Eine dieser Wahlmöglichkeiten setzt den Mut voraus, langfristig zu denken und kühne, couragierte, weitsichtige Entscheidungen zu einer Zeit zu treffen, wenn die Probleme bereits spürbar sind, aber noch keine krisenhaften Ausmaße erreicht haben. Dies ist das genaue Gegenteil der kurzfristigen Reaktionen, die so häufig das Handeln unserer gewählten Politiker charakterisieren - der Gedanke, den mein Freund mit seinen guten politischen Verbindungen als »90-Tage-Denken« bezeichnete, das heißt die Konzentration auf Themen, die voraussichtlich im Lauf der nächsten 90 Tage zu einer Krise führen werden. Ein Gegengewicht zu den vielen bedrückenden Beispielen für solche kurzfristigen Entscheidungen bilden historische Fälle von mutigem, langfristigem Denken, das es aber auch heute in der Welt der nichtstaatlichen Organisationen sowie der Unternehmen und Regierungen gibt. Als die Gesellschaften früherer Zeiten vor der Aussicht auf eine katastrophale Waldzerstörung standen, ließen sich die Häuptlinge der Osterinsel und Mangareva von ihren kurzfristigen Sorgen leiten, die shoguns der Tokugawazeit, die Inkakaiser, die Hochlandbewohner Neuguineas und die deutschen Grundbesitzer des 16. Jahrhunderts dagegen dachten langfristiger und forsteten auf. Auch in China förderten die Verantwortlichen in den letzten Jahrzehnten die Wiederaufforstung, und 1998 verboten sie die Holzgewinnung in ursprünglichen Wäldern. Viele nichtstaatliche Organisationen existieren heute ausdrücklich zu dem Zweck, eine vernünftige, langfristige Umweltpolitik zu fördern. In der Wirtschaft sind gerade jene Unternehmen (wie beispielsweise Procter & Gamble) langfristig erfolgreich, die nicht erst auf eine Krise warten, bevor sie ihre Methoden überdenken, sondern stattdessen frühzeitig darauf achten, welche Probleme sich abzeichnen. Dann können sie handeln, bevor es zur Krise kommt. In diesem Zusammenhang habe ich bereits den Ölkonzern Royal Dutch Shell erwähnt, der eine Niederlassung speziell zu dem Zweck betreibt, Szenarien für den Zustand der Welt in einigen Jahrzehnten zu entwickeln.
Mutige, erfolgreiche, langfristige Planung ist in manchen Fällen auch ein Kennzeichen mancher Regierungen und mancher politisch Verantwortlichen. Im Lauf der letzten 30
Jahre haben stetige Bemühungen der US-Regierung dazu geführt, dass die Konzentration der sechs wichtigsten Luftschadstoffe landesweit um 25 Prozent zurückgegangen ist, obwohl Energieverbrauch und Bevölkerung in der gleichen Zeit um 40 Prozent und die Zahl der mit Autos zurückgelegten Kilometer sogar um 150 Prozent gewachsen sind. In Malaysia, Singapur, Taiwan und Mauritius haben die Regierungen erkannt, dass ihr wirtschaftliches Wohlergehen langfristig große Investitionen in die Gesundheitsvorsorge erfordert, damit Tropenkrankheiten ihre Wirtschaft nicht ruinieren können; diese Investitionen erwiesen sich als entscheidend für das spektakuläre Wirtschaftswachstum, das die genannten Länder in den letzten Jahren erlebten. Von den beiden früheren Hälften des überbevölkerten Staates Pakistan führte die östliche (die seit 1971 als Bangladesch unabhängig ist) eine wirksame Familienplanung zur Verminderung des Bevölkerungswachstums ein, die westliche dagegen (die heute noch Pakistan heißt) tat das nicht und steht heute unter den Staaten der Welt mit ihrer Bevölkerungszahl an sechster Stelle. Der frühere indonesische Umweltminister Emil Salim und der Präsident Joaquin Balaguer aus der Dominikanischen Republik sind (in dieser Hinsicht) Musterbeispiele für Politiker, die sich Sorgen um die chronische Gefährdung der Umwelt machten und ihre Länder auf diese Weise geprägt haben. Alle diese Beispiele für mutiges, langfristiges Denken in Politik und Wirtschaft tragen zu meiner Hoffnung bei.
Die zweite wichtige Erkenntnis, die sich aus der Vergangenheit ergibt, hat mit dem Mut zu tun, schmerzliche Entscheidungen über Wertvorstellungen zu treffen. Welche Werte, die einer Gesellschaft früher nützten, können wir unter den veränderten Bedingungen noch beibehalten? Welche dieser lieb gewonnenen Werte müssen wir über Bord werfen und durch andere ersetzen? Die grönländischen Wikinger weigerten sich, einen Teil ihrer Identität als europäische, christliche, bäuerliche Gesellschaft über Bord zu werfen und gingen daraufhin zugrunde. Die Bewohner von Tikopia dagegen hatten den Mut, ihre ökologisch schädlichen Schweine abzuschaffen, obwohl diese die einzigen großen Haustiere und in der Gesellschaft Melanesiens ein wichtiges Statussymbol waren. Australien ist derzeit dabei, seine Identität als britische, landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft neu zu definieren. Die Isländer und viele traditionelle Kastengesellschaften im früheren Indien sowie in jüngerer Zeit die Bauern in Montana, die auf Bewässerung angewiesen waren, konnten sich tatsächlich darauf einigen, ihre individuellen Rechte dem Interesse der Gruppe unterzuordnen. Damit gelang es ihnen, die gemeinsamen Ressourcen zu bewirtschaften und die Tragödie des Gemeineigentums zu vermeiden, die sich in so vielen anderen Gruppen abspielte. Die chinesische Regierung schränkte die traditionelle Freiheit ein, selbst über die Fortpflanzung zu entscheiden, und verhinderte damit, dass die Bevölkerungsprobleme völlig außer Kontrolle gerieten. Das finnische Volk entschied sich 1939 angesichts eines Ultimatums seines weitaus mächtigeren russischen Nachbarn, der Freiheit einen höheren Wert einzuräumen als dem eigenen Leben: Die Menschen kämpften mit einem Mut, über den die ganze Welt staunte, und blieben in dem Glücksspiel Sieger, obwohl sie den Krieg verloren. Als ich von 1958 bis 1962 in Großbritannien lebte, mussten sich die Menschen dort gerade damit abfinden, dass lieb gewordene, traditionelle Werte veraltet waren, weil sie sich auf Großbritanniens frühere Rolle als beherrschende politische und wirtschaftliche Kraft und Seemacht gründeten. Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten sind noch weitergegangen und haben ihre nationale Souveränität, für die sie früher so gerne kämpften, der Europäischen Union untergeordnet.
