8. Kapitel
Ocachobi, Florida
»Wir nehmen keine Frauen bei uns auf, kleine Dame.« Colonel Carter
Randalls knurriger Südstaatenakzent dröhnte
unangenehm in Nells Ohren. »Also setzen Sie Ihren kleinen Feministinnenarsch in Bewegung, und verschwinden Sie von hier.«
Nell scheuchte die Fliege fort, die, seit sie das Büro betreten hatte, vor ihrem Gesicht herumgeschwirrt war. Sie schwitzte, und die Luftfeuchtigkeit traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Ob der Kerl eine angestellte Klimaanlage wohl als Gefahr für seine männliche Härte betrachtete? »Ich bin keine Feministin. Oder vielleicht doch. Ich weiß nicht mehr, was das ist.« Sie begegnete seinem Blick. »Wissen Sie's? «
»O ja, ich weiß es. Wir hatten schon vor Ihnen ein paar von diesen Lesbenweibern hier, die uns angefleht haben, ihnen zu zeigen, wie es ist, ein richtiger Mann zu sein.«
»Und, haben Sie es ihnen gezeigt? «
Ein gehässiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Nein, aber ein paar der Jungs haben ihnen gezeigt, wie es ist, eine richtige Frau zu sein.«
Er versuchte, ihr angst zu machen, was ihm auch gelang, aber das durfte er nicht sehen. Er gehörte zu der Art von Mann, die es genoß, andere zittern zu sehen. Mit ruhiger Stimme fragte sie:
»Sie haben sie vergewaltigt? «
»Das habe ich nicht gesagt, oder? « Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Aber wir haben hier in Ocachobi keine Quartiere für Frauen. Sie müßten eine Pritsche in einem der Männerschlafsäle nehmen.«
»Dazu bin ich bereit.«
»Das waren
diese Lesben auch. Aber bereits nach der ersten Nacht haben sie es
sich anders überlegt.«
»Das werde ich nicht.« Sie wischte sich die feuchten Hände an der Jeanshose ab. Inzwischen wußte sie nicht mehr genau, schwitzte sie wegen der Hitze oder aus Nervosität? »Warum akzeptieren Sie keine Frauen? Unser Geld ist ebensogut wie das der Männer.«
»Aber Euer Rückgrat ist es nicht.« Sein Blick verharrte auf ihren Brüsten. »Wir akzeptieren Frauen... dort, wo sie hingehören.
Eine Frau sollte die Dinge tun, von denen sie was versteht.«
Nur mit Mühe unterdrückte sie ihre Verärgerung. Es nützte ihr nichts, wenn sie diesem chauvinistischen Bastard zeigte, wie wütend sie war.
Aber vielleicht wäre es hilfreich, wenn sie ihn wütend machte, dachte sie mit einem Mal.
»Ich habe draußen auf dem Feld all diese großen, starken Männer gesehen, die versucht haben, über die Holzwand zu klettern. Allzu geschickt haben sie sich nicht gerade angestellt.
Haben sie vielleicht Angst, eine Frau könnte besser sein? «
Er erstarrte. »Dies ist erst die erste Trainingswoche. Am Ende des Monats werden sie drüberkommen wie der Blitz.«
»Vielleicht.«
Seine Augen blitzten zornig auf. »Wollen Sie damit etwa sagen, ich wäre ein Lügner? «
»Ich sage lediglich, daß ich bezweifle, daß ein Mann, der unter seinen Männern noch nicht mal für Disziplin sorgen kann, aus ein paar Weichlingen innerhalb weniger Wochen echte Soldaten macht.«
»Hier in Ocachobi herrscht äußerste Disziplin.«
»Ach, dann erlauben Sie also, daß die Kerle Frauen vergewaltigen? Das ist keine militärische Disziplin, das ist Barbarei. Was für ein Offizier sind Sie? « Noch ehe er antworten konnte, fuhr sie fort. »Oder vielleicht sind Sie gar kein Offizier. Haben Sie Ihre Uniform vielleicht in irgendeinem Armeeladen gekauft? «
»Ich war ein Colonel bei den Rangern, du Hexe.«
»Wann? « schnauzte sie. »Und warum sind Sie nicht mehr bei der Armee und verstecken sich statt dessen hier im Sumpf? Sind Sie inzwischen zu alt und bringen es einfach nicht mehr? «
»Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, und ich stecke noch jeden Mann in Uniform in die Tasche, wenn ich will«, knurrte er.
»Das bezweifle ich nicht. Diese armen Kerle schaffen es ja noch nicht mal, die Wand raufzuklettern. Es gibt Ihnen bestimmt ein ungeheures Überlegenheitsgefühl, zu wissen, daß Sie stärker sind.«
»Ich habe nicht die Auszubildenden gemeint, ich habe...«
Zornbebend brach er ab. »Sie meinen also, die Holzwand ist leicht? Sie ist zehn Meter hoch. Vielleicht machen Sie es ja besser, kleine Dame.«
»Wahrscheinlich. Vielleicht probieren wir es einfach mal aus?
