22
Um sechzehn Uhr zehn wurde Malcolm Neilson unter
dem dringenden Tatverdacht des Mordes an Edward Marber verhaftet.
DC Grant Hood, der den Auftrag bekommen hatte, sich um die
Pressearbeit zu kümmern, war ganz in seinem Element. Zwei
Mordfälle, zwei Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Die Zeitungen
und Fernsehsender wollten alles über die beiden Fälle wissen, und
er war derjenige, den sie mit Fragen löchern würden. Hood wusste,
welche, und lief auf der Suche nach Antworten im CID-Büro herum. Er
war kurz nach Hause gegangen, um einen dunkelgrauen Anzug
anzuziehen, den er sich bei Ede and Ravenscroft hatte schneidern
lassen. Die Ärmel waren nachträglich gekürzt worden, damit man die
weißen Manschetten mit den goldenen Manschettenknöpfen sehen
konnte.
Hood behauptete, sich nur wegen der Kameras in
Schale zu werfen. Er müsse professionell wirken. Manche stellten
das in Zweifel.
»Ist der schwul oder was?«, fragte Allan Ward
Rebus.
»Keine Sorge, Allan«, versicherte ihm Rebus. »Du
bist nicht sein Typ.« Sie standen auf dem Parkplatz:
Zigarettenpause. Das Team aus VR 1 grübelte immer noch über Dickie
Diamonds Aussage nach. Die Meinungen reichten von »das
Papier nicht wert, auf dem sie steht« bis zu »jede Wette, dass
Chib Kelly es war«.
»Was meinst du?«, fragte Ward nun.
»Ich finde, Tennant hat Recht«, antwortete Rebus.
»Unsere Aufgabe ist es, Leute zu befragen. Die Entscheidung, ob uns
jemand lauter Lügen aufgetischt hat oder nicht, treffen
andere.«
»Sieht dir gar nicht ähnlich, dich auf die Seite
der Bowlingkugel zu schlagen«, meinte Ward.
Wieder dieser Spitzname: Bowlingkugel. Rebus
fragte sich, ob die anderen beiden ihn auch kannten.
»Sag mal, Allan, haben Jazz und Francis schon mit
dir gesprochen?«
»Worüber?«
»Damit ist die Frage eigentlich schon beantwortet.«
Ward schaute so verwirrt drein, dass er Rebus Leid tat. »Wir haben
etwas vor. Vielleicht brauchen wir noch Verstärkung.«
»Worum geht’s?«
Rebus tippte sich an die Nase. »Würdest du dir gern
ein bisschen was nebenbei verdienen?«
Ward zuckte mit den Achseln. »Kommt drauf an,
wie.«
Rebus nickte, sagte aber nichts weiter.Ward wollte
gerade nachhaken, als die Tür aufging und eine Gruppe
Uniformierter, gefolgt von Hynds, Hawes und Siobhan, zu den
Streifenwagen lief. Hawes suchte Wards Blick, worauf dieser
angestrengt auf seine Zigarette starrte. Das Lächeln auf ihrem
Gesicht erstarb.Ward war eindeutig nicht interessiert.
»Kleiner Betriebsausflug?«, fragte Rebus
Siobhan.
»Gerade ist der Durchsuchungsbefehl
gekommen.«
»Ist noch ein Plätzchen frei?«
Sie sah ihn an. »Sie gehören nicht mehr...«
»Ich bitte Sie, Siobhan. Kommen Sie mir nicht auf
die Tour.«
»Warum so interessiert?«
»Wer sagt denn, dass ich interessiert bin? Ich will
bloß eine
Weile weg von hier.« Er wandte sich an Ward. »Erklärst du’s den
anderen?«
Ward nickte ohne große Begeisterung. Er hatte noch
ein paar Fragen gehabt, und jetzt ließ Rebus ihn einfach
stehen.
»Red mit Jazz und Francis«, sagte Rebus zu ihm.
Dann trat er seine Zigarette aus und lief zu Siobhans Auto.
Phyllida Hawes räumte gerade den Beifahrersitz und setzte sich nach
hinten zu Hynds. Anscheinend hatte Siobhan sie darum gebeten.
»Danke, Phyl«, sagte Rebus und nahm Platz. »Also,
wohin fahren wir?«
»Nach Inveresk. Malcolm Neilson hat dort ein
Haus.«
»Ich dachte, er wohnt in Stockbridge?«
Hynds beugte sich vor. »Er benutzt die Wohnung vor
allem als Atelier. Die Lichtverhältnisse sind da wohl besonders
gut.«
Rebus ging nicht darauf ein. »Also erst Inveresk
und dann Stockbridge?«
Siobhan schüttelte den Kopf. »Linford und Silvers
leiten eine zweite Einsatzgruppe. Sie fahren nach
Stockbridge.«
»Und Neilson schmort unterdessen in einer
Zelle?«
»Gill Templer und Bill Pryde leisten ihm
Gesellschaft.«
»Die beiden haben doch seit Jahren kein Verhör
geführt.«
»Sie haben aber auch niemanden entkommen lassen«,
warf Phyllida Hawes ein. Rebus sah in den Rückspiegel und erwiderte
ihr Lächeln.
