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»Mami, Mami! Mami!«

Timmy hüpfte so heftig vor mir auf der Kniebank auf und ab, dass die ganze Reihe ins Wanken kam. Die Leute, die vor uns saßen, wurden ziemlich durchgeschüttelt. Zum Glück waren sie entweder zu höflich oder zu sehr in ihr Gebet versunken, als dass sie sich umgedreht und uns wütend angestarrt hätten.

»Timmy, sei bitte endlich still«, flüsterte ich und schloss die Augen. Ich zählte bis zehn. Der gestrige Abend war sehr schön und auch ziemlich lang gewesen, so dass ich mich am Morgen gemütlich im Bett ausgestreckt hatte, bis mir auf einmal einfiel, dass es nicht Samstag, sondern Sonntag war. Diese Erkenntnis hatte wie eine kalte Dusche gewirkt. Ich schaffte es, meinen ziemlich matten Körper und noch erschöpfteren Kopf aus dem Bett zu hieven und die Familie für den Kirchenbesuch zusammenzutrommeln. Inzwischen fühlte sich mein armer, misshandelter Schädel so an, als ob er jeden Augenblick platzen wollte. Das aufgeweckte Temperament meines Sohns half dabei auch nicht.

»Mami, schau! Schau, was ich mache!«

Er strich mir mit seinem Palmblatt über die Wange. Da ich keine andere Wahl hatte, öffnete ich die Augen.

»Sehr schön. Aber jetzt sei still.«

Normalerweise ist der Sonntagsgottesdienst für mich sehr entspannend. St. Mary gehört zu den wenigen katholischen Kirchen, die für die Kleinen eine Spielgruppe anbieten. Doch während der Karwoche war diese geschlossen. Ich verstand, ehrlich gesagt, nicht, warum, da die kleinen Quälgeister daran gewöhnt waren, dass man jeden Sonntag eine Stunde lang mit ihnen spielte und Lieder sang. Sie mussten normalerweise nie stillsitzen und der Messe lauschen oder zusehen, wie ihre Eltern und die restliche Gemeinde beteten.

An diesem Sonntag saß Timmy jedoch zwischen Allie und mir. Er hatte sich bisher überraschend gut benommen, was vor allem wohl daran lag, dass ich für ihn eine kleine Tasche voller Überraschungen mitgebracht hatte. Knetgummi, Wachsmalkreiden, ein Malbuch, ein Bilderbuch über Gottesdienste und zwei weniger fromme Bilderbücher über Blau und Schlau und über Dora. Außerdem hatte ich auch nicht vergessen, zwei Päckchen Käsekräcker einzupacken.

Wenn man bedachte, dass die Messe mindestens noch zehn Minuten dauern sollte, war klar, dass ich nicht genug Ablenkungsmaterial mitgebracht hatte.

Timmy riss an meinem Rock. »Ich will gehen, Mami. Bitte! Ich will weg!«

In diesem Moment hatte auch ich keinen anderen Wunsch, als endlich die Kirche verlassen zu können.

Stuart beugte sich nach vorn und bat seinen Sohn, still zu sein – als ob ich nicht schon mindestens siebenundvierzig Mal dasselbe versucht hätte. Ich unterdrückte das Verlangen, ihm einen genervten Blick zuzuwerfen.

Stattdessen wühlte ich in meiner Handtasche, bis ich meinen kleinen Taschenspiegel fand. »Bald«, flüsterte ich und drückte Timmy den Spiegel in die Hand. »In der Zwischenzeit kannst du damit spielen.« Falls ich Glück hatte, würde er so lange mit dem Spiegel beschäftigt sein, bis es Zeit zur Kommunion war und er gemeinsam mit uns nach vorn zum Altar spazieren durfte.

Meine Kalkulation ging auf. Der Spiegel verlor seine Faszination erst, als unsere Bank zur Kommunion nach vorn gebeten wurde. Doch auch dieser Gang war offenbar nicht so spannend, als dass Timmy nicht noch das Schlussgebet des Bischofs dafür genutzt hätte, auf der Kniebank zu sitzen und so zu tun, als ob er das Gesangbuch durchlesen würde, wobei er so heftig und laut umblätterte, dass ich schon befürchtete, er würde die Seiten herausreißen. Allies schrilles Geflüster und ihr Flehen, er möge endlich damit aufhören, waren auch nicht gerade sehr hilfreich.

