Sportlicher Beethoven
An der Wand im Rittersaal standen die Blechanzüge der Ahnen, die Rüstungen der Grafen von Schreckenstein aus jenen Zeiten vor Erfindung des Pulvers, wo Streitigkeiten, die man heutzutage Rechtsanwälten überläßt, noch eigenhändig mit dem Schwert ausgetragen wurden.
Kleinwüchsig waren sie gewesen, die Vorfahren des jetzigen Burgherrn.
Graf Bodo wurde von den jungen Rittern seiner schmalen, stark gebogenen Nase wegen kurz Mauersäge genannt. Er hatte ihrer Bitte, den Saal benutzen zu dürfen, sofort entsprochen: „Mit einer… ks… kulturellen Veranstaltung bin ich… ks… immer einverstanden!“
„Schalten“, sagten die Ritter zu diesen eigentümlichen Zwischenlauten, die sich anhörten, als müsse er seine Nase für das nächste Wort durchpusten. „Mauersäge schaltet wieder!“
Noch während der Nacht hatte die Transportgruppe die Leihgabe in den Saal gebracht, der durch eine stets abgeschlossene Tür mit dem Schultrakt verbunden war. Doch Dampfwalze besaß einen Nachschlüssel. Überhaupt gab es keine Tür, die den Rittern Probleme bereitet hätte. Auf der Burg ebensowenig wie auf Schloß Rosenfels.
Der Klavierstimmer wurde nicht gebraucht. Das Instrument hatte die Regennacht überstanden, ohne die Stimmlage zu ändern und zeigte sich damit widerstandsfähiger als Strehlau. Der Musterschüler blätterte für die Pianistin des Abends, für das dicke Fräulein Böcklmeier, ihres Zeichens Lehrerin auf Rosenfels, die Noten um. Dabei mußte er mehrmals ein Niesen unterdrücken, das ihn vor allem an leisen Stellen heimsuchte.
Fräulein Böcklmeier spielte die Piano- und Pianissimopassagen mit einer Hingabe, die es den Zuhörern schwermachte, ernst zu bleiben. Mit gespitztem Mündchen bewegte sie ihre Puddingfigur hin und her und löste dabei die Finger von den Tasten, als würde sie Kaugummi in die Länge ziehen. Neben ihr krümmte sich der Musterschüler, um den nächsten Niesreiz zu unterdrücken.
Lehrer und Lehrerinnen der beiden Schulen, Ritter und Mädchen lauschten in bunter Reihe dem erlesenen Kulturangebot. Beatrix und Sophie saßen zwischen Stephan und Ottokar, Dampfwalze hatte zu Ehren Beethovens sein gelbes Halstuch umgebunden und neben Ingrid Platz genommen. Sonja Waldmann saß zwischen ihrem Vater und Schießbude, dem kleinsten und jüngsten Lehrer auf der Burg, Fräulein Doktor Horn lauschte andächtig zwischen dem Rex und Mauersäge.
„Von der Seite sehen sie wieder wie Geschwister aus!“ raunte Beatrix Stephan ins Ohr.
Die Ähnlichkeit zwischen Burgherrn und Internatsleiterin war tatsächlich verblüffend. Aber nur rein äußerlich.
„Auf den Rex ist sie obersauer!“ meinte Sophie. Sie hatte das Telefongespräch der beiden mitbekommen und Stephan und Ottokar sofort berichtet.
