KAPITEL 5
Zusammenbrüche bei den Maya
Das Rätsel der verschwundenen Städte ■ Die Umwelt der Maya Maya-Landwirtschaft ■ Geschichtliches ■ Copan ■ Vielschichtige Zusammenbrüche ■ Krieg und Dürre ■ Zusammenbruch im südlichen Tiefland ■ Was wir von den Maya lernen können
In unserer Zeit haben schon Millionen Touristen die Ruinen der alten Maya-Kultur besucht, die vor mehr als 1000 Jahren auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan und in den angrenzenden Teilen Mittelamerikas ihren Zusammenbruch erlebte.
Noch heute liegen viele der großartigen Tempel und die anderen Bauwerke inmitten des Urwaldes weitab von allen heutigen Siedlungen. Einst jedoch, vor der Ankunft der Europäer, waren sie der Ort der am höchsten entwickelten Kultur der Neuen Welt, der Einzigen, deren schriftliche Hinterlassenschaften man in großem Umfang entziffert hat. Wie konnten die Menschen früherer Zeiten sich in einer urbanen Gesellschaft versorgen, während heute in dem gleichen Gebiet nur wenige Bauern mühsam ihr Leben fristen? Die Mayastädte imponieren uns nicht nur deshalb, weil sie so rätselhaft und gleichzeitig so schön sind, sondern auch weil es sich um »reine« archäologische Fundstätten handelt: Sie waren später entvölkert und wurden deshalb nicht wie die Aztekenhauptstadt Tenochtitlan (die unter dem heutigen Mexico City begraben liegt) oder Rom von jüngeren Bauwerken überdeckt.
Die Mayastädte waren verlassen, zwischen Bäumen versteckt und der Außenwelt so gut wie unbekannt, bis der reiche amerikanische Anwalt John Stephens und der britische Zeichner Frederick Catherwood sie 1839 wiederentdeckten. Stephens hatte Gerüchte über Ruinen im Dschungel gehört und brachte den Präsidenten Martin Van Buren dazu, ihn zum Botschafter bei der Konföderation der mittelamerikanischen Republiken zu ernennen, einem ungewissen politischen Gebilde, das sich damals vom heutigen Guatemala bis nach Nicaragua erstreckte und ihm als Gebiet für seine archäologischen Streifzüge dienen sollte. Am Ende hatten Stephens und Catherwood 44 Fundstätten und Städte erkundet. An der außergewöhnlichen Schönheit der Gebäude und Kunstwerke erkannten sie, dass sie hier nicht die Werke von »Wilden« (wie sie es formulierten) vor sich hatten, sondern eine untergegangene Hochkultur. Ihnen wurde klar, dass manche Muster auf den steinernen Denkmälern eine Schrift darstellten, und sie vermuteten zu Recht, dass die Schrift über historische Ereignisse und die Namen von Menschen berichtete. Nach seiner Rückkehr schrieb Stephens zwei Reiseberichte, die von Catherwood illustriert wurden und die Ruinen beschrieben; beide wurden zu Bestsellern.
Einen Eindruck von dem romantischen Reiz der Maya vermitteln einige Zitate aus Stephens Schriften: »Die Stadt war verfallen. In den Ruinen findet sich kein Überrest dieses Geschlechts, in dem die Überlieferung vom Vater auf den Sohn und von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Sie lag vor uns wie ein zerschmettertes Schiff mitten auf dem Meer, ohne Mast, mit verblasstem Namen, die Mannschaft verschwunden. Niemand konnte sagen, woher es gekommen war, wem es gehörte, wie lange es sich schon auf der Reise befand oder was zu seiner Zerstörung geführt hatte ... Architektur, Bildhauerei und Malerei, alle Künste, welche das Leben verschönern, waren in diesem überwucherten Wald aufgeblüht; Redner, Krieger und Staatsmänner, Schönheit, Ehrgeiz und Pracht hatten darin gelebt und waren vergangen, und niemand wusste, dass es solche Dinge gegeben hatte, niemand konnte von ihrem früheren Dasein berichten ... Da waren die Überreste eines kultivierten, glänzenden, sonderbaren Volkes, das alle Stadien von Aufstieg und Fall der Nationen durchgemacht hatte; das sein goldenes Zeitalter erreicht hatte und dann verschwunden war ... Wir gingen hinauf zu ihren verfallenen Tempeln und umgestürzten Altären; und wohin wir auch kamen, überall sahen wir die Zeugnisse ihres Geschmacks, ihres künstlerischen Geschicks . Wir ließen die seltsamen Menschen lebendig werden, die traurig von der Mauer blickten; stellten uns vor, wie sie in phantasievollen Kostümen und mit Federn geschmückt, über die Terrassen des Palastes und die Stufen zu den Tempeln hinaufstiegen . In der Romantik der Weltgeschichte hat nichts auf mich einen nachdrücklicheren Eindruck hinterlassen als das Schauspiel dieser einstmals großen, lieblichen Stadt, die gestürzt, verfallen und verloren war . überwachsen von Bäumen im Umkreis von vielen Meilen, und noch nicht einmal mit einem Namen, mit dem man sie unterscheiden könnte.« Noch heute sind Touristen von dieser Kultur fasziniert.
Für uns, die wir uns für prähistorische Zusammenbrüche interessieren, hat die Geschichte der Maya mehrere Vorteile. Erstens sind schriftliche Aufzeichnungen erhalten; sie sind zwar entsetzlich unvollständig, tragen aber dennoch dazu bei, dass wir die Geschichte der Maya in viel mehr Einzelheiten rekonstruieren können als die der Osterinsel oder selbst die der Anasazi mit ihren Jahresringen und Buschrattenexkrementen. Wegen ihrer großartigen Kunst und Architektur wurden die Städte und Kultur der Maya von viel mehr Archäologen untersucht, als wenn es sich nur um sammelnde und jagende Analphabeten gehandelt hätte, die in archäologisch unsichtbaren Behausungen lebten. In jüngster Zeit konnten Klimaforscher und Paläoökologen mehrere Anzeichen für frühere Klima- und Umweltveränderungen ausmachen, die zum Zusammenbruch der Maya beitrugen. Und schließlich gibt es auch heute noch Maya, die in ihrer alten Heimat leben und die Sprache ihres Volkes sprechen. Da von der Kultur der Maya so vieles den Zusammenbruch überlebt hat, konnten die ersten europäischen Besucher des Gebietes zahlreiche Informationen über die Mayagesellschaft ihrer Zeit zusammentragen, und diese Aufzeichnungen spielen auch für unsere Kenntnisse über frühere Zeiten eine entscheidende Rolle. Ihren ersten Kontakt mit Europäern hatten die Maya schon 1502, nur zehn Jahre nachdem Christoph Kolumbus die Neue Welt »entdeckt« hatte; auf der letzten seiner vier Reisen fischte Kolumbus ein Kanu auf, das dem Handel diente und vermutlich den Maya gehörte. Im Jahr 1527 begannen die Spanier ernsthaft, das Gebiet der Maya zu erobern, aber erst 1697 hatten sie das letzte Fürstentum unterworfen. Fast zwei Jahrhunderte lang hatten Spanier also die Gelegenheit, unabhängige Gesellschaften der Maya zu beobachten. Wichtig - im guten wie im schlechten Sinne - war vor allem der Bischof Diego de Landa, der während des größten Teils der Periode von 1549 bis 1578 auf der Halbinsel Yucatan residierte. Er beging einerseits einen der schlimmsten Akte von Kulturvandalismus in der gesamten Geschichte: Um das »Heidentum« auszurotten, ließ er alle Maya-Manuskripte verbrennen, derer er habhaft werden konnte, sodass heute nur noch vier Dokumente erhalten sind. Andererseits verfasste er aber auch einen ausführlichen Bericht über die Gesellschaft der Maya, und von einem Informanten erhielt er eine zunächst unbrauchbare Erklärung über ihre Schrift, bei der sich erst fast vier Jahrhunderte später herausstellte, dass sie doch Anhaltspunkte für die Entschlüsselung bot.
Dass wir ein ganzes Kapitel den Maya widmen, hat noch einen weiteren Grund: Es soll ein Gegengewicht zu den anderen Kapiteln über Gesellschaften früherer Zeiten bilden, in denen es unverhältnismäßig oft um kleine Menschengruppen in einer empfindlichen, geographisch isolierten Umwelt ging, wobei diese Gesellschaften auch nicht mit unserer heutigen Technologie und Kultur zu vergleichen waren. Das alles trifft auf die Maya nicht zu. Kulturell waren sie die am höchsten entwickelte (oder zumindest eine sehr hoch entwickelte) Gesellschaft der präkolumbianischen Neuen Welt, die als Einzige eine umfangreiche, bis heute erhaltene Schrift besaß und in Mittelamerika beheimatet war, einem der beiden Kernländer der Zivilisation Amerikas. Ihre Umwelt konfrontierte sie zwar durch Karstlandschaften und unberechenbar schwankende Niederschläge mit Problemen, aber im weltweiten Vergleich war sie nicht besonders auffällig, und ihre Empfindlichkeit war mit Sicherheit geringer als auf der Osterinsel, im Gebiet der Anasazi, in Grönland oder im heutigen Australien. Man sollte also nicht glauben, das Risiko eines Zusammenbruches bestehe nur für kleine, aber anständige Gesellschaften in besonders fragilen Regionen; die Maya sollten uns eine Warnung sein, dass ein solches Schicksal auch die am höchsten entwickelten, kreativsten Gesellschaften ereilen kann.