Wenn ich es schaffe, nehmen Sie mich dann hier auf? «
Sein Lächeln troff vor Boshaftigkeit. »Wenn Sie
drüberkommen, nehmen wir Sie mit dem größten Vergnügen auf.« Er stand auf und winkte in Richtung der Tür. »Nach Ihnen.«
Sie zeigte ihm nicht, wie erleichtert sie war, als sie hinter ihm die Treppe zum Übungsplatz hinunterstieg. So weit, so gut.
Vielleicht.
Aus der Nähe betrachtet, sah die Holzwand mit einem Mal viel höher aus, und von den Stiefelabdrücken der Männer, die versucht hatten, das Hindernis zu überwinden, rann eine glitschige Spur herab.
Das Gejohle und Gegrinse der Männer ignorierte sie. Sie packte das Seil und begann zu klettern. Sofort merkte sie, daß dies etwas ganz anderes war, als das Seil zu erklimmen, das an der Decke des Fitneßraums des Krankenhauses befestigt gewesen war. Wenn sie versuchte, ihre Knie zu benutzen, prallte sie mit dem Seil gegen die hölzerne Wand. Es ging nur, wenn sie sich mit den Füßen abstemmte und sich allein mit den Armen höherzog.
Anderthalb Meter.
Ihre Sohlen glitten an der schlammigen Oberfläche ab, und sie krachte gegen die Wand.
Schmerz.
Gelächter von den Männern unter ihr.
Achte nicht auf sie. Halt dich fest. Laß nicht los.
Sie drückte sich von der Wand ab und stemmte erneut die Füße gegen das Holz.
Zweieinhalb Meter.
Wieder rutschte sie aus. Das rauhe Seil verbrannte ihre Hände, als sie anderthalb Meter schlitterte, ehe sie sich wieder fing.
»Keine Angst«, rief Randall spöttisch. »Wenn du fällst, fangen wir dich auf, Süße.«
Wieder brachen die Männer in dröhnendes Gelächter aus.
Ignorier sie. Das konnte sie. Ignorier den Schmerz. Immer nur einen Schritt. Denk an nichts anderes. Es gab nur das Seil und die Wand.
Wieder begann sie zu klettern.
Einen Meter rauf.
Sie glitt ab und krachte gegen die Wand.
Anderthalb Meter rauf.
Wie viele Meter noch?
Es war egal. Man schaffte alles, wenn man sich von Minute zu Minute weiterarbeitete. Nach zehn dieser quälenden Minuten hatte sie endlich das obere Ende der Wand erreicht und schwang
sich rittlings darauf. Dann blickte sie auf Randall und die Männer herab. Es dauerte einen Augenblick, bis sie wieder zu Atem kam. »Ich habe es geschafft, du Hurensohn. Und jetzt hoffe ich, daß du dein Versprechen hältst.«
Sein Lachen verstummte, ebenso wie das der anderen.
»Kommen Sie da runter.«
»Sie haben mir versprochen, mich zu nehmen, wenn ich es schaffe. Und ein Offizier hält immer sein Wort, nicht wahr? «
Er bedachte sie mit eine m kalten Blick. »Also gut, kleine Dame, es wird uns ein Vergnügen sein, Sie in unserer Mitte zu sehen.
Morgen rücken wir zum Manöver aus. Das gefällt Ihnen bestimmt.«
Was hieß, daß er die Absicht hatte, ihr das Leben zur Hölle zu machen. Sie ließ sich auf der anderen Seite der Holzwand herunter, und als sie unten ankam, wartete er bereits auf sie.
»Das hier ist Sergeant George Wilkins. Er wird Ihnen Ihre Ausrüstung geben. Habe ich schon erwähnt, daß ihm Frauen beim Militär ein Dorn im Auge sind? «
Sie nickte dem untersetzten, kräftig gebauten Sergeant zu.
Wilkins sagte: »Das hätte ein Baby geschafft. Im Vergleich zu den Sümpfen ist diese Holzwand der reinste Klacks.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und stapfte davon.
»Laufen Sie ihm besser nach«, sagte Randall in geradezu freundlichem Ton. »Und ich an Ihrer Stelle würde mir die Hände verbinden. In den Sümpfen gibt es alle möglichen Pilze und Bakterien. Schließlich wollen wir doch nicht, daß Sie sich irgendwas einfangen, kleine Dame.«
Erst jetzt bemerkte sie, daß ihre Handflächen aufgerissen waren und bluteten. Die Wunden allerdings störten sie nicht so sehr wie der herablassende Spitzname, der ihr von ihm verpaßt worden war. »Ich versuche stets, eine Dame zu sein, aber ich bin nicht klein.« Sie wandte sich ab und ging in die Richtung, in die Wilkins verschwunden war.
Als sie dem
Sergeanten eine Stunde später in den langen Schlafsaal folgte,
senkte sich bedrohliche Stille über den Raum.
»Das ist Ihr Bett.« Wilkins wies auf eine Pritsche unter einem der vergitterten Fenster. »Solange Sie hier sind.«
Er machte kehrt und ging davon.
