Ein ungeklärter Fall
Der für das Gericht in Bytow zuständigen Staatsanwaltschaft liegt zu dieser Zeit, als Leszek seine Verhandlung bestreitet, ein ungeklärter Fall vor. Man scheint nicht weiterzukommen im Fall Sylwia R., einem 17jährigen Mädchen aus dem dortigen Landkreis, das auf brutalste Weise getötet wurde. Sie war neu hinzugezogen und niemand scheint sie richtig gekannt zu haben. Obwohl alle zur Verfügung stehenden Polizeikräfte damit beauftragt waren, nach verwertbaren Spuren zu suchen, kam die Staatsanwaltschaft nicht weiter. Wer konnte das Mädchen getötet haben? Am 30. Juni 1992 teilt die Kreis-staatsanwaltschaft von Bytow den Eltern des Opfers schließlich mit, daß die Untersuchungen im Falle Sylwia R. »eingestellt worden sind, da der Täter nicht ermittelt werden konnte«. Die Anklage gegen Unbekannt lautete auf: »Mord, Raub, Vergewaltigung und Leichenschändung.«
Ermittlungstechnische, standardisierte Methoden werden hier nicht angewandt, Fälle nicht verglichen, Beweismaterial nicht oder nur unzureichend gesichert oder sogar verschlampt.
Die Einstellung der Ermittlungen erfolgt fünf Monate vor Leszek Pekalskis Verurteilung als Vergewaltiger der 51jährigen Bäuerin. Niemand ahnt einen Zusammenhang zwischen beiden Taten. Leszek wird, nachdem er die Tat an Bernadetta B. gestanden hat, in den Polizeiakten nicht einmal als Vergewaltiger geführt. Die einzige Person, die etwas sagen könnte, schweigt – aus Scham und Angst. Denn bereits einen Tag vor ihrer Ermordung traf Sylwia ihren Mörder – und sie war nicht allein. Ihre beste Freundin, Janina C. begleitete sie.
Doch Janina sagte bei der Polizei bewußt falsch aus, damit ihre Eltern nicht erfahren, daß die beiden Mädchen sich mit einem fremden Mann getroffen haben. Sie schwieg, obwohl sie den Mörder hätte beschreiben und man ihn dadurch hätte dingfest machen können – früh, viel früher, als es dann tatsächlich der Fall war. Wie viele Menschen danach noch sterben mußten, kann bislang nur vermutet werden.
Nur vermutet werden kann auch, wie sich der Fall Leszek Pekalski ohne Jadwiga W. entwickelt hätte. Der Sekretärin des Staatsanwaltes fällt, als sie nach einigen Unterlagen sucht, eine Akte zu Boden. Ein Gutachten – sie hebt es auf und bemerkt, daß es aus der Akte Sylwia R. gefallen ist. Den Fall kennt sie, noch einmal blättert sie den grauenhaften Bericht durch, sieht sich noch einmal die Bilder des Leichenbeschauers an. Noch nie hat sie einen solchen Vorgang in den Händen gehalten – wann gibt es auch schon einen Sexualmord in dieser kleinen Stadt. Neugierig, was der Täter dem Opfer angetan hat, läßt sie dieser Fall nicht los. Immer wieder nimmt sie die Akte zur Hand. Für sie ist es einfach unverständlich, daß man den Täter nie gefunden hat, obwohl ihr Chef doch alle zur Verfügung stehenden Leute und Mittel eingesetzt haben will.
Einen Tag später fällt ihr – wieder durch Zufall wie sie später sagt – die Akte Leszek Pekalski in die Hände. Für diesen Fall erledigte sie die Terminüberwachung. Sie wird aufmerksam. »VERGEWALTIGUNG« liest sie auf dem Deckel der Akte in roter Schrift. Sie kennt den Fall, bei dem dieser Pekalski eine Bäuerin vergewaltigt und ihr schwere Verletzungen durch Schläge beigefügt hat. Und sie findet den Untersuchungsbefund der psychiatrischen Klinik.
