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Allie. Ich zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde lang, doch das reichte. Der Dämon nutzte seinen Vorteil und schlug mir mit dem Kopf gegen die Stirn. Dann warf er sich zu Boden. Auch ich ließ mich fallen und rollte beiseite. Jetzt ging es nur noch darum, meine Tochter zu retten; die Informationen, die ich ihm entlocken wollte, waren mir für den Moment egal. Doch der Dämon packte mich an den Beinen und hielt mich fest, so dass ich mich nicht von der Stelle rühren konnte.

Ich versuchte, nach ihm zu treten. Ich traf ihn mitten in den Magen, als er gerade aufstehen wollte. Ängstlich warf ich einen Blick über meine Schulter. Die Furcht, die sich in Allies Gesicht widerspiegelte – von ihren sinnlosen Versuchen, sich zu befreien, einmal ganz abgesehen –, verlieh mir neue Energie.

Noch immer auf dem Boden, drückte ich mich mit einer Hand hoch und streckte ein Bein aus, mit dem ich dann einen halben Bogen beschrieb. Ich erwischte den Dämon an seinem Schienbein. Er stürzte erneut zu Boden. Innerhalb weniger Sekunden saß ich auf ihm, Timmys Schaufelstiel gezückt.

»Sorry, mein Guter«, sagte ich, während ich ihm bereits das scharfe Plastikstück ins Auge rammte. »Vielleicht hast du beim nächsten Mal mehr Glück.«

Diesen Dämon war ich zumindest schon mal los. Ich sprang auf und raste zu Allie. Während ich rannte, riss ich das Stilett aus meinem Gürtel. Das Monster, das meine Tochter festhielt, schien keine Waffe zu haben. Zumindest ein Vorteil. Allie trainierte allerdings seit zwei Monaten überaus eifrig. Die Tatsache, dass es die Kreatur geschafft hatte, sie in den Schwitzkasten zu nehmen, musste also bedeuten, dass sie Allie nicht nur aus dem Hinterhalt angegriffen hatte, sondern auch ziemlich stark war.

Das Monster sah wie ein Ninja-Kämpfer aus, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Sein Gesicht war vermummt, und man konnte gerade noch seine tiefliegenden Augen erkennen, die aus einer Kapuzenmütze hervorblickten und im schwachen Mondlicht unheimlich blitzten.

Während ich auf die beiden zurannte, überlegte ich mir, was ich tun konnte. Ich hatte vor, anzugreifen, um zuerst Allie zu befreien und mich dann um den Dämon zu kümmern. Normalerweise wäre eine Alternative nicht schlecht gewesen, da sich Dämonen gewöhnlich nicht so ohne weiteres von vorn angreifen lassen. Doch dieses Wesen schien willig zu sein, es frontal mit mir aufzunehmen.

Ich erwartete eigentlich, dass der Dämon nun seine Position verändern und plötzlich ein Messer zücken würde. Ich erwartete, dass er vielleicht sogar mit finsterer Stimme etwas über dieses Schwert und Jäger und das Ende unseres Daseins auf Erden oder so knurren würde.

Doch nichts dergleichen geschah. Meine Tochter blickte mich nur weiterhin verängstigt an, während der Dämon… Nun, während der Dämon irgendwie unbeteiligt wirkte.

Ich stürzte mich auf die beiden und rammte dem Biest meine Klinge in den Augapfel. Etwas beunruhigt musste ich feststellen, dass sie problemlos hineinfuhr, als ob sie mit nichts Härterem als Pudding konfrontiert wäre. Mit dem freien Arm packte ich Allie an den Schultern und riss sie von dem Dämon los.

»Es tut mir so leid! So leid«, rief sie, während sie sich in sicherer Entfernung auf den Boden warf.

Ich ließ das Messer im Auge des Dämons stecken und trat einen Schritt zurück. Keuchend wartete ich darauf, dass es wie immer ein Zischen und ein kleines Flackern geben würde, ehe der Dämon im Äther verschwand und der endgültig tote Körper auf den Boden sackte.

Doch diesmal passierte nichts dergleichen.

Das scharfe Stück Metall im Auge schien das Wesen nur zu reizen. Es stürzte sich auf mich und schleuderte mich zu Boden, um mich dann am Hals zu packen.

