten vorbei, die weniger als einen Zentimeter lang waren. Ferret schüttelte ein paar von ihnen ab, die ihn zu beißen versuchten, weil sie ihn offenbar für eine abgestorbene Proteinquelle hielten.

»Autsch«, murmelte er. »Das gibt wieder Schwellungen. Die sind zwar nicht so schlimm wie diese anderen Mistviecher, aber pass auf, Tirdal.«

»Ich sehe sie«, sagte Tirdal. »Pass auf.« Er holte ein Stück von etwas Essbarem aus einem angebrochenen Rationspäckchen aus dem Beutel, den er an der Hüfte trug, fuchtelte damit vor dem Ameisenhaufen herum und ließ es dann etwa einen Meter davon entfernt fallen. Es handelte sich um eine Art überzuckerten Keks; die gierigen kleinen Monster fielen sofort darüber her und ignorierten ihn.

»Ich will sehen, was die Bots an Bildern liefern«, bat Ferret. Gorilla kam der Aufforderung nach und lieferte ihm ein Bild auf Bodenhöhe im sichtbaren Spektrum. Vor ihnen lag etwas, das man beinahe als Lichtung bezeichnen konnte; eine jener Stellen, wo der Baumbestand spärlich genug war, dass man ein kleines Lager aufschlagen oder sogar ein Scout-Schiff hätte landen können. Die Bots waren dort zum Stillstand gekommen. Sie waren so programmiert, dass sie innehielten, wenn sie auf etwas stießen, dessen Muster nicht als »natürlich« registriert war, und was hier zu sehen war, entsprach ganz eindeutig dieser Definition.

»Sehe ich da richtig?«, fragte Ferret.

»Allerdings«, erwiderte Gorilla. »Bloß dass ich nicht weiß, was es ist.« Man konnte eigentlich nur eine mit spärlicher Vegetation bedeckte Stelle zwischen den Bäumen erkennen, auf der ein paar Erhöhungen und kleine Hügel zu sehen waren. Sie erinnerten an Begräbnisstätten einer untergegangenen Zivilisation, verwittert und von den Jahrhunderten mitgenommen. Das Ganze hatte etwas Unwirkliches an sich, das selbst die Menschen spüren konnten.

»Die Quelle ist irgendwo dort drinnen«, sagte Gorilla. »Nichts Bedrohliches. Ich habe die beiden Bots darauf angesetzt, und die Flieger sitzen dahinter auf den Bäumen. Nichts wahrzunehmen, nur lokale Lebensformen.«

»Gorilla«, entschied Bell Toll, »schicken Sie einen Bot hinein, aber ganz langsam. Schritt für Schritt. Ferret und Tirdal sollen bis zum Rand vorrücken. Wir bleiben zurück und halten uns bereit. Thor und Shiva, Sie beide geben uns Rückendeckung.« Ein paar Bestätigungstöne, und das Team setzte sich in Bewegung.

Sie hatten vielleicht fünf Meter zurückgelegt, als Gorilla »Halt« sagte. Alle erstarrten, die Finger am Abzug, bis er erklärte: »Keine Bedrohung, aber ich habe die Quelle jetzt identifiziert. Der Hügel in der Mitte, dort ist es. Energieausstrahlungen, aber ganz schwach.«

»Okay«, bestätigte Bell Toll. »Dann gehen wir jetzt hinein. Ferret und Tirdal, Sie warten dort, wo Sie sind. Gun Doll und ich beziehen links Stellung, Dagger und Shiva rechts. Gorilla rückt vor und löst Ferret ab, und dann geht Ferret hinein.«

Bei genauerer Untersuchung zeigte sich, dass sie es nicht mit einer Lichtung zu tun hatten, das Gelände war wie das umliegende Terrain mit Bäumen bestanden, aber in einem Radius rings um den Hügel in der Mitte waren die Bäume offenbar im Wachstum beeinträchtigt, außerdem ragten Steine aus dem Lehmboden.

Das Fehlen jeglicher Tiere und die verwachsenen Bäume verliehen dem Ganzen eine seltsame Aura.

»Strahlung?«, fragte Bell Toll.

»Nicht wesentlich über normalem Hintergrundniveau«, sagte Gorilla, nachdem er seine Sensoren studiert hatte.

»Die ausgestrahlte Frequenz hat einen leichten Puls«, fügte Dagger hinzu. »Gleichmäßig. Nichts Gefährliches, aber ich nehme an, dass sich das über die Jahre hinweg aufbaut. Es könnten auch Chemikalien im Boden sein, je nachdem, was für ein Gerät das ist. Die Oberfläche hier zeigt jedenfalls eine andere Signatur. Und diese Steine sind seltsam.«

Sie standen jetzt zwischen den Hügeln, wobei Ferret und Thor ihnen den Rücken ebenso wie Gun Doll zuwandten, deren automatische Kanone sich langsam im Kreis bewegte, während sie die Bäume musterte.