Die letzten Sätze beunruhigen sie: Die Ärzte stellten fest, daß es sich bei ihm nicht um eine primitive Persönlichkeit handelt, er vielmehr sehr berechnend sei. Er könne als äußerst brutal angesehen werden. Er sei zu weit schwereren Verbrechen fähig. Ein solches Verbrechen sei ihm jederzeit wieder zuzutrauen. Immer stärker keimt in ihr der Verdacht, daß dieser Täter etwas mit dem Mord an Sylwia R. zu tun haben könnte, sie sieht Parallelen, wo es strenggenommen doch eigentlich keine gibt. Leszek hat eine 51jährige Bäuerin vergewaltigt, aber niemanden getötet. Dennoch: der Gedanke an diesen Mann läßt die Sekretärin nicht los. Sie sucht weiter und stellt verwundert fest, daß man Leszek Pekalski in Sachen R. nicht einmal vernommen hat – dabei war er doch auch ein Sexualtäter.
Beim Vergleich der ärztlichen Berichte, als sie die Verletzungen der beiden Opfer gegenüberstellt, beschleicht sie ein merkwürdiges Gefühl. Die Verletzungen weisen die gleiche Handschrift auf. Das äußerst brutale Vorgehen, die Schläge ins Gesicht, der Mißbrauch des bewegungslosen Körpers. Soll sie zugeben, daß sie Akten studiert hat, obwohl dies gar nicht ihr Aufgabengebiet ist, oder soll sie schweigen? Schließlich vertraut sie ihrem Chef ihre Vermutungen an. Er hat zunächst nur ein müdes Lächeln für sie übrig – zu grotesk erscheint ihm, daß die vielen damit beauftragten Kriminalisten den Täter nicht ermitteln konnten, aber nun seine Sekretärin den Fall gelöst haben will.
Am 17. Dezember 1992 fahren drei Polizeiwagen vor dem bescheidenen Haus des Bogdan Pekalski vor. Die Beamten gehen geradewegs auf das Haus zu. Er ahnt nichts Gutes, zu streng sind die Blicke der Beamten. Er tritt vor die Tür und erschrickt, als die Männer Punkt 17 Uhr ohne Gruß ins Haus stürzen. Ohne gefragt worden zu sein, zeigt Bogdan zur Eisen-treppe, die zur Dachkammer führt. Es ist die Dachkammer, in der Leszek wohnt. Er ahnt, wen sie suchen.
»Dort oben ist er.« Bogdan weist mit einer Geste die Treppe hinauf, in den ersten Stock. Leszeks zeitweilige Bleibe. »Er schläft«, sagt Bogdan. »Hat er etwas getan?« Er ist noch nicht einmal richtig angezogen; steckt sein Hemd in die Hose, fährt mit den Fingern durch seine Haare und schlüpft in seine Pantoffeln, die im Zimmer verstreut liegen. Wieder einmal hat der Mann eine lange Nacht hinter sich. Seine Freunde waren gekommen und man hatte manche Flasche Wodka geleert. Mit seinem mächtigen Kater kann er kaum verstehen, was man von seinem Neffen will. Er hat doch erst Verhandlung gehabt und war wieder freigelassen worden. Was sollte denn nun wieder sein?
»Wollen Sie mir nicht einmal sagen, was los ist? Ich komm gar nicht mit!«
»Das brauchen Sie auch nicht«, fährt ihn einer der Beamten an. »Zeigen Sie uns das Zimmer von Leszek, alles andere erklären wir Ihnen später.«
Die Beamten gehen mit Bogdan die Treppe hinauf, zum Dachgeschoß.
»Hopp, aufstehen Leszek Pekalski. Sie sind verhaftet!« ist alles, was man zu dem eben noch Schlafenden sagt.
Schlaftrunken steht Leszek auf und kann gar nicht fassen, daß man ihm sofort Handschellen anlegt. Er wird sofort aus dem Zimmer geführt.
»Hier also wohnt Leszek? Sieht ja toll aus«, sagt einer der Beamten verächtlich zu Bogdan, der wie versteinert im Raum steht und auf die Kleidungsstücke deutet, die im ganzen Raum umherliegen.
»Lüften dürftet ihr auch mal«, sagt er nur, geht zum Fenster und reißt es auf, daß die Pappe aus dem Rahmen springt. Eifrig durchsuchen die Beamten das ganze Zimmer, bis einer den Bettkasten freilegt und aufgeregt verkündet: »Ja, da schau her!