Von den fünf Punkten unseres Schemas zum Verständnis von Gesellschaftszusammenbrüchen treffen vier auf die Maya zu. Sie schädigten ihre Umwelt, insbesondere durch Waldzerstörung und Erosion. Klimaveränderungen (Dürreperioden), die sich vermutlich mehrfach wiederholten, trugen zum Zusammenbruch bei. Eine große Rolle spielten Feindseligkeiten unter den Maya selbst. Und schließlich waren kulturelle Faktoren von Bedeutung, insbesondere die Konkurrenz zwischen Königen und Adligen, die von der Lösung grundlegender Probleme ablenkte und zu einer Konzentration auf Krieg und den Bau von Denkmälern führte. Der letzte Punkt unserer Liste, der Handel mit äußeren, freundlich gesonnenen Gesellschaften oder seine Beendigung, scheint für die Aufrechterhaltung der Maya-Gesellschaft oder als Ursache für ihren Sturz keine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Obsidian (der bevorzugte Rohstoff zur Herstellung von Steinwerkzeugen), Jade, Gold und Muschelschalen wurden zwar in das Gebiet der Maya importiert, die drei zuletzt genannten Waren waren aber Luxusgüter und als solche nicht lebenswichtig. Obsidianwerkzeuge waren im Gebiet der Maya noch lange nach dem politischen Zusammenbruch weit verbreitet, dieses Gestein war also offenbar niemals knapp.
Um die Maya zu verstehen, sollten wir zunächst ihre Umwelt betrachten, die wir uns meist als »Dschungel« oder »tropischen Regenwald« vorstellen. Diese Vorstellung ist falsch, und dass wir sie haben, hat einen wichtigen Grund. Genau genommen, gedeihen tropische Regenwälder in äquatornahen Gebieten mit starkem Niederschlag, wo es das ganze Jahr über nass oder feucht ist. Die Heimat der Maya liegt aber mehr als 1500 Kilometer vom Äquator entfernt auf 17 bis 22 Grad nördlicher Breite in einem Lebensraum, den man als »jahreszeitlichen tropischen Wald« bezeichnen würde. Das heißt, es gibt dort zwar von Mai bis Oktober eine Regenzeit, aber von Januar bis April ist es relativ trocken. Konzentriert man sich auf die feuchten Monate, kann man die Heimat der Maya als »jahreszeitlich tropischen Wald« bezeichnen. Betrachtet man dagegen vorwiegend die trockenen Monate, spricht man besser von einer »jahreszeitlichen Wüste«.
Auf der Halbinsel Yucatan steigt der Niederschlag von Norden nach Süden von 450 auf 2500 Millimeter, und auch der Mutterboden wird dicker; deshalb war der südliche Teil der Halbinsel landwirtschaftlich produktiver, und dort konnte eine dichtere Bevölkerung leben. Aber der Niederschlag schwankt in der Region der Maya unberechenbar von Jahr zu Jahr; in jüngerer Zeit lag er in manchen Jahren drei- oder viermal so hoch wie in anderen. Auch die zeitliche Verteilung der Niederschläge im Lauf eines Jahres ist nicht genau vorherzusehen; deshalb kann es leicht vorkommen, dass Bauern in Erwartung des Regens ihre Nutzpflanzen anbauen, und dann stellt der Niederschlag sich nicht zur erhofften Zeit ein. Daher erleben Bauern, die heute in der ehemaligen Heimat der Maya Mais anbauen, insbesonders die im Norden häufig Missernten. In alter Zeit hatten die Maya vermutlich mehr Erfahrung, sodass sie besser zurechtkamen, aber auch für sie bestand die Gefahr von Missernten durch Trockenheit und Wirbelstürme.
Obwohl der südliche Teil des Mayagebietes mehr Niederschlag verzeichnet als der Norden, wiegen Wasserprobleme im feuchten Süden paradoxerweise schwerer. Dies machte den Maya dort das Leben schwer, aber auch heutige Archäologen haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen: Sie verstehen kaum, warum die Dürre früher im feuchten Süden größere Probleme verursachte als im trockenen Norden. Die Erklärung liegt wahrscheinlich in einer Süßwasser-Lagerstätte unter der Yucatan-Halbinsel: An der Oberfläche steigt das Gelände von Norden nach Süden an, sodass das Gebiet im Süden viel höher über dem Grundwasserspiegel liegt. Im Norden der Halbinsel ist das Gelände so niedrig, dass die Maya in alter Zeit mit tiefen Löchern (Cenotes) oder in Höhlen zum Grundwasser vorstoßen konnten; jeder Tourist, der schon einmal die Mayastadt Chichen Itza besichtigt hat, wird sich dort an die großen Cenotes erinnern. In den tief liegenden Küstengebieten des Nordens, wo es keine solchen Löcher gibt, dürften die Maya mit selbst gegrabenen, bis zu 25 Meter tiefen Brunnen das Grundwasser erreicht haben. Reichlich verfügbar ist Wasser auch in vielen Teilen von Belize, wo es Flüsse gibt, sowie entlang des Usumacinta im Westen und rund um einige Seen in der Region Peten im Süden. Aber zu einem großen Teil liegt der Süden so hoch über dem Grundwasserspiegel, dass Cenotes oder Brunnen nicht bis zu ihm hinabreichen. Noch schlimmer wird die Sache, weil die Halbinsel Yucatan zu einem beträchtlichen Teil aus Karst besteht, einem Gelände aus porösem, schwammartigem Kalkstein, der den Niederschlag sofort in den Boden ableitet, sodass an der Oberfläche kaum noch Wasser zur Verfügung steht.
Wie kam die dichte Mayabevölkerung im Süden mit den Wasserproblemen zurecht? Anfangs ist man überrascht, dass sie ihre Städte vielfach nicht in der Nähe der wenigen Flüsse bauten, sondern auf Klippen im gebirgigen Hochland. Dies erklärt sich dadurch, dass die Maya Senken aushoben, natürliche Senken abwandelten und dann deren Boden abdichteten, sodass der Karst undurchlässig wurde. Auf diese Weise schufen sie Zisternen und Reservoire, die den Regen aus großen, mit Gips ausgekleideten Auffangbecken sammelten und für die Trockenzeit speicherten. Die Reservoire der Mayastadt Tikal beispielsweise fassten so viel Wasser, dass 10 000 Menschen 18 Monate lang genug zu trinken hatten. In der Stadt Coba zogen die Maya Dämme rund um einen See, um seinen Wasserspiegel steigen zu lassen und die Wasserversorgung zuverlässiger zu gestalten. Aber die Bewohner in Tikal und anderen Städten, die mit ihrem Trinkwasser auf Reservoire angewiesen waren, hätten nach wie vor große Schwierigkeiten bekommen, wenn es in einer ausgedehnten Dürrephase 18 Monate oder länger nicht geregnet hätte. Schon eine kürzere Trockenzeit, in der die Nahrungsmittelvorräte zur Neige gingen, hätte zu einer Hungersnot geführt, denn um Nutzpflanzen anzubauen, braucht man keine Reservoire, sondern Regen.
Von besonderer Bedeutung sind in unserem Zusammenhang die Einzelheiten der Maya-Landwirtschaft; ihre Grundlage waren Nutzpflanzen, die man in Mexiko domestiziert hatte - an erster Stelle stand dabei der Mais, die zweitgrößte Bedeutung hatten Bohnen. Wie man aus der Isotopenanalyse alter Mayaskelette ablesen kann, machte Mais sowohl bei der Oberschicht als auch bei den einfachen Leuten mindestens 70 Prozent der Ernährung aus. Als einzige Haustiere hielten sie Hunde, Puten, Moschusenten und stachellose Bienen, die Honig lieferten; die wichtigsten wilden Fleischlieferanten waren Hirsche sowie an manchen Stellen auch Fische. Die wenigen Tierknochen an den archäologischen Stätten der Maya lassen jedoch daraufschließen, dass Fleisch insgesamt nur in geringen Mengen zur Verfügung stand. Wildbret war vorwiegend ein Luxus für die herrschende Klasse.