Sie versuchte, die Männer im Raum zu ignorieren, während sie ihre Kleider und Ausrüstung auf die Pritsche warf. Doch das war leichter gesagt als getan. Die Blicke der Kerle brannten sich wie glühende Eisen in ihr Kreuz. Was machte sie nur hier? überlegte sie, und Verzweiflung wallte in ihr auf. Das Ganze war vollkommen verrückt. Es mußte einen anderen Weg geben, um zu erreichen, was erforderlich war.
Ignorier sie. Vielleicht gab es andere Wege, aber keiner war so schnell wie der, der von ihr gewählt worden war. Sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt und wich nicht wieder davon ab.
Sie sortierte ihre Kleider und wandte sich dann der M16 und der Pistole, die Wilkins ihr gegeben hatte, zu. Mußte sie sie nicht reinigen oder so? In sämtlichen Kriegsfilmen, die sie je gesehen hatte, hatte es eine Szene gegeben, in der irgendein armer Kerl bestraft worden war, weil er sein Gewehr nicht gereinigt hatte.
»Kann ich Ihnen helfen? «
Sie erstarrte und drehte sich um.
Ein Kind. Ein schlaksiger Junge, der höchstens siebzehn war.
Seine krumme Nase war mit Sommersprossen bedeckt, und er lächelte sie zögernd, fast schüchtern an.
»Ich bin Peter Drake.« Er setzte sich auf ihre Pritsche. »Ich habe beobachtet, wie Sie die Wand raufgeklettert sind. Ich glaube nicht, daß es dem Colonel gefallen hat, daß Sie oben angekommen sind. Mir hat es gefallen. Es gefällt mir, wenn Leute gewinnen.« Sein Lächeln strahlte kindliches Vergnügen aus.
Kindlich. Sie starrte ihn an, und mit einem Mal wurde ihr klar, wie passend diese Bezeichnung war. Großer Gott, Randall mußte ein Teufel sein, wenn er einen Jungen wie ihn in seinem Lager duldete. »Ja? « fragte sie sanft. »Es ist tatsächlich ein schönes Gefühl, wenn man gewinnt.«
Er runzelte die Stirn. »Ich habe es nicht geschafft. Der Sergeant war wütend auf mich. Er mag mich nicht.«
»Warum gehst du dann nicht fort von hier? «
»Mein Daddy will, daß ich hierbleibe. Er war ein Soldat wie Colonel Randall. In der regulären Armee wollten sie mich nicht.
Er sagt, dieses Lager macht einen richtigen Mann aus mir.«
Ihr wurde schlecht.
»Und was sagt deine Mutter dazu? «
»Sie ist nicht mehr da«, sagte er vage. »Ich komme aus Selena, Mississippi. Und woher kommen Sie? «
»North Carolina. Aber du klingst gar nicht so, als ob du aus dem Süden kämst.«
»Ich bin nicht oft dort. Er schickt mich immer auf irgendwelche Schulen.« Er spielte mit der Schnur ihres Rucksacks herum.
»Ich glaube, der Colonel mag Sie auch nicht. Warum? «
»Weil ich eine Frau bin.« Sie verzog das Gesicht. »Und weil ich die Wand hochgekommen bin.«
Er sah sich im Schlafsaal um. »Ein paar von den Männern mögen Sie auch nicht. Colonel Randall war vor ein paar Minuten hier und hat ihnen gesagt, es wäre in Ordnung, wenn sie Ihnen wehtun.«
Was sie nicht weiter verwunderte.
Er lächelte. »Aber ich werde Ihnen helfen. Ich bin nicht besonders klug, aber ich bin stark.«
»Danke, aber ich komme auch allein zurecht.«
Seine Miene verfinsterte sich. »Vielleicht denken Sie, ich bin nicht stark genug, weil ich nicht die Wand raufgekommen bin? «
»Das ist es
nicht. Ich bin sicher, daß du stark genug bist, um alles zu tun,
was du willst.«
Immer noch hatte er diesen verletzten Gesichtsausdruck. Sie konnte diesen Jungen unmöglich in ihren Kampf mit
einbeziehen, aber sie hatte das Gefühl, als hätte sie einem Welpen einen Tritt versetzt. »Vielleicht könntest du mir helfen, indem du mir was über die Männer hier erzählst. Das wäre sehr wichtig für mich.«
»Ich weiß nicht. Sie reden nicht viel mit mir.«
»Welche von Ihnen, denkst du, tun mir vielleicht weh? «
Sofort nickte er in Richtung eines untersetzten Kerls mit schütterem Haar, der vier Pritschen neben ihr lag. »Scott. Er ist ganz schön fies. Er ist derjenige, der mich Blödmann nennt.«
»Sonst noch wer? «
»Sanche z.« Er sah sich unbehaglich nach einem kleinen, drahtigen Lateinamerikaner um, der mit einem unangenehmen Grinsen in ihre Richtung starrte, und dann nickte er in Richtung eines blonden Mittzwanzigers. »Blumberg. Sie haben angefangen, mich unter der Dusche zu betatschen, aber als Scott kam, haben sie aufgehört.«
»Scott hat sie daran gehindert? «
»Nein, aber sie wollten nicht, daß er es weiß.« Er schluckte.
