Epilog
»Eine schöne Nacht«,
sagte Jago.
Hawkwood konnte
nicht widersprechen. Der Himmel war wolkenlos und mit Tausenden von
Sternen übersät, im blauschwarzen Wasser spiegelte sich das
Mondlicht. Man hörte nichts als das leise Plätschern der Wellen,
die an den Strand rollten, und das gleichmäßige Knarren von Rudern.
Es waren Geräusche, an die Hawkwood sich gewöhnt
hatte.
Aber er hatte jetzt
wirklich genug von mitternächtlichen Verabredungen an mondhellen
Stränden. Es reichte ihm für den Rest seines Lebens – und darüber
hinaus.
Aber vielleicht war
es diesmal doch etwas anderes.
Die beiden Männer
gingen hinunter zum Wasser, ihre Stiefel knirschten auf dem Kies.
Sie warteten, bis das schwarze Ruderboot näher kam und traten in
letzter Minute zur Seite, als der Bug aus der Dunkelheit auftauchte
und am Strand aufsetzte.
Lasseur sprang an
Land.
Er lachte und
streckte die Hand aus. »Captain.«
Er schüttelte Jago
die Hand. »Ich freue mich, dass ihr beide sicher wieder gelandet
seid. Und ich hoffe, ihr habt mir meine überstürzte Abreise
verziehen.«
»Ging nicht anders«,
sagte Hawkwood lakonisch. »Die Geschäfte verlangten es
eben.«
»So ist es. Ich
hoffe, die Behörden haben auf angemessene Weise ihren Dank
ausgedrückt?«
»Das wäre ja noch
schöner«, sagte Jago.
»Keine
Belohnung?«
»Nur der Dank des
Vaterlandes«, sagte Hawkwood. »Ansonsten glaube ich, dass die Sache
für dich vorteilhafter war als für uns.«
Lasseur
grinste.
»Ich hoffe, ihr habt
Pepper zu einem ordentlichen Begräbnis verholfen«, sagte Hawkwood,
während sie vom Boot den Strand hinaufgingen, wo sich eine graue
Felswand erhob und eine Reihe hoher Klippen sich bis in die Ferne
erstreckte.
Lasseur nickte. »In
Segeltuch gewickelt und mit einer Sechspfünder an den
Füßen.«
»Mehr als der
Bastard verdient hat«, murmelte Jago. »Na ja, jetzt hat Morgan
wenigstens Gesellschaft.«
»Ich vermute, er
trug seine Weste nicht mehr?«, sagte Hawkwood.
Lasseur schüttelte
den Kopf. »Im Gegenteil, er durfte sie behalten. Ohne Inhalt
natürlich.«
»Verwende es klug«,
sagte Hawkwood. »Es sieht aus, als müsstest du eine ganze Weile
damit auskommen. Wie ich höre, sind die Lieferungen erstmal
ausgesetzt.«
Lasseur hatte ihnen
das Gold auf dem Schiff überlassen. Das britische Kriegsschiff war
schon zu nahe und hatte eine zu hohe Geschwindigkeit, als dass die
Mannschaft der Scorpion noch eine
Chance gehabt hätte, die beschädigte Sea
Witch in einen sicheren Hafen zu geleiten oder die Ladung zu
löschen, ohne dass man sie verhaftet hätte. Angesichts der
Geschwindigkeit der Fregatte und der unmittelbaren Nähe ihrer
Achtzehnpfünder hätte selbst Lasseurs Berbertakelage nichts
ausrichten können.
Die Mannschaft der
Scorpion hatte es der Fregatte
überlassen, den beschädigten Kutter und den Rest ihrer Mannschaft
zu bergen, zusammen mit den beiden Männern, die noch auf dem
blutgetränkten Deck standen. Die Scorpion hatte ihre Segel gesetzt und war in den
nächsten Hafen geflohen.
Als der Kapitän der
Fregatte seinen Zweiten Leutnant hinüberschickte, um den
manövrierunfähigen Kutter zu inspizieren, ahnte er nicht, was sein
Offizier in den Laderäumen des Schiffes entdecken würde. Er musste
zugeben, es war die größte Beute seiner Laufbahn. Obwohl Beute
eigentlich nicht der richtige Ausdruck für das Gold war, das der
Armee ohnehin gehörte.
Sie bekamen alles
wieder, bis auf die Goldbarren, die Morgan und Pepper an Land
schmuggeln wollten. Doch das Wiederfinden des Goldes hatte, wie
Hawkwood hörte, am Schicksal des Leutnants Burden nichts geändert,
dem jetzt der wenig verlockende Posten im Materialhof von Fort
Amhurst winkte.
