Guter Leszek, böser Pekalski
Wieviele Tote bleiben verscharrt?
Am nächsten Tag hat Staatsanwalt Buksa das Video gesehen und ausgewertet. Ungläubig hat er in der Nacht am Bildschirm verfolgt, wie Leszek Pekalski vor der Kamera eines deutschen TV-Teams den Mord an 14 Personen gestanden hat. Ist dies der Beweis, der das Gericht letztendlich von der Tatsache, einen bestialischen Serienkiller vor sich zu haben, überzeugen wird?
Ist dies der Moment in Leszeks Leben, in dem er die Maske des lieben »kleinen Jungen« vergessen hat, in dem er seine Tarnung aufgegeben hat? Am gleichen Tag ergibt sich für den Staatsanwalt ein vertrauliches Gespräch, in dem er über das Video, über Leszek und die Morde spricht. Dieses Gespräch wird im folgenden wiedergegeben.
»Ich werde das Video morgen früh dem Gericht vorspielen und ich bin überzeugt, daß das Gericht dieses Band als Beweismittel zulassen wird. Sie sind ja morgen früh sicher auch im Gericht, dann werden Sie sehen, wie es darauf reagieren wird.« Er spricht bei diesem Treffen auch über seine persönliche Einschätzung der Dinge.
»Ich bin überzeugt«, und man glaubt ihm, »daß Leszek Pekalski weit mehr Menschen getötet hat als die achtzig, die er gestanden hatte. Bei den vielen Rekonstruktionen mit Leszek erzählte er immer wieder von weiteren Morden, die er in derselben Gegend begangen haben will, konnte sich jedoch nicht mehr genau an die Tatorte erinnern.«
»Aber Sie hatten doch seine schriftlichen Geständnisse mit den genauen Tatangaben wie Ort und Zeitpunkt?« wird er gefragt. »Das ist richtig, aber die Polizei hat an den ange-gebenen Stellen oft keine Leichen gefunden. Vielleicht haben sie schlampig gearbeitet und nicht die weitere Umgebung abgesucht. Ich weiß es nicht, warum in diesem Falle so viele Fehler gemacht wurden.«
Leszek hat in einem Fall den Tatort so genau beschrieben, wie es nur der Täter konnte. Er beschrieb Gegenstände, die in einem Zimmer gewesen sein sollen, die aber, da neue Mieter in der Wohnung wohnten, nicht gefunden wurden. Als man Angehörige nach diesen Gegenständen befragte, sicherten diese zu, daß sie sich früher in den Räumen befunden haben.
Auf die Frage, ob denn diese Wohnung zum Zeitpunkt der Tat anders ausgesehen hat, bekomme ich als Antwort:
»Sie sah so aus wie von Leszek beschrieben. Als ich die Akte mit den Aussagen der Zeugen bekam, stellte ich fest, daß diese so bedeutenden Aussagen nicht protokolliert worden sind.« Unverständliches Kopfschütteln beiderseits.
»Bedenken Sie, daß die Regierung für einen Tag, den ich mit Leszek unterwegs war, nur 8,40 Zloty (etwa fünf DM) zur Verfügung stellte, und davon mußte er verpflegt werden.«
»Und warum hat man die Versäumnisse nicht nachgeholt?«
»Dazu hatten wir gar nicht die Zeit. Leszek gestand immer neue Taten, denen wir nachgingen. Bedenken Sie, wir hatten die Beweisstücke, die Wäsche der Frauen und Leszeks umfangreiches Geständnis.«
»Aber die von Ihnen sichergestellten Beweismittel wurden von den Angehörigen der Opfer nicht zweifelsfrei identifiziert.