Ich selbst hatte mich zu diesem Zeitpunkt dazu durchgerungen, ein Auge zuzudrücken. Ein zerfetztes Gesangbuch konnte ersetzt werden. Zumindest jammerte der Kleine jetzt nicht mehr.

Sobald die Messe vorüber war, gab ich Timmy einen sanften Schubs, und er folgte Stuart zufrieden aus der Kirche.

»Eine wunderbare Messe«, sagte Stuart, schüttelte dem Bischof, der am Kirchentor stand und die Gemeinde verabschiedete, die Hand und trat dann auf den Kirchplatz hinaus, um sich dort unter die Leute zu mischen. Je näher die Vorwahlen rückten, desto häufiger versuchte er, mit seinen Wählern zu plaudern.

»Kate«, sagte der Bischof, als er mich sah. »Es freut mich, Sie begrüßen zu dürfen. Und dich natürlich auch«, fügte er hinzu und zerzauste liebevoll Timmys Haare.

»Ich will in den Park«, verkündete dieser und zeigte in Richtung Osten. Von hier aus sah man nur den Parkplatz der Kathedrale. Doch dahinter führte ein kleiner Weg einen Hügel bis zu einem etwas vernachlässigten Spielplatz hinunter. Dieser gehörte zwar nicht zur Kirche, aber irgendwoher kannten ihn die Kinder der Gemeinde und wollten nach der Messe stets dort spielen.

Der Bischof lachte. »Das musst du mit deiner Mutter ausmachen, mein Junge.«

»Ist der Spielplatz denn wieder offen?«, erkundigte ich mich. Wir gingen nicht oft dorthin, doch manchmal ließ Timmy nicht locker und wollte, statt in der Nähe der Kathedrale zu schaukeln, lieber dort unten im Sand spielen. Seit einigen Monaten war der Spielplatz jedoch mit einem orangefarbenen Netz abgesperrt. Ich hatte keine Lust, den ganzen Weg hinunterzulaufen, nur um dann herausfinden zu müssen, dass das noch immer der Fall war.

»Angeblich kann man den Spielplatz seit letzter Woche wieder benutzen«, erklärte der Bischof. »Was aber die Gegend um den Spielplatz betrifft, da habe ich keine Ahnung.«

»Wird dort eigentlich etwas repariert, oder warum war das abgesperrt?«

»Nein, es geht um archäologische Ausgrabungen. Nach den letzten schweren Regenfällen war ein Teil der Böschung des Bachbetts abgebrochen, und so hat man dort irgendwelche Überreste gefunden.«

»Menschliche Überreste?«

Der Bischof schüttelte den Kopf. »Nein, tierische. Anscheinend hat man auch noch diverse Gegenstände entdeckt. Man nimmt an, dass es sich um einen Ritualplatz gehandelt haben könnte. Das Museum leitet inzwischen die Ausgrabungen und katalogisiert alles, was sie finden. In einem Jahr wissen wir wahrscheinlich mehr.«

»Cool«, begeisterte sich Allie.

»Mami!«, meldete sich Timmy wieder, der Archäologie anscheinend weniger cool fand. »Ich will spielen!«

»Schon vergessen, mein Schatz? Heute gehen wir zum Jahrmarkt. Aber vielleicht können wir das nächste Mal zum Spielplatz.«

»Mir hat Ihre Predigt sehr gut gefallen«, sagte Allie, die sich darum bemühte, die Unterhaltung mit dem Bischof in Gang zu halten.

»Danke, Allison«, erwiderte er.

»Ich habe Father Ben gar nicht gesehen«, fuhr Allie fort. »Ist er denn hier?«

Allie traf sich seit einiger Zeit jeden Sonntag mit Father Ben. Sie lieh sich immer wieder Bücher von ihm aus oder brachte ihm bereits gelesene Exemplare zurück. Meine Tochter hegte ein wesentlich größeres Interesse an der Theorie hinter der Dämonenjagd als ich. In dieser Hinsicht kam sie ganz nach ihrem Vater.