»Sie haben gesagt, ich... liefe ihnen ja nicht weg.«
Wenn sie schwul waren, dann hätte sie von Sanchez und Blumberg vielleicht nichts zu befürchten. Nein, Vergewaltigung war ein Gewaltverbrechen, kein Verbrechen aus Leidenschaft, und auch vor einem hilflosen Jungen hatten sie nicht haltgemacht. »Ich glaube, du solltest von hier fortgehen, Peter.«
Er schüttelte den Kopf. »Das würde Daddy nicht wollen. Er sagt, ich bin zu weich. Er sagt, ich muß lernen, einzustecken.«
Einzustecken, daß man ihn mißbrauchte und vergewaltigte? Er mußte gewußt haben, in welche Machohölle Peter hier geraten würde. Nur mit Mühe unterdrückte sie ihren Zorn. Sie konnte im Augenblick nichts für Peter tun. Vielleicht könnte sie noch nicht einmal etwas für sich selber tun. »Dein Daddy hat Unrecht. Dies ist nicht der richtige Ort für dich. Geh nach Hause.«
»Dann würde er mich ja doch zurückschicken.« Und dann fügte er hinzu: »Er will mich nicht.«
Verdammt. Das hier kam ihr gerade recht. Das Mitleid, das sie für diesen Jungen empfand, machte es bestimmt nicht leichter für sie. Sie starrte ihn hilflos an, und dann wandte sie sich ab.
»Kennst du dich mit Waffen aus? «
Seine Miene hellte sich auf. »Sie haben uns gleich am ersten Tag alles mögliche über Gewehre erzählt. Jeden Morgen rücken wir zum Zielschießen aus.«
»Und was ist mit der Pistole? «
»Darüber weiß ich nicht so viel. Aber ich weiß, wie man sie zusammensetzt und wie man sie lädt.«
Sie setzte sich neben ihn auf das Bett. »Zeig es mir.«
»Hast du was von ihr gehört? « fragte Tanek, als Tania ans Telefon kam.
»Kein Wort. Sie ist also nicht in Seattle? «
»Nein, und Phil sagt, in Denver ist sie auch nicht. Offenbar haben wir uns geirrt.«
»Meinst du, daß sie vielleicht in Florida ist? «
»Gott, ich weiß es nicht.« Er rieb sich den Nacken. »Vielleicht hat sie auch nur eine weitere falsche Spur gelegt. Sie könnte überall sein.«
»Was wirst du tun? «
»Was schon? Ich fliege in dreißig Minuten nach Florida, und am späten Vormittag müßte ich in Ocachobi sein. Ich schicke Phil zu euch zurück für den Fall, daß sie plötzlich vernünftig wird und nach Hause kommt.«
»Das ist nicht nötig. Ich bin ja hier.«
»Es ist nötig«, sagte er grimmig. »Wenn sie auftaucht, laßt sie bloß nicht wieder gehen. Ich muß unbedingt mit ihr reden.«
Sie kamen.
Nells Muskeln spannten sich unter der Decke an, als sie hörte, wie irgendjemand durch die Dunkelheit zu ihrer Pritsche kam.
Seit Stunden wartete sie auf diesen Augenblick.
Sie versuchten noch nicht einmal, leise zu sein. Warum sollten sie auch? Niemand würde ihr zur Seite stehen.
Außer Peter. Schlaf weiter, Peter. Gib ihnen keinen Grund, dir weh zu tun.
Sie kamen näher. Vier Schatten in der Dunkelheit. Wer war der vierte Mann? Es war egal. Sie alle waren der Feind.
»Mach das Licht an. Ich will ihr Gesicht sehen, wenn ich ihn ihr reinramme.«
Es wurde hell.
Scott. Sanchez. Blumberg. Der vierte Mann war schon älter, mit einem Durchschnittsgesicht und schütterem Haar.
»Sie ist wach. Guckt nur, Jungs, sie wartet schon auf uns.«
Scott trat neben ihr Bett. »Weißt du, es gefällt uns nicht, wenn sich irgendwelche Lesben einbilden, besser als wir zu sein.«
»Verschwinden Sie.«
»Das können wir nicht. Wir wollen dir doch schließlich zeigen, daß wir ebenfalls gute Kletterer sind. Wir werden dich so oft besteigen, daß du morgen früh O-Beine hast.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Und jetzt sei schön still, und tu brav, was wir dir sagen. Wir mögen es nicht, wenn sich Frauen als Soldaten verkleiden. Irgendwie macht uns das gar nicht an.
Also zieh dich aus.«
»Lasst sie
in Ruhe«, mischte sich Peter ein.
Er saß auf dem Rand seiner Pritsche und sah in seiner khakifarbenen Unterwäsche noch zerbrechlicher und linkischer als vorher aus.
»Halt's Maul, Blödmann«, sagte Scott, ohne ihn anzusehen.
»Ihr dürft ihr nicht wehtun Sie hat euch ja auch nicht wehgetan.«
»Ob wir ihr wehtun, liegt ganz bei ihr. Sie braucht nur zu tun, was wir ihr sagen, vielleicht hat sie dann sogar Spaß dabei«, sagte Sanchez.
