Über die neue Militärverwaltung waren die unterschiedlichsten und gelegentlich widersprüchlichsten Informationen im Umlauf. General Köstring richtete seine Dienststelle in Woroschilowsk ein. Er war ein schon etwas älterer Offizier, den man reaktiviert hatte, aber meine Gesprächspartner bei der Abwehr versicherten, dass er noch voller Energie sei, und nannten ihn den weisen Marabu. Er war in Moskau geboren, hatte die deutsche Militärmission in Kiew geleitet, 1918 bei dem Hetman Skoropadski, und war zweimal Militärattaché an unserer Botschaft in Moskau gewesen: Infolgedessen galt er als einer der besten deutschen Russlandexperten. Oberst von Gilsa verschaffte mir eine Unterredung mit dem neuen Vertreter des Ostministeriums bei Köstring, Dr. Otto Bräutigam, ehemals Konsul in Tiflis. Mit den runden Brillengläsern, dem gestärkten Kragen und der braunen Uniform mit dem goldenen Parteiabzeichen fand ich ihn etwas steif; er blieb distanziert, fast kühl, machte aber einen besseren Eindruck auf mich als die meisten Goldfasanen. Gilsa hatte mir erklärt, dass er einen wichtigen Posten in der politischen Abteilung des Ministeriums bekleide. »Ich bin sehr froh, Sie kennenzulernen«, sagte ich ihm bei der Begrüßung. »Vielleicht können Sie ein wenig zur Klärung der Angelegenheit beitragen.« – »Ich habe Brigadeführer Korsemann in Woroschilowsk getroffen und eine längere Unterredung mit ihm gehabt. Ist die Einsatzgruppe nicht eingehend informiert worden?« – »Oh, sicherlich! Aber wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, würde ich mich gern mit Ihnen darüber unterhalten, weil mich diese Fragen sehr interessieren.« Ich führte Bräutigam in mein Büro und bot ihm zu trinken an; er lehnte höflich ab. »Ich könnte mir vorstellen, dass das Ostministerium enttäuscht war über die Entscheidung, die Einrichtung des Reichskommissariats hinauszuschieben?«, begann ich. »Keineswegs. Ganz im Gegenteil, wir halten die Entscheidung des Führers für eine einzigartige Gelegenheit, die verhängnisvolle Politik zu korrigieren, die wir in diesem Land betreiben.« – »Wieso?« – »Sie müssen wissen, dass die beiden gegenwärtig amtierenden Reichskommissare ernannt worden sind, ohne dass man Minister Rosenberg zu Rate gezogen hatte, und dass das Ostministerium so gut wie keinen Einfluss auf sie hat. Es ist also nicht unsere Schuld, wenn die Gauleiter Koch und Lohse nach Belieben schalten und walten; die Verantwortung tragen diejenigen, die sie unterstützen. Deren unbedachte und abwegige Politik ist es, die dem Ministerium seinen Ruf als Chaostministerium eingetragen hat.« Ich lächelte; er aber blieb ernst. »In der Tat«, sagte ich, »ich bin ein Jahr lang in der Ukraine gewesen, und die Politik des Reichskommissars Koch hat uns nicht wenige Probleme bereitet. Man könnte sagen, dass er den Partisanen einen sehr großen Zulauf verschafft hat.« – »Genau wie Gauleiter Sauckel und seine Sklavenjäger. Das wollen wir hier vermeiden. Sehen Sie, wenn wir die kaukasischen Stämme behandeln, wie die Ukrainer behandelt worden sind, erheben sie sich und gehen in die Berge. Dann kommen wir damit nie zu Rande. Die Russen haben im vorigen Jahrhundert dreißig Jahre gebraucht, um den Imam Schamil zu unterwerfen. Und das, obwohl die Rebellen nur ein paar Tausend Männer zählten; um sie niederzuwerfen, mussten die Russen dreihundertfünfzigtausend Soldaten aufmarschieren lassen!« Nach einer Pause fuhr er fort: »Minister Rosenberg und die politische Abteilung seines Ministeriums vertreten seit Anfang des Feldzugs eine klare politische Linie: Nur ein Bündnis mit den von den Bolschewisten unterdrückten Völkern des Ostens wird dem Reich erlauben, das stalinistische System endgültig zu vernichten. Bislang hatte diese Strategie, diese Ostpolitik, wenn Sie so wollen, noch keinen Anklang gefunden; der Führer hat stets die Leute unterstützt, die glauben, Deutschland könne diese Aufgabe ganz allein erledigen, indem es die Völker unterdrückt, die es befreien sollte. Der designierte Reichskommissar Schickedanz scheint ihnen trotz seiner alten Freundschaft mit dem Minister voll und ganz beizupflichten. Doch besonnene Vertreter der Wehrmacht, vor allem Generalquartiermeister Wagner, wollten im Kaukasus eine Wiederholung des ukrainischen Desasters verhindern. Ihre Lösung, die Region unter militärischer Kontrolle zu belassen, begrüßen wir, zumal General Wagner ausdrücklich Wert darauf gelegt hat, die besonders weitblickenden Vorhaben des Ministeriums zu berücksichtigen, wie meine Anwesenheit hier beweist. Für uns wie für die Wehrmacht ist das eine einzigartige Chance zu beweisen, dass die Ostpolitik der allein gangbare Weg ist; wenn wir hier Erfolg haben, bietet sich uns vielleicht die Möglichkeit, die in der Ukraine und im Ostland angerichteten Schäden wiedergutzumachen.« – »Es steht also viel auf dem Spiel«, meinte ich. »Ja.« – »Und der designierte Reichskommissar Schickedanz war nicht zu sehr gekränkt, aufs Abstellgleis geschoben zu werden? Auch er genießt Unterstützung.« Bräutigam machte eine abfällige Handbewegung; seine Augen glänzten hinter den Brillengläsern: »Niemand hat ihn um seinen Rat gebeten. Im Übrigen ist der designierte Reichskommissar Schickedanz viel zu sehr damit beschäftigt, die Pläne seines künftigen Palastes in Tiflis zu studieren und mit seinen Leuten die Zahl der erforderlichen Portale zu erörtern, als dass er sich, wie wir anderen, in die Einzelheiten der Verwaltung vertiefen könnte.« – »Verstehe.« Ich überlegte einen Augenblick: »Noch eine Frage. Wie sehen Sie bei dieser Lage der Dinge die Rolle von SS und Sipo?« – »Die Sicherheitspolizei hat natürlich wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die müssen aber mit der Heeresgruppe und der Militärverwaltung koordiniert werden, damit sie nicht mit den positiven Initiativen kollidieren. Um es deutlich zu sagen, wir müssen, wie ich es Brigadeführer Korsemann vorgeschlagen habe, eine gewisse Rücksichtnahme im Umgang mit den Minderheiten – den Bergvölkern und den Kosaken – walten lassen. Es gibt unter ihnen sicherlich Elemente, die mit den Kommunisten kollaboriert haben, aber das geschah eher aus nationalistischer als bolschewistischer Überzeugung – um die Interessen ihres Volkes zu wahren. Wir müssen sie nicht von Amts wegen als Kommissare oder stalinistische Funktionäre behandeln.« – »Und was halten Sie vom Judenproblem?« Er hob die Hand: »Das ist etwas anderes. Natürlich bleibt die jüdische Bevölkerung eine der Hauptstützen des bolschewistischen Systems.« Er stand auf, um sich zu verabschieden. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese Punkte mit mir zu erörtern«, sagte ich, als ich ihm auf der Außentreppe die Hand gab. »Aber ich bitte Sie. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir zur SS ebenso gute Beziehungen unterhalten wie zur Wehrmacht. Je besser Sie verstehen, was wir hier beabsichtigen, desto besser werden sich die Dinge entwickeln.« – »Seien Sie versichert, dass ich für meine Vorgesetzten einen entsprechenden Bericht aufsetzen werde.« – »Sehr schön! Hier meine Karte. Heil Hitler!«
Als ich Voss von dieser Unterhaltung erzählte, fand er sie ausgesprochen komisch. »Das war höchste Zeit! Nichts bringt den Verstand so auf Trab wie der Misserfolg.« Wir hatten uns, wie verabredet, am späten Sonntagvormittag vor der Feldkommandantur getroffen. Eine Gruppe Straßenjungen drängte sich an den Absperrungen, fasziniert von den dort geparkten Motorrädern und einem Schwimmwagen. »Weg da, ihr Partisanen!«, brüllte ein Soldat der Kommandantur, der vergeblich versuchte, sie mit Stockhieben zu vertreiben; kaum hatte er sie zur einen Seite davongejagt, liefen sie auf der anderen wieder zusammen, und der Mann geriet schon außer Atem. Auf dem Weg zum Museum erklommen wir die steile Steigung der Karl-Marx-Straße, während ich die Zusammenfassung von Bräutigams Ausführungen beendete. »Besser spät als nie«, kommentierte Voss, »aber nach meiner Meinung wird das nicht klappen. Wir haben zu viele schlechte Angewohnheiten angenommen. Diese Geschichte mit der Militärverwaltung ist nur eine Gnadenfrist. In sechs oder zehn Monaten müssen sie passen, und dann strömen all die Schakale, die jetzt noch am Gängelband geführt werden, herbei, die Schickedanzens, die Körners, der Sauckel-Einsatz, und dann gehen die Schweinereien wieder los. Sehen Sie, unser Problem ist, dass wir keine koloniale Tradition haben. Schon vor dem Weltkrieg haben wir unsere afrikanischen Besitzungen sehr schlecht geführt. Und danach hatten wir überhaupt keine Besitzungen mehr, und die wenige Erfahrung, die wir in den Kolonialverwaltungen gesammelt haben, war verloren. Vergleichen Sie es nur mit den Engländern: Schauen Sie sich an, mit welchem Geschick und Fingerspitzengefühl sie ihr Empire regieren und ausbeuten. Sie können sehr gut die Peitsche anwenden, wenn es sein muss, aber sie bieten zunächst immer das Zuckerbrot an und greifen nach dem Einsatz der Peitsche auch sofort wieder zum Zuckerbrot. Sogar die Sowjets haben es im Grunde genommen besser gemacht als wir: Trotz ihrer Brutalität ist es ihnen gelungen, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, das ihr Reich zusammenhält. Die Truppen, die uns die Schlappe am Terek beigebracht haben, rekrutierten sich vor allem aus Georgiern und Armeniern. Ich habe mit armenischen Gefangenen gesprochen: Sie fühlen sich als sowjetische Bürger und kämpfen vorbehaltlos für die UdSSR. Wir haben ihnen nichts Besseres anzubieten gewusst.« Wir waren am grünen Tor des Museums angekommen, ich klopfte. Nach einigen Minuten wurde etwas weiter oben das Haupttor einen Spalt breit geöffnet, in dem ein alter Bauer mit faltigem Gesicht und Mütze erschien, der Bart und die schwieligen Finger gelb gefärbt vom Machorka. Nach ein paar Worten mit Voss zog er das Tor etwas weiter auf. »Er sagt, das Museum sei geschlossen, aber wenn wir möchten, könnten wir es besichtigen. Einige deutsche Offiziere würden hier in der Bibliothek wohnen.« Das Tor öffnete sich auf einen kleinen gepflasterten Hof, der von schmucken, weiß gekalkten Gebäuden eingefasst war; rechts hatte man auf einem Schuppen noch eine Etage mit Außentreppe errichtet, dort befand sich die Bibliothek. Dahinter erhob sich der Maschuk, allgegenwärtig, massiv, an seiner Ostflanke klebten Wolkenfetzen. Links, etwas tiefer, war ein kleiner Garten zu sehen, mit einem Weinspalier, und weitere Gebäude mit Strohdächern. Voss stieg die Treppe zur Bibliothek hinauf. Drinnen nahmen lackierte Holzregale so viel Platz ein, dass man sich kaum durchschlängeln konnte. Der Alte war uns gefolgt; ich gab ihm drei Zigaretten; sein Gesicht hellte sich auf, aber er blieb an der Tür stehen, um uns zu beaufsichtigen. Voss betrachtete die Bücher in den Vitrinen, fasste aber nichts an. Mein Blick blieb an einem kleinen Lermontow-Porträt in Öl hängen, einer sehr hübschen Arbeit: Lermontow trug einen roten Dolman, reich mit Epauletten und Goldborten verziert, seine Lippen waren feucht, die Augen erstaunlich unruhig, unschlüssig zwischen Wut, Angst oder wildem Spott schwankend. In einem anderen Winkel hing noch ein Porträt, ein Stich, unter dem ich mit Mühe eine kyrillische Inschrift entziffern konnte: Es war Martynow, Lermontows Mörder. Voss versuchte eine der Vitrinen zu öffnen, aber sie war verschlossen. Der Alte sagte etwas zu ihm, und sie diskutierten ein wenig. »Der Konservator ist geflohen«, übersetzte Voss für mich. »Eine der Angestellten hat die Schlüssel, aber sie ist heute nicht da. Schade, sie haben schöne Sachen.« – »Sie werden wiederkommen« – »Bestimmt. Kommen Sie, er wird uns Lermontows Haus öffnen.« Wir durchquerten den Hof und den kleinen Garten, um zu einem der niedrigen Häuser zu gelangen. Der Alte stieß die Tür auf; drinnen war es dämmrig, aber das Licht, das durch die Öffnung fiel, reichte aus. Die Wände waren weiß gekalkt, das Mobiliar einfach; es gab schöne orientalische Teppiche und kaukasische Säbel, die an Nägeln hingen. Ein schmaler Diwan wirkte sehr unbequem. Voss war vor einem Schreibtisch stehen geblieben und strich mit den Fingern liebevoll über die Platte. Der Alte erklärte ihm noch etwas. »An diesem Tisch hat er Ein Held unserer Zeit geschrieben«, übersetzte Voss nachdenklich. »Hier?« – »Nein, in Sankt Petersburg. Als das Museum gegründet wurde, hat die Regierung den Tisch hierherschicken lassen.