»Leider musste er heute früh überraschend fort. Father Caleb von Holy Trinity ist erkrankt, so dass Father Ben dort die Messe übernehmen musste. Vielleicht kann ich dir ja helfen«, fügte er hinzu. »Oder auch Delores.«

Allie schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, danke. Ich habe mich nur gefragt, wo er steckt.«

Als sich der Bischof von uns abwandte, um die nächste Familie zu verabschieden, murmelte sie: »Mist.«

»Ich habe auch noch einige Bücher, die du lesen kannst. Außerdem musst du doch einen Aufsatz über amerikanische Geschichte schreiben, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht solltest du dich lieber damit beschäftigen, als nur über Dämonen zu lesen.«

Sie rollte mit den Augen. »Mami! Ich kann beides machen. So schwer ist das auch wieder nicht.«

»Ich weiß natürlich, dass du beides kannst«, beschwichtigte ich sie. »Ich bin mir nur nicht so sicher, ob du das auch wirst.«

Als ich aufblickte, entdeckte ich David, der auf dem Parkplatz neben seinem Auto stand und in unsere Richtung blickte. Während der Messe hatte ich ihn nicht gesehen. Doch da die Kirche am Palmsonntag immer sehr voll war, hatte mich das nicht weiter beunruhigt.

Als ich ihm zunickte, wurde auch Allie auf ihn aufmerksam. Sie sah mich an. »Kann ich mit David zum Jahrmarkt fahren?«, erkundigte sie sich.

»Nein«, erwiderte ich, während Stuart auf uns zukam. »Weil du nämlich gar nicht zum Jahrmarkt fährst. Schon vergessen?«

»Aber… Oh. Natürlich.«

»Fahrt ihr nach Hause?«, fragte Stuart und gab mir einen Kuss auf die Wange.

»Das ist jedenfalls der Plan.«

Das stimmte sogar. Ich hatte nicht vor, auf den Jahrmarkt zu fahren, ohne mich vorher umzuziehen und Timmy etwas zu essen zu geben. Allerdings wollte ich so schnell wie möglich zum Jahrmarkt, da ich hoffte, dort Dukkar, meinen Zombies zerhackenden, Dämonen versteckenden neuen Freund aus dem Restaurant zu finden. Ich hielt es sogar für sehr wahrscheinlich, ihn dort anzutreffen. Schließlich hatte er mir bei unserem ersten Treffen einen Werbezettel für den Jahrmarkt in die Hand gedrückt. Zugegebenermaßen war das wohl nur eine Finte gewesen, doch er hatte mich sehr auffordernd angesehen, als er mich einlud, den Jahrmarkt zu besuchen.

Also war ich entschlossen, dorthin zu gehen, und schon richtig aufgeregt, und das lag nicht an der Zuckerwatte, die es dort gab.

»Dann wünsche ich euch noch einen schönen Tag«, sagte Stuart und beugte sich zu mir herab, um mir einen Kuss zu geben, der wieder einmal leidenschaftlicher war, als das den Umständen oder der Umgebung entsprach. Normalerweise kam ich vor der Kirche nicht ins Wanken. Aber bei einem solchen Kuss war es schwer, aufrecht stehen zu bleiben. »Wir sehen uns heute Abend.«

»Ich hoffe, das ist ein Versprechen«, erwiderte ich lächelnd.

»Natürlich.«

»Können wir los?«, fragte Allie. Ich war mir nicht sicher, ob sie die öffentliche Zurschaustellung unserer Zuneigung nervte oder ob sie von der Tatsache frustriert war, dass ich ihren Vater warten ließ. Momentan wollte ich das auch gar nicht wissen.

»Ja«, sagte ich. »Natürlich.« Wir waren, wie so häufig in letzter Zeit, mit zwei Autos zur Kirche gefahren. Während Stuart also auf seinen Infiniti zusteuerte, ging ich mit Allie und Timmy zum Minivan.

»Kate! Kate!«

Ich drehte mich um und entdeckte Delores Sykes, die Pfarrangestellte, wie sie auf mich zueilte.

