17
Aul zeigte sich von der phantastischen Existenz ihres verehrten Kommandanten weit weniger überrascht, als ich erwartet hatte. Viel mehr als dieses Phänomen bewegte sie unsere nicht erwartete, bevorstehende Trennung. Obwohl sie sich Mühe gab, ihre Bestürzung zu verbergen, verrieten ihre Augen und der Klang ihrer Stimme den Kummer über meinen plötzlichen Abschied. Meine Beteuerung, in acht Tagen die Rückreise anzutreten, nahm sie mit Skepsis zur Kenntnis. Es blieb uns noch ein kurzes Beisammensein. Wir mußten auf Fritzchen warten, der mich begleiten sollte. Er befand sich mit einem zweiten Transporter zusammen mit Waldi auf dem Wege zu uns.
Wir waren allein, hatten die Besatzung hinausgeschickt. Die Liege war so schmal, daß wir uns aneinanderkuscheln mußten. Lange Zeit hing jeder seinen Gedanken nach. Ich träumte voraus, malte mir meine Ankunft aus und dachte mit Sorge daran, wie ich Johanna meine lange Abwesenheit erklären konnte. Aul dagegen bewegte nur der Gedanke an meine Rückkehr. »Du bist schon fort, nicht wahr?« fragte sie bekümmert.
»Meine Gedanken sind bei dir, Sternschnuppe«, log ich.
Sie wußte, daß ich die Unwahrheit sagte. Die Furcht, nach diesen Monaten erneut in die Einsamkeit zurückgestoßen zu werden, mich vielleicht für immer zu verlieren, veranlaßte sie zu immer neuen und düsteren Prognosen: Ich sei eben doch nur ein schwacher Mensch, der den Anfechtungen nicht widerstehen könne; es wäre besser gewesen, wir hätten uns nie kennengelernt; ich solle mir nicht einbilden, sie würde mir nachtrauern, und ähnliches.
Ich konnte ihre Stimmung nachempfinden, darum bemühte ich mich, sie auf andere Gedanken zu bringen. »Sternschnuppchen«, sagte ich, »ich werde immer den Tag preisen, an dem wir uns kennenlernten. Nie werde ich vergessen, wie du plötzlich, gleich einer Märchenfee, aus dem Nichts vor mir auftauchtest…«
»Das glaube ich dir sogar. Du wirst dich daran
erinnern und andere damit unterhalten…«
»Denk, was du willst«, sagte ich gleichmütig. »Wenn ich zurückkomme
und umprogrammiert bin, verwandle ich dich in eine negative Größe
aus Antimaterie.«
Mein Scherz verklang ohne Echo. Später sagte sie sehr sachlich:
»Wenn die Wirkung des Konzentrats nachläßt, darfst du nicht wieder
soviel Bratkartoffeln essen.«
Ich versprach, ihren Rat zu befolgen. »Abends werde ich versuchen,
den sechsten Mond mit dem Fernrohr zu beobachten. Vielleicht kannst
du ein Lichtsignal geben…«
Sie ging auf meine schnurrige Idee ein und erläuterte, weshalb dies
nicht möglich sei. Dann fügte sie hinzu: »Du wirst auch anderes zu
tun haben, als den Jupiter zu betrachten. Auf eurem Planeten warten
viele Abwechslungen auf dich.«
Ich überhörte ihre Anspielung. »Warum kann man eigentlich nicht den
Transporter optisch oder durch Radar orten? Es gibt Raumkörper, die
die Erde umkreisen, vielleicht hat man inzwischen sogar
Raumstationen errichtet – die müßten uns doch sehen, wenn wir
ankommen.«
Über ihr Gesicht huschte ein mattes Lächeln. Sie erklärte mir, was
ich längst wußte. Elektronische Einrichtungen verschluckten jeden
empfangenen Impuls. Sehen oder hören konnte man aber nur, wenn das
ausgesandte Signal zum Absender zurückkam. Nur zweimal war diese
Schutzvorrichtung versehentlich nicht in Betrieb gewesen – diesem
Zufall verdankte ich das Abenteuer meines Lebens.
Nachdem mich Aul darüber aufgeklärt hatte, fuhr sie fort: »Im
Grunde ist es auch unwichtig, ob man euch ortet oder nicht ortet.
Du hast mir einmal gesagt, es sei unmöglich, die Erde zu vergessen.
