Aishas Tötung

 

 

 

„Hugh! Naztehr, wach auf! Hugh!“

Valleroy wälzte sich stöhnend herum und versuchte, das Laken über den Kopf zu ziehen. Aber da war kein Laken. Das brachte die Flut erwachender Erinnerung. Er setzte sich auf, vom harten Boden wund.

„Hugh?“ Das war Aishas Stimme!

Er zog die Füße unter sich und taumelte auf die Ecke der Zelle zu. Sie stand aufrecht, abgezehrt, aber ruhig, in der Mitte ihrer Zelle, und sie lächelte fast. „Ich glaube nicht, daß du es wirklich bist. Ich träume bestimmt noch.“

„Aisha. Es ist kein Traum. Wir sind hier.“

„Ich wünschte, es wäre ein Traum. Bisher war nur ich es, die zu sterben hatte. Jetzt werden sie auch dich bekommen! Sie haben mich dabei zusehen lassen … wie sie es machen. Es ist schrecklich. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß sie dir dasselbe antun.“

„Mach dir keine Sorgen. Mein Partner hier hat dafür gesorgt, daß ich meine Immunitätsspritzen bekommen habe, bevor er mich hierhergebracht hat.“

Ihre Blicke wanderten dorthin, wo Klyd stand, die Stangen umklammerte und sie beobachtete.

Valleroy sagte: „Ihr zwei kennt euch schon, nicht wahr?“

„Ich würde eine formelle Vorstellung schätzen, Naztehr“, sagte Klyd in seinem kultiviertesten Englisch.

Valleroy empfand ein bizarres Gefühl des Besitztums und sagte: „Sectuib, dies ist Aisha Rauf, außergewöhnliches Modell und Künstlerin. Aisha, dies ist der Sectuib Klyd Farris vom Haushalt Zeor. Er ist der beste Kanal im Umkreis von hundert Meilen, und ich bin stolz darauf, als sein Gefährte hier zu sein.“

Mit einem spöttischen kleinen Lächeln, das ihren Mund umspielte, sagte Aisha: „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Sir, aber ich bezweifle, ob ich selbst unter den allerbesten Umständen Ihre Hand schütteln würde.“

„Es gibt keinen Grund, verletzend zu sein“, tadelte Valleroy. „Es ist für gewöhnlich völlig gefahrlos, Klyd die Hand zu schütteln, obwohl ich es im Moment nicht empfehlen würde. Er ist ein Kanal.

„Ein Kanal für was?“

„Selyn. Er ist einer jener Simes, die von jedem Gen Selyn entziehen können, ohne zu töten, und er kann es an Simes weitertransferieren, damit sie nicht töten müssen.“

„Ich habe geglaubt, das sei nur ein Märchen.“

„Es ist wahr. Ich habe mehrere Wochen lang in seinem Haushalt gelebt, während wir nach dir gesucht haben. Ich habe mit Simes gegessen, in einem Raum mit ihnen gewohnt, Seite an Seite mit ihnen gearbeitet. Ich sehe nicht sehr tot aus, oder?“

Sie begutachtete, was sie von Valleroy sehen konnte, dann verlagerte sie ihre Aufmerksamkeit auf Klyd. „Er macht Spaß.“

„Madame, mein Gefährte spricht die Wahrheit.“

„Gefährte?“ wiederholte sie, als würde sie die ungewöhnliche Betonung erst jetzt wahrnehmen.

Valleroy erklärte die naheliegende Bedeutung dieses Titels. „Du siehst also, sie können mich nicht auf gewöhnliche Art und Weise töten. Und sie werden mich erst töten, nachdem …“

Sie sprach weiter, als Valleroy an diesem Gedanken würgte. „Erst nachdem Klyd gestorben ist? – Sterben Sie?“

„Langsam.“

„Aber trotzdem würden Sie Hugh nicht töten, selbst wenn man Sie in denselben Käfig stecken würde?“

„Bestimmt nicht, aber sie würden uns den Kontakt nicht erlauben.“

„Wie grausam. Ich kann verstehen, daß uns die armen Teufel töten, weil sie einfach nicht anders können. Aber ihre eigene Art mit demselben Instinkt zu foltern – man sollte sie ausrotten!“

Klyd wandte sich an Valleroy und sagte auf Simelisch: „Siehst du? Typische Reaktion. Die Simes ausrotten, und das Problem ist gelöst. Haben die Jahrhunderte euch Gens nichts darüber gelehrt?“

Valleroy nickte. „Ich versteh, was du meinst. Die Kanäle sind wirklich die einzige Lösung, und nicht einmal die vernünftigen Gens begreifen das.“ Valleroy merkte plötzlich, wie weit er seit jener Nacht, in der er das Sime-Territorium zum erstenmal betreten hatte, gekommen war. Aisha sprach für ihre ganze Gesellschaft, aber Valleroy war kein Teil mehr davon.

„Naztehr, dies ist die Frau, die du liebst. Gib ihr Zeit, sich umzustellen. Vielleicht lernt sie noch.“

Aisha sagte: „Hugh, ich wußte nicht, daß du ihre Sprache so gut sprichst!“

„Das habe ich auch nicht, bevor wir dich gejagt haben. Du hast uns eine fröhliche Hetze geliefert, weißt du.“

„Ich bin die ganze Zeit über genau hier gewesen.“

„Aber“, sagte Klyd, „das haben wir nicht gewußt. Ich habe einen meiner besten Männer verloren, um die Spur zu bekommen, die uns hierhergeführt hat.“

Plötzlich durchbrach das Donnern von Pferdehufschlag die Morgenstille. In schäumenden Schweiß gebadet, dünne Dampfwölkchen blasend, galoppierten die Pferde unter dem Torbogen hindurch und verschwanden hinter den Gebäuden. Eine starke, prächtig ausstaffierte Gruppe von Reitern … offenbar jemand von hohem Ansehen … „Wer, glaubst du …?“ sagte Valleroy.

„Andle, ohne Zweifel“, erwiderte Klyd.

„Wer ist das?“

Klyd zog sich in eine entfernte Ecke zurück, und währenddessen erklärte Valleroy Andles Rolle in der Gesamtheit der Ereignisse, die sie alle hierher gebracht hatten. Sein Mut stieg, als er sah, wie sie die Information verdaute. Sie war nicht niedergeschlagen. Sie war trotzig. Sie ist wirklich eine ganz besondere Frau, dachte er, das Wissen darum, daß sie das Opfer eines wirklich bedeutungsvollen, gigantischen Kriegsmanövers statt eines beliebigen Zufalls ist, muntert sie auf.

Von den äußeren Stangen her rief Klyd: „Da kommen sie!“

Das scharfe Klappern von beschlagenen Hufen auf nacktem Gestein hallte von der Klippen wand zurück. Dann brach eine Truppe von Reitern aus dem Durchlaß zwischen zwei Kasernengebäuden hervor. Es waren ausnahmslos gutgekleidete Simes, Männer, daran gewöhnt, anderen zu befehlen, und stolz darauf, diese Tatsache in ihrer Erscheinung anzuzeigen.

Der Reiter in der Führung stach deutlich aus seinem Gefolge hervor.