Früher glaubte man, die Maya hätten Landwirtschaft mit Brandrodung betrieben: Dabei wird Wald abgeholzt und abgebrannt, auf den so entstandenen Feldern baut man höchstens einige Jahre lang Nutzpflanzen an, und wenn der Boden erschöpft ist, werden die Flächen für 15 bis 20 Jahre aufgegeben, bis die Fruchtbarkeit sich durch die nachwachsende wilde Vegetation regeneriert hat. Da bei Brandrodung zu jedem Zeitpunkt ein großer Teil der Landschaft brachliegt, ermöglicht sie nur eine bescheidene Bevölkerungsdichte. Deshalb war es für die Archäologen eine überraschende Entdeckung, dass die Bevölkerungsdichte bei den Maya, die man aufgrund der Zahl steinerner Fundamente von Bauernhäusern abschätzen kann, häufig viel größer war, als eine Landwirtschaft mit Brandrodung es zulassen würde. Die wirklichen Zahlen sind heftig umstritten und waren offenbar in den einzelnen Regionen unterschiedlich, häufig werden aber Schätzungen von 100 bis 300, möglicherweise auch 600 Menschen pro Quadratkilometer genannt. (Zum Vergleich: Selbst heute haben die beiden am dichtesten besiedelten Staaten Afrikas, Ruanda und Burundi, eine Bevölkerungsdichte von 300 beziehungsweise 220 Menschen je Quadratkilometer.) Die alten Maya müssen also in der Lage gewesen sein, ihre landwirtschaftliche Produktion weit über das hinaus zu steigern, was allein mit Brandrodung möglich gewesen wäre.
In vielen Gebieten der Maya findet man die Überreste landwirtschaftlicher Einrichtungen, die zur Produktionssteigerung dienten: Terrassen an den Berghängen hielten Boden und Feuchtigkeit fest, Bewässerungssysteme oder Kanalnetze entwässerten die Felder. Diese Systeme, die nachweislich auch in anderen Gebieten auf der Erde existierten, waren nur mit großem Aufwand zu bauen, belohnten die Mühe aber mit einer Steigerung der Nahrungsmittelproduktion. Man grub Kanäle, um das Wasser aus nassen Gebieten abzuleiten, düngte die Felder zwischen den Kanälen und hob sie an, indem man Schlamm und Wasserpflanzen aus den Kanälen darauf verteilte, und verhinderte so, dass die Felder selbst überschwemmt wurden. Die Bauern ernteten auf solchen Feldern nicht nur Nutzpflanzen, sondern in den Kanälen »züchteten« sie auch wilde Fische und Schildkröten als zusätzliche Lebensmittellieferanten. In anderen Gebieten der Maya dagegen, beispielsweise in den gut untersuchten Städten Copan und Tikal, findet man kaum archäologische Spuren für Terrassenbau, Bewässerung oder aufgeschüttete und entwässerte Felder. Hier müssen die Bewohner zur Steigerung der Lebensmittelproduktion andere Mittel angewendet haben, die keine archäologischen Spuren hinterlassen haben, beispielsweise Düngung, Überschwemmungswirtschaft, Verkürzung der Zeiten, in denen man die Felder brachliegen ließ, Pflügen des Bodens zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit, oder im Extremfall ein völliger Verzicht auf die Brachperiode; in diesem Fall erntete man jedes Jahr oder in besonders feuchten Gebieten sogar zweimal im Jahr.
In Gesellschaften mit einer Schichtstruktur, wie sie heute in Nordamerika und Europa existieren, produzieren Bauern die Lebensmittel; andere Berufsgruppen, beispielsweise Beamte und Soldaten, erzeugen selbst keine Nahrung, sondern verbrauchen nur die Produkte der Bauern und verhalten sich diesen gegenüber letztlich als Parasiten. In jeder Schichtengesellschaft müssen die Bauern also so viel Nahrungsmittelüberschüsse produzieren, dass nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt werden, sondern auch die der anderen Verbraucher. Wie viele Verbraucher davon leben können, ohne selbst etwas zu produzieren, hängt von der landwirtschaftlichen Produktivität einer Gesellschaft ab. In den heutigen Vereinigten Staaten mit ihrer sehr effizienten Landwirtschaft stellen die Bauern nur zwei Prozent der Bevölkerung, und jeder Bauer kann im Schnitt 125 andere Menschen ernähren. Die altägyptische Landwirtschaft war zwar wesentlich weniger leistungsfähig als ihr modernes, mechanisiertes Gegenstück, aber auch ein ägyptischer Bauer produzierte bereits das Fünffache der Nahrungsmenge, die er für sich selbst und seine Familie brauchte. Bei den Maya erzeugte ein Bauer nur das Doppelte dieser Menge. Dort bestand die Gesellschaft zu mindestens 70 Prozent aus Bauern. Die Landwirtschaft der Maya unterlag nämlich mehreren Beschränkungen.
Erstens produzierte sie wenig Protein. Mais, die bei weitem vorherrschende Getreidesorte, hat einen geringeren Proteingehalt als Weizen und Gerste, die Grundnahrungsmittel der Alten Welt. Die wenigen essbaren Haustiere, die bereits erwähnt wurden, waren allesamt klein und lieferten viel weniger Fleisch als die Kühe, Schafe, Schweine und Ziegen der Alten Welt. Die Maya mussten mit einer geringeren Auswahl von Nutzpflanzen auskommen als die Bauern in den Anden, die neben dem Mais auch über Kartoffeln, die proteinreiche Reismelde (auch Quinoa genannt) und viele andere Pflanzen sowie über Lamas als Fleischlieferanten verfügten, und dieses Spektrum war wiederum geringer als das der verschiedenen Nutzpflanzen in China und im Westen Eurasiens.
Eine weitere Beschränkung bestand darin, dass der Maisanbau der Maya weniger intensiv und produktiv war als die chinampas (eine sehr produktive Art der Landwirtschaft auf angeschütteten Feldern) der Azteken, die angeschütteten Felder der Tiwanaku-Kultur in den Anden, die Moche-Bewässerungssysteme an der Küste Perus oder die Felder in großen Teilen Eurasiens, auf denen die Pflüge von Tieren gezogen wurden.
Ein ganz anderes Hindernis war das feuchte Klima im Gebiet der Maya: Länger als ein Jahr konnte man den Mais hier kaum aufbewahren. Die Anasazi dagegen, die im trockenen Klima des nordamerikanischen Südwestens zu Hause waren, lagerten ihn bis zu drei Jahre lang.
Und schließlich hatten die Indianer in den Anden ihre Lamas, und die Menschen der Alten Welt verfügten über Pferde, Ochsen, Esel und Kamele. Die Maya dagegen besaßen keine Tiere zum Transport oder zum Pflügen. Waren konnten auf dem Landwege ausschließlich auf dem Rücken von Trägern transportiert werden. Wenn man aber einen Träger mit einer Ladung Mais als Begleitung einer Armee in die Schlacht schickt, wird ein Teil der Maisladung für den Träger selbst auf dem Hinweg gebraucht, einen weiteren Teil verzehrt er auf dem Rückweg, und nur ein Bruchteil steht für die Ernährung der Armee zur Verfügung. Je länger der Weg, desto weniger bleibt von der Ladung übrig, wenn der Träger seine eigenen Bedürfnisse befriedigt hat. Schon, wenn der Marsch nur einige Tage oder bis zu einer Woche dauert, wird es unwirtschaftlich, Mais zur Versorgung von Armeen oder Märkten mit Trägern zu transportieren. Wegen der geringen Produktivität ihrer Landwirtschaft und des Fehlens von Zugtieren unterlagen die Maya, was Dauer und Entfernung militärischer Feldzüge anging, engen Beschränkungen.
Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt, dass nicht die Nahrungsversorgung, sondern die Qualität der Waffen über militärische Erfolge bestimmt. Dagegen liefert die Geschichte der neuseeländischen Maori ein klares Beispiel dafür, wie eine Verbesserung der Lebensmittelversorgung entscheidend zum militärischen Erfolg beitragen kann. Die Maori sind das polynesische Volk, das sich als Erstes in Neuseeland niederließ. Sie führten untereinander traditionell häufig Kriege, die sich aber nur gegen eng benachbarte Stämme richteten. Solche Auseinandersetzungen wurden durch die bescheidene Produktivität der Landwirtschaft eingegrenzt, in der Süßkartoffeln das Grundnahrungsmittel bildeten. Das Gemüse in ausreichenden Mengen anzubauen, sodass man damit eine Armee auf dem Schlachtfeld oder auf längeren Märschen über geraume Zeit ernähren konnte, war nicht möglich. Als die ersten Europäer nach Neuseeland kamen, brachten sie die Kartoffeln mit, und das führte ungefähr seit 1850 bei den Maori zu deutlich steigenden landwirtschaftlichen Erträgen. Jetzt konnte man genügend Nahrung anbauen, um Streitkräfte an der Front über viele Wochen hinweg zu versorgen. Die Folge: In den 15 Jahren von 1818 bis 1833 überfielen Maoristämme, die von den Engländern bereits Kartoffeln und Feuerwaffen übernommen hatten, viele hundert Kilometer entfernte Nachbarstämme, die noch nicht über diese Hilfsmittel verfügten. Der produktive Kartoffelanbau hob also die Beschränkungen auf, denen die Maori in ihrer Kriegsführung bis dahin unterlegen hatten; ganz ähnliche Beschränkungen galten auch für die Maya mit ihrer wenig produktiven, auf Mais basierenden Landwirtschaft.
