KAPITEL 12

China: Der torkelnde Riese

Chinas Bedeutung ■ Hintergründe ■ Luft, Wasser, Boden ■ Lebensräume, Artenvielfalt, Großprojekte ■ Die Folgen ■ Zusammenhänge ■ Die Zukunft

Mit 1300 000 000 Einwohnern, einem Fünftel aller Menschen auf der Erde, ist China das bevölkerungsreichste Land der Welt. Von der Fläche her ist es der drittgrößte Staat und was die Vielfalt der Pflanzenarten angeht, steht es ebenfalls an dritter Stelle. Seine Wirtschaft ist bereits riesig und wächst schneller als in jedem anderen bedeutenden Land: Mit fast 10 Prozent im Jahr erreicht sie das Vierfache der Wachstumsrate anderer Industrieländer. Es hat weltweit die höchste Stahl-, Zement-, Aquakultur- und Fernsehgeräteproduktion; nirgendwo werden so viel Kohle, Düngemittel und Tabak produziert und verbraucht; es steht bei der Produktion von Elektrizität und (demnächst) Motorfahrzeugen sowie beim Holzverbrauch in der Spitzengruppe; und es baut jetzt den größten Staudamm der Welt und verfolgt das größte Projekt zur Umleitung von Wasser.

Die Kehrseite solcher Leistungen und Superlative sind Chinas ökologische Probleme: Sie gehören zu den schlimmsten aller großen Staaten und vergrößern sich weiter. Die lange Liste reicht von Luftverschmutzung, Verlust von Artenvielfalt und landwirtschaftlichen Flächen, Wüstenbildung, Verschwinden von Feuchtgebieten, Zerstörung von Graslandschaften sowie einer zunehmenden Größe und Häufigkeit der von Menschen verursachten Naturkatastrophen bis zu eingeschleppten Arten, Überweidung, Austrocknung von Flüssen, Versalzung, Bodenerosion, Müllbergen, Wasserverschmutzung und -knappheit. Diese und andere Umweltprobleme führen zu gewaltigen wirtschaftlichen Verlusten, sozialen Konflikten und gesundheitlichen Problemen. Schon allein deshalb wären die Auswirkungen der ökologischen Probleme auf die Chinesen ein Besorgnis erregendes Thema.

Aber die Größe der Bevölkerung, Wirtschaft und Fläche Chinas bietet außerdem die Gewähr, dass seine ökologischen Probleme keine innere Angelegenheit des Landes bleiben, sondern auch in der ganzen übrigen Welt spürbar werden: Diese teilt mit China den gleichen Planeten einschließlich seiner Meere und Atmosphäre, und umgekehrt wird auch Chinas Umwelt durch die Globalisierung beeinflusst. Nachdem das Land kürzlich Mitglied der Welthandelsorganisation geworden ist, wird sich dieser Austausch weiter verstärken. Schon jetzt entlässt China beispielsweise mehr Schwefeloxide, Fluorchlorkohlenwasserstoffe und andere ozonschädigende Substanzen in die Atmosphäre als jedes andere Land, und bald wird es auch beim Kohlendioxidausstoß die erste Stelle einnehmen. Seine staub- und gasförmigen Schadstoffe werden durch die Atmosphäre nach Osten in die Nachbarländer und sogar bis nach Nordamerika transportiert; da es außerdem eine der beiden größten Importnationen für Holz aus Regenwäldern ist, wird es zur Triebkraft für die Zerstörung tropischer Wälder.

Noch wichtiger als alle anderen Folgen ist aber der Einfluss seiner Menschen auf die weltweite Umwelt: Wenn es China mit seiner riesigen Bevölkerung gelingt, sein Ziel zu erreichen und den Lebensstandard eines Industrielandes herzustellen, hätte das auch pro Kopf die gleichen Auswirkungen auf die Umwelt. Wie wir in diesem Kapitel und dann noch einmal in Kapitel 16 genauer erfahren werden, haben die Unterschiede zwischen dem Lebensstandard in der Ersten und Dritten Welt sowie die Bestrebungen Chinas und anderer Entwicklungsländer, diese Lücke zu schließen, große und in der Regel viel zu wenig beachtete Konsequenzen. Am Beispiel Chinas werden auch andere Themen dieses Buches deutlich werden: die zwölf Kategorien von Umweltproblemen in der modernen Welt, die in Kapitel 16 genauer erläutert werden und die in China alle stark oder sogar extrem ausgeprägt sind; die Auswirkungen der Globalisierung auf ökologische Probleme; die Tatsache, dass ökologische Themen nicht nur für die kleinen Gesellschaften von Bedeutung sind, die ich in den meisten anderen Kapiteln meines Buches als Beispiel gewählt habe, sondern auch für die größte Gesellschaft unserer Zeit; und realistische Gründe, warum trotz einer Fülle deprimierender statistischer Daten durchaus Anlass zur Hoffnung besteht. Ich werde zunächst einige kurze Hintergrundinformationen über China liefern; anschließend erörtere ich die verschiedenen ökologischen Probleme des Landes, ihre Auswirkungen auf das chinesische Volk und die übrige Welt, Chinas Reaktionen darauf und meine Prognose für die Zukunft.

Verschaffen wir uns zunächst einen kurzen Überblick über Chinas Geographie, Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaft. Die chinesische Umwelt ist vielgestaltig und an manchen Orten sehr empfindlich. Zu den vielen geographischen Besonderheiten gehören die größte und höchste Hochebene der Welt, einige der weltweit höchsten Berge, zwei der längsten Flüsse (Jangtse und Gelber Fluss) viele Seen, eine lange Küste und ein großes Kontinentalschelf. Das Spektrum der Lebensräume reicht von Gletschern und Wüsten bis zu tropischen Regenwäldern. Innerhalb dieser Ökosysteme befinden sich Regionen, die aus unterschiedlichen Gründen sehr empfindlich sind: In Nordchina schwankt beispielsweise die Niederschlagsmenge stark, gelegentlich treten Wind und Dürre zur gleichen Zeit auf, und die hoch gelegenen Graslandschaften sind anfällig für Staubstürme und Bodenerosion; umgekehrt ist es in Südchina feucht, aber hier können schwere Unwetter an Berghängen für Bodenerosion sorgen.

Was Chinas Bevölkerung angeht, sind vor allem zwei Tatsachen allgemein bekannt: Sie ist die größte der Welt, und die chinesische Regierung hat (als Einzige in der ganzen modernen Welt) eine obligatorische Geburtenkontrolle eingeführt, durch die das Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2001 drastisch auf nur noch 1,3 Prozent im Jahr gesunken ist. Damit stellt sich die Frage, ob auch andere Länder die gleiche Entscheidung treffen werden; manche schrecken zwar entsetzt vor einer solchen Lösung zurück, aber dadurch könnten sie möglicherweise in eine Situation geraten, die noch drastischere Lösungen für ihre Bevölkerungsprobleme erfordert.

Viel weniger bekannt ist eine andere Tatsache, die aber für die Auswirkungen der Menschen auf die Umwelt ebenfalls bedeutsame Folgen hat: Die Zahl der Haushalte ist in China während der letzten 15 Jahre trotz allem um 3,5 Prozent im Jahr gewachsen, mehr als doppelt so schnell wie die Gesamtbevölkerung. Die Größe eines Haushaltes ist von durchschnittlich 4,5 Personen je Haus im Jahr 1985 auf 3,5 im Jahr 2000 gesunken und wird den Vorausberechnungen zufolge bis 2015 auf 2,7 zurückgehen. Wegen dieser verminderten Haushaltsgröße gibt es in China heute 80 Millionen Haushalte mehr, als es sonst der Fall gewesen wäre, eine Zunahme, die größer ist als die Gesamtzahl der Haushalte in Russland. Die Abnahme der Haushaltsgröße ist eine Folge sozialer Veränderungen: Die Bevölkerung altert, die Paare haben weniger Kinder, Scheidungen - früher fast unbekannt - nehmen zu, und die alte Sitte der Mehrgenerationenhäuser, in denen Großeltern, Eltern und Kinder unter einem Dach lebten, ist auf dem Rückzug. Gleichzeitig hat sich die Pro-Kopf-Wohnfläche fast verdreifacht. Insgesamt hat diese Zunahme von Zahl und Wohnfläche der Haushalte zur Folge, dass die Menschen in China trotz des geringen Bevölkerungswachstums ihre Umwelt immer stärker beeinträchtigen.