« Mehr gab es nicht zu sehen. Draußen verschleierten Wolken die Sonne. Voss dankte dem Alten, ich gab ihm noch einige Zigaretten. »Wir sollten wieder herkommen, wenn jemand da ist, der alles erklären kann«, sagte Voss. »Ach ja«, fügte er am Tor hinzu, »ich habe vergessen, es Ihnen zu sagen: Professor Oberländer ist hier.« – »Oberländer? Aber den kenne ich doch. Ich bin ihm in Lemberg begegnet, zu Beginn des Feldzugs.« – »Umso besser. Ich wollte Ihnen vorschlagen, mit ihm zu Abend zu essen.« Auf der Straße ging Voss nach links, zur großen gepflasterten Allee, die am Lenin-Standbild begann. Der Weg stieg noch an, ich geriet schon außer Atem. Statt von der Allee in Richtung Äolsharfe und Akademiegalerie abzubiegen, ging Voss geradeaus weiter, am Maschuk entlang, auf einer Chaussee, der ich noch nie gefolgt war. Der Himmel wurde rasch dunkel, ich befürchtete, dass es regnen würde. Wir kamen an einigen Sanatorien vorbei, dann endete der Asphalt, und wir gingen auf einem breiten unbefestigten Weg weiter. Wir begegneten kaum noch jemandem: Ein Bauer auf einem Karren kam uns entgegen, in das Klirren des Geschirrs mischte sich das Brüllen seines Ochsen und das Knarren der schlecht eingepassten Räder; danach blieb die Straße verlassen. Ein Stück weiter war linker Hand ein gemauerter Torbogen in die Bergwand eingelassen. Wir traten näher und kniffen die Augen zusammen, um die Dunkelheit zu durchdringen; ein mit einem Vorhängeschloss gesichertes schmiedeeisernes Gitter versperrte den Zutritt zu dem schlauchartigen Gang. »Das ist der Prowal«, erläuterte Voss. »Am Ende ist eine Grotte unter freiem Himmel mit einer Schwefelquelle.« – »Ist Petschorin hier nicht Vera begegnet?« – »Ich bin mir nicht sicher. War das nicht in der Grotte unterhalb der Äolsharfe?« – »Das sollten wir überprüfen.« Die Wolken zogen dicht über unseren Köpfen vorbei: Ich hatte den Eindruck, nur den Arm heben zu müssen, um über die Dampfvoluten streichen zu können. Der Himmel war überhaupt nicht mehr zu sehen, es herrschte eine gedämpfte, lautlose Atmosphäre. Unsere Schritte knirschten auf dem Boden; der Weg stieg leicht an, und bald waren wir mitten in den Wolken. Wir konnten kaum noch die großen Bäume erkennen, die den Weg säumten; die Luft schien erstickt, die Welt war verschwunden. In der Ferne erklang der Schrei eines Kuckucks im Wald, ein unruhiger, unendlich trauriger Ruf. Wir gingen eine ganze Zeit schweigend nebeneinander. Das zog sich lange hin. Ab und an ahnte ich die verschwommenen Umrisse massiger Gebilde, vermutlich Gebäude; dann wieder nur Wald. Die Wolken begannen sich aufzulösen, das Grau schimmerte in trübem Licht, und plötzlich zerfaserten sie, verstreuten sich, und wir standen in der Sonne. Es hatte nicht geregnet. Zu unserer Rechten, hinter den Bäumen, zeichneten sich die zerklüfteten Umrisse des Beschtau ab; nach zwanzig Minuten waren wir beim Denkmal. »Wir haben die große Tour gemacht«, sagte Voss. »Andersherum wäre es schneller gegangen.« – »Ja, aber es hat sich gelohnt.« Das Denkmal, ein weißer Obelisk inmitten ungepflegter Rasenflächen, bot wenig Interessantes: schwer, sich vor dieser von bürgerlicher Pietät sorgsam aufgebauten Kulisse die Schüsse, das Blut, die rauen Schreie und die Wut des niedergeschossenen Dichters vorzustellen. Auf der freien Fläche standen deutsche Fahrzeuge; etwas tiefer, vor dem Wald, waren Tische und Bänke aufgestellt, an denen Soldaten aßen. Um mein Gewissen zu beruhigen, sah ich mir das Bronzemedaillon und die Inschrift auf dem Denkmal an. »Ich habe das Foto eines vorläufigen Denkmals gesehen, das man 1901 errichtet hat«, meinte Voss. »Eine sehr eigenwillige Halbrotunde aus Holz und Gips, hoch oben thronte eine Büste. Das sah sehr viel komischer aus.« – »Wahrscheinlich fehlten ihnen die Mittel. Gehen wir essen?« – »Ja, sie machen gute Schaschliks hier.« Wir überquerten den freien Platz und gingen zu den Tischen hinab. Zwei Fahrzeuge trugen die Verbandszeichen des Einsatzkommandos; an einem der Tische erkannte ich mehrere Offiziere. Kern winkte uns zu, ich erwiderte seinen Gruß, ging aber nicht hin, um mit ihm zu sprechen. Auch Turek, Bolte und Pfeiffer waren da. Ich wählte einen etwas abseits stehenden Tisch, nahe dem Waldrand, mit groben Schemeln. Ein Bergbewohner mit Käppchen, stoppeligen Wangen und üppigem Schnurrbart trat näher: »Kein Schweinefleisch«, übersetzte Voss. »Nur Hammel. Aber es gibt Wodka und Kompott.« – »Ausgezeichnet.« Von den anderen Tischen drang lautes Stimmengewirr herüber. Es waren auch einige Offiziere der Wehrmacht und Zivilisten da. Turek musterte uns, dann sah ich ihn lebhaft mit Pfeiffer diskutieren. Zwischen den Tischen liefen Zigeunerkinder umher. Eines von ihnen kam zu uns, »chleb, chleb« rufend, streckte es uns eine Hand entgegen, die schwarz vor Schmutz war. Der Kaukasier hatte uns mehrere Scheiben Brot gebracht, eine reichte ich dem Jungen, der sie sich sofort in den Mund stopfte. Dann zeigte er auf den Wald: »Sestra, sestra, dewotschka. Krassiwaja.« Er machte eine obszöne Geste. Voss brach in schallendes Gelächter aus und sagte schnell ein paar Worte zu dem Jungen, die ihn vertrieben. Er ging zu den SS-Offizieren und begann seine pantomimische Darbietung von Neuem. »Glauben Sie, die gehen darauf ein?«, fragte Voss. »Nicht vor all den Leuten«, erwiderte ich. Tatsächlich versetzte Turek dem Kleinen eine Ohrfeige, die ihn ins Gras warf. Ich sah, dass Turek Anstalten machte, nach seiner Waffe zu greifen; der Kleine nahm Reißaus und verschwand zwischen den Bäumen. Der Kaukasier, der hinter einer langen Metallkiste auf Beinen hantierte, kam an unseren Tisch und legte uns zwei Fleischspieße auf das Brot; dann brachte er uns die Getränke und Gläser. Der Wodka passte wunderbar zu dem Fleisch, aus dem der Saft tropfte, und wir tranken beide mehrere Gläser, das Ganze spülten wir mit dem Kompott hinunter, einem Saft aus eingelegten Beeren. Die Sonne glänzte auf dem Gras, auf den schlanken Pinien, dem Denkmal und der Flanke des Maschuk, der sich hinter allem erhob; die Wolken waren endgültig hinter dem Berg verschwunden. Wieder musste ich an Lermontow denken, der wenige Schritte von dort sterbend im Gras gelegen hatte, die Brust aufgerissen, wegen ein paar belangloser Worte über Martynows Kleidung. Anders als sein Held Petschorin hatte Lermontow in die Luft geschossen, sein Gegner nicht. Woran mochte Martynow gedacht haben, als er den Leichnam seines Widersachers betrachtete? Er gerierte sich selbst als Dichter und hatte sicherlich Ein Held unserer Zeit gelesen; so konnte er den bitteren Nachhall und die langsamen Wellen der Legendenbildung genießen, und er wusste auch, dass sein Name nur als der des Mörders von Lermontow in Erinnerung bleiben würde, ein zweiter d’Anthès, der Unheil über die russische Literatur gebracht hatte. Und doch musste er einmal andere Ambitionen gehabt haben, als er sich ins Leben gestürzt hatte; auch er hatte etwas leisten wollen, Gutes leisten wollen. Vielleicht war er einfach eifersüchtig auf Lermontows Begabung? Vielleicht war es ihm auch lieber, dass man sich wegen des Bösen, das er getan hatte, an ihn erinnerte, als dass man sich gar nicht an ihn erinnerte. Ich versuchte mir sein Porträt ins Gedächtnis zu rufen, aber es gelang mir nicht mehr. Und Lermontow? War sein letzter Gedanke, als er seine Pistole in die Luft abgefeuert hatte und sah, dass Martynow auf ihn anlegte, bitter, verzweifelt, wütend, ironisch gewesen? Oder hatte er einfach die Achseln gezuckt und das Sonnenlicht auf den Pinien betrachtet? Wie bei Puschkin ging das Gerücht, sein Tod sei eine abgekartete Sache gewesen, ein Auftragsmord; wenn dem so war, hatte er sich sehenden Auges – bereitwillig – darauf eingelassen, ganz anders als Petschorin. Was Block über Puschkin schrieb, trifft sicherlich in noch höherem Maße auf Lermontow zu: Nicht die Kugel von d’Anthès war es, die Puschkin tötete. Es mangelte ihm an freiem Raum, darin zu atmen. Auch ich litt unter Luftmangel, aber die Sonne, die Schaschliks und Vossens gut gelaunte Freundlichkeit gaben mir einen Augenblick lang die Luft zum Atmen. Wir beglichen unsere Rechnung beim Kaukasier in Besatzungs-Karbowanez und nahmen wieder den Weg zum Maschuk. »Ich schlage vor, wir gehen am alten Friedhof vorbei«, sagte Voss. »Wo Lermontow begraben lag, ist eine Stele.« Nach dem Duell hatten seine Freunde den Dichter an Ort und Stelle bestattet; ein Jahr später, hundert Jahre vor unserer Ankunft in Pjatigorsk, hatte seine Großmutter seine sterblichen Überreste mit zu sich in der Nähe von Pensa genommen, um sie neben seiner Mutter begraben zu lassen. Mit Vergnügen ging ich auf Vossens Vorschlag ein. Zwei Fahrzeuge überholten uns in einer wirbelnden Staubwolke: Die Offiziere des Kommandos fuhren zurück. Turek lenkte das erste Fahrzeug selbst; sein hasserfüllter Blick, den ich durch die Scheibe wahrnahm, ließ ihn vollends wie einen Juden aussehen. Die kleine Kolonne fuhr geradeaus weiter, während wir nach links abbogen, in einen langen Weg, der geradewegs den Hang des Maschuk hinaufführte. Nach der Mahlzeit und dem Wodka fühlte ich mich in der Sonne schwerfällig; ich bekam plötzlich Schluckauf, verließ den Weg und ging in den Wald hinein. »Geht es?«, fragte Voss, als ich zurückkam. Ich machte eine unbestimmte Handbewegung und steckte mir eine Zigarette an. »Es ist nichts. Nachwehen einer Krankheit, die ich mir in der Ukraine geholt habe. Die macht sich von Zeit zu Zeit wieder bemerkbar.« – »Sie sollten einen Arzt aufsuchen.« – »Vielleicht. Dr. Hohenegg wird bald zurückkommen, dann sehen wir weiter.« Voss wartete, bis ich meine Zigarette zu Ende geraucht hatte, dann folgte er mir. Mir war heiß, ich nahm das Schiffchen ab und zog die Uniformjacke aus. Oben auf dem Hügel beschrieb der Weg eine große Schleife, von der wir einen schönen Ausblick auf die Stadt und die Ebene dahinter hatten. »Wenn man geradeaus geht, kommt man wieder zu den Sanatorien«, sagte Voss. »Zum Friedhof müssen wir durch diese Obstgärten.« Der steile, mit welkem Gras bedeckte Hang war mit Obstbäumen bepflanzt; ein angepflocktes Maultier wühlte am Boden nach abgefallenen Äpfeln. Beim Abstieg kamen wir ins Rutschen, dann nahmen wir eine Abkürzung durch einen ziemlich dichten Wald und verloren rasch den Weg. Ich zog meine Jacke wieder an, weil die Zweige und Brombeerranken mir die Arme zerkratzten. Schließlich trat ich hinter Voss in eine kleine erdige Mulde hinaus, die sich an einer Mauer aus Zementsteinen entlangzog. »Hier muss es sein«, sagte Voss, »wir gehen drum herum.« Seit uns die Autos überholt hatten, hatten wir niemanden gesehen, ich hatte das Gefühl, in der Einöde zu sein; doch nach ein paar Schritten begegneten wir einem barfüßigen jungen Burschen, der einen Esel führte und wortlos an uns vorüberging. Der Mauer folgend, gelangten wir schließlich auf einen kleinen Platz vor einer orthodoxen Kirche. Eine alte, schwarz gekleidete Frau auf einer Kiste verkaufte ein paar Blumen; andere kamen aus der Kirche. Jenseits des Gitters lagen die Gräber, unter hohen Bäumen verstreut, die den abschüssigen Friedhof in Schatten tauchten. Wir folgten einem mit groben, in den Boden eingelassenen Steinen gepflasterten Weg, der bergan zwischen alten Gräbern hindurchführte, die sich in trockenen Gräsern, Farnkraut und dornigen Sträuchern verloren. Stellenweise fielen Lichtflecken zwischen die Bäume, und auf den Sonneninseln tanzten kleine schwarzweiße Schmetterlinge um verwelkte Blumen. Dann machte der Weg eine Wendung, und die Bäume ließen einen Durchblick auf die Ebene im Südwesten. In einer Einfriedung stand die Stele, die die Stelle von Lermontows erster Grabstätte markierte, im Schatten zweier kleiner Bäume. Die einzigen Laute waren das Zirpen der Zikaden und das leichte Rascheln des Windes in den Blättern. Neben der Stele lagen die Gräber von Lermontows angeheirateter Verwandtschaft aus dem Hause des Khans Girej. Ich wandte mich um: In der Ferne durchschnitten die langen grünen Balki die Ebene bis zu den ersten felsigen Gebirgsausläufern. Die Buckel der Vulkane glichen vom Himmel gefallenen Erdklumpen; dahinter ahnte ich den Schnee des Elbrus. Während Voss sich umsah, setzte ich mich auf die Stufen, die zur Stele führten, und dachte wieder an Lermontow: Wie jeden Dichter töten sie ihn erst, bevor sie ihn verehren.
