Kommt mit! Kommt mit!

EINE Weile nachdem Mr. und Mrs. Darling das Haus verlassen hatten, brannten die Nachtlichter an den Betten der Kinder noch hel und klar. Es waren furchtbar nette Nachtlichter, und man hätte nur wünschen können, daß sie wach geblieben wären, bis Peter kam. Aber Wendys Licht flackerte und gähnte dermaßen, daß die beiden anderen ebenfalls zu gähnen anfingen, und ehe sie den Mund wieder zukriegten, gingen alle drei aus.

Jetzt war ein anderes Licht im Zimmer, tausendmal heller als die Nachtlichter, und in der Zeit, die wir brauchen, um davon zu erzählen, war es schon in allen Schubladen des Kinderzimmers gewesen, um Peters Schatten zu suchen, hatte den Kleiderschrank durch-stöbert und jede Tasche nach außen gekehrt. Es war kein richtiges Licht, es verbreitete dieses Licht, indem es schnell hin und her schoß, aber wenn es für eine Sekunde zur Ruhe kam – hast du gesehen: Es war eine Fee. Nicht größer als deine Hand, aber sie wuchs noch.

Es war ein Mädchen, und sie hieß Tinker Bell, elegant gekleidet in ein geripptes Blatt; das war ordentlich tief ausgeschnitten, so daß ihre Figur bestens zur Geltung kam. Sie hatte allerdings ein bißchen Bauch.

Kaum war die Fee hereingekommen, da ging das Fenster auf – die kleinen Sterne hatten es aufgepustet –, und Peter fiel ins Zimmer. Er hatte Tinker Bell einen Teil des Wegs getragen, und seine Hände waren noch voll von Feenstaub.

»Tinker Bel «, rief er leise, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Kinder schliefen, »Tink, wo bist du?« Sie war gerade in einem Krug, und das genoß sie sehr; sie war noch nie in einem Krug gewesen.

»Los, komm her und sag mir, ob du weißt, wo sie meinen Schatten hingelegt haben.«

Die lieblichsten Klänge, wie von goldenen Glöckchen, antworteten ihm. Das ist die Feensprache. Ihr gewöhnlichen Kinder könnt sie nicht hören, aber wenn ihr sie hören könntet, wüßtet ihr, daß ihr sie von früher her kennt.

Tink sagte, daß sich der Schatten in der großen Kiste befände. Sie meinte die Kommode, und Peter sprang in die Schubladen und verstreute ihren Inhalt mit beiden Händen auf dem Boden – wie Könige Kleingeld unter die Menge streuen. Schnel fand er seinen Schatten, und in seiner Freude fiel ihm gar nicht auf, daß er Tinker Bell im Schubfach eingesperrt hatte.

Wenn er überhaupt etwas dachte – aber ich glaube nicht, daß er je richtig gedacht hat –, dann dachte er, daß er und sein Schatten sich verbinden würden wie zwei Wassertropfen, die man zusammenbringt. Und als das nicht geschah, erschrak Peter sehr. Er holte Seife aus dem Bad und versuchte, ihn damit anzukleben, aber das ging auch nicht. Da fühlte er sich elend und setzte sich auf den Boden und heulte. Sein Schluchzen weckte Wendy, und sie richtete sich im Bett auf. Es erschreckte sie nicht, einen Fremden heulend auf dem Boden sitzen zu sehen, sie war eher angenehm überrascht.

»Junge«, sagte sie höflich, »warum weinst du denn?«

»Wie heißt du?« fragte er.

»Wendy Moira Angela Darling«, sagte sie nicht ohne Stolz, »und wie heißt du?«

»Peter Pan.«

Klar, das mußte Peter sein. Aber so ein kurzer Name?

»Ist das alles?«

»Ja«, sagte er ziemlich spitz. Zum erstenmal hatte er das Gefühl, daß sein Name zu kurz war.

»Entschuldigung«, sagte Wendy Moira Angela.

»Macht nichts.« Peter schluckte.

Sie fragte, wo er wohne.