»Was wollen wir dort eigentlich finden?«, fragte er
Siobhan.
»Keine Ahnung«, murmelte sie mit zusammengebissenen
Zähnen.
»Vielleicht hat er ja Tagebuch geführt«, sagte
Hynds.
»Warum ich ein kaltblütiger Mörder bin«,
schlug Hawes als Titel vor.
»In Inveresk wohnt sich’s nett«, dachte Rebus laut
nach. »Der Job als Maler scheint ja ziemlich einträglich zu
sein.«
»Er hat auch noch ein Haus in Frankreich«,
berichtete Hawes. »Das aber, wie ich leider feststellen muss,
nicht von uns durchsucht werden wird.«
Siobhan wandte sich an Rebus. »Die örtliche
Gendarmerie wird sich darum kümmern, sobald wir jemanden gefunden
haben, der genug Französisch kann, um sie um Amtshilfe zu
bitten.«
»Das könnte dauern.« Rebus sah in den Rückspiegel.
»Vielleicht liegt ja dort das Tagebuch.«
»Parce que je suis un tueur avec le sang
froid«, meinte Hynds. Stille trat ein. Siobhan sprach
zuerst.
»Warum haben Sie nicht gesagt, dass Sie Französisch
sprechen?«
»Mich hat keiner gefragt. Außerdem wollte ich bei
der Durchsuchung dabei sein.«
»Sobald wir zurück sind«, erwiderte Siobhan kühl,
»werden Sie es DCI Pryde sagen.«
»Ich weiß nicht, ob mein Französisch für ein
offizielles Schreiben ausreicht.«
»Wir besorgen Ihnen ein Wörterbuch«, meinte
Siobhan.
»Ich helfe Ihnen gern«, bot Rebus an.
»Und wie gut können Sie Französisch?«
»Ich sage nur: nul points.«
Vom Rücksitz kam Gelächter. Siobhans Miene wurde
starr. Sie umklammerte das Lenkrad fester, so als sei es momentan
das Einzige in ihrem Leben, was sie unter Kontrolle hatte.
Sie hatten einige der gefährlicheren Viertel
Edinburghs durchquert - Craigmillar und Niddrie - und fuhren nun
über die Stadtgrenze nach Musselburgh, der selbst ernannten »Honest
Toun«. Hynds fragte, woher dieser Name komme, aber keiner wusste
es. In Inveresk, einer reichen Siedlung am Rand der Stadt, gab es
nur wenige Neubauten. Die meisten Häuser waren alt, groß und frei
stehend, hinter hohen Mauern verborgen oder am Ende einer langen,
gewundenen Einfahrt
gelegen. Ein idealer Ort für Politiker und Fernsehstars, um sich
den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen.
»Hier war ich noch nie«, sagte Hynds, während er
aus dem Fenster schaute.
»Ich auch nicht«, meinte Hawes.
Inveresk war nicht groß, und sie hatten keine Mühe,
Neilsons Haus zu finden. Zwei Streifenwagen standen bereits vor dem
Eingang, denn man hatte die nächstgelegene Polizeiwache über die
Durchsuchung informiert. Auch die Presse war da, in der Hoffnung
auf Fotos von beschlagnahmten Beweisstücken. Das einstöckige Haus
war eine Art Cottage, nicht besonders groß, aber sehr pittoresk,
mit einem Ziegeldach und mehreren eingebauten Gauben. Der schmale,
gepflegte Vorgarten wurde von Rosenbeeten beherrscht. Siobhan hatte
die Schlüssel dabei, die ihr Neilson freiwillig aushändigte,
nachdem er erfahren hatte, dass die Polizei sich, wenn nötig,
gewaltsam Zutritt verschaffen würde. Siobhan wies Hynds an, die
Rolle Müllsäcke aus dem Kofferraum mitzunehmen - für den Fall, dass
sie doch etwas finden würden.
Hawes trug eine Schachtel mit kleinen Plastiktüten
und Etiketten bei sich, die man an jedes brauchbare Fundstück
heften konnte. Alle streiften sich Handschuhe über, während auf der
gegenüber liegenden Straßenseite Auslöser klickten und Filme von
summenden Motoren weitergespult wurden.
Rebus hielt sich im Hintergrund. Siobhan hatte das
Kommando, und daran ließ sie keinen Zweifel aufkommen. Sie
versammelte ihre Einsatzgruppe in einem Halbkreis und gab
Anweisungen. Rebus zündete sich eine Zigarette an. Als sie das
Feuerzeug klicken hörte, drehte sie sich zu ihm um.