»Hallo, Delores.«

»Es freut mich, Sie zu sehen«, sagte sie. »Und dich erst!«, fügte sie hinzu und zog Allie an sich. »Du bist in den letzten zwei Wochen ja mindestens um dreißig Zentimeter gewachsen. Mindestens!«

Allie schaffte es, gequält zu lächeln. Sie löste sich aus der Umarmung und nahm Timmy an die Hand. »Ich setze ihn schon mal in den Kindersitz«, erklärte sie, ganz die pflichtbewusste Tochter. Neiderfüllt sah ich ihr nach.

»Ich weiß, dass ich schon seit einiger Zeit nichts mehr archiviert habe«, begann ich. »Aber…«

»O nein«, unterbrach sie mich. »Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Ich weiß, dass Sie mehr als genug zu tun haben. Eine pubertierende Tochter und ein kleiner Bengel machen viel Arbeit.«

»Stimmt.« Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Normalerweise nutzte Delores jede Gelegenheit, mich zu bitten, mehr Zeit im Archiv der Kathedrale zu verbringen, um dort die Spenden, Schenkungen und Nachlässe durchzusehen, die der Kirche im Laufe der Zeit überlassen worden waren. Ich hatte schon zahlreiche Kisten durchsucht, Spenderlisten angelegt und dabei alles, was irgendwie so aussah, als wäre es von historischem Interesse, an die Berufsarchivare weitergereicht. Es handelte sich um ein Projekt, zu dem ich mich schon vor vielen Monaten hatte überreden lassen. Zwar war es mir auf diese Weise möglich gewesen, Dinge zu erfahren, durch ich wahrscheinlich die Welt hatte retten können, aber großen Spaß bereitete mir die Arbeit in den Kellergewölben der Kirche nicht. Die Räume da unten waren düster und staubig, und in den Kisten fand sich immer wieder allerlei Ungeziefer.

Es war also sowohl eklig als auch meistens ziemlich langweilig. Keine so tolle Kombination.

»Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie mir im kommenden Monat dabei helfen könnten, ein Essen zu Ehren von St. Maedhog zu organisieren.«

»Von wem?«

»St. Maedhog«, wiederholte sie, als ob es mir bei der zweiten Erwähnung des Namens wie Schuppen von den Augen fallen müsste. »Wir feiern Anfang April seinen Namenstag.«

»Aha.« Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Ich… Gibt es denn schon lange solche Essen zu Ehren eines Heiligen?« Ich hatte noch nie zuvor davon gehört. Wenn man außerdem bedachte, dass jeden Tag irgendein Heiliger seinen Namenstag feierte, kam mir das Ganze ziemlich aufwendig vor.

»O nein. Nein! Keine Angst. Diesmal geht es um ein Wohltätigkeitsessen, um die Restaurierungsarbeiten zu finanzieren«, erklärte Delores.

Die Kathedrale wurde schon seit einer halben Ewigkeit restauriert, und die meisten Messen fanden in der Zwischenzeit im Bischofssaal statt. Nur während der Karwoche durften wir in die Hauptkirche zurück, was mich freute, da es sich um eine ausgesprochen schöne Kirche handelte. Wenn Delores’ Wohltätigkeitsessen also dazu beitragen würde, dass wir schneller in die Kathedrale zurückkönnten, dann hatte ich sicherlich nichts dagegen einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Ich hätte mich sogar ziemlich schlecht gefühlt, ihr die diesbezügliche Bitte abzuschlagen.

»Was soll ich tun?«

»Ach, nichts Schwieriges. Einfach nur die Einladungen schreiben und für die Erfrischungen sorgen. Wir planen das am besten, wenn sich das zuständige Komitee trifft. Einverstanden?«

»Ja gern«, erwiderte ich und zwang mich zu einem Lächeln. »Klingt gut.«

»Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Kate«, meinte Delores.

»Und warum gerade dieser Heilige?«, fragte ich, ehe sie wieder davoneilte. »Suchten Sie einfach nur nach einem Anlass für ein Essen im April?«

»O nein, meine Liebe. Father Ben hatte die Idee. Er wird auch einen Vortrag halten.«

Ich schüttelte den Kopf, da ich nicht verstand, was sie damit sagen wollte.