„Nach dem Frühstück hat die Horngemerkt, daß der Flügel weg ist und sofort angerufen. Ich war grad bei ihr im Zimmer und hab frische Blumen geordnet. Also euer Rex war einsame Klasse! Er hat sie zur Weißglut gebracht, und sie konnte nichts machen. ,Graf Schreckenstein und ich laden Sie herzlich ein, mit Ihren Mädchen!’ hat er gesagt. ,Im Austausch zu dem Lichtbildervortrag findet das Konzert bei uns auf der Burg statt.’“
„Seine alte Taktik!“ hatte Ottokar genüßlich festgestellt. „Wenn sie pampig wird, kommt er ihr mit Mauersäge, und schon schmilzt sie dahin.“
Dieter, sein Intimus Klaus, Werner und Fritz, der Seltenfröhlich, hatten die drei Rosenfelser Kratzbürsten Martina, Esther und Doris zur Sicherheit in die Mitte genommen, weil man bei ihnen, auch wenn sie noch so artig in ihren blauen Kleidern dasaßen, immer mit einem Zwischenfall rechnen mußte. Nicht alle Ritter wohnten dem Kunstgenuß bei. Da es auf der Hand lag, daß die Mädchen den Abend auf der Burg zu irgendeiner Gegenaktion ausnutzen würden, hatten sich die vier Miniritter, der kleine Eberhard, der kleine Herbert, der kleine Kuno und der kleine Egon, freiwillig zur Wache gemeldet. Während Fräulein Böcklmeier Unmengen Kaugummi aus den Tasten zog, durchstreiften sie immer und immer wieder die hellerleuchteten Korridore, den Eßsaal, den Burghof, das Wohnzimmer, den Klassentrakt und die Folterkammer, samt allen Kellern und Nebenräumen.
Nicht vergeblich, wie sich zeigen sollte.
„Ich sag dir, die großen Mädchen sitzen alle vollzählig da, aber die Kleinen, wo’s nicht auffällt, die machen was!“ hatte der kleine Eberhard zu Ottokar gesagt. „Mir ist lieber, ich hab noch meine Klamotten im Schrank als nur Beethoven im Ohr.“
Weil sie’s immer mit den Rittern zu tun hatten, besaßen die Mädchen reichlich Streicherfahrung und nutzten sie. Um nicht aufzufallen, hatten Sabine, Elke und Isabel den Autobus im Burghof überhaupt nicht verlassen. Sie lagen auf den Sitzen und warteten. Als das Konzert begonnen hatte, erhoben sie sich und schlichen über die Freitreppe in den Nordflügel. Vorbei an der Verbindungstür zum Rittersaal.
Im Liegen hatten sie natürlich nichts gesehen. So war ihnen auch der kleine Kuno entgangen, der sich auf seiner Runde durch den Burghof gerade hinter dem Omnibus befand, als sie ausstiegen.
Der Miniritter folgte ihnen, bog im Nordflügel jedoch zur großen Treppe ab, um die anderen Wachen zu warnen. Die Mädchen schienen noch unschlüssig zu sein, was sie anstellen könnten. Sie schlichen scheinbar ziellos den Westflügel entlang…
Wie alle großen Pianisten, benötigte auch Fräulein Böcklmeier eine Pause, und wie in den großen Konzertsälen, gab es auch bei Mauersäge ein kaltes Büfett. Elfriede hatte es gemacht.
Die jüngste Tochter von Schreinermeister Schrimpf aus Wampoldsreute half gelegentlich im gräflichen Haushalt und kannte den Geschmack der Ritter. Entsprechend hatte sie aufgefahren: Es gab vielerlei Säfte, dazu die von der Ritterschaft hochgeschätzen Vitamintabletten, das heißt kleine Brötchen mit dicker Auflage. Vitamin E = Ei; Vitamin B = Braten; Vitamin K = Käse; Vitamin F = geräucherte Forelle und Vitamin D = dreistöckig: Ei – Käse – Braten; oder Forelle – Tomate – Gurke, oder Schinken – Zwiebel – Paprika, oder Quark – Rettich – Schnittlauch, oder Ei – Pilze – Senf. Während die Lehrer einander Bildung demonstrierten, wann Beethoven was komponiert habe, ob der zweite Satz schneller zu spielen sei und das Andante transparenter, gebärdeten sich die Ritter eher als Banausen.