»Nicht im Haus«, ermahnte sie ihn. Er nickte. Asche
auf einem Teppich könnte zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Rebus fand, er sei draußen besser aufgehoben. Schließlich war er
nicht mitgekommen, um bei der Durchsuchung zu helfen. Er hatte das
Bedürfnis gehabt, Gray und den anderen eine Weile aus dem Weg zu
gehen - in Ruhe nachzudenken. Siobhan schloss die Haustür auf. Die
Polizisten gingen hinein. Die Diele sah, soweit Rebus das
beurteilen konnte, vollkommen normal aus. An Siobhans Verhalten
während der Fahrt hatte man deutlich ablesen können, dass sie die
Aktion für Zeitverschwendung hielt und demnach von der Schuld des
Malers keineswegs überzeugt war.Trotzdem führte sie ihren Auftrag
gewissenhaft aus. Das Haus musste durchsucht werden, denn man
konnte ja nie wissen, was dabei herauskam.
Da fast alle Polizisten im Haus verschwunden waren,
blieb den Fotografen nichts anderes übrig, als ihre Kameras auf den
rauchenden Kriminalbeamten zu richten, der allein im Vorgarten
stand. Gill Templer wäre bestimmt begeistert, wenn sie ein solches
Bild in der Zeitung sehen würde. Also drehte Rebus sich um und ging
am Haus entlang. Der Garten auf der Rückseite war lang und schmal,
mit einer Laube und einem Schuppen am hinteren Rand. Steinplatten
säumten die Rasenfläche. Die Beete machten einen ungepflegten
Eindruck, aber das konnte durchaus Absicht sein: ein verwilderter
Garten als Kontrast zu den ordentlichen Rosenbeeten. Rebus wusste
zu wenig über Gärten und Malcolm Neilson, um das beurteilen zu
können. Er schlenderte zu der Laube. Sie sah ziemlich neu aus.
Lackierte Lattenwände und Glastüren mit Holzrahmen. Die Türen waren
nicht verschlossen. Er öffnete sie. Drinnen lehnten Gartenstühle an
der Wand und warteten auf wärmeres Wetter. Ein sehr solide
aussehender hölzerner Liegestuhl hatte in einer seiner breiten
Armlehnen eine Vertiefung, in der man ein Glas oder eine Tasse
stellen konnte. Guter Einfall, dachte Rebus und ließ sich auf dem
Stuhl nieder. Er sah quer durch den Garten zum Haus hinüber und
stellte sich vor, wie der Maler mit
einem Glas neben sich gemütlich in der Laube saß, während es
draußen womöglich regnete.
»Glückspilz«, murmelte er.
Hinter den Fenstern im Erd- und Dachgeschoss
bewegten sich schattenhafte Gestalten. Sie nahmen sich die Zimmer
vermutlich jeweils zu zweit vor, so wie von Siobhan angeordnet. Und
was suchten sie? Beweismaterial - irgendetwas, das Neilson
zusätzlich belasten würde. Rebus wünschte ihnen viel Erfolg. Ihm
wurde bewusst, dass er sich nach einem Platz wie diesem sehnte.
Einer Zuflucht. Aber er ahnte irgendwie, dass eine Gartenlaube bei
ihm zu Hause nicht dieselbe Wirkung hätte. Er hatte gelegentlich
daran gedacht, seine Wohnung gegen ein kleines Haus am Rande der
Stadt einzutauschen - er müsste dann zwar pendeln, könnte aber ein
wenig zur Ruhe kommen. Der Haken daran war nur, dass es womöglich
zu ruhig wäre. In Edinburgh gab es durchgehend geöffnete Läden,
unzählige zu Fuß erreichbare Pubs und die ständigen
Hintergrundgeräusche einer Großstadt. Er befürchtete, dass ihm die
Stille an einem Ort wie Inveresk auf Dauer schlecht bekäme und er
sich immer mehr in sich selbst zurückziehen würde.
»Zuhause ist es doch am schönsten«, sagte er zu
sich und stand auf. Hier würde er keine Antworten finden. Seine
Probleme waren Teil von ihm selbst, ein Ortswechsel würde daran
nichts ändern. Er dachte an Dickie Diamond, der hoffentlich im
Begriff war, sich aus Edinburgh zu verkrümeln. Als Edinburgher
Adresse hatte er das Haus seiner Schwester in Newhaven angegeben,
als ständigen Wohnsitz die Adresse eines Hochhauses in Gateshead.
Sie hatten sich mit der Polizei dort in Verbindung gesetzt und
gebeten, das zu überprüfen. Er hatte gesagt, er sei im Moment ohne
Beschäftigung, habe sich aber nicht arbeitslos gemeldet. Kein
Bankkonto, seinen Führerschein habe er nicht bei sich. Kein Wort
über das Auto, und auch Rebus hatte es nicht erwähnt. Denn anhand
der Autonummer konnte man sofort die
Adresse des Halters ermitteln. Rebus war überzeugt, dass die
Adresse in Gateshead erfunden oder überholt war. Bei dem Auto
könnte die Sache jedoch anders liegen. Er rief per Handy in der
Einsatzzentrale von St. Leonard’s an und fragte, ob jemand beim
letzten bekannten Standort des Fords - die Straße in der New Town -
vorbeifahren könne.