»Verschwinden Sie«, wiederholte Nell.
Peter eilte neben ihre Pritsche. »Tut ihr nicht weh.«
Er hatte Angst. Sie sah, daß sein Wangenmuskel zuckte und daß seine Hände zitterten. »Geh wieder ins Bett, Peter.«
»Vielleicht will der Blödmann seinen Schwanz ja auch mal 'n bisschen nass machen«, sagte Scott. »Nee, dazu ist er nicht Manns genug.«
»Sie denken, wenn man eine Frau vergewaltigt, ist man ein ganzer Mann? « fragte sie.
»Was ich denke, wirst du gleich sehen.« Er beugte sich zu ihr hinab und riß ihre Decke zurück.
Sie hob die Pistole an, die darunter verborgen gewesen war, und richtete sie auf seinen Unterleib. »Ich sehe nur, daß Sie keinen Penis mehr haben werden, wenn Sie sich nicht auf der Stelle verziehen.«
»Scheiße.« Instinktiv trat er einen Schritt zurück.
»Wir könnten sie einfach überwältigen«, sagte Sanchez. »Wir nehmen ihr die Knarre ab und schieben sie in ihre Möse rein.«
»Ja, das könnten Sie tun«, sagte Nell, wobei sie ihrer Stimme einen möglichst ruhigen Klang verlieh. »Warum tun Sie's nicht, Scott? Vielleicht erwische ich Sie ja nicht alle. Natürlich würde
mein erster Schuß Sie zum Eunuchen machen, und der zweite wäre für Sanchez bestimmt. Danach hätte ich es vielleicht ein bißchen eilig und würde größere Ziele nehmen wie Bauch oder Brust.«
»Das wird sie nicht tun«, mischte sich Blumberg ein. »Das wäre ja Mord.«
»Und Mord ist viel schlimmer als Vergewaltigung.« Nells Griff um die Waffe verstärkte sich. »Aber das sehe ich anders als sie.«
»Dafür würden sie dich einbuchten und den Schlüssel wegschmeißen, und du kämst nie wieder aus dem Bau.«
»Sie würden es versuchen.« Sie begegnete seinem Blick, und dann sah sie die Männer der Reihe nach an. »Aber ich würde es tun. Ich lasse mir nicht wehtun, und ich lasse mich auch nicht aufhalten. Sie stellen sich mir in den Weg, und das kann ich nicht zulassen. Rührt mich an, und ich niete euch um.« O Gott, sie klang wie eine Schauspielerin in einem schlechten Film.
Scott riß die Augen auf, und er flüsterte: »Du bist ja verrückt.«
»Kann sein.«
Er wich vor ihr zurück.
»Du läßt dir doch wohl von dieser Schlampe keine Angst einjagen, oder? « fragte Sanchez ihn.
»Auf deinen Schwanz zielt sie ja nicht«, stieß Scott zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Jetzt schon.« Nell lenkte den Lauf ihrer Waffe um.
Sanchez blinzelte.
»Ihr habt gesagt, es würde ganz einfach«, murmelte der vierte Mann.
»Halt's Maul, Glaser«, sagte Scott.
»Ihr habt mir nicht gesagt, was für ein rabiates Weib das ist.«
Glaser stapfte davon.
»Wir kommen später noch mal zurück. Schließlich kann sie ja nicht die ganze Nacht wach bleiben.« Scott sah Nell mit einem boshaften Lächeln an. »Sobald du die Augen zumachst, sind wir wieder da.«
Er streckte die Hand aus und löschte das Licht.
Sie atmete tief ein und hatte plötzlich das Gefühl, mutterseelenallein und furchtbar verletzlich zu sein.
Noch einmal wurde Scotts Stimme laut. »Hat dich ganz schön fertiggemacht, he? Und du kannst nicht ewig wach bleiben.
Außerdem, was willst du machen, wenn wir erst mal in den Sümpfen sind? Denkst du etwa, Wilkins hätte was dagegen, wenn wir uns ein bißchen amüsieren? «
»Ich bezweifle, daß Sie noch groß Lust auf eine Vergewaltigung haben werden, wenn wir erst mal den ganzen Tag durch den Schlamm gewatet sind.«
Sie hörte einen unterdrückten Fluch.
Sie gingen tatsächlich davon, stellte sie erleichtert fest. Es war noch zu früh, um sich zu entspannen, aber die unmittelbare Gefahr war gebannt. Gott, hatte sie eine Angst gehabt. Sie hatte immer noch Angst und lag zitternd in der Dunkelheit.
»Ich passe auf Sie auf«, sagte Peter zu ihr.
Fast hätte sie vergessen, daß da noch der Junge war. »Nein, schlaf jetzt. Morgen wird ein anstrengender Tag. Da brauchst du deine ganze Kraft.«
»Ich passe auf Sie auf«, wiederholte er stur und setzte sich mit gekreuzten Beinen neben ihr Bett.
»Peter, bitte...«, aber dann brach sie ab. Sie hatte nicht die Absicht zu schlafen, aber es war klar, daß er sich nicht abweisen ließ. Also gut, in ein paar Stunden wäre die Nacht sowieso vorbei.