Tirdal wischte über einen der Steine und untersuchte die Einkerbungen, die jetzt unter der Erde sichtbar wurden, welche daran geklebt hatte. Es handelte sich um einen mit einer Strangpresse hergestellten Block, nicht etwa einen behauenen, natürlichen Stein.

»Piasbeton«, sagte er leise.

Die anderen rückten vorsichtig näher.

»Was haben Sie da gesagt?«, fragte Bell Toll.

»Piasbeton«, wiederholte er. »Da, sehen Sie sich die Pressspuren und die Struktur an. Das ist hier ohne Rücksicht auf gutes Aussehen produziert worden.«

Gun Doll strich mit den Fingern über die abgesplitterten Ränder des Betonbrockens.

»Wie alt muss Piasbeton sein, um solche Sprünge zu bekommen?«

»Sehr alt, würde ich vermuten … und spüren«, sagte Tirdal.

Als sie die anderen aus dem Boden ragenden Steine untersuchten, wurde allen klar, dass sie es mit einem Ruinenfeld zu tun hatten. Es musste sich um die Überreste eines sehr alten Gebäudes, vielleicht auch einer Festung handeln, Hunderte, möglicherweise Tausende von Jahren alt. Alles, was übrig geblieben war, waren ein paar von verformten, genetisch beschädigten Bäumen und Gestrüpp überwucherte Plasbetonhaufen. Im Zwielicht und dem kalten Nieselregen war das eine unheimliche Szene, die einem Angst machen konnte.

Gorilla hatte den Bot vorsichtig den Brocken anbohren lassen. Der Bot hatte einen Bohrkern angesetzt, danach mit einer pneumatischen Ramme die Sprünge zwischen den Löchern ausgeweitet und vorsichtig einzelne Teile herausgeholt. Dann nahm er einen weiteren, diesmal etwas tieferen Schnitt vor. Ferret, Dagger und Shiva hielten in einiger Entfernung Wache, die Nerven zum Zerreißen gespannt, bereit, auf jede bedrohliche Bewegung oder jede Bewegung überhaupt zu reagieren. Die andere Hälfte des Teams hatte sich so positioniert, um alles aufzuhalten, was möglicherweise aus der Grabung herausschießen könnte.

»Energiequelle«, sagte Tirdal.

»Ja?«, setzte Bell Toll nach.

»Ich bin nicht sicher. Bloß irgendeine Energiequelle. Sie fühlen sich alle irgendwie ähnlich an … Wärme, Radio, UV … bloß ein Gefühl von eindringenden Strahlen, nicht genug, um schädlich zu sein.«

»Haben Sie das, Gorilla?«, fragte Bell Toll.

»Ja«, nickte der bedächtig und nahm eine Schaltung an dem Bot vor, um ihn zu veranlassen, seine Grabung etwas breiter anzulegen, ehe er tiefer ging. »Wir werden entweder diese Blöcke verstecken müssen, die der Bot zerschneidet, oder sie nachher wieder hineinstecken müssen. Sonst verraten wir, dass wir hier waren.«

»Ja«, nickte Bell Toll. »Aber viel tiefer kann es doch nicht mehr sein, oder?«

»Da«, sagte Tirdal, wie um darauf zu antworten.

»Ja, der Bot sieht es jetzt«, nickte Gorilla und blickte auf seinen Bildschirm. »Ich mache außen rum frei. Das ist irgendeine Energiequelle, die in Piastahl eingekapselt ist.«

Bell Toll schaltete sein Helmgerät auf Vergrößerung und bessere Auflösung und versuchte an den Gliedmaßen des kleinen Bots vorbei besser in das Loch zu sehen.

»Oh Scheiße«, sagte er dann mit leiser Stimme.

»Was?«, fragte Gun Doll, die am nächsten bei der Grabung stand. Sie rief ihren eigenen Bildschirm auf und sagte »›Oh Scheiße‹ ist genau richtig.«

Von dem Behälter war jetzt genügend freigelegt, dass man seine Bauweise erkennen konnte. Im Verein mit den Energiewerten war es jetzt allen klar, die sich mit Geschichte oder militärischen Dingen befasst hatten, was da vor ihnen lag.

Das war ein Aldenata-Artefakt. Offensichtlich ein funktionierendes.

Die Aldenata waren ausgestorben. Sie waren es gewesen, die die Posleen für den Krieg gezüchtet hatten und denen die eigene Schöpfung dann so entglitten war, dass die Posleen zu einer marodierenden Gefahr für die ganze Galaxis geworden waren. Sie hatten die Darhel geschaffen, die verwalten konnten, aber nicht imstande waren zu kämpfen, um sich zu verteidigen. Auch an den Indowy und Tchpth und möglicherweise sogar an den Menschen hatten sie sich zu schaffen gemacht. Und neben den beschädigten Rassen dieses Teils der Galaxis hatten sie ein paar Anlagen und einige ganz wenige Artefakte hinterlassen. Was auch immer schließlich ihnen den Garaus gemacht hatte, war gründlich gewesen – nur dass niemand wusste, was es gewesen war. Zumindest die Menschen wussten es nicht. Und die anderen Rassen sprachen nicht gern darüber.