Der letzte Aspekt der chinesischen Bevölkerungsentwicklung, der besonderer Erwähnung bedarf, ist die schnelle Verstädterung. Während sich die Gesamtbevölkerung des Landes von 1953 bis 2001 »nur« verdoppelte, hat sich der Prozentsatz der Bevölkerung, der in Städten lebt, von 13 auf 38 Prozent fast verdreifacht, sodass die Einwohnerzahl der Städte um den Faktor sieben gewachsen ist und heute fast eine halbe Milliarde beträgt. Die Zahl der Großstädte hat sich auf knapp 700 verfünffacht, und die Fläche der vorhandenen Städte ist stark gewachsen.

Chinas Wirtschaft beschreibt man am einfachsten und kürzesten mit den Worten »groß und schnell wachsend«. China ist als größter Kohleproduzent und -Verbraucher für ein Viertel der weltweiten Förderung verantwortlich. Auch mit Produktion und Verbrauch von Düngemitteln steht es an der Weltspitze: Sein Anteil am weltweiten Verbrauch liegt bei 20 Prozent, und es ist seit 1981 für 90 Prozent der weltweiten Zunahme des Düngemittelverbrauchs verantwortlich; im Land selbst hat sich der Verbrauch verfünffacht, und je Hektar wird jetzt das Dreifache des weltweiten Durchschnitts ausgebracht. Als zweitgrößter Produzent und Verbraucher von Pflanzenschutzmitteln erzeugt China 14 Prozent der weltweiten Gesamtmenge, sodass es für solche Produkte sogar zu einer Exportnation geworden ist. Obendrein ist China der größte Stahlproduzent, der größte Verbraucher von Folien zur Abdeckung landwirtschaftlicher Flächen, der zweitgrößte Strom- und Kunstfaserproduzent, und der drittgrößte Ölverbraucher. In den letzten 20 Jahren wuchs die Stahlproduktion um den Faktor 5, die Erzeugung von Stahlprodukten um den Faktor 7, die Zementproduktion um den Faktor 10, die Kunststoffproduktion um den Faktor 19 und die Produktion von Chemiefasern um den Faktor 30. Außerdem wurden 34 000-mal mehr Waschmaschinen hergestellt.

Die bei weitem überwiegende Menge des Fleisches stammt in China seit jeher von Schweinen. Mit zunehmendem Wohlstand stieg aber auch die Nachfrage nach Rind-, Lamm- und Hühnerfleisch stark an, und der Eierverbrauch liegt heute pro Kopf ebenso hoch wie in den Industrieländern. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch, Eiern und Milch vervierfachte sich zwischen 1978 und 2001. Damit wuchs auch die Menge landwirtschaftlicher Abfälle, denn um ein Kilo Fleisch zu produzieren, braucht man 10 bis 20 Kilo Pflanzen. Die jährlich produzierte Menge fester Tierexkremente ist schon jetzt dreimal so hoch wie die Menge fester Industrieabfälle, und dazu muss man noch die Exkremente von Fischen sowie die Fischnahrung und Düngemittel in der Aquakultur hinzurechnen, die ebenfalls zur Verschmutzung von Land und Wasser beitragen.

Chinas Verkehrsnetz ist ebenso explosionsartig gewachsen wie die Anzahl der Fahrzeuge. Zwischen 1952 und 1997 wuchs die Länge der Bahnstrecken um den Faktor 2,5, die Länge der Straßen um den Faktor 10 und die Länge der Flugrouten um den Faktor 108. die Zahl der Nutzfahrzeuge (vorwiegend Lastwagen und Busse) stieg zwischen 1980 und 2001 um das 15fache, die der Personenwagen um das 130fache. Im Jahr 1994, nachdem die Zahl der Nutzfahrzeuge sich bereits verneunfacht hatte, entschloss sich die chinesische Führung, die Autoproduktion zu einer der vier so genannten Säulen ihrer Industrie zu machen, und man peilte das Ziel an, die Produktion (jetzt vor allem Personenwagen) bis zum Jahr 2010 noch einmal um den Faktor 4 zu steigern. Damit wäre China nach den Vereinigten Staaten und lapan der drittgrößte Automobilproduzent der Welt. Nachdem die Luftqualität in Beijing und anderen Städten schon heute vor allem durch den Kraftfahrzeugverkehr sehr schlecht ist, stellt sich die Frage, wie es damit im Jahr 2010 aussehen wird. Die geplante Zunahme der Zahl von Kraftfahrzeugen wird sich aber auf die Umwelt auch dadurch auswirken, dass immer mehr Landflächen zu Straßen und Parkplätzen werden.

Hinter solchen eindrucksvollen Zahlen über Umfang und Wachstum der chinesischen Industrie lauert aber die Erkenntnis, dass sie sich zu einem großen Teil auf veraltete, wenig leistungsfähige und umweltschädliche Technologie stützt. In der chinesischen Industrieproduktion wird Energie nur halb so effizient genutzt wie in den Industrieländern; die Papierproduktion verbraucht mehr als doppelt so viel Wasser wie in der Ersten Welt; und die Bewässerung erfolgt auf der Bodenoberfläche mit ineffizienten Methoden, die zu Wasserverschwendung, Mutterbodenverlust, Eutrophierung und Sedimentablagerungen in den Flüssen führen. Die Energieversorgung des Landes basiert zu drei Vierteln auf Kohle und ist die wichtigste Ursache für Luftverschmutzung und sauren Regen sowie ein wichtiger Grund für die Ineffizienz. Für die Ammoniakproduktion auf Kohlebasis, eine Voraussetzung für die Herstellung von Düngemitteln und Textilien, erfordert er 42-mal so viel Wasser wie die Ammoniakproduktion in den Industrieländern, die Erdgas als Rohstoff verwendet.

Ein weiterer ineffizienter Teil der chinesischen Wirtschaft ist die schnell wachsende Kleinproduktion in ländlichen Gebieten: Die dort ansässigen dörflichen Unternehmen haben im Durchschnitt jeweils nur sechs Angestellte und beschäftigen sich insbesondere mit dem Bau von Häusern sowie mit der Herstellung von Papier, Pestiziden und Düngemitteln. Sie sind für ein Drittel der chinesischen Produktion und für die Hälfte der Exporte verantwortlich, tragen aber unverhältnismäßig stark zur Umweltverschmutzung durch Schwefeldioxid, Abwässer und feste Abfälle bei. Deshalb rief die Regierung 1995 den Notstand aus und verbot die 15 schlimmsten Formen solcher dörflichen Kleinbetriebe.

In der ökologischen Vergangenheit Chinas gab es mehrere Phasen. Schon vor einigen Jahrtausenden wurden Wälder in großem Umfang abgeholzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des chinesischen Bürgerkrieges kehrte 1949 nicht nur der Frieden zurück, sondern auch weitere Waldzerstörung, Überweidung und Bodenerosion. In den Jahren des »Großen Sprunges Vorwärts« von 1958 bis 1965 kam es zu einer chaotischen Zunahme der Zahl von Fabriken (die sich allein in den zwei Jahren von 1957 bis 1959 vervierfachte!) mit zusätzlicher Waldzerstörung (zur Beschaffung des Brennholzes für die ineffiziente HinterhofStahlproduktion) und Umweltverschmutzung als Begleiterscheinungen. Während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 griff die Zerstörung der Umwelt zunehmend um sich, weil man in dieser Zeit zahlreiche Fabriken aus den Küstenregionen, die dort im Kriegsfall als zu verwundbar galten, in tiefe Täler und auf hohe Berge verlegte. Seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen 1978 hat sich die Umweltzerstörung weiter verstärkt und beschleunigt. Heute lassen sich die ökologischen Probleme des Landes unter sechs großen Überschriften zusammenfassen: Luft, Wasser, Boden, Lebensraumzerstörung, Verlust von Artenvielfalt und Großprojekte.

Betrachten wir zunächst einmal Chinas besonders berüchtigtes Umweltproblem: Wie entsetzlich die Luftqualität ist, wird an den mittlerweile bekannten Fotos von Menschen deutlich, die auf den Straßen vieler chinesischer Städte nur noch mit Gesichtsmasken herumlaufen können. In manchen Großstädten herrscht die schlimmste Luftverschmutzung der ganzen Welt; die Schadstoffkonzentration ist um ein Mehrfaches höher als die Grenzwerte, die noch als gesundheitlich unbedenklich gelten. Umweltgifte wie Stickoxide, aber auch Kohlendioxid reichern sich durch die wachsende Zahl von Motorfahrzeugen und die kohlebasierte Energieerzeugung an. Der saure Regen, der sich noch in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf wenige Regionen im Südwesten und Süden beschränkte, hat sich mittlerweile über große Teile des Landes ausgebreitet und sucht ein Viertel der chinesischen Städte jedes Jahr an mehr als 50 Prozent der Regentage heim.