Er war von durchschnittlichem Körperbau, in bestem mittleren Alter und schien aus der gewohnten gemischtrassigen Abstammung hervorgegangen zu sein. Aber hier endete die Ähnlichkeit mit seinen Gefolgsleuten. Er trug eine kurze Luxusausführung der Sime-Peitsche, kaum mehr als eine Reitgerte mit juwelenbesetztem Griff. Seine schwarzen Stiefel waren auf außergewöhnlichen Hochglanz poliert. Sein leuchtend weißer Reitmantel drapierte die Flanken seines Pferdes mit dem glatten Wurf kostbaren Stoffes. Seine maßgeschneiderte Jacke entsprach der gängigen Mode, nicht jedoch der Jahreszeit. Und seine wenigen Juwelenschmuckstücke waren mit dem deutlichen Konservatismus des zuversichtlich Reichen ausgewählt.

Aber nicht die fast peinliche Marotte der Putzsucht war es, die ihn kennzeichnete. Er wäre in dreckigen Lumpen genauso eindrucksvoll gekleidet gewesen. Es war das Zucken eines Auges, das Heben einer Braue, die selbstsichere Arroganz jeder glatt koordinierten Bewegung, welche ihm eine Ausstrahlung verliehen, die einen regierenden Monarchen beeindrucken konnte. Er verkörperte die Art von Führer, die Nachfolger anzog, welche allein darauf aus waren, die Siegerseite zu unterstützen.

In dieser vorübergehenden Pause, bevor die Besucher absaßen, sah Valleroy den gesamten Konflikt plötzlich in einem neuen Licht. Auf der einen Seite das auf Ideale und persönliche Treue begründete Tecton, auf der anderen die durch persönliche Habgier miteinander verbundenen Nichtgetrennten. Das Tecton schuf eine Gesellschaft von gegenseitig abhängigen Einheiten, während die Gesellschaft der Nichtgetrennten aus sich gegenseitig abstoßenden Einheiten zusammengesetzt war, Einheiten, die auseinander fallen würden, sollte die bindende Kraft schwanken.

Dieser Augenblick wäre Andles Tod. Und das, versprach Valleroy stumm, sollte die zweite Rate des Todespreises von Feleho Ambrov Zeor sein!

Das Aufblitzen von sprachlosem Haß, das sein Gelübde begleitete, zog einen sofortigen Blick des von ihm auserwählten Opfers auf ihn. Dennoch ging Andle, nachdem er abgesessen war, geradewegs zu Klyd.

Die Fratze, die Andles Mund verzerrte, verriet einen gräßlichen Triumph auf der Seite des Simes. Noch bevor ein Wort gesagt worden war, erstarrte Valleroys Herz. Seine veränderte emotionelle Nager brachte ihm einen weiteren durchbohrenden Blick ein, der in diabolischem Lachen gipfelte. „Sectuib … Ambrov … Zeor … dein Gefährte hat recht!“ Und weiteres triumphierendes Gelächter, kultiviert und doch so barbarisch zugleich.

Sogar sein Lachen ist so sorgfältig aufs Eindruckschinden berechnet, wie seine ganze Erscheinung, dachte Valleroy. Aber trotzdem war es nicht Andle, der die Szene beherrschte. Klyd war es. Obgleich der Kanal gefangen war, offensichtlich der nicht vorhandenen Gnade des anderen ausgeliefert, schmutzig, zerlumpt und von der Not zerrissen, ließ seine stille Würde Andle irgendwie übertrieben gekleidet erscheinen … ein Hanswurst, zu albern, um in Zeors Kindergarten den Clown spielen zu können.

Diese wortlose Konfrontation war das Seltsamste, das Valleroy je gesehen hatte. Später, als er daran zurückdachte, begriff er, daß er der Triumph der Zusammenarbeit über Rivalität war.

Klyd stand nicht allein. Selbst abgesondert in einem Käfig, konnte er auf die vereinigte Kraft des gesamten Tecton zurückgreifen, während Andle nur sein Selbstvertrauen hatte, das ihn unterstützte. Doch zu diesem Zeitpunkt sah Valleroy nur, wie Klyds nicht wahrnehmbare Kraftquelle die Einheit unter Andles Gefolge zerschlug. Und mit dieser Beobachtung fand Valleroy seine Hoffnung wieder.

Allerdings nicht für lange. Das unbeholfene Lachen verstummte, und das verzerrte Gesicht wurde hart. Nur die Lippen bewegten sich und krümmten sich höhnisch um jedes einzelne Wort, als Andle verkündete: „Zeor ist TOT!“

Valleroy vermutete, daß es diese Worte waren, die Klyd zerbrachen. Es war der emotionelle Gehalt dahinter. Worte konnten Bluff oder Prahlerei sein. Aber es war die Fachkenntnis des Kanals, Empfindungen lesen zu können. Kein gewöhnlicher Sime konnte einen Kanal täuschen.

„Was meinst du damit?“ Die Frage war tonlos gestellt, aber gerade das deutete auf die scharfe Kontrolle hinter jenen Worten hin.

Jetzt kam der lang erwartete Augenblick totalen Sieges für Andle. Er holte eine Zeitung hervor, rollte sie auseinander und hielt sie hoch, damit Klyd die Schlagzeile lesen konnte. Es war eine Sonderausgabe des Tecton Wochenblattes. „Gestern“, las Valleroy, „ist Yenava Zeor, Gemahlin des Sectuib Klyd Farris, im Haushalt Zeor gestorben.“

Der Rest lag außerhalb seines Sichtfeldes, aber Andle lieferte die Botschaft. „Yenavas Wehen haben begonnen. Es gab Komplikationen. Weil du nicht da warst, hat dein Großvater ihr zu helfen versucht.“ Er hielt inne, beobachtete die Wirkung, die er hervorrief. „Deine Frau, dein Sohn und dein Großvater sind tot. Du wirst ihnen bald folgen. Ohne Führer … ist … Zeor … tot!“

Klyd gab seine Gefühlsregung durch kaum ein äußeres Zeichen preis, doch mußte es ein Aufflackern von Emotion gegeben haben, das Andle abermals lachen ließ. Aber dieses Lachen war ein ernster taktischer Fehler. Mit zu Schlitzen geformten Augen verlagerte der Kanal kaum merklich sein Gewicht und wartete.

Die Solidarität, die Andles Männer wieder zu verschmelzen begonnen hatte, löste sich im Nu abermals auf. Der geschlagene Gefangene hatte noch immer die Oberhand über den triumphierenden Fänger. Es konnte nicht sein, doch es war so, selbst für einen emotionstauben Gen nicht zu leugnen.

Das Lachen erstarb dieses Mal schneller, und in die Stille hinein sagte Klyd: „Zeor ist keine Person, es ist eine Idee. Ideen kann man nicht töten, indem man die Leute vernichtet, die sie bewahren. Für Zeor, auf ewig!“

Als Andle begriff, daß sein Opfer den Sieg für sich beansprucht hatte, spie er aus: „Perverser Bastard!“

Daraufhin lächelte Klyd sanft, fast so als hätte Andle das traditionelle Zeor-Gelöbnis entboten. Sprachlos stürmte Andle auf Aisha zu, inspizierte seine Ware und klatschte dabei seine Reitpeitsche gegen den Oberschenkel. Valleroy sah sie vor dem wütenden Sime zurückweichen. Sie hatte kein Wort von dem, was gesagt worden war, verstanden, aber der größte Teil der Kommunikation war nichtverbal gehalten und somit allgemein verständlich gewesen.

Um ihre Angst zu überdecken, rief Valleroy: „Du bist der perverse Bastard, du Feigling! Du hast nicht einmal den Mut, einen Gen zu nehmen, der nicht durch Drogenwahn in Angst versetzt ist …“ – Valleroy machte eine Pause, um seine Worte wie vergiftete Pfeile ins Ziel zu jagen – „… weil … du … Angst davor hast, was dir ein Gen antun könnte!“

Andle erstarrte mitten in der Bewegung, als sei er unfähig, seinem Ankläger ins Gesicht zu sehen.

