Der Schatten

MRS. Darling schrie, und als hätte man nach ihr geläutet, kam Nana herein, zurück von ihrem Abendausflug.

Sie knurrte und schnappte nach dem Jungen, der rasch aus dem Fenster sprang. Wieder schrie Mrs. Darling, aber diesmal aus Angst um ihn, denn sie dachte, er wäre tot, und sie lief auf die Straße hinunter, um nach dem kleinen Körper zu sehen, aber er war nicht da. Sie schaute zum Himmel, doch in der schwarzen Nacht konnte sie nichts entdecken – nur etwas Winziges, das sie für eine Sternschnuppe hielt.

Sie ging zurück ins Kinderzimmer, und Nana hatte etwas in der Schnauze, das, wie sich herausstellte, der Schatten des Jungen war. Als er zum Fenster sprang, hatte Nana es schnel zugemacht – zu spät, um den Kerl zu erwischen, aber sein Schatten konnte nicht mehr mit hinaus. Das Fenster knallte zu und riß ihn ab.

Du kannst sicher sein, daß Mrs. Darling den Schatten genau untersuchte, aber es war nur ein ganz gewöhnlicher Schatten.

Nana wußte sofort, was man am besten damit macht.

Sie hängte ihn aus dem Fenster und sagte: »Der Junge kommt bestimmt zurück und holt ihn.

Wir wollen ihn so hinhängen, daß er ihn leicht findet, ohne die Kinder zu stören.«

Aber leider konnte Mrs. Darling den Schatten nicht am Fenster hängen lassen. Er sah aus wie Wäsche und verdarb den schönen Anblick des Hauses. Sie dachte daran, ihn Mr. Darling zu zeigen, aber der rechnete gerade nach, ob sie sich Wintermäntel für John und Michael leisten könnten; ein nasses Handtuch um den Kopf sollte seinen Geist schärfen, und da wäre es doch eine Schande gewesen, ihn zu stören. Außerdem wuß-

te sie genau, was er sagen würde: »Das kommt alles nur davon, daß wir einen Hund als Kindermädchen haben.«

Also beschloß sie, den Schatten aufzurollen und ihn sorgfältig in einer Schublade zu verstauen, bis eine passende Gelegenheit käme, ihrem Mann davon zu erzählen. Oje!

Die Gelegenheit kam eine Woche später, an jenem unvergeßlichen Freitag. Natürlich war es ein Freitag.

»Ich hätte ganz besonders aufpassen müssen an einem Freitag«, sagte Mrs. Darling später oft zu ihrem Mann. Dann stand Nana an ihrer Seite und hielt ihr die Hand.

»Nein, nein«, sagte Mr. Darling jedesmal, »ich bin für alles verantwortlich. Ich, George Darling, bin schuld.

Mea culpa, mea culpa.« Er hatte eine humanistische Erziehung genossen.

So saßen sie Abend für Abend und riefen sich jenen schwarzen Freitag ins Gedächtnis.

»Wenn ich bloß die Einladung zum Essen im Haus Nummer 27 nicht angenommen hätte«, sagte Mrs. Darling.

»Wenn ich bloß nicht meine Medizin in Nanas Napf gegossen hätte«, sagte Mr. Darling.

»Wenn ich bloß so getan hätte, als schmeckte mir die Medizin«, sagten Nanas feuchte Augen.

»Mein Hang zum Feiern, George.«

»Mein verhängnisvoller Humor, Liebste.«

»Meine Empfindlichkeit, wenn es um Nichtigkeiten geht, lieber Herr, liebe Herrin.«

So manches Mal führte Mr. Darling sein Taschentuch zu Nanas Augen.

»Dieser Teufel!« heulte Mr. Darling, und Nanas Gejau-le war das Echo dazu. Doch Mrs. Darling machte Peter niemals Vorwürfe; etwas in ihrem rechten Mundwinkel weigerte sich, Peter zu beschimpfen.

Sie saßen im leeren Kinderzimmer und riefen sich unerbittlich jede kleinste Kleinigkeit dieses schrecklichen Abends in Erinnerung. Er hatte so harmlos angefangen, genau wie hundert andere Abende. Nana hatte Wasser für Michaels Bad einlaufen lassen und trug ihn auf dem Rücken ins Badezimmer.