Nach deinen Bemerkungen über den sechsten Mond, den du sogar
Scheißmond genannt hast, wird dir die Erde wie ein Paradies
vorkommen. Deine vielen Weiber werden dich verwöhnen…«
Sie war nicht abzulenken. Das »Ewigweibliche« bestimmte in diesen
Abschiedsminuten ihr Denken und Fühlen. Ich küßte sie. »Engel,
Sternschnuppe, Haar der Berenike, wie oft muß ich dir noch sagen,
daß ich keine Weiber habe! Ich habe nur noch dich, denn selbst
meine Frau wird sich inzwischen mit meiner Abwesenheit abgefunden
haben. Natürlich gibt es einige Probleme, wenn ich so plötzlich vor
ihr stehe. Ich muß mir schon eine gescheite Ausrede einfallen
lassen, denn meine Frau ist eifersüchtig wie ein
Pinguin…«
»Was ist das, ein Pinguin?«
»Ein Eisvogel.«
»Und der ist eifersüchtig?«
»Weiß nicht, ich nehme es an.«
Sie tat einen tiefen Atemzug, der sich wie eine herzzerreißende
Klage anhörte.
»Sternschnuppchen, kleines, dummes, gescheites Mondmädchen, sei
doch endlich vernünftig und freu dich mit mir. Diese acht Tage sind
wirklich wichtig für mich. Ich bin schließlich, wie Me treffend
bemerkte, ein gesellschaftliches Wesen. Folglich habe ich auch
anderen gegenüber soziale Verpflichtungen. Soll meine Frau
vielleicht meine Schulden bezahlen? Es sind Abzahlungsraten fällig,
der Kühlschrank ist noch nicht bezahlt, die Miete muß beglichen
werden, und die Versicherung hat noch den Jahresbeitrag zu
bekommen…« »Was für eine Versicherung?« unterbrach sie
mich.
»Die Lebensversicherung. Ich werde meinen Abflug so tarnen, daß man
glaubt, ich wäre verunglückt – bei Selbstmord zahlen sie nämlich
nicht…«
Aul fing auf einmal an zu lachen. »Ist das komisch«, prustete sie,
»Lebensversicherung – wer versichert euch das Leben?«
Ich bemühte mich, ihr die Zusammenhänge zu erklären, aber sie
wollte oder konnte mich nicht verstehen. »In welcher Dimension
lebst du eigentlich?« knurrte ich schließlich resigniert.
Völlig ernst antwortete sie: »In der fünften.«
»So, in der fünften. Mir genügen drei, um den Abschluß einer
Lebensversicherung zu begreifen. Kannst du mir erklären, was es
außer Länge, Breite und Höhe noch geben könnte?«
»Noch sehr vieles«, wurde ich belehrt, »es gibt zum Beispiel
periodische und aperiodische Pulsationsräume. Die Raumstruktur
verändert sich mit zunehmender Geschwindigkeit. Auch spielen das
Kraftfeld und der Zeitfaktor eine Rolle…«
»Und dann gibt es noch den fünften Quilraum und die dritte
hyperborale Terrastie…«
»Das geht bereits in die Mathematik«, sagte sie belustigt.
»Eigentlich ist die Entwicklung zu immer umfassenderen Dimensionen
gar nicht so schwierig zu verstehen. Für einen niederen Organismus
besteht die Welt nur aus einer oder aus zwei Dimensionen. Ein Wurm
zum Beispiel benötigt für seine Existenz nur die Länge und Breite,
einem Spermatozoon genügt allein die Länge, ihm ist nur der eine
geradlinige Weg zur weiblichen Eizelle einprogrammiert – folglich
lebt es in einer Dimension…«
»Sternschnuppchen, ich glaube dir aufs Wort.« Ich kapitulierte
seufzend. »Ich brenne darauf, mir euer Wissen im Schlaf
eintrichtern zu lassen.«
»Hat dir Me auch die Folgen angedeutet?«
»Was für Folgen?«
»Umprogrammiert, wirst du nur noch von Nahrungskonzentraten leben.