Der Abstieg in die Stadt führte uns über den Werchni Rynok, den Markt, wo die Bauern gerade das letzte unverkaufte Geflügel, Obst und Gemüse auf ihre Karren und Maultiere luden. Um sie herum zerstreute sich die Menge der Verkäufer von Sonnenblumenkernen und Stiefelputzer; Jungen saßen auf Wägelchen, die sie sich aus Brettern und Rädern von Schubkarren zusammengebastelt hatten, und warteten auf einen verspäteten Soldaten, der sie vielleicht aufforderte, seine Pakete zu befördern. Am Fuße des Hügels, auf dem Kirow-Boulevard, standen auf einer Anhöhe, von einer kleinen Mauer umgeben, Reihen frisch zusammengenagelter Kreuze: Der hübsche kleine Park mit Lermontows Standbild war in einen deutschen Soldatenfriedhof verwandelt worden. Der auf den Zwetnik-Park zulaufende Boulevard führte an den Ruinen der ehemaligen orthodoxen Kathedrale vorbei, die 1936 vom NKWD gesprengt worden war. »Haben Sie bemerkt«, sagte Voss und deutete auf die Steintrümmer, »dass sie die deutsche Kirche nicht angerührt haben? Unsere Männer gehen da noch zum Beten hin.« – »Ja, aber sie haben in der Umgebung drei Dörfer von Volksdeutschen geräumt. Der Zar hatte sie 1830 aufgefordert, sich hier anzusiedeln. Im letzten Jahr wurden sie alle nach Sibirien deportiert.« Aber Voss war mit seinen Gedanken noch bei seiner lutherischen Kirche. »Wussten Sie, dass sie von einem Soldaten erbaut wurde? Einem gewissen Kempfer, der unter Jewdokimow gegen die Tscherkessen gekämpft und sich hier niedergelassen hat.« Im Park, gleich hinter dem Gittertor am Eingang, stand eine zweistöckige Holzgalerie mit futuristischen Kuppeltürmchen und einem Vorbau, der um das obere Stockwerk herumlief. Dort standen einige Tische, wo man Gästen, die es sich leisten konnten, türkischen Mokka und Süßigkeiten servierte. Voss wählte einen Platz auf der Seite der Hauptallee des Parks, über einer Gruppe schlecht rasierter, mürrischer und zänkischer alter Männer, die am Abend die Bänke mit Beschlag belegten, um Schach zu spielen. Ich bestellte Kaffee und Kognak; dazu wurden kleine Zitronenkuchen serviert; der Weinbrand kam aus Dagestan und schien noch süßer zu sein als der armenische, passte aber gut zu den Kuchen und meiner guten Laune. »Wie kommen Sie mit Ihrer Arbeit voran?«, fragte ich Voss. Er lachte: »Ich habe noch immer keinen ubychischen Muttersprachler gefunden; aber ich mache beträchtliche Fortschritte in Kabardinisch. Ich kann es gar nicht abwarten, dass wir Ordshonikidse einnehmen.« – »Wieso?« – »Nun, ich habe Ihnen schon erklärt, dass mich die kaukasischen Sprachen nur am Rande interessieren. Mein eigentliches Interesse gilt den so genannten indogermanischen Sprachen, insbesondere den Sprachen iranischen Ursprungs. Nun ist das Ossetische eine besonders interessante iranische Sprache.« – »Inwiefern?« – »Schauen Sie sich die geographische Lage Ossetiens an: Während alle anderen Sprachgruppen nicht kaukasischer Idiome das Umland oder die Ausläufer des Kaukasus bewohnen, nehmen die Osseten die Mitte des Massivs ein und zweiteilen es, direkt auf der Höhe des zugänglichsten Passes in der Darial-Schlucht, über den die Russen ihre Wojennaja Doroga von Tiflis bis Ordshonikidse, dem einstigen Wladikawkas, geführt haben. Obwohl diese Menschen von ihren kaukasischen Nachbarn Kleidung und Gebräuche übernommen haben, handelt es sich offensichtlich um späte Eindringlinge. Man darf wohl mit Fug und Recht annehmen, dass diese Osseten oder Ossen von den Alanen und folglich den Skythen abstammen; wenn das richtig wäre, würde ihre Sprache eine lebendige archäologische Spur des Skythischen darstellen. Und da ist noch etwas anderes: Dumézil hat 1930 eine Sammlung ossetischer Legenden herausgegeben, in denen ein sagenhaftes Volk von Halbgöttern, die Narten, beschrieben wird. Dumézil nimmt auch eine Verbindung zwischen diesen Legenden und der skythischen Religion, von der Herodot berichtet, als gegeben an. Russische Forscher arbeiten seit Beginn des letzten Jahrhunderts über dieses Thema; die Bibliothek und die Institute von Ordshonikidse müssen mit außergewöhnlichem, in Europa unzugänglichem Material bis zum Platzen gefüllt sein. Ich hoffe nur, dass während des Angriffs nicht alles verbrennt.« – »Kurzum, es handelt sich bei den Osseten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, um eines der arischen Urvölker.« – »›Ur‹ ist eine viel gebrauchte und missbrauchte Vorsilbe. Sagen wir, dass ihre Sprache aus wissenschaftlicher Sicht einen sehr interessanten archaischen Charakter hat.« – »Was halten Sie vom Begriff der Ursprache, des Urvolks und so fort?« Er zuckte die Achseln: »Es ist eher ein Hirngespinst, ein psychologischer oder politischer Ausspruch als ein wissenschaftlicher Begriff. Nehmen Sie beispielsweise das Deutsche: Jahrhundertelang, noch vor Martin Luther, hat man behauptet, es sei eine Ursprache, wobei man geltend machte, sie habe im Unterschied zu den romanischen Sprachen, mit denen sie verglichen wurde, keine fremden Wurzeln. Einige Theologen verstiegen sich in ihrem Wahn sogar zu der Behauptung, das Deutsche sei die Sprache Adams und Evas gewesen und das Hebräische später daraus entstanden. Doch das ist eine vollkommen haltlose These, denn selbst wenn die Wurzeln ›autochthon‹ wären – tatsächlich leiten sie sich alle direkt von den Sprachen der indoeuropäischen Nomaden her –, ist unsere Grammatik doch vollständig nach der lateinischen aufgebaut. Trotzdem sind unsere kulturellen Vorstellungen sehr stark von diesen Ideen geprägt – dank der Besonderheit, dass das Deutsche im Gegensatz zu anderen europäischen Sprachen in gewisser Weise seinen Wortschatz selbst erzeugen kann. Wir wissen heute, dass jedes beliebige deutsche Kind von acht Jahren alle Wurzeln unserer Sprache kennt und jedes beliebige Wort verstehen kann und mag es noch so gelehrt sein, was beispielsweise für ein französisches Kind nicht gilt, das lange braucht, um die aus dem Griechischen oder Lateinischen abgeleiteten ›schwierigen‹ Wörter zu lernen. Dieser Umstand ist übrigens auf das engste verbunden mit der Vorstellung, die wir von uns selbst haben: Deutschland ist das einzige Land in Europa, das sich nicht geographisch bezeichnet, das nicht den Namen eines Ortes oder eines Volkes trägt wie die Angeln oder die Franken, sondern das Land ›des Volkes an sich‹ ist; deutsch ist das Adjektiv zum althochdeutschen Substantiv Tuits, ›Volk‹. Das ist auch der Grund, warum unsere Nachbarn lauter verschiedene Namen für uns haben: Allemands, Germans, Duits, Tedeschi auf Italienisch, was sich ebenfalls von Tuits herleitet, oder Nemzy hier in Russland, was übrigens ›die Stummen‹ heißt, Menschen, die nicht sprechen können, ähnlich wie ›Barbaros‹ auf Griechisch. Und unsere ganze heutige rassische und völkische Ideologie baut in gewisser Weise auf diesem sehr alten deutschen Dünkel auf. Den wir, wie ich gerne hinzufüge, nicht als Einzige besitzen: Goropius Becanus, ein flämischer Autor, hat 1569 Gleiches vom Niederländischen behauptet, das er mit den Ursprachen des Kaukasus verglich, der, wie er schrieb, ›Vagina der Völker‹.« Er lachte vergnügt. Ich hätte das Gespräch gerne fortgesetzt, vor allem über die Rassentheorien, aber er stand schon auf: »Ich muss aufbrechen. Wollen Sie mit Oberländer zu Abend essen, wenn er Zeit hat?« – »Gern.« – »Dann im Kasino? Gegen acht.« Er eilte die Treppe hinunter. Ich setzte mich wieder und betrachtete die Schach spielenden Alten. Es wurde herbstlicher: Die Sonne versank bereits hinter dem Maschuk, färbte den Kamm rosa und warf weiter unten, auf dem Boulevard, einen orangefarbenen Widerschein zwischen die Bäume, bis hin zu den Fensterscheiben und dem grauen Verputz der Fassaden.
Gegen halb acht stieg ich vor dem Kasino aus dem Auto. Voss war noch nicht da, und ich bestellte einen Kognak, mit dem ich mich in eine etwas abseits gelegene Nische zurückzog. Einige Minuten später trat Kern ein, musterte prüfend den Saal und kam auf mich zu. »Ich habe Sie gesucht, Hauptsturmführer!« Er nahm seine Mütze ab und sah sich um; er machte einen verlegenen, nervösen Eindruck. »Ich wollte Sie auf etwas aufmerksam machen, Hauptsturmführer, was Sie interessieren dürfte.« – »Ja?« Er zögerte: »Man … Sie sind häufig in Begleitung dieses Wehrmachtsleutnants. Das … wie soll ich sagen? Das gibt Anlass zu Gerüchten.« – »Was für Gerüchten?« – »Gerüchten, die … sagen wir, gefährlichen Gerüchten. Die Art Gerüchte, die einen direkt ins Konzentrationslager bringen.« – »Ich verstehe.« Ich ließ mir nicht das Geringste anmerken. »Und diese Gerüchte werden nicht zufällig durch ganz bestimmte Leute in Umlauf gebracht?« Er wurde blass: »Mehr möchte ich nicht sagen. Ich finde das erbärmlich und schäbig, wollte Sie aber davon in Kenntnis setzen, damit Sie … damit Sie dafür sorgen können, dass das nicht noch weitere Kreise zieht.« Ich stand auf und reichte ihm die Hand: »Vielen Dank für diese Information, Kern. Aber Leute, die feige schmutzige Gerüchte ausstreuen, statt es einem ins Gesicht zu sagen, verachte und ignoriere ich.« Er schüttelte mir die Hand: »Ich verstehe Ihre Haltung sehr gut. Aber passen Sie trotzdem auf.« Ich setzte mich wutentbrannt wieder hin: Das führten sie also im Schilde! Überdies lagen sie vollkommen schief. Ich sagte es schon: Ich gehe nie eine Beziehung zu meinen Geliebten ein; Freundschaft ist etwas ganz anderes. Ich habe auf dieser Welt nur einen einzigen Menschen geliebt, und selbst wenn ich diesen Menschen nie wieder sähe, würde mir das genügen. Doch so beschränkter Abschaum wie dieser Turek und seine Freunde würde das nie verstehen. Ich beschloss, mich zu rächen; ich wusste zwar noch nicht, wie, aber die Gelegenheit würde sich schon ergeben. Kern war ein anständiger Mensch, es war gut, dass er mich informiert hatte: Ich hatte Zeit zum Nachdenken.