»Ich hatte ganz schön Angst«, sagte Peter.
»Ich auch.«
»Das hat man Ihnen aber nicht angemerkt.«
»Dir auch
nicht«, log sie.
»Nein? « Er klang ehrlich erfreut. »Ich dachte, Scott hätte es gemerkt. Er ist wie mein Daddy. Er kennt sich mit solchen Sachen aus.«
»Und dein Vater sagt, daß er sich mit solchen Sachen ebenfalls auskennt? «
»Sicher. Er sagt, daß ein Mann seine Schwächen erkennen muß.
Er sagt, er wäre nie Bürgermeister von Selena geworden, wenn er nicht seine Schwächen erkannt und überwunden hätte.«
Allmählich verabscheute sie den gesichtslosen Kerl, der Peters Vater war. »Dein Vater hätte unmöglich mutiger sein können als du eben. Wenn er dich gesehen hätte, wäre er bestimmt stolz auf dich.«
Schweigen. »Nein, er ist nie stolz auf mich. Ich bin nicht klug genug.«
Die Einfachheit seiner Antwort weckte abermals schmerzliches Mitleid in ihr. »Tja, ich war jedenfalls stolz auf dich.«
»Ja? « fragte er begeistert. »Ich war auf Sie auch stolz.« Und nach einer Pause sagte er: »Das heißt, daß wir Freunde sind, nicht wahr? «
Am liebsten hätte sie ihn fortgeschickt. Sie wollte weder seine Hilfe noch die Verantwortung, die er ihr unbewußt für sich übertrug. Er hatte sich den Widerlingen gegenüber auf ihre Seite gestellt, und dafür rächten sie sich sicher später an ihm. Es wäre ihre Schuld, und das wollte sie nicht.
Aber um ihn jetzt noch fortzuschicken, war es zu spät. »Ja, das heißt es«, sagte sie.
»Und wir haben's ihnen ganz schön gegeben, nicht wahr? «
Sie seufzte. »Allerdings.«
»Eve Billings? Ich kenne niemanden mit diesem Namen«, sagte Randall in gleichgültigem Ton. »Und außerdem nehmen wir hier in Ocachobi keine Frauen auf, Mr. Tanek.«
Nicholas
warf eins der Photos, die Tania ihm gegeben hatte, auf den Tisch.
»Vielleicht benutzt sie einen anderen Namen.«
»Hübsche Frau.« Randall schob das Photo fort. »Aber trotzdem habe ich sie nicht gesehen.«
»Das finde ich seltsam. Sie hat am Flughafen von Panama City einen Wagen gemietet.« Er klappte sein Notebook auf. »Und der hat dasselbe Nummernschild wie der Ford, der hinter Ihrem Büro auf dem Parkplatz steht.«
Randalls Lächeln legte sich. »Wir mögen es nicht, wenn irgendwelche Leute bei uns rumschnüffeln.«
»Und ich mag es nicht, wenn man mich belügt«, sagte Nicholas sanft. »Wo ist sie, Randall? «
»Ich habe doch gesagt, sie ist nicht hier.« Randall machte eine ausholende Handbewegung. »Sehen Sie sich ruhig um. Sie werden sie nicht finden.«
»Das wäre Pech... für Sie.«
Randall sprang von seinem Sessel auf. »Wollen Sie mir etwa drohen? «
»Ich sage nur, daß ich sie zurückhaben will und daß Ihnen die Schwierigkeiten, die ich Ihnen machen werde, wenn Sie sie mir nicht sofort bringen, bestimmt nicht gefallen werden.«
»Wir sind Schwierigkeiten gewohnt. Dafür werden die Männer hier ja extra ausgebildet.«
»Hören Sie doch mit diesem Schwachsinn auf. Den Behörden in Panama City sind Sie sowieso ein Dorn im Auge, und sie werden sich freuen, wenn ihnen jemand die Möglichkeit gibt, den Laden dichtzumachen.«
»Weshalb? « fragte Randall erbost. »Schließlich hat niemand die Kleine auch nur angerührt, verdammt.«
»Wegen Entführung.«
»Sie ist freiwillig hierhergekommen. Himmel, sie hat sich mir quasi aufgedrängt. Das wird sie Ihnen bestätigen.«
»Trotzdem
werde ich überall rumerzählen, Sie hätten sie entführt und einer
Gehirnwäsche unterzogen. Über eine solche Geschichte sind die
Zeitungen bestimmt mehr als froh.«
Nicholas lächelte. »Was meinen Sie? «
»Ich meine, daß Sie ein elender Hurensohn sind.« Und dann fragte er in beleidigtem Ton: »Wer ist sie? Ihre Frau? «
»Ja«, log Nicholas.
