Opfer Nr. 10
Marianna L., ermordet 05.07.1990 in Bialogard
Zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Janina W. kommt Leszek wieder nach Bialogard, wieder mit nur einem Ziel: zu töten. Doch wie damals findet er zunächst kein geeignetes Opfer, obwohl er durch alle Straßen der Stadt eilt. Verärgert beschließt er wieder, von Tür zu Tür zu gehen, doch niemand scheint da zu sein. Als schließlich ein älterer Herr öffnet, ist Leszek so perplex, daß er nur »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag« hervorbringt und schnell wieder verschwindet.
Unterwegs zum nächsten Haus, kurz vor dem Bahnhof, sieht er auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine alte Frau, die gerade die Fenster putzt. Ohne lange zu überlegen, wechselt er die Straßenseite und öffnet das Gartentor des Anwesens.
Verdutzt sieht die Frau den ihr unbekannten Mann an, der direkt auf sie zukommt.
»Wollen Sie zu mir?« fragt sie.
»Ja, ich, ich … möchte gerne mit Ihnen reden!« bringt er stotternd hervor. »Hätten Sie vielleicht etwas zu essen für mich, ich habe schon seit zwei Tagen nichts mehr bekommen?
Ich bin auf der Durchreise und man hat mir meine Geldbörse gestohlen«, lügt er und fügt hinzu: »Ich brauche gar nichts Besonderes, wenn Sie nur eine Scheibe Brot für mich hätten« – und mit diesem Satz öffnet er sich Tür und Tor. Gern ist sie bereit, etwas zu essen anzubieten, sonst wollen Bettler doch immer nur Geld, und davon hat sie ja selbst nicht genug. Ihre schmale Rente reicht gerade für das Notwendigste. Dieser bescheidene »Hilfesuchende« aber gefällt ihr. Es wäre eine Todsünde für diese gläubige Frau, würde sie ihm die Tür weisen. »Kommen Sie herein, eine Scheibe Brot habe ich allemal« und mit einem Augenzwinkern fügt sie hinzu: »Gegen ein Stück Wurst haben Sie bestimmt auch nichts einzuwenden.
Gestern war Schlachttag, da ist bestimmt noch etwas für Sie da.« Marianna L. freut sich sichtlich, etwas Gutes tun zu können. Leszek Pekalski heuchelt, daß er sich riesig über die großzügige Einladung freut. Insgeheim betrachtet er die Frau, als sie mit dem Rücken zu ihm steht. Abschätzig mustert er sein Opfer, das nur eines im Sinn hat, seinen Hunger zu stillen.
Er greift an seine Hose und weiß, welchen Hunger.
»Ziehen Sie doch bitte Ihre Schuhe aus, ich habe gerade geputzt«, sagt die Frau beim Betreten des Hauses. Noch immer steht ein Eimer mit Wasser in der Diele.
»Selbstverständlich«, und schon ist Leszek im Haus. Die Frau bemerkt nicht, daß ihr Gast seine Schuhe nicht am Eingang zurückgelassen hat. Sie geht in die Küche, die sich am anderen Ende des Flures befindet.
Leszek Pekalski blickt ihr nach, zeichnet mit seinen Händen die Größe ihres Hinterns, dann folgt er ihr.
»Das wird Ihnen aber bestimmt schmecken, wenn Sie schon zwei Tage nichts mehr gegessen haben«, sagt sie und stellt ihm einen Teller mit Brot und Wurst auf den Tisch.
»Das schmeckt wirklich sehr gut, vielen Dank«, lobt Leszek die alte Frau, die es genießt, daß er ihre Gastfreundschaft so schätzt. Ein Glas Bier, das sie ihm darüberhinaus anbietet, lehnt er ab und der Frau gefällt, daß ein so junger Mann keinen Alkohol trinkt. Während Leszek ißt, sieht die Frau, daß er noch immer seine Schuhe anhat.