Allie schrie entsetzt auf. Ich sah, wie sie vor Schreck über ihren lauten Schrei die Hand auf den Mund presste und einen hastigen Blick auf unser noch immer im Dunkeln liegendes Haus warf. Dann eilte sie mir zu Hilfe. Ich versuchte währenddessen, das Stilett zu packen, das noch immer im Auge des Zombies steckte.

Mir war nämlich inzwischen klargeworden, dass wir es hier mit einem Zombie zu tun hatten. Das erklärte auch den teilnahmslosen Ausdruck, die Tatsache, dass er den Angriff mit dem Messer überlebt hatte und zudem nach fauligem Fleisch stank. Es erklärte ebenso die seltsame Verkleidung. Schließlich konnte man schlecht mit einem verrotteten Körper durch die Straßen eines gutbürgerlichen Vororts wandern. So etwas ging nicht einmal in Kalifornien.

Ich verstand jetzt auch, warum mich das Wesen nicht von sich aus angegriffen hatte. Zombies werden von einem Meister gelenkt. Sobald der Meister keine Befehle mehr geben kann, vegetieren Zombies in einem ziemlich geistlosen Zustand vor sich hin. Trotzdem halten sie sich an die letzte Anweisung des Meisters, ohne jedoch zu wissen, was sie als Nächstes tun sollen oder warum es sie überhaupt gibt.

Wenn man sie allerdings angreift, wehren sie sich. Der Wunsch, am Leben zu bleiben, vereint alle – ganz gleich, ob sie nun Zombies oder Menschen sein mögen.

Dieser Zombie verhielt sich da nicht anders. Er schien wild entschlossen, nicht nur zu überleben, sondern auch sicherzustellen, dass es seine Angreiferin nicht tat, weshalb er auch versuchte, mich mit seinen toten kalten Fingern zu erwürgen.

Habe ich schon erwähnt, dass Zombies übernatürlich stark sind? Sogar noch stärker als Dämonen in einem menschlichen Körper?

Unter diesen Umständen nicht gerade erfreulich. Ich kämpfte darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren, und riss verzweifelt am Griff des Stiletts. Endlich gelang es mir, die Klinge aus seinem Auge zu ziehen. Da fiel mir auf, dass sich der Druck seiner Finger verringerte. Allie griff den Zombie von hinten an und tat nun alles, um ihn von mir wegzubringen. Sie zerrte und riss an ihm und trat zu, so gut sie nur konnte.

Und es funktionierte. Die Kreatur verlor ihr Gleichgewicht, und für einen Moment lockerten sich die Finger, so dass ich mich befreien konnte.

»Weg!«, befahl ich Allie und sprang auf. Sie gehorchte. Als sich das Wesen erneut auf mich stürzte, erwischte ich es mit einem soliden Roundhouse-Kick mitten gegen die Brust, woraufhin es zu Boden ging.

Ich wartete nicht lange, sondern sprang auf den Zombie zu und hockte mich auf ihn. Als er die Arme hochriss, um mich erneut zu packen, rammte ich ihm das Stilett in den Bauch. Die lange Klinge glitt problemlos durch das weiche Fleisch und drang bis zum Kiesboden vor. Der Zombie schlug um sich und versuchte das Stilett zu packen.

»Verdammt«, murmelte ich genervt und schlug ihm die Arme fort. »Hör auf.« Er blinzelte verständnislos, achtete dann aber nicht weiter auf mich. Allie sprang währenddessen neben mir unruhig auf und ab und gab dabei leise, ächzende Laute von sich.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich und veränderte meine Position so, dass ich mit meinen Füßen eine der Zombiehände festhalten konnte, während ich die andere packte. Der Kerl mochte vielleicht stark sein, aber er war nicht unbesiegbar. Und ohne eine Möglichkeit, sich abzustützen, würde es ihm nicht mehr gelingen, wieder die Oberhand zu gewinnen.

Allie nickte. »Ja. Klar. Mir geht es gut.« Sie beugte sich herab und versuchte das Wesen in der Dunkelheit zu erkennen. »Aber solltest du nicht den Arm oder so etwas abschneiden?«

Diese Antwort hatte ich nicht erwartet. »Wie bitte?«, sagte ich verblüfft.