Valleroy höhnte verächtlich: „Oder ist es so, daß du einen Gen künstlich stimulieren lassen mußt, damit deine trägen Reflexe ausgelöst werden – obwohl du in Wirklichkeit zu einem Kanal gehen möchtest!“

„HALT DEN MUND!“

„Du läßt sie in Ruhe, hörst du mich, Perverser“, sagte Valleroy mit eiskalter gefährlicher Beherrschung, „sonst schnitze ich dir meine Initialen in deine Seitlichen!“

Ganz plötzlich wandte sich der Sime von Aisha ab und fauchte den Gefährten an. „Aha! Unser tapferer Gefährte will das Mädchen! Und unser arroganter Perverser will seinen Gefährten. Es dürfte interessant sein, das Mädchen zu dem Perversen hineinzustecken und zu sehen, was in … sagen wir … heute in drei Tagen geschieht …“

Valleroy bluffte: „Klyd würde ihr nichts anhaben. Sie würde ihm genauso gut dienen, wie ich dies könnte.“

„Wahrscheinlich würde sie das“, sagte Andle grinsend. „Genauso gut und nicht besser!“

Auf Valleroys verblüffte Reaktion hin schnaubte Andle: „Oh, ja, wir wissen alles über dich, Herr Bundespolizist. Und ich werde persönlich einen kleinen Test arrangieren, um zu sehen, wieviel du von den Perversen gelernt hast!“

Der Politiker stolzierte zu seinem Pferd zurück und schwang sich übertrieben elegant in den Sattel. Einen Moment später war er verschwunden, und als Geste völliger Verachtung für die Gefangenen hatte er sogar den Dachwächter abkommandiert.

Sobald die Simes außer Sicht waren, brachen die drei, die eisern vereint gestanden waren, in einsamer Hoffnungslosigkeit zusammen, jeder aus seinem eigenen Grund. Valleroy glitt zu Boden und fühlte sich seiner Tarnung der Unbesiegbarkeit beraubt, da er außer acht ließ, daß Andle nicht alles über ihn wissen konnte und nie für möglich halten würde, wieviel er tatsächlich gelernt hatte. Aisha hatte lediglich einen weiteren schmählichen Eintrag der langen Liste von Niederlagen hinzugefügt, die sie hier erlitten hatte. Und Klyd erlaubte sich schließlich und endlich, auf den Verlust der drei, die ihm am meisten bedeutet hatten, zu reagieren.

Es war der Klang der Pein des Kanals, der Valleroy aus seinem eigenen Elend holte. Stille, trockene Schluchzer der Niederlage eines tapferen Mannes, etwas, von dem nicht einmal der nächste Freund Zeuge sein sollte. Doch das ließ sich in diesen Käfigzellen nicht vermeiden.

„Klyd, hör zu. Er ist hierhergekommen, um dich zu zerbrechen … um Zeors Stolz zu zerschlagen. Laß ihn nicht mit ein paar Worten den Sieg gewinnen! Laß ihn darum kämpfen!“

Das Schluchzen ging ununterbrochen weiter, und Valleroy glaubte, stundenlang zu reden und dasselbe auf so viele verschiedene Weisen zu sagen, wie sein simelisches Vokabular es ihm ermöglichte. Dann wiederholte er alles noch einmal auf Englisch, teils zugunsten Aishas und teils, um genauer auszudrücken, was er meinte.

Schließlich hatte er nichts weiter anzubieten als: „Er täuscht sich in mir, Sectuib. Ich kann dienen … und ich werde gut dienen. Das hast du selbst gesagt. Du weißt, daß es wahr ist. Aisha hat Mut. Zusammen können wir beide, du und ich, sie genug lehren, um Andle um jeden Nervenkitzel zu betrügen, den er erwartet.“

Valleroy verstummte, und allmählich brachte Klyd seine Pein unter Kontrolle. Augenblicke später wandte ihnen der Kanal sein eisern verzerrtes Gesicht zu. „Auch sie waren Soldaten, die in einem Krieg gestorben sind, den wir … beenden … müssen. Ihr Opfer wird nicht vergeblich gewesen sein.“

Valleroy antwortete: „Für Zeor, auf ewig!“

Die dunklen Augen des Kanals verrieten die langsame Todesqual, die ihn verzehrte. Aber seine Stimme klang fest, als er erwiderte: „Für Zeor, auf ewig!“

Auf englisch sagte Valleroy: „Setzen wir uns. Wir haben heute eine Menge Arbeit zu tun.“

Sie versammelten sich um die Ecke, an der sich ihre Käfige trafen. Klyd begann. „Ich habe keine Ahnung, was wir mit nichts als Worten ausrichten können … aber du hast offenbar eine Idee.“

„Nun, für den Anfang“, sagte Valleroy, „können wir versuchen, uns auszurechnen, wie viel Zeit wir für unsere Vorbereitung haben. Andle hat nicht danach ausgesehen, als habe er die Not, aber andererseits bin ich kein Experte dafür. Wie steht es damit, Sectuib?“

„Ich erwarte, daß er morgen in aller Frühe mit Ivren zusammentreffen wird. Folgt er der üblichen Sitte, so wird er vor Mittag nach seiner Tötung verlangen.“

„So bald? Das läßt uns nicht viel Zeit.“

„Wie sieht dein Plan aus?“

„Ich habe keinen richtigen Plan. Aber wenn dies ein Krieg ist, dann sieht es so aus, als seien wir ein Selbstmordkommando. Wir müssen so viele Feinde mitnehmen, wie wir können.“

„Feinde?“ sagte Klyd, als würde er das Wort kosten. „Nein, der Grund für diesen bisher nicht entschiedenen Krieg liegt darin, daß wir eigentlich alle auf derselben Seite stehen. Es gibt keine Feinde, und niemand ist im »Unrecht«.“

„Wir haben keine Zeit für Sime-Philosophie“, sagte Valleroy, wobei er das mit der unbewußten Nachahmung einer Sime-Geste beiseite fegte. „Ich bin der Meinung, daß unser Tod der Sache am besten dienen kann, wenn wir Andle mitnehmen.“

„Diese abscheuliche Bestie?“ sagte Aisha. „Dafür stimme ich. Aber wie?“

„Ich bin mir noch nicht sicher. Hängt davon ab, was er als nächstes zu tun beschließt. Aber ich denke, deine Hand wird unsere einzige Waffe sein. Es wird Mut brauchen, aber dein Vater hat immer gesagt, du seist hartnäckig, und Hartnäckigkeit ist ein guter Ersatz für Mut.“

„Was ist, wenn er sie unter Drogen setzt?“ fragte Klyd müde. „Diese furchteinflößende Zusammensetzung zertrümmert den Verstand. Das Opfer weiß nicht mehr viel – außer, daß es in einem Alptraum lebt.“

„Das Opfer“, sagte Aisha, „weiß noch viel zu viel! Ich glaube, wenn sie mir wieder damit drohen, werde ich auf der Stelle vor Angst sterben.“

„Hier ist noch ein ‚Was wäre, wenn …’“, sagte Valleroy. „Angenommen, er setzt sie unter Drogen und steckt sie zu dir in den Käfig. Was würde geschehen?“