Was haben wir denn da?«
Er zeigt auf den Inhalt des Kastens. Seine Kollegen hören auf der Stelle mit ihrer Suche auf. Sie starren auf das, was im Bettkasten liegt. Es ist nicht etwa die dreckige Wäsche Leszeks, die hier zum Vorschein kommt. Jeder der Beamten erkennt, daß sie einen Fund ganz besonderer Art gemacht haben. »Sofort zwei Mann an die Eingangstür, laßt niemanden herein«, befiehlt der Leiter der Untersuchungskommission und fügt noch hinzu: »… und Leszek sofort in die Zelle unseres Reviers bringen!«
Die beiden angesprochenen Beamten verlassen mißmutig den Raum und gehen die Treppe hinunter zum Hauseingang.
Zu gerne wären sie oben geblieben und hätten verfolgt, was es in Leszeks Zimmer noch alles zu entdecken gibt. Die im Zimmer verbliebenen Polizisten stehen noch immer um den geöffneten Bettkasten. Gerade will einer von ihnen sich bücken, um die Gegenstände, die vor ihm liegen, näher zu inspizieren, als der Leiter der Kommission unmißverständlich zu verstehen gibt: »Nichts anfassen, wir müssen erst einen Staatsanwalt holen. Er will sich sicher zuerst ein Bild machen, von dem was hier herumliegt.«
Der Leiter der Aktion ist sichtlich nervös. Die Angelegenheit scheint ihm zu heikel, als daß er ohne Staatsanwalt agieren möchte. Er begreift sofort, daß dies ein außergewöhnlicher Fall ist. der außergewöhnliche Entscheidungen erfordert. Er will die Verantwortung für das weitere Vorgehen nicht allein übernehmen. So wartet er ab, bis der Staatsanwalt, den man über Funk verständigt hat, eintrifft. Ruhig geht dieser nach seiner Ankunft die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf und fragt sich, ob sich die Aufregung wirklich lohne. Als er sieht, was vor ihm liegt, schlägt er beide Hände vors Gesicht: der gesamte Bettkasten ist gefüllt mit Damenunterwäsche und Damen-Oberbekleidung. Es sind unzählige Einzelteile. Kleine und große Höschen in allen Farben und Schnitten, Büstenhalter, Blusen. T-Shirts. Alle Kleidungsstücke sind erdverschmiert und voller Blutflecken. Es sind weit über einhundert Einzelteile. Geschockt verläßt er den Raum, gibt noch die Anweisung, die ganzen Gegenstände einzusammeln und in das Büro der Staatsanwaltschaft zu bringen.
Dort herrscht kurz nach seinem Eintreffen helle Aufregung.
Ein Stein war ins Rollen gebracht; jetzt gilt es, schnell und richtig zu handeln.
»Holen Sie den Oberstaatsanwalt her. Sagen Sie, es wäre sehr wichtig«, ruft er ins Vorzimmer. »Und bringen Sie mir die Akte von … na. Sie wissen schon.«
»Sie meinen von Sylwia R.?«
»Ja, natürlich«, er kann seine Aufregung nicht mehr verbergen. Als er die Akte auf dem Schreibtisch hat, sucht er sofort einen ganz bestimmten Bericht: Die Beschreibung der Polizei, wie man das Opfer aufgefunden hat. »Die Verletzungen, die starken Schläge sind ja fast identisch«, stellt er kopfschüttelnd fest. Und: man fand keine Unterwäsche …
»Wieso sah niemand diesen Zusammenhang?« Der Staatsanwalt schüttelt den Kopf. Er, dessen Unterschrift unter dem Abschlußbericht steht. Seine Bemerkung: »Täter nicht auffindbar. Ermittlungen einstellen«, läßt ihn nicht zur Ruhe kommen. Er fühlt sich schuldig.
Kurz darauf wird Leszek Pekalski ins Polizeirevier geführt.
Ahnungslos setzt man ihn in das Vernehmungszimmer. Dort bleibt er vorerst allein. Als sich eine Polizeikommissarin vorstellt, staunt er. Noch nie hat er eine Frau bei der Polizei gesehen. Alicja W., so stellt sie sich vor, will ihn vernehmen.
»Mich, wegen was denn?« fragt er in sehr freundlichem Ton.