»Die zweite rechts«, sagte Peter, »und dann geradeaus bis morgen.«

»Das ist eine komische Adresse!«

Peter ging es gar nicht gut. Zum erstenmal hatte er das Gefühl, daß er vielleicht eine komische Adresse hätte.

»Nein, ist sie nicht«, sagte er.

»Ich meine«, sagte Wendy freundlich – sie dachte daran, daß sie die Gastgeberin war –, »schreibt man das auf die Briefe an dich?«

Hätte sie bloß nicht von Briefen gesprochen!

»Ich krieg keine Briefe«, sagte er verächtlich.

»Aber deine Mutter kriegt Briefe?«

»Ich hab keine Mutter«, sagte Peter. Er hatte auch nicht die leiseste Sehnsucht danach. Er hielt Mütter für sehr überschätzt.

Aber Wendy hatte plötzlich das Gefühl, einer Tragödie beizuwohnen.

»Ja, Peter, kein Wunder, daß du weinst.« Sie sprang aus dem Bett und lief zu ihm hin.

»Ich habe nicht wegen meiner Mutter geweint«, erklärte er ziemlich empört. »Ich habe geweint, weil mein Schatten nicht hält. Außerdem habe ich gar nicht geweint.«

»Ist er abgegangen?«

»Ja.«

Da sah Wendy den Schatten auf dem Boden, er sah so schmutzig aus, und Peter tat ihr schrecklich leid. »Wie furchtbar!« sagte sie, aber sie mußte lächeln, als sie sah, daß er versucht hatte, ihn mit Seife anzukleben.

Zum Glück wußte sie sofort, was zu tun war. »Er muß angenäht werden«, sagte sie ein bißchen gönnerhaft.

»Was heißt ›angenäht‹?« fragte er.

»Du bist furchtbar ungebildet.«

»Nein, bin ich nicht.«

Sie freute sich regelrecht an seiner Unwissenheit. »Ich nähe ihn an, kleiner Mann«, sagte sie, obwohl er auch nicht kleiner war als sie.

Und dann holte sie den Nähkasten und nähte den Schatten an Peters Fuß.

»Wahrscheinlich tut es ein bißchen weh«, sagte sie.

»Ach, ich weine nicht«, sagte Peter, der schon wieder glaubte, er habe noch nie in seinem Leben geweint. Er biß die Zähne zusammen und weinte nicht, und bald war der Schatten wieder da, wo er hingehörte. Er war bloß ein bißchen zerknittert.




»Vielleicht hätte ich ihn bügeln sollen«, sagte Wendy nachdenklich. Aber Peter kümmerte sich nicht um sein Äußeres, er sprang schon wieder fröhlich im Zimmer herum. Ach, er hatte auch schon vergessen, daß er sein Glück Wendy verdankte. Er glaubte tatsächlich, er hät-te den Schatten selbst angenäht. »Wie schlau ich bin«, krähte er, »wie schlau, wie schlau!«



Es ist schon schlimm, daß man das sagen muß, aber daß Peter so frech und eingebildet war, gehörte zu seinen auffälligsten Eigenschaften. Ohne Wenn und Aber: Er war der hochnäsigste von allen.

Im Augenblick war Wendy jedenfal s schockiert. »Bist du eingebildet!« rief sie sarkastisch. »Ich habe wohl gar nichts gemacht!«

»Ein bißchen schon«, sagte Peter ungerührt – und tanzte weiter.

»Ein bißchen!« wiederholte sie beleidigt. »Wenn ich zu nichts nütze bin, dann brauchst du mich ja nicht!«

Würdevoll stieg sie ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

Damit sie wieder guckte, tat er so, als ginge er fort, und als das nichts half, setzte er sich auf die Bettkante und stupste sie an. »Wendy«, sagte er, »sei nicht so. Ich muß krähen, wenn es mir gutgeht.« Sie guckte immer noch nicht, obwohl sie ganz genau zuhörte. »Wendy«, fuhr er fort, mit einer Stimme, der noch keine Frau hat widerstehen können, »Wendy, ein Mädchen ist mehr wert als zwanzig Jungen.«

Nun war Wendy ganz Frau (jeder Zoll eine Frau, wenngleich bei ihr noch nicht viel Zoll zusammenkamen), und sie schielte unter der Decke hervor.