Klyd nahm sich Zeit für einen langen, tiefen Seufzer, bevor er antwortete. „Ohne die Droge könnte ich es wahrscheinlich schaffen, sie nicht zu töten. Nur knapp. Aber mit Droge bezweifle ich, ob ich überhaupt eine Kontrolle über mich haben würde.“ Er schüttelte sich. „Es würde ihm bestimmt gefallen, dabei zuzusehen, wie der Stolz von Zeor dermaßen befleckt wird. Aber ich glaube nicht, daß er das tut.“

„Warum nicht? Ich habe ihn einen Feigling genannt. Dafür will er mich packen.“

„Wenn er mich dazu bringt, Aisha zu töten, dann bin ich noch immer am Leben. Er braucht mich tot, vorzugsweise diesen Monat, um die Anklage des Hochverrates aufrechterhalten zu können. Wenn er beweisen kann, daß ich an Auszehrung gestorben bin, während mein sogenannter Gefährte von einem gewöhnlichen Sime in die Tötung genommen wurde, dann bedeutete dies für das gesamte Tecton offizielle Ermittlungen. Unsere Lebensweise würde vermutlich geächtet werden. Wohin sollten wir dann gehen? Ins Gen-Territorium?“

Aisha schüttelte verwirrt den Kopf. „Wie kommt es, daß man den Haushalten überhaupt gestattet hat, sich legal zu organisieren?“ fragte sie.

„Bevor die Kanäle aufgekommen sind, hat niemand daran gedacht, ein solches Gesetz gegen uns zu machen. Haben Gens denn ein Gesetz, das ihnen verbietet, Wasser statt Luft zu atmen?“

Aisha lachte. Es war ein zarter, glockenheller Ton, der für Valleroy Erinnerungen weckte. Er hatte vergessen gehabt, wie gut ihn ihr Lachen fühlen ließ. Sie sagte: „Ich verstehe, was Sie meinen. Alle Simes töten, warum also ein Gesetz gegen das Nichttöten machen? Eine gute Frage.“

„Und bis jemand daran gedacht hat, hatten wir zu viele Freunde in einflußreichen Positionen.“

„Könnten diese Freunde die Anschuldigungen von Verrat nicht im Keim ersticken?“

„Nicht mehr. Unsere Sympathien für die Gen-Regierung sind ein offenes Geheimnis. Die öffentliche Meinung ist schon seit mehreren Jahren gegen uns aufgebracht. Andles Clique hat immer auf einen Präzedenzfall gelauert, und jetzt hat sie ihn. Auch wenn sie dafür die Beweise hat fälschen müssen.“

„Und du kannst nichts dagegen unternehmen“, sagte Valleroy, „weil diese konstruierten Beweise zufällig real sind.“

„Nichts von alledem ist für mich real“, sagte Aisha und sank gegen die Stangen zurück.

„Das wird es aber“, antwortete Valleroy, „sobald er seine Tentakel nach dir ausstreckt. Und das wird für dich der Augenblick sein zuzuschlagen … für uns, für Zeor und für die ganze menschliche Rasse.“

„Das klingt so melodramatisch. Wie kann ein Gen noch etwas tun, wenn ihn ein Sime erst einmal in den Griff bekommen hat? Und wie könnte ich etwas tun, was die Welt retten würde?“

„Wenn es Andle nicht mehr gibt, wird seine Bewegung auseinanderbrechen“, sagte Valleroy, „wenigstens für eine Weile. Das läßt dem Tecton Zeit, sich zu festigen. Die öffentliche Meinung ist im Moment gegen die Kanäle, aber sie ändert sich, nicht wahr, Klyd?“

„Langsam. Andles Tod wird keinen Frieden bringen. Aber seine fortbestehende Existenz ist alles, was seine Bewegung zusammenhält. Er hat sorgfältig jeden befähigten Führer aus seiner Organisation ausmerzen lassen. Es gibt niemanden, der seinen Platz einnehmen könnte. Sein Tod würde Zelerods Weltuntergang vielleicht um einige weitere Jahre hinauszögern.“

Nachdem Aisha die Vorhersage des Sime-Mathematikers erklärt worden war, sagte sie: „Ich verstehe. Dann werde ich Andle töten müssen. Aber ich habe noch nie jemanden getötet. Ich wüßte nicht, wie, hast du irgendwo an dir ein Messer oder eine Schußwaffe versteckt?“

„Nein“, sagte Valleroy, wobei er das Sternenkreuz aus dem Kragen seiner Jacke zog. „Alles, was wir haben, ist dies hier.“

„Das sieht nicht sehr scharf aus. Ich könnte ihm die Augen wirkungsvoller mit meinen Fingern auskratzen. Nicht, daß er mir Gelegenheit dazu geben würde.“

„Nein“, sagte Valleroy. „Die Stärke hiervon liegt in dem Glauben, den du darin hast.“

„Aber ich habe keinen Glauben … ich bin nicht einmal sicher, ob ich noch an Gott glaube. Ich habe gebetet, oh, wie ich gebetet habe!“

„Nun“, sagte Valleroy und betastete den Talisman, „es hat geholfen, oder? Du hast gebetet, und hier sind wir.“

„Mit allem gebührenden Respekt für den … äh … Sectuib … irgendein Rettungstrupp …“

„Nicht Rettungstrupp“, berichtigte Valleroy. „Stoßtrupp. Wir werden Andles ganze Organisation auf den Schrotthaufen werfen. Oder vielmehr – du wirst das tun.“

„Du hast mir noch immer nicht gesagt, wie …“

Valleroy wechselte ins Simelische. „Klyd, du hast darauf hingewiesen, daß sie wie ein typischer Gen reagiert hat … alle Simes töten und damit das Problem lösen. Ist sie zu typisch, um das Geheimnis, wie man Simes tötet, anvertraut zu bekommen?“

Klyd schürzte erwägend die Lippen und verlagerte sein Gewicht. Unruhig massierte er seine Seitlichen in jener eigenartigen Maniriertheit, die Valleroy so verwirrte. „Aisha“, sagte der Kanal langsam, „sagen Sie mir, was geschehen würde, wenn jetzt alle lebenden Simes plötzlich tot umfallen würden.“

Sie runzelte in nachdenklicher Konzentration die Stirn, da sie spürte, daß mehr an dieser Frage war, als sich an der Oberfläche zeigte. „Nun, es würde bestimmt eine lange Zeit dauern, alle Leichen zu beerdigen. Wahrscheinlich würde die Pest ausbrechen.“

„Hmmm“, pflichtete Klyd bei. „Und danach? Wäre es eine bessere Welt für ein besseres Leben?“

„Oh nein! Die Simes würden weiterhin den Wechsel durchmachen. Aber es würde keine erwachsenen Simes geben, sie zu lehren. Sie hätten keine Sprache, keine Kultur, keine Technologie … keine Möglichkeit zu leben – außer vom Töten und von Überfällen, und sie hätten keinen Ort zum Leben, abgesehen von der Wildnis. Bald wären wir wieder genau dort, wo wir vor achthundert Jahren waren. Alles würde von vorn beginnen. Und beim zweiten Mal haben wir vielleicht nicht genug Glück, Kanäle zu bekommen.“

„Was würden Sie tun, wenn Sie Ihren Gen-Freunden beibringen könnten, wie man Simes tötet?“