»Das ist doch ein Zombie – oder nicht? Man bringt sie um, indem man ihnen den Kopf und die Arme und so abschneidet. Stimmt doch, oder?«

Ich sah sie scharf an und kam dabei etwas ins Wanken, da der Zombie die Chance zu nutzen versuchte, sich von mir zu befreien. Ich drückte seinen Arm fester auf den Boden. »Bist du etwa auf dem Speicher gewesen? Ich dachte, wir hätten uns verstanden. Du sollst nur das lesen, was du von mir bekommst beziehungsweise womit ich einverstanden bin.«

»Das habe ich auch«, entgegnete meine Tochter. Sie sah mich gekränkt an. »Ich schwöre es!«

»Aber wieso…«

»Also ehrlich, Mami. Du weißt doch, dass ich Kabelfernsehen schaue.«

»Kabelfernsehen?«, wiederholte ich verständnislos, während ich mich fragte, was heutzutage alles auf dem Discovery-Channel lief.

»Horrorfilme, Mami«, erklärte sie mit einer derart ungeduldigen Stimme, dass ich fast vermutete, sie könnte meine Gedanken lesen.

»Ach so. Natürlich.« Ich dachte für einen Moment nach, und mir wurde klar, wo ich einhaken konnte. »Allison Crowe. Du weißt ganz genau, dass du Horrorfilme nicht sehen darfst, solange dir das nicht von Stuart oder mir ausdrücklich erlaubt wurde.«

»Mami, jetzt beruhige dich. Man kann ja wohl kaum behaupten, dass diese Filme gruseliger als mein Leben sind.«

Da hatte sie natürlich Recht. Ich hatte zwar nicht vor, ihr laut zuzustimmen, aber insgeheim musste ich ihr Recht geben.

»Du weißt genau, dass es Regeln in diesem Haus gibt, die nicht so einfach gebrochen werden dürfen, Allie.«

Meine Tochter sackte etwas in sich zusammen. »Wie auch immer.«

»Allie…«

»Ich habe schon verstanden, Mami«, sagte sie und versuchte, etwas weniger genervt zu klingen.

»Schon besser. Würdest du also bitte so freundlich sein, mir zu erklären, wo du diese Zombiefilme gesehen hast?«

»Hallo? Hältst du das wirklich für den richtigen Zeitpunkt, um so etwas zu besprechen, Mami?«

Ich zeigte auf den mehr oder weniger regungslosen Zombie. »Ich habe Zeit.«

Meine Tochter zögerte. Wahrscheinlich überlegte sie, ob es sich lohnte, sich noch länger zu weigern, mir zu antworten. Ich setzte mein strengstes Muttergesicht auf, so dass ihr nach einer Weile gar nichts anderes übrig blieb, als seufzend aufzugeben.

»Bei Bethany«, gab sie zu. »Aber ich glaube nicht, dass das besonders schreckliche Horrorfilme waren. Ehrlich. Sie kann den Monster-Channel empfangen. Echt cool, auch wenn die meisten Filme recht lahm sind.« Stirnrunzelnd betrachtete sie den Zombie. »Apropos lahm – der scheint auch ziemlich lahm geworden zu sein.«

»Ja, wir haben großes Glück gehabt. Diese Typen sind normalerweise viel stärker, als sie aussehen. Wenn du erst einmal mit hundert Zombies in einer Höhle gefangen bist, wirken sie überhaupt nicht mehr lahm. Sie besitzen zwar keine Persönlichkeit und sind auch ziemlich leise, aber lahm sind sie garantiert nicht.«

Das schien Allie etwas zu ernüchtern. »Und was machen wir dann mit dem Kerl?«

Ich seufzte. »Genau das, was du vorgeschlagen hast. Wir schneiden ihm die Gliedmaßen ab.«

»Cool!«

»Allerdings werde ich das tun.« Meine Tochter mochte sich vielleicht heimlich irgendwelche Zombiefilme ansehen, aber ich hatte bestimmt nicht vor, ihr zu erlauben, eine Leiche zu zerstückeln – ob diese nun ganz tot war oder zu den lebenden Toten gehörte.

»Darf ich zusehen?«

Ich schüttelte den Kopf und fragte mich wieder einmal, was eigentlich aus meinem kleinen Mädchen geworden war. Früher hatte Allie sich so gern ihr Ballettröckchen angezogen, um damit durch unser Wohnzimmer zu tanzen. Oder sie hatte uns stets erklärt, dass sie bestimmt sterben müsste, wenn auch nur ein Blutstropfen an ihrem aufgeschlagenen Knie zu sehen war.