Als sie die durchgelaufenen Sohlen, die schiefen Absätze und Löcher sieht, beschließt sie, ein paar alte Schuhe ihres verstorbenen Mannes zu holen. Also geht sie in den Keller und sieht nach, welche Schuhe wohl noch von ihrem Mann vorhanden sind. Sie entscheidet sich für ein paar feste Halbschuhe, die noch gut erhalten sind. Als sie die Kellertreppe nach oben geht, denkt sie an ihren Mann und daß er bestimmt nichts dagegen haben würde, wenn sie diesem Menschen ein paar von seinen Schuhen schenkt. Die Kellertreppe ist sehr steil und schwer atmend, aber dennoch mit einem Lächeln auf den Lippen, kommt sie mit den Schuhen in die Küche zurück. Ihr Gast sitzt nicht mehr vor seinem Teller. Er ist zwischenzeitlich aufgestanden und steht mitten im Raum. Als die alte Frau ihn erblickt, durchfährt sie Entsetzen. Das ist nicht mehr dieser freundliche Mann, den sie für ihre Verhältnisse so fürstlich verköstigt hat. Sie sieht jetzt einen, der ihr Furcht einflößt. Vor Schreck läßt sie die Schuhe fallen und versucht zu fliehen.
Doch schon nach wenigen Metern hat Leszek sie eingeholt und an den Haaren von hinten zu Boden geschleudert. Zitternd vor Angst bringt die Frau keinen Ton heraus, sie versucht nur instinktiv, mit den Armen ihren Kopf zu schützen.
Sieben Tage später, am 12. Juli 1990, will eine Freundin Marianna L. besuchen. Auf ihr Klopfen wird ihr nicht aufgemacht. Sie geht ums Haus herum, sieht durch die Fenster, die für ihre Größe etwas zu hoch liegen und muß feststellen, zumindest aus ihrer Perspektive, daß Marianna offensichtlich nicht zu Hause ist.
Noch einmal geht sie an die Haustür und klopft energischer als vorher, doch wieder kommt keine Reaktion. Da bemerkt sie einen eigenartigen, stechenden Geruch, der aus dem Haus dringt und den sie nicht einordnen kann.
Sie spürt, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sie geht nochmals um das Haus, holt eine Leiter, um besser durch die Fenster sehen zu können. Da sieht sie ihre Freundin. Sie liegt am Boden – hat sie einen Herzanfall erlitten? Schon seit Wochen hat Marianna L. über Schmerzen im Brustbereich geklagt, wie ihrer Freundin beim Anblick des leblos daliegenden Körpers einfällt. Hastig steigt sie die Leiter herunter, läuft zur Straße und schreit um Hilfe. Ein junger Mann kommt gerade des Weges und sieht die aufgeregte Frau mit ihren Händen auf ein Fenster des Hauses zeigen. Sie bringt keinen vernünftigen Satz hervor, nur »Hilfe, so helfen Sie doch«.
Der Mann sieht die an die Wand angelehnte Leiter und steigt auf ihr bis zur Fensterhöhe empor. Er erkennt eine alte Frau, die mit blauem Pullover und braunen Schuhen bekleidet am Boden liegt, das schwarzes Kleid bis zur Hüfte hochgeschoben, die Beine gespreizt. Die Frau ist voller Blut. Er rennt zur Straße und hält das nächste Auto an. »Bitte rufen Sie die Polizei, in dem Haus ist etwas Furchtbares geschehen.«
Die Obduktion der Leiche ergibt: Schwerste Kopfverletzungen durch Schläge mit einem stumpfen Gegenstand, zahlreiche tiefe Schnittwunden am ganzen Körper. Halsmale durch Erwürgen, Vergewaltigung mit einem stumpfen Gegenstand. Leszek Pekalskis Dank an die Frau, die ihm zu essen gab und ihm Schuhe ihres verstorbenen Mannes schenken wollte.