Dampfwalze empfahl Ingrid Vitamin B, worauf sie meinte: „Dir täte Vitamin F gut! Fisch enthält Phosphor und der regt das Gehirn an.“
Immer wieder steckten Ritter ohne Mädchen die Köpfe zusammen. „Hast du bemerkt, ob jemand fehlt?“ fragte jeder jeden. „Sabine ist nicht dabei!“ stellte Rolf fest. „Ich weiß es genau. Sie wollte mir Briefmarken mitbringen, wenn wir uns das nächste Mal sehen.“
„Elke ist auch nicht da!“ meinte Werner. „Wahrscheinlich versuchen sie den Inhalt unserer Schubladen aus den Fenstern zu kippen oder alle Zahnbürsten in die Mülltonne zu werfen“, mutmaßte Klaus.
„Irgend so was besonders Witziges!“ ergänzte Fritz. „Hoffentlich sind die Minis auf Draht.“
Ottokar und Stephan lauschten der Gruppe um Fräulein Doktor Horn.
„Musik… ks… ist für mich die… ks… Krone der Künste!“ gestand Mauersäge. Der Rex, Dr. Waldmann, Sonja, Schießbude nickten, als fänden sie das auch. Fräulein Böcklmeier tupfte sich die Stirn mit einem viel zu kleinen Taschentuch ab und atmete schnell wie ein Hund.
Jean, der gräfliche Diener, der eigentlich schlicht Hans hieß, reichte Sekt auf silbernem Tablett und schaute so vornehm, daß man ihn auch für verschlafen oder beleidigt halten konnte.
„Doktor Schüler ist nicht da!“ stellten die beiden Ritter fest. Die Internatsleiterin nippte mit hochmütiger Miene und konnte es nicht lassen, die allgemeine Musikseligkeit mit ihrer Kritik zu versalzen. „Sie haben fabelhaft gespielt!“ lobte sie Fräulein Böcklmeier. „Nur bei dem Pralltriller im zweiundvierzigsten Takt kam es mir vor, als hätten Sie die mittlere Note etwas zu stark betont.“
„Respekt… ks…, das hätte ich nicht gehört. Mir hat es… ks… ausgezeichnet gefallen! Vorzug… ks… lieh“, lobte Mauersäge, worauf sie ihre Kritik abschwächte und auch alles eigentlich fabelhaft fand.
An der Tür zum Schultrakt entstand Unruhe. Mit drei Schubkarren, sogenannten Sackwagen, rollten die Minis drei käfigartige Lattenverschläge, wie sie für den Versand von Kühlschränken, Waschmaschinen und sonstigen rechteckigen Geräten verwendet werden, die kleine Treppe in den tiefer liegenden Rittersaal hinunter. Der Abstand zwischen den Latten gab den Blick auf den Inhalt frei. In jedem Verschlag kauerte ein Mädchen: Sabine, Elke und Isabel.
„Wir bringen hier drei Konzertteilnehmerinnen!“ erklärte Miniritter Eberhard. „Sie wollten an dem Kunstgenuß teilnehmen, waren aber zu schüchtern. Sie sind hilflos in der Burg herumgeirrt. Da haben wir ihren Schutz übernommen. So brauchen sie sich nicht mehr zu fürchten und können ihre Aufmerksamkeit ganz der Musik widmen.“
Fräulein Dr. Horn fuchtelte mit ihrer knochigen Hand durch die Luft. „Sofort laßt ihr sie raus. Auf der Stelle!“ rief sie erregt.
„Das ist uns zu mühsam“, entgegnete der kleine Egon seelenruhig. „Dann müssen wir nur wieder aufpassen! Die führen sich ja auf wie die Vandalen!“
„Was sagst du da?“ Die Internatsleiterin blitzte ihn an. „Das nimmst du sofort zurück.“
Samtweich sah Miniritter Egon sie an. „Geht leider nicht. Die Wahrheit kann man nicht zurücknehmen.“
„Die drei Mädchen wollten grad unsere Schränke ausräumen und alles in den Hof werfen. Da haben wir uns erlaubt einzugreifen.“ erläuterte der kleine Kuno.
