18
Am Donnerstag wurde auf der Sandstream mit dem Laden begonnen, am Mittwoch darauf war die Arbeit abgeschlossen. Sie fuhr ab nach Avonmouth, wo sie weitere dreitausend Tonnen Fracht laden sollte.
Am Freitag nachmittag um ein Uhr zehn kam Walker ins Revier der Abteilung Ost und fragte nach Kriminalinspektor Fusil.
Fusil ließ ihn in einem der Vernehmungszimmer zwanzig Minuten in Gesellschaft eines uniformierten Polizisten warten und ging dann hinein. «Na?» Er versuchte nicht, seinen Abscheu zu verbergen.
Walkers Gesicht schien leicht eingefallen, so daß die Backenknochen noch stärker hervorstanden als sonst. Er hatte neuerdings die nervöse Angewohnheit, sich die Lippen zu lecken, und seine Zunge hatte die Farbe schmutzigen Lehms. «Ich hab ein Geschäft für Sie», sagte er. Er deutete mit dem Daumen auf den Polizisten. «Sagen Sie ihm, er soll abhauen.»
«Er bleibt.»
«Dann sag ich eben nichts über einen Polypen, der auf dem Weg in den nächsten Knast ist.»
Fusil zog seine Pfeife hervor und stopfte sie langsam. Er zündete sie an. «Okay, Sumner», sagte er schließlich.
Der Polizist steckte sein Notizbuch wieder ein und ging.
«Ich hab ein Geschäft für Sie», sagte Walker zum zweitenmal.
«Ein Geschäft? Du steckst so tief im Dreck, daß bei dir höchstens noch von Geschäften mit ‹lebenslänglich› die Rede sein kann.»
«Mr. Fusil, Ihnen macht doch ein bißchen Hehlerei oder Fahrerflucht kein Kopfzerbrechen. Sie haben nur noch Zeit für Ihren Constable und seine Erpressung.»
«Und?»
«Sie würden sich ’n Bein ausreißen, um ihn loszueisen. Und ich – ich würde mir ’n Bein ausreißen, um nicht für fünf Jahre oder vielleicht sogar halb lebenslänglich in den Knast zu wandern. Warum setzen wir uns dann nicht zusammen, so rein freundschaftlich. Sie bügeln meine Sache aus, und ich spreche über Mr. Kerr.»
«Ich kann nicht mit dir schachern.»
«Doch, Sie können, Mr. Fusil, wenn Sie wirklich wollen.»
«Dann fang mal an und sprich von dem Gold.»
«Mister, ich hab mein Angebot gemacht. Ihr Constable ist reif für den Knast. Ich biet Ihnen eine Möglichkeit an, ihn draußen zu behalten. Sie wollen doch sicher nicht, daß ein netter junger Mann für etwas eingelocht wird, was er vielleicht gar nicht begangen hat, oder?»
Fusil kaute an seiner Pfeife, und seine Wut stieg. Walkers Angebot erklärte vieles. Man hatte tatsächlich versucht, Kerr etwas anzuhängen, und zwar eindeutig, um die Aufmerksamkeit der Polizei von dem Gold abzulenken, das noch an Bord gewesen war, als Walker seine Anzeige gemacht hatte. Kerr hatte etwas entdeckt, das die Polizei zu der dritten Partie Gold hätte führen können; aber jetzt war das Gold an Land, und die ganze Operation war vorüber, nur nicht für Walker, der sich mit seinem Angebot Straflosigkeit sichern wollte. Jemand mit sehr viel mehr Köpfchen als ein Dutzend Walkers und sehr viel mehr Erfahrung als ein Dutzend Leerys hatte den Plan ausgearbeitet. Man konnte Walkers Angebot nicht ablehnen, aber wenn man es annahm, verlor man die letzte Möglichkeit, die Golddiebstähle aufzuklären.