Offensichtlich war meine Tochter erwachsen geworden und hatte dabei ihre zimperliche Art abgelegt.

»Du könntest mir etwas bringen, was besser schneidet«, schlug ich vor. »Und zwar flott.«

Ihre Augen wanderten von mir zu dem sich nun wieder heftiger windenden Zombie. »Okay«, sagte sie und nickte. »Bin gleich wieder da.«

Hastig lief sie zu unserem Schuppen. Bis vor kurzem hatte ich stets darauf geachtet, dass er abgesperrt war. Doch seit einiger Zeit machten wir uns die Mühe nicht mehr. Er war bis oben hin voll mit Dingen, für die wir im Haus keinen Platz mehr hatten. Deshalb wäre es mir gar nicht unrecht gewesen, wenn Diebe den Schuppen mitten in der Nacht leergeräumt hätten. Dann wären wir die Sachen zumindest problemlos losgeworden.

Wenn allerdings Diebe in den Schuppen konnten, dann vermochten das andere auch. »Allie!«, rief ich auf einmal ängstlich.

Sie drehte sich um. Die Tür des Schuppens stand bereits weit offen, und sie war noch nicht angegriffen worden. Ich atmete erleichtert auf.

»Was?«, fragte sie.

»Nichts. Nur… Ich wollte dir nur danken.«

Sie sah mich überrascht an.

»Weil du mir das Leben gerettet hast. Kabit auf den Dämon zu schleudern war eine brillante Idee.«

Das Lächeln, das sie mir schenkte, kam mir genauso strahlend wie auf ihrem Klassenfoto im zweiten Schuljahr vor. »Kein Problem, Mami. Wir sind ein echt gutes Team. Findest du nicht?«

»Äh, Mami… Soll er das eigentlich?«

Ich blickte auf den Zombiearm, der gerade dabei war, mit Hilfe seiner fünf Finger auf mich zuzukriechen. Ich trat auf das widerliche Ding. »Das ist leider typisch. Wenn man einen Zombie auseinandernimmt, bedeutet das nur, dass man ihn langsamer macht. Es bringt ihn nicht um.«

»Du machst Witze!«, erwiderte Allie und klang nun doch leicht entsetzt.

Trotzdem brachte mich das zum Lachen. Sie hatte die vergangene Viertelstunde damit verbracht, seelenruhig ihrer Mutter beim Zerhacken eines Zombies in seine Einzelteile zuzusehen, und erst jetzt begann sie allmählich die Nerven zu verlieren.

»Zumindest gibt es kein Blut«, meinte Allie und rümpfte angewidert die Nase, als sie der anderen spinnenartigen Hand auswich, die über den Kiesweg auf sie zukroch.

»Pass auf«, warnte ich sie. »Die Hand mag vielleicht ganz lustig aussehen, aber sie kann tödlich sein. Zombiehände packen dich an den Fesseln und klettern dann bis zu deinem Hals hoch. Ich kann nicht garantieren, dass ich es schaffen würde, die Finger von dir zu lösen.«

»Verstehe.« Sie trat mit voller Wucht auf die Hand. »Kann der eigentlich noch sprechen?« Sie wies mit dem Kopf auf den augenlosen Schädel, der zur Seite gerollt war. Der Mund stand offen, und die Zunge bewegte sich. Kabit – dumm wie dieser Kater nun einmal war – trottete auf den Kopf zu und schnüffelte interessiert daran. Dann berührte er mit seiner Pfote neugierig die Nase.

»Zombies können nicht sprechen«, erklärte ich. »Ob nun ganz oder in Einzelteilen.«

»Oh.« Sie betrachtete den Kopf. »Gut.«

»Finde ich auch.«

»Und wie bringen wir das Ding jetzt um?«, wollte sie wissen.