Voss traf wenig später in Begleitung Oberländers ein. Ich war noch immer in Gedanken vertieft. »Guten Abend, Herr Professor«, sagte ich und gab Oberländer die Hand. »Es ist lange her.« – »Ja, ja, seit Lemberg ist einiges passiert. Und dieser andere junge Offizier, der Sie begleitet hat?« – »Hauptsturmführer Hauser? Er dürfte noch immer bei der Gruppe C sein. Ich habe einige Zeit nichts von ihm gehört.« Ich folgte ihnen ins Restaurant und ließ Voss bestellen. Man brachte uns Wein aus Kachetien. Oberländer wirkte erschöpft. »Ich habe gehört, Sie befehligen eine neue Sondereinheit?«, fragte ich ihn. »Ja, das Kommando Bergmann. Alle meine Männer sind kaukasische Gebirgler.« – »Was für einer Nationalität?«, fragte Voss neugierig. »Oh, da ist alles vertreten. Karatschaier und Zirkassier natürlich, aber auch Inguschen, Awaren, Laken, die man in den Stalags angeworben hat. Ich habe sogar einen Swanen.« – »Großartig! Mit dem würde ich gerne einmal reden.« – »Dann müssten Sie nach Mosdok fahren. Sie sind dort mit der Bandenbekämpfung befasst.« – »Sie haben nicht zufällig auch Ubychen?«, fragte ich ihn schalkhaft. Voss musste lachen. »Ubychen? Nein, ich glaube nicht. Was hat es damit auf sich?« Voss erstickte fast an seinem unterdrückten Lachen, Oberländer blickte ihn verständnislos an. Ich bemühte mich, ernst zu bleiben: »Eine Marotte von Dr. Voss. Er glaubt, die Wehrmacht müsste unbedingt eine proubychische Politik betreiben, um das natürliche Machtgleichgewicht zwischen den Kaukasusvölkern wiederherzustellen.« Voss, der versuchte, einen Schluck Wein zu trinken, hätte ihn fast wieder hinausgeprustet. Auch ich konnte kaum an mich halten. Oberländer verstand immer noch nicht und begann ärgerlich zu werden: »Ich begreife nicht, wovon Sie sprechen«, sagte er schroff. Ich bemühte mich um eine Erklärung: »Das ist ein kaukasisches Volk, das von den Russen deportiert wurde. In die Türkei. Früher beherrschte es einen Teil dieser Region.« – »Waren es Mohammedaner?« – »Ja, natürlich.« – »In diesem Falle wäre die Unterstützung dieser Ubychen durchaus im Sinne unserer Ostpolitik.« Voss erhob sich mit rotem Kopf, murmelte eine Entschuldigung und verschwand in Richtung Toiletten. Verwirrt fragte Oberländer: »Was ist denn mit dem los?« Ich klopfte mir auf den Bauch. »Ach so, verstehe«, sagte er. »Das kommt hier häufig vor. Wo war ich stehen geblieben?« – »Unsere proislamische Politik.« – »Ja. Wohlgemerkt, das ist traditionelle deutsche Politik. Uns geht es hier in gewisser Weise um eine Fortsetzung von Ludendorffs panislamischer Politik. Weil wir die kulturellen und sozialen Errungenschaften des Islams respektieren, gewinnen wir wertvolle Bundesgenossen. Außerdem nehmen wir so Rücksicht auf die Türkei, die trotz allem wichtig bleibt, vor allem wenn wir den Kaukasus umgehen wollen, um die Engländer in Syrien und Ägypten von hinten zu fassen.« Voss kam zurück; er schien sich beruhigt zu haben. »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte ich, »scheint es darum zu gehen, die Völker des Kaukasus und insbesondere die turksprachigen Völker zu einer riesigen islamisch-antibolschewistischen Bewegung zu einen.« – »Das ist eine Option, aber man hat sie an höherer Stelle noch nicht akzeptiert. Einige befürchten ein Wiederaufleben des Panturanismus, der die Türkei mit einer zu großen Machtfülle in der Region ausstatten und unsere Stellung in den eroberten Gebieten schwächen könnte. Minister Rosenberg setzt eher auf eine Achse Berlin–Tiflis. Doch dahinter steckt der Einfluss dieses Nikuradze.« – »Und was halten Sie davon?« – »Im Augenblick schreibe ich gerade einen Artikel über Deutschland und den Kaukasus. Sie wissen vielleicht, dass ich nach Auflösung des Bataillons Nachtigall als Abwehroffizier beim Reichskommissar Koch tätig gewesen bin, einem alten Freund aus Königsberger Tagen. Aber er hält sich fast nie in der Ukraine auf, und seine Untergebenen, vor allem Dargel, haben eine unverantwortliche Politik betrieben. Deshalb habe ich den Posten aufgegeben. In meinem Artikel versuche ich zu beweisen, dass wir in den eroberten Gebieten auf die Mitarbeit der einheimischen Bevölkerung angewiesen sind, um allzu große Verluste beim Einmarsch und der Besetzung zu vermeiden. Eine proislamische oder proturanische Politik würde sich gut in diesen Rahmen fügen. Natürlich muss eine Macht, und zwar eine einzige, das letzte Wort haben.« – »Ich dachte, ein Ziel unseres Einmarsches in den Kaukasus sei es, die Türkei zum Kriegseintritt an unserer Seite zu bewegen?« – »Natürlich. Und wenn wir in den Irak oder nach Persien gelangen, werden sie es auch sicherlich tun. Saracoglu ist vorsichtig, aber er würde sich nicht die Chance entgehen lassen, alte osmanische Gebiete zurückzugewinnen.« – »Aber würde das nicht unseren Großraum beeinträchtigen?« – »Überhaupt nicht. Wir streben ein Kontinentalreich an; wir haben weder den Wunsch noch die Mittel, uns mit fernen Besitzungen zu belasten. Natürlich werden wir die Erdölfördergebiete am Persischen Golf behalten, aber den ganzen Rest des britischen Nahen Ostens können wir der Türkei überlassen.« – »Und was würde die Türkei im Gegenzug für uns tun?«, fragte Voss. »Sie könnte uns sehr nützlich sein. Sie hält eine strategische Schlüsselposition inne und kann uns See- und Landstützpunkte bieten, die uns ermöglichen würden, der britischen Präsenz im Mittleren Osten endgültig ein Ende zu setzen. Sie könnte auch Truppen für die antibolschewistische Front stellen.« – »Ja«, sagte ich, »sie könnte uns beispielsweise ein ubychisches Regiment schicken.« Wieder wurde Voss von einem unbezwingbaren Lachanfall gepackt. Ungehalten sagte Oberländer: »Was um Himmels willen soll diese Geschichte mit den Ubychen? Ich verstehe das nicht.« – »Wie gesagt, eine Obsession von Dr. Voss. Er ist verzweifelt, weil er einen Bericht nach dem anderen schreibt, aber niemand im Oberkommando an die strategische Bedeutung der Ubychen glauben will. Hier interessiert man sich nur für die Karatschaier, die Kabardiner und Balkaren.« – »Aber warum lacht er dann?« – »Genau, Dr. Voss, warum lachen Sie?«, fragte ich ihn streng. »Vermutlich ein nervöses Leiden«, meinte ich zu Oberländer. »Hier, Dr. Voss, trinken Sie einen Schluck Wein.« Voss trank einen Schluck und versuchte sich zu beherrschen. »Ich verstehe zu wenig von dieser Frage, um mir ein Urteil erlauben zu können«, meinte Oberländer.« Er wandte sich an Voss: »Wenn Sie Berichte über diese Ubychen haben, würde ich sie sehr gern lesen.« Nervös schüttelte Voss den Kopf und sagte: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Herr Dr. Aue, wenn Sie das Thema wechseln könnten.« – »Wie Sie wünschen. Außerdem kommt das Essen.« Es wurde serviert. Oberländer wirkte gereizt; Voss war hochrot. Um der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben, fragte ich Oberländer: »Sind Ihre Bergmänner tüchtig in der Bandenbekämpfung?« – »Im Gebirge sind sie zum Fürchten. Einige bringen uns jeden Tag Köpfe oder Ohren. In flachem Gelände sind sie kaum nützlicher als unsere eigenen Truppen. Sie haben einige Dörfer in der Umgebung von Mosdok niedergebrannt. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass das, systematisch praktiziert, keine gute Idee ist, aber das ist wie ein atavistischer Reflex. Und dann hat es ziemlich ernste disziplinarische Probleme gegeben: vor allem Fahnenflucht. Offenbar haben sich viele von ihnen nur verpflichtet, um nach Hause zurückkehren zu können; seit wir im Kaukasus sind, gehen sie ununterbrochen stiften. Aber ich habe alle, die wir erwischt haben, vor den Augen der anderen erschießen lassen: Ich glaube, das hat sie ein wenig zur Vernunft gebracht. Außerdem sind viele Tschetschenen und Dagestaner bei mir, und deren Heimat ist noch in bolschewistischer Hand. Haben Sie übrigens von einem Aufstand in Tschetschenien gehört? In den Bergen?« – »Es gibt Gerüchte«, erwiderte ich. »Eine der Einsatzgruppe angegliederte Sondereinheit wird versuchen, Agenten per Fallschirm abzusetzen, um Kontakt mit den Aufständischen herzustellen.« – »Ach, das ist ja sehr interessant. Es scheinen Kämpfe und grausame Strafaktionen stattzufinden. Damit könnten sich unseren Truppen gewisse Möglichkeiten eröffnen. Wie kann ich mehr darüber erfahren?« – »Ich würde mich an Oberführer Bierkamp in Woroschilowsk wenden.« – »Sehr schön. Und hier? Haben Sie viele Probleme mit den Partisanen?« – »Nicht allzu viele. Es gibt einen Haufen, der bei Kislowodsk sein Unwesen treibt. Das Kommando Lermontow. Hier gehört es zum guten Ton, alles Lermontow zu nennen.« Voss lachte, ganz herzlich jetzt: »Sind sie aktiv?« – »Nicht sonderlich. Sie treiben sich in den Bergen herum und trauen sich nicht herunter. In erster Linie sammeln sie Nachrichtenmaterial für die Rote Armee. Beispielsweise lassen sie Kinder die vor der Feldkommandantur abgestellten Kräder und Lastwagen zählen.« Wir beendeten das Essen; Oberländer dozierte wieder über die Ostpolitik und die neue Militärverwaltung: »General Köstring ist eine sehr gute Wahl. Ich glaube, mit ihm hat das Experiment Aussicht auf Erfolg.« – »Kennen Sie Dr. Bräutigam?«, fragte ich. »Herrn Bräutigam? Natürlich. Wir treffen uns häufig zum Gedankenaustausch. Ein sehr engagierter, intelligenter Mann.« Oberländer trank seinen Kaffee aus und entschuldigte sich. Wir grüßten, Voss begleitete ihn hinaus. Ich wartete auf seine Rückkehr und rauchte eine Zigarette. »Sie waren unmöglich«, sagte er, während er wieder Platz nahm. »Warum denn?« – »Das wissen Sie sehr gut.« Ich zuckte die Achseln: »Das war doch nicht so schlimm.« – »Oberländer musste denken, dass wir uns über ihn lustig gemacht haben.« – »Im Grunde genommen haben wir das ja auch. Nur würde er sich das nie eingestehen. Sie kennen doch die Professoren genauso gut wie ich. Würde er seine Unkenntnis in der ubychischen Frage zugeben, würde er seinen Ruf als ›Lawrence von Kaukasien‹ aufs Spiel setzen.« Wir verließen jetzt ebenfalls das Kasino. Es nieselte. »Da ist er«, sagte ich mehr zu mir selbst, »der Herbst.« Ein Pferd, das vor der Feldkommandantur angebunden war, wieherte und schnaubte. Die Posten hatten ihre Planen übergezogen. Das Wasser rann die abschüssige Karl-Marx-Straße in Bächen hinab. Der Regen wurde heftiger. Wir trennten uns vor unseren Unterkünften und wünschten uns gute Nacht. In meinem Zimmer öffnete ich die Balkontür und lauschte lange dem Rauschen des Wassers auf den Blättern der Bäume, auf den Balkonfliesen, dem Wellblechdach, im Gras und auf der feuchten Erde.