»Ist das dein Ernst, Peter?«

»O ja, bestimmt.«

»Das finde ich aber nett, dann steh ich wieder auf.«

Und sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Außerdem sagte sie, daß sie ihm einen Kuß geben würde, wenn er wollte, aber Peter wußte nicht, was sie meinte, und hielt erwartungsvoll die Hand auf.

»Aber du weißt doch, was ein Kuß ist?« fragte sie verdutzt.

»Das weiß ich, wenn du mir einen gibst«, sagte er steif, und weil sie ihn nicht kränken wollte, gab sie ihm einen – Fingerhut.

»Soll ich dir jetzt einen Kuß geben?« fragte er, und etwas geziert sagte sie: »Wenn du magst.« Etwas herab-lassend hielt sie ihm das Gesicht hin, aber er ließ nur eine Eichel in ihre Hand fallen. Also zog sie langsam den Kopf wieder zurück und sagte verbindlich, sie würde seinen Kuß an einer Kette um den Hals tragen.

Ein Glück, daß sie es wirklich tat, denn die Kette sollte ihr später das Leben retten.

Wenn Leute sich kennenlernen, ist es üblich, daß sie sich nach dem Alter fragen, und darum fragte Wendy Peter, wie alt er sei. Sie hätte etwas anderes fragen sollen. Wie in der Schule: Du bist auf »Könige von England« vorbereitet, und dann kommen Fragen aus der Grammatik.

»Ich weiß nicht«, antwortete er, »aber ich bin ziemlich jung.« Er hatte nicht die leiseste Ahnung, bloß Vermutun-gen, aber er sagte auf gut Glück: »Wendy, ich bin weggelaufen, gleich an dem Tag, als ich geboren wurde.«

Wendy war ganz überrascht, aber das interessierte sie, und sie deutete ihm an, daß er etwas näher rücken sollte.

»Es ist bloß«, erklärte er leise, »weil Vater und Mutter so geredet haben, was ich werden soll, wenn ich groß bin.« Jetzt war er furchtbar aufgeregt. »Ich will aber nicht groß werden«, sagte er heftig. »Ich will immer ein kleiner Junge sein und meinen Spaß haben. Darum bin ich weggelaufen nach Kensington Gardens und hab lange Zeit bei den Feen gewohnt.«

Sie schaute ihn bewundernd an, und er dachte, es wäre, weil er weggelaufen war, aber in Wirklichkeit bewunderte sie ihn wegen der Feen. Wendy war so sehr an ihr alltägliches Leben gewöhnt, daß die Vorstellung, jemand könnte Feen kennen, ihr ganz wunderbar erschien. Sie überschüttete ihn mit Fragen, was ihn überraschte, denn Feen waren ziemlich lästig, immer im Weg und so, und manchmal mußte er sich richtig vor ihnen verstecken. Trotzdem mochte er sie alles in allem ganz gern, und er erzählte Wendy, wie die Feen auf die Welt gekommen sind.

»Weißt du, Wendy, als das allererste Baby zum aller-erstenmal lachte, da zerbrach sein Lachen in tausend Stücke, und sie sprangen alle herum, und es wurden Feen daraus.«

Langweiliges Gerede, aber für einen Stubenhocker wie Wendy doch ganz spannend.

»Und eigentlich«, fuhr er freundlicherweise fort, »müßte es für jeden Jungen und jedes Mädchen eine Fee geben.«

»Müßte? Gibt es aber nicht?«

»Nein. Weil Kinder heute so vernünftig sind und nicht mehr an Feen glauben. Und jedesmal, wenn ein Kind sagt: ›Ich glaube nicht an Feen‹, fällt irgendwo eine Fee tot um.«

Jetzt hatten sie aber wirklich genug über Feen geredet, und es wunderte ihn, daß Tinker Bell so still war.

»Wo steckt sie bloß?« sagte er und stand auf und rief sie.