»Ich will nicht ins Bett«, hatte er gerufen wie einer, der immer noch glaubt, in dieser Sache das letzte Wort zu haben. »Ich will nicht, ich will nicht. Nana, es ist noch nicht sechs. O nein, o nein, ich hab dich nicht mehr lieb, Nana. Ich will nicht baden, ich will nicht, ich will nicht!«

Dann war Mrs. Darling hereingekommen im weißen Abendkleid. Sie hatte sich früh umgezogen, weil Wendy sie so gern im Abendkleid sah, mit der Halskette, die George ihr geschenkt hatte. Und sie trug Wendys Armband, das sie sich ausgeborgt hatte. Wendy liebte es sehr, ihrer Mutter das Armband zu borgen.

Die beiden älteren Kinder spielten gerade Vater und Mutter. John sagte soeben: »Ich schätze mich glücklich, Mrs. Darling, Sie davon zu unterrichten, daß Sie nunmehr eine Mutter sind.«

– ungefähr genauso, wie Mr. Darling wohl in Wirklichkeit geredet hat.

Wendy tanzte vor Freude – ungefähr genauso, wie es die richtige Mrs. Darling wohl damals tat.

Dann wurde John geboren, mit all dem besonderen Trara, das einer männlichen Geburt zukommt, und Michael kam aus dem Bad und wollte auch geboren werden, aber John erklärte brutal, daß sie keine Kinder mehr wollten.

Michael heulte beinahe. »Keiner will mich«, sagte er, und natürlich konnte das die Dame im Abendkleid nicht ertragen.

»Ich doch«, sagte sie, »ich wünsche mir so sehr ein drittes Kind.«

»Junge oder Mädchen?« fragte Michael nicht sehr hoffnungsvoll.

»Junge.«

Da sprang er in ihre Arme. Es war eine Kleinigkeit, an die Mr. und Mrs. Darling sich da erinnerten, aber doch nicht ganz, wenn man bedenkt, daß es Michaels letzte Nacht in diesem Kinderzimmer gewesen sein sollte.

Weiter gehen die Erinnerungen.

»In diesem Augenblick kam ich wie ein Tornado her-eingebraust, nicht?« sagte Mr. Darling und verachtete sich selbst. Tatsächlich: wie ein Tornado.

Vielleicht gab es eine Entschuldigung. Er hatte sich auch für die Feier angezogen, und al es war gutgegangen – bis die Krawatte drankam. Es ist schlimm, so etwas sagen zu müssen, aber dieser Mann, der sich auskannte mit Aktien und Effekten, konnte mit seiner Krawatte nicht fertig werden. Manchmal gehorchte ihm das Ding kampflos, aber es gab Augenblicke, da wäre es für alle im Haus besser gewesen, wenn er seinen Ehrgeiz unterdrückt und eine fertig gebundene Krawatte getragen hätte.

Jetzt war so ein Augenblick. Er kam mit dem zerknüllten kleinen Biest ins Kinderzimmer gebraust.

»Aber was ist los, Vater, Liebling?«

»Los!« schrie er; er schrie richtig. »Dieser Schlips ist los.« Er wurde beängstigend sarkastisch. »An meinem Hals! Nicht am Bettpfosten! O ja, zwanzigmal habe ich diesen Schlips am Bettpfosten gebunden, aber an meinem Hals – nein, da sitzt er nicht! Verzeihung.«

Er glaubte, daß Mrs. Darling noch nicht hinreichend beeindruckt war, und fuhr unerbittlich fort: »Ich warne dich, Mutter, wenn dieser Schlips nicht fest an meinem Hals sitzt, gehen wir heute abend nicht aus, und wenn ich heute abend nicht ausgehe, dann gehe ich nie wieder ins Büro, und wenn ich nicht mehr ins Büro gehe, dann werden wir beide verhungern, und unsere Kinder wird man auf die Straße werfen.«



Mrs. Darling blieb immer noch ruhig. »Laß mich mal«, sagte sie, und genau darum hatte er sie bitten wollen.

Mit ihren schönen ruhigen Händen band sie ihm die Krawatte, während die Kinder dabeistanden und nun wußten, daß sie noch einmal davongekommen waren.