Es regnete drei Tage hintereinander. Die Sanatorien füllten sich mit Verwundeten, die von Malgobek und Sagopschi kamen, wo unsere neue Offensive gegen Grosny endgültig am erbitterten Widerstand scheiterte. Korsemann verteilte Orden an die Freiwilligen der SS-Division Wiking, blendend aussehende blonde Burschen, die noch ein wenig verstört waren, weil sie im Shuruktal, unterhalb von Nishni Kurp, ins Kreuzfeuer geraten waren und schwere Verluste erlitten hatten. Die neue Militärverwaltung des Kaukasus nahm ihre Arbeit auf. Anfang Oktober erhielten auf Anordnung des Generalquartiermeisters Wagner sechs Kosaken-Kreise mit 160 000 Einwohnern das neue Statut der »Selbstverwaltung«; die karatschaiische Autonomie sollte anlässlich eines großen Festes in Kislowodsk offiziell verkündet werden. Mit anderen maßgeblichen SS-Offizieren aus der Region wurde ich von Korsemann und Bierkamp abermals nach Woroschilowsk zitiert. Korsemann war beunruhigt wegen der eingeschränkten polizeilichen Machtbefugnisse der SS in den selbstverwalteten Bezirken, wünschte aber, die Politik der verstärkten Zusammenarbeit mit der Wehrmacht fortzusetzen. Bierkamp dagegen war fuchsteufelswild; er bezeichnete die Ostpolitiker als Zaristen und baltische Barone: »Mit dieser grandiosen Ostpolitik lebt der Geist von Tauroggen wieder auf«, rief er aus. Privat gab mir Leetsch durch die Blume zu verstehen, dass Bierkamp sich wegen der Exekutionszahlen, die pro Woche über einige Dutzend nicht hinauskamen, große Sorgen mache: Von ein paar Handwerkern abgesehen, die der Wehrmacht als Schuster und Schneider dienten, waren die Juden der besetzten Gebiete alle liquidiert; Partisanen und Kommunisten wurden kaum erwischt; was die nationalen Minderheiten und die Kosaken anging, die Mehrheit der Bevölkerung, so waren sie jetzt praktisch unantastbar. Ich fand diese Einstellung von Bierkamp zwar etwas beschränkt, konnte ihn aber verstehen: In Berlin beurteilte man die Leistung der Einsatzgruppen nach ihren Quoten, und ein Aktivitätsrückgang konnte als Energiemangel des Kommandeurs gedeutet werden. Dabei war die Gruppe durchaus nicht untätig. In Elista, am Rande der Kalmückensteppe, bildeten sie in Hinblick auf die Eroberung dieser Stadt ein Sk Astrachan; in der Umgebung von Krasnodar liquidierte das Sk 10 a, nachdem es die vorrangigen Aufgaben erledigt hatte, alle Anstalten für Schwachsinnige, Wasserköpfe und Erbkranke, wobei man sich vorrangig eines Gaswagens bediente. In Maikop ging die 17. Armee wieder zum Angriff auf Tuapse über, und das Sk 11 musste seinen Beitrag zur Unterbindung eines sehr aktiven Bandenunwesens in den Bergen leisten, in einem zerklüfteten Gebiet, das durch den Dauerregen noch unwegsamer wurde. Am 10. Oktober feierte ich meinen Geburtstag mit Voss im Restaurant, ohne ihm den Anlass zu nennen; am folgenden Tag begleiteten wir einen großen Teil des AOK nach Kislowodsk, um den Urasa Bairam zu feiern, das Ende des Fastenmonats Ramadan. Es wurde ein Triumphfest. In einem großen Lager vor der Stadt leitete der Imam der Karatschaier, ein runzliger Alter mit einer festen, klaren Stimme, ein langes Gebet; auf die nahen Hügel ausgerichtet, senkten und hoben sich im Rhythmus seines Singsangs Hunderte von Mützen, Kappen und Pelzhüten in dichten Reihen. Danach riefen Köstring und Bräutigam auf einem mit deutschen und moslemischen Flaggen geschmückten Podium, die Stimmen durch einen Lautsprecher der PK verstärkt, den Autonomen Karatschaiischen Bezirk aus. Jeder Satz wurde durch Beifallskundgebungen und Gewehrschüsse unterstrichen. Voss, die Hände hinter dem Rücken, übersetzte Bräutigams Rede; Köstring las seine direkt auf Russisch vor und wurde anschließend von begeisterten jungen Leuten mehrfach in die Luft geworfen. Bräutigam hatte den Kadi Bairamukow, einen antisowjetischen Bauern, als neuen Bezirkschef vorgestellt: Der Alte, mit einer Tscherkesska und einem Beschmet bekleidet, eine gewaltige weiße Lammfell-Papacha auf dem Kopf, dankte Deutschland feierlich dafür, die Karatschaier vom russischen Joch befreit zu haben. Ein kleines Kind führte einen herrlichen kabardinischen Schimmel, dessen Rücken von einem dagestanischen Sumak in schillernden Farben bedeckt war, vor das Podium. Das Pferd schnaubte, und der Alte erklärte, dass es ein Geschenk des karatschaiischen Volkes an das Oberhaupt der Deutschen, Adolf Hitler, sei; Köstring dankte ihm und versicherte, das Pferd werde man dem Führer nach Winniza in der Ukraine überbringen. Dann nahmen junge Kaukasier in traditioneller Tracht Köstring und Bräutigam unter den Hochrufen der Männer, den schrillen Schreien der Frauen und unentwegt krachenden Gewehrschüssen auf ihre Schultern. Rot vor Freude und hingerissen betrachtete Voss das Ganze. Wir folgten der Menge: Am Ende des Feldes belud eine kleine Armee von Frauen lange Tische, die man unter Sonnensegeln aufgestellt hatte, mit Lebensmitteln. Unvorstellbare Mengen Hammelfleisch, das man mit Brühe servierte, köchelten in großen gusseisernen Kesseln; es gab auch gekochtes Huhn, wilden Knoblauch, Kaviar und Manty, eine Art kaukasische gefüllte Teigwaren; die karatschaiischen Frauen, einige von ihnen waren bezaubernd und fröhlich, setzten den Gästen unaufhörlich neue Schüsseln vor; die jungen Burschen drängten sich abseits zusammen und flüsterten erbost, während die älteren an den Tischen saßen und aßen. Köstring und Bräutigam tafelten mit den Alten unter einem Baldachin, vor dem kabardinischen Pferd, das man vergessen zu haben schien und das, seine Leine hinter sich herziehend, unter dem Gelächter der Zuschauer an den Speisen schnüffelte. Kaukasische Musiker sangen lange Klagelieder, die sie auf ziemlich schrillen Saiteninstrumenten begleiteten; später kamen Rhythmusinstrumente hinzu, die Musik wurde heftiger, wilder, es bildete sich ein großer Kreis, und die jungen Männer tanzten unter Anleitung eines Zeremonienmeisters die Lesginka, elegant, prächtig und männlich, dann noch andere Tänze, unter anderem Messertänze, mit verblüffender Virtuosität. Alkohol wurde nicht ausgeschenkt, doch der größte Teil der deutschen Gäste, vom Fleisch und den Tänzen erhitzt, war wie berauscht, hochrot, verschwitzt, überreizt. Besonders gelungene Tanzdarbietungen belohnten die Karatschaier mit Gewehrschüssen, was die Erregung auf den Höhepunkt trieb. Das Herz klopfte mir im Halse; wie Voss schlug ich Hände und Füße im Takt und schrie wie besessen im Kreis der Zuschauer. Bei Anbruch der Nacht wurden Fackeln gebracht, und man machte weiter; wer zu erschöpft war, kehrte an die Tische zurück, um Tee zu trinken und ein wenig zu essen. »Das haben die Ostpolitiker fein hingekriegt!«, rief ich Voss zu. »Das dürfte alle überzeugen.«
Doch von der Front kamen keine guten Nachrichten. Obwohl der Wehrmachtsbericht täglich das Gelingen eines entscheidenden Durchbruchs meldete, saß die 6. Armee laut Abwehr im Stadtzentrum Stalingrads hoffnungslos fest. Die aus Winniza zurückkehrenden Offiziere berichteten, dass im Führerhauptquartier eine miserable Stimmung herrsche und der Führer nicht mehr mit den Generalen Keitel und Jodl spreche, er sie von seiner Tafel verbannt habe. Düstere Gerüchte machten in Militärkreisen die Runde, von denen Voss mir gelegentlich berichtete: Der Führer sei mit den Nerven am Ende, er bekomme Wutanfälle und treffe widersprüchliche, unsinnige Entscheidungen; die Generalität verliere das Vertrauen. Das war sicherlich übertrieben, aber ich fand den Umstand, dass sich solche Gerüchte im Heer verbreiteten, beunruhigend und ging unter der Rubrik Moral der Wehrmacht darauf ein. Hohenegg war zurück, aber seine Tagung fand in Kislowodsk statt, und ich hatte ihn noch nicht zu Gesicht bekommen; nach einigen Tagen schickte er mir eine kurze Mitteilung, in der er mich zum Abendessen einlud. Voss hatte sich zum III. Panzerkorps in Prochladny versetzen lassen; von Kleist bereitete eine neue Offensive in Richtung Naltschik und Ordshonikidse vor, und Voss wollte aus möglichst großer Nähe daran teilnehmen, um die Bibliotheken und Institute zu sichern.
Am selben Morgen kam ein Leutnant Reuter mit einem Auftrag Gilsas in meine Dienststelle: »Wir haben einen seltsamen Fall, den Sie sich ansehen sollten. Ein alter Mann, der von allein zu uns gekommen ist. Er erzählt merkwürdige Geschichten und sagt, er sei Jude. Der Oberst hat vorgeschlagen, dass Sie ihn befragen.« – »Wenn er Jude ist, müssen Sie ihn dem Kommando überstellen.« – »Vielleicht. Aber wollen Sie ihn sich nicht mal ansehen? Ich versichere Ihnen, er ist erstaunlich.« Eine Ordonnanz brachte den Mann: einen hochgewachsenen Greis mit langem weißem Bart, augenscheinlich noch gut bei Kräften; er trug eine schwarze Tscherkesska, Stiefeletten aus geschmeidigem Leder und die Holzschuhe der kaukasischen Bauern, dazu eine schöne, violett, blau und golden bestickte Kappe. Ich bedeutete ihm, sich zu setzen, und fragte die Ordonnanz etwas ungehalten: »Er spricht vermutlich nur Russisch? Wo ist der Dolmetscher?« Der Alte betrachtete mich mit durchdringendem Blick und sagte dann auf Altgriechisch mit wunderlichem Akzent, aber durchaus verständlich: »Ich sehe, dass du ein gebildeter Mensch bist. Du kannst sicherlich Griechisch.« Verblüfft schickte ich die Ordonnanz fort und erwiderte: »Ja, ich kann Griechisch. Und wie kommt es, dass du diese Sprache sprichst?« Er beachtete meine Frage nicht. »Mein Name ist Nahum ben Ibrahim, aus Magaramkent im Gouvernement Derbent. Für die Russen habe ich den Namen Schamiljew angenommen, zu Ehren des großen Schamil, mit dem mein Vater gekämpft hat. Und wie heißt du?« – »Ich heiße Maximilian und komme aus Deutschland.« – »Und wer war dein Vater?« Ich lächelte: »Wieso interessiert dich mein Vater, Alter?« – »Wie soll ich wissen, mit wem ich zu tun habe, wenn ich deinen Vater nicht kenne?« Wie ich jetzt merkte, wies sein Griechisch höchst ungewöhnliche Wendungen auf; trotzdem konnte ich ihn verstehen. Ich nannte ihm den Namen meines Vaters, und er schien zufrieden zu sein. Dann fragte ich ihn: »Wenn dein Vater mit Schamil gekämpft hat, musst du sehr alt sein?« – »Mein Vater ist ruhmreich bei Dargo gefallen, nachdem er die Russen dutzendweise getötet hat. Er war ein sehr frommer Mann, und Schamil achtete seine Religion. Er sagte, dass wir, die Dag-Schufuti, aufrichtiger an Gott glaubten als die Moslems. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem er das in der Moschee von Wedeno vor seinen Muriden verkündet hat.« – »Das ist unmöglich! Du kannst doch Schamil nicht mehr persönlich gekannt haben. Zeig mir deinen Pass.« Er reichte mir ein Dokument, das ich rasch durchblätterte. »Sieh selbst! Hier steht, dass du 1866 geboren worden bist. Damals befand sich Schamil bereits in den Händen der Russen, in Kaluga.« Ruhig nahm er mir den Pass aus der Hand und verstaute ihn in einer Innentasche. In seinen Augen tanzte ein amüsiertes und spöttisches Funkeln. »Wie soll wohl ein armer Tschinownik« – er benutzte das russische Wort für »Beamter« – »aus Derbent, ein Mann, der noch nicht einmal die Grundschule beendet hat, wissen, wann ich geboren wurde? Ohne mich auch nur zu fragen, hat er siebzig Jahre zum Datum der Ausstellung hinzugerechnet. Aber ich bin viel älter. Ich wurde geboren, bevor Schamil die Stämme zum Aufstand aufrief. Als mein Vater bei Dargo fiel, von diesen russischen Hunden getötet, war ich bereits ein Mann. Ich hätte seinen Platz bei Schamil eingenommen, doch ich studierte schon Rechtswissenschaft, und Schamil sagte mir, er habe genügend Krieger, brauche aber auch gelehrte Männer.« Ich wusste absolut nicht, was ich davon halten sollte; er schien wirklich überzeugt von dem, was er sagte, aber das klang höchst unglaubwürdig: Er hätte mindestens hundertzwanzig Jahre alt sein müssen. »Und das Griechisch?«, fragte ich. »Wo hast du das gelernt?« – »Dagestan ist nicht Russland, junger Offizier. Bevor die Russen sie erbarmungslos umgebracht haben, lebten die gelehrtesten Männer der Welt in Dagestan, Moslems und Juden. Die Menschen kamen aus Arabien, Turkestan und sogar China, um sich Rat zu holen. Und die Dag-Schufuti sind nicht die verlausten russischen Juden. Die Sprache meiner Mutter ist Farsi, und alle sprechen Türkisch. Ich habe Russisch gelernt, um Handel zu treiben, denn wie Rabbi Eliezer sagt, die Gedanken an Gott füllen nicht den Bauch. Das Arabische habe ich bei den Imamen in den Medresen Dagestans gelernt und das Griechische wie das Hebräische aus Büchern. Die Sprache der polnischen Juden habe ich mir nie angeeignet, das ist nichts anderes als Deutsch, eine Nemzy-Sprache.