Der Behälter war nicht besonders groß, etwa einen halben Meter Kantenlänge und etwas länger als breit. Er war mit zwei seltsam geformten Handgriffen versehen, mit deren Hilfe die Bots ihn jetzt an die Oberfläche zerrten. Nach sorgfältiger Reinigung durch Gorilla und Gun Doll waren an der Oberfläche irgendwelche Stellmechanismen und Schriftzeichen zu erkennen.

»Das könnte alles Mögliche sein«, sagte Gun Doll, als sie die Erde wegwischte, um den Text freizulegen, und dann eine Kamera und einen Maßstab herausholte. Hier konnten sie den Text nicht entziffern, aber Bilder davon konnten sie speichern.

»Ja, aber jedes Industrieunternehmen würde dafür locker eine Milliarde Credits hinlegen«, sagte Bell Toll. Selbst wenn ihr Fund nicht verkauft wurde, durften die Soldaten mit einer Prämie dafür rechnen, mit der sie alle ihr restliches Leben äußerst behaglich würden verbringen können.

»Also, zehn Prozent von einer Milliarde geteilt durch acht …«, murmelte Dagger und schob sich neben das Loch, um hineinblicken zu können. Damit meinte er die vermutliche Bergungsprämie, die sie bekommen würden, falls die Regierung es verkaufte.

»Dagger, zurück, wo Sie hingehören«, herrschte Bell Toll ihn leise an. Sie brauchten die Augen des Scharfschützen, um nach Klecksen Ausschau zu halten, nicht dazu, Profite zu berechnen.

»Yeah, schon gut«, brummte der und trollte sich wieder.

»Captain, sollte ich ein paar Bilder für unsere Forscher machen?«, fragte Tirdal. »Wir haben mehr Erfahrung mit Aldenata-Gerät als Sie.«

»Das liegt zum Teil daran, weil ihr alle Informationen für euch behaltet, aber nur zu«, sagte Bell Toll, bei dem jetzt doch ein wenig Vorurteil durchkam. Tirdal ging nicht darauf ein und machte ein paar Bilder von dem Gerät.

Sie drehten noch ein paar Felsbrocken um und ließen die Bots ein paar Testbohrungen anstellen, um festzustellen, ob sonst noch etwas hier versteckt lag, aber da war nichts zu finden.

»Ich spüre sonst nichts«, pflichtete Tirdal den anderen bei. »Bloß die Energie von dem hier«, dabei deutete er auf das Gerät, »und es fühlt sich an, als wäre es sozusagen im Leerlauf, als würde es warten.«

Damit war für sie hier nichts mehr zu tun, bis sich eine regelrechte archäologische Expedition der Fundstelle annahm, womit zu rechnen war, falls die Menschen je diese Welt einnahmen.

»Also, dann wollen wir hier sauber machen und verschwinden«, ordnete Bell Toll an. »Den Kasten nehmen wir mit, damit sollen sich die Fachleute beschäftigen.«

Gorilla ließ die Bots die Piasbetonstücke wieder eingraben, währen die Soldaten sich darin abwechselten, die Bot-Spuren sowie Schleifspuren an den Steinen zu beseitigen, wie das nur ausgebildete Special-Operations-Leute können.

»Ich kann den Schaden auf diese nahe Distanz leicht erkennen«, sagte Tirdal, als sie fertig waren, »aber einem routinemäßigen Beobachter würde wahrscheinlieh nichts auffallen.«

»Ich kann es sehen«, trumpfte Dagger auf. »Und wenn ich das kann, können andere das auch, wenn sie sich genügend Mühe geben. Aber bis wir hier verduftet sind, sollte es keine echten Suchaktionen geben.«

»Trotzdem, wir sollten versuchen, unsere Spuren in beiden Richtungen zu verwischen«, schlug Shiva vor.

»Der Ansicht bin ich auch«, sagte Bell Toll. Die Soldaten machten sich seufzend ans Werk.

Bei guter Tarnung kommt es entscheidend darauf an, es nicht zu übertreiben, sonst wird das Gelände ein »Garten«, blitzsauber und auffällig anstatt nichts sagend und rauh. Nach echter Zen-Art ist es schwieriger, wenig zu tun als nichts zu tun. Aber als der Abend dämmerte und Regen einsetzte, deutete nur noch wenig darauf hin, dass hier irgendetwas vorgefallen war. Eine gut organisierte Suche würde möglicherweise etwas erkennen lassen, aber keineswegs eine oberflächliche Betrachtung. Wenn sie ihre Sache richtig gemacht hatten, würde der Regen in Kürze alle noch verbliebenen Spuren wegwaschen. Wenn er andererseits die weiche Erde wegspülte, würden Fehler, die ihnen unterlaufen waren, natürlich deutlich erkennbar werden. Deshalb war es auf alle Fälle am besten, schnell abzuziehen.