„Sie meinen, alle auf einmal – in einem Massaker?“

„Nein. Einen nach dem anderen.“

„Tja, ich weiß nicht. Nehmen Sie Ginnie Simms, zum Beispiel. Sie ist die Sorte Fanatikerin, die bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, alle Simes auf einmal tot umfallen zu lassen, springen würde. Nie würde sie an die Pest oder zukünftige Simes denken. Ich glaube nicht, daß ich es ihr sagen würde, auch nicht, um ihr Leben zu retten. Aber Mildred ist anders. Sie denkt, Simes sind böse Menschen, aber sie ist damit zufrieden, sich den Herrn um sie kümmern zu lassen. Das einzige Problem bei Mildred ist, daß sie eine Klatschbase ist. Sag es ihr, und Ginnie wird es spätestens bis Sonnenuntergang wissen.“ Sie überlegte einen Moment. „Ich kann mir niemanden vorstellen, dem ich vertrauen würde … außer … Hugh.“

„Nun“, sagte Valleroy, „verstehst du, weshalb wir zögern, es dir zu zeigen. Und es gibt noch einen Faktor. Die Methode ist noch grausamer als das, was sie Klyd antun. Das Opfer leidet … schrecklich.“

„Und“, warf Klyd ein, „sollte es zufällig für eine Weile überleben, entwickelt es etwas, das auf eine Phobie gegen den Einzug von Selyn hinausläuft. Ich hatte das Pech, an der Todes wache eines solchen Opfers teilnehmen zu müssen. Können Sie sich einen armlosen Mann vorstellen, der in Reichweite eines Wasserhahns verdurstet?“

„Entsetzlich. Die meisten gewöhnlichen Leute würden es nicht verdienen, aber jemand wie Andle … Ich glaube, ich würde ihm gern das zufügen, was er anderen zugefügt hat. Außerdem – wenn dich jemand töten will, machst du dir keine Gedanken darüber, wie du am besten schmerzlos zurückschlägst.“

„Wenn du versprichst, nicht unnötig grausam zu sein – nicht einmal bei Andle –, werde ich dich lehren, was ich kann.“

Aisha wägte dies ab. „Selbst bei jemanden wie ihm würde ich mich nicht besonders anstrengen zu foltern. Aber ich verspreche auch nicht, vorsichtig zu sein.“

Jetzt war Klyd an der Reihe, sorgfältig zu überlegen. Wegen ihrer Feldstärke und seiner zunehmenden Not konnte er ihre Nager nicht exakt ablesen. Er beschloß, es zu riskieren. „Naztehr“, sagte er auf Simelisch, „ich denke, man kann ihr vertrauen.“

„In Ordnung. Du erklärst es ihr, dann gebe ich ihr das Sternenkreuz.“

Sie arbeiteten alle drei den ganzen Nachmittag hindurch und pausierten nur für die Mahlzeiten oder wenn Menschenjäger vorbeikamen, um nachzusehen, ob Klyd noch nicht zusammengebrochen war. Die höhnischen Schmähungen der Simes dienten jedoch nur dazu, die Entschlossenheit der Gefangenen zu verstärken.

Erst nach Einbruch der Dunkelheit, als das schlimm mißhandelte Mädchen in erschöpften Schlummer gefallen war, sagte Klyd: „Ich fange an zu hoffen, sie könnte fähig sein, es zu tun, wenn er sie nicht unter Drogen setzt.“

„Ich glaube einfach nicht, daß er ihr Drogen verabreicht … nicht nachdem ich ihn deswegen vor seinen Männern einen Feigling genannt habe.“

„Das hast du perfekt gemacht, Naztehr. Sie wußten, was er getan hat, aber sie haben nie an solch eine neuartige Erklärung gedacht.“

„Du glaubst, ich könnte recht haben mit dem, was ich über ihn gesagt habe?“

„Teilweise vielleicht schon. Ich habe noch von keinem gewöhnlichen Sime gehört, der vor der Abtrennung eine Fixierung auf Sime-Transfer entwickelt hat. Stimmt, es könnte in manchen Simes eine abweichende Erbanlage geben, die möglicherweise so reagiert … aber ich bezweifle das.“

„Es war nur ein Schuß ins Blaue.“

„Du hast ihn dort getroffen, wo es weh tut, Naztehr. Schlimm, aber nicht schlimm genug, daß er deine Hinrichtung befohlen hat.“

„Darüber bin ich froh!“

„Aus dem, was du gesagt hast, könnten seine Anhänger die Wahrheit folgern.“

„Und die wäre?“

„Ich habe beobachtet, daß Kanäle, die nicht abgetrennt sind, oft genau die gleichen Merkmale entwickeln … eine Beinahe-Unfähigkeit zu töten … nach einer Preisgabe an einen Gefährten.“

„Du meinst, Andle ist in Wirklichkeit ein nichtgetrennter Kanal?“

„Es ist möglich, daß er sich seiner selbst nicht bewußt ist. Aber er wäre nie fähig, als Kanal zu funktionieren. Er ist schon viel zu lange nichtgetrennt. Was mir Sorgen bereitet ist das, was er dir antun wird, weil du ihn bloßgestellt hast.“

„Wenn Aisha erfolgreich ist, hat er keine Gelegenheit mehr dazu, mir etwas anzuhaben.“

„Und wenn nicht? Ich habe noch keinen Gen gekannt, der beim ersten Erfahren eines Seitlichen-Kontaktes nicht in Panik geraten wäre.“

Valleroy dachte an das kleine, namenlose Flüchtlingsmädchen, das die Menschenjäger vor ihren Augen getötet hatten. Sie war unter Simes aufgewachsen. Sie hatte sogar das Sternenkreuz getragen. Und doch war sie in Panik geraten. Und er konnte ihr das nicht vorwerfen. Auch er war das erste Mal in Panik geraten … und auch damals, als Enam auf ihn losgegangen war. Es gab etwas an den Simes, das einfach in sich erschreckend war.

„Nun, wenn sie es nicht schafft“, sagte Valleroy, „werden wir uns einfach eine neue Kriegslist ausdenken müssen.“

„Andle ist es, der die Kriegslist ersinnen wird. Ich fürchte, ich werde morgen nicht mehr sonderlich nützlich sein. Dann bist du mehr oder weniger auf dich selbst gestellt.“

„Das Grausamste, was er tun könnte, wäre, mich direkt vor deinen Augen töten zu lassen. Aber nimm an, nimm nur einmal an, ich überlebe es.“

„Das wäre so ungefähr die schlimmste Möglichkeit. Du wärst am Leben, jedoch unfähig zu dienen.“

„Nein, das ist nicht die schlimmste Möglichkeit. Denn wenn ich überlebe, beweist es, daß ich ein Gefährte bin. Seine Verrats-Anklage wird vom Gericht verworfen werden.“

„Tut mir leid, ich kann nicht mehr klar denken.“

„Das ist in Ordnung. Ich verstehe. Ich wünschte nur, ich könnte helfen.“

„Dein Bedürfnis zu helfen ist beruhigend.“

„Aber du brauchst mehr als nur Beruhigung.“

„Ja.“

Valleroy rüttelte an den Stangen des Käfigs, wobei er durch die Zähne zischte: „Es muß einen Weg geben!“

Klyd wich vor diesem Stoß der Verzweiflung zurück, massierte kläglich seine Seitlichen. Die Nachtlichter des Lagers zeigten Valleroy das Ronaplin-Sekret, das aus den seitlichen Öffnungen sickerte. Die geschwollenen Drüsen waren deutlich sichtbare Klumpen, die die Haut bis halb über die Unterarme hinauf dehnten. Valleroy sagte: „Not muß … schmerzhaft sein.“

„Oh“, sagte Klyd, als er sah, wie Valleroy seine Tentakel betrachtete, „es sind nicht nur die Seitlichen, es ist der ganze Körper. Das Ausmaß des Stoffwechsels nimmt zu, die Empfindsamkeit steigert sich um fünfzig Prozent, das gesamte System ist hochempfindlich und verlangt nach Betätigung. Der Sime ist von Natur aus ein Raubtier, und die Not ist der Jagdzustand. Selbst die Persönlichkeit verändert sich. Wir werden unerträglich aggressiv, handeln unüberlegt …“

„Habe ich nicht bemerkt.“

„Danke. Kanäle sind stolz darauf, sich unter Kontrolle halten zu können.“

„Wenn du Andle richtig abgelesen hast, geraten die Dinge morgen früh in Bewegung. Versuche dich noch so lange zu beherrschen. Zeor braucht deine Führung.“

Der Kanal erhob sich, wankte vorsichtig in die hinterste Ecke seines Käfigs, wo er sich wieder setzte, behutsam, als würde eine abrupte Bewegung seine Beherrschung zerbröckeln lassen. Auch Valleroy schlich in die andere Ecke seines Käfigs und hatte Angst davor, sich einem Gefühl der Verzweiflung hinzugeben, das Klyds Elend noch vermehren würde.