« – »Dann bist du also ein echter Gelehrter.« – »Mach dich nicht lustig über mich, Meirakion. Auch ich habe euren Platon und euren Aristoteles gelesen. Aber ich habe sie mit Moses von Leon gelesen, das ist etwas ganz anderes.« Schon eine Weile starrte ich auf seinen viereckig gestutzten Bart und vor allem auf seine rasierte Oberlippe. Dort faszinierte mich etwas: Unter seiner Nase war seine Lippe glatt, ohne die übliche Vertiefung in der Mitte. »Wie kommt es, dass deine Lippe so ist? Das habe ich noch nie gesehen.« Er rieb sich die Lippe: »Das? Als ich geboren wurde, hat der Engel mir die Lippen nicht versiegelt. Daher erinnere ich mich an alles, was vorher geschehen ist.« – »Ich verstehe nicht.« – »Und das, wo du doch so gebildet bist. All das steht in dem Buch von der Erschaffung des Kindes in den Kleinen Midraschim. Zunächst paaren sich die Eltern des Menschen. Dadurch entsteht ein Tropfen, in den Gott den Geist des Menschen gibt. Anschließend führt der Engel den Tropfen am Morgen ins Paradies und am Abend in die Hölle, dann zeigt er ihm, wo er auf der Erde leben wird und wo er begraben sein wird, wenn Gott den Geist zurückruft, den er hineingegeben hat. Dann steht Folgendes geschrieben. Entschuldige, wenn ich schlecht zitiere, aber ich muss aus dem Hebräischen übersetzen, das du nicht kennst: Aber stets bringt der Engel den Tropfen in den Leib seiner Mutter zurück, und der Heilige, gelobt sei er, verschließt hinter ihm die Tore und die Riegel. Und der Heilige, gelobt sei er, sagt zu ihm: Du wirst bis dorthin gehen und nicht weiter. Und das Kind bleibt neun Monate im Schoß seiner Mutter. Dann steht geschrieben: Das Kind isst von allem, was seine Mutter isst, trinkt von allem, was seine Mutter trinkt, und scheidet seine Exkremente nicht aus, denn täte es das, brächte es seiner Mutter den Tod. Weiter steht geschrieben: Und wenn die Zeit naht, da es auf die Welt kommen soll, tritt der Engel vor das Kind und sagt: Geh hinaus, denn der Augenblick deines Erscheinens in der Welt ist gekommen. Und der Geist des Kindes antwortet: Ich habe bereits vor dem, der da war, erklärt, dass ich zufrieden bin mit der Welt, in der ich gelebt habe. Und der Engel antwortet: Die Welt, in die ich dich führe, ist schön. Und dann: Gegen deinen Willen bist du im Leib deiner Mutter gebildet worden, und gegen deinen Willen wirst du geboren, um auf die Welt zu kommen. Augenblicklich beginnt das Kind zu weinen. Und warum weint es? Wegen der Welt, in der es gelebt hat und die es nun verlassen muss. Und sobald es hinausgegangen ist, versetzt ihm der Engel einen Schlag auf die Nase und löscht das Licht über seinem Kopf, er schickt das Kind gegen seinen Willen hinaus, und das Kind vergisst alles, was es gesehen hat. Und sobald es hinauskommt, beginnt es zu weinen. Um diesen Schlag auf die Nase, von dem das Buch spricht, geht es: Der Engel versiegelt die Lippen des Kindes, und das Siegel hinterlässt eine Spur. Doch das Kind vergisst nicht sofort. Vor langer Zeit, als mein Sohn drei Jahre alt war, überraschte ich ihn eines Nachts an der Wiege seiner kleinen Schwester: ›Erzähl mir von Gott‹, sagte er zu ihr. ›Ich fange an zu vergessen.‹ Das ist der Grund, warum der Mensch durch das Studium wieder von Gott lernen muss, und es ist der Grund, warum die Menschen böse werden und einander umbringen. Aber wie du siehst, hat mich der Engel hinausgeschickt, ohne mir die Lippen zu versiegeln, und ich erinnere mich an alles.« – »Dann erinnerst du dich also auch an den Ort, an dem man dich begraben wird?«, fragte ich ihn. Strahlend lächelte er mich an: »Genau deshalb bin ich zu dir gekommen.« – »Und ist es weit von hier?« – »Nein. Ich kann es dir zeigen, wenn du möchtest.« Ich stand auf und nahm mein Schiffchen: »Gehen wir!«
Im Hinausgehen forderte ich von Reuter einen Feldgendarmen an; er schickte mich zu seinem Kompaniechef, der auf einen Wachtmeister wies: »Hanning! Sie begleiten den Herrn Hauptsturmführer und tun, was er Ihnen sagt.« Hanning nahm seinen Helm und hängte das Gewehr um; er mochte auf die vierzig zugehen; sein großer blecherner Ringkragen hüpfte auf seinem schmalen Brustkorb. »Wir brauchen auch eine Schaufel«, fügte ich hinzu. Draußen wandte ich mich an den Alten: »Wohin?« Er richtete den Finger auf den Maschuk, dessen Gipfel, in ein paar Wolken gehüllt, Rauch zu speien schien: »Dorthin.« Gefolgt von Hanning, erklommen wir die Straßen bis zur letzten, die um den Berg herumführte; dort zeigte der Alte nach rechts, in Richtung des Prowals. Pinien säumten die Straße, und an einer Stelle führte ein schmaler Weg zwischen die Bäume. »Hier entlang«, sagte der Alte. »Bist du sicher, dass du hier noch nie warst?«, fragte ich ihn. Er zuckte die Achseln. Der Weg führte in Serpentinen bergan, der Hang war steil. Der Alte schritt leichtfüßig und trittsicher voran; hinter ihm, die Schaufel auf der Schulter, schnaufte Hanning wie ein Ochse. Als wir unter den Bäumen hervortraten, hatte der Wind die Wolken vom Gipfel vertrieben. Ein Stück weiter wandte ich mich um. Der Kaukasus versperrte den Horizont. Während der Nacht hatte es geregnet, und der Regen hatte die allgegenwärtige Sommerwolke fortgefegt, sodass das Gebirge klar und majestätisch hervortrat. »Hör auf zu träumen!«, ermahnte mich der Alte. Ich ging weiter. Wir stiegen noch ungefähr eine Stunde bergan. Mein Herz jagte, ich war außer Atem, Hanning auch; der Alte schien so frisch wie ein junger Baum. Schließlich erreichten wir eine Art grasbewachsene Terrasse, knapp hundert Meter unter dem Gipfel. Der Alte trat vor und betrachtete die Aussicht. Zum ersten Mal sah ich den Kaukasus richtig. Bis zum Horizont erstreckte sich die majestätische Kette, wie eine unermessliche, schräg geneigte Mauer; wenn man die Augen zusammenkniff, hätte man glauben können, die letzten Berge würden in der Ferne zur Rechten ins Schwarze Meer tauchen und zur Linken ins Kaspische. Die blauen Küstenstreifen wurden von blassgelben und weißlichen Gebirgskämmen überragt; der weiße Elbrus krönte die Gipfel wie eine umgedrehte Milchschale; noch weiter in der Ferne erhob sich der Kasbek über Ossetien. Es war schön wie eine Phrase von Bach. Ich schaute, ich sagte nichts. Der Alte streckte die Hand Richtung Osten: »Dort, hinter dem Kasbek, dort liegt schon Tschetschenien, und dahinter ist Dagestan.« – »Und wo ist das Grab?« Er musterte prüfend die ebene Terrasse und machte einige Schritte. »Hier«, sagte er schließlich und stieß mit dem Fuß auf den Boden. Wieder betrachtete ich die Berge: »Ein hübscher Platz für ein Grab, findest du nicht?«, sagte ich. Der Alte strahlte, unendlich beglückt: »Nicht wahr?« Ich begann mich zu fragen, ob er sich nicht über mich lustig machte. »Hast du es wirklich gesehen?« – »Natürlich!«, erwiderte er entrüstet. Doch ich hatte den Eindruck, dass er in seinen Bart lachte. »Also, dann grab«, sagte ich. »Was heißt hier graben? Schämst du dich nicht, Meirakiske? Weißt du, wie alt ich bin? Ich könnte der Großvater deines Großvaters sein! Nicht graben werde ich, sondern dich verfluchen!« Ich zuckte die Achseln und wandte mich an Hanning, der noch immer mit der Schaufel wartete. »Hanning, graben Sie!« – »Graben, Herr Hauptsturmführer? Was graben?« – »Ein Grab, Wachtmeister. Dort.« Er machte mit dem Kopf ein Zeichen zum Alten: »Und der? Kann der nicht graben?« – »Nein. Los, machen Sie schon!« Hanning legte Gewehr und Helm ins Gras und ging zur angegebenen Stelle. Er spuckte in die Hände und begann zu graben. Der Alte betrachtete die Berge. Ich lauschte dem Wind, dem gedämpften Lärm der Stadt zu unseren Füßen, ich hörte auch das Geräusch der Schaufel in der Erde, den Fall der ausgehobenen Schollen, Hannings Schnaufen. Ich blickte den Alten an: Er stand den Bergen und der Sonne zugewandt und murmelte etwas. Wieder betrachtete ich die Berge. Die zarten, unendlich abgestuften Blautöne an den Berghängen mussten sich wie eine lange Melodiezeile lesen lassen, deren Rhythmus die Bergkämme bestimmten. Hanning, der Ringkragen und Jacke abgelegt hatte, grub methodisch und war bereits auf Knietiefe angelangt. Mit heiterer Miene wandte sich der Alte an mich: »Kommt ihr voran?« Hanning hatte zu graben aufgehört und keuchte, auf seine Schaufel gestützt. »Genügt das nicht, Herr Hauptsturmführer?«, fragte er. Das Grab schien jetzt die richtige Länge zu haben, war aber nur einen halben Meter tief. Ich wandte mich an den Alten: »Genügt dir das?« – »Du scherzt! Du willst mir doch wohl kein Armengrab geben, mir, Nahum ben Ibrahim! Oder bist du ein Nepios?« – »Tut mir leid, Hanning. Sie müssen weitergraben.« – »Sagen Sie, Herr Hauptsturmführer«, fragte er mich, bevor er sich wieder an die Arbeit machte, »in was für einer Sprache unterhalten Sie sich mit ihm? Das ist doch kein Russisch?« – »Nein, das ist Griechisch.« – »Ist er Grieche? Ich dachte, er ist Jude?« – »Na los, graben Sie schon!« Fluchend machte er sich wieder an die Arbeit. Nach ungefähr zwanzig Minuten hielt er wieder schwer atmend inne. »Wissen Sie, Herr Hauptsturmführer, normalerweise macht man das zu zweit. Ich bin nicht mehr der Jüngste.« – »Geben Sie mir die Schaufel und kommen Sie da raus.« Jetzt legte ich Schiffchen und Jacke ab und nahm Hannings Platz in der Grube ein. Ich war im Graben alles andere als geübt und brauchte ein paar Minuten, um meinen Rhythmus zu finden. Der Alte hatte sich zu mir herabgebeugt: »Du stellst dich sehr ungeschickt an. Man sieht, dass du dein Leben mit Büchern verbracht hast. Bei uns können sogar die Rabbiner Häuser bauen. Aber du bist ein guter Junge. Ich habe recht daran getan, mich an dich zu wenden.« Ich grub, die Erde musste jetzt ziemlich hoch geworfen werden, und ein Gutteil fiel wieder ins Loch zurück. »Reicht das?«, fragte ich schließlich. »Noch etwas. Ich möchte ein Grab, das so bequem ist wie der Bauch meiner Mutter.« – »Hanning!«, rief ich. »Kommen Sie mich ablösen.« Der Rand des Grabes reichte mir jetzt schon bis zur Brust, und er musste mir beim Hinausklettern helfen. Ich zog mich wieder an und rauchte, während Hanning sich ans Graben machte. Abermals betrachtete ich die Berge, ich wurde dessen nicht müde. Auch der Alte schaute. »Weißt du, ich war enttäuscht, dass ich nicht in meinem Tal am Samur begraben liegen sollte«, sagte er. »Aber jetzt verstehe ich, dass der Engel weise ist. Das hier ist ein schöner Ort.« – »Ja«, sagte ich. Ich warf einen Blick zur Seite: Hannings Gewehr lag wie fortgeworfen neben seinem Helm. Als Hannings Kopf gerade noch über den Rand schaute, gab sich der Alte zufrieden. Ich half Hanning herauszuklettern. »Und nun?«, fragte ich. »Nun musst du mich hineinlegen. Was denn? Glaubst du etwa, Gott wird mir einen Blitz schicken?« Ich wandte mich an Hanning: »Wachtmeister, ziehen Sie Ihre Uniform wieder an und erschießen Sie diesen Mann.« Hanning wurde rot im Gesicht, spuckte aus und fluchte. »Was ist los?« – »Mit Verlaub, Herr Hauptsturmführer, für die Sonderaufgaben brauche ich einen Befehl meines Vorgesetzten.« – »Leutnant Reuter hat Sie mir unterstellt. Er zögerte: »Na gut, einverstanden«, sagte er schließlich. Nachdem er seine Hose abgeklopft hatte, zog er sich den Rock wieder an, hängte sich das Blechschild um, setzte sich den Helm auf und ergriff sein Gewehr. Der Alte hatte sich ans Ende des Grabes gestellt, mit dem Gesicht zu den Bergen, er lächelte noch immer. Hanning legte das Gewehr an und richtete es auf das Genick des Alten. Eine plötzliche Furcht überkam mich. »Halt, stopp!« Hanning senkte das Gewehr, der Alte wandte mir den Kopf zu. »Und mein Grab«, fragte ich ihn, »hast du das auch gesehen?« Er lächelte: »Ja.« Ich atmete mühsam, spürte, wie ich bleich wurde, und empfand sinnlose Angst: »Wo befindet es sich?« Er lächelte noch immer: »Das werde ich dir nicht sagen.« – »Schießen Sie!«, rief ich Hanning zu. Hanning hob das Gewehr und feuerte. Der Alte fiel schlagartig nach vorn, wie eine Marionette, der die Drähte durchgeschnitten wurden. Ich trat ans Grab und beugte mich vor: Wie ein Sack lag er dort unten, den Kopf zur Seite gewandt, und lächelte noch immer in seinen blutbespritzten Bart; auch seine offenen, auf die Erdwand gerichteten Augen lachten. Ich zitterte. »Schütten Sie es zu«, befahl ich Hanning schroff.