Und Miniritter Herbert fügte noch hinzu: „Wir wollen in Ruhe das Konzert genießen. Dafür haben Sie doch Verständnis, Fräulein Doktor Horn!“
Die Ritter klatschten Beifall zu diesem rhetorisch geschickten Satz, auf den die Leiterin keine passende Antwort wußte. Sie schüttelte den Kopf und sah den Rex an. Der lachte nur.
Ungehindert karrten die Minis die Verschläge nach vorn und stellten sie zwischen Flügel und erste Reihe an die Seite. „Sogar Loge!“ witzelte Klaus. „Na, was sagt ihr?“
„Gemeinheit!“ fauchte Sabine durch die Latten.
Aber Mücke, der in der Nähe stand, gab’s ihr ordentlich. „Eure Dummheit als unsere Gemeinheit auszulegen, beweist deine Dummheit.“
Fräulein Doktor Horn hatte endlich die Sprache wiedergefunden. „Muß einem hier jeder Genuß vergällt werden?“ fragte sie den Rex.
Da zeigte sich wieder einmal der Zusammenhalt zwischen Lehrern und Schülern, der den Ruf von Burg Schreckenstein als besondere Schule ausmachte. Verschmitzt deutete der Rex auf die Verschläge und sagte: „Das fragen Sie am besten die da. Nicht mich.“
Und Mauersäge, an den sie sich nun wandte, reagierte nicht minder solidarisch. Er klatschte in die Hände und rief: „Die… ks… die Pause ist beendet. Bitte Platz zu… ks…“
„Ein sehr lehrreicher Abend!“ schmunzelte Sonja Waldmann.
Auch viele Mädchen freuten sich insgeheim, weil es gegen ihre strenge Leiterin ging. Andere kamen über die Verschläge nicht hinweg.
„Die drei wie Batteriehennen einzusperren!“ Beatrix gab Stephan einen Rippenstoß. „Das kriegt ihr wieder! Das versprech ich dir.“
„Kannst du dir sparen!“ antwortete der. „Ich weiß auch so, daß du nichts einstecken kannst.“
„Schlechter Verlierer – schlechter Charakter!“ verdeutlichte Andi und grinste, um sie zu reizen.
Eh er sich’s versah, trat ihm Oberkratzbürste Esther mit dem Absatz auf den Fuß, daß er sich krümmte wie ein Fußballer, der einen Elfmeter erzwingen will. Er spürte tatsächlich einen stechenden Schmerz, gab aber keinen Laut von sich. „Das war unfair!“ rügte Sonja.
Doch die Oberkratzbürste hörte es vermutlich nicht mehr. Zwei der für die Kratzbürsten an diesem Abend zuständigen Ritter griffen lautlos ein. Werner hielt Esther im Schwitzkasten, daß sie keinen Pieps mehr von sich geben konnte, und Fritz hatte ihr die Beine weggezogen. Wie einen eingerollten Teppich trugen die beiden die Rabiate hinaus. Klaus und Dieter waren mit Martina und Doris schon in ihrer Reihe und sahen nur, wie Andi, von Hans-Jürgen gestützt, zur Tür humpelte. Er wollte den Fuß sofort genauer untersuchen.
Mit einem beherzt angeschlagenen Akkord, der von einem Niesen Strehlaus noch unterstrichen wurde, begann der zweite Teil des Abends. Beethoven sammelte die Aufmerksamkeit aller auf sein Werk. Auch die drei Batteriehennen machten das Beste aus ihrer Lage. Sie hörten und schauten zu. Für beides hatten sie den idealen Platz.
Fräulein Böcklmeier zog keinen Kaugummi mehr von den Tasten, sie galoppierte darüber hinweg, und Strehlau mußte in viel kürzeren Abständen umblättern, was sich jedes Mal wie eine Hürde ausnahm. Sie preschte heran, versammelte sich, nickte; der Musterschüler hob die Seite hoch, sie ging mit und landete dahinter mit beiden Vorderläufen auf den richtigen Tasten. Trotz der Vorlage zitterte ihre Puddingfigur, ohne jedoch den Rhythmus zu gefährden.