Sie hinterlassen keinen Verdauungsrückstand…«
Ich ahnte, worauf sie hinauswollte. Einige Organe mußten dann
zwangsläufig ihre Funktion einbüßen. Magen und Darm würden zum
Beispiel verkümmern. Warum mußte sie mich gerade jetzt darauf
aufmerksam machen? »Und was geschieht Weiter?«
Gelassen, als spräche sie über die Zubereitung von Apfelmus,
erläuterte sie: »Auf längere Zeit werden also Dickdarm, Mastdarm,
Dünndarm, der Zwölffingerdarm und andere Organe degenerieren. Die
meisten deiner Eingeweide, einschließlich des Magens
sowie…«
»Hör auf!« fiel ich ihr ins Wort. »Du raubst mir jede Poesie. Es
ist einfach unappetitlich…«
»Weshalb?« fragte sie unschuldig. »Ich wollte dich nur auf einen
späteren Eingriff vorbereiten.«
»Willst du mir angst machen?« Ihre Ankündigung hatte mich
tatsächlich etwas aus der Fassung gebracht. Aber wahrscheinlich,
beruhigte ich mich, haben sie auch hierfür eine einfache Methode.
Die Empiriker und Scholastiker kannten keine Skalpells.
Sie schlang ihre Arme um mich. Ihr Haar bedeckte mein Gesicht.
»Nein, Lieber, ich will dir keine Angst machen. Ich will mich nur
darauf einstellen, dich nie wiederzusehen. Ich selbst habe
schreckliche Angst…«
»Still«, unterbrach ich sie, »schon deinetwegen würde ich
zurückkommen.«
»Bestimmt?«
»Ich schwöre es.«
Wir sagten nichts mehr. Beide fühlten wir, daß es keinen
endgültigen Abschied geben durfte und es ihn auch nicht geben
würde.
Denn Liebende sollen die Fähigkeit haben, in die Zukunft sehen zu
können.
Das irdische Gekläff des Dackels riß uns aus unserer Versunkenheit. Fritzchen war mit dem zweiten Transporter angekommen. Waldi führte einen Freudentanz auf, als er uns erblickte. Er quietschte und kläffte, als sei ihm eine Ahnung gekommen, wohin die Reise führte.
Mit dem Eintreffen der beiden begann die nervöse Geschäftigkeit der Vorbereitungen für den Abflug. Die Besatzung überprüfte die Antriebs- und Steuerungsanlagen und was dergleichen mehr erforderlich war. Eine der beiden »Plötzen« tauchte wieder auf, brachte mir das versprochene Sende- und Empfangsgerät. Es war tatsächlich der gleiche Glaskörper mit den weißen Knöpfen und den vielen Zeigern auf dem Zifferblatt, den ich damals auf der Wiese gefunden hatte. Aul unterrichtete mich in seiner Handhabung. Es war leicht zu bedienen; man brauchte nur die Zeiger in ein bestimmtes Verhältnis zueinander stellen und die Energie einschalten. Wir probierten es einige Male.
Mein Unterricht wurde durch ein erregendes Ereignis unterbrochen. Fritz brachte meine Kleidung. Die Wäsche, noch genauso schmutzig wie bei der überhasteten Abreise, die zerbeulten Hosen, die Schuhe mit den schiefgelaufenen Absätzen – es war, als wäre die Erde zu mir gekommen, schäbig zwar und armselig, aber mir war zumute, als vertausche ich mein Trikot mit der besten Sonntagskleidung. Der Kleiderwechsel löste eine beinahe feierliche Stimmung in mir aus. Die »Quil«, Me, der Alte und selbst Aul waren zeitweilig in irgendwelcher Schublade meines Gehirns als Erinnerung verwahrt. Ich hatte nur noch Sinn für das Kommende.
Der endgültige, wirkliche Abschied kam dann genauso überraschend wie mein Abflug von der Erde. Zwischen Aul und mir war alles gesagt worden. Die drei von der Besatzung und Fritzchen warteten. Unser Abflug unterlag einem genauen Zeitplan.
Aul stand mir bei. Sie blickte mich unentwegt an. Fritz erlaubte sich eine Bemerkung, die sich auf den Start bezog. Aul nickte ihm zu und reichte mir die Hand. Ich wollte etwas sagen, aber sie legte den Finger an die Lippen. Ich verstand sie, was sollten jetzt noch Worte?
Am Ausstieg wandte sich Aul noch einmal um. Sie
weinte. »Ich komme wieder«, flüsterte ich.
Aul hatte meine Worte vielleicht nicht mehr gehört, denn sie
klangen zusammen mit dem feinen, singenden Ton der Antriebsaggregate. Sekunden später verspürte ich das Vibrieren. Wir lösten uns von der »Quil«.
Nach Fritzchens Angaben mußten wir drei Wochen unterwegs sein. Ich war froh, daß mich wenigstens ein bekanntes Wesen aus dem Trio des sechsten Mondes begleitete. Zwar ließ sich mit Fritzchen keine richtige Unterhaltung führen, aber er wußte auf vieles eine Antwort und blieb während der eintönigen Reise eine lebendige Erinnerung an die andern.