Welche Mutter kann schon unter Eid aussagen, daß es sich bei dem ihr zum Teil erst nach Jahren vorgelegten Wäschestück zweifelsfrei um eines ihrer Tochter handelt. Zumal es diese Unterwäsche in tausendfachen Ausführungen in jedem Kauf-haus zu kaufen gab.«
»Ja das ist richtig, das haben wir bei den polizeilichen Vernehmungen nicht bedacht, denn in den damaligen Protokollen erkannten die Zeugen die Wäsche. Uns genügte es, immer im Hinblick auf die Geständnisse des Angeklagten, wenn die Zeugen aussagten, daß die Opfer ein solches Wäscheteil getragen haben. Wir wußten aber auch nicht, daß sich dieser Prozeß so lange hinziehen würde.«
»Herr Staatsanwalt, haben Sie Angst, daß Leszek Pekalski einmal freikommen und Ihnen etwas antun könnte?«
»Nun, zunächst bin ich sicher, daß der Angeklagte nie mehr auf freien Fuß gesetzt wird. Aber man kann nichts ausschließen. Angst hätte ich dann nur um meine siebzehnjährige Tochter und um meine Frau, die übrigens auch als Rechtsanwältin tätig ist. Ich war so oft mit Leszek zusammen in ganz Polen, ich kenne all seine Taten, seine Grausamkeiten, die er den Opfern zugefügt hat, da bekommt man schon Angst.«
»Glauben Sie mir«, fährt er fort, »ich habe viele Nächte nicht geschlafen, als ich die Opfer sah oder die Bilder der Gerichtsmedizin. Ich denke an die kleine Malgosia K., die Dreizehnjährige, die sich vor Schmerzen, die Leszek diesem kleinen, wehrlosen Opfer zugefügt hat, die Finger der rechten Hand fast abgebissen hat.«
»Halten Sie Leszek für voll zurechnungsfähig?«
»Ja, ich glaube schon, immer wieder habe ich die Gutachten der Psychiater eingehend studiert, die Leszek untersucht haben, und bin zu der gleichen Meinung gekommen, daß Leszek sofort wieder töten würde, wenn er noch einmal auf freien Fuß kommen sollte.«
»Werden Sie für Leszek Pekalski die Todesstrafe fordern?«
»Darüber kann ich Ihnen aus rechtlichen Gründen keine Antwort geben, bitte haben Sie dafür Verständnis. Mein Plädoyer werde ich morgen oder übermorgen halten und bis dahin muß ich Sie um Geduld bitten.«
»Herr Staatsanwalt, sind Sie für die Todesstrafe im allgemeinen?«
»Nein, bin ich nicht, ich bin dafür, daß solche Menschen wie Leszek Pekalski bis zu ihrem Lebensende weggesperrt werden, damit sie niemandem mehr etwas antun können. Nein, für die Todesstrafe bin ich nicht, auch nicht im Falle eines Leszek Pekalski.«
Jadwiga und Czeslaw K.
»Herr Staatsanwalt. Sie haben mir erzählt, daß Leszek für längere Zeit auch bei einer alten Frau gewohnt hat. Warum, glauben Sie, hat er dieser Frau nichts getan?«
»Das ist völlig typisch für Leszek: er tat niemandem etwas, von dem er sich Vorteile erhoffte. Wie bei seinem Onkel Bogdan, bei ihm fand er immer wieder Unterschlupf, so war es auch bei dieser Frau. Sie hatte ein schönes Haus und Leszek tat ihr leid, deshalb bot sie ihm in ihrem Haus ein Zimmer zum Wohnen an. Übrigens, sie war sehr christlich und sah es als ihre Pflicht an, diesem armen, obdachlosen Geschöpf eine Bleibe zu gewähren. Sie hatte außer Leszek noch einen obdachlosen Mann aufgenommen, der dieser alten Frau sehr im Hause half. Sie sprach sehr viel über Gott und dieses Thema gefiel Leszek sehr, und da diese Frau sehr viel in die Kirche ging, glaubte Leszek, sie könnte ihm auch helfen, eine Frau zu finden. Immer wieder erzählte Leszek davon, wie schlecht ihn der Pfarrer seiner Gemeinde behandelt hatte, und diese Frau versprach, ihm behilflich zu sein. Er klagte bei ihr ständig über nervliche Probleme, und die alte Frau gab ihm ein Medikament, das er täglich einnehmen sollte. Es war im August 1989, da nahm Leszek eine ganze Packung ein und man mußte ihn in ein Krankenhaus bringen. Später erzählte er der Frau, daß er sich nicht töten wollte, sondern nur heilen, heilen von seinen schlechten Gefühlen.«
»Hat diese Frau nie bemerkt, was hinter diesem Menschen steckt?«
»Nein, denn Leszek sprach nur immer über Gott und das gefiel ihr.«
»Warum warf sie ihn dann doch aus dem Haus?«
»Die Frau hatte Leszek dabei erwischt, daß er Frösche aus ihrem Teich fing und sie fürchterlich quälte. Dann beobachtete sie, daß er Büstenhalter aus ihrem Schlafzimmer stahl und diese mit einem ,sadistischen’ Blick zerschnitt. Sie bekam Angst und warf ihn hinaus.«
»Und Leszek ging so einfach?«
»Ja, denn wie gesagt, es wohnte noch ein Mann im Haus.«
»Ich habe gehört, daß Sie nun auch Leszeks Onkel anklagen wollen – wegen Entfernung von Beweismitteln?«
»Nein, das ist nicht richtig, wenn man ihn vor Gericht stellen wollte, dann wegen Meineids, denn er hat geschworen, daß Leszek immer bei ihm wohnte, und das ist nicht richtig.«
»Werden Sie Anzeige erstatten?«
»Nein, denn dieser Mann ist, Sie kennen ihn ja, alkoholkrank und das sehr schwer. Was würde da eine Verurteilung für einen Sinn machen?«
»Herr Staatsanwalt, warum war Leszek Pekalski so lange in psychiatrischer Untersuchung?«
»Wegen der Anzahl der Morde«, lautet die knappe Antwort und man kann bemerken, daß er über dieses Thema nicht mehr weitersprechen will. Was ist aber mit den vielen Morden, die Leszek gestanden und wenig später widerrufen hat?