Aber das war nicht nötig. »Der Wagen wurde heute
Morgen abgeschleppt«, meinte der Kollege am Telefon. Er befand sich
also auf dem Abstellplatz und konnte nur gegen Zahlung einer
gepfefferten Strafgebühr ausgelöst werden. Rebus bezweifelte, dass
Diamond sich die Mühe machen würde - dazu war der Ford
wahrscheinlich zu wenig wert.
»In der New Town schafft man Müll schnell weg,
was?«, sagte Rebus.
»Das Auto stand vor dem Haus eines Richters, der
selbst dort parken wollte«, erklärte der Beamte.
»Haben Sie die Adresse vom Besitzer des
Fords?«
Der Kollege las sie vor. Es war dieselbe, die
Diamond in seiner Aussage angegeben hatte. Rebus beendete das
Gespräch und steckte das Handy wieder ein. Dickie Diamond würde die
Stadt per Bus oder Zug verlassen, es sei denn, er fand Mittel und
Wege, ein Auto zu klauen.
Oder er blieb in der Stadt und riskierte, dass
Rebus ihm kräftig die Meinung sagte und zusätzlich vielleicht ein
paar kräftige Ohrfeigen verpasste.
Lag die Pistole im Auto? Er überlegte, ob es lohnte
nachzusehen, aber dann verwarf er den Gedanken. Dickie Diamond
würde niemanden erschießen. Die Pistole war eine leere Drohung
gewesen... die leere Drohung eines schwachen und ängstlichen
Menschen. Eine etwas verspätete Erkenntnis.
Er war stehen geblieben, um sich eine weitere
Zigarette anzuzünden, und ging dann zum Schuppen hinüber, der älter
als die Laube aussah. Die Holzwände waren schimmlig und mit
Vogeldreck übersät. Kein Schloss an der Tür, also
öffnete Rebus sie. Ein aufgerollter Gartenschlauch rutschte von
dem Nagel an der Innenseite der Tür, an dem er gehangen hatte, und
fiel krachend zu Boden. In Regalen lagen Heimwerkerutensilien:
Schrauben, Klemmen, Stecker, Haken. Ein alter Handrasenmäher nahm
den größten Teil des Platzes ein. Daneben stand noch etwas, halb
verborgen, in Blasenfolie gehüllt. Rebus blickte zum Cottage
hinüber. Er trug keine Handschuhe, hob den Gegenstand aber trotzdem
hoch. Es war ein Gemälde oder zumindest ein Bilderrahmen. Schwerer
als erwartet, vielleicht wegen der Glasscheibe. Er trug es auf den
Rasen. Dann hörte er, wie sich ein Fenster öffnete und Siobhan
rief: »Was zum Teufel ist das!«
»Kommen Sie her und sehen Sie sich’s an!«, rief er
zurück. Er entfernte die Folie. Das Gemälde zeigte einen Mann in
einem leuchtend weißen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Er hatte
langes, dunkles, welliges Haar und stand neben einem Kaminsims, auf
dem ein Spiegel lehnte, in dem eine Frau mit langen, glänzenden
schwarzen Haaren zu sehen war, deren Unterkiefer sich scharf
abzeichnete, so als wäre er von einem Feuer beschienen. Rings um
die Figuren herrschte Dunkelheit. Die Frau trug eine schwarze
Maske, die Augen und Nase verdeckte. Ihre Hände befanden sich
hinter ihrem Rücken. Vielleicht waren sie gefesselt. In der linken
unteren Ecke stand in Großbuchstaben der Nachname des Künstlers:
Vettriano.
»Das ist garantiert das gestohlene Gemälde«, sagte
Rebus, als Siobhan neben ihm auftauchte.
Sie starrte zuerst auf die Leinwand, dann auf den
Schuppen. »Und es befand sich einfach so da drin?«
»Neben dem Rasenmäher.«
»Die Tür war nicht verschlossen?«
Rebus schüttelte den Kopf. »Sieht so aus, als habe
er es mit der Angst zu tun bekommen. Er hat das Ding hergebracht
und wollte es dann doch nicht im Haus haben.«
»Wie schwer ist es?« Siobhan ging um das Bild
herum.
»Leicht ist es nicht gerade. Worauf wollen Sie
hinaus?«
»Neilson besitzt kein Auto.Wozu auch, denn er hat
keinen Führerschein.«
»Wie hat er dann das Bild hierher geschafft?« Rebus
wusste, was sie dachte. Sie nickte. »Momentan zählt allein, dass
Sie das Bild gefunden haben, das aus dem Haus des Opfers gestohlen
wurde«, sagte er.
»Ist das nicht eine wunderbare Fügung?«,
entgegnete sie und sah ihn an.