Der Mann mit dem Köpfchen hatte alles bedacht. Er hatte es so eingerichtet, daß er die letzte Goldlieferung in die Hand bekam und daß die Nachforschungen der Polizei mit einem Fehlschlag endeten. Was konnte die Polizei jetzt noch tun? Leery vernehmen? Sie hatten nie herausgefunden, wofür er sein Geld ausgab – sie waren nicht einmal sicher, hatten keine Beweise, daß er der Strohmann war –, was hatten sie also für eine Handhabe gegen ihn? Heywood-Smith vernehmen, der das Köpfchen sein mußte, weil dieser sorgfältig ausgearbeitete Plan so typisch für ihn war? Wie oft hatte die Polizei ihn in den letzten zwölf Jahren vernommen und nichts dabei erreicht? Es nutzte nichts, wenn man die Wahrheit kannte: Die Wahrheit mußte vor Gericht bewiesen werden, vor dem der Schuldige dank der bei der Polizei liegenden Beweislast einen weiten Vorsprung hatte.
Wie man es auch betrachtete, der Polizei waren die Hände gebunden … und seine Karriere war ein Witz geworden, ein schlechter Witz. Er war immer ehrgeizig gewesen, entschlossen, Karriere zu machen, getrieben von dem eisernen Willen, der einen Mann nach oben bringt. Sein Ziel war der Assistent Chief Constable gewesen; jetzt konnte er von Glück reden, wenn man ihn überhaupt bei der Polizei behielt. Wenn die Goldfälle ungelöst blieben, würde seine Karriere spurlos in der Versenkung verschwinden. Seine Pläne waren von einem Mann durchkreuzt worden, der ihm zuvorgekommen war.
Walkers Angebot mußte angenommen werden; es ablehnen würde bedeuten, Kerr für ein Vergehen, das er nicht begangen hatte, ins Gefängnis zu bringen.
Fusil ging zum Fenster und starrte hinaus. Die Stärke des Plans von Heywood-Smith beruhte darauf, daß kein Detective Inspector das Angebot zurückweisen würde, weil er sonst einen von seinen Leuten unschuldig ins Gefängnis bringen würde. Aber, so sagte ihm seine Vernunft, und er konnte sie nicht zum Schweigen bringen – aber eine Stärke, die nur auf einer Voraussetzung beruhte, mußte gleichzeitig eine Schwäche in sich bergen, in diesem Falle die, daß eine andere Reaktion nicht erwartet wurde. Angenommen, sagte seine Vernunft weiter, ohne Rücksicht auf die in ihm hochsteigende Selbstverachtung, ein sehr ehrgeiziger Mann wüßte, daß die Annahme des Angebots das Ende all seiner Pläne bedeutete, daß er aber, wenn er das Risiko einer Ablehnung auf sich nahm, seine Pläne retten könnte und nur den hohen Preis, den der Detective Constable zu zahlen hatte, ignorieren müßte … Würde er es wagen, dieses Risiko auch nur in Betracht zu ziehen, wenn es sich um jemand anders als Kerr handelte, den er vom ersten Augenblick an nicht hatte leiden können?
«Na?» grinste Walker herausfordernd.
Fusil drehte sich um, und sein Gesicht zeigte, wie die Spitze eines Eisbergs, nur einen kleinen Teil des Aufruhrs in seinem Innern. «Ich laß dich einsperren.»
Mehrere Sekunden war Walker zu überrascht, um zu sprechen. «Das können Sie nicht», schrie er plötzlich voller Wut und Angst.
Fusil sagte nichts.
«Sperren Sie mich ein, und Ihr kleiner Constable sitzt im Kittchen.»
«Das ist mein Problem.»
Walker fluchte hemmungslos. Fusil rief und Sumner kam eiligst. «Nehmen Sie ihn mit und erheben Sie Anklage», sagte Fusil. «Fangen Sie mit Hehlerei an. Kaution auf der ganzen Linie verweigern.»
Walker rannte zur Tür. Sumner griff nach ihm, erhielt aber einen Schlag ins Gesicht, daß er zurücktaumelte. Fusil warf sich nach vorn und stieß sein Knie in Walkers Unterleib. Walker brüllte vor Schmerz und fiel zu Boden.
Fusil trat zurück. «Fügen Sie Widerstand gegen die Staatsgewalt hinzu.»
Sumner rieb sich die Backe und schleppte Walker aus dem Zimmer.