Bell Toll nahm das klobige Artefakt und schnallte es sich unter einer Chamäleonhülle auf seinen Rucksack. Er stöhnte unwillkürlich auf, als er es hoch stemmte – es war zwar nicht gerade ungewöhnlich schwer, aber leicht war es keineswegs.

Durch den Schlamm zu stapfen ist alte militärische Tradition, die so weit zurückreicht, wie Menschen Kriege geführt haben, also immer. Das ist etwas, woran sich jede militärische Organisation gewöhnen muss, aber trotz aller anderslautenden Witze tut das nie eine.

Der Schlamm verlangsamt die Schritte, klebt an den Stiefeln fest und quillt schließlich hinein, kalt, nass, klebrig und manchmal mit scharfen Splittern durchsetzt. Er spritzt bis in Gesichtshöhe auf, ganz gleich wie hoch das auch sein mag, und ist ganz allgemein betrachtet etwas Unangenehmes. Die Entwickler jeder Generation beharren darauf, einen »schlammsicheren« Stiefel entwickelt zu haben, und in jeder neuen Generation können die Soldaten darüber nur lachen, wenn ihnen der Schlamm durch alle Verschlüsse, Gelenke oder Abdichtungen quillt.

Das Team trottete mit schmatzenden Schritten am nahe gelegenen Fluss entlang, und der Schlamm wechselte sich mit Rinnsalen und Pfützen ab, neben sich hatten sie das düstere, feuchte Flussufer mit seinen Bäumen, deren Äste wie die Finger von Gespenstern bis an den Rand des Wassers tasteten. Vor den meisten Sensoren sollten sie deshalb gut abgeschirmt sein. Selbst Wärmebildgeräte sollten ihre abgekühlten, klammen Gestalten zwischen dem Laubwerk nicht ausmachen können.

Sie waren auf der Suche nach einer Furt. Ihr Plan war, sich vorher noch ein gutes Stück von der Tslek-Anlage zu entfernen. Sobald sie dann den Wasserlauf überquert hatten, sollte die Wahrscheinlichkeit noch geringer werden, dass jemand sie einholte. Sie konnten zwar trotz ihrer Traglasten schwimmen, aber es bestand keine Notwendigkeit, unnötig Energie zu vergeuden.

Die erste Furt, die sie entdeckten, war nicht so einladend, wie Bell Toll das gehofft hatte. Zwar war sie seichter als die Stelle stromaufwärts, befand sich aber an einer schwachen Gefälleposition, die das seichte Wasser ziemlich schnell machte. Viel leichter würde es also auch hier nicht sein, den Fluss zu überqueren.

»Geduckt halten«, riet Bell Toll im Flüsterton. Alle nickten. Das würde nicht nur ihre Silhouetten verbergen, sondern ihnen auch in der Strömung Stabilität verleihen. Schließlich waren sie ohnehin schon so nass, wie sie überhaupt werden konnten. »Ferret, los geht's.«

»Ich schwimme gar nicht gern«, erwiderte der kleine Soldat, der an der Spitze des Trupps gegangen war, doch während er das sagte, bewegte er sich bereits auf das tiefere Wasser zu, während sie vorher im seichten Wasser am Uferrand gegangen waren.

Ferret stieg von dem Vorsprung, eine Hand an einer aus dem Ufer ragenden Wurzel, und begann zu waten. Nach wenigen Schritten stand er knietief im Strom, dann erfasste ihn eine heftige Strömung und riss an ihm; man konnte auf seinem Visor deutlich ihre Spuren erkennen. Er beugte sich vor und packte einen aus dem Wasser ragenden Felsbrocken, arbeitete sich um ihn herum in den ruhigeren Bereich dahinter. Er kniete nieder, streckte die Hände aus und bekam einen weiteren Felsen zu fassen, der ihm Halt bot, überquerte den schmalen Kanal zwischen den beiden, wobei das Wasser ihm gegen die Brust drückte und ins Gesicht spritzte. Er arbeitete sich weiter, indem er immer wieder Felsen packte, während seine Füße auf den glatten, moosbedeckten Kieseln darunter ausglitten und das Wasser an ihm vorbeiwütete. Zwei Drittel des Weges hatte er hinter sich, als er eine tiefe, schnell dahinbrausende Strömung von etwa zwei Metern Breite erreichte. Er brauchte nicht lange nachzudenken, um zu folgern, dass er es nicht schaffen würde. Und bei Tageslicht würde es höchst wahrscheinlich noch schlimmer aussehen.

Ferret studierte den Wirbel ein paar Sekunden lang und begann dann rückwärts zu kriechen. Als er den verwitterten Stein erreichte, der seine letzte Etappe dargestellt hatte, rief er über Funk, weil das Brausen des Flusses zu laut war, um es zu übertönen, selbst wenn die Disziplin das zugelassen hätte. »Die Strömung ist zu schnell. Gorilla schafft es wahrscheinlich, er ist größer und schwerer. Wir müssen uns etwas einfallen lassen«, sagte er.

»Verdammt. Verstanden«, erwiderte Bell Toll.