»Wir bringen ihn gar nicht um«, widersprach ich. »Du gehst jetzt sofort ins Haus und ab ins Bett. Warum du überhaupt hier aufgetaucht bist, erzählst du mir morgen, und du kannst froh sein, dass ich dir keinen Hausarrest aufbrumme. Schließlich hast du mir das Leben gerettet. Morgen gibt es aber ein Hühnchen zu rupfen.«

»Ich soll jetzt ins Bett gehen? Den krassen Teil habe ich doch sowieso schon gesehen.« Sie runzelte die Stirn. »Oder etwa nicht?«

»Allie…«

»Mami. Bitte! Bitte, bitte, bitte! Ich will doch nur helfen!«

Sie kniete sich hin und streckte mir ihre gefalteten Hände entgegen. Dadurch ließ sie die Zombiehand los. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich beeindruckt war, wie schnell sie reagierte, als das Ding versuchte, ihr zu entkommen.

Allie war wahrhaftig nicht zimperlich. Sie war vielmehr wild entschlossen, ihren Teil beizutragen, und ich konnte ihre Hilfe tatsächlich gebrauchen.

Wahrscheinlich würde man mich wohl eher nicht als beste Mutter des Jahres nominieren. Denn welche verantwortungsbewusste Mutter hätte schon ihrer vierzehnjährigen Tochter erlaubt, ihr zu helfen, einen toten Dämon und einen zerstückelten Zombie zu entsorgen? Aber zumindest würde es unsere Mutter-Tochter-Beziehung weiter festigen.

»Also gut«, gab ich nach. »Du kannst noch dableiben. Aber das bedeutet, dass wir auf der Stelle miteinander sprechen. Ich will wissen, was du um drei Uhr morgens in unserem Garten verloren hast!«

»Kannst du mir nicht zuerst erklären, wie wir diesen Typ endgültig erledigen?«

»Allie«, mahnte ich mit drohender Stimme.

»Also gut… Wie auch immer.«

Ich sah sie auffordernd an. Gleichzeitig hob ich die Axt, die sie mir zuvor aus dem Schuppen gebracht hatte, und setzte an, um die Zombiefinger von der Hand zu hacken. Meine Warnung, was Zombiehände betraf, war nicht übertrieben gewesen. Ich hatte zwar keine Lust, dieses Wesen noch weiter zu zerstückeln, aber ich wusste, dass es erst mehr oder weniger harmlos sein würde, wenn ich es seiner Finger entledigt hatte.

Ekelhaft, aber harmlos.

»Ich habe gehört, wie du telefoniert hast«, erklärte Allie. Ich schlug zu und trennte zwei Finger ab.

Angewidert warf ich sie in einen leeren Blumentopf und nahm mir fest vor, sie nicht zu vergessen. Da Zombies nicht weiter verrotten, eignen sie sich nämlich nicht gerade zur Düngung. »Du hast mich gehört? Wann?«

»Na ja, ich habe dich eigentlich nicht gehört. Aber heute früh hast du doch einen Anruf auf deinem Handy bekommen. Du hast auf das Display geschaut und behauptet, dass du etwas aus deinem Auto holen müsstest, um dem Anrufer weiterhelfen zu können. Zu Stuart hast du gemeint, dass es etwas mit einem Ölwechsel oder so zu tun hätte.«

»Ja? Und?«

Allie rollte mit den Augen. »Als ob du dich mit Ölwechseln auskennen würdest!«

Die Kleine hatte Recht. Wenn man es so betrachtete, war es geradezu ein Wunder, dass Stuart nichts von meiner Verschleierungstaktik bemerkt hatte.

»Das beantwortet aber immer noch nicht meine Frage, und zwar, warum du um drei Uhr nachts durch unseren Garten schleichst.«

»Ich habe angenommen, dass Daddy am Telefon war«, erklärte sie. Sie zuckte mit den Achseln und verlagerte ihr Gewicht ein wenig, während sie auf den Boden blickte. »Er war so lange verschwunden und… Na ja, du hattest diesen Ausdruck im Gesicht, als du abgehoben hast.«

»Diesen Ausdruck? Welchen Ausdruck?«

»Na ja… Du weißt schon.«

Ich hatte das Gefühl, dass ich es wirklich wusste, und entschloss mich, nicht nachzuhaken. Gleichzeitig nahm ich mir vor, jegliche Art von Mienenspiel zu unterdrücken, wenn ich in Zukunft mein Handy beantwortete. Vor allem falls mein Mann anwesend war.