Wendys Herz schlug heftig vor Erregung.

»Peter«, rief sie und packte ihn, »du willst doch wohl nicht behaupten, daß eine Fee in diesem Zimmer ist!«

»Eben war sie noch hier«, sagte er ein bißchen un-geduldig.

»Hörst du was?« Und sie horchten beide.

»Was ich höre«, sagte Wendy, »klingt wie – wie ein Glöckchen.«

»Aha, das ist sie, das ist die Feensprache. Ich glaub, jetzt höre ich sie auch.«

Das Geklingel kam aus der Kommode, und Peter strahlte übers ganze Gesicht. Niemand konnte strahlen wie Peter, und wenn er lachte, gluckste er wunderschön.

Er hatte noch sein erstes Lachen.

»Wendy«, flüsterte er fröhlich, »ich glaub, ich habe sie im Schubfach eingesperrt.«

Er befreite die arme Tinker Bell, und sie flog durchs Zimmer und schrie vor Wut. »Sag nicht solche Sachen«, schimpfte Peter. »Natürlich tut es mir leid, aber wie sol te ich wissen, daß du in der Schublade steckst?«

Wendy hörte gar nicht zu. »Ach Peter«, rief sie, »warum steht sie nicht mal still, daß ich sie anschauen kann!«

»Sie stehen fast niemals still«, sagte er. Aber für einen Augenblick sah Wendy das Zauberwesen, als es doch stillstand – auf der Kuckucksuhr. »Ist die schön!« rief Wendy, obwohl das Gesicht von Tinker Bell immer noch wutverzerrt war.

»Tink«, sagte Peter freundlich-streng, »diese Dame möchte, daß du ihre Fee wirst.«

Tinker Bell antwortete mit einer Unverschämtheit.

»Was sagt sie, Peter?«

Er mußte es übersetzen. »Sie ist nicht sehr höflich.

Sie sagt, daß du ein großes häßliches Mädchen bist und daß sie meine Fee ist.«

Er redete auf sie ein: »Du weißt doch, daß du nicht meine Fee sein kannst, Tink, ich bin ein Gentleman, und du bist eine Dame.«

Worauf die Dame sprach: »Du Blödmann« und ins Bad verschwand. »Sie ist eine ziemlich gewöhnliche Fee«, entschuldigte sich Peter, »sie repariert bei uns die Töpfe und die Kessel, darum flucht sie wie ein Kesselflicker.«

Sie saßen jetzt zusammen im Lehnstuhl, und Wendy überhäufte ihn weiter mit Fragen.

»Wenn du nicht mehr in Kensington Gardens wohnst …«

»Manchmal schon.«

»Aber wo wohnst du die meiste Zeit?«

»Bei den verlorenen Jungen.«

»Bei wem?«

»Das sind die Kinder, die aus dem Kinderwagen fallen, wenn das Kindermädchen nicht aufpaßt. Wenn sie nach einer Woche nicht abgeholt werden, dann werden sie kostenlos ins Niemalsland geschickt. Ich bin ihr Hauptmann.«

»Das muß lustig sein!«

»Doch, schon«, sagte der listige Peter, »aber wir sind ziemlich einsam. Wir haben keine weibliche Gesellschaft.«

»Sind gar keine Mädchen dabei?«

»Nein, nein. Mädchen, weißt du, sind viel zu klug, die fallen nicht aus dem Kinderwagen.«

Das schmeichelte Wendy enorm. »Es ist absolut wunderbar«, sagte sie, »wie du über Mädchen sprichst. Im Gegensatz zu John, der verachtet uns.«

Peter stand auf, beförderte John mit einem Tritt aus dem Bett und das Bettzeug gleich mit. Das war seine Antwort. Wendy fand das ziemlich unverschämt – man kannte sich ja kaum –, und sie sagte Peter ganz deutlich, daß er in diesem Hause nicht der Hauptmann sei. Aber John schlief so friedlich weiter, daß sie Peter erlaubte zu bleiben. »Du hast es sicher gut gemeint«, sagte sie milde, »darum darfst du mir einen Kuß geben.«

Sie hatte vergessen, daß er sich mit dem Küssen nicht auskannte. »Das hab ich mir gedacht. Du willst ihn wiederhaben«, sagte er bitter und hielt ihr den Fingerhut hin.