Fusil ging in sein Büro und setzte sich an den Schreibtisch. Er fragte sich, was Josephine sagen würde, wenn sie jemals die ganze Wahrheit erführe. Er griff zum nächsten Telefon und verlangte von der Vermittlung das Polizei-Wohnheim. Während er auf die Verbindung wartete, versuchte er, den Verstand des Mannes ganz zu ergründen, der hinter der falschen Anzeige gegen Kerr steckte. Er war gerissen, aber wie gerissen? Was würde er tun, wenn er es mit einem anderen ebenso gerissenen Verstand zu tun bekam? War er zu gerissen, um überlistet zu werden? Oder lag gerade in seiner Gerissenheit seine Schwäche, weil er sich nicht vorstellen konnte, je überlistet zu werden …?
Das Telefon klingelte. Der Hausmeister des Wohnheims sagte ihm, Detective Constable Kerr sei für diesen Tag nach Hause gefahren. Fusil dankte, legte auf und holte eine Adressenliste aus einer Schublade. Bei Kerrs Heimadresse stand kein Telefon. Er ging zu der großen Landkarte an der Wand und stellte fest, zu welcher Abteilung die Adresse gehörte. Er rief den Inspektor dieser Abteilung an und bat ihn, Kerr eine Nachricht zu schicken.
Kerrs Eltern konnten ihre Verwirrung und Verstörtheit nicht verbergen. Seine Mutter war dauernd um ihn bemüht, als ob ihre tiefe und unwandelbare Liebe ihn irgendwie vor dem drohenden Unheil beschützen könnte, bis er schließlich vor diesem konzentrierten Gefühlsaufwand aus dem Haus floh. Das Dorf bestand aus einem Dutzend Häuser, einem Kramladen und einem Wirtshaus, in dessen Garten ein großer Maulbeerbaum stand. Es war ein Ort unwandelbarer Ruhe, vergessen von der Welt. Dieser Friede tröstete ihn ein wenig, aber ganz konnte er seine Verzweiflung und seine ohnmächtige Wut doch nicht vergessen. Er hatte nichts verbrochen, und doch würde man ihn wegen Erpressung verurteilen. Er konnte nichts mehr zu seiner Rettung tun. Das Verhängnis kam auf ihn zu, und es gab keine Möglichkeit, ihm auszuweichen.
Er ging an dem Laden vorbei und war gerade an der Hühnerfarm angelangt, als ein Motorrad hinter ihm hielt und jemand seinen Namen rief. Er drehte sich um und sah den Ortspolizisten. «Na endlich, Kumpel», sagte der Constable, während er seinen Sturzhelm abnahm. Sein Ton war übertrieben herzhaft, ein Zeichen für seine Verlegenheit. «Dein Chef will dich sprechen. Dringlichkeitsstufe eins, meine Alte muß alle zehn Minuten ans Telefon.»
«Wo brennt’s denn?»
«Detective Inspector Fusil bittet um die Ehre, sofort oder früher.»
«Warum?»
«Hat er nicht gesagt, und meine Alte hat nicht gefragt.»
Kerr dankte dem Constable, machte kehrt und lief eiligst querfeldein zum Haus seiner Eltern. Seine Mutter war den Tränen nahe, aber obgleich er sich gemein vorkam, war er doch froh, wegfahren zu können.
Er erreichte den Autobus zum Bahnhof Naverton, wartete zwanzig Minuten und bestieg dann den Personenzug nach Fortrow. Vom Hauptbahnhof Fortrow fuhr er wieder mit dem Bus zum Revier.
Er meldete sich beim Inspektor und war erstaunt über dessen Benehmen, das er nicht deuten konnte.
Fusil spielte eine Weile mit seiner Pfeife und räusperte sich schließlich. «Sie machen wieder Dienst», sagte er unvermittelt.
«Wieder … Dienst, Sir?»
«So ist es.»
«Aber warum?»
«Müssen Sie immer Einwände machen?»
«Ich dachte nur, der Chief Constable hätte mich suspendiert, Sir.»
«Und?»
«Hat er mich wieder eingesetzt?»
«Nein.»
«Wer dann?»
«Ich.»
«Warum?»
Fusil legte seine Pfeife auf den Tisch. «Ich möchte, daß Sie … mir vertrauen und den Mund halten.»
Kerr war entgeistert. «Ihnen … vertrauen?»
«Ja.»