»Also hast du angenommen, dass es David war«, sagte ich, wobei ich absichtlich diesen Namen benutzte. »Und dann?« Ich wusste, dass Allie rational durchaus begriff, wie unmöglich es für David war, die Vaterrolle für sie zu übernehmen. Emotional war sie allerdings meiner Meinung nach noch immer dabei, das Ganze zu verdauen.

»Das ist alles«, sagte sie und blickte auf. Ich sah sie an und versuchte, die verständnisvolle Mutter zu spielen. Schließlich wusste ich, wie schwer Allie die ganze Angelegenheit fiel. Auch für mich war die Situation nicht einfach. Ich hatte keine Ahnung, wie ich meiner Tochter in diesem Fall beistehen konnte. Wir waren beide verunsichert, und das Einzige, was nun half, waren unsere gegenseitige Zuneigung und unser Vertrauen in den anderen. Ich hoffte, dass das tatsächlich reichte.

»Ich habe von der Haustür aus zugesehen, während du am Telefon warst«, fuhr Allie fort. »Aber ich konnte nichts verstehen. Ich habe nicht gelauscht. Ehrlich.«

»Ich glaube dir«, antwortete ich. »Und dann?«

»Und dann habe ich gehört, wie du mitten in der Nacht das Haus verlässt. Da habe ich natürlich vermutet, dass ihr beide euch trefft. Also dass er zurück sein muss. Ich meine hier – in San Diablo.«

»Und das ist alles?«, fragte ich sanft.

»Mehr oder weniger schon.«

»Und dann bist du in den Garten geschlichen, um auf mich zu warten… Warum?«

»Weil ich herausfinden wollte, ob ich Recht hatte«, erwiderte sie in einem Tonfall, der mir deutlich signalisierte, wie dämlich sie mich manchmal fand, auch wenn sie das nicht laut sagte.

»Und warum wolltest du mich nicht einfach morgen früh fragen?«

Sie legte den Kopf zur Seite, um mich anzusehen. In ihren Augen schimmerten Tränen, und mein Herz setzte für einen Moment fast aus. »Mami«, sagte sie leise. »Er ist mein Vater. Wieso hat er denn nicht angerufen, um auch mit mir zu sprechen?«

»Ach, Liebling«, murmelte ich, wobei mir fast das Herz brach. »Du hast da etwas völlig falsch verstanden. Dein Vater liebt dich. Daran gibt es nichts zu rütteln.« Ich streckte meine Arme aus, aber Allie kam nicht auf mich zu. Stattdessen stieß sie einen hysterischen Schrei aus.

Sie schüttelte ihr Bein und versuchte verzweifelt, die Hand loszuwerden, die angefangen hatte, ihre Wade hochzukriechen.

»Allie!« Ich vergaß meinen zerstückelten Zombiearm und eilte meiner Tochter zu Hilfe. Hastig packte ich die entlaufene Hand unterhalb des Gelenks. »Zieh!«, rief ich, während ich an meinem Ende zerrte und versuchte, die toten Finger vom Bein meiner Tochter zu lösen.

»Mami«, jammerte sie, als sich die Nägel tiefer in ihr Fleisch gruben. »Es tut weh.«

»Ich weiß. Tut mir leid.« Verzweifelt sah ich mich um. Es gelang mir zwar, das Ding davon abzuhalten, weiter an Allies Bein hochzukriechen, aber ich schaffte es nicht, es ganz von ihr zu lösen. Die Finger klammerten sich nur immer heftiger an ihr Opfer.

»Okay«, sagte ich. »Hier entlang.«

Während ich die Zombiehand festhielt, führte ich Allie zum Schuppen. »Hast du die Baumschere gesehen, als du die Axt geholt hast?«

Sie schüttelte noch einmal ihr Bein, um das Ding loszuwerden. Natürlich erreichte sie damit gar nichts. »Ich glaube, sie hängt innen an der Tür.«

Langsam bewegten wir uns auf den Schuppen zu. An der Tür balancierte Allie auf einem Bein, damit ich die Schere erreichen konnte, ohne den neuen Begleiter meiner Tochter loslassen zu müssen.