Manche Männer hätten Mrs. Darling verübelt, daß es ihr so leichtfiel, aber Mr. Darling war dafür ein zu vornehmer Charakter. Er sagte unbekümmert »Danke schön«, vergaß seine Wut sofort, und im nächsten Augenblick tanzte er mit Michael auf dem Rücken im Zimmer herum.

»Wie haben wir getobt!« sagte Mrs. Darling jetzt in der Erinnerung daran.

»Zum letztenmal!« Mr. Darling seufzte.

»Ach George, weißt du noch, wie Michael plötzlich zu mir sagte: ›Wie hast du mich eigentlich kennengelernt, Mama?‹«

»Ich weiß!«

»Sie waren doch entzückend, nicht, George?«

»Und hier bei uns, sie waren hier, und jetzt sind sie weg.«

Das Getobe hatte aufgehört, als Nana hereinkam und höchst unglücklich mit Mr. Darling zusammenstieß: Seine Hose war voller Haare. Es war nicht nur eine neue Hose, sondern die erste mit aufgenähten Streifen an den Seiten, die er je besessen hatte. Er mußte sich in die Lippe beißen, sonst wären ihm die Tränen gekommen. Natürlich hat Mrs. Darling ihn abgebürstet, aber wieder fing er davon an, daß es ein Fehler wäre, einen Hund als Kindermädchen zu beschäftigen.

»George, Nana ist ein Schatz.«

»Gewiß, aber ich werde manchmal das Gefühl nicht los, daß sie die Kinder für lauter kleine Hunde hält.«

»Aber nein, Liebster, sie weiß bestimmt, daß die Kinder eine Seele haben.«

»Na ja«, sagte Mr. Darling gedankenvol , »na ja.« Jetzt war die Gelegenheit, das spürte seine Frau, ihm von dem Jungen zu erzählen. Erst machte er weiter »Na ja« und »Ach was«, aber dann, als sie ihm den Schatten zeigte, wurde er nachdenklich. »Das ist keiner, den ich kenne«, sagte er und prüfte den Schatten sorgfältig, »aber er sieht aus wie ein Gauner.«

»Wir diskutierten noch darüber, nicht wahr«, sagte Mr.

Darling, »als Nana mit Michaels Medizin hereinkam.

Du wirst die Flasche nie mehr in der Schnauze tragen, Nana, und alles ist meine Schuld.«

Obwohl er doch der starke Mann in der Familie war, hat er sich zweifellos albern angestellt mit der Medizin.

Wenn er eine Schwäche hatte, dann die, daß er glaubte, er hätte sein Leben lang immer tapfer seine Medizin genommen. Darum hatte er, als Michael vor Nanas Löffel davonlief, vorwurfsvoll gesagt: »Michael, sei ein Mann!«

»Will nicht, will nicht!« schrie Michael ungezogen.

Mrs. Darling verließ das Zimmer, um ein Stück Schokolade für ihn zu holen.

»Mutter, verwöhne ihn nicht«, rief er ihr hinterher.

»Als ich in deinem Alter war, mein Sohn, habe ich jede Medizin ohne Murren genommen. Ich sagte: ›Danke, liebe Eltern, daß ihr mir die Medizin gebt, damit ich gesund werde.‹«

Er glaubte wirklich, daß das stimmte, und Wendy, die jetzt ihr Nachthemd angezogen hatte, glaubte das auch, und sie wollte Michael ermutigen: »Die Medizin, die du manchmal nimmst, Papa, die schmeckt doch noch viel scheußlicher, nicht?«

»Viel, viel scheußlicher«, sagte Mr. Darling kühn, »und ich würde sie augenblicklich nehmen, um dir ein Beispiel zu geben, mein Sohn, wenn die Flasche nicht verschwunden wäre.«

Sie war nicht eigentlich verschwunden. Er war mitten in der Nacht auf den Kleiderschrank geklettert und hatte sie dort versteckt. Er wußte bloß nicht, daß die treue Liza sie gefunden und wieder auf den Waschtisch gestellt hatte.

»Ich weiß, wo sie ist«, rief Wendy, die immer froh war, wenn sie sich nützlich machen konnte. »Ich hole sie!« Schon war sie weg und nicht mehr aufzuhalten.

Merkwürdig, wie Mr. Darlings Mut auf einmal sank.