»Dann sollten Sie dafür sorge n, daß die Hexe in Zukunft zu Hause bleibt und mir nicht noch mal vor die Füße läuft.«
»Sagen Sie mir, wo sie ist, und ich nehme Sie Ihnen gerne wieder ab.«
Randall schwieg, und dann umspielte ein boshaftes Lächeln seinen Mund. »Warum nicht? « Er zog die Schublade seines Schreibtisch» auf, nahm eine Landkarte heraus und rollte sie auf. »Sie ist im Manöver. Sie wollte unbedingt beweisen, wie hart sie ist. Ich kann Ihnen nicht sagen, wo sie im Augenblick ist, aber mit Anbruch der Dämmerung wird sie dort zu finden sein.« Er stach mit dem Zeigefinger auf einen Punkt auf der Karte. »Sie kampieren immer an derselben Stelle. Cypress Island. Sie sollten mir dankbar sein. Nach dem heutigen Tag wird sie überglücklich sein, Sie wiederzusehen.« Sein Lächeln wurde breiter. »Aber vielleicht sind Sie nicht ganz so glücklich, sie wiederzusehen, wenn Sie erst mal durch die Sümpfe gewatet sind.«
»Einen anderen Zugang gibt es nicht zu der Insel? «
»Sie liegt mitten im Sumpf. Die nächste Straße ist zwei Meilen entfernt.« Randall zeigte auf eine Linie auf der Karte. »Sehen Sie? «
»Ich sehe, daß Sie ein selbstzufriedenes Arschloch sind.«
»Sie können auch hierbleiben und warten, bis sie zurückkommt.
Das wird in vier Tagen sein.«
Nicholas nahm die Karte und wandte sich zum Gehen.
»Viel Spaß
bei der Suche. Und grüßen Sie die kleine Dame von
mir.«
Allmählich empfand er Randalls Gebaren mehr als ärgerlich. Er blieb stehen. Nein, er hatte keine Zeit. Bedauerlich.
Er verließ das Büro.
»Trödeln Sie nicht rum, Billings«, sagte Wilkins, während er sich durch das hüfthohe Wasser schob. »Sie fallen zurück. Wir warten nicht.«
Nell ignorierte den Seitenhieb. Sie fiel nicht zurück. Hinter ihr kämpften sich noch vier Männer durch den Sumpf.
»Jeder, der zurückbleibt, wird den Alligatoren überlassen.«
Wieder versuchte er, ihr Angst einzujagen. Hoffentlich sah er nicht, wie erfolgreich er damit war. Vor ein paar Stunden hatte sie eins dieser gräßlichen Biester gesehen.
»Ich bleibe bei Ihnen«, flüsterte Peter hinter ihr. »Keine Angst.«
Aber sie hatte Angst. Sie hatte Angst, sie war erschöpft, und sie wollte nur noch fort von diesem gespenstischen Ort. Seit fast sieben Stunden quälte sie sich durch das schlammdunkle Wasser voran. Die Riemen ihres Rucksacks schnitten ihr in die Schultern und sie...
Neben sich im Wasser nahm sie eine lautlose Bewegung war.
Eine Schlange.
Gott, sie hatte Schlangen schon immer gehaßt.
»Schlafen Sie nicht ein, Billings.«
Sie riss ihren Blick von der Bedrohung fort, die sich ihr unter der Wasseroberfläche zu nähern schien, und schob sich weiter voran. Immer nur einen Schritt. Immer nur einen Fuß vor den anderen. Sie würde es schaffen. Irgendwann ging jeder Alptraum einmal vorbei.
Nur einer nicht.
Nicholas
parkte den Mietwagen am Straßenrand und wühlte in der Tasche auf
dem Beifahrersitz herum. Er zog sein Messer und ein weißes
Taschentuch heraus, band sich mit dem Taschentuch die Haare aus der
Stirn und schob das Messer in den Bund seiner Jeans. Nicht
unbedingt die beste Ausrüstung für einen Marsch durch die Sümpfe,
aber etwas anderes hatte er nicht.
Er stieg aus und blickte schlechtgelaunt auf das gelbe Wasser, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite begann. Randalls Karte zufolge kam er mit dem Wagen nicht näher an die Insel heran. Er bückte sich und schnürte seine Tennisschuhe fester zu.
Er hätte Glück, wenn er durch den Schlamm und das faulige Wasser käme, ohne daß er einen der Schuhe verlor.
Er hatte Sümpfe schon immer gehaßt. Aber natürlich wäre es zuviel verlangt gewesen, daß sich Nell für ein nettes, sauberes Berglager wie das in Washington entschied. Nein, sie mußte sich in die heißen, schlammigen Sümpfe stürzen, wo es zwischen Moskitos, Alligatoren und zweibeinigen Raubtieren wie Randall herumzukriechen galt. Am liebsten hätte er sie erwürgt. Mit knirschenden Zähnen sprang er ins Wasser und machte sich auf den Weg.
»Anscheinend haben wir ein kleines Problem.« Wilkins lächelte, als er zu ihnen zurückgewatet kam. »Ich brauche einen Freiwilligen.«
Nell sah ihn verschwommen vor sich und verstand kaum noch, was er sagte.