Er glaubte, er würde nicht schlafen können, deshalb war er überrascht, als er von hellem Sonnenlicht in den Augen und einem um die Käfigstäbe gedrängten Mob von Simes erwachte. Aber die Besucher waren nicht an ihm interessiert. Es war der Kanal, der sie anzog, und sie zeigten ihre Geringschätzung mit Spott- und Hohnrufen, von denen Valleroy die Hälfte zwar nicht verstehen, ihren Sinn sehr wohl begreifen konnte.

Klyd stand an den Eckstangen und umklammerte sie mit Händen, deren Knöchel weiß hervortraten, die Greiftentakel peitschten in hemmungsloser Sinnlosigkeit umher. Alle paar Augenblicke stieß er ein unartikuliertes Fauchen zwischen den Lippen hervor. Sein Körper war starr vor Anstrengung. Er steigerte, versuchte die Stangen zu verbiegen! Aber sie bewegten sich nicht einmal unter seinem heftigsten Ansturm.

Das einzige Ergebnis der rasenden Anstrengung des Kanals war ein Zunehmen der Menge der Simes, die über ihn lachten. Aber nachdem eine ziemlich große Anzahl neuer Gaffer aus der Kaserne herangekommen war, marschierte eine andere, diszipliniertere Gruppe aus der anderen Richtung heran. Sie lehnten eine Leiter an das Dach von Aishas Käfig. Drei von ihnen stiegen hinauf, und einer von diesen dreien rief der Menge unter sich etwas zu. „Auseinander! Befehle sind erlassen, daß Zehn, Zwölf und Achtzehn heute auf Feld-Witterung ausziehen. Überprüft besser eure Dienstpläne!“

Jedermann drängelte, hastete davon, und innerhalb einer Minute war außer den Wachen, die Aisha in einer Schlinge hochzogen, kein Menschenjäger mehr in Sicht. Valleroy brüllte: „Wo bringt ihr sie hin?“

Sie antworteten erst, als sie Aisha, die sinnlos biß und trat, die Leiter hinunterschleppten. Dann kam einer der Wächter um den Käfig herum und begutachtete die Anstrengungen des Kanals an den Stangen. Zufrieden, daß der Perverse nicht freikommen konnte, blieb er vor Valleroy stehen und sagte: „Runzi liefert Handelsware immer gereinigt und inspiziert ab … und zum verabredeten Zeitpunkt. Was dich betrifft, so kommen wir später zurück.“ Er neigte den Kopf in Richtung des tobenden Kanals. „Das kannst du ihm sagen, wenn er zuhört. Ich hoffe, er begeht keinen Selbstmord, bevor wir uns seiner annehmen.“

Das bereitete Valleroy Sorgen. Er hatte noch nie davon gehört, aber er nahm an, daß ein Kanal sein Selyn gründlich genug ausscheiden konnte, so daß es einem Selbstmord gleichkam. Aber momentan war er zu hilflos, um auf Klyd einzuwirken. Das bloße Verlangen, dies zu tun, genügte, den Sime an die Stäbe zwischen ihren Käfigen zu locken. Aber es gab kein Erkennen in seinen Augen.

Es war gleichermaßen mitleiderregend als auch beängstigend zuzusehen, wie sich das, was ein vernünftiges menschliches Wesen gewesen war, wie ein amoklaufender Orang-Utan aufführte. Hinter drei Reihen unverbiegbarer Stangen sicher, fragte sich Valleroy, ob er dem Wahnsinn des Kanals ohne mit der Wimper zu zucken gegenübertreten konnte. Er schaute in diese wilden Augen, die nicht mehr menschlich wirkten, und war fast froh, daß er keine Gelegenheit bekommen würde, das herauszufinden.

Valleroy ließ sein Frühstück unberührt.

Mehrere Male während der Stunden, in denen er dasaß und das beobachtete, was einmal der Sectuib Klyd Farris, der Stolz Zeors, gewesen war, hörte er das Donnern aufbrechender Reiter. Im Hintergrund seines Verstandes registrierte der Teil seiner selbst, den er darauf programmiert hatte, jede Einzelheit ihrer Gefangenschaft zu sammeln, die Aufbrüche und verzeichnete die Tatsache, daß das Lager jetzt nahezu leer war. Aber Valleroy selbst war emotionell zu sehr in die unmittelbare Todesqual seines Freundes verstrickt, um diese Tatsache aufzugreifen und sie als günstige Gelegenheit zu interpretieren. Er schwankte zwischen einer harten Entschlossenheit, Klyd zu helfen, und einem markerschütternden Grauen, das überhaupt kein Teil von ihm zu sein schien, sondern vielmehr eine Art urzeitlicher Rassenerinnerung.

Als dieser primitive Teil seiner selbst aufkam, verbannte er jegliches rationelle Denken aus seinem Verstand. Er mußte sich daranmachen, all die Gründe dafür, weshalb der Dienst der Gefährten notwendig und weshalb sein Dienst an diesem speziellen Kanal sowohl unumgänglich als auch lebenswichtig war, zusammenzusuchen und wieder aufzubauen. Am Ende war es nicht das kalte, logische Ziel, Zeor, das Tecton und die menschliche Rasse zu retten, was Valleroy in das sichere Gerüst des Verstandes zurückbrachte. Es war die Erinnerung an die Wärme, die er verspürt hatte, als Feleho ihn Naztehr genannt hatte.

Mit dieser Erinnerung kam die Flut der damit verbundenen Momente. Das spontane Lob, das seine Arbeit auf Hrels Abtrenn-Feier gefunden hatte. Die unvergleichliche Zufriedenheit, einen Teil von sich selbst zu entdecken, der für Zeor empfänglich war, und diese Vision in seinen Arensti-Entwurf einfließen lassen zu können. Das erregende Gefühl, diesen Entwurf von so vielen, deren Lob er zu schätzen gelernt hatte, akzeptiert und verstanden zu finden. Der Ausdruck auf Sectuib Nashmars Gesicht, als dieser die Zeichnung von Enam und Zinter gesehen hatte. Und schließlich die große, überwältigende Freude, die er verspürt hatte, sooft in Imil irgend jemand sein Schaffen wegen seiner Verbundenheit mit Zeor als selbstverständlich hingenommen hatte … Zeor, das Synonym für das Gute an sich.