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der Wasserqualität der meisten chinesischen Flüsse und Grundwasserquellen: Sie ist schlecht und nimmt weiterhin ab. Ursachen sind Abwässer aus Industrie und Haushalten, aber auch ausgewaschene Düngemittel, Pestizide und Exkremente aus Landwirtschaft und Aquakultur, die in großem Umfang zur Eutrophierung führen. (Als Eutrophierung bezeichnet man übermäßiges Algenwachstum, dass durch die eingespülten Nährstoffe verursacht wird.) In China sind etwa 75 Prozent aller Seen und nahezu alle Küstengewässer verschmutzt. Die Zahl der »roten Fluten« in chinesischen Meeren - Wasser, verseucht von den Blüten des Planktons, deren Ausscheidungen für Fische und andere Meerestiere giftig sind - ist von einer alle fünf Jahre in den sechziger Jahren auf nahezu 100 pro Jahr gewachsen. Das Wasser aus dem berühmten Guanting-Stausee in Peking wurde 1997 für nicht mehr trinkbar erklärt. Nur 20 Prozent der Haushaltsabwässer werden aufbereitet, in den Industrieländern sind es 80 Prozent.

Verschärft werden solche Wasserprobleme durch Knappheit und Verschwendung. Im internationalen Vergleich besitzt China wenig Süßwasser - die Menge pro Kopf liegt nur bei einem Viertel des weltweiten Durchschnittswertes. Und was noch schlimmer ist: Selbst dieses wenige Wasser ist ungleichmäßig verteilt - in Nordchina steht pro Kopf nur ein Fünftel der Wassermenge zur Verfügung, die im Süden des Landes vorhanden ist. Wegen der allgemeinen Wasserknappheit und verschwenderischer Verwendung leiden über 100 Städte an schwerem Wassermangel, der manchmal sogar die Industrieproduktion ins Stocken bringt. Das Wasser für Städte und Bewässerung ist zu zwei Dritteln Grundwasser, das aus wasserführenden Schichten heraufgepumpt wird. Diese Vorkommen sind aber zunehmend erschöpft, sodass in den meisten küstennahen Gebieten Meerwasser eindringt, und unter manchen Städten sinkt sogar der Boden ab. Außerdem hat China stärker als jedes andere Land der Welt das Problem, dass Flüsse austrocknen, und zwar umso stärker, je mehr Wasser aus den natürlichen Fließgewässern zu verschiedenen Zwecken abgeleitet wird. Zwischen 1972 und 1997 beispielsweise hörte der Gelbe Fluss (der zweitgrößte Fluss Chinas) in 20 der 25 Jahre im Unterlauf auf zu fließen, und die Dauer der Austrocknung verlängerte sich von 10 Tagen im Jahr 1988 auf erstaunliche 230 Tage im Jahr 1997. Selbst am Jangtse und am Perlenfluss im feuchteren Südchina kommt es in der Trockenzeit zu Unterbrechungen, die die Schifffahrt behindern.

Was die Probleme mit dem Boden angeht, so gehört China weltweit zu den Ländern mit der stärksten Bodenerosion: Betroffen sind mittlerweile 19 Prozent der Landflächen, und sie hat zur Folge, dass jedes Jahr fünf Milliarden Tonnen Boden verloren gehen. Besonders verheerende Auswirkungen hat sie auf der Löss-Hochebene am mittleren Abschnitt des Gelben Flusses, die mittlerweile zu rund 70 Prozent erodiert ist, und zunehmend auch am Jangtse, dessen erosionsbedingte Sedimentablagerungen stärker sind als die Ablagerungen an Nil und Amazonas, den beiden längsten Flüssen der Welt, zusammen. Da auf diese Weise die Flüsse des Landes (aber auch Stauseen und Seen) aufgefüllt werden, sind die schiffbaren Flussstrecken bereits um 50 Prozent kürzer geworden, und sie können nur noch von Schiffen begrenzter Größe befahren werden. Abgenommen hat nicht nur die Menge des Bodens, sondern auch seine Qualität und Fruchtbarkeit; dies liegt unter anderem daran, dass der langfristige Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu einer drastisch verringerten Menge von Regenwürmern geführt hat, die den Boden erneuern. Deshalb sind die landwirtschaftlichen Flächen, die als qualitativ hochwertig gelten, um 50 Prozent geschrumpft. Von der Versalzung, deren Ursachen im nächsten Kapitel (Kapitel 13) im Zusammenhang mit Australien genauer erörtert werden, sind neun Prozent der Fläche Chinas betroffen, was vorwiegend auf die schlechte Konstruktion und Bewirtschaftung der Bewässerungssysteme in Trockengebieten zurückzuführen ist. (Bei der Bekämpfung dieses Umweltproblems haben staatliche Maßnahmen mittlerweile zu guten Fortschritten geführt.) Von der Wüstenbildung durch Überweidung und Landgewinnung für die Landwirtschaft ist mittlerweile mehr als ein Viertel Chinas betroffen; in Nordchina wurden allein in den letzten zehn Jahren rund 15 Prozent der verbliebenen Acker- und Weideflächen auf diese Weise zerstört.

Zu allen eben genannten Bodenproblemen kamen die Verstädterung und der Landverbrauch für Bergbau, Forstwirtschaft und Aquakultur noch hinzu, und alle tragen dazu bei, dass die landwirtschaftlichen Flächen in China schrumpfen. Dies stellt für die Lebensmittelversorgung des Landes ein großes Problem dar, denn während die landwirtschaftlichen Nutzflächen abnehmen, steigen sowohl die Bevölkerung als auch der Pro-Kopf-Lebensmittelverbrauch, und die potenziell nutzbaren Flächen sind begrenzt. Heute steht pro Person nur ein Hektar Ackerland zur Verfügung, knapp die Hälfte des weltweiten Durchschnitts und fast ebenso wenig, wie es in Kapitel 10 im Zusammenhang mit dem Nordwesten Ruandas erörtert wurde. Da China außerdem sehr wenig Abfall-Recycling betreibt, sammeln sich riesige Mengen von Industrie- und Hausmüll auf offenen Flächen, wo sie den Boden vergiften und Ackerland blockieren oder schädigen. Über zwei Drittel aller chinesischen Städte sind heute von Müllbergen umgeben, deren Zusammensetzung sich tiefgreifend gewandelt hat: Waren es früher Gemüsereste, Staub und Kohleabfälle, so sind es heute Kunststoffe, Glas, Metall und Verpackungspapier. Die Vorstellung meiner Bekannten aus der Dominikanischen Republik, die für ihr Land eine im Müll versinkende Welt vorhersagen (Kapitel 11), trifft in hohem Maße auch für die zukünftige Entwicklung Chinas zu.

Wenn man von der Lebensraumzerstörung in China spricht, muss man mit der Waldzerstörung anfangen. China ist eines der waldärmsten Länder der Welt: Die Waldfläche beträgt nur rund 1200 Quadratmeter pro Kopf, während der weltweite Durchschnitt bei knapp 6500 Quadratmetern liegt, und Wälder bedecken nur 16 Prozent des Staatsgebietes (in Japan sind es 74 Prozent). Durch staatliche Anstrengungen ist zwar die Fläche von Baum-Monokulturen gewachsen, und damit hat auch die Gesamtfläche, die als bewaldet bezeichnet wird, geringfügig zugenommen; die natürlichen Wälder jedoch, insbesondere solche mit altem Baumbestand, sind geschrumpft. Diese Waldzerstörung trägt in großem Umfang zu Bodenerosion und Überschwemmungen bei. Nachdem die großen Überschwemmungen des Jahres 1996 bereits einen Schaden von mehr als 20 Milliarden Euro angerichtet hatten, veranlassten die noch größeren Überflutungen, von denen 1998 insgesamt 240 Millionen Menschen (ein Fünftel der Bevölkerung Chinas) betroffen waren, die Regierung zu hektischer Aktivität. Unter anderem wurde jede weitere Holzgewinnung in den natürlichen Wäldern verboten. Zusammen mit dem Klimawandel trägt die Waldzerstörung vermutlich auch zu den immer häufigeren Dürreperioden in China bei, von denen mittlerweile jedes Jahr 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen betroffen sind.