«Ich weiß nicht …»
«Verdammt nochmal, Mensch, können Sie nicht begreifen, daß ich versuche, Ihnen zu helfen?» Fusil packte seine Pfeife fester. Ein ehrgeiziger Mensch wurde sehr schnell und leicht zum Lügner. «Hören Sie zu, und passen Sie gut auf, denn es ist Ihre letzte Chance. Sie werden einen Mann namens Heywood-Smith aufsuchen und ihm genau das erzählen, was ich Ihnen sage, und kein Wort mehr oder weniger, selbst wenn Sie nichts verstehen. Ist das klar?»
Kerr nickte langsam.
Das Taxi bog in die Einfahrt und hielt vor dem bizarren Portal von Heller Towers.
«Sieht aus wie ein gottverdammter Alptraum», sagte der Fahrer und zog hörbar die Luft ein. «Macht dreizehn.»
Kerr gab ihm fünfzehn Shilling, und das Taxi fuhr ab. Er warf einen Blick auf den geparkten Mercedes 600, drehte sich um, ging zu der von Säulen flankierten Eingangstür und schlug dröhnend mit dem Türklopfer, einem Meeresungeheuer aus Messing, an das Holz. Eine ältere häßliche Frau öffnete und fixierte ihn mit der verkniffenen Aufmerksamkeit der Kurzsichtigen.
«Ist Mr. Heywood-Smith da?»
«Wer sind Sie?» fragte sie in breitem Lokaldialekt.
«Mein Name ist Kerr.» Er trat in die Halle. Die Frau zögerte und ging dann in einen der rechts gelegenen Räume. Er betrachtete einen ausgestopften Kopf mit riesigen gewundenen Hörnern, der hoch oben an der Wand hing, und fragte sich, ob Heywood-Smith das Tier geschossen hatte.
Ein korpulenter Mann mit einer Zigarre im Mund kam in die Halle, ihm folgte die häßliche Frau. Sie murmelte etwas, und Heywood-Smith nickte und kam auf Kerr zu. Kerr war überrascht, wie leicht er sich bewegte.
Heywood-Smith blieb zwei Meter vor ihm stehen. «Sie wollten mich sprechen?»
«Ja.»
«Und?» Das dicke Gesicht trug einen undurchdringlichen Ausdruck.
«Mein Name ist Kerr.»
«Das hat mir meine Haushälterin schon gesagt.»
«Detective Constable Kerr.»
«Der Name ist mir bekannt.» Heywood-Smith sprach mit einer Art unpersönlichem Widerwillen. «Sie sind wegen Erpressung angeklagt.»
«Stimmt. Und ich bin auch vom Dienst suspendiert worden, denn heutzutage ist Verdacht so gut wie Schuld – wenn man Polizist ist.»
«Die Öffentlichkeit muß geschützt werden.»
«Das sind alles nur dumme Redensarten. Aber ich will Ihnen sagen, wer Schutz braucht, und das sind Sie.»
Heywood-Smith sagte nichts.
«Sie sitzen bis zum Hals im Dreck – es sei denn, Sie hören zu, und zwar sehr genau.»
Heywood-Smith sah Kerr gerade ins Gesicht, und seine schiefergrauen Augen hatten den Blick einer alten, schuppigen, warzigen, giftigen Echse, die sich fragt, ob sie zubeißen soll oder nicht. «Kommen Sie hier rein», sagte er unvermittelt und ging ihm voran in den kleineren der beiden Wohnräume.
Es war so heiß dort, daß Kerr der Atem stockte. Er sah sich unauffällig um – er konnte kein Telefon entdecken.
«Nun?» fragte Heywood-Smith.
«Sie haben versucht, mir etwas anzuhängen.»
«Das ist absurd.»
«Sie haben es versucht, um die Polizei in Atem zu halten, während Sie sich die letzte Partie Gold schnappten. Choppy Walker hat die schmutzige Arbeit gemacht – weil Sie ihn bestochen oder bedroht haben. Heute früh ist er ins Revier gekommen und hat versprochen zuzugeben, daß er eine falsche Anzeige erstattet hat, wenn er Straffreiheit dafür und für die Hehlerei zugesichert bekommt. Er hat mit Inspektor Fusil gesprochen. Aber Fusil ist ein Schweinehund.»
