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Das Tarnkappenschiff, das sie zu ihrem Einsatzort bringen sollte, war eng. Es enthielt keinerlei Annehmlichkeiten für die Psyche der Passagiere. Dass das Schiff je Passagiere zu sehen bekommen würde, war höchst unwahrscheinlich, höchstens einmal einen Kurier. Und Kommandoteams galten gemeinhin nicht als Passagiere, sondern als Fracht.
An der nackten Decke verliefen Rohre, Wände und Gänge waren von Spinden gesäumt, und aus allen Ecken und Enden ragten irgendwelche Vorsprünge von Geräten oder der Maschinerie. Es stank nach verbranntem Metall, was wohl auf Schweißarbeiten während der letzten Wartung zurückzuführen war, dazu kam ein Geruchscocktail aus Schweiß und Staub, mit dem die Lebenserhaltungssysteme irgendwie nicht fertig wurden. Alles war in schlichtem Weiß gehalten, wenn auch ein wenig verblasst, obwohl die Fahrzeuge regelmäßig gereinigt und gewartet wurden. Der einzige Farbtupfer war die in grellem Sicherheitsrot gehaltene Luftschleuse. Eine weitere Luke führte in den Mannschaftsbereich des Schiffs. In dem Abteil herrschte drückende Enge, das Team hockte eng aneinander gedrängt da, und Gorilla musste sich in Anbetracht der nicht einmal zwei Meter Deckenhöhe fast in der Mitte abknicken. »Ich würde mir wünschen, dass die die Dinger für normal große Leute bauen würden«, schimpfte er. In Wirklichkeit war er natürlich daran gewöhnt. Häufig hatte er das Gefühl, sein ganzes bisheriges Leben in kauernder Stellung verbracht zu haben. Und das Schiff saß allen eng auf der Haut, er empfand das nur stärker als die anderen.
Im Deck unter ihren Füßen war eine offene Luke, durch die grellweißes Licht von dem riesigen Kriegsschiff strömte, an das sie angedockt waren. Die beiden Schiffe hingen umgekehrt aneinander, also mit entgegengesetzt gepolten Schwerkraftfeldern, und der Übergang von einem Schiff zum anderen war deshalb, wenn man noch die Nullgravitation der Schleusen bedachte, ziemlich trickreich. Der Grund für das Offenstehen der Luke war der junge Sub-Lieutenant der Navy, der vor Bell Toll stand, der Copilot des Tarnkappenschiffs und offizieller Verbindungsmann und »Frachtbegleiter« war.
»Auf unserer Seite ist alles klar«, sagte er. »Wir hatten auf der Route entweder Piraterie oder kommerzielle Kaperschiffe, besonders was die Zugangssysteme angeht; in der Gegend sind ein paar Schiffe verschwunden. Wenn wir kreuzen, fallen wir auf wie ein geschwollener Daumen, und gegen ein Kaperschiff oder einen auch nur einigermaßen ausgerüsteten Piraten hätten wir mit unseren Spielzeugkanonen kaum eine Chance. Da die jetzt Geleitschutz fahren, haben wir uns für die Dauer des Transits einfach an die Zivotinovitsch angedockt. Wir fahren Huckepack mit, bis wir Minimaldistanz erreicht haben, und dann auf eigene Faust weiter. Das spart uns etwa sechs Tage Flugzeit.«
»Klingt gut, Lieutenant«, erwiderte Bell Toll. »Je früher wir hinkommen, umso besser.«
»Das hatten wir uns auch gedacht.« Der Navy-Offizier nickte zustimmend. Nicht, dass er wirklich eine Wahl gehabt hätte. Höchstens beim Generalstab rummeckern. »Wollen Sie es sich auf der Ziv bequem machen?«
»Nein, vielen Dank«, lehnte Bell Toll ab und verzog das Gesicht. »Wir sind im Augenblick auf höchstem Ausbildungsstand; ich gehe lieber mit meinen Leuten in Kälteschlaf und komme am Ende frisch raus, als dass wir auf einem verdammten Kreuzfahrer fett und behäbig werden.«
»Klar, hatte ich mir auch gedacht«, sagte der Lieutenant. Dämliche Frontschweine, dachte er sich dabei. Suchen ständig nach irgendwelchen Felsbrocken, die sie sich in die Betten legen können. Nie glücklich und zufrieden, solange sie nicht wund gelaufen und nass waren und irgendwelche Pampe in sich reinschaufelten. »Aber ich hatte Auftrag, eine Einladung auszusprechen.«
»Okay, vielen Dank. Die nehmen wir dann auf der Rückreise gerne an, falls Platz ist, aber nicht jetzt. Wir sind momentan Schlamm und Kälte gewöhnt und möchten so bleiben«, sagte er ohne zu ahnen, dass das exakt die Gedanken des Copiloten waren.