Solche Zusammenhänge mit der Lebensmittelversorgung sind vermutlich zumindest teilweise auch eine Erklärung dafür, warum die Gesellschaft der Maya politisch in kleine Königreiche aufgeteilt war, die ständig untereinander Krieg führten und sich nie vereinigten, ganz anders als die Azteken mit ihrem Reich im Tal von Mexiko (die sich mit ihrer chinampa-Landwirtschaft und anderen Formen intensiven Anbaues ernährten) oder die Inkas mit ihrem Andenreich (deren vielfältige landwirtschaftliche Produkte von Lamas auf gut ausgebauten Straßen transportiert wurden). Armeen und Verwaltungsapparat der Maya blieben klein. (Noch viel später, im Jahr 1848, als eine Armee der Maya gegen die mexikanischen Machthaber revoltierte und kurz vor dem Sieg zu stehen schien, musste sie die Kämpfe abbrechen und nach Hause gehen, um die Maisernte einzubringen.) Viele Maya-Königreiche hatten eine Bevölkerung von nur 25 000 bis 50 000 Menschen, und mehr als eine halbe Million waren es nirgendwo; alle Bewohner lebten in einem Umkreis von zwei bis drei Tagemärschen um den Königspalast. (Die tatsächlichen Zahlen sind wiederum unter Archäologen heftig umstritten.) Von der Spitze der Tempel mancher Königreiche konnte man jeweils den Tempel des Nachbarreiches sehen. Die Städte der Maya blieben klein (meist mit einer Fläche von nicht mehr als zweieinhalb Quadratkilometern) und hatten weder die große Bevölkerung noch die gewaltigen Märkte wie Teotihuacan und Tenochtitlan im Tal von Mexiko oder wie Chan-Chan oder Cuzco in Peru. Ebenso gibt es keine archäologischen Anhaltspunkte für eine vom König verwaltete Lagerung und den Handel mit Lebensmitteln, die für das antike Griechenland und Mesopotamien charakteristisch waren.
Machen wir nun einmal einen Schnellkurs in MayaGeschichte. Das Gebiet der Maya gehört zu Mittelamerika, einer größeren Kulturregion der amerikanischen Ureinwohner, die sich ungefähr von der Mitte Mexikos bis nach Honduras erstreckt und (neben den südamerikanischen Anden) in der präkolumbianischen Neuen Welt eines der beiden Innovationszentren darstellte. Die Maya hatten viele Gemeinsamkeiten mit anderen Gesellschaften Mittelamerikas, und zwar nicht nur in dem, was sie besaßen, sondern auch in jenem, was ihnen fehlte. Heutigen Angehörigen der abendländischen Gesellschaft, deren Erwartungen aus den Kulturen der Alten Welt erwachsen, mag es beispielsweise überraschend erscheinen, dass es in den mittelamerikanischen Gesellschaften keine Metallwerkzeuge gab, keine Rollen, Räder und andere Maschinen (außer hier und da als Spielzeug), keine Boote mit Segeln, und keine Tiere, die groß genug waren, um Lasten zu tragen oder einen Pflug zu ziehen. Die großartigen Tempel der Maya wurden ausschließlich mit Werkzeugen aus Stein und Holz sowie mit menschlicher Muskelkraft errichtet.
Viele Bestandteile ihrer Kultur bezogen die Maya aus anderen Regionen Mittelamerikas. Landwirtschaft, Städte und Schrift entstanden beispielsweise zunächst außerhalb des eigentlichen Mayagebietes in den Tälern und in Küstenniederungen des Westens und Südwestens, wo Mais, Bohnen und Kürbisse domestiziert wurden und seit etwa 3000 v. Chr. wichtige Bestandteile der Ernährung darstellten. Keramik entstand um 2500 v. Chr. Dörfer gab es seit 1500 v. Chr. und die ersten Städte der Olmeken um 1200 v. Chr. Die Schrift tauchte erstmals um 600 v. Chr. bei den Zapoteken in Oaxaca auf, und die ersten Staaten entstanden um 300 v. Chr. Auch zwei einander ergänzende Kalender, ein Sonnenkalender mit 365 Tagen und ein ritueller Kalender mit 260 Tagen, entstanden außerhalb des Mayagebietes. Andere Elemente ihrer Kultur wurden von den Maya selbst erfunden, vervollkommnet oder abgewandelt.
Innerhalb des Mayagebietes tauchten Dörfer und Keramik um oder kurz nach 1000 v. Chr. auf, größere Bauwerke gab es seit 500 v. Chr. und die Schrift ungefähr seit 400 v. Chr. Alle erhaltenen schriftlichen Zeugnisse der alten Maya, insgesamt rund 15 000 Inschriften, befinden sich auf Stein oder Keramik und haben ausschließlich Könige, Adlige und ihre Eroberungen zum Inhalt. Einfache Leute werden kein einziges Mal erwähnt. Bei Eintreffen der Spanier schrieben die Maya ihre Bücher immer noch auf Rindenpapier, das mit Gips beschichtet war; die einzigen vier Werke, die den Verbrennungen des Bischofs Landa entgingen, waren Abhandlungen über Astronomie und ein Kalender. Auch früher besaßen die Maya solche Bücher aus Rindenpapier; diese sind häufig auf Keramikgegenständen dargestellt, aber nur aufgelöste Überreste davon haben sich bis heute in Gräbern erhalten.
Der berühmte Lange Kalender der Maya beginnt am 11. August des Jahres 3114 v. Chr. genau wie unser eigener Kalender am 1. Januar des ersten Jahres der christlichen Zeitrechnung beginnt. Welche Bedeutung dieser »Tag Null« unseres Kalenders hat, wissen wir: Er bezeichnet angeblich den Anfang des Jahres, in dem Christus geboren wurde. Vermutlich legten auch die Maya ihrem »Tag Null« eine besondere Bedeutung bei, aber worin sie bestand, wissen wir nicht. Die ersten bis heute erhaltenen Daten des Langen Kalenders sind das Jahr 197 n. Chr. auf einem Bauwerk im Mayagebiet und das Jahr 36 v. Chr. außerhalb davon; aus beiden kann man auf den 11. August 3114 v. Chr. als Tag Null des Langen Kalenders zurückrechnen, obwohl es zu jener Zeit und noch 2500 Jahre danach nirgendwo in der Neuen Welt eine Schrift gab.
Unser Kalender ist in die Einheiten der Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende unterteilt: Mit dem Datum 19. Februar 2003 beispielsweise, an dem ich den ersten Entwurf dieses Absatzes schrieb, bezeichnen wir den neunzehnten Tag des zweiten Monats im vierten Jahr des ersten Jahrzehnts im ersten Jahrhundert des dritten Jahrtausends nach der Geburt Christi. Auf ganz ähnliche Weise benennt auch der Lange Kalender der Maya Daten in den Einheiten der Tage (kn), 20 Tage (uinal), 360 Tage (tun), 7200 Tage oder ungefähr 20 Jahre (katunn) und 144 000 Tage oder ungefähr 400 Jahre (baktun). Die gesamte Geschichte der Maya fällt in die baktuns 8, 9 und 10.
Die so genannte klassische Periode der Maya-Kultur beginnt im baktun 8, ungefähr 250 n. Chr.; zu dieser Zeit findet man erstmals Hinweise auf der Könige und Dynastien. Die Experten für Maya-Schrift kennen unter den Glyphen (Schriftzeichen) auf den Denkmälern einige Dutzend, die jeweils in bestimmten geographischen Gebieten gehäuft auftreten und nach heutiger Kenntnis ungefähr die Bedeutung von Dynastien oder Königreichen haben. Neben den Königen, die ihre eigenen Namen-Glyphen und Paläste besaßen, hatten auch viele Adlige besondere Inschriften und große Bauwerke. In der Gesellschaft der Maya war der König gleichzeitig auch Hoher Priester. Ihm fiel also die Aufgabe zu, astronomische und kalendarische Rituale zu vollziehen, um auf diese Weise für Regen und Wohlstand zu sorgen; aufgrund seiner angeblichen Verwandtschaft mit den Göttern nahm er für sich die übernatürliche Fähigkeit in Anspruch, beides herbeizuführen. Es fand also ein stillschweigender Tauschhandel statt: Die Bauern ermöglichten dem König und seinem Hofstaat eine luxuriöse Lebensweise, lieferten ihm Mais und Wildbret und bauten seine Paläste, weil er ihnen im Gegenzug große Versprechungen machte. Wie wir noch genauer erfahren werden, bekamen die Könige Schwierigkeiten mit ihren Bauern, wenn eine Dürre einsetzte, denn das war gleichbedeutend mit dem Bruch eines königlichen Versprechens.