Kurz darauf konnte Ferret hören, wie Gorilla sich vom Ufer her näherte. Seine größere Masse kam ihm zustatten, und Augenblicke später stand er neben seinem Kameraden.

»Halte meinen Rucksack und sag mir, was du brauchst«, sagte er und schlüpfte mit seinen gewaltigen Armen aus den Riemen.

»Tief und schnell«, sagte Ferret und deutete in den Strom. »Wenn du es zur anderen Seite schaffst, spannen wir ein Seil. Sonst nimmt dieser verdammte Fluss einen von uns mit.«

»Geht klar«, nickte der andere.

Trotzdem hatte selbst Gorilla einige Mühe, und Ferret war froh, dass er um Unterstützung gebeten hatte. Der zwei Meter große Soldat arbeitete sich klatschend durchs Wasser und konnte nur dadurch den Kopf über den Wellen halten, dass er Ferrets ausgestreckte Hand festhielt. Schließlich erreichte er von der Strömung gebeutelt die andere Seite, hatte aber alle Mühe, nicht von den Füßen gerissen zu werden. Die Strömung war unglaublich kräftig und streckte ihn wie einen Seestern. Nachdem er sich einige Minuten lang an dem Felsen festgeklammert hatte, trat er den Rückzug an. Unter dem Felsen sitzend, rief er zu Ferret hinauf: »Ich glaube, es wäre leichter, wenn wir weiter stromabwärts gingen. Aber lass mich etwas versuchen.«

Er suchte einen Felsbrocken, der etwa so breit wie seine Hand und flach war. Diesen packte er fest und riss das Stück Stein mit einer mächtigen Anspannung seiner Muskeln ab.

»Binde das Seil darum«, forderte er. »Und dann wirf den Stein, und ich zieh mich hinüber.«

Das klang vernünftig. Ferret schlang das Seil zweimal um den Stein und band es mit kräftigen Knoten fest. Als Gorilla nickte, warf er ihn über das Wasser, zwischen dem großen Felsen und einem vorstehenden Felssporn ein Stück stromaufwärts. Er zog daran, und das Seil hielt. Gorilla packte es und war Sekunden später auf der anderen Seite.

Jetzt stand ihm noch die Aufgabe bevor, seinen Rucksack am anderen Ende der Leine festzubinden, dann das freie Stück zu werfen und es hinüberzuziehen. Alle würden jetzt wirklich patschnass werden. Bis jetzt hatten sie sich nur eingebildet, nass zu sein.

Ferret wurde schmählich hinübergezerrt, und dann schafften es die übrigen, indem sie hüpften, sprangen und tauchten. Am anderen Ufer gab es keine echte Deckung, und deshalb machte er es sich im Wasser hinter einem weiteren Felsbrocken bequem.

»Sicher«, meldete er. »Jetzt hätte ich gerne Gesellschaft.«

Als Shiva nickte, setzte Tirdal zur Überquerung an. Sein dichterer Körperbau half hier ein wenig, und er konnte trotz der Strömung seine Position halten. An dem Seil, wo Gorilla immer noch wartete, setzte er seinen Rucksack ab und ließ ihn von Gorilla hinüberziehen. Als das erledigt war, packte er das Seil und zog sich daran ans Ufer. Er verschwand unter den Wellen, und nur noch seine Hand blieb sichtbar. Dann kam die andere, und man konnte sehen, wie er sich ruckartig zur anderen Seite bewegte. Als er dort an den Felsen stieß, streckte er die Hand aus und ballte sie zweimal, bis Gorilla nach unten griff und ihn in die Höhe zog, oder, besser gesagt, das versuchte. Sie mussten beide ihre ganze Kraft einsetzen, Tirdal musste mit den Füßen schieben und Gorilla am Seil zerren und die Füße einstemmen, bis der Kopf des Darhels schließlich aus den Wellen auftauchte. Man konnte seinen rasselnden Atem hören, als er sich schließlich auf die Felsplatte stemmte.

»Scheiße … Tirdal«, sagte Gorilla, selbst keuchend. »Was … wiegst du eigentlich?«

»Ich bin wesentlich dichter, als Menschen das sind, sowohl was meine Knochen als auch was meine Muskelmasse angeht«, sagte Tirdal, ohne ihm damit eine klare Antwort zu geben. Er tauchte wieder in die Wellen, arbeitete sich hartnäckig weiter und nahm schließlich Ferrets Position ein, während der kleine Mensch ans Ufer krabbelte.

Dann wurde die Prozedur wiederholt. Nur Ferret war leicht genug gewesen, um mit seinem ganzen Gepäck zu schwimmen. Gun Doll warf ihre Kanone hinüber, dann ihr Gepäck und folgte ihnen schließlich. Ihre Masse war geringer, als man nach ihrem Körperbau hätte schließen können, und sie wurde im Strom hin und her gerissen wie eine Flagge in einer steifen Brise, bis Gorilla schließlich ihre Hand packte. Auf der anderen Seite angelangt, lehnte sie sich in den Schlamm und gab dem Rest des Teams Deckung, während Tirdal ihr Feuerschutz gab und Ferret als eine Art Sensor gegen etwaige Angreifer von vorne agierte. Ferret hatte sich an diese Rolle als Minenspürer gewöhnt und sah das mit stoischer Gelassenheit. Freilich hoffte er, im Laufe der nächsten paar Einsätze befördert zu werden.