»Was hat denn die Ziv auf dieser Route verloren?«, fragte Ferret. Irgendwie hatte er es geschafft, sich an Gorilla vorbei an den Mannschaftsspind des Aufklärungsbootes zu zwängen. Er schlüpfte aus dem Geschirr seines Rucksacks und fing an, ihn und seine anderen Sachen zu verstauen. »Ich dachte immer, die wäre das Flaggschiff für die Second Fleet.«
»Die haben sie zurückgeholt, weil es Probleme mit der Fusionsflasche gab«, sagte der Lieutenant hinter ihm. Ferret hatte nicht gewusst, dass er noch da war.
»Na großartig«, sagte er und nickte, leicht verstört. »Dann hoffen wir bloß, dass die das wieder richtig hingekriegt haben, sonst wird das eine höchst aufregende Reise.«
Der Lieutenant reagierte darauf mit einem Gesichtsausdruck, in den sich ein Lächeln und ein Stirnrunzeln mischten, und sagte: »Also, dann wollen wir jetzt zusehen, dass Sie Ihren Kram verstauen, und anschließend abzischen.« Der Witz war nicht neu, und der Landser hatte vermutlich keine Ahnung, was wirklich passieren konnte. Dass die Fusionseindämmungsfelder nachjustiert werden mussten, kam ziemlich häufig vor, und es gab eine Menge Arbeiten, für die eine Werft benötigt wurde, die aber ganz ungefährlich waren und eigentlich nur die Effizienz beeinträchtigten. Und wenn es wirklich zum Bruch kam, dann brach vielleicht die Eindämmung zusammen und der Technikraum wurde kontaminiert, was zwar lästig, aber nicht ernsthaft gefährlich war. Und in den äußerst seltenen Fällen einer Feldkompression mit anschließendem Riss war alles so schnell vorbei, dass sowieso keiner etwas bemerken würde.
Bell Toll schüttelte Tirdal die Hand, als der vom Kutter an Bord kam. Das war reine Show – damit die Crew des Scoutschiffs wusste, dass der Darhel offiziell akzeptiert worden war. Habt ihr den Darhel mit dem menschlichen Kommandanten gesehen? Muss irgendein Berater sein. Das war der Effekt, den er erzielen wollte, und auf die Weise sollten alle Gerüchte im Schiff mit Lichtgeschwindigkeit zum Verstummen gebracht sein. Tirdal verstaute seine Sachen und sah zu, wie die anderen an Bord gingen und ebenfalls ihr Zeug wegpackten.
Einsteigen war ziemlich schwierig, denn in der Luke herrschte Nullgravitation. Die Soldaten stiegen aus dem Kutter, drehten sich um und ließen sich nach unten treiben, zuerst ganz schnell, dann immer langsamer werdend, bis sie das Deck erreichten. Das Feld war computergesteuert und kontrollierte alles, was sich in ihm befand, als »diskrete Packungen«, sodass jede Person im Feld sich mit eigener Geschwindigkeit bewegte. Man verließ das Fahrzeug, indem man leicht in die Höhe sprang und dann nach oben und nach draußen getragen wurde. Das einzig Komplizierte daran war, sich umzudrehen, weil die Felder ja entgegengesetzt geschaltet waren. Innen war die Schleuse tief genug, dass man ohne Probleme hineinspringen und dann wieder herauskrabbeln konnte.