Ungefähr seit 250 n. Chr. wuchsen die Bevölkerung der Maya (die man aus der Zahl archäologisch belegter Stellen mit Häusern ableiten kann), die Zahl der Denkmäler und Bauwerke sowie die Zahl der im Langen Kalender angegebenen Daten auf Denkmälern und Keramikgegenständen fast exponentiell an, bis sie im 8. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten. Gegen Ende dieser klassischen Periode entstanden die größten Bauwerke. Im 9. Jahrhundert ging die Zahl aller drei Indikatoren einer komplexen Gesellschaft zurück, und das letzte Kalenderdatum auf einem Bauwerk wurde im baktun 10 angebracht, das heißt im Jahr 909 n. Chr. Dieser Niedergang der Bevölkerung, der Architektur und des Langen Kalenders der Maya ist gleichbedeutend mit dem klassischen Zusammenbruch ihrer Gesellschaft.
Als Beispiel für den Niedergang wollen wir eine kleine, aber dicht bebaute Stadt genauer betrachten. Ihre Ruinen befinden sich im Westen des heutigen Honduras an einer Stelle, die unter dem Namen Copan bekannt ist und in jüngster Zeit von dem Archäologen David Webster in zwei Büchern beschrieben wurde. Unter landwirtschaftlichen Gesichtspunkten liegt das beste Land in der Umgebung von Copan in fünf kleinen Ebenen mit fruchtbarem Boden, die sich entlang eines Flusses erstrecken und insgesamt die winzige Fläche von nur rund 26 Quadratkilometern haben; die größte dieser fünf Flächen, Copan Pocket genannt, hat eine Fläche von nur 13 Quadratkilometern. Zum größten Teil besteht die Landschaft rund um Copan aus steilen Bergen; fast die Hälfte dieser Gebirgsflächen hat eine Steigung von über 16 Prozent. Der Boden ist im Gebirge weniger fruchtbar, säurehaltiger und phosphatärmer als im Tal. Heute liefern Felder am Talboden einen zwei- bis dreimal höheren Maisertrag als solche an den Abhängen, die bereits nach zehn Jahren der landwirtschaftlichen Nutzung durch Erosion drei Viertel ihrer Produktivität verlieren.
Nach der Anzahl der Häuser zu schließen, stieg die Bevölkerungszahl im Tal von Copan seit dem 5. Jahrhundert stark an und erreichte in der Zeit zwischen 750 und 900 n. Chr. mit rund 27 000 Menschen ihren Höhepunkt. Die schriftliche Überlieferung der Maya von Copan beginnt nach dem Langen Kalender zu einem Zeitpunkt, der dem Jahr 426 n. Chr. entspricht; auf späteren Denkmälern ist rückblickend verzeichnet, dass damals eine Person eintraf, die mit den Adligen von Tikal und Teotihuacan verwandt war. Insbesondere zwischen 650 und 750 n. Chr. wurden in großem Umfang königliche Denkmäler errichtet, auf denen die Herrscher verherrlicht wurden. Ungefähr seit 700 n. Chr. traten neben den Königen auch andere Adlige hervor und errichteten eigene Paläste; um das Jahr 800 n. Chr. gab es etwa zwanzig solche Bauwerke, und eines davon bestand bekanntermaßen aus fünfzig Einzelgebäuden, die insgesamt 250 Menschen Platz boten. Alle diese Adligen und ihr Hofstaat bewirkten, dass der König mit seinem Hof für die Bauern eine immer größere Belastung bedeutete. Die letzten großen Bauwerke wurden in Copan um das Jahr 800 n. Chr. errichtet, und dem Langen Kalender zufolge wurde 822 n. Chr. zum letzten Mal ein unvollständiger Altar gebaut, der möglicherweise den Namen eines Königs trug.
Bei der archäologischen Untersuchung verschiedener Lebensräume im Tal von Copan stellte sich heraus, dass diese in einer regelmäßigen Abfolge besiedelt wurden. Anfangs wurde das große fruchtbare Landstück am Talboden landwirtschaftlich genutzt, dann folgten die vier anderen, kleineren Flächen. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung, aber die Berge wurden noch nicht besiedelt. Die gestiegenen Bedürfnisse mussten also dadurch befriedigt werden, dass man die landwirtschaftliche Produktion am Talboden durch kürzere Brachperioden, doppelte Ernten und möglicherweise auch Bewässerung intensivierte.
Ungefähr seit 650 n. Chr. siedelten die Menschen sich auch an den Berghängen an, aber Landwirtschaft betrieben sie dort nur ungefähr ein Jahrhundert lang. Der Anteil der Gesamtbevölkerung von Copan, der von den Tälern in die Berge auswich, erreichte einen Höchstwert von 41 Prozent und nahm dann ab, bis die Bevölkerung sich schließlich wieder auf die fruchtbaren Regionen im Tal konzentrierte. Warum zogen die Menschen sich aus dem Gebirge zurück? Wie man durch Ausgrabungen von Gebäudefundamenten am Talboden weiß, wurde dieser im 8. Jahrhundert durch neue Sedimentschichten bedeckt, das heißt, die Berghänge erodierten, und wahrscheinlich wurden auch Nährstoffe ausgewaschen. Dieser unfruchtbare, saure Gebirgsboden wurde dann ins Tal gespült und bedeckte dort die fruchtbaren Schichten, sodass sich die landwirtschaftlichen Erträge verminderten. Dass die Siedlungen im Gebirge damals so schnell aufgegeben wurden, entspricht der heutigen Erfahrung der Maya, dass Felder in den Bergen nicht besonders fruchtbar sind und dass ihr Boden schnell ausgelaugt ist.
Wie es im Gebirge zur Erosion kommt, ist klar: Die Wälder, die dort früher den Boden schützten, wurden abgeholzt. Wie man aus der Datierung von Pollenproben weiß, waren die Kiefernwälder, die ursprünglich den oberen Abschnitt der Berghänge bedeckt hatten, am Ende völlig verschwunden. Berechnungen zufolge dürfte das Kiefernholz vorwiegend als Brennstoff gedient haben, der Rest wurde als Bauholz oder zur Herstellung von Verputz verwendet. An anderen Ausgrabungsstätten aus der vorklassischen Mayazeit übertrieb man das Verputzen der Gebäude so, dass die Herstellung von Putz eine Hauptursache der Waldzerstörung gewesen sein dürfte. In der Folge kam es nicht nur zur Ansammlung von Sedimenten in den Tälern und zu einem Mangel bei der Holzversorgung, sondern auch zu einer »selbst gemachten Dürre« am Talboden: Wälder spielen für den Wasserkreislauf eine entscheidende Rolle, sodass das Abholzen von Wald einen Rückgang der Niederschlagsmenge zur Folge hat.
Man hat Hunderte von Skeletten aus den archäologischen Stätten von Copan auf poröse Knochen, Streifen an den Zähnen und andere Anzeichen von Krankheiten und Mangelernährung untersucht. Wie man an solchen Spuren erkennt, wurde der Gesundheitszustand der Bewohner von Copan zwischen 650 und 850 n. Chr. immer schlechter; dies galt sowohl für die herrschende Klasse als auch für die einfachen Leute, bei Letzteren verfiel die Gesundheit aber noch stärker.
Wie bereits erwähnt, wuchs die Bevölkerung von Copan während der Besiedlung der Berghänge stark an. Als dort später alle Felder aufgegeben wurden, fiel die Aufgabe, die zusätzlichen, früher in den Bergen ansässigen Menschen zu ernähren, in immer stärkerem Maße dem Talboden zu, und immer mehr Menschen konkurrierten um die Lebensmittel, die dort auf nur 25 Quadratkilometern produziert wurden. Das führte wie in unserer Zeit in Ruanda (Kapitel 10) zu Konflikten unter den Bauern, die sich um die besten Felder oder überhaupt irgendwelche Landflächen stritten. Der König von Copan konnte sein Versprechen - Regen und Wohlstand als Gegenleistung für Macht und Luxus -nicht mehr einlösen, und so wurde er zum Sündenbock für die Missernte. Das ist vermutlich der Grund, warum der letzte Beleg für einen König von Copan aus dem Jahr 822 n. Chr. (dem letzten dort gefundenen Langkalenderdatum) stammt und warum der Königspalast um 850 n. Chr. niedergebrannt wurde. Die anhaltende Produktion einer gewissen Menge von Luxusgütern lässt aber darauf schließen, dass einige Adlige ihren Lebensstil auch nach dem Sturz des Königs bis ungefähr 975 n. Chr. beibehalten konnten.