»Also gut, ich geb’s zu, ich hatte das Bild unter
meiner Jacke versteckt.«
»Ich behaupte ja nicht, dass Sie es
hergebracht haben.«
»Aber jemand anders?«
»Eine Menge Leute haben gewusst, dass Malcolm
Neilson einer der Verdächtigen war.«
»Vielleicht sind ja seine Fingerabdrücke auf dem
Glas. Wären Sie dann zufrieden, Siobhan? Oder wie wär’s mit einem
blutverschmierten Hammer? Vielleicht liegt der auch noch irgendwo
im Schuppen. Und ich hab übrigens ernst gemeint, was ich eben
gesagt habe.«
»Was denn?«
»Dass Sie das Bild gefunden haben. Ich
dürfte doch gar nicht hier sein - schon vergessen? Wenn Sie Gill
erzählen, dass John Rebus das entscheidende Beweisstück entdeckt
hat, dann wird sie uns beide zur Schnecke machen. Sagen Sie einem
Ihrer Leute, er soll mich zurück in die Stadt fahren - und warten
Sie noch ein bisschen, bis Sie Gill von Ihrem Fund
berichten.«
Sie nickte, wohl wissend, dass er Recht hatte,
verfluchte sich aber, ihn mitgenommen zu haben.
»Ach, und Siobhan?« Rebus tätschelte ihren Arm.
»Gratuliere. Die anderen werden Sie für ein echtes Genie
halten.«
Als Malcolm Neilson mit der Neuigkeit von dem
gestohlenen Bild konfrontiert wurde, schwieg er zuerst, behauptete
dann, es sei ein Geschenk von Marber gewesen, änderte kurz darauf
seine Meinung und erklärte, er habe es noch nie zuvor gesehen oder
in der Hand gehabt. Neilsons Fingerabdrücke hatte man schon zuvor
abgenommen, und das Bild war nach Howdenhall ins Polizeilabor
gebracht worden, wo man es auf Fingerabdrücke untersuchte und
andere, mysteriösere Untersuchungen vornahm.
»Mich würde interessieren, Mr Neilson«, meinte Bill
Pryde, »warum Sie sich ausgerechnet für dieses Bild entschieden
haben, obwohl dort andere herumstanden, die wertvoller
waren.«
»Ich hab’s nicht gestohlen, verdammt noch
mal!«
William Allison, Neilsons Anwalt, saß neben seinem
Klienten und machte sich eifrig Notizen. »Sie haben gesagt, das
Gemälde wurde in dem Schuppen in Mr Neilsons Garten gefunden, DCI
Pryde. Dürfte ich erfahren, ob die Tür des Schuppens durch ein
Schloss gesichert war?«
Die Nachricht von dem Fund in Inveresk hatte auf
dem Revier schnell die Runde gemacht und auch den Wild Bunch aus
seiner Höhle hinauf ins Mordbüro gelockt.
»Sie haben also den entscheidenden Beweis
gefunden?«, wandte sich Francis Gray an Derek Linford und schlug
ihm auf die Schulter.
»Ich nicht«, erwiderte Linford kurz
angebunden. »Ich musste mich ja durch das zugemüllte Atelier hier
in der Stadt wühlen.«
»Trotzdem, Beweis ist Beweis, oder?«
Der Blick, den Linford ihm zuwarf, signalisierte
alles andere als Zustimmung. Gray lachte kurz und ging weg.
Dann wurde bekannt, dass tatsächlich Fingerabdrücke
auf dem Bild gefunden worden seien. Aber sie stammten alle von
Edward Marber.
»Zumindest wissen wir jetzt, dass wir das richtige
Bild haben«, meinte jemand achselzuckend.Was natürlich stimmte,
Siobhan aber trotzdem nicht zufrieden stellte. Sie dachte
über das Motiv des Bildes nach und fragte sich, ob Marber in der
maskierten Frau Laura gesehen hatte. Die beiden sahen sich zwar
nicht ähnlich, aber dennoch - hatte Marber sich mit dem Mann
identifiziert? Einem Voyeur oder sogar Gebieter, der über seine
Sklavin nachdachte?
Das Gemälde musste etwas zu bedeuten haben. Es
musste einen Grund geben, warum gerade dieses Bild aus Marbers Haus
verschwunden war. Sie erinnerte sich an die Quittung für das Bild,
die sich in Marbers Geschäftsunterlagen befand. Er hatte vor fünf
Jahren achttausendfünfhundert Pfund dafür bezahlt. Heutzutage würde
es laut Cynthia Bessant das Vier- bis Fünffache einbringen - eine
üppige Verzinsung der Investition, aber immer noch wesentlich
weniger als andere Bilder aus der Sammlung des Kunsthändlers.
Das Gemälde hatte für jemanden eine besondere
Bedeutung besessen, die über den materiellen Wert hinausging.
Was könnte es für Malcolm Neilson bedeuten?
War er vielleicht neidisch auf Künstler, die erfolgreicher waren
als er?
Erneut klopfte jemand Siobhan auf die Schulter.
»Alle Achtung, gut gemacht.« Sie hatte sich bereits bei einem Anruf
des Assistant Chief Constable Colin Carswell verleugnen lassen. Sie
wusste, dass er sich in ihrem Erfolg sonnen wollte, und hatte keine
Lust, mit ihm zu reden. Nicht, dass sie ihren Erfolg nicht teilen
wollte. Im Gegenteil - sie wollte nichts damit zu tun haben. Denn
sie hatte den Eindruck, dass es überhaupt kein Erfolg war, sondern
nur dazu führte, dass man einen Unschuldigen verurteilte.