»Ach du meine Güte. Sie und Father Ben sind inzwischen so gute Freunde geworden, dass ich angenommen hatte, Sie wüssten bereits davon. Der heilige Maedhog gehört zu Father Bens Vorfahren.«

»Wow«, sagte ich. »Nein, ich hatte keine Ahnung. Einen so engen Kontakt mit einer Berühmtheit hatte ich noch nie!«

»Wenn Sie das Berühmtheit nennen wollen«, entgegnete Delores lächelnd. »Ich habe einmal Sean Connery aus nächster Nähe gesehen. Und ganz ehrlich – er mag zwar kein Heiliger sein, aber diese Art von Kontakt mit einem Star ist mir doch lieber.«

Ich grinste. Natürlich verstand ich genau, was sie damit meinte.

Insgesamt brauchten wir nur vierzig Minuten, um nach Hause zu gelangen, uns umzuziehen, etwas zu essen und dann an den Strand hinunterzufahren. Dort dauerte es noch einmal zwanzig Minuten, einen Parkplatz zu finden, der sich dummerweise fünf Blocks entfernt mitten im alten Zentrum von San Diablo befand.

Da ich vermutete, dass Timmys kurze Beine nicht so lange durchhalten würden, holte ich seinen Buggy aus dem Kofferraum, wobei ich zuerst die Wanne mit den Zombieteilen beiseite räumen musste. Ich setzte ihn in den Wagen, und wir marschierten zu fünft los. Das heißt, wir vier Frauen marschierten, während mein kleiner Mann gemütlich in seinem Buggy saß und sofort einschlief. Offenbar hatte es für ihn eine große Anstrengung bedeutet, sich in der Kirche gut zu benehmen. Ich schob ihn langsam vor mir her, da ich ihn zum einen nicht aufwecken und zum anderen in Ruhe mit Laura sprechen wollte. Wir fielen immer weiter zurück, während Allie und Mindy aufgeregt dem Jahrmarkt zueilten.

»Das Grab, das du dir selbst schaufelst, wird immer größer. Weißt du das eigentlich?«, sagte Laura und nickte in Richtung Allie.

»Ja, ich weiß. Aber ich konnte sie doch nicht zu Hause lassen. Sie sehnt sich schon seit Tagen, endlich einmal Zeit mit ihrem Vater zu verbringen, und außerdem wäre es nicht sehr fair gewesen, sie den Hausarrest absitzen zu lassen, den sie in Wahrheit gar nicht verdient.«

»Dann hättest du…«

»Es Stuart sagen sollen. Ja, ich weiß.«

»Oder zumindest hättest du ihm erklären können, dass du heute Nachmittag den Hausarrest aufheben willst, um gemeinsam mit deinem Kind den Jahrmarkt zu besuchen.«

»Du bist wirklich unerträglich, wenn du Recht hast. Das weißt du, oder?«

»Natürlich.« Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. »Was übrigens das Rechthaben betrifft«, fuhr sie schließlich fort. »Hast du schon einen Plan, wie du weitermachen willst?«

»Du meinst, wann ich Stuart alles gestehen will? Du wirst es kaum glauben, aber gestern Abend war ich fast so weit. Doch dann wurden wir leider abgelenkt.«

»Von Dämon und Zombie«, sagte Laura. Ich hatte ihr bereits erzählt, was am Abend zuvor vorgefallen war. »Und du meinst also wirklich, dass man versucht, dich umzubringen, damit du dieses Schwert nicht führen kannst?«

»Momentan sieht es so aus.«

»Der Angriff auf der Toilette wäre doch eigentlich ein guter Anlass gewesen, Stuart endlich alles zu erzählen«, meinte sie.

»Stimmt. Aber dann hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, mich wie ein verliebter Teenager in der hintersten Kinoreihe zu benehmen.«

»Wie bitte?«

Okay – ich hatte Laura also noch nicht die ganze Geschichte erzählt.

Meine Freundin räusperte sich.