Aus datierbaren Obsidianstücken kann man schließen, dass die Gesamtbevölkerung von Copan langsamer zurückging als die Spuren der Könige und Adligen. Im Jahr 950 n. Chr. lebten dort Schätzungen zufolge immer noch rund 15 000 Menschen, das sind 54 Prozent des Spitzenwertes von 27 000. Aber die Bevölkerung schrumpfte weiter, und ungefähr seit 1250 n. Chr. gibt es keine Anzeichen mehr, dass im Tal von Copan noch irgendjemand wohnte. Dass in späterer Zeit wieder Pollen von Waldbäumen auftauchten, ist ein unabhängiger Beleg, dass das Tal irgendwann praktisch menschenleer war und dass die Wälder sich nun endlich erholen konnten.
Die gerade allgemein skizzierte Maya-Geschichte und insbesondere das Beispiel von Copan machen deutlich, warum wir von einem »Zusammenbruch bei den Maya« sprechen. Aber die Sache wird noch komplizierter, und das hat mindestens fünf Gründe.
Erstens gab es nicht nur den großen klassischen Zusammenbruch, sondern zuvor ereigneten sich an einigen Stellen mindestens zwei kleinere Debakel: Das Erste, das als präklassischer Zusammenbruch bezeichnet wird, spielte sich um das Jahr 150 n. Chr. in El Mirador und einigen anderen Städten ab, das andere (der so genannte Maya-Hiatus) Ende des 6. und Anfang des 7. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als an der gut untersuchten Ausgrabungsstätte Tikal keine Denkmäler mehr errichtet wurden. Auch in Gebieten, wo die Bevölkerung den klassischen Zusammenbruch überlebt hatte oder danach sogar angewachsen war, gab es später ähnliche Ereignisse, beispielsweise den Sturz von Chichen Itza um 1250 n. Chr. und von Mayapan um 1450 n. Chr.
Zweitens war der klassische Zusammenbruch offensichtlich nicht vollständig: Noch die Spanier trafen auf mehrere hunderttausend Maya - ihre Zahl war weitaus kleiner als in der klassischen Blütezeit, aber es waren immer noch erheblich mehr als in den anderen historischen Gesellschaften, die in diesem Buch eingehend erörtert werden. Diese Überlebenden konzentrierten sich in Gebieten mit einer stabilen Wasserversorgung, insbesondere im Norden mit seinen Cenotes, in den Küstenniederungen mit ihren Brunnen, an einem See im Süden und in niedriger Höhenlage entlang von Flüssen und Lagunen. Ansonsten aber verschwand die Bevölkerung im früheren Kernland der Maya im Süden fast vollständig.
Drittens spielte sich der Zusammenbruch der Bevölkerung (den man an der Zahl der Hausfundamente und der Obsidianwerkzeuge ablesen kann) in manchen Regionen wesentlich langsamer ab als der Rückgang der Zahl von Langkalenderdaten - dies habe ich im Zusammenhang mit Copan bereits erwähnt. Sehr schnell verschwanden beim klassischen Zusammenbruch aber die Institution der Königsherrschaft und der Lange Kalender.
Viertens waren viele scheinbare Zusammenbrüche von Städten in Wirklichkeit nur eine »Umverteilung der Macht«: Manche Städte wurden mächtiger, erlebten dann einen Niedergang oder wurden erobert und stiegen erneut auf, wobei sie ihre Nachbarn unterwarfen, ohne dass sich aber die Gesamtbevölkerung veränderte. Im Jahr 562 n. Chr. wurde Tikal beispielsweise von seinen Konkurrenten Carakol und Calakmul erobert, der König wurde gefangen genommen und getötet. Später gewann Tikal aber wieder zunehmend an Stärke, und 695 n. Chr. lange bevor der Ort wie viele andere Städte der Maya den klassischen Zusammenbruch erlebte (die letzten datierten Denkmäler aus Tikal stammen aus dem Jahr 869 n. Chr.), konnte es seine Widersacher unterwerfen. Auch die Macht von Copan nahm bis zum Jahr 738 n. Chr. zu, aber dann wurde sein König Waxaklahuun Ub’aah K’awil (ein Name, der den heutigen Maya-Fans besser in seiner unvergesslichen Übersetzung »18 Kaninchen« bekannt ist) von der konkurrierenden Stadt Quirigua gefangen genommen und zum Tode verurteilt; in den folgenden 50 Jahren jedoch gedieh Copan unter Königen, die eine glücklichere Hand hatten.
Und schließlich spielten sich Aufstieg und Fall der Städte in den verschiedenen Teilen des Mayagebietes unterschiedlich ab. So war beispielsweise die Region von Puuc im Nordwesten der Halbinsel Yucatan um das Jahr 700 n. Chr. fast menschenleer; nach 750 n. Chr. als die Städte im Süden zusammenbrachen, nahm die Bevölkerung dort explosionsartig zu, erreichte zwischen 900 und 925 n. Chr. ihren Höhepunkt und ging dann zwischen 950 und 1000 n. Chr. stark zurück. El Mirador, ein riesiger Ort in der Mitte des Mayagebietes mit einer der größten Pyramiden der Welt, wurde um 200 v. Chr. besiedelt und ungefähr 150 n. Chr. lange vor dem Aufstieg von Copan, wieder aufgegeben. Chichen Itza im Norden der Halbinsel wuchs nach 850 n. Chr. und war um 1000 das wichtigste Zentrum im Norden, aber um 1250 wurde es in einem Bürgerkrieg zerstört. Manche Archäologen stellen diese fünf Komplikationen in den Vordergrund und sprechen überhaupt nicht von einem klassischen Zusammenbruch der Maya. Dabei übersehen sie aber offenkundige Tatsachen, die eine Erklärung verlangen: das Verschwinden von 90 bis 99 Prozent der Mayabevölkerung nach 800 n. Chr. insbesondere in den zuvor dicht besiedelten Niederungen des Südens, und das Verschwinden von Königen, Langkalender und anderen komplexen politischen und kulturellen Institutionen. Deshalb ist hier von einem klassischen Zusammenbruch der Maya die Rede, und dieser Niedergang, der sowohl die Bevölkerung als auch die Kultur betraf, bedarf einer Erklärung.
Auch zwei andere Phänomene, die ich als verursachende Faktoren für den Zusammenbruch der Maya kurz erwähnt habe, erfordern eine genauere Erörterung: Krieg und Dürre.
Lange Zeit glaubten die Archäologen, die alten Maya seien ein sanftmütiges, friedliches Volk gewesen. Heute wissen wir, dass es zwischen ihnen ständig heftige, unlösbare kriegerische Konflikte gab, denn wegen der Beschränkungen bei Nahrung und Transportmitteln konnte kein einzelnes Maya-Fürstentum die gesamte Region zu einem großen Reich vereinigen. Aus den archäologischen Befunden kann man ablesen, dass die Kriege umso heftiger und häufiger wurden, je näher der klassische Zusammenbruch rückte. Den Beleg liefern mehrere Entdeckungen aus den letzten 55 Jahren: Archäologische Ausgrabungen förderten rund um viele Siedlungen der Maya massive Befestigungen zu Tage; auf steinernen Denkmälern und den berühmten Wandmalereien, die man 1946 in Bonampak entdeckte, finden sich lebhafte Darstellungen von Krieg und Gefangenen; und nachdem man die Schrift der Maya entziffert hatte, stellte sich heraus, dass Könige in vielen Inschriften mit ihren Eroberungen prahlen. In den Kämpfen versuchten die Könige, sich gegenseitig gefangen zu nehmen, und einer der unglückseligen Verlierer war der zuvor erwähnte König »18 Kaninchen« von Copan. Aus den Denkmälern und Wandmalereien geht deutlich hervor, wie grausam die Gefangenen gefoltert wurden: Man riss ihnen die Finger aus den Gelenken, zog ihnen Zähne, schnitt den Unterkiefer ab, trennte Lippen und Fingerspitzen ab, zog die Fingernägel heraus und trieb Stifte durch die Lippen. Den Höhepunkt bildete (manchmal erst mehrere Jahre später) die Opferung des Gefangenen auf ebenso unangenehme Weise - dem Delinquenten wurden beispielsweise in gekrümmter Haltung Arme und Beine zusammengebunden, und dann ließ man ihn die steile Steintreppe eines Tempels hinunterrollen.