„Sehr sportlich, dieser Beethoven!“ meinte Pummel aus dem Blickwinkel des Hindernisläufers. Ein sich wiederholendes Akkordrauschen verstand er als Wassergraben. Auch der Laufzeit und dem langgezogenen Spurt nach konnte es sich in seiner Vorstellung nur um die Dreitausendmeter-Strecke handeln. Strehlau gewann. Nach dem letzten Umblättern lehnte er sich zurück und gähnte die Anspannung hinaus, während sie noch einige Takte galoppieren mußte, bis der Pudding über die Ziellinie zitterte.
Achtzig-Phon-Beifall dröhnte ihnen wie aus einer Verstärkeranlage entgegen, daß Mauersäge ruckartig erwachte. Trotz des hohen Kulturgehalts war er schon auf den ersten fünfhundert Metern eingenickt.
„Theater- und Konzertschlaf verraten hohes Talent zur Entspannung. Sie zählen zu den genialsten Kurzzeiterfrischungen überhaupt“, dozierte Dr. Waldmann. Einige Mädchen lachten. Das sollte ihnen jedoch umgehend vergehen.
Mit selbstklebendem Kreppband, wie es statt Schnur für Pakete verwendet wird, mit mehreren Rollen davon von den Knöcheln bis zum Hals an eine Stange gebunden, trugen Werner und Fritz die Oberkratzbürste geschultert herein. Die überragenden Enden der Stange legten sie auf zwei der Verschläge, so daß die Umwickelte waagerecht dazwischen hing.
„Wir wollen dieses Paket nach Rosenfels aufgeben!“ erklärten sie der Leiterin, die ihren Augen nicht traute.
„Mußte das sein?“ fragte der Rex.
Fritz nickte. „Zur Sicherheit. Sie hat Andi so getreten, daß sein Fuß geröntgt werden muß. Er kann nicht mehr drauf stehen.“
„Ich krieg keine Luft!“ wimmerte Esther.
„Lüg nicht!“ fuhr Werner sie an und wandte sich dann an den Rex. „Wir haben sie beim Wickeln extra gefragt, damit’s nicht zu stramm wird. Außerdem spielt sie schon seit zwanzig Minuten Wickelkind. Da müßte sie ja längst einen blauen Kopf haben.“
„Mir fehlen die Worte“, schnaubte Fräulein Doktor Horn. „Befreit sie! Alle vier. Sofort!“
Ausnahmsweise stimmten ihr die Mädchen zu. Da schaltete sich Ottokar ein. „Nicht hier auf dem wertvollen Parkett!“ sagte er laut. „Bringt das Gepäck schon zum Wagen.“ Unter freudigem Johlen der Ritter, die sofort anpackten, wurden Stange und Verschläge hochgenommen und abtransportiert.
„Raus mit den Hennen, bevor sie Eier legen!“ alberte Klaus und erntete Lachen und Murren.
Ottokar trat zu Fräulein Doktor Horn und sagte betont höflich: „Den Flügel schicken wir Ihnen morgen mit dem Röntgenbild von Andis Fuß, damit Sie sich selbst überzeugen können, daß es Notwehr war.“
„Ich werde sofort nach ihm sehen!“ Damit entschuldigte sich der Rex und stiefelte davon. Und Mauersäge, als Hausherr, meinte: „Es war ein schönes… ks… Kon… ks…, und langweilig ist es bei… ks… uns ja nie. Finden Sie nicht… ks… auch?“
Wieder blieb der Leiterin die Sprache weg. Doch sie lächelte, wenn auch süßsauer.
Draußen vor der Tür hatten Stephan und Mücke ein Spalier organisiert. Keines der aufgebrachten Mädchen sollte sich im Nordflügel verstecken und nachher noch etwas anstellen können.