Alle diese Neubewertungen von Wertvorstellungen, die ich gerade erwähnt habe, sind in Vergangenheit und Gegenwart gelungen, obwohl sie entsetzlich schwierig waren. Deshalb tragen auch sie zu meiner Hoffnung bei. Sie könnten in den Bewohnern der Industrieländer den Mut wecken, die fundamental neue Bewertung vorzunehmen, vor der wir heute stehen: Welchen Teil unserer traditionellen Wertvorstellungen als Verbraucher und welchen Lebensstandard können wir uns noch leisten? Wie ich bereits erwähnt habe, ist es politisch anscheinend nicht durchsetzbar, dass man Bewohner der Industrieländer dazu veranlasst, ihre ökologischen Auswirkungen auf die ganze Welt zu vermindern. Aber die Alternative, die derzeitigen Auswirkungen beizubehalten, ist noch unmöglicher. Dieses Dilemma erinnert mich daran, was Winston Churchill den Kritikern der Demokratie erwiderte: »Man hat gesagt, die Demokratie sei die schlechteste Staatsform, mit Ausnahme aller anderen Formen, die man im Lauf der Zeit ausprobiert hat.« Nach dem gleichen Prinzip ist eine Gesellschaft mit geringeren ökologischen Auswirkungen für uns das unmöglichste Zukunftsszenario - mit Ausnahme aller anderen Szenarien, die man sich ausmalen könnte.
In Wirklichkeit ist es er zwar nicht einfach, die Auswirkungen unserer Lebensweise zu vermindern, unmöglich ist es aber auch nicht. Wie bereits erwähnt, sind die ökologischen Auswirkungen immer das Produkt von zwei Faktoren: der Bevölkerungszahl, multipliziert mit den Auswirkungen pro Kopf. Der Erste dieser Faktoren, das Bevölkerungswachstum, ist in jüngerer Zeit nicht nur in allen Industriestaaten stark zurückgegangen, sondern auch in vielen Drittweltländern, so in China, Indonesien und Bangladesch, die mit ihrer Bevölkerungszahl weltweit an erster, vierter und neunter Stelle stehen. In Japan und Italien liegt das innere Bevölkerungswachstum bereits unterhalb des Ersatzniveaus, das heißt, die vorhandene Bevölkerung (ohne Einwanderer) wird schon bald schrumpfen. Und was die Auswirkungen pro Kopf angeht, müsste die Welt ihren derzeitigen Verbrauch an Holz- und Fischereiprodukten noch nicht einmal vermindern: Man könnte den derzeitigen Verbrauch beibehalten oder sogar steigern, wenn Wälder und Fischgründe der Erde richtig bewirtschaftet würden.
Mein letzter Grund zur Hoffnung erwächst wiederum aus den Verflechtungen in der modernen, globalisierten Welt. Die Gesellschaften früherer Zeiten hatten weder Archäologen noch Fernsehen. Als die Bewohner der Osterinsel im 15. Jahrhundert eifrig das Hochland ihrer überbevölkerten Insel abholzten, um landwirtschaftliche Plantagen anzulegen, konnten sie nicht wissen, dass Tausende von Kilometern weiter östlich und westlich sowohl die Wikingergesellschaft in Grönland als auch das Khmer-Reich sich im Endstadium des Niederganges befanden, dass die Gesellschaft der Anasazi einige Jahrhunderte zuvor zusammengebrochen war, dass die klassische Mayagesellschaft noch einige Jahrhunderte früher das gleiche Schicksal erlitten hatte, und dass es dem mykenischen Griechenland weitere 2000 Jahre zuvor genauso ergangen war. Heute brauchen wir nur den Fernseher oder das Radio einzuschalten oder nach der Zeitung zu greifen, dann sehen, hören oder lesen wir, was vor ein paar Stunden in Somalia oder Afghanistan geschehen ist. Dokumentarfilme und Bücher zeigen uns in anschaulichen Einzelheiten, warum die Gesellschaften auf der Osterinsel, bei den Maya und an anderen Stellen in historischer Zeit zusammengebrochen sind. Wir haben also die Möglichkeit, aus den Fehlern der Menschen an weit entfernten Orten und in weit entfernter Vergangenheit zu lernen. Diese Möglichkeit hatte keine frühere Gesellschaft auch nur annähernd in dem gleichen Ausmaß. Dieses Buch habe ich in der Hoffnung geschrieben, dass eine ausreichende Zahl von Menschen sich dafür entscheiden wird, die Gelegenheit zu nutzen und es anders zu machen.
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