«Was Sie von Ihren Vorgesetzten halten, interessiert mich nicht.»
«Es wird Sie aber sofort interessieren. Anstatt den Vorschlag anzunehmen, hat Fusil Walker festgenommen.»
Heywood-Smith konnte den Schreck über diese Nachricht nicht verbergen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er auch die entfernteste Möglichkeit des eben Gehörten ableugnen.
Kerr fuhr fort. «Weil er aber nicht erwartet hatte, eingelocht zu werden, ist er in Panik geraten.»
Heywood-Smith drückte seine Zigarre mit so übermäßiger Gewalt aus, daß sie aufplatzte und ihren Inhalt über den Rand des Aschenbechers auf das runde Tischchen verstreute.
«Er ist in solche Panik geraten, daß er versucht hat, sich herauszureden. Er hat der Polizei von dem Gold erzählt, wem er es übergeben hat, nachdem es in seinem Lieferwagen vom Kai gebracht worden war, und daß Sie den ganzen Job geleitet haben. Aber, weil er so verdammt rachsüchtig ist, behauptet er trotzdem weiterhin, ich hätte ihn erpreßt.»
Heywood-Smith ging zu seiner Zigarrenschachtel und nahm eine Zigarre. Er entfernte die Binde, schnitt die Spitze ab und zündete sie an.
«Und mir sind ein paar Sachen eingefallen», sagte Kerr. «Walker hat mir die Erpressung angehängt unmittelbar, nachdem mir Leery erzählt hatte, daß die beiden Schiffe Schwesterschiffe sind – die beiden, von denen das Gold gestohlen worden ist. Das bedeutet, daß Leery mit drinsteckt, wie wir schon von Anfang an vermuteten, und es liegt genügend Beweismaterial vor, um ihn unter Anklage zu stellen. Wenn er und Walker im Netz sind, dann sind Sie dran.»
«Und?» fragte Heywood-Smith mit rauher Stimme.
«Ich bin gekommen, um zu sehen, wie freigebig Sie sich fühlen. Ich könnte den Mund halten.»
«Erpressung?»
«Warum nicht? Für eine Portion Erpressung bin ich sowieso schon vorgemerkt.»
Heywood-Smith ging zu seinem Cocktailschrank und goß sich einen Whisky ein. «Wie Sie selbst sagen, werden Sie ins Gefängnis kommen. Geld nützt Ihnen nichts.»
«Wenn ich genug habe, kann ich Walker die Wahrheit abkaufen. Kerle wie er sind immer käuflich, wenn man das Entsprechende flüssig machen kann. Er wird sowieso lange sitzen müssen, und es wird nicht länger werden, wenn er zugibt, daß er mich reingelegt hat. Jetzt haßt er mich wie die Pest, weil ich Polizist bin, und er würde sich krank lachen, wenn ich für etwas, das ich nicht ausgefressen habe, in den Knast käme; aber zehntausend Pfund könnten seine Einstellung gewaltig ändern.»
«Sie haben die Frechheit, hierherzukommen und zehntausend Pfund zu verlangen …»
«Fünfzehntausend. Ich brauche fünf für mich selbst, als Schmerzensgeld.»
«Sie kleiner Idiot.»
Ein Telefon klingelte. Heywood-Smith zögerte kurz und verließ dann das Zimmer.
Kerr zündete sich eine Zigarette an. Hatte er überzeugend geklungen? Hatte Heywood-Smith etwas davon geschluckt? Hatte Fusil recht, daß dies die einzige Möglichkeit war, sich völlig reinzuwaschen? Angenommen, Fusil hatte gelogen und Choppy Walker hatte wirklich angeboten, unter der Bedingung der Straffreiheit die Wahrheit zu sagen …?
Heywood-Smith kam zurück, ging zum Cocktailschrank und nahm sein Glas, das er dort abgestellt hatte.
«Ich will fünfzehntausend», sagte Kerr.
Heywood-Smith ging hinüber zum Kamin, der wegen der Zentralheizung zugemauert war. «Verlassen Sie mein Haus. Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei und sage ihr genau, was Sie hier versucht haben.»
«Ich habe Sie gewarnt.»