All dies war innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen geschehen, während in den fast dreißig Jahren seines vorherigen Lebens nichts annähernd Ähnliches passiert war. Er wußte jetzt, wohin er gehörte. Nach Zeor. Aber Zeor war abhängig von Klyds Können sowohl als Kanal wie auch als ungewöhnlich erfahrener Verwalter. Und, wurde Valleroy klar, daß Klyds Leben jetzt von seinen Fähigkeiten als Gefährte abhing.

Immer wieder kam er zu dem einen Entschluß: Klyds Leben war wichtiger als sein eigenes, da es ohne Klyd kein Zeor geben würde und damit nichts, zu dem man heimkehren konnte. Deshalb würde er es riskieren, von Klyd getötet zu werden, und wenn er starb, so würde wenigstens Klyd leben. Es war eine emotionale Entscheidung, die aber mit den rationalen Faktoren, die er in Erwägung ziehen mußte, übereinstimmte. Doch jedesmal, wenn er in diesem Entschluß sicher war, stellte er sich vor, wie er tatsächlich die Hände ausstreckte, um den geistlos tobenden Kanal ohne Stangen zwischen sich und ihm zu berühren – und das urzeitliche Grauen stieg wieder auf, ihn zu ersticken.

Er kämpfte es allein durch die Rückbesinnung darauf nieder, daß er in einem Käfig war und daß nicht er die Entscheidung zu treffen hatte.

Schließlich brachte man Valleroy ein Hebegeschirr und hievte ihn aus seinem Käfig heraus. Das war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, aber die kreisläufigen Gedanken des Morgens machten ihn zu benommen für den Triumph. Ein Teil seines Verstandes merkte sich die auf die Falltür von Klyds Käfig gemalte Nummer, aber er sah keinen Sinn in diesem Wissen. Auch wenn er aus dem Käfig befreit war – noch war er nicht frei zu handeln.

Die Gurte, die ihn fesselten, waren stärker als Rohleder. Alle Riemen verbanden sich an einer Stelle in der Mitte seines Rückens, wo ein Schloßmechanismus sie sicherte. Die vier Sime-Wächter, die ihn eskortierten, gaben ihm nicht die geringste Chance, etwas zu unternehmen. Also ging er friedlich mit ihnen. Er haßte es zuzugeben – auch vor sich selbst –, wie froh er war, von dem tobenden Kanal und dem Dilemma, das er verursachte, wegzukommen.

Jedoch entschlossen, aus dieser Gnadenfrist das Beste zu machen, zwang er seine Gedanken zu Aisha und ihrem Schicksal zurück. Die Wachen würden seine Fragen nicht beantworten, deshalb blieb er mit dem Erkunden eventueller Möglichkeiten und mit dem Nachsinnen darüber beschäftigt, was er damit anfangen konnte. Sie trieben ihn an Kasernengebäuden vorbei, um die Ställe herum und durch die Hintertür in den Verwaltungskomplex. Am anderen Ende des Gebäudekorridors betraten sie einen Seitenflur, der zu einem Duschraum führte. Zwei Wächter schnallten ihn los, entkleideten ihn grob, schrubbten ihn mit der Tüchtigkeit gedankenloser Stallburschen ab und steckten ihn in ein knielanges, weißes Hemd … die Standard-Pferch-Ausgabe.

All dem unterwarf sich Valleroy gefügig, da er nichts dagegen hatte, wieder sauber zu werden. Aber als sie anfingen, ihn ohne seine Hose wieder in das Geschirr zu gurten, wehrte er sich.

Mit einem plötzlichen Herumwirbeln riß er das Geschirr geradewegs aus den Händen des Wächters. Zwei Sekunden später hatte er einen der Gurte um die Tentakel des Anführers geschlungen. Er ruckte den Arm des Sime in einen modifizierten Hebelgriff nach oben, der grausamen Druck auf die Seitlichen ausübte. Die anderen Simes erstarrten, sprungbereit, jedoch nicht gewillt diese spezielle Verletzung für ihren Kameraden zu riskieren.

Valleroy wußte, daß er außer dem Überraschungsmoment keinen Vorteil hatte, deshalb sprach er hastig. „Mir macht das weiße Hemd nichts aus. Besonders dann nicht, wenn ihr mich zu Klyd schickt. Aber ich gehe nirgends hin ohne meine Hose, meinen Mantel und meine Schuhe … und meinen Ring. Holt sie jetzt, oder ihr müßt euch einen neuen Truppführer besorgen!“ Er verfestigte seinen Griff und beobachtete, wie sie alle beim Schmerz seiner Geisel zusammenzuckten.

Entschlossen ging einer von ihnen in die Ecke, wohin sie Valleroys Kleider geworfen hatten, und holte die erwähnten Sachen.

Nach einem letzten brutalen Druck stieß Valleroy die Geisel von sich. Zwei der Simes kümmerten sich um ihren Kameraden, untersuchten die Verletzungen, und währenddessen kam der dritte mit dem Geschirr auf Valleroy zu.

Valleroy dehnte einen Strumpf zwischen den Händen und hockte sich nieder, wobei er auf den Fußballen balancierte. „Willst du auch an die Reihe kommen?“

Aus der Verwirrung des Simes war ersichtlich, daß er noch nie einem Gen gegenübergestanden war, der ihn nicht gefürchtet hatte. Der Sime hatte den physischen Vorteil auf seiner Seite, und seine Unentschlossenheit war nur vorübergehend. Aber Valleroy zog vollen Vorteil aus diesem Augenblick und schlüpfte in seine dreckverkrustete Kleidung. Als die Verstärkung ankam, trug er den Wappenring von Zeor wieder stolz an seiner rechten Hand.

Sieben Wächter, abgehärtete Profis, umringten Valleroy jetzt. Er hatte keine Angst vor ihnen, doch er wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb, als mitzugehen. Er ging mit. Aber er ging stolz, und sie versuchten nicht, ihm seine Kleider wieder wegzunehmen. Er wußte, daß er lächerlich aussah, aber er betrachtete das als einen Triumph, obwohl er wieder in das Geschirr gezwängt wurde.

Sie erstiegen eine Treppenflucht, gingen ein kurzes Stück geradeaus und betraten den obersten Eckraum des Gebäudes. Es war eine kleine Kemenate, doch luxuriös ausgestattet. Der Teppich bestand aus einem seidigen, grünen Samtmaterial; die Vorhänge waren schwer genug, um den Raum gegen das helle Sonnenlicht zu verdunkeln, und die Wände waren aus poliertem Holz, das an manchen Stellen das sanfte Licht reflektierte, an anderen hingegen absorbierte. Ein großes Ateliersofa und eine gepolsterte, abgerundete Chaiselongue präsentierten sich als die einzigen Möbel.

Auf der Chaiselongue, an die dahinter liegende Wand angekettet, saß Aisha. Sie trug das traditionelle weiße Hemd und sonst nichts. Aber ihr Kragen und ihre Kette waren nicht mit Stacheln besetzt. Sie konnte sich mit einer gewissen Freiheit bewegen. Ihr glänzendes schwarzes Haar war zu einem komplizierten Gebilde aus Kurven auf ihren Kopf gehäuft, was ihre energische Kieferlinie und die trotzigen Augen betonte.

Man gestattete ihnen nur einen Moment, einander anzusehen. Dann holten die Wächter eine der gestachelten Halsketten hervor und befestigten Valleroy an einer Metalltafel an der Wand Aisha gegenüber.