»Denken Sie an den tragischen Fall Jadwiga K., die am 7. März 1985 als 21jährige Frau in Braniewo getötet wurde. Eine sehr hübsche Frau, wie Leszek sagte. Er sagte ihr, daß er mit ihr schlafen wolle und sie hat ihn für verrückt erklärt. Leszek begrüßte die junge Frau mit ,Dzieri dobry’, das heißt ,Guten Tag’, und weil sie sich ihm nicht hingeben wollte, bedeutete es für sie den Tod. An ihr wurde eine regelrechte Blutorgie vollzogen, wie der Gerichtsmediziner feststellte. Er verstümmelte die Leiche, um das ,letzte Wort’ zu haben, erklärte mir der Mediziner. Anschließend wurde sie ins Wasser geworfen. Nach einigen Tagen wurde die Leiche ans Ufer getrieben.
Bei den polizeilichen Ermittlungen wurde der Ehemann des Opfers verhört. Die Beamten fanden einen Abschiedsbrief des Opfers an ihn. Sie schrieb, daß sie mit ihrem Mann nicht mehr länger zusammenleben kann. Ergebnis war, daß man ihren Mann Czeslaw wegen Anstiftung zum Selbstmord verhaftet hat. Er wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er zweieinhalb Jahre absitzen mußte. Als Leszek den Mord gestand, waren seit der Tat fast acht Jahre vergangen. Zeugen gab es keine, außer dem Geständnis Leszeks, das er widerrief.«
Das Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt zieht sich über viele Stunden. Währenddessen wird klar, daß die Staatsanwaltschaft mehr als unglücklich über den bisherigen Verlauf des Verfahrens ist. Zu viele Beweismittel sind weg. zu vieles wurde versäumt. Die Anklage stützt sich auf Dinge, die nur vage auf Leszek Pekalski deuten. Man hat sich verwirren lassen von seinen zahlreichen, in mehreren Versionen wieder und wieder gegebenen Geständnissen, hat sich einen sprich-wörtlich »kurzen Prozeß« erhofft. Und dann dies – ein juristisches Desaster. Hinzu kommt: Es gibt wohl keinen Polizeibeamten mehr in Polen, der nicht einen ungeklärten Fall hat und diesen Leszek Pekalski anhängen will.
Mit ihm ist auch ein Sündenbock gefunden, auf dessen Rücken man verschlafene und unfähig bearbeitete Ermittlungen über Nacht klären könnte. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markiert eine Anfrage der Polizei aus Warschau an die Staatsanwaltschaft in Slupsk. Man beauftragt die Staatsanwaltschaft, zu überprüfen, ob sich Leszek Pekalski im Jahre 1965 in Warschau aufgehalten haben könnte, da man zu diesem Zeitpunkt ein Mordopfer fand, für das ein Täter bisher nicht gefunden werden konnte. Die Staatsanwaltschaft gibt die Ermittlungen an die Polizeidienststelle weiter und nach vier Monaten stellt man fest, daß Leszek Pekalski zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren war. Heute, mit zeitlichem Abstand, lacht man über diesen Vorfall. Unzählige solcher Ereignisse sind geschehen.
Es ist schon Nacht geworden, als der Oberstaatsanwalt aufbrechen muß. »Morgen muß ich fit sein. Ich werde dem Gericht in aller Frühe das Video vorspielen und ich hoffe doch sehr, damit Erfolg zu haben. Nochmals vielen Dank, daß Sie sich soviel Mühe gemacht haben.«