»Also? «
Sie wartete darauf, daß er sie direkt ansprach, doch dann sah er Peter an. »Du meldest dich doch bestimmt freiwillig, nicht wahr, Drake? Gut. Du bist genau der Richtige für diesen Job. Jung und schnell. Geh an den Kopf der Kolonne.«
»Was soll ich tun? «
»Wir haben ein kleines Entsorgungsproblem. Vorn ist der Weg versperrt.«
»O. k.«
Peter ging los.
Sie bedachte den Sergeant mit einem argwöhnischen Blick. Jung und schnell. Warum schnell? Sie eilte Peter nach.
Großer Gott.
Sie blieb wie angewurzelt stehen.
Die Schlange war wie eine farbenfrohe Girlande um den tiefsten Ast der Zypresse drapiert. Ohne sie zu streifen, kämen sie nicht darunter hindurch.
»Wollen Sie besser sehen? « fragte Wilkins neben ihr. »Mach die Schlange los, Drake.«
»Warten Sie.« Sie befeuchtete ihre Lippen. »Was ist das für eine Schlange? «
»Nur eine kleine Milchschlange.«
»Warum gehen wir nicht einfach drum herum? «
»Gute Soldaten laufen vor Problemen nicht davon. Sie lösen sie.«
Milchschlange. Dieser Name rief irgendeine Erinnerung in ihr wach. Es gab eine andere Schlange, die mit der Milchschlange fast identisch war. Nur die Reihenfolge der Streifen war anders.
Sie wußte noch, daß ihr von ihrem Großvater einmal ein Reim beigebracht worden war, damit sie wußte, welches die harmlose und welches die giftige Schlange war.
Aber sie erinnerte sich weder an die andere Schlange noch an den Reim.
»Los, Drake«, wies Wilkins den Jungen an.
Korallenschlange. Das Reptil, das der Milchschlange zum Verwechseln ähnlich sah, war die tödliche Korallenschlange.
»Stop! «
Peter blickte lächelnd über die Schulter zurück. »Keine Angst, ich hatte eine zahme Schlange zu Hause, als ich noch ein kleiner Junge war. Man packt sie einfach hinter dem Kopf, und dann
kann sie einem nichts mehr tun.«
»Nicht, Peter. Vielleicht ist sie giftig. Die Milchschlange und die Korallenschlange sehen sehr ähnlich aus.«
»Es ist nur eine kleine Milchschlange. Sehen Sie, die goldenen Streifen liegen direkt neben den roten. Das heißt, daß sie harmlos ist.«
Wilkins sah Peter mit zusammengekniffenen Augen an. »Los, Junge.«
Peter ging in Richtung des Reptils.
Rot neben schwarz.
Warum nur erinnerte sie sich nicht an den Reim.
»Ganz ruhig«, flüsterte Peter der Schlange zu. »Ich tue dir nichts, meine Süße. Ich hänge dich nur woanders hin.«
Bei dem fast zärtlichen Klang seiner Stimme rann ihr ein kalter Schauder den Rücken hinab. Bestimmt streichelte er die Schlange gleich noch.
Wilkins sah dem Jungen lächelnd zu.
Der Sergeant mag mich nicht.
Aber Wilkins brächte doch sicher nicht absichtlich ein Kind wie Peter in Gefahr? Auch wenn er ihn noch so sehr verachtete.
Vielleicht war die Schlange ja tatsächlich so harmlos, wie er behauptete.
Oder vielleicht irrte er sich.
Rot auf schwarz...
»Nein!« Sie stieß Peter beiseite, machte einen Satz, packte die Schlange hinter dem Kopf und schleuderte sie mit aller Kraft in den Sumpf. Drei Meter von ihr entfernt schlug das Tier auf der Wasseroberfläche auf.
»Das hätten Sie nicht tun sollen.« Peter bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. »Der Sergeant hat gesagt, daß das meine Aufgabe ist.«
»Sei ruhig«,
knurrte sie. Wahrscheinlich war es eine Milchschla nge gewesen,
aber sie hatte es einfach nicht geschafft, ruhig zuzusehen. O Gott,
ihr wurde schlecht. Immer noch spürte sie die klamme Kälte der
Schlangenschuppen auf ihrer Haut. Sie beobachtete benommen, wie
sich das Tier behende durch das Wasser von dannen
schlängelte.
»Der Junge hat recht«, stellte Wilkins mit stoischer Ruhe fest.
»Es war nicht Ihre Aufgabe, Billings.«
»Sie haben einen Freiwilligen gesucht.« Sie versuchte verzweifelt, nicht allzusehr zu zittern, während sie sich erneut durch das Wasser schob. »Also habe ich mich gemeldet.«
»Sie hätten nicht so grob sein müssen«, sagte Peter in vorwurfsvollem Ton, während er sich neben sie schob.
»Vielleicht haben Sie ihr wehgetan «
War das ein Stück Moos oder eine weitere Schlange auf dem Baum über ihr? Nur Moos. »Tut mir leid.«
»Meine Schlange war grün. Nicht so hübsch wie diese hier.
Gelb und rot und schwarz - was ist los? «
»Nichts.«
Das durfte nicht wahr sein. Gerade fiel ihr der Reim wieder ein.
Rot auf schwarz, vor Unglück bewahrt's.
Rot auf gold, die Schlange dir grollt.