»Nein, nein«, sagte Wendy, »keinen Kuß, ich meine – einen Fingerhut.«

»Einen was?«

»Es geht so.« Sie küßte ihn.

»Komisch«, sagte Peter feierlich. »Soll ich dir jetzt einen Fingerhut geben?«

»Wenn du magst«, sagte Wendy und hielt den Kopf aufrecht. Peter gab ihr einen Fingerhut, und im selben Augenblick fing sie an zu schreien. »Was ist, Wendy?«

»Jemand hat an meinen Haaren gezogen.«

»Das muß Tink gewesen sein. So frech war sie noch nie.«

Tatsächlich sauste Tink wieder durch die Luft und schimpfte hundsgemein.

»Sie sagt, das wird sie von jetzt an immer machen, wenn ich dir einen Fingerhut gebe.«

»Warum denn?«

»Warum, Tink?«

Wieder sagte Tink: »Du Blödmann.«

Peter verstand das alles nicht, aber Wendy verstand sehr gut. Sie war nur ein bißchen enttäuscht, als Peter sagte, daß er nicht ihretwegen gekommen sei, sondern weil er Geschichten hören wollte.

»Weißt du, wir kennen keine Geschichten. Keiner von den verlorenen Jungen kennt irgendeine Geschichte.«

»Wie fürchterlich!« sagte Wendy.

»Weißt du, warum die Schwalben über dem Fenster ihr Nest bauen?« fragte Peter. »Damit sie Geschichten hören. Ach Wendy, eure Mutter hat euch eine so schöne Geschichte erzählt.«

»Welche denn?«

»Von dem Prinzen, der das Mädchen mit dem glä-

sernen Schuh nicht finden konnte.«

»Das war Cinderella, Peter«, sagte Wendy aufgeregt, »und er hat sie gefunden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«

Peter war so froh, daß er vom Boden aufsprang (wo sie gesessen hatten) und zum Fenster lief. »Wo willst du hin?« rief sie ängstlich.

»Ich will es den anderen erzählen.«

»Bleib doch, Peter, ich weiß noch eine Menge Geschichten.«

Das hatte sie gesagt, genau das, also kann man nicht abstreiten, daß sie es war, die ihn in Versuchung führte.

Er kam zurück, und es war ein gieriger Blick in seinen Augen, der sie hätte warnen müssen, aber nein …

»Ich könnte den Jungs Geschichten erzählen!« rief sie.

Da packte er sie und schleppte sie zum Fenster.

»Laß mich!« sagte sie gereizt.

»Wendy, komm doch mit und erzähl den anderen was!«

Natürlich gefiel es ihr sehr, wie er sie bat, aber sie sagte: »Nein, nein, das geht nicht. Wegen Mama! Und außerdem kann ich nicht fliegen.«

»Ich zeig es dir.«

»Ach, das war schön!«

»Ich zeig dir, wie man dem Wind auf den Rücken springt, und dann brausen wir los.«

»Uh!« rief sie entzückt.

»Wendy, Wendy, statt in deinem blöden Bett zu schlafen, könntest du mit mir herumfliegen und den Sternen lustige Sachen erzählen.«

»Uh!«

»Und Wendy, da gibt es Nixen.«

»Nixen! Mit Schwänzen?«

»So langen Schwänzen!«

»Ach«, rief Wendy, »einmal eine Nixe sehen!«

Peter war furchtbar schlau. »Wendy«, sagte er, »wir hätten alle großen Respekt vor dir.«

Sie wand sich verzweifelt – als müßte sie mit aller Kraft versuchen, auf dem Boden zu bleiben.

»Wendy«, sagte er hinterlistig, »du könntest uns jeden Abend ins Bett bringen.«

»Uh!«

»Keiner von uns ist jemals richtig ins Bett gebracht worden.«

»Uh!« Sie mußte ihn umarmen.