Einer von der Tulliallan-Crew - Jazz McCullough -
stand nun neben ihr.
»Was ist los?«, fragte er. »Nicht in Partylaune?
Der Fall ist doch jetzt in trockenen Tüchern, oder?«
»Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb Sie
wieder die Schulbank drücken müssen.« Sie sah, wie sich sein Blick
veränderte. »Tut mir wirklich Leid, das war nicht so gemeint.«
»Offenbar hab ich Sie auf dem falschen Fuß
erwischt. Ich wollte nur gratulieren.«
»Das können Sie gern tun, aber erst nach
einem Schuldspruch.« Sie drehte sich um, ging weg und spürte, wie
McCulloughs Blick ihr bis zur Tür folgte.
Auch Rebus sah sie hinausgehen. Er sprach gerade
mit Tam Barclay und fragte ihn, ob er einen Spitznamen für DCI
Tennant habe.
»Ich wüsste einige sehr hübsche«, meinte Barclay.
Rebus nickte. Er hatte auch schon mit Stu Sutherland gesprochen und
war sich daher ziemlich sicher, dass ›Bowlingkugel‹ ein Name war,
den nur Gray, Jazz und Allan Ward benutzten. Da machte ihm Jazz ein
Zeichen. Rebus beendete das Gespräch mit Barclay und folgte Jazz,
der den Flur hinunter zu den Toiletten marschierte. Er stellte sich
vor die Waschbecken, die Hände in den Taschen.
»Was ist los?«, fragte Rebus.
Die Tür ging auf, und Gray trat ein. Er nickte zur
Begrüßung und sah nach, ob die Kabinen auch leer waren.
»Wann willst du in der Lagerhalle nach dem Rechten
sehen?«, fragte Jazz leise. »Wenn wirklich die Gefahr besteht, dass
die Ware bald nicht mehr da ist, solltest du langsam deinen Arsch
in Bewegung setzen.« Er klang kalt und berechnend, und Rebus’
Sympathie für diesen Mann schwand merklich.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht
morgen.«
»Warum nicht heute?«, meinte Gray.
»Heute ist fast vorbei«, erwiderte Rebus und sah
ostentativ auf seine Uhr.
»Fast ist nicht ganz«, erklärte Jazz. »Wenn du dich
sofort auf die Socken machst, reicht die Zeit noch.Wir denken uns
eine Entschuldigung für dich aus.«
»Schließlich wär’s nicht das erste Mal, dass du
dich verkrümelst«, meinte Gray. »Komisch, dass du vorhin hier
angehetzt kamst und man kurz darauf das Bild gefunden hat...«
»Was soll das heißen?«
»Hört auf«, ermahnte Jazz die beiden. »Reden wir
lieber über das Bild, das wir uns von der Situation rund um die
Lagerhalle machen müssen.«
Gray grinste.
»Wir brauchen möglichst schnell ein paar Details,
die uns weiterhelfen«, stellte Jazz fest.
»Was ist mit Allan?«, fragte Rebus. »Ist er dabei
oder nicht?«
»Er ist dabei«, antwortete Gray. »Obwohl er sauer
war, weil du ihn vorhin einfach hast stehen lassen.«
»Weiß er, um was es genau geht?«
»Allan ist es ganz recht, wenn er nicht alles
weiß«, meinte Gray.
»Wieso denn das?« Rebus wartete auf eine nähere
Erklärung.
»Allan tut, was man ihm sagt«, entgegnete
Gray.
»Ihr drei...«, Rebus hoffte, möglichst arglos zu
klingen, »… ihr habt so was schon mal durchgezogen,
stimmt’s?«
»Musst du das unbedingt wissen?«, fragte
Gray.
»Ich finde schon«, beharrte Rebus.
»Warum?« Die Frage kam von Jazz.
»Wer zu viel weiß, lebt gefährlich«, sagte Gray
nach einer längeren Pause. »Was ist mit deinen Freunden von der
SDEA? Wirst du jetzt bei denen vorbeischaun oder nicht?«
»Was bleibt mir anderes übrig?« Rebus versuchte,
verärgert zu wirken. Er spürte, wie Jazz’ Blick nicht von ihm
wich.
»Es ist immer noch dein Plan, John«,
erinnerte ihn Jazz leise. »Wir sind bloß der Ansicht, dass wir
nicht ewig warten können.«
»Ich weiß«, lenkte Rebus ein. »Okay, ich rede mit
ihnen.« Er tat so, als überlegte er. »Wir müssen uns noch über die
Verteilung unterhalten.«
»Die Verteilung?«, grummelte Gray.