Als ich sie in der Hand hielt, erklärte ich: »Okay. Jetzt halte ganz still.«

Ihre Augen weiteten sich angeekelt. »Das ist voll widerlich!«

»Na ja, wenn du das Ganze so widerlich findest, können wir die Hand auch gern dran lassen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man dir Fragen stellen wird. Vor allem beim Cheerleader-Training. Außerdem dürfte sie dein Gleichgewicht ziemlich stören.«

Sie sah mich finster an und rollte mit den Augen. »Mach schon.«

Ich klappte die Baumschere auf und versuchte einen Finger zu lösen, um ihn zwischen die Scherenklingen zu legen. Leider gelang mir das nicht. Ich entschloss mich also, den Finger von oben Stück für Stück abzuschneiden, bis ich ihn schließlich ganz entfernt hatte.

Die Einzelteile fielen auf den Boden und blieben dort liegen. Ich wandte mich den restlichen vier Fingern zu.

»Das ist das Ekelhafteste, was ich je erlebt habe«, jammerte Allie.

Ich musste ihr zustimmen. »Sei froh, dass es kein Blut gibt.« Ich warf ihr einen Blick zu. »Und wenn du mal erwachsen bist, will ich nie hören, dass wir in deiner Kindheit und Jugend zu wenig miteinander unternommen haben. Ist das klar?«

»Ha, ha. Sehr witzig. Schneide das verdammte Ding endlich klein. Okay?«

»Bin schon dabei.«

»Und was ist mit den Beinen?«

»Die können allein nicht viel tun«, sagte ich und warf einen seitlichen Blick auf einen Zombiefuß, der gerade ungeduldig auf den Boden klopfte, als ob er darauf warten würde, einem Dämonenjäger einen Tritt verpassen zu können. »Wenn sie Schuhe tragen, können sie sich nicht fortbewegen, und solange du ihnen nicht zu nahe kommst…«

Allie hob die Hände, um mir zu zeigen, dass sie verstanden hatte. »Keine Angst«, erklärte sie, als es mir endlich gelungen war, das letzte Fingerglied von ihr zu lösen. »Ich hab’s kapiert.« Sie sah sich in unserem Garten um, der jetzt mehr oder weniger so aussah, als ob er den Hintergrund für einen Horrorfilm abgeben würde. »Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.

»Jetzt räumen wir auf.« Ich wischte mir die Hände an der Jeans ab. Auch ich blickte mich im Garten um. »Wir brauchen eine Kiste oder etwas Ähnliches. Darin können wir die Teile zu Father Ben bringen, und er erledigt dann den Rest.«

»Wie?«, wollte Allie wissen. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie man Zombies umbringt!«

Ich runzelte die Stirn, denn ich hatte insgeheim gehofft, dass sie dieses kleine Detail vergessen würde.

»Mami«, stöhnte sie in ihrem üblichen Teenager-Frust-Ton. »Mir ist gerade eine Zombiehand das Bein hochgekrochen. Ich glaube kaum, dass du mich immer noch vor allem schützen musst.«

Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob ihre Argumentation wirklich hieb- und stichfest war, aber in einer Hinsicht hatte sie auf jeden Fall Recht: Wo es einen Zombie gab, da tauchten normalerweise noch weitere auf. Außerdem wollte ich, dass meine Tochter auf alles vorbereitet war und stets wusste, womit sie es zu tun hatte, selbst wenn sie um drei Uhr nachts in unserem Garten herumhing.

»Zombies sterben auf zwei verschiedene Arten. Entweder werden sie ganz und gar verbrannt – einschließlich der Knochen –, oder sie sterben, wenn auch ihr Schöpfer das Zeitliche segnet.« Sie drehte sich um und blickte fragend auf den toten Dämon, der noch immer neben dem Sandkasten lag.

»Stimmt«, gab ich widerstrebend zu. »Genau das macht mir auch Sorgen.«

»Ich verstehe nicht. Was meinst du damit?«, wollte Allie wissen.

»Der Kerl war offensichtlich nicht der Schöpfer des Zombies.«

»Einen Moment«, sagte Allie und warf den Kopf in einen von Timmys Spielzeugschleppern. »Du hast doch vorhin gemeint, dass dieser Zombie nur deshalb stehen geblieben ist, nachdem du den Dämon erledigt hattest, weil er nicht mehr wusste, was er ohne seinen Meister tun soll.«

»Ja, das habe ich gesagt.«

»Dann gibt es also einen anderen Dämon, der noch am Leben ist? Der tote Typ da drüben war sein Meister, aber ein anderer sein Schöpfer. Verstehe ich das richtig?«

»Ja, ich denke schon. Das vermute ich zumindest«, erwiderte ich.