»Und du könntest unsere Hosen flicken und Taschen für uns machen. Keiner von uns hat Taschen.«

Wie konnte sie widerstehen? »Natürlich ist das schreck- lich verlockend!« rief sie. »Peter, würdest du auch John und Michael zeigen, wie man fliegt?«

»Wenn du willst«, sagte er gleichgültig.

Da lief sie zu ihren Brüdern und schüttelte sie. »Auf-wachen«, rief sie, »Peter Pan ist da und zeigt uns, wie man fliegt.«

John rieb sich die Augen. »Dann steh ich auf«, sagte er, und schon war er auf den Beinen. »Hallo, da bin ich!«

Michael war jetzt auch auf und guckte aufmerksam um sich. Da machte Peter plötzlich ein Zeichen: Sie sollten still sein. Ihre Gesichter bekamen den Ausdruck äußerster Wachsamkeit, alle standen mucksmäuschenstill. Dann war wieder alles in Ordnung. Halt, halt!

Nichts war in Ordnung. Nana, die den ganzen Abend verzweifelt gebellt hatte, war jetzt ruhig. Ihr Schweigen hatten sie gehört.

»Licht aus! Schnel ! Versteckt euch!« rief John. Es war das einzige Mal während des ganzen Abenteuers, daß er das Kommando übernahm. Als Liza mit Nana in das Kinderzimmer kam, schien alles ganz normal, und man hätte schwören können, daß die drei mißratenen Bewohner atmeten wie Engel im Schlaf. Sie standen aber hinter den Fenstervorhängen und taten bloß so – sehr gekonnt.

Liza ärgerte sich, weil sie in der Küche gerade den Weihnachtspudding anrührte, und nun war sie durch Nanas blödsinnigen Argwohn gestört worden; ihr klebte noch eine Rosine an der Backe.

»Da, du mißtrauisches Vieh«, sagte sie. »Die kleinen Engel schlafen. Hörst du, wie ruhig sie atmen?«

In diesem Augenblick atmete Michael – durch den Erfolg übermütig geworden – so laut, daß sie fast entdeckt worden wären.

»Ich warne dich. Wenn du noch einmal bellst, hole ich sofort Herrchen und Frauchen nach Hause, und dann kriegst du Prügel, jawohl!«

Liza legte die unglückliche Hündin wieder an die Kette, aber glaubst du, sie hätte aufgehört zu bellen?

Herrchen und Frauchen vom Fest nach Hause holen!

Genau das wollte Nana. Glaubst du, es hätte ihr was ausgemacht, verprügelt zu werden, solange sie nur ihre Pflicht erfüllte? Leider kehrte Liza zu ihrem Pudding zurück, und Nana, die einsah, daß von ihr keine Hilfe zu erwarten war, zog und zerrte an der Kette, bis sie endlich riß.

Im nächsten Augenblick stand sie im Speisezimmer von Nummer 27 und reckte die Pfoten gen Himmel, was »höchste Alarmstufe« bedeutete. Mr. und Mrs.

Darling wußten sofort, daß etwas Schreckliches im Kinderzimmer passiert sein mußte, und rannten, ohne sich von den Gastgebern zu verabschieden, auf die Straße. Aber es war schon zehn Minuten her, seit die drei Gauner hinter den Vorhängen geatmet hatten. Und Peter Pan kann ziemlich viel in zehn Minuten. Zurück ins Kinderzimmer.

»Die Luft ist rein«, verkündete John und kam aus seinem Versteck. »Du, Peter, kannst du wirklich fliegen?«

Der machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern flog einfach im Zimmer herum und landete auf dem Kamin.

»Toll!« sagten John und Michael.

»Süß!« rief Wendy.

»Ja, ich bin süß, ich bin toll!« sagte Peter und vergaß gleich wieder seine Manieren.

Es sah wirklich sehr einfach aus, und sie versuchten es zuerst vom Boden und dann von den Betten, aber immer ging es runter und nicht rauf.

»Du, wie machst du das?« fragte John und rieb sich das Knie. Er war ein praktisch veranlagter Junge.