Die beiden anderen schweren Formen der Lebensraumzerstörung in China sind die Zerstörung von Graslandschaften und der Abbau der Feuchtgebiete. Was das Ausmaß der natürlichen Graslandschaften angeht, steht China weltweit an zweiter Stelle hinter Australien; 40 Prozent des Staatsgebietes bestehen aus solchen Flächen, die meisten davon im trockenen Norden. Aber wegen der großen Bevölkerung errechnet sich daraus dennoch pro Kopf eine Fläche, die nur der Hälfte des weltweiten Durchschnitt entspricht. Überweidung, Klimawandel, Bergbau und andere Formen der Erschließung haben den Graslandschaften Chinas zugesetzt, sodass sie heute zu 90 Prozent als schwer geschädigt gelten. Die Grasproduktion je Hektar ist seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts um rund 40 Prozent zurückgegangen, und anstelle der hochwertigen Grassorten haben sich Unkräuter und giftige Arten ausgebreitet. Diese Zerstörung der Graslandschaften hat Auswirkungen, die weit über den Schaden für die Lebensmittelproduktion hinausgehen: In der tibetanischen Hochebene (der größten Hochebene der Welt) liegen die Quellgebiete wichtiger Flüsse, die nicht nur durch China fließen, sondern auch durch Indien, Pakistan, Bangladesch, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam. Die Zerstörung der Graslandschaften hat nicht nur zu häufigeren und schwereren Überschwemmungen am Gelben Fluss und am Jangtse geführt, sondern auch zu einer Zunahme der Staubstürme im Osten Chinas und insbesondere im Gebiet von Beijing (was die Fernsehzuschauer heute in der ganzen Welt sehen können).

Die Feuchtgebiete sind kleiner geworden, ihr Wasserstand schwankt stark, ihre Fähigkeit, Überschwemmungen abzufangen und Wasser zu speichern, ist zurückgegangen, und ihre Lebewesen sind gefährdet oder ausgestorben. In der Sanjian-Ebene im Nordosten zum Beispiel, dem Gebiet mit den größten Süßwassersümpfen Chinas, wurden bereits 60 Prozent der Sümpfe in Ackerland umgewandelt, und wenn die Entwässerung mit der derzeitigen Geschwindigkeit weitergeht, werden auch die verbliebenen 21 000 Quadratkilometer innerhalb der nächsten 20 Jahre verschwinden.

Auch in anderen Fällen hat es schwer wiegende wirtschaftliche Folgen, wenn Artenvielfalt verschwindet. Dies gilt zum Beispiel für die Schädigung der Süßwasser- und Küstenfischerei durch Überfischung und Wasserverschmutzung, insbesondere da die Nachfrage nach Fisch mit wachsendem Wohlstand zunimmt. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fisch ist in den letzten 25 Jahren fast um das Fünffache gestiegen, und zu diesem Bedarf im Inland muss man noch die steigenden chinesischen Exporte von Fischen, Weichtieren und anderen Meeresbewohnern hinzurechnen. Dies hatte zur Folge, dass der Weiße Stör nahezu ausgestorben ist, die früher sehr stabilen Garnelenerträge aus dem Bohai-Meer sind um 90 Prozent gesunken, früher allgegenwärtige Fischarten wie Jogi und Hairtail müssen heute importiert werden, die jährliche Fangmenge von Wildfischen aus dem Jangtse ist um 75 Prozent gesunken, und im Jahr 2003 musste dieser Fluss erstmals völlig für die Fischerei gesperrt werden. Allgemein betrachtet, besitzt China mit zehn Prozent aller Pflanzen- und Landtierarten der Erde eine sehr hohe Artenvielfalt. Aber ungefähr ein Fünftel aller einheimischen Arten (darunter auch die bekannteste von allen, der Riesenpanda), sind heute gefährdet, und viele charakteristische, seltene Arten (zum Beispiel der Chinesische Alligator und die Ginkgobäume) sind bereits fast ausgestorben.

Die Kehrseite dieses Schwundes einheimischer Arten ist eine Zunahme der eingeschleppten Lebewesen. In der Geschichte Chinas wurden zahlreiche Arten, die man für nützlich hielt, absichtlich in das Land eingeführt. Nachdem der Auslandshandel in jüngster Zeit um das 60fache zugenommen hat, kommt zu dieser absichtlichen Einführung auch das zufällige Einschleppen vieler Arten hinzu, die man keinesfalls für nützlich halten würde. Allein im Hafen von Shanghai fand man beispielsweise zwischen 1986 und 1990 bei der Untersuchung von Importwaren auf 349 Schiffen aus 30 Ländern nicht weniger als 200 Arten ausländischer Unkräuter, die als Verunreinigung mitgeschleppt wurden. Manche dieser Pflanzen, aber auch Insekten und Fische konnten sich als Schädlinge festsetzen und fügen der chinesischen Landwirtschaft, Aquakultur, Forstwirtschaft und Viehzucht gewaltige wirtschaftliche Schäden zu.

Als wäre das alles noch nicht genug, entstehen in China die größten Bauprojekte der Welt, und in allen Fällen kann man damit rechnen, dass sie große ökologische Probleme bereiten werden. Der Dreischluchtendamm am Jangtse, der größte Staudamm der Welt, dessen Bau 1993 begonnen wurde und den Planungen zufolge 2009 abgeschlossen sein wird, soll Strom liefern, die Hochwasserkontrolle verbessern und die Schifffahrt erleichtern; demgegenüber stehen Kosten von rund 25 Milliarden Euro, gesellschaftliche Kosten für die Entwurzelung vieler Millionen Menschen und ökologische Kosten, die sich mit Bodenerosion und der Zerstörung eines wichtigen Ökosystems (im drittlängsten Fluss der Welt) verbinden. Noch aufwendiger ist ein Projekt, das 2002 in Angriff genommen wurde und der Umleitung von Wasser aus dem Süden in den Norden dienen soll; die Fertigstellung ist erst für 2050 vorgesehen, und als Kosten sind rund 48 Milliarden Euro veranschlagt. Das Projekt wird die Umweltverschmutzung verstärken und zu einem Ungleichgewicht im Wasserhaushalt von Chinas längstem Fluss führen. Und auch dieses Vorhaben wird noch durch die geplante Erschließung des derzeit unterentwickelten westlichen Landesteils in den Schatten gestellt, der mehr als die Hälfte des Staatsgebietes ausmacht und in den Augen der politischen Führung entscheidend für die weitere Entwicklung des Landes ist.

Halten wir nun einmal inne und schauen uns an, was diese Schäden für die Chinesen bedeuten. Bei den Auswirkungen kann man unterscheiden zwischen wirtschaftlichen Schäden, gesundheitlichen Schäden und der Gefahr von Naturkatastrophen. Ich möchte für alle drei Kategorien einige Schätzungen oder Beispiele nennen.

Betrachten wir zunächst die wirtschaftlichen Schäden, wobei wir bei geringeren Kosten beginnen und uns dann die größeren ansehen. In die Rubrik »geringe Kosten« kann man beispielsweise die rund 60 Millionen Euro einordnen, die jedes Jahr zur Ausrottung eines einzelnen Unkrauts aufgewendet werden: Das »Alligatorkraut« Alternanthera philoxeroides wurde als Schweinefutter aus Brasilien eingeführt, machte sich dann aber in Gärten, auf Süßkartoffelfeldern und in Zitrusplantagen breit. Spottbillig sind auch die Fabrikschließungen, die wegen Wasserknappheit in einer einzigen Stadt, nämlich Xian, notwendig werden und jährlich mit einem Verlust von rund 200 Millionen Euro zu Buche schlagen. Sandstürme richten Schäden von rund 450 Millionen Euro im Jahr an, und die Schäden an Nutzpflanzen und Wäldern durch sauren Regen summieren sich auf 600 Millionen im Jahr. Schwerer wiegen da schon die Kosten von 5 Milliarden für die »grüne Mauer« aus Bäumen, die man anpflanzte, um Beijing vor Sand- und Staubstürmen zu schützen, und die 6 Milliarden pro Jahr für die Beseitigung anderer Unkräuter neben dem Alligatorkraut. In den Bereich der wirklich beeindruckenden Zahlen stoßen wir vor, wenn wir von den einmaligen Kosten der Überschwemmung von 1996 reden (24 Milliarden Euro, immer noch billiger als die Überschwemmung von 1998), oder von den jährlichen unmittelbaren Schäden durch Wüstenbildung (30 Milliarden) und den jährlichen Verlusten durch Wasser- und Luftverschmutzung (40 Milliarden). Allein die beiden zuletzt genannten Posten kosten China jedes Jahr 14 Prozent seines Bruttoinlandproduktes.