Die Tür flog auf. Andle stolzierte in den Raum und überblickte die Szene mit offensichtlicher Vorfreude. Dann entließ er die Wächter, indem er dem Anführer die Schlüssel entriß und sie an einen Wandhaken außer Reichweite der beiden Gens hängte. „Jetzt verschwindet aus dem Gebäude und bleibt weg. Ich will keine Querfeld-Interferenz!“

Ganz plötzlich waren die beiden Gens mit dem Sime allein. Mit vorgeschobenen Lippen maß er geringschätzig Valleroys Größe, wobei er das gemischte Kostüm des Gens bemerkte. Dann wandte er sich Aisha zu und schritt ihr langsam entgegen, während er mit Valleroy sprach. „Du siehst, ich habe sie, wie ich sie will, ohne jede Hilfe von Drogen. Ich habe dir die Chance gewährt, meine Technik zu beobachten – eine Gelegenheit, die jeder Haushalter eifrig ergreifen würde.“

Valleroys Herzschlag begann zu rasen. „Wenn du vorhast, Zeor etwas beizubringen, dann hättest du auch Klyd hierher bringen lassen sollen. Oder hast du Angst, er könnte dich zu seiner Perversion verführen? Du bist schon halbwegs soweit, nicht wahr?“

Er sah, wie sich der Rücken des Sime dabei straffte, und baute seinen Vorteil aus. „Ich kann es an deinen Seitlichen sehen. Deine Drüsen reagieren überhaupt nicht auf Aisha, oder?“

Er ging einen Schritt weiter auf das Mädchen zu, das mit geweiteten Augen, aber bewegungslos dasaß. „Halt den Mund, Gen, sonst lasse ich die Wachen mit einem Knebel zurückkommen – einem übel schmeckenden Knebel.“

„Warum? Kannst du es dir selbst nicht zutrauen, mich zu berühren? Ein Gefährte schenkt einen noch besseren Transfer als ein Kanal – wie du sicherlich schon herausgefunden hast. Willst du nicht lieber mein Talent für diese neue, exotische Perversion ausprobieren?“

Die Seitlichen des Simes zuckten aus seinen Unterarmen hervor und bebten ekstatisch in dem dualen Selyn-Feld zwischen den beiden Gens. Valleroy wußte, daß sein Feld stärker war, da seine einzelne erzwungene Spende seine Selyn-Produktion auf eine höhere Stufe als normal gebracht hatte … bis nahe an die Gefährten-Stufe heran. Valleroy lächelte. „Das ist es, nicht wahr? Du hast einmal einen Gefährten angegriffen, und es hat dir so sehr gefallen, daß du deinen Geschmack am Töten verloren hast. Nun, wenn das nicht pervers ist, dann weiß ich nicht mehr, was das überhaupt ist.“

Andle machte zwei weitere Schritte auf Aisha zu. „Sei still, oder ich lasse dich entfernen!“

Valleroy schätzte den Abstand zwischen dem Paar ab und feuerte eine wilde Vermutung ab. „Ein echter Sime, der eine Tötung verüben will, wäre in dieser Phase nicht mehr in der Lage, mit mir zu sprechen. Aber ich bin es, den du willst, nicht sie. Wenn nicht, warum hast du mich dann so anziehen lassen?“

Andle ging noch einen Schritt weiter auf das Mädchen zu, aber als er sprach, war seine Stimme viel schwächer. „Sei still!“

„Andle, komm zu mir herüber.“ Valleroy übernahm unbewußt Klyds lockende Art zu sprechen, diese schrecklich wirksame Art, die der Kanal bei Hrel und den anderen angewandt hatte. „Andle. Ich werde dir dienen. Freiwillig. Nicht wie der andere Gefährte, dem du dich hast aufzwingen müssen. Wir kennen die Freuden des Sime so gut wie dessen Qualen. Ich werde deiner Not dienen, wenn du Aisha Klyd dienen läßt.“

Der Sime stand starr, beherrscht von dem Instinkt, den kein Sime überwinden konnte. In diesem Augenblick war Andle unfähig, die Logik hinter dieser Feststellung zu prüfen. Valleroy erlebte beim Zögern des Sime einen Sekundenbruchteil des Triumphes. Dieses Zögern bedeutete, daß er recht hatte. Er wechselte ins Englische: „Aisha, er kann dir nichts tun. Denke an das, was wir dich gelehrt haben, und handle genauso, wie wir es beschlossen haben.“

Ohne Vorwarnung sprang der Sime das Mädchen an. Erschrocken zuckte sie zurück. Aber dann begegnete sie seinen ausgestreckten Tentakeln mit bereitwilligen Händen. Im Augenblick des Kontaktes kniete sie auf der Chaiselongue. Sie ließ sich von seinem Gewicht in ein Gewirr von Armen und Beinen zurückstoßen. Seine Tentakel schlängelten sich um ihre Arme!

Valleroy sah, wie Andles Seitliche Kontakt herstellten. Aisha beschenkte ihn mit seinem fünften Kontakt … einem Paar feuchter Lippen. Valleroy wußte, daß Andle nichts Weibliches in jenen Lippen spürte. Dennoch wogte Eifersucht triumphierend auf, als er schrie: „Jetzt, Aisha! Pack ihn!“

Valleroy dachte an jene schreckliche Empfindung, die ihm Klyd zugefügt hatte. Das, was Aisha jetzt bannte, war der Auszehrungs-Schrecken. Wenn sie ihn wenigstens für einen Augenblick überwinden konnte, würde es nie eine zweite Chance geben. „AISHA! Pack ihn!“

Ihre Finger wurden zu starren Krallen, die sich mit aller Kraft von dem Sime zu lösen versuchten. Es sei ein tiefverwurzelter Reflex, hatte Klyd gesagt. Und er mußte es wissen. Valleroy gestand sich die Niederlage ein. Aber dann preßten sich diese verspannten Finger fest auf die Arme des Simes nieder, wischten ein Stück hinauf und gruben sich tief in das freiliegende Fleisch.

Sie traf den Knoten!

Wie von einem Hochspannungs-Stromschlag gelähmt, versteifte sich der Sime, die Kehle erstarrte gegen den Aufschrei, der aus seinem Zwerchfell emporstieg. Andles Augen traten aus den Höhlen, wobei sich die Lider unglaublich weit zurückschälten. Valleroy konnte den Tod des Simes fühlen. Aber der Leichnam weigerte sich zu sterben. Er fiel auf die Kissen zurück, zuckte entsetzlich. Der Mund war aufgerissen. Die Zunge war verschluckt worden. Die Todesfratze war der leibhaftige Schrecken. Noch immer zappelte der Körper.

Aisha übergab sich ausladend über die gesamte seidige Polsterung. Valleroy hätte sich ihr angeschlossen, aber sein Magen war leer. „Reiß dich zusammen, Mädchen, und sieh zu, ob du die Schlüssel erreichen kannst. Wir haben diese Sache noch nicht hinter uns. Andle ist nur die zweite Rate im Todespreis von Feleho Ambrov Zeor!“

Sie kämpfte gegen die würgenden Stöße an, schob sich an dem bebenden Leichnam vorbei und tastete nach den Schlüsseln, die nach wie vor an dem Wandhaken in der Mitte zwischen ihnen baumelten. Die Kragenkette war gerade noch lang genug, um sie den unteren Teil eines Schlüssels erwischen zu lassen. Sie rüttelte daran, bis der Bund auf den Teppich fiel. Dann fischte sie ihn mit ihren bloßen Füßen zu sich heran.

Sie brauchte mehrere ermüdende Augenblicke, ihre zitternden Hände weit genug zu bändigen, damit sie ihre eigenen Handschellen aufschließen konnte. Augenblicke später hatte sie Valleroy befreit.