Einige Stunden nach dem Start probierte ich mein kleines Sendegerät aus. Die Verbindung war so klar, als stünde Aul neben mir. Ich schilderte ihr, was ich durchs Bordfenster sehen konnte. Viel war es nicht, denn die »Quil« bewegte sich gerade hinter der riesigen Jupiterscheibe. Dafür entschädigte mich der Anblick des sechsten Mondes, der weit draußen seine Bahn zog. Aul blieb bei diesem Gespräch eigentümlich zurückhaltend. Ich hatte den Eindruck, als wünsche sie die Unterhaltung nicht. Sie zweifelte wohl noch immer an meiner Rückkehr. Als ich mich später erneut meldete, teilte sie mir ihre Rückkehr zum sechsten Mond mit. Sie bat mich, erst nach meiner Landung auf der Erde wieder Verbindung mit ihr aufzunehmen. Mir war dieser Wunsch unverständlich, aber ich fügte mich.
Jetzt, da sich die größte Aufregung ein wenig gelegt hatte, fiel mir ein sträfliches Versäumnis ein. Fritzchen hätte mir ein paar von den Juwelen und etwas Gold mitbringen können. Auch meine Zeichnungen lagen noch im Mond. Es ärgerte mich maßlos, nicht daran gedacht zu haben. In meiner Rocktasche fand ich einen Zehnmarkschein und einige Münzen – mein ganzer Reichtum. Er reichte gerade aus, um damit nach Hause zu kommen. Die Erinnerung an die verpaßte Gelegenheit lastete eine Zeitlang wie ein Zentnergewicht auf mir. Nur ein paar Steine, und ich hätte für acht Tage den lieben, guten, reichen Onkel spielen können… Auch für Johanna wäre dann gesorgt gewesen, es hätte mein Gewissen erleichtert.
An Bord war es totenstill. Waldi lag auf dem Boden, schlief und schnarchte leise vor sich hin. Hinter dem Bordfenster war die Nacht, in ihrem Schoße die unverrückbaren Sternbilder, der kleiner werdende Jupiter mit seinen Monden, sonst nichts. Eine Reise mit der Eisenbahn oder ein Flug über den Kontinent waren abwechslungsreicher.
Fritzchen hatte versucht, mir den Antrieb unseres Transporters zu erklären. Seine Geduld war grenzenlos. Ich begriff nur so viel, daß außen eine Scheibe rotierte, die in einem Kraftfeld gelagert war. Dadurch entstand kaum Reibungshitze.
Vielleicht wäre es besser gewesen, die Reise wie beim ersten Flug durch einen Dauerschlaf zu verkürzen, aber ich hatte immer die Befürchtung, etwas zu versäumen. Außerdem war die Wirkung des Konzentrats nur für wenige Tage berechnet. Jeden vierten Tag nickte ich ein. In den acht Tagen auf der Erde würde auch mein Bart wieder wachsen. Bis jetzt hatte ihn eine Beimischung am Sprießen gehindert.
Die gespannten Erwartungen machten die Reise strapaziös. Trotz des Verbots versuchte ich, Aul auf dem sechsten Mond zu erreichen. Sie meldete sich nicht. Ich beauftragte Fritzchen, die Verbindung herzustellen. Ihm antwortete nur einer seiner Kollegen. »Sternschnuppe«, flehte ich, »warum antwortest du nicht? Dieser Flug nimmt kein Ende…« Schließlich schimpfte ich – umsonst, Aul reagierte nicht.
Schlafen, träumen, erwachen – gleichförmiger Alltag meines Rückfluges. Ich hatte das Empfinden, schon Jahre unterwegs zu sein. Dann löste Fritzchen unverhofft Alarm aus, als er beiläufig erklärte: »Wir werden in wenigen Stunden auf der Erde landen.« Er sagte es mit demselben Gleichmut, wie er alles erläuterte.
Seine Ankündigung elektrisierte mich. Verklärt nahm ich die erregenden Bilder wahr, die sich vom Bordfenster aus boten, sah die farbige Scheibe des Planeten, der wie ein Topas auf samtschwarzem Hintergrund leuchtete, konnte die Gebirge des Mondes sehen, seine aschfahlen Ebenen. Ich nahm Waldi auf den Arm, trug ihn zum Bordfenster. Er winselte, das dumme Tier begriff nichts. Vorbeirasende Wolkenfetzen, grelles Sonnenlicht, Gebirgsketten. Die Erde, die Erde, dachte ich. Die Erde.