Einen Eindruck von den Auswirkungen auf die Gesundheit können drei Themen vermitteln. Der Bleigehalt im Blut chinesischer Stadtbewohner liegt fast um das Doppelte über dem Wert, der in anderen Regionen der Welt als gefährlich hoch gilt und für die geistige Entwicklung von Kindern ein Risiko darstellt. Ungefähr 300 000 Todesfälle pro Jahr und Gesundheitskosten von etwa 40 Milliarden Euro (acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts) werden auf die Luftverschmutzung zurückgeführt. Hinzu kommt, dass das große Rauchen pro Jahr ungefähr 730 000 Opfer fordert, und das bei steigender Tendenz - China ist weltweit der größte Tabakproduzent und -verbraucher, und hier sind die meisten Raucher zu Hause (insgesamt 320 Millionen, ein Viertel aller Raucher der Erde, und jeder raucht durchschnittlich 1800 Zigaretten im Jahr).

China ist heute dafür bekannt, dass Naturkatastrophen häufig sind, großen Umfang haben und gewaltige Schäden anrichten. Manche davon - insbesondere Staubstürme, Erdrutsche, Dürreperioden und Überschwemmungen - stehen in engem Zusammenhang mit den Eingriffen des Menschen in die Umwelt und sind mit zunehmendem Ausmaß dieser Eingriffe häufiger geworden. Staubstürme beispielsweise kommen in kürzeren Abständen vor und sind schwerer, seit immer mehr Land durch Waldzerstörung, Überweidung, Erosion und von Menschen mitverursachte Dürreperioden seine Pflanzendecke verliert. Von 300 n. Chr. bis 1950 suchten Staubstürme durchschnittlich alle 31 Jahre einmal Nordwestchina heim; von 1950 bis 1990 betrug der Abstand durchschnittlich nur 20 Monate; und seit 1990 ereignen sie sich fast jedes Jahr. Am 5. Mai 1993 kamen in einem gewaltigen Staubsturm ungefähr 100 Menschen ums Leben. Dürreperioden haben zugenommen, weil die Waldzerstörung den natürlichen Wasserkreislauf mit seinen Niederschlägen beeinträchtigt und vielleicht auch weil die Entwässerung und übermäßige Nutzung von Seen und Feuchtgebieten zu einer Schrumpfung der Wasseroberflächen führt, die für die Verdunstung zur Verfügung stehen. Heute werden jedes Jahr rund 15 Millionen Hektar landwirtschaftliche Flächen durch Trockenheit geschädigt, ungefähr doppelt so viel wie in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Ebenso haben Überschwemmungen durch die Waldzerstörung stark zugenommen; die Überflutungen von 1996 und 1998 waren die schlimmsten in der jüngeren Geschichte. Auch der Wechsel von Dürre und Überschwemmungen kommt häufiger vor und richtet dann noch größere Schäden an als eines der beiden Ereignisse allein, weil durch die Dürre zunächst die Pflanzendecke zerstört wird, und dann verursacht die Überschwemmung auf dem nackten Boden eine noch schlimmere Erosion, als wenn die Pflanzen noch vorhanden wären.

Selbst wenn die Chinesen nicht durch Handel und Reisen mit den Bewohnern anderer Länder in Verbindung stünden, wäre die riesige Fläche und Bevölkerung Chinas ein Garant dafür, dass andere Völker betroffen sind. Das liegt einfach daran, dass China seine Abwässer und Abgase in dasselbe Weltmeer und dieselbe Atmosphäre entlässt. In Wirklichkeit haben die Kontakte zur übrigen Welt durch Handel, Investitionen und Entwicklungshilfe in den letzten 20 Jahren fast exponentiell zugenommen. Der Handel, der heute ein Volumen von rund 500 Milliarden Euro hat, war bis 1980 nicht der Rede wert, und erst seit 1991 gibt es in China nennenswerte Investitionen aus dem Ausland. Die rasante Entwicklung der Exportwirtschaft war eine Triebkraft für die zunehmende Umweltverschmutzung in China, denn die ökologisch schädlichen, ineffizienten kleinen Unternehmen auf dem Land produzierten etwa die Hälfte aller chinesischen Exportgüter. Seit 1991 stand China bei der Summe der jährlichen Auslandsinvestitionen an zweiter Stelle hinter den Vereinigten Staaten, und 2002 rückte es mit der Rekordinvestition von 40 Milliarden Euro auf den ersten Platz vor. Zur ausländischen Entwicklungshilfe gehörten zwischen 1981 und 2000 auch rund 80 Millionen Euro von internationalen nichtstaatlichen Organisationen -eine große Summe im Vergleich zu den Etats solcher Organisationen, aber nur ein kleiner Betrag im Verhältnis zu Chinas übrigen Geldquellen: 400 Millionen Euro aus dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, acht Milliarden Euro von der japanischen Internationalen Entwicklungsagentur, 8,5 Milliarden von der Asiatischen Entwicklungsbank und 20 Milliarden von der Weltbank.

Alle diese Transferleistungen treiben Chinas schnelles Wirtschaftswachstum und die damit verbundene Schädigung der Umwelt voran. Betrachten wir nun einmal, auf welche Weise die übrige Welt das Land sonst noch beeinflusst, und erörtern wir dann, welche Auswirkungen China auf die übrige Welt hat. Diese gegenseitigen Einflüsse sind Aspekte des modernen Schlagworts »Globalisierung«, das im Zusammenhang mit diesem Buche von großer Bedeutung ist. Die Verflechtungen der verschiedenen Gesellschaften in der heutigen Welt sind die Ursache einiger besonders wichtiger Unterschiede (von denen in Kapitel 16 genauer die Rede sein wird) zwischen den Folgen, die Umweltprobleme früher auf der Osterinsel, bei den Maya oder bei den Anasazi hatten, und ihren Auswirkungen in unserer Zeit.

Unter den schädlichen Dingen, die aus der übrigen Welt nach China gelangt sind, habe ich die eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten bereits erwähnt. Weniger bekannt ist, dass auch Müll in großem Umfang nach China importiert wird. Manche Industriestaaten vermindern ihre Abfallberge, indem sie in China für die Annahme unbehandelter Abfälle bezahlen, darunter auch solche mit giftigen Chemikalien. Außerdem nimmt Chinas wachsende Industrie auch Abfälle und Schrott an, die als billige Quellen für wiederverwertbare Rohstoffe dienen. Als Beispiel möchte ich nur eine allgemein bekannte Kategorie von Gegenständen nennen: Im September 2002 registrierte das chinesische Zollbüro in der Provinz Zhejiang eine Sendung mit 400 Tonnen »Elektronikabfall« aus den Vereinigten Staaten: ausgediente elektronische Geräte und Bauteile wie defekte Farbfernsehgeräte, Computerbildschirme, Fotokopiergeräte und Tastaturen. Die statistischen Angaben über den Umfang solcher Müllimporte sind zwangsläufig unvollständig, aber die verfügbaren Zahlen lassen darauf schließen, dass sie von 1990 bis 1997 von einer Million auf 11 Millionen Tonnen anwuchsen, und die Menge des Mülls aus Industrieländern, der über Hongkong nach China gelangte, wuchs von 1998 bis 2002 von 2,3 auf über 3 Millionen Tonnen. Auf diese Weise wird Umweltverschmutzung unmittelbar aus den Industrieländern nach China verschoben.

Noch schlimmer als der Abfall ist etwas anderes: Viele ausländische Unternehmen haben zwar der chinesischen Umwelt geholfen, indem sie hoch entwickelte Technologie in das Land exportierten, andere haben ihr aber auch geschadet; sie verlegten umweltschädliche Industriezweige nach China, darunter auch solche, die im Ursprungsland mittlerweile verboten sind. Ein Teil dieser Technologie wird später aus China in noch weniger weit entwickelte Länder verlagert. Ein Beispiel ist die Herstellung von Fuyaman, ein Pflanzenschutzmittel gegen Blattläuse, das in Japan schon seit 1975 verboten war. Die Herstellungstechnologie wurde 1992 an ein chinesisch-japanisches Gemeinschaftsunternehmen in der Provinz Fujian verkauft, wo die Produktion noch heute nicht nur bei vielen Menschen zu Vergiftungen und Tod führt, sondern auch zu schwer wiegender Umweltverschmutzung. Allein in der Provinz Guangdong importierten ausländische Investoren im Jahr 1996 insgesamt 1800 Tonnen der Ozon zerstörenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe, und damit machten sie es China noch schwerer, seinen Beitrag zur Zerstörung des Ozons auf der ganzen Welt zu vermindern. Im Jahr 1995 gab es in China nach Schätzungen 16 998 besonders umweltschädliche Unternehmen, die zusammen für eine Industrieproduktion von rund 40 Milliarden Euro verantwortlich waren.