Dagger vollführte alle möglichen Verrenkungen, um sein Scharfschützengewehr Gorilla zu reichen, ohne dass es ins Wasser geriet. Dabei beunruhigte ihn nicht etwa die Nässe, sondern das Risiko, es könnte an einen Stein stoßen und müsste dann neu justiert werden. In Wirklichkeit war es dafür viel zu massiv gebaut, und seine Sorge war übertrieben, aber Gorilla tat ihm den Gefallen und nahm die Waffe am Lauf, obwohl die Hebelwirkung seine Armmuskeln mächtig beanspruchte. Dagger würde nachher stundenlang mit dem Gewehr beschäftigt sein und es abtrocknen, dessen war er sicher.

Shiva, Bell Toll mit dem Artefakt und Thor folgten, und dann waren alle drüben. Durchnässt, über und über mit Schlamm und Moos bedeckt, woran Gräser und Blätter hingen, gingen sie jetzt noch mehr in den Hintergrund über als zuvor. Es war schneidend kalt trotz der warmen Luft. Im Wasser Wärme zu verlieren vermied man am besten, indem man die Durchlässigkeit der Anzüge niedriger einstellte. Das führte aber dazu, dass sie in ihren wasserdichten Hüllen wie die Pflaumen einrunzelten. Sobald sie wieder warm waren, würden sie die Durchlässigkeit wieder steigern, bis sie trocken gedampft waren.

»Gorilla, einen guten Scan, bitte«, befahl Bell Toll.

»Wird gemacht, aber nur ein Bot hat es an dieses Ufer geschafft. Der andere ist nass geworden – er muss irgendwo ein Loch in der Hülle haben – und funktioniert erst wieder, wenn er trocken ist«, erwiderte er. »Soll ich auch Flieger schicken?«

Bell überlegte kurz. Wahrscheinlich würden sie weitere Bots an Raubtiere verlieren, aber schließlich befanden sie sich bereits auf dem Rückmarsch, und die Drohnen waren dazu da, auch benutzt zu werden. Das Risiko der Entdeckung war zu vernachlässigen, und die Chance, auf die Weise brauchbare Daten zu erhalten, war beachtlich groß.

»Bitte«, sagte er. »Und sobald sie draußen sind, ziehen wir weiter. Wenigstens haben wir jetzt unser Bad genommen.«

»Yo, und dabei ist es erst April«, witzelte Ferret. Er war jetzt in bester Stimmung. Schließlich hatte er seine Kameraden quer durch all die Sümpfe, Klippen und Ebenen mit riesigen Küchenschaben, bissigen Ameisen und sonstigen Monstren zu den Tslek, dem Aldenata-Kasten und diesem schrecklichen Fluss geführt. Und auf den zwei letzten Planeten war es nicht anders gewesen.

»Wir brauchen jetzt einen Unterschlupf für den Tag«, sagte Shiva. »Einen mit ordentlicher Deckung, nur für alle Fälle. Lass dir was einfallen.«

Und wieder zogen sie weiter, hinter Gorillas Techno-Käfern her.

So erfahren und gut ausgebildet sie auch waren – dies war ein anstrengender Einsatz. Alle hatten sich schon irgendwelche Kratzer und Abschürfungen zugezogen, alle waren sie müde und der Erschöpfung nahe, ausgepumpt von dem seltsamen Tageszyklus, der höheren Schwerkraft, der fremden Luft und der ungewohnten Umgebung. Und auch mental hatten die Risiken und möglichen Bedrohungen ihnen zugesetzt, und dazu noch die unglaubliche Einsamkeit – schließlich waren sie die einzigen Menschen auf dem Planeten, die einzigen im Umkreis von fünfunddreißig Lichtjahren, ja praktisch betrachtet die einzigen im ganzen Universum, denn nichts, was irgendjemand tun konnte, würde ihnen in einem Notfall wirklich helfen. Alltägliche Lästigkeiten wie langweilige Essensrationen und Blasen wirkten da wie ein harmloser Flirt im Vergleich zu all den anderen Dingen, die ihnen widerfahren konnten – eine Erinnerung sozusagen, dass es viel schlimmer kommen könnte.

Und dann war da Tirdal. Der Darhel trottete stetig und lautlos neben ihnen her, tat seine Arbeit, verrichtete sie auch hinreichend gut, sodass niemand sich beklagen konnte. Aber das machte es nur noch schwerer, sich in ihn hineinzuversetzen. Wer weiß, wenn man das tat, würde er einem vielleicht in die Seele sehen. Tirdal war immer noch in hohem Maße ein Außenseiter. Niemand konnte etwas Richtiges mit ihm anfangen, aber sie gaben sich auch keine große Mühe. Wenn er am Ende nach diesem Einsatz bei diesem Team hängen blieb, würde sich das vielleicht ändern. Man würde sehen.