Wir mußten noch einige Stunden über den Wolken bleiben, weil in Europa der Tag noch nicht zu Ende war. Erst als die Sonne unter den Horizont tauchte, gingen wir tiefer. Minuten nur noch. Ich befand mich in einem Freudentaumel, als Fritz aus der Leitzentrale kam und sagte: »Wir haben auf der Wiese Licht bemerkt; ist es erlaubt, nebenan aufzusetzen?«
Aufsetzen – welchem Elektronenspeicher hatte er dieses Wort entnommen? Verklärt antwortete ich: »Setzt auf, wo ihr wollt, zur Not komme ich auch per Anhalter nach Hause…«
Durch das Bordfenster war nichts zu erkennen, überall Dunkelheit. Vielleicht hatten sie auf der Wiese wieder einmal Nachteinsatz mit ihren Traktoren gehabt. Ich setzte mich auf die Liege, zwang mich, meiner Erregung Herr zu werden. Zu Hause, in wenigen Minuten zu Hause. Ich werde Menschen sehen, hören, was sie sprechen… Zuerst mußte Theo seinen Waldi wiederbekommen. Ich lachte vor mich hin, als ich mir sein Gesicht vorstellte. Er würde glauben, einen Geist zu sehen…
Fritzchen trippelte herein. »Wir haben einen stillen, verschwiegenen Ort gefunden«, verkündete er, »es ist nicht weit von der alten Stelle entfernt.«
Ein leichtes Vibrieren ging durch den Transporter. Dann wurde es still. Wir waren angekommen. »Fritz«, sagte ich gerührt, »du bist fabelhaft. Entschuldige, wenn ich dich manchmal einen Racha genannt habe. Du bist gescheiter als mancher meiner Zeitgenossen.«
Meinen Dolmetscher ließ das Lob kalt. Ihm war es auch gleichgültig, ob ich blieb oder ging. Er wippte nur mit dem Glashelm, war kein Simon.
Der Ausstieg wurde geöffnet, die Treppe ausgefahren. Ich wollte Waldi aufheben, als mich sonderbare Geräusche stutzig machten. Es hört sich an, als wenn Affen kreischten. Er wird doch nicht im Tierpark gelandet sein? ging es mir unsinnigerweise durch den Kopf. Vergeblich, am Bordfenster die Finsternis zu durchdringen. »Wo sind wir gelandet, Fritz?«
»Ganz in der Nähe«, beteuerte er.
»Ich will es genau wissen, wo in der Nähe?
Zeige mir den Ort auf einer Karte.«
Bereitwillig ging er mit mir in die Steuerzentrale, wo eine kleine
bewegliche Karte Kontinente und Meere anzeigte. Er zog einen Kreis
auf der Karte und sagte: »Hier befinden wir uns.«
Zuerst glaubte ich an ein Versehen, aber das Gekreisch draußen
bewies die Exaktheit seiner Angaben. Der Transporter war am Rio
Tapajos niedergegangen, einem Nebenfluß des Amazonas. Wir befanden
uns in Südamerika, mitten im Dschungel.
Erbost schrie ich ihn an: »Und das nennst du ganz in der Nähe? Was
hast du für Entfernungsvorstellungen, du Pomuchelskopp! Soll ich
vielleicht über den Ozean laufen?«
»Es ist wirklich nicht weit«, beteuerte Fritzchen, »mit einem
Raumschiff bist du in zwanzig Minuten zu Hause.«
»Womit bin ich in zwanzig Minuten zu Hause?«
»Mit einem Raumschiff. Du hattest Vater erzählt, daß ihr
Raumschiffe besitzt…«
»Hol dich der Kuckuck«, stöhnte ich, »Fritz, wenn ich hier
aussteige, werde ich entweder verhungern, verdursten, von
zivilisierten Wilden zu Tode gefoltert werden oder als Spion in
einem Gefängnis umkommen. Ich besitze keinen Paß, kein
Einreisevisum und keinen Peso. Aber ich verstehe, daß du das nicht
verstehst, deshalb keine langen Reden. Schließe die Luke, sie
sollen mich sofort nach Europa zurückbringen. Diesmal werde ich den
Landeplatz bestimmen!«
Fritz begriff meine Aufregung nicht, aber er folgte meiner
Aufforderung und gab Anweisungen für den Rückflug. Es wurde höchste
Zeit, denn die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen das
Blättergewirr. Wenig später hoben wir ab und nahmen Kurs auf die
andere Halbkugel.