Erschrocken blickte sie sich in unserem Garten um und sondierte die nähere Umgebung.

»Keine Sorge«, beruhigte ich sie. »Ich glaube kaum, dass er sich noch in der Nähe aufhält.« Ich hatte natürlich auch keine Ahnung, wo diese Kreatur steckte. Aber allein die Tatsache, dass er einen neu entstandenen Dämon schickte, um die Dreckarbeit für ihn zu erledigen, musste bedeuten, dass er sich selbst noch nicht zeigen wollte. Höchstwahrscheinlich hatte er keine Lust, bereits vor dem großen Dämonenritual in den Äther zurückgeschickt zu werden.

Woher ich wusste, dass wir es mit einem großen Dämonenritual zu tun haben mussten?

Ganz einfach. Nennen Sie es Kates erstes Dämonengesetz: Je stärker die Dämonenaktivität in San Diablo zunimmt, desto mehr sonstige Pflichten stehen bei Kate ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ohnehin auf dem Programm. Zufälligerweise hatte ich in diesem Moment gerade einmal eine Woche Zeit, um für unser gesamtes Wohnviertel ein Osterfest auf die Beine zu stellen. Für ein großes Dämonenritual fehlte mir wahrhaftig die Muße, und deshalb war es nur natürlich, dass sich eines anbahnte. (Zugegebenermaßen waren auch die geheimnisvollen Kommentare über Vergeltung und Rache und dieses mysteriöse Schwert nützliche Hinweise gewesen.)

Zum Glück war David wieder da. Er mochte zwar noch immer lediglich als freiberuflicher Dämonenjäger arbeiten – und ich mochte mich noch immer fragen, weshalb –, aber trotzdem war er mein Partner. In diesem Fall konnte ich wirklich nicht auf ihn verzichten.

Allie, die natürlich keine Ahnung hatte, worüber ich gerade nachgedacht hatte, sah mich stirnrunzelnd an. »Wenn der Schöpfer also nicht in der Nähe ist, wo ist er dann?«, wollte sie wissen.

»Ich könnte mir vorstellen, dass er der örtlichen Jägerin aus dem Weg gehen will.«

»Oh… Okay. Dann gibt der Schöpfer also einem Meister den Auftrag, den Zombie herumzukommandieren? Warum kann der Zombie denn nicht einfach tun, was er will?«

Ich musste lachen. »Zombies sind keine Dämonen«, erklärte ich. »Sie sind ganz anders als die Monster, die du bisher gesehen hast und die entweder in menschliche Körper schlüpfen oder versuchen, durch ein Höllenportal auf die Erde zu gelangen.«

»Willst du damit sagen, dass es noch mehr Dämonenarten gibt?«, fragte sie und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Andere Sorten von Dämonen?«

»Ja. Was du kennst, ist nur ein Bruchteil.«

»Scheiße.«

»Mm«, stimmte ich zu und achtete nicht auf das Wort, dessen Benutzung nach den neuen Vereinbarungen in unserem Haushalt zu einmal Toilettenputzen führen sollte. »Es ist so«, fuhr ich fort. »Nur Dämonen können Zombies erschaffen. Allerdings nicht jeder Dämon. Dazu muss eine Reliquie entweiht werden. Wie du weißt, gehört es zur Aufgabe eines Jägers, solche Reliquien zu beschützen und die Dämonen zur Strecke zu bringen, die sie stehlen oder entweihen wollen.«

»Verstehe.« Wieder runzelte sie die Stirn. »Wenn Zombies also keine Dämonen sind – was sind sie dann?«

»Echte Zombies sind einfach… Nun, im Grunde sind sie einfach nur ein Stück Fleisch, das belebt wurde.«

»Ich will ja nicht nerven, aber was meinst du mit echten Zombies?«

Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war bereits zehn nach vier. »Wir haben jetzt eigentlich keine Zeit mehr, aber…« Ich brach ab. In unserem Schlafzimmer ging auf einmal das Licht an und erhellte einen Teil des Gartens.

»Verdammte Scheiße«, sagte Allie.

»Allie…«, warnte ich, auch wenn ich ihr insgeheim zustimmen musste. Offenbar war Stuart aufgewacht.