Das zugleich nachdenkliche wie taktische Schweigen wurde von Ferret gebrochen, als er sagte: »Ich denke, das könnte vielleicht gehen … dort drüben.« Er markierte das betreffende Areal, und alle sahen hinüber. Es handelte sich um einen großen Felsvorsprung, immer noch zwischen den Bäumen, mit ein paar kleineren Vorsprüngen ein Stück weiter unten am Hang.

»Nicht aufregen«, befahl Shiva. »Was meinen Sie, Sir?«

Bell Toll winkte Ferret nach vorn und trat neben ihn, um selbst sehen zu können. »Das sollte gehen, Sarge. Also, Biwak aufschlagen.«

»Geht klar. Ferret und Gorilla, Umgebung absuchen. Gun Doll, Feuerschutz für die beiden, von dort aus.« Er deutete auf einen Vorsprung. »Alle anderen eingraben.«

Gun Doll seufzte erleichtert, als sie ihre Kanone auf ihr Einbein-Stativ setzte. Die Kreiselstabilisatoren würden dafür sorgen, dass die Waffe auf die leiseste Berührung hin einsatzfähig war und kreisen konnte. Jetzt riss sie sich den Helm herunter und kratzte sich ausgiebig am Kopf. »Allmählich wird man da drunter ja taub«, murmelte sie, sodass kaum einer es hören konnte. Ständig den schweren Helm mit seiner Innenpolsterung zu tragen, das wurde ihr immer lästiger. Nicht, dass die Schuppen sie gestört hätten, das gehörte mit zu ihrem Job, und sobald sie einmal zu Hause war, würde sie die schon wieder loswerden. Außerdem gab es ja hier außer den Kameraden niemanden.

Kurz darauf hatte Gorilla seine Sensoren bereit und sie so geschaltet, dass sie auf seine Anweisung auch als Minen fungieren konnten. Sie waren jetzt viel entbehrlicher, als sie das zu Anfang des Einsatzes gewesen waren, und die potenziellen Drohungen waren größer. Gerät war verzichtbar, Leute waren das nicht.

Kurz darauf waren sie in Einsatzposition, die fliegenden Bot-Sensoren auf den Felsen, drei kleine Killer-Bots, die hügelabwärts lauerten, und der einzige überlebende Mistkäfer oben in Spähposition auf dem Hügel. Shiva wies die Soldaten zu einzelnen Punkten, wo sie zwar in Deckung sein würden, aber Sperrfeuer schießen konnten, und ließ sie ihre Schlafsäcke ausrollen. Die Latrine war sowohl aus Gründen der Sicherheit wie auch der Bequemlichkeit in der Mitte angeordnet. »Wird nicht sehr tief werden, Sarge«, sagte Dagger. »Nach einem halben Meter fängt bereits das Felsgestein an.«

»Das muss reichen«, knurrte Shiva, und damit war das Thema für ihn erledigt. Während der Sergeant sich um die häuslichen Dinge kümmerte, untersuchte Bell Toll das Artefakt. Er strich mit den Fingerspitzen über seine Oberfläche, suchte Nähte oder Regler. Aber in diesem Licht waren keine zu erkennen. Mit einem innerlichen Achselzucken griff er in seine Tasche und zog einen Transponder heraus. Eigentlich war das nicht nötig, und das war vermutlich eine Überreaktion, aber ein Wertstück wie dieses würden sie ungern verlieren. Es konnte also nicht schaden, wenn man es markierte, und deshalb tat er das. Er klatschte den Transponder auf eine Ecke des Kastens, der dünne Molekularfilm verschmolz mit der Oberfläche des Artefakts und wurde praktisch Teil davon – und unsichtbar.

Dagger war neben ihn geglitten, bis zum letzten Augenblick ohne entdeckt zu werden. Bell Toll zuckte leicht zusammen, ließ sich aber nichts anmerken. Verdammt noch mal, er konnte es nicht leiden, wenn der Scharfschütze das tat. Er tat es einfach, weil er dazu imstande war, und das steigerte nur sein ohnehin schon übersteigertes Selbstwertgefühl, wenn er glaubte, jemandem eins auswischen zu können.

»Dagger? Sind Sie hier, weil ich mal gesagt habe, ich sei jederzeit zu sprechen?«, fragte er.

»Nee, wollt mir bloß die Box noch mal ansehen, Sir. Vorher habe ich sie nicht richtig zu sehen bekommen«, sagte er und rückte näher heran. Er stand jetzt Schulter an Schulter mit dem Lieutenant, und das war Bell Toll unangenehm. Offen gestanden wäre ihm im Augenblick Tirdal lieber als Dagger in seiner Nähe gewesen. Der eine war nicht exakt einzuordnen, der andere nervte ihn.

»Also, das ist das Artefakt, Dagger. Artefakt, darf ich vorstellen, Dagger«, sagte er, bemüht die Situation etwas aufzulockern.