Kommen wir nun von Chinas Importen zu den Exporten im weitesten Sinn. Wegen seiner hohen einheimischen Artenvielfalt »liefert« das Land unabsichtlich auch anderen Staaten zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die sich bereits in der artenreichen Umwelt Chinas durchgesetzt hatten.

So stammen beispielsweise die drei bekanntesten Schädlinge, die in Nordamerika zahlreiche Baumbestände zugrunde gerichtet haben - die parasitischen Erreger von Kastanienkrebs und Ulmensterben sowie der Asiatische Bockkäfer - aus China oder seinen ostasiatischen Nachbarländern. Durch den Kastanienkrebs sind die einheimischen Kastanien in den USA bereits ausgestorben; das Ulmensterben machte den Ulmen den Garaus, die ein charakteristisches Kennzeichen der Ortschaften Neuenglands waren, als ich dort vor über 60 Jahren aufwuchs; und der Asiatische Bockkäfer, der in den Vereinigten Staaten erstmals 1996 als Schädling an Ahornbäumen und Eschen entdeckt wurde, könnte an den Bäumen der Vereinigten Staaten einen Schaden von bis zu 41 Milliarden Dollar anrichten, mehr als die beiden anderen genannten Schädlinge zusammen. Ein anderer Neuankömmling, der Chinesische Graskarpfen, ist heute in den Seen und Flüssen von 45 US-Bundesstaaten verbreitet, wo er mit den einheimischen Fischarten in Konkurrenz tritt und in den Lebensgemeinschaften von Wasserpflanzen, Plankton und wirbellosen Tieren für große Veränderungen sorgt. Eine weitere Spezies, die in China mit einem großen Bestand vertreten ist, ökologisch und ökonomisch große Auswirkungen hat und von dort in immer größerer Zahl exportiert wird, ist der Homo sapiens. Als Herkunftsland für die legale Einwanderung nach Australien beispielsweise (Kapitel 13) nimmt China heute bereits den dritten Platz ein, und eine erhebliche Zahl legaler wie auch illegaler Einwanderer kommt über den Pazifik sogar in die Vereinigten Staaten.

Während China also auf diese Weise absichtlich oder unabsichtlich Insekten, Süßwasserfische und Menschen per Schiff oder Flugzeug in andere Länder exportiert, kommen weitere unbeabsichtigte Exporte über die Atmosphäre. China ist mittlerweile weltweit der größte Produzent und Verbraucher von Fluorchlorkohlenwasserstoffen und anderer ozonschädigender Gase, deren Nutzung die Industrieländer 1995 einschränkten. Darüber hinaus trägt China heute 12 Prozent zu den Kohlendioxid-Emissionen bei, die für die globale Erwärmung von entscheidender Bedeutung sind. Wenn sich der derzeitige Trend fortsetzt - steigende Emissionen in China, gleich bleibende Emissionen in den Vereinigten Staaten, abnehmende Emissionen in anderen Ländern -, wird China im Jahr 2050 mit 40 Prozent der weltweiten Gesamtmenge die Nummer eins im Kohlendioxidausstoß sein. Bei den Schwefeloxiden steht China schon heute mit einem Ausstoß, der doppelt so hoch ist wie in den USA, weltweit an der Spitze. Der schadstoffbeladene Staub, Sand und Boden aus Chinas Wüsten, zerstörten Weideflächen und nicht genutztem Ackerland wird vom Wind nach Osten verfrachtet und gelangt nach Korea und Japan sowie auf die Pazifikinseln; nach einer Woche hat er den Pazifik überquert und ist in den Vereinigten Staaten und Kanada angelangt. Diese partikelförmigen Luftschadstoffe sind die Produkte der kohlebasierten chinesischen Wirtschaft, der Waldzerstörung, Überweidung, Erosion und schädlicher landwirtschaftlicher Methoden.

Der nächste Austausch zwischen China und anderen Ländern ist ein Import, der sich als Export niederschlägt: Mit importiertem Holz wird die Waldzerstörung exportiert. In der Liste der Holz verbrauchenden Staaten steht China weltweit an dritter Stelle: Auf dem Land liefert es in Form von Brennholz 40 Prozent der Energie, es ist der nahezu ausschließliche Rohstoff für die Papier- und Zellstoffindustrie, und die Bauindustrie nutzt es für Vertäfelungen und Balken. Zwischen dem wachsenden Bedarf an Holzprodukten und der abnehmenden einheimischen Versorgung tut sich aber eine immer größere Lücke auf, insbesondere seit der Holzabbau im Land nach den Überschwemmungen von 1998 verboten wurde. Seither haben sich Chinas Holzimporte versechsfacht. Mit dem Import von Tropenholz aus Ländern auf allen drei Kontinenten, die tropische Abschnitte besitzen (insbesondere aus Malaysia, Gabun, Papua-Neuguinea und Brasilien) steht China heute an zweiter Stelle hinter Japan, das es aber schon bald überholen wird. Auch aus gemäßigten Breiten wird Holz importiert, insbesondere aus Russland, Neuseeland, den Vereinigten Staaten, Deutschland und Australien. Nachdem China der Welthandelsorganisation beigetreten ist, rechnet man mit einem weiteren Anstieg dieser Holzimporte, denn die Einfuhrzölle auf Holzprodukte werden nun von 15 bis 20 Prozent auf zwei bis drei Prozent sinken. Letztlich bedeutet das, dass China wie Japan seine eigenen Wälder erhalten wird, aber dafür exportiert es die Waldzerstörung in andere Länder, wo sie in einigen Fällen (so in Malaysia, Papua-Neuguinea und Australien) schon jetzt katastrophale Ausmaße angenommen hat.

Noch wichtiger als alle diese ökologischen Schäden ist möglicherweise ein anderes Thema, über das nur selten gesprochen wird: Welche Folgen hat es, wenn die Chinesen wie andere Völker in Entwicklungsländern ihren Ehrgeiz verwirklichen, den Lebensstandard der Industrieländer zu erreichen? Diese abstrakte Formulierung bedeutet für den einzelnen Bürger eines Drittweltlandes viele ganz bestimmte Dinge: ein eigenes Haus, elektrische Geräte, Hausrat, Bekleidung und Konsumprodukte, die nicht in Heimarbeit oder an Ort und Stelle von Hand hergestellt werden, sondern kommerziell und unter Energieverbrauch; Zugang zu industriell produzierten, modernen Arzneimitteln sowie zu Ärzten und Zahnärzten, die mit großem Aufwand ausgebildet und ausgerüstet wurden; ein Überfluss an Nahrungsmitteln, die in landwirtschaftlicher Intensivproduktion mit Kunstdünger produziert wurden und nicht mit Tierexkrementen oder pflanzlichem Kompost; industrielle weiterverarbeitete Lebensmittel; Fortbewegung nicht mit dem Fahrrad, sondern mit Motorfahrzeugen (am liebsten mit dem eigenen Auto): und Zugang zu vielen weiteren Produkten, die nicht aus der Gegend stammen und zu Fuß zu den Verbrauchern gebracht werden, sondern aus weit entfernten Fabriken, von wo sie mit Motorfahrzeugen herantransportiert werden. Alle mir bekannten Bewohner von Drittweltländern, selbst jene, die teilweise ihre traditionelle Lebensweise beibehalten oder wiederherstellen wollen, schätzen zumindest manche Elemente dieser Lebensform aus den Industrieländern.