Die Kriegführung der Maya umfasste mehrere gut belegte Arten der Gewalt: Kriege zwischen verschiedenen Königreichen, Aufstände einzelner Städte innerhalb eines Königreiches, um sich von der Hauptstadt abzuspalten, und Bürgerkriege aufgrund gewalttätiger Versuche potenzieller Könige, den Thron zu besetzen. Alle diese Formen wurden auf den Denkmälern beschrieben oder dargestellt, denn Könige und Adlige waren immer beteiligt. Dagegen hielt man die Konflikte zwischen einfachen Leuten einer Beschreibung nicht für wert; sie waren aber vermutlich noch häufiger: Als die Überbevölkerung zunahm und Landflächen knapp wurden, stritt man sich um deren Verteilung.
Um die Zusammenbrüche bei den Maya zu verstehen, muss man aber auch ein zweites Phänomen in Betracht ziehen: die immer wiederkehrenden Dürreperioden, die insbesondere von Mark Brenner, David Hodell, dem verstorbenen Edward Deevey und ihren Kollegen von der University of Florida untersucht und kürzlich in einem Buch von Richardson Gill genauer beschrieben wurden. Sedimentbohrkerne aus Seen der Mayazeit lieferten zahlreiche Messwerte, aus denen wir auf Trockenperioden und Umweltveränderungen schließen können. So fällt beispielsweise gelöster Gips (Calciumsulfat) in einem See aus und bildet Sedimente, wenn seine Konzentration durch die Verdunstung während einer Dürreperiode einen bestimmten Wert überschreitet. Auch Wasser, das Sauerstoff-18 enthält, ein schweres Isotop dieses Elements, reichert sich bei Trockenheit an, Wasser mit dem leichteren Isotop Sauerstoff-16 dagegen verdunstet. Weich- und Schalentiere in dem See nehmen Sauerstoff auf und bauen ihn in ihre Gehäuse ein; diese bleiben später in den Sedimenten des Sees erhalten und warten noch lange nach dem Tod der kleinen Tiere darauf, dass Klimaforscher die Sauerstoffisotope analysieren. Durch Radiokarbondatierung der Sedimentschichten kann man ungefähr feststellen, in welches Jahr die Dürreoder Niederschlagsperiode fiel, auf die man aufgrund der Gips- und Sauerstoffisotopenmessungen schließen kann. Die gleichen Sedimentbohrkerne aus den Seen liefern den Pollenforschern auch Informationen über die Waldzerstörung (die sich als Abnahme des Pollens aus Waldbäumen zugunsten einer Zunahme von Gräserpollen bemerkbar macht) und über Bodenerosion (die man an dicken Lehmablagerungen und Mineralstoffen aus dem ausgewaschenen Boden erkennt).
Auf der Grundlage solcher Untersuchungen an radiokarbondatierten Schichten aus Sedimentbohrkernen ziehen die Klimaforscher und Paläoökologen den Schluss, dass es im Gebiet der Maya zwischen 5500 und 500 v. Chr. relativ feucht war. Die nachfolgende Periode von 475 bis 250 v. Chr. unmittelbar vor dem Aufstieg der präklassischen Mayakultur, war eine Trockenzeit. Der Aufstieg in der präklassischen Zeit wurde vermutlich dadurch erleichtert, dass nach 250 v. Chr. wieder bessere Wetterbedingungen herrschten, danach jedoch fiel eine Dürre von 125 v. Chr. bis 250 n. Chr. mit dem Zusammenbruch der präklassischen Kultur in El Mirador und anderen Orten zusammen. Auf diesen Zusammenbruch folgten wiederum bessere Wetterbedingungen, und nun wurden die klassischen Mayastädte gebaut, unterbrochen nur vorübergehend durch eine Dürreperiode um 600 n. Chr. die man an einem Niedergang in Tikal und anderen Orten ablesen kann. Um 760 n. Chr. schließlich begann die schlimmste Dürre der letzten 7000 Jahre, und die Zeit um 800 n. Chr. als sie ihren Höhepunkt erreichte, ist verdächtig genau die Phase des klassischen Zusammenbruchs.
Bei sorgfältiger Analyse der Dürreperioden im Gebiet der Maya stellt man fest, dass sie in der Regel in Abständen von ungefähr 208 Jahren wiederkehrten. Diese Zyklen der Trockenheit dürften ihre Ursache in kleinen Schwankungen der Sonneneinstrahlung haben und verstärkten sich im Gebiet der Maya möglicherweise dadurch, dass die Grenze der unterschiedlichen Niederschlagsmengen auf Yucatan (im Norden trockener, im Süden feuchter) sich nach Süden verlagerte. Man sollte damit rechnen, dass solche Veränderungen der Sonneneinstrahlung sich nicht nur auf das Mayagebiet auswirkten, sondern in unterschiedlich starkem Ausmaß auf die ganze Welt. Tatsächlich konnten die Klimaforscher feststellen, dass auch einige andere Zusammenbrüche prähistorischer Kulturen weitab von der Region der Maya offensichtlich mit dem Höhepunkt solcher Dürreperioden zusammenfallen; dies gilt beispielsweise für den Zusammenbruch des weltweit ersten Großreiches (des Akkaderreiches in Mesopotamien) um 2170 v. Chr. für den Zusammenbruch der Kultur Moche IV an der Küste Perus um 600 n. Chr. und für den Zusammenbruch der Tiwanaku-Zivilisation in den Anden um 1100 n. Chr.
Nach der naivsten Form der Hypothese, dass Dürre zum klassischen Zusammenbruch beitrug, könnte man sich eine einzige Dürreperiode um das Jahr 800 n. Chr. vorstellen, die sich gleichermaßen auf das ganze Gebiet auswirkte und zur gleichen Zeit für den Niedergang aller Mayazentren sorgte. Aber wie wir bereits erfahren haben, trat der klassische Zusammenbruch in den einzelnen Zentren zu geringfügig unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen 760 und 910 n. Chr. ein, während andere Zentren verschont blieben. Deshalb stehen viele Mayaexperten der Vorstellung, die Dürre könne eine Rolle gespielt haben, skeptisch gegenüber. Aber bei angemessener Vorsicht würde ein Klimaforscher die Dürrehypothese auch nicht in dieser wenig plausiblen, übermäßig vereinfachten Form vertreten. Aus den Sedimentschichten, die von den Flüssen alljährlich in Küstennähe in die Meeresbuchten gespült wurden, kann man die Schwankungen in der Niederschlagsmenge von Jahr zu Jahr genauer ablesen. Dabei gelangt man zu dem Schluss, dass »die Dürre« um 800 n. Chr. in Wirklichkeit vier Höhepunkte hatte, von denen die beiden ersten weniger schwer wiegend waren: zwei trockene Jahre um 760 n. Chr. dann ein noch trockeneres Jahrzehnt von 810 bis 820 n. Chr. drei trockene Jahre um 860 n. Chr. und sechs nochmals trockenere Jahre um 910 n. Chr. Interessanterweise zog Richardson Gill aus den letzten Daten auf Steindenkmälern in verschiedenen großen Mayazentren den Schluss, dass der Zusammenbruch an den einzelnen Orten zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintrat, wobei man Häufungen um 810, 860 und 913 n. Chr. beobachtet; dies stimmt mit den Daten der drei besonders schweren Dürreperioden überein. Dass es in einem bestimmten Jahr an verschiedenen Orten unterschiedlich trocken war, wäre alles andere als verwunderlich; demnach führte eine Abfolge trockener Jahre in den einzelnen Mayazentren zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Zusammenbruch, und Zentren mit zuverlässiger Wasserversorgung aus Cenotes, Brunnen und Seen blieben verschont.
Am stärksten waren die Niederungen des Südens vom klassischen Zusammenbruch betroffen, und das aus zwei Gründen, die bereits erwähnt wurden: Es war das Gebiet mit der größten Bevölkerungsdichte, und die Wasserknappheit dürfte hier am stärksten gewesen sein, weil es so hoch über dem Grundwasserspiegel lag, dass man kein Wasser aus Cenotes oder Brunnen gewinnen konnte, wenn der Regen ausblieb. In dieser Region ging die Bevölkerung während des klassischen Zusammenbruches um 99 Prozent zurück. So hatte beispielsweise das zentrale Gebiet von Peten verschiedenen Schätzungen zufolge auf dem Höhepunkt der klassischen Periode zwischen drei Millionen und 14 Millionen Einwohner, aber als die Spanier kamen, waren nur noch etwa 30 000 Menschen übrig. Als Cortez und seine spanische Armee in den Jahren 1524 und 1525 durch das Gebiet zogen, wären sie fast verhungert, weil sie nur wenige Dörfer fanden, in denen sie sich Mais beschaffen konnten. Cortez kam in wenigen Kilometern Entfernung an den Ruinen der großen, klassischen Städte Tikal und Palenque vorüber, aber er sah und hörte davon nichts, weil sie vom Dschungel überwuchert waren und fast niemand in ihrer Nähe lebte.
