Das Ende des Schreckens
Stunden später sitzt Leszek Pekalski wieder im Besucherraum des Gefängnisses in Slupsk, doch er ist nicht ansprechbar.
Zusammengekauert auf einem Stuhl, nimmt er den Besucher nicht mehr wahr.
Seine Augen blicken wirr durch den Raum und er reagiert auf nichts mehr. Die Beamten merken, daß eine Kommuni-kation mit ihm nicht möglich ist. und führen ihn wie ein Häuflein Elend aus dem Raum. Ein Wärter erklärt sein Verhalten: »Alle Gefangenen, die eine hohe Haftstrafe erhalten haben, bekommen Beruhigungsmittel, damit wird die Selbst-mordrate an den ersten Tagen nach dem Urteil stark reduziert.«
»Aber Leszek Pekalski sagt doch immer, daß er Angst vor dem Tod hat.«
»Auch er ist nur ein Mensch. Auch, wenn er Leszek Pekalski heißt!«
Diese Aussage erinnert an sein schriftliches Geständnis, das damit endet: »Ich bereue, daß ich so vielen Menschen Schmuck weggenommen habe, weil ich kein Geld zum Leben hatte. Die Rente reichte nicht aus. Ich möchte das wieder gutmachen, aber wie soll das möglich sein? Es waren Ringe, Kleidungsstücke, Butterbrote und Geld.« Dann fügte er noch hinzu: »Von den Menschen, über die mich die Polizei verhört hat, erfuhr ich erst von ihr, daß sie tot sind.«
Leszek Pekalski hat sein Urteil erhalten – für ganz Polen ein lächerliches Urteil. Die Menschen befürchten, daß dieser Mann noch einmal auf freien Fuß gesetzt werden könnte, wie viele Mörder in Polen, wie man mir immer wieder bestätigt.
»Man hätte ihn aufhängen sollen, wie den ,Skorpion’ in Danzig, im Jahre 1988.« Das wird gefordert, von vielen Menschen in Polen. Pawel Tuchlin, der »Skorpion«, wie man ihn nannte, war der letzte Mörder in Polen, an dem die Todesstrafe vollstreckt wurde. Er hatte neun Menschen getötet und elf Opfer zwischen 1975 bis 1983 schwerverletzt.
Doch für Leszek Pekalski ist diese Strafe nicht einmal beantragt worden. Polen möchte in die EU aufgenommen werden, was mit Ländern, die die Todesstrafe noch vollstrecken, nicht geschieht.
Einsam verbringt Leszek Pekalski die Tage in seiner Zelle und wundert sich, daß kein Reporter mehr an ihn Fragen stellt oder ihn fotografiert. Er kann nicht begreifen, warum kein ausländischer Journalist mehr Tragetüten voller Geschenke bringt. Seine Vorräte an ausländischen Lebensmitteln gehen zu Ende, seine Rente ist über Jahre hinaus nicht mehr verfügbar.
Seine Zukunft verheißt auch, lange Zeit ohne Arbeit zu sein, das bedeutet, keinen Einkauf mehr im Gefängnis tätigen zu können. Im Klartext: keine Zigaretten, kein deutscher Kaffee und keine Schokolade mehr, die er doch so liebt. Keine Ausflüge mehr mit dem Staatsanwalt und der Polizei durch ganz Polen, keine Fahrten mehr zum Gericht, die ihm so viel Abwechslung gebracht haben. Er muß die Stille ertragen – die endlose Stille der Zelle 53 im Arrest der Strafanstalt in Slupsk.
Täglich fragt er nach Besuchern, wann man wieder mit ihm sprechen wolle, erzählt der Gefängnisdirektor. Erst jetzt, nach über vier Jahren Untersuchungshaft, lernt er die Härte eines Gefängnisses in Polen kennen. Spürt die Einsamkeit einer Zelle, fühlt die Enge dieses Raumes. Täglich will er in die kleine Kapelle in der Zelle nebenan, doch nun darf er diesen Ort nur noch einmal wöchentlich besuchen. Der Berg Pornohefte in dem kleinen Wandregal ist verschwunden, geblieben sind die Bibel und alte Zeitungen, die er schon auswendig kennt. Er fürchtet sich, daß irgendwann die Aufmerksamkeit der Wächter nachläßt, daß er eines Tages ganz allein sein wird mit den Stimmen der Mörder, Räuber und Diebe. Sie hassen solche wie ihn. Er weiß, sie wollen ihn verletzen, ihn töten für die »unbehaarten« Mädchen, die er auf dem Gewissen hat.
Kein Beamter kommt mehrmals am Tag an seine Tür, nur noch zum Empfang des Essens öffnet man eine kleine Luke. Der Hofgang wird nun zum Spießrutenlauf für ihn: Auf dem niedergetretenen Pfad entlang der Mauer wandert er, ein einsamer Mann. Gemästet mit Schokolade, gebeugt einher-gehend, niemandem mehr trauend, zieht er seine Kreise. Er hört nur noch die rauhen, heiseren Stimmen der Gefangenen, die ihm von der Gefängniswand entgegenhallen. Er kann sich dem Chor nicht mehr entziehen, dessen Botschaft als ewigwährendes Echo mit immer neuen Stimmen unaufhörlich auf ihn niederbraust. Er hält sich die Ohren zu, doch er hört sie, seine Häscher, die heute lauter schreien denn je: »Leszek, Leszek, du wirst sterben. Leszek, Leszek, bald kommt deine Zeit. Wir werden dich schlachten, dich quälen, dir die Gedärme aus dem Leib reißen. Warte, deine Zeit kommt.«
Er kann diesem Chor seiner Mitgefangenen nicht mehr entkommen. Nun sind seine Hofgangzeiten geregelt. Wasser schütten sie aus ihren Zellenfenstern auf ihn, der einsam, ängstlich seine Runden dreht. Der Platz, auf dem er Schritt für Schritt seine Kreise abläuft, ist auch über ihm vergittert, das schützt ihn wenigstens vor größeren Gegenständen.