Welche Auswirkungen es auf die ganze Welt hat, wenn alle nach der Lebensweise streben, deren sich die Bewohner der Industrieländer heute erfreuen, wird am Beispiel China besonders deutlich. Hier verbindet sich die größte Bevölkerung der Welt mit der am schnellsten wachsenden Wirtschaft. Die Gesamtheit von Produktion und Konsum errechnet sich, wenn man die Bevölkerungszahl mit der Pro-Kopf-Produktion oder dem Pro-Kopf-Verbrauch multipliziert. In China ist diese Gesamtproduktion wegen der gewaltigen Einwohnerzahl schon heute sehr hoch, und das trotz sehr geringer Pro-Kopf-Werte: Der Pro-Kopf-Verbrauch vier wichtiger Industriemetalle beispielsweise (Stahl, Aluminium, Kupfer und Blei) liegt nur bei neun Prozent des Wertes der führenden Industrieländer. Aber China macht auf seinem Weg zu dem Ziel, ein Industrieland zu werden, rasche Fortschritte. Steigt der Pro-Kopf-Verbrauch dort auf das Niveau der heutigen Industrieländer, würden Produktion und Verbrauch der genannten vier Metalle selbst dann, wenn sich sonst nichts ändert - wenn beispielsweise Bevölkerung und Produktion/Verbrauch in allen anderen Ländern unverändert bleiben -, allein durch den Anstieg von Produktion und Verbrauch in China weltweit um 94 Prozent wachsen. Mit anderen Worten: Wenn China den Standard der Industrieländer erreicht, werden sich Ressourcenausbeutung und ökologische Schäden auf der ganzen Welt ungefähr verdoppeln. Dabei ist schon zweifelhaft, ob auch nur die derzeitige Ressourcennutzung und die ökologischen Eingriffe auf lange Sicht haltbar sind. Irgendwo muss es zum Rückgang kommen. Das ist der wichtigste Grund, warum Chinas Probleme automatisch zu Problemen der ganzen Welt werden.

Früher glaubten die politisch Verantwortlichen in China, die Menschen könnten und sollten sich die Natur untertan machen, Umweltschäden seien ein Problem, von dem nur kapitalistische Gesellschaften betroffen sind, und sozialistische Gesellschaften seien dagegen immun. Nachdem die ökologischen Schwierigkeiten heute aber auch in China überall sichtbar werden, haben sie dazugelernt. Der Wandel im Denken begann schon 1972, als China eine Delegation zur ersten Umweltkonferenz der Vereinten Nationen entsandte. Im Jahr 1973 wurde die so genannte Führungsgruppe für Umweltschutz eingerichtet, die sich 1998 (im Jahr der großen Überschwemmungen) in die staatliche Umweltschutzbehörde verwandelte. Im Jahr 1983 wurde der Umweltschutz zum Staatsziel erklärt - jedenfalls theoretisch. In der Praxis jedoch hat man zwar viele Anstrengungen unternommen, um Umweltschäden unter Kontrolle zu bringen, aber die wirtschaftliche Entwicklung genießt nach wie vor Priorität und ist das wichtigste Kriterium für die Leistungsbeurteilung von Regierungsbeamten. Viele Umweltschutzgesetze und -Vorschriften wurden zwar auf dem Papier erlassen, aber nicht wirksam umgesetzt.

Wie könnte Chinas Zukunft aussehen? Die gleiche Frage stellt sich natürlich überall auf der Welt: Ökologische Probleme verschärfen sich, die Entwicklung von Lösungsversuchen beschleunigt sich ebenfalls, aber welches Pferd wird das Rennen gewinnen? In China ist diese Frage von besonderer Dringlichkeit, und zwar nicht nur wegen des bereits erörterten Ausmaßes der Probleme und ihrer Auswirkungen auf die ganze Welt, sondern auch wegen eines Aspekts in der chinesischen Geschichte, den man als »Torkeln« bezeichnen kann (wobei ich den Begriff in dem streng neutralen Sinn eines »plötzlich von einer Seite zur andern schwanken« gebrauche und nicht in dem abwertenden Sinn, in dem es den Gang eines Betrunkenen bezeichnet). Bei dieser Metapher denke ich an das in meinen Augen charakteristischste Merkmal der chinesischen Geschichte, das ich bereits in meinem Buch Arm und Reich erörtert habe. Wegen geographischer Faktoren - China hat eine relativ glatte Küstenlinie, Halbinseln von der Größe Italiens und der iberischen Halbinsel fehlen ebenso wie Inseln von den Ausmaßen Großbritanniens und Irlands, und die wichtigsten Flüsse fließen parallel - wurde das chinesische Kernland schon 221 v. Chr. vereinigt und hat diesen Zustand seither fast die gesamte Zeit beibehalten, während eine solche Einigung im geographisch zerrissenen Europa nie stattfand. Deshalb konnten die Mächtigen in China Veränderungen in einem viel größeren Gebiet anordnen als jeder europäische Herrscher - und dabei handelte es sich manchmal in rascher Folge um Veränderungen zum Besseren und zum Schlechteren (daher das »Torkeln«). Chinas Einheit und die Entscheidungen seiner Kaiser sind wahrscheinlich zumindest zum Teil eine Erklärung dafür, warum man in China zur Zeit der europäischen Renaissance die größten und besten Schiffe der Welt entwickelte, Flotten nach Indien und Afrika schickte, dann diese Flotten wieder auflöste und die Besiedelung von Überseekolonien den viel kleineren europäischen Staaten überließ; und es dürfte auch der Grund sein, warum China mit einer eigenen industriellen Revolution begann und sie dann nicht fortsetzte.

Die Chancen und Risiken der chinesischen Einheit sind bis in die jüngste Zeit bestehen geblieben, und auch heute torkelt China in wichtigen politischen Fragen, die mit seiner Umwelt und Bevölkerungsentwicklung zu tun haben. Einerseits konnte die politische Führung ihre Probleme in einem Umfang lösen, wie es in Europa oder Amerika kaum möglich gewesen wäre: Man konnte beispielsweise eine Ein-Kind-Politik zur Verminderung des Bevölkerungswachstums verordnen und die Holzgewinnung 1998 im ganzen Land verbieten. Andererseits konnten die politisch Verantwortlichen aber auch Unheil in einem Maßstab anrichten, der in Europa oder Amerika ebenfalls kaum denkbar wäre: Beispiele sind die chaotische Entwicklung durch den Großen Sprung Vorwärts, die Auflösung des nationalen Bildungssystems während der Kulturrevolution und (so würde jedenfalls manch einer sagen) die Umweltschäden, die sich aufgrund der drei Großprojekte abzeichnen.

Was die Folgen der derzeitigen chinesischen Umweltprobleme angeht, kann man nur eines mit Sicherheit behaupten: Bevor es besser wird, wird es wegen zeitlicher Verzögerungen und der Auswirkungen der bereits eingeleiteten Schäden zunächst noch schlimmer werden. Ein wichtiger Faktor, der sich sowohl zum Schlechteren als auch zum Besseren auswirken kann, ist die voraussichtliche Zunahme des chinesischen Außenhandels nach dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation. Durch die Senkung oder Abschaffung der Zölle werden die Exporte und Importe von Autos, Textilien, landwirtschaftlichen Produkten und vielen anderen Waren zunehmen. Schon jetzt exportiert die chinesische Industrie Fertigwaren in andere Länder, während die Schadstoffe, die bei ihrer Produktion entstanden sind, zurückbleiben. Ihre Menge wird voraussichtlich wachsen. Importe, beispielsweise Müll und Autos, haben die Umwelt bereits jetzt geschädigt, und auch ihre Menge wird zunehmen. Andererseits gelten in manchen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation wesentlich strengere Umweltvorschriften, und dies wird China dazu zwingen, diese internationalen Standards zu übernehmen, damit seine Exportwaren in den betreffenden Ländern überhaupt eingeführt werden dürfen. Steigende Importe landwirtschaftlicher Produkte könnten in China die Möglichkeit schaffen, weniger Düngemittel und Pestizide einzusetzen und die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen mit geringer Produktivität zu vermindern. Gleichzeitig könnten steigende Öl- und Erdgasimporte dazu führen, dass die Luftverschmutzung durch Kohleverbrennung zurückgeht. Die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation ist aber ein zweischneidiges Schwert: Durch die Steigerung der Importe und die damit verbundene Verminderung der Inlandsproduktion kann China seine ökologischen Schäden einfach in andere Länder verlagern, wie es beim Übergang von der Nutzung heimischer Hölzer zum Holzimport (bei dem China letztlich andere Länder dafür bezahlt, dass sie die schädlichen Folgen der Waldzerstörung auf sich nehmen) bereits geschehen ist.