»Ihr müßt einfach an was Schönes denken«, sagte Peter, »dann heben euch die Gedanken in die Luft.«

Er zeigte es ihnen noch einmal.

»Du machst das so schnell«, sagte John. »Könntest du es einmal ganz langsam machen?«

Peter machte es langsam und schnell. »Jetzt kann ich’s, Wendy!« rief John – und merkte, daß es doch nicht ging. Keiner von ihnen konnte auch nur einen Zentimeter vom Boden abheben, obwohl Michael doch schon zweisilbige Wörter in der Schule gelernt hatte und Peter nicht einmal das Abc beherrschte.

Natürlich hatte Peter sich einen Spaß erlaubt, denn keiner kann fliegen, wenn er nicht vorher mit Feenstaub bepustet wird. Zum Glück hatte Peter, wie wir wissen, noch Feenstaub auf seiner Hand, und so blies er etwas davon auf die drei Kinder – mit ganz ausgezeichnetem Erfolg.

»Jetzt die Schultern bewegen«, sagte er, »und los geht’s.«

Sie standen alle auf den Betten, und Michael startete zuerst. Er wollte gar nicht, aber es passierte, und sofort schwebte er durch den Raum.

»Ich bin gefliegt!« schrie er und war noch immer in der Luft. John flog los und begegnete Wendy in der Nähe des Badezimmers.

»Herrlich!«

»Toll!«

»Guck mal!«

»Guck mal!«

»Guck mal!«

Sie flogen längst nicht so elegant wie Peter, sie stolperten durch die Luft, und ihre Köpfe bumsten an die Decke, und etwas Schöneres gibt es bekanntlich nicht.




Peter wollte Wendy helfen, aber dann ließ er es doch:

Tinker Bell sah das nicht gem.

Es ging rauf und runter und hin und her. »Himmlisch!« sagte Wendy.

»Du«, rief John, »warum fliegen wir nicht weg?«

Natürlich, darauf hatte Peter bloß gewartet.

Michael war bereit. Er wollte sehen, wie lange er für eine Billion Meilen brauchte. Aber Wendy zögerte.

»Nixen!« sagte Peter noch einmal.

»Uh!«

»Und Piraten!«

»Piraten«, rief John und griff im Flug nach seinem Sonntagshut, »wir fliegen sofort los!«

Genau in diesem Augenblick rannten Mr. und Mrs.

Darling mit Nana aus dem Haus Nummer 27. Sie rannten mitten auf die Straße und schauten zum Fenster des Kinderzimmers hinauf. Ja, es war geschlossen, aber das Zimmer war taghell, und – bei diesem Anblick konnte einem das Herz stehenbleiben – auf dem Vorhang sahen sie die Schatten von drei kleinen Gestalten im Nachthemd, die sich drehten und drehten und drehten – nicht auf dem Boden, sondern in der Luft.

Nicht drei Gestalten, vier!

Zitternd öffneten sie die Haustür. Mr. Darling wollte die Treppe hinaufstürmen, aber Mrs. Darling machte ihm ein Zeichen: leise! Sie gab sich sogar Mühe, ihr Herz leiser schlagen zu lassen.

Werden sie das Kinderzimmer rechtzeitig erreichen?

Wenn ja, wie schön für sie, dann werden wir al e aufatmen – aber dann gibt es keine Geschichte. Andererseits, wenn sie’s nicht rechtzeitig schaffen, verspreche ich feierlich, daß am Ende doch alles gut ausgeht.

Sie hätten das Zimmer rechtzeitig erreicht, wären da nicht die kleinen Sterne gewesen, die alles genau beobachteten.

Wieder pusteten sie das Fenster auf, und der aller-kleinste rief: »Achtung, Peter!«

Da wußte Peter, daß sie keine Zeit verlieren durften.

»Kommt!« rief er gebieterisch und segelte hinaus in die Nacht. Und John und Michael und Wendy hinterher.

Mr. und Mrs. Darling und Nana stürzten ins Zimmer.

Zu spät. Die Vögel waren ausgeflogen.