Das Innere der Bucht, in der sie die Reise verbringen würden, war noch enger als das Abteil »oben«, so eng, dass sich in ihm allerhöchstens zwei Leute bewegen konnten. Deshalb stiegen sie auch in Abständen zu. Das Innere bestand lediglich aus einem Korridor mit zwei Reihen übereinander angeordneter Pritschen, die beiderseits des Ganges angeschraubt und im Augenblick als G-Couch konfiguriert waren. Man lag darauf mit etwas angezogenen Beinen und dem Rücken im flachen Winkel. Unmittelbar bei der Luke waren vier davon, zwei weitere je davor und dahinter. Mit diesen Sitzgelegenheiten war der ohnehin schon enge Korridor so schmal, dass Gorilla sich zur Seite drehen musste, um überhaupt hineinzupassen. Und außerdem musste er sich erneut abknicken; deshalb nahm er die Couch, die der Luke am nächsten war. Sein Gauss-Karabiner und sein Granatwerfer wurden in einem Gestell über seinem Kopf befestigt, seine Kampfpanzerung mit Munition, Wasser, im Holster steckenden Pulser, Kampfmesser und anderes Zubehör trug er am Leib. Er empfand das nicht als Hindernis, weil er das Zeug wie Unterwäsche trug und nur zum Duschen ablegte. Die meiste Zeit schlief er sogar darin.
Gorilla fühlte sich in dem engen Raum nicht wohl, und das wussten alle.
»Hübsch bequem, Gorilla?«, fragte Thor. »Brauchst du einen Teddybär?« Es erinnerte tatsächlich an ein Kinderbett, wenn das Sicherheitsgitter hochgezogen war.
Just in dem Augenblick floss zuerst Polsterung und dann hartes Memoryplastik als Verstärkung aus den Couches und schloss die Teammitglieder wie ein Kokon ein, sodass nur Kopf und Hals frei blieben. Gorilla mochte diese Prozedur auch nicht; für einen Menschen, der unter klaustrophobischer Paranoia litt, war so etwas ein ziemlicher Albtraum. Thor machte sich immer noch über ihn lustig, als das Zeug sich um seinen Hals schloss. »Vielleicht kann der Captain es dir ein bisschen bequemer machen.«
Gorilla knurrte. »Auf der Rückreise sorge ich dafür, dass du ein paar Käfer und Schlangen auf der Couch hast, Thor.«
Thor hielt die Klappe. Schlangen hasste er.
Masken senkten sich auf sie herab und schoben sich automatisch über den Nasen des Teams zurecht, als der Lieutenant und ein weiblicher Sanitäter von der Ziv ihnen Spritzen in den Hals verpassten. Gleich darauf wurde der jeweilige »Patient« ganz still, und die Haut nahm einen Ton wie Wachs an. Das war typisch für Hiberzine. Die MedTech tippte am Ende an einen Schalter, worauf das Memoryplastik höher floss und die noch frei liegenden Gesichtspartien zudeckte, sodass das Team jetzt völlig verschwand und sich in ein paar stumpfgraue Plastikbuckel verwandelte. Mit dem Hiberzine und der Kapselung befanden sich die Soldaten effektiv in Stasis.
Der Darhel-Sensat beobachtete das Geschehen immer noch. Jetzt wandte sich die Sanitäterin zu ihm um und fragte: »Werden Sie jetzt eine Pritsche nehmen?«
Tirdal schnippte mit dem Ohr und sagte: »Nein. Hiberzine wirkt nicht gut bei Darhel. Die Nebenwirkungen sind unangenehm.«
»Das kommt mir aber seltsam vor«, sagte die junge Frau und runzelte die Stirn. »Ich dachte, die Darhel hätten Hiberzine ursprünglich für sich selbst entwickelt und es dann an die Menschen angepasst.«
»Nein«, sagte Tirdal mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwie amüsiert, aber düster wirkte. »Erfunden wurde es von den Tchpth für Einsatz an Menschen und auf Wunsch der Darhel. Und das liegt jetzt über viertausend Ihrer Jahre zurück.« Er drehte sich um, sprang mit einem geschickten Satz die Luke hinauf und nahm Kurs auf den Dreadnought.
Als seine Füße verschwanden, sah die Sanitäterin zuerst auf ihre Spritze und dann den Lieutenant an. »Ich dachte, wir wären erst vor tausend Jahren auf die Darhel gestoßen?«
»Das dachte ich auch.« Die Blicke, die sie wechselten, waren leicht konfus und durchaus auch ein wenig beunruhigt.