«Sie lächerlicher kleiner Idiot. Kommt daher mit unbestimmten, albernen Drohungen und glaubt, ich gerate in Panik. Erzählen Sie den Leuten, was Sie wollen. Denken Sie, mir kann von dem, was Sie sagen, auch nur ein Wort schaden? Glauben Sie wirklich, ich würde, wenn ich die Golddiebstähle organisiert hätte, das Ganze so einrichten, daß Sie mir schaden können? Mann Gottes, trauen Sie mir ein bißchen mehr Geschicklichkeit zu!»
«Sie wollen nicht –»
«Raus!»
Kerr zögerte und ging dann auf die Tür zu. Er blieb stehen, drehte sich um und begann zu bitten. «Ich … wenn ich Walker nicht bezahlen kann, rückt er nicht mit der Wahrheit raus.»
«Das geht mich nichts an.»
«Aber ich bin unschuldig. Sie wissen, daß ich unschuldig bin.»
«Na und?»
«Wollen Sie nicht –»
«Raus!»
Kerr verließ den Raum, durchquerte die Halle, öffnete die Eingangstür und ging hinaus.
Im Salon trank Heywood-Smith seinen Whisky aus und goß sich einen zweiten ein. Der Schreck darüber, daß der Inspektor wider alles Erwarten Walkers Vorschlag nicht angenommen hatte, machte ihm immer noch zu schaffen. Er hatte Kerr geopfert. Warum? Aus welchem Grund hatte der Inspektor das Unmögliche getan?
Es klingelte. War dieser Kerr zurückgekommen, nicht um zu drohen, sondern um zu flehen? Dann würde ihm auf brutale Weise klargemacht werden, daß er einen gewaltigen Fehler begangen hatte.
Die Haushälterin kam herein und sagte, ein Police Constable wolle mit Detective Constable Kerr sprechen.
Er ging in die Halle. Beim Eingang stand ein sehr jung aussehender Constable in Uniform, den Helm in der Hand. «Bedaure, Sie zu stören, Sir.»
«Keine Störung, Constable», sagte Heywood-Smith jovial.
«Was gibt’s?»
«Ich habe eine dringende Nachricht für Detective Constable Kerr, und mir wurde gesagt, er sei hier.»
«Er ist vor ungefähr fünf Minuten weggegangen.»
«Dann ist er vermutlich auf dem Rückweg zum Revier. Sie schreien nach ihm, so laut sie können», fügte er naiv hinzu.
«Im Revier?»
«Jawohl, Sir.»
«Tatsächlich? Ich glaubte verstanden zu haben, daß Kerr höchst bedauerlicherweise vom Dienst suspendiert worden ist.»
«Das war er, Sir, aber er ist wieder zurück. Und wenn ich sehe, wie sie ihn jetzt herumschubsen, mein ich, es könnt ihm fast leid tun, daß sie ihn nicht in Ruhe gelassen haben. Bedaure, Sie gestört zu haben, Sir.» Der Constable machte kehrt, öffnete die Haustür und ging hinaus in die Nacht.
Heywood-Smith starrte auf die geschlossene Tür. Seine Haushälterin sagte etwas, und er antwortete mit einem Fluch. Sie ging in die Küche zurück.
Kerrs ganze Geschichte war erstunken und erlogen. Weit davon entfernt, suspendiert und in tiefster Ungnade zu sein, war er zurück im Dienst – ganz offensichtlich durch Walker entlastet, der zusammengebrochen war, als die Polizei seinen Vorschlag nicht angenommen und ihn verhaftet hatte. Dann aber war Kerrs Besuch, scheinbar ein plumper Erpressungsversuch, in Wirklichkeit etwas ganz anderes gewesen – eine Tatsache, die nie ans Licht gekommen wäre, hätte nicht ein junger dummer Police Constable unfreiwillig die Katze aus dem Sack gelassen.
Plötzlich erinnerte er sich an den Telefonanruf. Der Mann am anderen Ende der Verbindung hatte nach Großhandelspreisen für Kohl gefragt und war auf Heywood-Smith’ scharfe Entgegnung, er sei kein Gemüsegroßhändler, sehr grob geworden. Er hatte den Anruf als bedeutungslos abgetan – aber war es nicht wahrscheinlicher, daß es sich auch in diesem Fall um jemand gehandelt hatte, der nicht war, was er vorgab? Was war er dann aber gewesen? Die Antwort auf diese Frage ergab sich von selbst. Der Anruf sollte ihn aus dem Zimmer locken, damit Kerr allein war.