»John«, sagte er und schüttelte sich, »es ist ein wider-liches Zeug. So scheußlich klebrig und süß.«

»Es ist ja bald vorbei, Papa«, sagte John fröhlich, und dann kam Wendy hereingerauscht mit einem Glas voll Medizin.

»Schneller ging es nicht«, keuchte sie.


»Es ging fabelhaft schnell, fabelhaft!« sagte Mr. Darling mit spitzer Ironie, die bei Wendy ganz unan-gebracht war.

»Michael zuerst«, sagte er störrisch.

»Papa zuerst«, sagte Michael, der ein mißtrauischer Junge war.

»Gleich werde ich krank, ihr werdet ja sehen«, drohte Mr. Darling.

»Mach schon, Papa«, sagte John.

»Halt den Mund, John«, sagte der Vater.

Wendy war ganz durcheinander. »Ich dachte, dir macht das nichts aus.«

»Das ist nicht der Punkt«, sagte Mr. Darling. »Der Punkt ist, daß in meinem Glas mehr ist als auf Michaels Löffel, und das ist ungerecht. Bis zum letzten Atemzug werde ich erklären: Das ist ungerecht.«

»Papa, ich warte«, sagte Michael eiskalt.

»Das ist schön und gut, daß du wartest, also – ich warte.«

»Papa ist ein erbärmlicher Feigling.«

»Du bist ein erbärmlicher Feigling.«

»Ich habe keine Angst.«

»Ich habe auch keine Angst.«

»Na, dann nimm sie.«

»Na, dann nimm du sie.«

Wendy hatte eine glänzende Idee: »Warum nehmt ihr sie nicht gleichzeitig?«

»Gut«, sagte Mr. Darling. »Bist du bereit, Michael?«

Wendy gab das Kommando, eins, zwei, drei, und Michael nahm seine Medizin, doch Mr. Darling versteckte seine hinter dem Rücken.

Michael schrie vor Wut.

»Aber Papa!« rief Wendy.

»Was heißt hier ›Aber Papa‹«, sagte Mr. Darling. »Hör auf mit dem Getue, Michael. Ich wollte sie nehmen, aber ich – ich habe sie irgendwie verpaßt.«

Es war grauenvoll, wie alle drei ihn anschauten, bei- nahe so, als würden sie ihn nicht bewundern. »Seht mal, seht mal alle her«, sagte er flehend, als Nana ins Bad gegangen war, »ich habe mir einen prima Witz ausgedacht. Ich gieße meine Medizin in Nanas Napf, und sie trinkt die Medizin und denkt, es ist Milch.«

Die Medizin war weiß. Aber die Kinder fanden ihren Vater gar nicht komisch und sahen ihn vorwurfsvoll an, als er die Medizin in Nanas Napf schüttete. »Ist doch bloß Spaß«, sagte er, und sie wagten nicht, ihn zu verraten, als Mrs. Darling mit Nana zurückkam.

»Nana, guter Hund«, sagte er und gab ihr einen Klaps, »ich habe ein bißchen Milch in deinen Napf getan.«

Nana wedelte mit dem Schwanz, lief zum Napf und begann zu schlürfen. Dann schaute sie Mr. Darling an – ohne Zorn: Sie zeigte ihm die große rote Träne, die soviel Mitgefühl erregt bei edlen Hunden – und kroch in ihre Hütte.

Mr. Darling schämte sich fürchterlich, aber er wollte sich nicht geschlagen geben. Tödliche Stille. Mrs. Darling roch am Napf. »O George«, sagte sie, »das ist ja deine Medizin!«

»Es war nur ein Witz«, brüllte er, während Mrs. Darling ihre Jungen tröstete und Wendy Nana umarmte.

»Sehr gut«, sagte er bitter, »das hat man davon, wenn man sich bemüht, in diesem Haus ein bißchen lustig zu sein.«

Wendy hielt Nana immer noch im Arm. »Richtig«, rief Mr. Darling, »knuddel sie! Mich knuddelt keiner. O nein, o nein! Ich bin bloß der Geldverdiener, warum sol te ich geknuddelt werden, warum, warum, warum!«

»George«, flehte Mrs. Darling, »nicht so laut, das Personal kann dich hören.« Irgendwie hatten sie sich angewöhnt, Liza »das Personal« zu nennen.