Am Fuße des Maschuk schickte ich Hanning zum AOK zurück und ging über die Akademiegalerie zum Puschkin-Bad, das die Wehrmacht für ihre Genesungsurlauber teilweise wiedereröffnet hatte. Ich zog mich aus und tauchte in das kochend heiße, bräunliche schwefelhaltige Wasser ein. Eine ganze Zeit lang blieb ich liegen, dann spülte ich mich unter einer kalten Dusche ab. Diese Behandlung belebte Körper und Geist: Meine Haut war rot und weiß gefleckt, ich fühlte mich wach, fast schwerelos. Ich kehrte in meine Unterkunft zurück und legte mich, die Füße gekreuzt und dem offenen Fenster gegenüber, eine Stunde aufs Sofa. Dann zog ich mich um und ging ins AOK hinunter, um den Wagen zu holen, den ich am Morgen angefordert hatte. Unterwegs rauchte ich und betrachtete die Vulkane, die friedlichen blauen Berge des Kaukasus. Die Nacht brach bereits herein, es war Herbst. Am Ortseingang von Kislowodsk führte die Straße über den Podkumok; unten überquerten die Karren der Bauern den Fluss durch die Furt; der letzte, nicht mehr als ein Brett auf Rädern, wurde von einem Kamel mit Langhaarfell und dickem Hals gezogen. Hohenegg erwartete mich im Kasino. »Sie scheinen ja in ausgezeichneter Verfassung zu sein«, sagte er, als er mich sah. »Ich komme wieder zu Kräften. Aber ich hatte einen seltsamen Tag.« – »Das müssen Sie mir erzählen.« Neben dem Tisch standen zwei Pfälzer Weißweine in Flaschenkühlern: »Die habe ich mir von meiner Frau schicken lassen.« – »Sie sind ein Teufelskerl, Herr Oberstarzt.« Er entkorkte die erste Flasche: Der kalte Wein war herb auf der Zunge, hatte aber einen köstlich fruchtigen Abgang. »Wie ist Ihre Tagung?«, fragte ich ihn. »Sehr gut. Cholera, Typhus und Ruhr haben wir abgehakt und kommen nun zum schmerzhaften Thema der Frostbeulen.« – »Die haben doch noch keine Saison.« – »Dauert nicht mehr lange. Und Sie?« Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem alten Bergjuden. »Ein Weiser, dieser Nahum ben Ibrahim«, war sein Kommentar, als ich fertig war. »Wir können ihn beneiden.« – »Sie haben sicherlich Recht.« Unser Tisch stand direkt an einer Zwischenwand; dahinter befand sich ein Separee, aus dem Lachen und unbestimmtes Stimmengewirr drangen. Ich nahm einen weiteren Schluck Wein. »Trotzdem«, sagte ich, »ich muss zugeben, dass ich Mühe habe, ihn zu verstehen.« – »Ich nicht im Geringsten«, erklärte Hohenegg. »Sehen Sie, nach meiner Auffassung gibt es drei mögliche Haltungen angesichts der Absurdität dieses Lebens. Zunächst die Haltung der Masse – hoï polloï –, die einfach nicht akzeptieren will, dass das Leben ein Scherz ist. Diese Leute lachen nicht darüber, sondern arbeiten, horten, kauen, verdauen, huren, pflanzen sich fort, werden alt und sterben wie die Ochsen im Joch – töricht, wie sie gelebt haben. Das ist die große Mehrheit. Dann gibt es diejenigen, die, wie ich, wissen, dass das Leben ein Scherz ist, und die den Mut haben, darüber zu lachen, wie die Taoisten oder Ihr Jude. Schließlich gibt es noch jene – und das trifft nach meiner Diagnose genau auf Sie zu –, die wissen, dass das Leben ein Scherz ist, die aber darunter leiden. Wie Ihr Lermontow, den ich endlich gelesen habe: Shisn takaja pustaja i glupaja schutka, schreibt er.« Mittlerweile reichten meine Russischkenntnisse aus, um zu verstehen und zu ergänzen: »Er hätte i grubaja hinzufügen sollen, ›ein Scherz nur, leer, nichtig und grob‹.« – »Das hat er sicherlich gedacht. Aber es hätte ihm das Versmaß ruiniert.« – »Menschen mit dieser Einstellung wissen aber, dass es die zweite gibt«, sagte ich. »Ja, aber sie können sie nicht akzeptieren.« Die Stimmen hinter der Zwischenwand waren jetzt deutlicher zu unterscheiden, eine Kellnerin hatte beim Hinausgehen den Vorhang des Separees offen gelassen. Ich erkannte die ungehobelten Stimmen von Turek und seines Adlatus Pfeiffer. »Solche Hinterlader müssten in der SS verboten sein!«, grölte Turek. »Wohl wahr! Die gehören in ein KZ und nicht in eine Uniform«, erwiderte Pfeiffer. »Stimmt«, sagte eine andere Stimme, »aber wir brauchen Beweise.« – »Wir haben sie gesehen«, sagte Turek. »Neulich hinter dem Maschuk. Sie haben die Straße verlassen, um sich im Wald zu vergnügen.« – »Sind Sie sicher?« – »Ich gebe Ihnen mein Wort als Offizier.« – »Und Sie haben ihn genau erkannt?« – »Aue? Er war nicht weiter von mir entfernt als Sie jetzt.« Plötzlich verstummten die Männer. Turek drehte sich langsam um und sah mich im Eingang stehen. Aus seinem hochroten Gesicht wich das Blut. Pfeiffer, am Ende des Tisches, wurde gelb. »Bedauerlich, dass Sie so leichtfertig mit Ihrem Offizierswort umgehen, Hauptsturmführer«, sagte ich laut und deutlich, mit beherrschter neutraler Stimme. »Das beeinträchtigt seinen Wert. Trotzdem haben Sie noch die Möglichkeit, Ihre infamen Äußerungen zurückzunehmen. Ich muss Sie allerdings warnen: Wenn Sie es nicht tun, verlange ich Genugtuung.« Seinen Stuhl heftig zurückstoßend, hatte Turek sich erhoben. Ein absurdes Zucken entstellte seine Lippen und ließ ihn noch weichlicher und hilfloser aussehen als gewöhnlich. Er suchte Pfeiffers Augen: Der ermutigte ihn mit einem Kopfnicken. »Ich habe nichts zurückzunehmen«, stieß er tonlos hervor. Noch scheute er sich vor der letzten Konsequenz. Eine heftige Erregung erfüllte mich; doch meine Stimme blieb ruhig und klar. »Sind Sie sicher?« Ich wollte ihn reizen, in Rage bringen und ihm jede Rückzugsmöglichkeit nehmen. »Ich bin nicht so leicht zu töten wie ein wehrloser Jude, seien Sie dessen gewiss.« Diese Worte lösten einen Tumult aus. »Das ist eine Beleidigung der SS!«, brüllte Pfeiffer. Turek war bleich, er fixierte mich wie ein wütender Stier, ohne etwas zu sagen. »Also gut«, sagte ich. »Ich schicke Ihnen gleich jemanden ins Geschäftszimmer des Teilkommandos.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Restaurant. Hohenegg holte mich auf der Treppe ein: »Das war nicht sehr klug, was Sie da gemacht haben. Lermontow ist Ihnen offensichtlich zu Kopf gestiegen.« Ich zuckte die Achseln. »Ich halte Sie für einen Ehrenmann, Herr Oberstarzt. Darf ich auf Sie als Sekundanten rechnen?« Jetzt zuckte er mit den Achseln. »Wenn Sie es wünschen. Aber es ist töricht.« Ich klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Machen Sie sich keine Sorgen! Es wird schon gut gehen. Aber vergessen Sie Ihren Wein nicht, wir brauchen ihn noch.« Wir gingen auf sein Zimmer und leerten die erste Flasche. Ich erzählte ihm von meinem Leben und meiner Freundschaft zu Voss: »Ich schätze ihn sehr. Er ist ein bemerkenswerter Mensch. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was sich diese Schweine ausmalen.« Dann schickte ich ihn zum Geschäftszimmer des Teilkommandos und machte mich an die zweite Flasche, während ich auf ihn wartete, rauchte und zusah, wie die Herbstsonne auf dem großen Park und den Flanken des Maloje sedlo spielte. Nach einer Stunde kam er zurück. »Ich muss Sie warnen«, sagte er ohne Umschweife, »die hecken eine üble Sache aus.« – »Inwiefern?« – »Als ich in die Schreibstube kam, habe ich sie johlen hören. Ich habe den Anfang der Unterhaltung zwar nicht gehört, aber mitbekommen, wie der Dicke sagte: ›Auf die Art gehen wir kein Risiko ein. Außerdem verdient er es nicht anders.‹ Darauf hat Ihr Gegner – der, der wie ein Jude aussieht, ist er das? – geantwortet: ›Und sein Zeuge?‹ Der andere schrie: ›Selber schuld!‹ Danach bin ich hineingegangen, und sie sind verstummt. Ich glaube, die wollen uns einfach umbringen. So viel zur Ehre der SS!« – »Keine Sorge, Herr Oberstarzt. Ich werde meine Vorkehrungen treffen. Sind Sie sich über die Bedingungen einig geworden?« – »Ja. Wir treffen uns morgen Abend um sechs Uhr am Ortsausgang von Shelesnowodsk und suchen eine abgelegene Balka. Der Tote wird den Partisanen in die Schuhe geschoben, die sich dort herumtreiben.« – »Richtig, die Bande von Pustow. Das ist eine gute Idee. Wollen wir essen gehen?«
Nachdem ich herzhaft gegessen und getrunken hatte, kehrte ich nach Pjatigorsk zurück. Hohenegg war während des Abendessens verstimmt gewesen: Ich konnte sehen, dass er meine Handlungsweise und diese ganze Geschichte missbilligte. Ich befand mich noch immer in einem seltsam überreizten Zustand; es war, als hätte man mir eine große Last von den Schultern genommen. Turek würde ich mit Vergnügen niederschießen; aber ich müsste die Falle vermeiden, die Pfeiffer und er mir stellen wollten. Eine Stunde nach meiner Rückkehr klopfte es an der Tür. Ein Melder des Kommandos überreichte mir ein Papier. »Tut mir leid, Sie noch so spät stören zu müssen, Hauptsturmführer. Ein dringender Befehl vom Gruppenstab.« Ich riss das Schreiben auf: Bierkamp befahl mich um acht Uhr mit Turek zum Rapport. Jemand hatte ihm den Vorfall hinterbracht. Ich schickte den Melder fort und sackte auf dem Sofa zusammen. Ich hatte das Gefühl, unter einem Fluch zu stehen: Wie ich es auch anstellte, jede lautere Tat schien mir verwehrt zu sein! Ich glaubte, den alten Juden in seinem Grab auf dem Maschuk zu sehen, wie er über mich lachte. Vollkommen erschöpft, brach ich in Tränen aus und schlief, noch vollständig angezogen, weinend ein.
Am nächsten Morgen fand ich mich zur angegebenen Zeit in Woroschilowsk ein. Auch Turek war gekommen. Wir standen in Grundstellung vor Bierkamps Schreibtisch, Seite an Seite, ohne weitere Zeugen. Bierkamp kam gleich zur Sache: »Meine Herren, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich öffentlich in einer Weise geäußert haben sollen, die sich für SS-Offiziere nicht ziemt, und dass Sie, um Ihren Streit beizulegen, eine Vorgehensweise ins Auge gefasst haben, die nicht nur die Dienstvorschrift ausdrücklich verbietet, sondern die Gruppe auch um zwei wertvolle und schwer zu ersetzende Offiziere bringen würde; denn Sie dürfen sicher sein, dass der Überlebende unverzüglich vor ein SS- und Polizeigericht gestellt und zum Tode oder Konzentrationslager verurteilt würde. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie hier sind, um Führer und Volk zu dienen, und nicht, um Ihre persönlichen Animositäten auszutragen: Wenn Sie Ihr Leben unbedingt opfern wollen, dann tun Sie es für Volk und Vaterland. Ich habe Sie beide also hierherbefohlen, damit Sie sich entschuldigen und aussöhnen. Das ist ein Befehl.« Weder Turek noch ich antworteten. Bierkamp sah Turek an: »Hauptsturmführer?« Turek blieb stumm. Bierkamp wandte sich an mich: »Und Sie, Hauptsturmführer Aue?« – »Bei allem schuldigen Respekt, Oberführer, meine beleidigenden Äußerungen waren eine Antwort auf die Anwürfe des Hauptsturmführers Turek. Ich bin daher der Meinung, dass es an ihm ist, sich als Erster zu entschuldigen, sonst sehe ich mich gezwungen, meine Ehre ohne Rücksicht auf die Folgen zu verteidigen.« Bierkamp wandte sich an Turek: »Stimmt es, Hauptsturmführer, dass von Ihnen die ersten ehrenrührigen Äußerungen kamen?« Turek presste die Kiefer so fest zusammen, dass die Muskeln hervortraten: »Jawohl, Oberführer«, stieß er endlich hervor, »das stimmt.« – »In diesem Falle befehle ich Ihnen, sich bei Hauptsturmführer Dr. Aue zu entschuldigen.« Turek machte eine halbe Kehrtwendung, schlug die Hacken zusammen und blickte mich an, immer noch in Grundstellung; ich tat es ihm gleich. »Hauptsturmführer Aue«, sagte er langsam, mit gepresster Stimme, »ich bitte Sie in aller Form für die beleidigenden Äußerungen über Ihre Person um Entschuldigung. Ich habe mich unter dem Einfluss von Alkohol hinreißen lassen.« – »Hauptsturmführer Turek«, erwiderte ich mit heftig pochendem Herzen, »ich nehme Ihre Entschuldigung an und bitte Sie in diesem Sinne, mir auch meine kränkende Reaktion nachzusehen.« – »Gut so«, sagte Bierkamp schroff. »Jetzt reichen Sie sich die Hände.« Ich ergriff Tureks Hand und stellte fest, dass sie feucht war. Dann nahmen wir wieder Grundstellung ein. »Meine Herren, ich weiß nicht, was Sie zueinander gesagt haben, und möchte es auch nicht wissen. Ich freue mich, dass Sie sich ausgesöhnt haben. Sollte sich ein derartiger Zwischenfall wiederholen, lasse ich Sie in ein Strafbataillon der Waffen-SS versetzen. Ist das klar? Wegtreten!«
Nachdem ich, noch immer völlig durcheinander, den Raum verlassen hatte, suchte ich Dr. Leetsch in seinem Dienstzimmer auf. Von Gilsa hatte mir mitgeteilt, dass ein Aufklärer des Heeres das Gebiet von Schatoi überflogen und zahlreiche bombardierte Dörfer fotografiert hatte; doch das IV. Fliegerkorps behauptete nachdrücklich, seine Maschinen hätten keinen Angriff auf Tschetschenien geflogen, daher machte man für die Zerstörungen die sowjetische Luftwaffe verantwortlich, was die Gerüchte eines sehr umfangreichen Aufstandes zu bestätigen schien. »Kurreck hat bereits mehrere Männer in den Bergen mit dem Fallschirm abgesetzt«, teilte Leetsch mir mit. »Doch seither haben wir keine Verbindung mit ihnen. Entweder sind sie alle fahnenflüchtig, oder man hat sie getötet beziehungsweise gefangen genommen.« – »Die Wehrmacht hofft, eine Rebellion im rückwärtigen Gebiet der Sowjets könnte die Offensive auf Ordshonikidse erleichtern.« – »Vielleicht. Doch meiner Ansicht nach ist sie längst niedergeschlagen, wenn sie überhaupt stattgefunden hat. Ein solches Risiko würde Stalin nie eingehen.« – »Vermutlich. Würden Sie mich informieren, falls Sturmbannführer Kurreck etwas in Erfahrung bringen sollte?« Beim Hinausgehen erblickte ich Turek, wie er, gegen einen Türpfosten gelehnt, mit Prill sprach. Sie verstummten und beobachteten mich, während ich an ihnen vorbeiging. Höflich grüßte ich Prill und fuhr nach Pjatigorsk zurück.
Hohenegg, mit dem ich mich noch am selben Abend traf, wirkte nicht gerade enttäuscht. »Das ist das Realitätsprinzip, lieber Freund«, erklärte er. »Das wird Sie in Zukunft hoffentlich davon abhalten, den romantischen Helden zu spielen. Lassen Sie uns was trinken.« Doch die Geschichte wurmte mich. Wer mochte uns bei Bierkamp verraten haben? Sicherlich Kameraden von Turek, die Angst vor dem Skandal hatten. Vielleicht hatte auch einer von denen, die von der Falle wussten, sie verhindern wollen? Kaum denkbar, dass Turek selbst Skrupel bekommen hatte. Ich fragte mich, was er mit Prill ausheckte: sicherlich nichts Gutes.