Langsam ergriffen die umschlingenden Saugarme der Panik von seinen Gedanken Besitz. Die Polizei hatte den «unmöglichen» Zug getan, den einzigen, mit dem er niemals gerechnet hätte. Damit war er verwundbar geworden. Er erkannte widerstrebend, daß der Mann, der sich diesen Schlag ausgedacht hatte, beinahe so gerissen war wie er, denn er hatte sofort den einzigen schwachen Punkt seines Plans herausgefunden. Nur das Verhalten eines jungen, unerfahrenen Police Constables hatte alles verdorben.
Er starrte geistesabwesend vor sich hin und versuchte, sich in die Lage des Detective Inspectors zu versetzen. Einer seiner Leute war fälschlich wegen Erpressung angezeigt worden, so gut wie sicher auf Veranlassung eines Mannes, den die Polizei seit Jahren kannte, der aber zu schlau war, um sich auf gesetzlichem Wege fassen zu lassen. Wie ist an den Kerl heranzukommen? Offensichtlich nur durch Anwendung außergewöhnlicher Mittel. Nichts besser, als den Spieß umdrehen. Dem Detective Constable war etwas angehängt worden: Also hieß es, dem anderen gleichfalls etwas anhängen. Aug um Auge, mit dem Endsieg der spöttisch triumphierenden Polizei.
Er war plötzlich von der Gewißheit erfüllt, daß Kerr es darauf abgesehen hatte, allein im Salon zu bleiben. Warum? Um irgend etwas zu verstecken, das belastend wirken würde.
Heywood-Smith rannte in den Salon und begann wie ein Irrsinniger zu suchen. Er suchte unter dem Sofa, zwischen den Kissen, unter den Sesseln, im Kamin, in den beiden Minton-Vasen, in der Zigaretten- und der Zigarrendose, den Tischschubladen, hinter den Gemälden, unter dem Teppich, in der Vitrine und in jedem einzelnen Möbelstück … und er fand nichts.
Die Tür am Ende des Raums führte in die Bibliothek. Die Regale waren mit Büchern gefüllt, alle in Ledereinbänden und mit seinem Monogramm versehen; in und hinter jedem zu suchen, würde Stunden erfordern. Hatte er noch Zeit? Wann würde die Polizei erscheinen und die fabrizierten Beweise ausfindig machen?
Das Telefon klingelte, und er schreckte zusammen. Er rannte zurück in die Halle und hob den Hörer ab. Leery rief in panischem Schrecken an, die Polizei hatte eben einen Haussuchungsbefehl gebracht und sein Haus durchsucht. Seine Frau war völlig aufgelöst. Heywood-Smith verwünschte Leerys Frau und knallte den Hörer auf die Gabel.
Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Ein einziger falscher Beweis konnte ihn nicht ruinieren, aber er konnte der Polizei den Vorwand liefern, ihn bis zur gerichtlichen Vorführung am nächsten Morgen einzusperren. Das würde ihnen Gelegenheit geben, die ganze Nacht nach der letzten Goldlieferung zu suchen, die noch in seinem Besitz war, weil er das Gold so sehr liebte, daß es ihm weh tat, etwas davon zu verkaufen.
Er mußte fliehen, bevor sie kamen und das falsche Beweisstück fanden. Wenn er auf freiem Fuß war und das Gold nicht mehr hatte, konnte er sich in allen Punkten verteidigen. Kerr behauptete, Walker habe der Polizei die Namen aller ihm bekannten Kontaktleute verraten. Er mußte diese Behauptung als wahr betrachten, denn alles andere wäre äußerst gefährlich. Zwar konnte nichts von Walkers Enthüllungen ihm, Heywood-Smith, direkt schaden, aber die Wege, auf denen er sonst das Gold absetzte, waren jetzt zu gefährlich geworden.
Was sollte er tun? Er mußte unverzüglich handeln, aber … Er dachte an Leery, Leery war Seemann. Er konnte mit der Motorjacht in den Kanal fahren und von dort aus direkten Kontakt mit den Franzosen aufnehmen …