Auch die Wärter haben sich ihm gegenüber verändert, ihm, dem »Star« von Zelle 53, denn es gibt auch für sie keine Geschenke mehr durch ihn und er bekommt das zu spüren. Aus seinen Augenwinkeln beobachtet er die Mitgefangenen. Er kann sie nicht erkennen hinter ihren dunklen Zellenfenstern, er sieht nicht, wer auf ihn lauert. Denn alle Gefangenen wünschen dieser Bestie den Tod, als einzige gerechte Strafe, die sie sich vorstellen können. Der Bankräuber kann nicht verstehen, warum er acht Jahre hier verbringen muß, wo er doch niemanden verletzt hat.
»Und dieses Schwein, der Kinder umgebracht hat und wehrlose Frauen, der bekommt nur fünfundzwanzig Jahre?«
»Ruhe da oben auf Zelle 46!« ruft der Wärter, der Leszeks Hofgang bewacht.
»Ist doch wahr«, lautet die Antwort und dabei wird das Zellenfenster geschlossen.
»So ist das Leben hier eben«, erklärt der Beamte und beendet den Hofgang zehn Minuten früher. Wortlos betritt Leszek den Bau und läßt sich wieder auf seine Zelle bringen.
Nach Wochen erfährt Leszek, der eigentlich zunächst Mitte Januar 1997 in eine große Strafanstalt zwischen Stettin und Slupsk gebracht werden sollte, daß er in eine psychiatrische Anstalt in Kostborowo gebracht wird. Dieses Krankenhaus liegt 60 Kilometer von Danzig entfernt und hat eine psychiatrische Abteilung.
Leszek freut sich, denn er weiß aus Erfahrung, daß es ihm dort sehr viel besser geht als im Gefängnis. Besseres Essen, nicht den ganzen Tag eingesperrt sein und Spaziergänge im Park, das würde ihn dort erwarten. Die Entscheidung des Gerichts ist gefallen und man bereitet sich auf den Transport vor. Doch die angestellten Ärzte und Krankenschwestern protestieren. Riesige Artikel in der Presse und Sendungen im polnischen Fernsehen wühlen die Volksseele erneut auf.
Niemand hat bedacht, daß dieses Krankenhaus über keine geschlossene Abteilung verfügt, die eine Flucht Leszeks unmöglich machen würde. Die Krankenschwestern und Ärzte sind empört und drohen zu streiken, wenn Leszek zu ihnen gebracht wird.
»Niemand kann die Sicherheit für all die Kranken in dieser Klinik garantieren, geschweige denn, für das Personal. Dieser Mann in unserer Klinik würde eine echte Gefahr darstellen.
Wie kann man einen solchen Mörder in ein normales Krankenhaus einliefern?« regt sich ein Arzt der Klinik auf und die Bevölkerung Polens gibt ihm recht.
So hallt durch die dunklen Gänge der Strafanstalt Slupsk weiter der Chor der Mitgefangenen, und täglich wird die Angst größer in Leszek Pekalski, daß sie das Angedrohte wahr machen.
Er weiß, nur ein Augenblick entscheidet im Zweifelsfall über sein Leben. Die Unachtsamkeit nur eines Beamten bedeutet Schmerzen oder seinen Tod. Er erinnert sich an einen kurzen Aufenthalt in einer Anstalt, in der er früher einsaß, wo Mitgefangene zum Teil wahrgemacht haben, wovon die Häftlinge in Slupsk träumen.
Damals wußte man noch nicht einmal andeutungsweise, wer er wirklich war, und trotzdem wurde er von vielen Männern vergewaltigt, zwangstätowiert und mit dem Tode bedroht.
Damals, als das Ausmaß des Schreckens noch ein Ende kannte.
Erschrocken hat er zur Kenntnis nehmen müssen, daß man ihn zunächst ausgerechnet dorthin bringen wird, bis eine neue psychiatrische Klinik gefunden ist, in der die nötige Sicherheit garantiert werden kann.
In ein Gefängnis, das keinen Gefangenen unter fünf Jahren Haft aufnimmt, einer Anstalt für Schwerstverbrecher, die gefürchtet ist bei den Gangstern in Polen. Noch kann er zumindest sein Leben genießen, doch wie lange noch?
Vielleicht hört er heute, wo es still um ihn geworden ist, die Schmerzensschreie seiner Opfer. Wer über Jahre recherchiert und versucht hat, alles über diesen Menschen zu erfahren, wird feststellen: Man kann nicht in Herzen sehen, wo keine sind.
Man kann nicht aus Sätzen lesen, gesprochen und entsprungen aus einem deformierten Gehirn, das nur den Freuden des Bösen gerecht wird.
»Ich war nicht böse, daß die Frauen mich so gemieden haben, aber es tat mir leid und ich war verzweifelt. Ich bin doch auch nur ein Mensch, auch wenn ich ein wenig gestört bin. Ich suche ein Mädchen, so zwischen 30 und 37 Jahren. Am besten wäre es, wenn es ein Mädchen ist, das vor allem keine Probleme macht, sollte es einmal zu einer Heirat kommen. Ich möchte wenigstens eine Freundin haben, ich bin doch noch so jung.«