Wie konnte eine derart riesige Bevölkerung von mehreren Millionen Menschen verschwinden? Die gleiche Frage haben wir in Kapitel 4 auch bereits im Zusammenhang mit der (zugegebenermaßen kleineren) Anasazi-Bevölkerung im Chaco Canyon gestellt. Ziehen wir die Parallele zu den Anasazi und späteren Gesellschaften der Pueblo-Indianer, die im Südwesten der heutigen USA ebenfalls Trockenperioden erlebten, so können wir zu dem Schluss kommen, dass einige Maya aus dem südlichen Tiefland überlebten, weil sie sich in den nördlichen Teil von Yucatan flüchteten, wo es Cenotes oder Brunnen gab und wo die Bevölkerung zur Zeit des Maya-Zusammenbruches rapide zunahm. Aber genau wie nichts dafür spricht, dass Tausende von Anasazi-Flüchtlingen als Einwanderer in die überlebenden Pueblos aufgenommen wurden, so gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass die Millionen Maya aus den südlichen Tiefebenen überlebten und als Einwanderer im Norden eine neue Heimat fanden. Wie in den Dürreperioden im Südwesten der heutigen USA, so ging auch die Maya-Bevölkerung sicher zum Teil dadurch zurück, dass Menschen verhungerten, verdursteten oder sich im Streit um die immer knapperen Ressourcen umbrachten. Auf der anderen Seite dürfte sich in der Abnahme auch die Tatsache widerspiegeln, dass die Geburtenrate oder der Anteil überlebender Kinder im Lauf mehrerer Jahrzehnte sank. Die Entvölkerung war also vermutlich sowohl auf eine höhere Sterblichkeit als auch auf eine geringere Geburtenrate zurückzuführen.
Wie an anderen Orten, so ist die Vergangenheit auch im Gebiet der Maya eine Lehre für die Gegenwart. Seit der Zeit der ersten Spanier ging die Bevölkerung des zentralen Gebietes von Peten weiter zurück, bis dort 1714 nur noch rund 3000 Menschen lebten; alle anderen waren durch Krankheiten oder aus anderen Gründen, die mit der spanischen Eroberung zu tun hatten, gestorben. Bis zu den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Bevölkerung des gleichen Gebietes wieder auf 25 000 gestiegen, aber auch das war noch nicht einmal ein Prozent der Zahl auf dem Höhepunkt der klassischen Mayaperiode. Danach strömten immer mehr Einwanderer nach Peten, sodass sich bis in die achtziger Jahre eine Bevölkerung von rund 300 000 Menschen angesammelt hatte und eine neue Ära der Waldzerstörung und Erosion in Gang setzte. Heute ist wiederum die Hälfte des Peten entwaldet und ökologisch zerstört. Von 1964 bis 1989 wurde in Honduras ein Viertel aller Waldflächen abgeholzt.
Wenn wir den klassischen Zusammenbruch der Mayagesellschaft zusammenfassen wollen, können wir vorläufig fünf Vorgänge unterscheiden. Ich muss allerdings einräumen, dass die Maya-Experten unter den Archäologen sehr unterschiedlicher Ansicht sind - teilweise deshalb, weil die einzelnen Faktoren in den verschiedenen Teilen des Mayagebietes von unterschiedlich großer Bedeutung waren, teilweise aber auch, weil nur manche Orte der Maya archäologisch eingehend untersucht sind und weil es nach wie vor ein Rätsel ist, warum große Teile des Maya-Kernlandes fast menschenleer blieben und sich nach dem Zusammenbruch nicht erholten, obwohl die Wälder nachgewachsen waren.
Trotz solcher Vorbehalte sieht es er für mich so aus, als ob das Bevölkerungswachstum, das die verfügbaren Ressourcen überforderte, einer dieser Faktoren war. Das Dilemma ähnelte jenem, das Thomas Malthus 1798 prophezeite und das sich heute in Ruanda (Kapitel 10), Haiti (Kapitel 11) und anderswo manifestiert. Der Archäologe David Webster formuliert es kurz und bündig so: »Zu viele Bauern haben in einem zu großen Teil der Landschaft zu viele Nutzpflanzen angebaut.« Zu diesem Missverhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Ressourcen kam dann der zweite Faktor hinzu: Waldzerstörung und Erosion der Berghänge, die zu einem Rückgang der nutzbaren Ackerflächen führte, und das zu einer Zeit, in der nicht weniger, sondern mehr landwirtschaftliche Flächen gebraucht wurden; verstärkt wurde der Effekt möglicherweise durch die Trockenheit, die die Menschen durch die Waldzerstörung herbeigeführt hatten, aber auch durch Nährstoffmangel im Boden und andere Bodenprobleme sowie durch die Bemühungen, Farne am Überwuchern der Felder zu hindern.
Der dritte Faktor waren die Kämpfe, die von immer mehr Menschen um immer weniger Ressourcen ausgefochten wurden. Die Kriege, unter denen die Maya schon immer gelitten hatten, erreichten kurz vor dem Zusammenbruch ihren Höhepunkt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass mindestens fünf Millionen Menschen, vielleicht aber auch viel mehr, in einem Gebiet von der Größe der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung (248 000 km2) zusammengedrängt waren. Durch den Krieg schrumpften die verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen noch weiter, weil zwischen den einzelnen Fürstentümern breite Streifen von Niemandsland entstanden, wo der Ackerbau gefährlich gewesen wäre. Zu allem Überfluss kam dann als weiterer Faktor der Klimawandel hinzu. Zurzeit des klassischen Zusammenbruches erlebten die Maya nicht zum ersten Mal eine große Dürre, aber es war die schwerste von allen. In früheren Trockenperioden hatte es im Gebiet der Maya noch unbewohnte Gegenden gegeben, sodass die Bewohner eines Ortes, der durch die Dürre gefährdet war, sich durch Auswanderung in andere Gegenden retten konnten. Zur Zeit des klassischen Zusammenbruchs dagegen war die Landschaft vollständig besiedelt; leere, nutzbare Gebiete, in denen man hätte neu anfangen können, gab es nicht mehr, und die wenigen Gebiete, die nach wie vor über eine zuverlässige Wasserversorgung verfügten, konnten nicht die gesamte Bevölkerung aufnehmen.
Was den fünften Faktor angeht, so müssen wir die Frage stellen, warum die Könige und Adligen diese offenkundigen Probleme, die ihre Gesellschaft gefährdeten, nicht erkannten und zu lösen versuchten. Anscheinend konzentrierten sie sich ausschließlich auf ihre kurzfristige Bereicherung, auf Kriege, auf den Bau von Denkmälern, auf die Konkurrenz mit ihresgleichen und auf die Frage, wie man den Bauern so viele Lebensmittel abnehmen konnte, dass alle diese Tätigkeiten möglich wurden. Wie die meisten Herrscher der Menschheitsgeschichte, so grübelten auch die Könige und Adligen der Maya nicht über langfristige Probleme, soweit sie diese überhaupt wahrnahmen. Wir werden auf das Thema in Kapitel 14 zurückkommen.
Auch wenn wir in diesem Buch noch einige andere Gesellschaften der Vergangenheit betrachten müssen, bevor wir unsere Aufmerksamkeit der modernen Welt zuwenden, fallen schon jetzt einige Parallelen zwischen den Maya und den in Kapitel 2 bis 4 erörterten Gesellschaften auf. Wie auf der Osterinsel, auf Mangareva und bei den Anasazi, so führten Umwelt- und Bevölkerungsprobleme auch bei den Maya zunehmend zu Kriegen und Unruhen. Wie auf der Osterinsel und im Chaco Canyon, so folgte der politische und gesellschaftliche Zusammenbruch auch hier sehr schnell auf den Höhepunkt der Bevölkerungszahl. Parallel zur Erweiterung der Landwirtschaft von den Küstenniederungen der Osterinsel in das Hochland und von den Mimbres-Überflutungsebenen in die Berge, so breiteten sich auch die Bewohner von Copan aus den Überschwemmungsgebieten in die empfindlicheren Bergregionen aus, und als der Landwirtschaftsboom in den Bergen zu Ende war, blieb eine größere Bevölkerung übrig. Und wie die Häuptlinge der Osterinsel, die immer größere Statuen errichteten und sie am Ende noch mit den pukao krönten, oder wie die Herrscher der Anasazi, die sich mit Halsketten aus 2000 Türkisperlen schmückten, so wollten auch die Mayakönige sich mit immer größeren, eindrucksvolleren Tempeln gegenseitig übertreffen. Die Tempel waren mit immer dickerem Verputz bedeckt - und das wiederum erinnert durchaus an den auffälligen Konsum heutiger amerikanischer Spitzenmanager. Vervollständigt wird unsere Liste der beunruhigenden Parallelen durch die Untätigkeit der Häuptlinge auf der Osterinsel und der Mayakönige angesichts echter, großer Gefahren, die ihre jeweiligen Gesellschaften bedrohten.