Die Beamtin weiß zunächst nicht genau, wie sie ein Verhör mit diesem Leszek Pekalski aufbauen soll, da die gefundenen Wäschestücke noch nicht analysiert sind. Sie kann nur darauf hoffen, daß dieser einfältige Mann bereit ist, mit ihr zu sprechen. Daß sie ihn über sein Aussageverweigerungsrecht aufklären müßte, vergißt sie. Ihre Versuche, ihm Aussagen über Sylwia R. zu entlocken, schlagen fehl.
»Über eine Sylwia weiß ich nichts!« ist sein ganzer Kommentar. Die Kommissarin beschließt, die Vernehmung abzubrechen und im Büro des Staatsanwaltes fortzusetzen.
Auch hier ist Leszek stets freundlich: »Guten Tag Herr Staatsanwalt«, mit diesem Gruß betritt er das Büro.
»Setzen Sie sich«, sagt er zu Leszek und deutet auf den bereitgestellten Stuhl. »Sie bleiben hier«, ordnet er die Anwesenheit der beiden Polizisten, die Leszek vorgeführt haben, an. Es ist ihm sichtlich wohler, die beiden Beamten hinter Leszek stehen zu sehen.
»Sie sind also Leszek Pekalski?«
»Ja, das bin ich«, antwortet der.
»Dann wissen Sie bestimmt schon, warum Sie hier bei mir sind?«
»Nein, zu mir sagt ja keiner was. Man spricht nur immer von einer Sylwia, die ich gar nicht kenne.«
»Soso … wer Sylwia R. war, wissen Sie also nicht?«
»Nein, ich kenne niemanden, der so heißt. Müßte ich das?«
Die arglose Miene, die Leszek dabei aufsetzt, macht dem Staatsanwalt zu schaffen. Er denkt an die Wäschestücke, die vielen Blutflecken, die Ohnmacht, die ihn beim Anblick des Fundes überkam. Es schien ihm, als sei er zu spät gekommen, ganz gleich, was da passiert war. Es schien ihm. als habe er Fehler gemacht, als sei er für den Fund verantwortlich. Und vor ihm sitzt dieser Mensch, grinsend, freundlich, demütig.
Kaminski schreit ihn schließlich an. Leszek zuckt erschrocken zusammen.
»Wir haben in Ihrem Bettkasten blutverschmierte Kleidungsstücke gefunden! Frauenkleidung!«
Leszek stöhnt kurz, versucht, dem Blick des Staatsanwaltes auszuweichen.
»Wir glauben, daß die alle Ihnen gehören!«
Leszek blickt nicht auf, gibt aber fast trotzig zur Antwort:
»Ja, die sind mein Eigentum.«
»Tragen Sie Damenwäsche?« Der Staatsanwalt tut verblüfft.
Damit hat er nicht gerechnet.
»Nein, aber sie gehören mir. Sie sind alle mein Eigentum!«
Der Anwalt ringt nach Luft, muß sich beherrschen, würde am liebsten aufspringen und sein Gegenüber schlagen. Vor Wut, Empörung, Haß – und Zorn über sich selbst. »Bringen Sie den Mann ins Gefängnis, ich werde mich morgen mit ihm beschäftigen«, weist er die Beamten an. Leszek steht auf, tritt zwischen die beiden Beamten und verabschiedet sich artig.
»Auf Wiedersehen, Herr Staatsanwalt«, sagt er und verläßt dessen Büro. Wutschnaubend sieht der Leszek hinterher, wie er die Tür des Büros hinter sich schließt.
»Auf Wiedersehen, ja …« dabei denkt der Staatsanwalt laut nach. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt noch immer die Akte des getöteten Mädchens.
»Der Oberstaatsanwalt ist da. soll ich ihn hereinbitten?«
fragt unvermittelt seine Sekretärin.
Nach einer kurzen Unterredung, bei der er seinem Leiter eine Zusammenfassung der Ereignisse – aus seiner Sicht – schildert, erhält er die Anweisung, sich auf diesen Fall zu konzentrieren.
Er ist zufrieden. Schon am nächsten Tag will er gut vorbereitet sein – es gilt also, sich wieder in den Fall Sylwia R.einzuarbeiten. Er will Leszek zu einem Geständnis bringen.