»Ob die anderen alle
aufgehängt werden?«, fragte Lasseur, womit er die Mannschaft des
Kutters meinte.
»Sie kommen in zwei
Wochen in Maidstone vor Gericht. Morgan ist nicht mehr da, und sein
Anwalt wird sie auch nicht mehr herauspauken können. Also wird es
wohl auf ein Rendezvous mit dem Henker oder bestenfalls Deportation
hinauslaufen.«
»Also fängt Morgans
Organisation an, sich aufzulösen. Schlagt dem Tier den Kopf ab, und
der Rest verkümmert?«
»Das würde ich nicht
sagen. Man hat noch mehr Leute festgenommen, darunter die Köchin
des Admirals – sie hat Morgan über den Grundriss des Hauses und
seine Angestellten informiert. Aber dieses Gewerbe ist wie eine
Spinne: Kaum hat man ein Netz zerstört, schon ist sie da und baut
genau so schnell ein neues. Irgendjemand wird Morgans Platz schon
wieder einnehmen.«
»Der König ist tot,
lang lebe der König?«
»Ja, so ähnlich«,
sagte Hawkwood.
Ein leiser Pfiff kam
aus der Dunkelheit.
Die Männer drehten
sich um. Ein kleiner Pferdewagen tauchte auf. Er hielt an und
Jethro Garvey sprang herunter. »Tut mir leid, dass wir etwas später
kommen«, sagte er. Er ging nach hinten und hob eine Reisetasche
herunter.
Lasseur half Jess
Flynn vom Wagen. Er nahm ihre Hand, und ohne ein Wort hielt er sie
an die Lippen, dann an seine Wange.
Während Garvey beim
Wagen blieb, nahm Hawkwood die Reisetasche und zusammen mit Jago
begleiteten sie Lasseur und Jess Flynn hinunter zum
Wasser.
Unten angekommen,
drehte sie sich um. »Nun komm schon, Alter!«, rief sie
leise.
Man hörte das
Scharren von Pfoten, und der Hund sprang hinten vom Wagen und kam
langsam und zaghaft mit dem Schwanz wedelnd
angetrottet.
»Er wird Französisch
lernen müssen«, sagte Lasseur.
»Du musst nur immer
schön laut und langsam mit ihm sprechen«, meinte Jago.
Jess Flynn lachte.
»Er ist nicht schwerhörig, Nathaniel. Er wird nur alt, weiter
nichts.«
»Wie ich«, sagte
Jago.
Hawkwood stellte die
Tasche ins Boot.
Jess Flynn ließ
Lasseurs Hand los und küsste Hawkwood auf die Wange.
»Danke für alles«,
sagte sie.
Lasseur half ihr ins
Boot, dann hob er den Hund hinein. Mit Hawkwoods und Jagos Hilfe
schob er das Boot ins Wasser und kletterte an Bord. Langsam
entfernte sich das Boot. Das Letzte, was sie sahen, ehe es in der
Dunkelheit verschwand, war Lasseur, der seine Hand zu einem
wortlosen Abschiedsgruß hob.
»Was meinst du?«,
sagte Jago nachdenklich. »Glaubst du nicht auch, dass er das Gold
vielleicht nur aufgegeben hat, weil er zurückkommen und sie holen
wollte?«
»Kann schon sein«,
sagte Hawkwood.
»Dämlicher Kerl«,
murmelte Jago.
Sie wandten sich um
und gingen zurück.
Garvey wartete beim
Wagen.
»Danke, Jethro«,
sagte Hawkwood. »Und pass auf dich auf.«
Der Wagen holperte
davon. Hawkwood und Jago gingen, um ihre Pferde
loszubinden.
»Ist dir eigentlich
klar, dass der Einzige, der von der ganzen Sache etwas hat,
ausgerechnet ein verdammter Franzose ist?«, sagte Jago. »Das
Arschloch segelt jetzt los, mit einem Haufen Gold und dem
Mädchen.«
»Stimmt nicht ganz«,
sagte Hawkwood. Er blieb stehen und griff in seine Tasche. »Hier,
fang auf …«
Der kleine
Goldbarren, den er aus Morgans Tasche herausgeschnitten hatte,
wurde geschickt von Jago aufgefangen.
Jago zog eine
Augenbraue hoch.
»Spesen«, sagte
Hawkwood.
Jago starrte auf den
Goldbarren in seiner Hand. »Was ist der denn wert?«
»Keine Ahnung.
Ziemlich viel.«
Jago gab ihn zurück.
»Bei dem, was sie dir zahlen, kannst du jede Hilfe
brauchen.«
Sie saßen auf und
lenkten ihre Pferde vom Strand weg.
Über das dunkle
Wasser hinter ihnen schallte ein kurzes Bellen.