»Macht nichts«, rief er trotzig, »die ganze Welt soll mich hören. Ich dulde nicht länger, daß dieser Hund mein Kinderzimmer tyrannisiert, nicht eine Stunde länger!«

Die Kinder weinten, und Nana lief zu ihm und machte »bitte, bitte«, aber er wies sie zurück. Er fühlte, daß er jetzt wieder der starke Mann war. »Umsonst, umsonst«, rief er, »du gehörst in den Hof, und da wird man dich augenblicklich an die Kette legen.«

»George, George«, flüsterte Mrs. Darling, »bedenk doch, was ich dir von dem Jungen erzählt habe.«

Aber nein, Mr. Darling wollte nicht hören. Er war entschlossen zu beweisen, wer der Herr im Hause war.

Er packte Nana und schleifte sie aus dem Kinderzimmer.

Er schämte sich, aber er tat es doch. Das alles lag nur an seinem zarten Charakter, der auf Bewunderung so sehr angewiesen war. Als er sie hinten im Hof angekettet hatte, setzte sich der unglückliche Vater in den Flur und schlug die Hände vors Gesicht.

Inzwischen hatte Mrs. Darling die Kinder zu Bett gebracht, in ungewohnter Stille, und hatte ihre Nachtlichter angezündet. Sie konnten Nana bellen hören, und John jammerte: »Sie bellt, weil er sie an die Kette gelegt hat.«

Aber Wendy wußte es besser. »So bel t sie nicht, wenn sie unglücklich ist«, sagte sie, ohne wirklich zu ahnen, was in dieser Nacht geschehen würde, »so bel t sie, wenn sie eine Gefahr wittert.«

Gefahr!

»Bist du sicher, Wendy?«

»O ja.«

Mrs. Darling ging zitternd zum Fenster. Es war fest verschlossen. Sie schaute hinaus. Der Himmel war mit Sternen übersät. Sie drängten sich ums Haus, als wären sie neugierig, was da passieren würde. Aber das merkte Mrs. Darling nicht und auch nicht, daß ein oder zwei von den kleineren Sternen ihr zublinzelten. Und doch, eine unbestimmte Furcht ergriff ihr Herz, und sie rief: »Ach, wenn ich doch heute abend nicht ausgehen müßte!«

Selbst Michael, der schon halb schlief, spürte, daß sie unruhig war, und er fragte: »Kann uns denn irgend etwas zustoßen, Mama, jetzt, wo die Nachtlichter brennen?«

»Nein, mein Schatz«, sagte sie, »das sind die Augen, die eine Mutter daheim läßt, wenn sie fortgeht, damit sie ihre Kinder behüten.«

Sie ging von Bett zu Bett und sang jedem ein Schlaflied vor, und der kleine Michael schlang seine Arme um sie.

»Mama«, rief er, »ich mag dich so.«

Das waren die letzten Worte, die sie für lange Zeit von ihm hören sollte.

Die Nummer 27 war nur ein paar Schritte entfernt, aber es war ein bißchen Schnee gefallen, und Vater und Mutter Darling gingen rasch darüber hinweg, damit ihre Schuhe nicht schmutzig würden. Sie waren jetzt die einzigen Leute auf der Straße, und alle Sterne schauten auf sie herab. Sterne sind schön, aber sie können niemals selber etwas tun, sie müssen immer nur zuschauen.

Das ist die Strafe für etwas, das sie vor so langer Zeit angestellt haben, daß heute kein Stern mehr weiß, was es eigentlich war. Darum haben die älteren unter ihnen glasige Augen bekommen und sprechen selten (Blinzeln ist die Sprache der Sterne), aber die kleinen sind noch neugierig. Sie sind nicht richtig Peters Freunde, weil er so frech ist und plötzlich hinter ihnen auftaucht und versucht, sie auszublasen. Aber sie sind so vergnügungs-süchtig, daß sie heute nacht auf Peters Seite sind und sehr darauf bedacht, daß die Erwachsenen verschwinden.

Sobald sich die Tür von Nummer 27 hinter Mr. und Mrs. Darling geschlossen hatte, gab es also eine große Aufregung am Firmament, und der kleinste aller Sterne in der Milchstraße rief: »Peter! Jetzt!«