Leszek Pekalski wird noch am selben Tag in das Gefängnis nach Slupsk, einer Stadt im Norden Polens, gebracht. Er ist kleinlaut, spricht kein Wort, ohne daß er gefragt wird. Man weist ihm die Zelle 53 zu. Leszek befindet sich zum ersten Mal in einem richtigen Gefängnis.
Völlig apathisch steht er in dem kleinen Raum und betrachtet die Einrichtung. Ein Tisch, ein Doppelstockbett, ein Einzelbett und ein kleines Wandregal. Noch immer hält er seine Ausstattung, Decken, eine Tasse und ein Eßgeschirr, die man ihm gegeben hat, in seinen Händen. Er ist völlig unfähig die Gegenstände abzustellen, zu sehr beeindruckt ihn die Atmosphäre, die in diesem Raum herrscht. Leszek ist umgeben von grauen Wänden, einer schweren Eisentür und einem kleinen Fenster, das er ohne Stuhl nicht erreichen kann. Er betrachtet die Sprüche an der Wand, die offensichtlich seine Vorgänger hinterlassen hatten, und liest halblaut: »Alles ist vergänglich, auch lebenslänglich!« Und: »Tröste dich mit mir, ich saß auch acht Jahre hier!«
Nachdenklich legt er die erhaltenen Utensilien ab und rückt den kleinen Tisch unter das Fenster. Er klettert hinauf und sieht nur eine große Wiese, umrahmt von einem Weg. Die Wiese endet an einer großen, hohen Mauer, die mit Stacheldraht gekrönt ist. Er steigt vom Tisch und setzt sich auf das Bett. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein leeres Blatt Papier und ein Kugelschreiber. Was soll er damit? Er legt es beiseite.
Plötzlich folgt lautes Schlüsselklirren und die schwere Zellentür wird krachend geöffnet. Ein sehr streng wirkender, uniformierter Gefängnisbeamter herrscht ihn an: »Leszek Pekalski?« Noch bevor Leszek antworten kann, klärt ihn der Beamte auf, wie der Tagesplan im Gefängnis abzulaufen hat.
Er hört sich alles genau an, denn er erkennt, der Blick des Beamten duldet kein Nachfragen.
»Alles verstanden?« – Leszek nickt nur mit dem Kopf.
Bevor der Beamte die Zelle verläßt, dreht er sich noch einmal zu Leszek um und sagt: »Auf dem Blatt Papier, das auf dem Tisch liegt, möchte ich bis morgen Ihren Lebenslauf stehen sehen. Verstanden!«
Laut krachend schließt sich die Tür hinter dem Wärter, und Leszek steht allein in dem Raum, der für lange Zeit sein Zuhause werden soll. Die Nacht ist angebrochen. Punkt zehn Uhr wird das Licht gelöscht. So liegt Leszek mit weit aufgerissenen Augen im Bett und starrt an die Decke. Nur ein kleiner Lichtstrahl durch das Fenster erhellt den Raum ein wenig. Die Gitterstäbe malen verwinkelte Gestalten an die Decke, graues Schattenspiel zeichnet sich an den Wänden ab.
Er dreht sich zur Seite und versucht zu schlafen, was ihm erst nach Stunden gelingt. Er vergißt, weshalb er hier ist.
Mit einem lauten Schlag öffnet sich am nächsten Morgen eine Klappe an der Zellentür, und Leszek bekommt sein Frühstück. Hungrig nimmt er die zwei Scheiben Brot, die Margarine und eine Blechtasse voll Kaffee entgegen. Zufrieden setzt er sich an den Tisch und genießt offensichtlich die Mahlzeit, wann hatte er auch schon einmal ein Frühstück bekommen? Vielleicht zuletzt in der Sonderschule, bei den Schwestern im Heim, aber in den letzten Jahren bestimmt nicht. Egal wo er später übernachtete, ob in verlassenen Scheunen oder im Sommer im Wald, da war niemand, der ihm ein Frühstück reichte.
Bald darauf ist Hofgang angesagt. Die Gefangenen werden in Zweierreihen zu der großen Wiese geführt, die er von seinem Fenster aus sehen kann. Argwöhnisch betrachten die Gefangenen den Neuankömmling.
»Wohl verkehrt in die Einbahnstraße gefahren?« wird er gefragt. Leszek muß lachen.