Als wir uns erneut über Manik Maya bewegten, waren noch immer
einige Lichter zu sehen. Mir war es egal. Ich überzeugte mich an
den Flußläufen und markanten Gebäuden, daß wir wirklich über der
Wiese standen, erst dann stimmte ich der Landung zu. Als wir
aufsetzten, glaubte ich von Nebel umgeben zu sein. Es stellte sich
heraus, daß es aufgewirbelter Schnee war. In Europa herrschte
Winter.
Wieder öffnete sich der Ausstieg. Ich rührte mich nicht. Durch das
Bordfenster war Karmigs Haus zu sehen. Es brannte noch Licht bei
ihm. Mir war, als wäre ich von den Toten auferstanden. Daheim,
unwiderruflich daheim…
Waldi schnupperte und piepste wie eine Maus. Die Treppe sei
ausgefahren, quengelte Fritz hinter mir. Bewegt klopfte ich ihm auf
den Glashelm. Sein Auftrag war erfüllt. Die Erinnerung an mich
erschöpfte sich jetzt nur noch in Zahlen oder Buchstaben. »Also ich
steige jetzt aus, Fritz. Vergiß nicht, heute in acht Tagen landet
ihr wieder an dieser Stelle. Dann fliegen wir gemeinsam zurück. Ist
das klar?«
Er wippte mit dem Glashelm.
Ich nahm Waldi, kletterte vorsichtig die Treppe hinab. Klirrende
Kälte schlug mir entgegen. Anfangs verspürte ich sie nicht, die
prickelnde Aufregung hatte meinen Pulsschlag erhöht. Unter meinen
Füßen knirschte der Schnee. Unbeholfen ging ich einige Schritte. Am
Waldrand schimmerten die Umrisse des Bauernhauses. Manik Maya –
hier hatte alles angefangen… Ich setzte Waldi ab. Jaulend rannte er
durch das herrliche Weiß, sprang wie ein aufgeschreckter Hase
umher. Am liebsten hätte ich es ihm nachgetan. Der Einstieg schloß
sich, die Treppe wurde eingezogen. Fritz und seine Gefährten hatten
es eilig mit dem Aufstieg.
Ich entfernte mich, nahm im Laufen eine Handvoll Schnee, drückte
ihn zu einem Schneeball zusammen. »Lauf, Waldi, bringe ihn zurück!«
Er rannte dem Schneeball nach.
Als ich mich umdrehte, drang das Surren zu mir herüber. Wie eine
dicke Spinne stieg der Transporter auf. Die Teleskopbeine klappten
nach innen. Dunkelheit verschluckte den Diskus. Ich wartete, wollte
ihn sehen, wenn er von der Sonne erfaßt wurde und als Stern
aufleuchtete. Eine Minute verstrich, dann leuchtete Mes Bote am
West-Himmel auf. Mit mäßiger Geschwindigkeit bewegte er sich zum
Horizont.
Waldi hatte sich ausgetobt. Er kroch zitternd um meine Füße. Ich
holte das Sprechgerät aus der Rocktasche, stellte die Zeiger ein.
Der große Moment war gekommen.
»Sternschnuppchen«, sagte ich feierlich, »in dieser Minute sind wir
angekommen. Fritzchen ist bereits wieder aufgestiegen und
bereichert jetzt unsern Himmel um einen neuen Stern. Mein
Mondmädchen, wußtest du, daß bei uns in Europa jetzt Winter
herrscht? Überall liegt Schnee, und es ist mächtig kalt, wenigstens
fünf Grad unter Null. Waldi zittert, und ich fange auch an zu
frieren. Ich grüße dich, Sternschnuppchen. Bitte, sprich du jetzt,
ich gehe auf Empfang. Wir wollen einen neuen Sprechtermin
vereinbaren…«
Ich stellte das Gerät auf Empfang und lauschte. Minuten vergingen,
Aul antwortete nicht. Abermals drehte ich die Zeiger und rief sie.
»So sag doch endlich ein paar Worte, Aul«, flehte ich, »du machst
dir keine Vorstellung, wie kalt es auf der Erde ist. Ich gehe
wieder auf Empfang…«
Schweigen. Meine Füße waren wie Eisklumpen, meine Ohren steif
gefroren. Ich wartete, trampelte in den Schnee. Keine Antwort. Hoch
über den Baumkronen, im Süden, stand ruhig und helleuchtend ein
Stern.