Neue Aufgaben ließen die Affäre in den Hintergrund treten. Von Mackensens III. Panzerkorps führte, von der Luftwaffe unterstützt, die Offensive gegen Ordshonikidse; die sowjetischen Verteidigungslinien vor Naltschik brachen binnen zwei Tagen zusammen, und Ende Oktober nahmen unsere Truppen die Stadt ein, während die Panzer ihren Vorstoß nach Osten fortsetzten. Ich forderte ein Fahrzeug an und fuhr zunächst nach Prochladny, wo ich mit Persterer zusammenkam, dann nach Naltschik. Es regnete, aber das behinderte den Verkehr nicht allzu sehr; hinter Prochladny verbesserten die Nachschubkolonnen die Verpflegungssituation. Persterer traf Vorbereitungen, seinen Kommandostab nach Naltschik zu verlegen, und hatte bereits ein Vorkommando vorausgeschickt, um für Unterkünfte zu sorgen. Die Stadt war so schnell gefallen, dass es gelungen war, viele bolschewistische Funktionäre und andere Verdächtige festzunehmen; neben den vielen Juden, aus Russland gekommenen Verwaltungsleuten, war der Anteil der Einheimischen hoch. Ich erinnerte Persterer daran, dass die Wehrmacht ein gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung wollte: Es sei geplant, in Bälde ein Autonomes Gebiet Kabardinisch-Balkarien zu bilden, daher dürfe man die guten Beziehungen auf keinen Fall beeinträchtigen. In Naltschik suchte ich die Ortskommandantur auf, mit deren Einrichtung man noch beschäftigt war. Die Luftwaffe hatte die Stadt bombardiert, daher rauchten noch viele Haus- und Gebäuderuinen im Regen. Dort stieß ich wieder auf Voss, der in einem leeren Zimmer Bücherstapel sichtete; offenbar war er begeistert über seine Funde. »Sehen Sie sich das an«, sagte er und reichte mir ein altes französisches Buch. Ich betrachtete die Titelseite: Von den Völkern des Kaukasus und den Ländern nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres im 10. Jahrhundert oder Die Reise des Abu-el-Kassim, 1828 in Paris von einem gewissen Constantin Mouradgea d’Ohsson verlegt. Mit anerkennender Miene gab ich es ihm zurück: »Haben Sie viele von der Sorte gefunden?« – »Nicht wenige. Zwar hat eine Bombe die Bibliothek getroffen, aber nicht allzu viel Schaden angerichtet. Dafür wollten Ihre Kameraden einen Teil der Sammlungen für die SS beschlagnahmen. Ich habe sie gefragt, was sie interessiert, aber da sie keinen Experten haben, konnten sie nicht so recht Auskunft geben. Ich habe ihnen das Regal mit Werken zur marxistischen Nationalökonomie vorgeschlagen. Sie haben geantwortet, sie müssten in Berlin nachfragen. Bis dahin bin ich fertig.« Lachend erwiderte ich: »Dann wäre es ja meine Aufgabe, Ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.« – »Vielleicht. Aber das tun Sie ja nicht.« Ich berichtete ihm von dem Zusammenstoß mit Turek, was er urkomisch fand: »Sie wollten sich meinetwegen duellieren? Sie sind unverbesserlich, Aue. Vollkommen absurd.« – »Ich wollte mich nicht Ihretwegen duellieren: Mich hat er beleidigt.« – »Und Sie sagen, Dr. Hohenegg war bereit, für Sie den Sekundanten zu spielen?« – »Etwas widerwillig.« – »Das überrascht mich. Ich hielt ihn für einen intelligenten Menschen.« Ich fand Vossens Haltung etwas kränkend; er sah es mir wohl an meiner verstimmten Miene an, denn er brach in Lachen aus: »Machen Sie nicht so ein Gesicht! Sagen Sie sich, dass die Flegel und Ignoranten schon bestraft genug sind.«
Ich konnte den Abend nicht in Naltschik verbringen, sondern musste nach Pjatigorsk zurück, um Bericht zu erstatten. Am nächsten Tag befahl Gilsa mich zu sich. »Herr Hauptsturmführer, wir haben ein kleines Problem in Naltschik, das auch die Sicherheitspolizei betrifft.« Das Sonderkommando habe bereits damit begonnen, in der Nähe der Pferderennbahn Juden zu erschießen: russische Juden, meist Parteimitglieder oder Funktionäre, aber auch einige einheimische Juden, bei denen es sich offenbar um diese viel genannten »Bergjuden« oder kaukasischen Juden handle. Einer ihrer Ältesten war zu Selim Schadow gegangen, dem kabardinischen Anwalt, den die Militärverwaltung als Chef des künftigen Autonomen Bezirks vorgesehen hatte; dieser hatte seinerseits eine Audienz bei Generaloberst von Kleist in Kislowodsk erwirkt und diesem erläutert, dass die Gorskije jewrei rassisch keine Juden seien, sondern ein Bergvolk, das zum Judentum übergetreten sei, so wie die Kabardiner zum Islam. »Nach seinen Angaben essen diese Bergjuden wie die anderen Bergvölker, kleiden sich wie sie, heiraten wie sie und sprechen weder Hebräisch noch Jiddisch. Sie wohnen seit mehr als hundertfünfzig Jahren in Naltschik und sprechen alle neben ihrer eigenen Sprache auch Kabardinisch und Balkarisch. Schadow hat dem Generaloberst mitgeteilt, die Kabardiner würden nicht hinnehmen, dass man ihre kaukasischen Brüder tötet. Sie müssten von allen Strafaktionen und selbst dem Tragen des gelben Sterns verschont werden.« – »Und was sagt der Generaloberst dazu?« – »Wie Sie wissen, verfolgt die Wehrmacht hier eine Politik, die darauf abzielt, gute Beziehungen zu den antibolschewistischen Minderheiten herzustellen. Diese guten Beziehungen dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Natürlich ist auch die Sicherheit der Truppe ein entscheidender Gesichtspunkt. Doch wenn diese Leute rassisch keine Juden sind, stellen sie unter Umständen keinerlei Gefahr dar. Die Frage ist heikel und muss untersucht werden. Daher wird die Wehrmacht ein Gutachten erstellen lassen. Inzwischen verlangt der Generaloberst, dass die Sicherheitspolizei alle Maßnahmen gegen diese Gruppe unterlässt. Natürlich steht es der Sicherheitspolizei frei, ihre eigene Meinung zu dieser Frage zu unterbreiten, die von der Heeresgruppe berücksichtigt werden wird. Ich denke, sie wird die Angelegenheit an General Köstring delegieren. Schließlich betrifft das ein Gebiet, das zur Selbstverwaltung vorgesehen ist.« – »Jawohl, Herr Oberst. Ich habe es notiert und werde Ihnen einen Bericht schicken.« – »Danke. Ich wäre Ihnen auch verbunden, wenn Sie Oberführer Bierkamp bäten, uns schriftlich zu bestätigen, dass die Sicherheitspolizei ohne Entscheidung der Wehrmacht keine Aktion durchführen wird.«
Ich rief Obersturmbannführer Hermann an, den Nachfolger von Dr. Müller, der in der Woche zuvor abgereist war, und erklärte ihm die Angelegenheit. Bierkamps Ankunft werde zur Stunde erwartet, erwiderte er und forderte mich auf, zum Kommando zu kommen. Bierkamp war bereits auf dem Laufenden: »Das ist absolut inakzeptabel!«, wetterte er. »Damit überschreitet die Wehrmacht wirklich ihre Kompetenzen. Die Juden zu beschützen ist ein direkter Verstoß gegen den Führerwillen.« – »Mit Verlaub, Oberführer, ich meine verstanden zu haben, dass die Wehrmacht nicht davon überzeugt ist, dass diese Leute als Juden anzusehen sind. Wenn sich beweisen lässt, dass sie es sind, dürfte die Heeresgruppe keine Einwände dagegen haben, dass die Sipo die notwendigen Maßnahmen ergreift.« Bierkamp zuckte die Achseln: »Sie sind naiv, Hauptsturmführer. Die Wehrmacht wird das beweisen, was sie beweisen möchte. Das ist nur ein weiterer Vorwand, um die Arbeit der Sicherheitspolizei zu behindern.« – »Entschuldigen Sie«, mischte sich Hermann ein, ein Mann mit feinen Gesichtszügen, der ernst, aber auch ein wenig verträumt aussah, »hat es schon ähnliche Fälle gegeben?« – »Meines Wissens nur Einzelfälle. Das müsste überprüft werden.« – »Das ist noch nicht alles«, fügte Bierkamp hinzu. »Die Heeresgruppe hat mir schriftlich mitgeteilt, laut Schadow hätten wir ein ganzes Dorf dieser Bergjuden bei Mosdok liquidiert. Sie hat mich um eine schriftliche Rechtfertigung gebeten.« Hermann schien nur mühsam zu begreifen. »Stimmt das denn?«, fragte ich. »Hören Sie, wenn Sie glauben, dass ich die Liste unserer Aktionen auswendig kenne … Ich werde Sturmbannführer Persterer fragen, das muss sein Abschnitt sein.« – »Wenn das aber Juden waren«, meinte Hermann, »kann man ihm doch nichts vorwerfen.« – »Sie kennen die Wehrmacht hier noch nicht, Obersturmbannführer. Die lassen keine Gelegenheit aus, uns etwas am Zeug zu flicken.« – »Was hält Brigadeführer Korsemann davon?«, fragte ich vorsichtig. Wieder zuckte Bierkamp die Achseln. »Der Brigadeführer sagt, wir sollen unnötige Reibereien mit der Wehrmacht vermeiden. Das ist jetzt seine fixe Idee.« – »Wir könnten ein Gegengutachten erstellen«, schlug Hermann vor. »Eine gute Idee«, lobte Bierkamp. »Was halten Sie davon, Hauptsturmführer?« – »Die SS verfügt über eine ausführliche Dokumentation zum Thema«, erwiderte ich. »Selbstverständlich können wir, wenn erforderlich, auch unsere eigenen Experten kommen lassen.« Bierkamp schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich nicht täusche, Hauptsturmführer, haben Sie für meinen Vorgänger Kaukasus-Studien betrieben?« – »Jawohl, Oberführer. Aber die betrafen nicht diese Bergjuden im engeren Sinn.« – »Schon, aber Sie sind zumindest mit der Dokumentation eingehend vertraut. Und Ihren Berichten merkt man an, dass Sie sich in der Nationalitätenfrage gut auskennen. Können Sie sich für uns um diese Frage kümmern? Fassen Sie alle Informationen zusammen und setzen Sie unsere Antwort an die Wehrmacht auf. Sie bekommen von mir den dienstlichen Befehl noch schriftlich, zur Vorlage bei der Wehrmacht. Natürlich halten Sie bei jedem Schritt Rücksprache mit mir oder Dr. Leetsch.« – »Zu Befehl, Oberführer. Ich werde mein Möglichstes tun.« – »Gut. Und, Hauptsturmführer?« – »Jawohl, Oberführer?« – »Nicht zu viel Theorie in Ihren Untersuchungen, verstanden? Versuchen Sie, die Interessen der Sipo nicht aus den Augen zu verlieren.« – »Zu Befehl, Oberführer.«
Der Gruppenstab hatte alle Ergebnisse unserer Recherchen in Woroschilowsk archiviert. Was ich dort vorfand, stellte ich zu einem kurzen Bericht für Bierkamp und Leetsch zusammen: Die Ergebnisse waren mager. Laut einer Broschüre des Deutschen Auslandswissenschaftlichen Instituts aus dem Jahr 1941 – Liste der in der UdSSR lebenden Völkerschaften – waren die Bergjuden tatsächlich Juden. Eine jüngere SSBroschüre lieferte noch einige ergänzende Informationen: »Orientalische Mischvölker, aus Indien oder anderen Gebieten stammend, aber jüdischen Ursprungs, sind im 8. Jahrhundert in den Kaukasus gekommen.« Schließlich fand ich ein detaillierteres Gutachten, das von der SS dem Wannsee-Institut in Auftrag gegeben worden war: »Die Juden im Kaukasus sind nicht assimiliert«, behauptete der Text, wobei er neben den russischen Juden auch die Bergjuden einbezog. Die Berg- oder dagestanischen Juden (Dag-Schufuti), so der Verfasser, seien genauso wie die Juden Georgiens (Kartweli Ebraelebi) etwa um Christi Geburt aus Medien, Palästina oder Babylonien gekommen. Ohne seine Quellen zu nennen, gelangte er zu folgendem Schluss: »Unabhängig von der Richtigkeit der einen oder der anderen Auffassung sind die Juden in ihrer Gesamtheit, als Neuankömmlinge wie als Bergjuden, Fremdkörper in der Region des Kaukasus.« In einer kurzen Vorbemerkung des Amts IV hieß es, dass dieses Gutachten der Einsatzgruppe als Grundlage zur notwendigen Erkennung des Weltanschauungsgegners im Einsatzgebiet zu dienen habe. Als Bierkamp am folgenden Tag wiederkam, legte ich ihm meinen Bericht vor, den er rasch überflog. »Sehr schön, sehr schön. Hier Ihr schriftlicher Befehl zur Vorlage bei der Wehrmacht.« – »Was sagt Sturmbannführer Persterer in Bezug auf das Dorf, das Schadow erwähnt?« – »Er sagt, sie hätten am 20. September in diesem Gebiet tatsächlich einen jüdischen Kolchos liquidiert. Aber er wusste nicht, ob es Bergjuden waren oder nicht. Inzwischen ist einer der Ältesten dieser Juden beim Kommando in Naltschik vorstellig geworden. Ich habe Ihnen ein Protokoll des Gesprächs ausfertigen lassen.« Ich sah das Dokument durch, das er mir gereicht hatte: Der Älteste, ein gewisser Markel Schabajew, hatte sich, mit einer Tscherkesska und einer hohen Astrachanmütze bekleidet, in der Dienststelle eingefunden; auf Russisch hatte er erläutert, dass in Naltschik einige Tausend Taten lebten, ein iranisches Volk, das die Russen zu Unrecht als Gorskije jewrei bezeichneten. »Laut Persterer«, fügte Bierkamp sichtlich verärgert hinzu, »war es auch dieser Schabajew, der sich bei Schadow beschwert hat. Sie sollten sich einmal mit ihm befassen, denke ich.«