»Sehr erfreut«, witzelte Dagger. Verdammt, so schlimm war der nun auch wieder nicht, dachte Bell Toll. Einfach jemand, der noch nicht ganz erwachsen war und ständig etwas beweisen musste. Fünf Jahre noch, dann würde sich das alles legen. Als er zu ihnen gekommen war, war er wirklich unerträglich gewesen, jetzt war sein Verhalten größtenteils nur noch Fassade. Er würde darüber hinwegkommen, und wenn es eine Gelegenheit gab, ihn wie einen reifen Menschen agieren zu lassen, sollte man das fördern.

Dagger starrte das Gerät im heller werdenden Licht an. Seine Finger strichen über die etwas erhabenen Symbole, bei denen es sich vielleicht um schon lange nicht mehr funktionierende Regler handeln mochte, folgten den Konturen. Schließlich hob er die Box an. »Was ist das und warum ist es hier?«, fragte er hauptsächlich sich selbst.

»Das werden wir vielleicht nie erfahren«, sagte Bell Toll. »Manche kann man in einem Stasisfeld öffnen, aber es gibt auch welche, die sich dann selbst zerstören. Andere reagieren überhaupt nicht. Dass dieses Ding hier noch über latente Energie verfügt, ist ein gutes Zeichen.«

»Haben Sie eine Ahnung, was es sein könnte, Sir?«, fragte Dagger, und seine scharfen, perfekten Augen musterten die Box immer noch, untersuchten jede Linie, jede mit Schmutz gefüllte Vertiefung.

»Nicht die geringste. Höchstwahrscheinlich keine Schiffssteuerung. Vielleicht ein Stützpunktcomputer, aber ich würde meinen, dass sie den beim Verlassen der Basis mitgenommen hätten oder dass ein Feind ihn sich geschnappt hätte. Aber ich habe wirklich keine Ahnung. Ich bin kein Experte für diese Dinge, wenn ich auch ein paar Kurse mitgemacht habe.« Er zuckte die Achseln.

Dagger zuckte sie ebenfalls. »Ich sehe hier etwas, was offensichtlich Nähte sind, aber ich wüsste nicht, wie man sie aufbekommt. Werden wir das Ding abwechselnd schleppen?«

»Nein, Dagger«, erwiderte Bell Toll und lächelte. »In diesem Fall wird der Kommandeur die schreckliche Last auf sich nehmen, die Ladung zu schleppen, um damit seinen Soldaten eine Belastung zu ersparen, die im ursprünglichen Plan nicht vorgesehen war. Außerdem bin ich derjenige, dem die den Arsch aufreißen, wenn wir das Ding verlieren.«

»Yeah, kann ich mir gut vorstellen. ›Wir haben dieses Aldenata-Artefakt gefunden und es in einen See geworfen. Tut mir wirklich Leid, aber als wir es taten, hat es richtig Spaß gemacht.‹ Ich kann mir nicht vorstellen, dass die uns das abnehmen.«

»Stimmt«, schmunzelte Bell Toll. »So, ich werde das Ding jetzt wieder einpacken, also Ende der Vorstellung.«

»Geht in Ordnung, Sir. Ich werde heute Nacht aufpassen. Und ich kann ein paar von meinen Sensoren so schalten, dass sie als zusätzliche Alarmgeräte funktionieren, wenn Sie das möchten.«

»Bitte«, nickte er, als Dagger geduckt wieder zu seinen Sachen zurückging. Wenn Daggers Interesse geweckt war, war der Junge eigentlich gar nicht so übel, dachte er. Bloß wenn er sich langweilte, war er unangenehm.

Inzwischen war es wieder Zeit zum Abendessen geworden. Hoffentlich würde das auf dieser Streife noch ein paarmal der Fall sein. Ein paar verirrte Lichtstrahlen warnten, dass die Morgendämmerung näher rückte, und sie machten sich über ihr Essen her. Der Hunger kam ihnen zu Hilfe und die lange Übung auch und dazu das Wissen, dass sie nach ein paar Schlafperioden hier raus sein würden.

»Schon wieder Thunfisch«, meckerte Gun Doll. »Wer mag das Zeug eigentlich?«

»Tut mir Leid, Doll«, sagte Thor. »Aber ich werde mein Schweinefleisch nicht dagegen eintauschen.«

»Macht nichts«, sagte sie mit einem resignierenden Seufzen. »Ich esse es schon.« | »Bin gleich wieder da«, sagte Dagger. »Ich muss mal.« Damit stand er auf und ging auf den großen Felsen zu.

»Warum hast du es denn nicht im Fluss gemacht wie wir anderen auch?«, witzelte Thor. Dann wunderte er sich, dass der Scharfschütze an den Felsen vorbeiging und sein Gewehr dabei hatte. »Hey, Dagger, der Graben ist …«

Als er den Felsen passierte, zog Dagger eine Neuralgranate aus der Tasche in seinem Harnisch und warf sie mitten unter das Team.