»Es war meine Idee«, betonte Rebus. »Und ich bin
bis jetzt der Einzige, der Arbeit investiert...«
Jazz’ Gelassenheit wirkte nun fast bedrohlich. »Du
wirst einen größeren Anteil bekommen, John«, sagte er. »Keine
Sorge.«
Gray sah aus, als wollte er widersprechen, sagte
aber kein Wort. Als Rebus sich umwandte, um hinauszugehen, legte
Jazz ihm die Hand auf die Schulter.
»Werd aber nicht zu gierig«, meinte er. »Vergiss
nicht: Du hast uns das Angebot gemacht. Wir sind mit von der
Partie, weil du es so gewollt hast.«
Rebus nickte und schaffte es endlich zu
verschwinden. Auf dem Flur spürte er, wie sein Herz pochte und das
Blut in seinen Ohren rauschte. Sie trauten ihm nicht, dennoch waren
sie bereit, gemeinsame Sache mit ihm zu machen.
Warum? Wollten sie ihm eine Falle
stellen? Und wann war der richtige Zeitpunkt, Strathern zu
informieren? Sein Verstand sagte »jetzt«, doch sein Bauch war
anderer Meinung. Trotz dieser Unentschiedenheit beschloss er, im
Großen Kasten vorbeizuschauen.
Es war nach sechs, und er rechnete eigentlich
damit, dass die SDEA-Büros leer sein würden, aber Ormiston saß noch
vor einem Computer. Die Tasten waren deutlich zu klein für seine
breiten Finger. Er drückte gerade fluchend auf die Löschtaste, als
Rebus eintrat.
»Hi, Ormie.« Er bemühte sich um einen unbeschwerten
Plauderton. »Lässt man Sie Überstunden machen?«
Der massige Mann grunzte, hielt die Augen aber
weiterhin auf den Bildschirm gerichtet.
»Ist Claverhouse da?«, fragte Rebus und lehnte sich
an einen Schreibtisch.
»Lagerhalle.«
»Aha? Der Stoff liegt da also immer noch rum?«
Rebus hatte einen Kaugummi vom Schreibtisch genommen und steckte
ihn in den Mund.
»Was geht Sie das an?«
Rebus zuckte mit den Achseln. »Wollte nur wissen,
ob ich noch mal mein Glück beim Wiesel versuchen soll.«
Ormiston sah ihn finster an und widmete sich dann
wieder seiner Arbeit.
»Also gut«, meinte Rebus. Ormistons Blick hatte
bedeutet, dass sie ihre Hoffnungen auf das Wiesel aufgegeben
hatten. »Claverhouse wüsste bestimmt gern, warum das Wiesel neulich
Abend bei mir war.«
»Möglich.«
Rebus begann, auf und ab zu gehen. »Wüssten Sie’s
auch gern, Ormie? Ich erzähl es Ihnen zuerst, und dann erst Ihrem
Partner.«
»Nein, wie schmeichelhaft.«
»Es ist eigentlich gar nichts Besonderes…« Ormiston
wollte einfach nicht anbeißen. Rebus beschloss, ihn mit einer
zusätzlichen Andeutung zu ködern. »Es geht bloß um Cafferty und die
Lagerhalle.«
Ormiston hörte auf zu tippen, blickte aber weiter
auf den Bildschirm.
»Das Wiesel«, fuhr Rebus fort, »hat mir nämlich
berichtet, Cafferty plane einen Überfall auf die Lagerhalle.«
»Es ist uns bekannt, dass er von dem Stoff
weiß.«
»Ihr kennt nur die Gerüchte, die auf der Straße
kursieren.«
Ormiston sah zur Seite, aber das brachte nichts.
Rebus stand direkt hinter ihm, sodass dem massigen Mann nichts
anderes übrig blieb, als sich mit dem Stuhl um hundertachtzig Grad
zu drehen.
»Ich hingegen habe Informationen aus erster Hand«,
meinte Rebus.
»Und was ist, wenn Ihr Informant Sie verarscht
hat?«
Rebus zuckte nur die Schultern. »Diese Entscheidung
überlasse ich Ihnen und Ihrem Compadre.«
Ormiston verschränkte die Arme. »Und warum sollte
das Wiesel bei Ihnen über seinen Boss auspacken?«
»Genau darüber möchte ich mit Claverhouse reden.«
Rebus hielt inne. »Außerdem wollte ich mich entschuldigen.«
Ormiston zog die Augenbrauen hoch. Dann löste er
seine Arme und griff nach dem Telefon.
»Da will ich dabei sein«, sagte er.
»Wollt ihr den Stoff wegbringen?«, fragte Rebus.
Er stand im Lagerhaus. Den zerlegten Lkw hatte man inzwischen
fortgeschafft, stattdessen war über die Hälfte der Lagerhalle mit
neu aussehenden Holzkisten voll gestellt. Sie waren zugenagelt und
paarweise übereinander gestapelt. »Heißt das, ihr teilt euch die
Lorbeeren mit dem Zoll?«
»Vorschriften sind Vorschriften«, erwiderte
Claverhouse. Rebus strich über eine der Kisten, dann pochte er mit
der Faust gegen das Holz. Claverhouse grinste. »Wetten, Sie erraten
nicht, in welcher Kiste es ist.«
»Ist es in einer oder mehreren?«
»Verrat ich nicht.«
Es roch nach frischem Holz. »Sie glauben, dass
jemand es auf den Stoff abgesehen hat?«, vermutete Rebus.