Ein Pessimist wird bemerken, dass in China bereits viele Gefahren bestehen und schlechte Vorboten zu erkennen sind. Eine der allgemeinen Gefahren besteht darin, dass das Wirtschaftswachstum in China gegenüber Umweltschutz oder Nachhaltigkeit immer noch Priorität genießt. Das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit ist gering - unter anderem deshalb, weil China im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt noch nicht einmal halb so viel in die Bildung investiert wie die Industrieländer. China beherbergt 20 Prozent der Weltbevölkerung, bringt aber nur ein Prozent der weltweiten Bildungsausgaben auf. Eine Oberschul- oder Universitätsausbildung für die Kinder übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten chinesischen Eltern: Die jährlichen Studiengebühren würden das Durchschnittsgehalt eines städtischen Arbeiters oder das Einkommen von drei Landarbeitern verschlingen. Die vorhandenen Umweltgesetze wurden im Wesentlichen Stück für Stück erlassen, eine wirksame Umsetzung fehlt ebenso wie eine Evaluierung der langfristigen Folgen, und vor allem mangelt es an einem systematischen Ansatz: So beziehen sich zwar einzelne Gesetze auf die schnell schrumpfenden chinesischen Feuchtgebiete, es gibt aber für deren Schutz keinen umfassenden Rahmen. Die örtlichen Beamten der Umweltschutzbehörde werden nicht von ranghöheren Beamten derselben Behörde ernannt, sondern von den regionalen Regierungen, die damit häufig die Durchsetzung landesweiter Umweltschutzgesetze und Vorschriften blockieren. Die Preise für wichtige Rohstoffe aus der Umwelt werden so niedrig angesetzt, dass die Verschwendung begünstigt wird; eine Tonne Wasser aus dem Gelben Fluss, die zur Bewässerung verwendet werden soll, kostet beispielsweise nur ein Zehntel bis ein Hundertstel des Preises einer kleinen Flasche Quellwasser, sodass für die Bauern jeder Anreiz entfällt, bei der Bewässerung sparsam mit dem Wasser umzugehen. Das Land gehört dem Staat und ist an die Bauern verpachtet, und häufig folgen dabei in kurzer Zeit mehrere verschiedene Pächter aufeinander, sodass auch dies ihnen keinen Anreiz verschafft, langfristig in ihr Land zu investieren oder es gut zu verwalten.

Der chinesischen Umwelt drohen aber auch gezieltere Gefahren. Die stark zunehmende Zahl der Autos, die drei Großprojekte und das schnelle Verschwinden der Feuchtgebiete sind bereits Wirklichkeit und werden sich in Zukunft zunehmend schädlich auswirken. Durch die vorausberechneten Abnahme der durchschnittlichen Haushaltsgröße auf 2,7 Personen bis zum Jahr 2015 werden selbst dann, wenn die Bevölkerungszahl als solche gleich bleibt, 126 Millionen neue Haushalte hinzukommen, mehr als die Gesamtzahl aller Haushalte in den Vereinigten Staaten. Mit dem wachsenden Wohlstand und dem damit zunehmenden Fleisch- und Fischverbrauch werden sich die Umweltprobleme in Verbindung mit Fleischproduktion und Aquakultur verstärken, beispielsweise die Verschmutzung durch Exkremente von Landtieren und Fischen sowie die Eutrophierung durch nicht verzehrtes Fischfutter. Schon heute ist China weltweit der größte Produzent von Aquakultur-Lebensmitteln und das einzige Land, in dem aus der Aquakultur mehr Fische und andere Meerestiere gewonnen werden als aus der Fischerei in freier Wildbahn. Die weltweiten Auswirkungen, wenn China im Fleischkonsum mit den Industrieländern gleichzieht, sind nur ein Aspekt des umfassenderen Themas, das ich bereits am Beispiel des Metallverbrauchs deutlich gemacht habe: Derzeit besteht eine Kluft zwischen dem Pro-Kopf-Verbrauch und der Pro-Kopf-Produktion in Industrie- und Drittweltländern. Natürlich wird China sich nicht auf die Forderung einlassen, es solle nicht das Niveau der Industrieländer anstreben. Aber die Welt hält es nicht aus, wenn China und andere Drittweltländer auf dem Niveau der Industrieländer leben.

Als Gegengewicht zu all diesen Gefahren und entmutigenden Anzeichen gibt es auch viel versprechende Signale. Sowohl die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation als auch die bevorstehenden Olympischen Spiele im Jahr 2008 waren für die chinesische Regierung ein Anlass, Umweltproblemen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Derzeit entsteht beispielsweise rund um Beijing für mehr als vier Milliarden Euro eine »grüne Mauer«, ein Gürtel aus Bäumen, der die Stadt vor Staub und Sandstürmen schützen soll. Um die Luftverschmutzung in der Hauptstadt zu vermindern, hat die Stadtverwaltung die Umrüstung von Lastwagen angeordnet, damit diese auch Erdgas und Flüssiggas verwenden können. Innerhalb eines knappen Jahres war in China das Blei aus dem Benzin verschwunden, ein Ziel, das in Europa und den Vereinigten Staaten erst nach vielen Jahren erreicht war. Kürzlich wurden Grenzwerte für den maximalen Benzinverbrauch von Autos festgelegt, und in die Vorschriften sind sogar SUVs einbezogen. Neue Fahrzeuge müssen den gleichen Abgaswerten entsprechen wie in Europa.

Mittlerweile unternimmt China auch große Anstrengungen, um seine außergewöhnliche biologische Artenvielfalt zu schützen: 1757 Naturschutzgebiete nehmen insgesamt 13 Prozent des Staatsgebietes ein, und daneben gibt es Zoos, botanische Gärten, Zuchtanstalten für Wildtiere, Museen sowie Gen- und Zellbanken. Unter anderem verwendet man in großem Umfang einige charakteristische, umweltfreundliche traditionelle Technologien; in Südchina ist es beispielsweise allgemeine Praxis, auf den bewässerten Reisfeldern auch Fische zu züchten. Damit werden die Exkremente der Fische als natürlicher Dünger wiederverwendet, der Reisertrag steigt, die Fische halten Schädlinge und Unkräuter in Schach, der Verbrauch an Herbiziden, Pestiziden und Kunstdünger vermindert sich, und man erhält mehr protein- und kohlenhydratreiche Nahrungsmittel, ohne die Umweltschäden zu verstärken. Ermutigende Anzeichen für die Wiederaufforstung sind drei große Baumplantagen, die 1978 angelegt wurden, und auch das 1998 erlassene landesweite Verbot der Holzgewinnung, wobei gleichzeitig ein Schutzprogramm für die natürlichen Wälder aufgelegt wurde, um die Gefahr weiterer verheerender Überschwemmungen zu vermindern. Seit 1990 hat China auf rund 39 000 Quadratkilometern die Wüstenbildung durch Wiederaufforstung und Befestigung von Sanddünen bekämpft. Im Rahmen des »Grain to Green«-Programms erhalten Bauern Subventionen, wenn sie Getreidefelder in Wälder oder Graslandschaften umwandeln, sodass die ökologisch empfindlichen steilen Berghänge in geringerem Umfange für die Landwirtschaft genutzt werden.

Wo führt das alles hin? Wie die übrige Welt, so torkelt auch China zwischen immer stärkeren Umweltschäden und einem immer stärkeren Umweltschutz. Seine riesige Bevölkerung und die große, wachsende Wirtschaft haben in Verbindung mit der heutigen und früheren Zentralisierung zur Folge, dass sich Chinas Torkelbewegungen extremer auswirken als die aller anderen Länder. Die Folgen werden nicht nur in China spürbar, sondern in der ganzen Welt. Während ich dieses Kapitel schreibe, schwanken auch meine eigenen Gefühle: Auf der einen Seite steht die Verzweiflung über die betäubende Litanei der deprimierenden Details, auf der anderen die Hoffnung, bestärkt durch die drastischen, schnell umgesetzten Umweltschutzmaßnahmen, die man in China bereits ergriffen hat. Wegen der Größe und der besonderen Regierungsform des Landes sind Entscheidungen von oben nach unten hier in weit größerem Maßstab wirksam als irgendwo sonst auf der Welt, und die Wirkung des Präsidenten Balaguer aus der Dominikanischen Republik stellen sie bei weitem in den Schatten. In meinem optimistischen Zukunftsszenario wird die chinesische Regierung erkennen, dass ihre ökologischen Probleme eine viel größere Bedrohung darstellen als das Bevölkerungswachstum. Dann wird sie zu der Schlussfolgerung gelangen, dass das Interesse Chinas eine Umweltpolitik erfordert, die ebenso kühn ist und ebenso wirksam umgesetzt wird wie die Familienplanung.