Ich warf ihr einen Blick zu. »Was?«

Sie machte eine ungeduldige Handbewegung, um mir zu bedeuten, dass ich weitersprechen solle. »Jetzt komm schon, Kate. Du kannst doch nicht so etwas wie das mit dem Kino andeuten und dann nicht weiterreden. Muss ich dir denn alles aus der Nase ziehen? Ich habe zwar nicht das Regelwerk dabei, aber ich bin mir sicher, dass dein Verhalten gegen mehrere Freundschaftsgesetze auf einmal verstößt.«

Ich lachte. »Also gut. Schon verstanden. Sagen wir es einmal so: Stuart war gestern Abend und letzte Nacht in besonders amouröser Stimmung. Wesentlich mehr als sonst in letzter Zeit. Zuerst im Restaurant, dann im Kino und schließlich zu Hause.«

»Wie schön für dich«, sagte sie und zog die Augenbrauen hoch, während ihr Mund leicht zuckte. Sie schien ein Lächeln zu unterdrücken.

»Allerdings«, stimmte ich zu.

»Wirklich?«, fragte sie und runzelte nun die Stirn. »Selbst wenn seine amourösen Intentionen nur daher rühren, dass er etwas spürt?«

»Was soll er denn spüren?«

»Dein toter Exmann ist auf einmal wieder aufgetaucht. Du triffst dich heimlich hinter dem Rücken deines jetzigen Mannes mit ihm. Wir haben doch schon darüber gesprochen, Kate. Du strahlst etwas anderes aus als sonst. Stuart dreht wahrscheinlich heimlich durch und befürchtet, dass du eure Ehe infrage stellst. Du musst dem Mann endlich die Wahrheit erzählen. Es ist sonst nicht fair ihm gegenüber.«

Natürlich hatte sie Recht. Ein Candlelight-Dinner, zärtliche Worte und Kinobesuche gehörten eigentlich nicht zu unserem normalen Eheleben. Es war zwar schön, sich vorzustellen, dass Stuart unserer Beziehung wieder neue Impulse geben wollte, aber ich wusste, dass Lauras Vermutungen wahrscheinlich stimmten. Hinter seinem zärtlichen und aufmerksamen Verhalten verbarg sich etwas anderes.

»Es ist schließlich Eric, von dem wir hier sprechen«, fuhr Laura sanft fort. »Hat Stuart denn einen Grund, sich Sorgen zu machen?«

»Nein«, erwiderte ich so schnell, dass ich gar nicht über die Frage nachdenken konnte. »Ich meine… Nein, hat er nicht. Stuart ist mein Mann. Ich liebe ihn.«

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas mit David anzufangen, aber das änderte nichts an meinen Gefühlen für ihn. David war Eric. Und ich liebte Eric. Selbst die Tatsache, dass ich einen anderen Mann geheiratet hatte, vermochte das nicht zu ändern.

»Du liebst auch David«, erwiderte Laura trocken. Sie schien meine Gedanken lesen zu können. »Und er ist eigentlich auch dein Mann. Irgendwie zumindest.«

Ich schnitt eine Grimasse. Im Grunde hatte ich keine Lust, mich jetzt auf ein solches Gespräch einzulassen. Bisher hatte ich es sogar vermieden, Padre Corletti zu fragen, wie es seiner Meinung nach nun mit meiner Ehe aussah. Die Antwort des Staates Kalifornien konnte ich mir vorstellen. Aber was den Zustand meiner Seele betraf, so wusste ich nicht, was die Geschichte für mich bedeutete. Hatte ich nun einen Mann oder zwei?

»Ich spreche Mittwochabend mit ihm«, versprach ich.

»Hast du da nichts anderes vor? Befürchtest du, dich sonst zu langweilen?«

»Sehr lustig. Nein, morgen tritt er im Frühstücksfernsehen auf, und dann fliegt er nach Sacramento, wo er bis Dienstagvormittag bleiben wird. Dienstagabend geben wir die Dinnerparty. Und ich kann ihm schließlich weder vor seinem Fernsehauftritt noch vor der Wahlparty meine schlimmsten Geheimnisse enthüllen.«

»Stimmt. Das würde wahrscheinlich nicht so gut ankommen. ›Übrigens, Liebling – in meiner Freizeit jage ich Dämonen. Glaubst du, du könntest mir dabei helfen, wenn du nicht ins Büro musst?‹« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre wohl wirklich nicht besonders geschickt.«

Ich rollte mit den Augen. »Also am Mittwoch«, sagte ich. »Weder Tod noch Teufel können mich davon abhalten. Am Mittwoch.«

Laura grinste. »Momentan würde ich persönlich eher auf den Teufel tippen.«