»Uns sind Gerüchte zu Ohren gekommen.
Sicherheitsmaßnahmen sind ja schön und gut, aber...«
»Aber jeder Dieb bräuchte mindestens eine Stunde,
um die richtigen Kisten zu finden.« Rebus nickte, aufrichtig
beeindruckt von Claverhouse’ Idee. »Warum schafft ihr das Zeug
nicht einfach weg?«
»Und wohin bitte?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nach Fettes?«
»Sie kennen doch das Big House: keine Alarmanlage,
aber lauter offene Fenster.«
»Wahrscheinlich keine gute Idee«, gab Rebus
zu.
»Aber um auf Ihre Frage zu antworten. Ja, wir
werden es wegschaffen. Sobald wir mit dem Zoll alles geklärt
haben.« Claverhouse dachte nach. »Ormie sagte, Sie wollen sich
entschuldigen?«
Rebus nickte erneut. »Es geht um das Wiesel. Ich
war zu nachsichtig mit ihm. Sie meinten, es wäre ein Gespräch von
Vater zu Vater, und genau das war es dann auch. Ich habe nicht mehr
wie ein Polizist gedacht. Dafür wollte ich mich
entschuldigen.«
»Und deshalb war er an dem Abend bei Ihnen zu
Hause?«
»Er wollte mich warnen, dass Cafferty von dem Stoff
weiß.«
»Und diese Information haben Sie uns absichtlich
verschwiegen?«
»Sie wussten es doch schon, oder?«
»Nur gerüchteweise.«
»Nun gut.« Rebus sah sich um. »Ihr seid hier auf
alles vorbereitet, ja? Cafferty wollte euch mit seinem Überfall
überraschen.«
»Rund-um-die-Uhr-Bewachung«, meinte Claverhouse.
»Schlösser an den Toren, Stacheldrahtzaun. Und als Dreingabe meine
kleine Rätselaufgabe.«
Rebus sah zu Ormiston. »Wissen Sie, in welcher
Kiste das Zeug steckt?«
Ormiston hielt Rebus’ Blick stand.
»Dumme Frage«, murmelte Rebus. Claverhouse
lächelte. »Sie sollen wissen«, erklärte Rebus, »dass es mir
wirklich Leid tut, beim Wiesel nichts für Sie erreicht zu haben.
Ich war viel zu nachsichtig mit ihm. Das hat bei ihm einen falschen
Eindruck erweckt. Er dachte, ich tu es ihm zuliebe, und fand, er
sei mir deshalb etwas schuldig.«
»Er hat Ihnen die Sache über Cafferty also erzählt,
um sich zu revanchieren«, sagte Claverhouse nickend.
»Aber da ich jetzt den Kontakt zu ihm erneuert
habe«, fuhr Rebus fort, »könnte ich es vielleicht immer noch
schaffen, ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.«
»Zu spät«, meinte Claverhouse. »Das Wiesel scheint
sich verdünnisiert zu haben. Seit seinem Besuch bei Ihnen hat ihn
niemand mehr gesehen.«
»Wie bitte?«
»Er hat wohl Panik bekommen.«
»Genau das war unser Ziel«, gab Ormiston zu. Der
Blick, den ihm sein Kollege zuwarf, brachte ihn zum
Schweigen.
»Wir haben das Gerücht ausgestreut«, erklärte
Claverhouse, »dass wir vorhaben, seinem Sohn wegen dem Stoff hier
den Prozess zu machen.«
»Und Sie haben geglaubt, ihm dadurch so viel Angst
einzujagen, dass er bei Ihnen angerannt kommt?«
Claverhouse nickte.
»Aber stattdessen ist er getürmt?« Rebus versuchte,
sich einen Reim darauf zu machen. Das Wiesel hatte nicht den
Eindruck erweckt, als wäre er im Begriff zu fliehen.
»Und Sie halten es für möglich, dass er Aly im
Stich gelassen hat?«
Claverhouse zuckte unter Einsatz des gesamten
Körpers die Achseln und bedeutete Rebus damit, dass für ihn das
Thema erledigt sei. »Zeugt von Charakter, einen Fehler zuzugeben«,
sagte er zu Rebus. »Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.« Dann
streckte er ihm seine Hand hin, die Rebus nach kurzem Zögern
ergriff. Er dachte immer noch an das Wiesel und fragte sich, ob das
ihm und seinen Plänen schaden könnte. Ihm fiel keine Antwort
ein.Was immer auch mit dem Mann geschehen war, Rebus durfte keine
Zeit mit irgendwelchen Mutmaßungen vergeuden. Er musste sich auf
das Wesentliche konzentrieren, zu Werke gehen, seine Kräfte
bündeln.
Auf sich selbst Acht geben.