Als Fräulein Böcklmeier mit Sonja vorbeikam, riefen alle im Sprechchor: „Vielen Dank für das Konzert! Vielen Dank für das Konzert…“
Sonja blieb vor Stephan stehen. „Ihr wart sehr hart diesmal.“ Mücke neben ihm schaltete schneller. „Für Vandalen erstaunlich mild“, antwortete er.
„Was deine Hühner heute geboten haben, ist dumm, brutal und humorlos!“ fügte Stephan hinzu. „Bei einem Streich soll niemand und nichts zu Schaden kommen und er soll Witz haben!“
Sonja wußte das, ebenso Beatrix, die sich dazugesellt hatte und gleich darauf anspielte. „Findest du sehr witzig, was ihr gemacht habt?“
Stephan grinste. „Hat niemand behauptet. Nennen wir’s Notwehr in ansprechender Verpackung.“
Lehrerin und Schülerin konnten ein Lächeln nicht unterdrücken und verabschiedeten sich ungleich freundlicher.
Hinter dem Burgherrn und der Internatsleiterin, dem falschen Geschwisterpaar, das den Schluß bildete, schloß sich das Spalier. Dampfwalze sperrte den Rittersaal ab; die vier Minis schalteten alle Lichter ein und durchstöberten erneut den gesamten Schulbereich, während die übrige Ritterschaft teils von den Fenstern aus, teils im Hof das Einsteigen der Mädchen überwachte. Unter den taghellen Tiefstrahlern konnte sich keine unbemerkt entfernen. Strehlau zählte sogar ab.
Dabei biß Martina dem Musterschüler in den Finger. „Laß das!“ fauchte sie ihn an. „Wir sind kein Schlachtvieh.“
„Im Erziehungsheim wird auch abgezählt“, erwiderte Beni. „Und da gehört ihr hin. Du auf jeden Fall!“
In diesem Moment kam ein Wagen mit aufgeblendeten Scheinwerfern über die Zugbrücke. Doktor Schüler, der rasende Lateinlehrer, stieg aus und schwenkte eine Zeitung in der Hand. „Die neue Neustädter! Druckfrisch!“ rief er. „Da habt ihr eure Rettungsaktion schwarz auf weiß.“
Mit Auspuffqualm, gewissermaßen als letzten Protest, verließen die Hühner samt Lehrerinnen und dem noch immer verpackten „Frachtgut“ die Burg.
„Endlich!“ atmete Hans-Jürgen auf. „Heut waren sie lästig wie Bremsen im August.“
Mücke, seines Zeichens Chefredakteur der Schulzeitung Wappenschild, hatte das Blatt aufgeschlagen. RAUBRITTER VON SCHRECKENSTEIN? Diese Überschrift mit Fragezeichen mißfiel ihm sehr. „Die Masche kenn ich: Mit Fragezeichen ein Vorurteil schüren, ohne den Beweis antreten zu müssen!“ schimpfte er. „Aber schauen wir erst, wie es gemeint ist.“ Und er las vor:
Ungefähr zehn jugendliche Ritter von Burg Schreckenstein waren vergangene Nacht mit einem Traktor und Anhänger unterwegs, als ein Bierfahrzeug sie überholte und infolge defekter Bremsen verunglückte. Trotz strömenden Regens halfen die jugendlichen Ritter sofort und verständigten die Polizei. Wie die Ermittlungen ergaben, befanden sich die Schreckensteiner auf der Rückfahrt von dem Mädcheninternat Schloß Rosenfels, wo sie den Konzertflügel entwendet hatten. Dies bestätigte auch die Leiterin, Fräulein Dr. Adele Horn. Von der Ladung des verunglückten Lastwagens sind über hundert Bierflaschen zu Bruch gegangen; die Fässer dagegen haben den Unfall heil überstanden. Bis auf eines, das verschwunden ist. Ob das mit der Raubrittertradition der Schreckensteiner zusammenhängt, konnte bis zur Stunde noch nicht geklärt werden.
„Mann, ist das hämisch!“ befand Hans-Jürgen.
„Wenn die Horn dahintersteckt – wundert dich das?“ fragte Pummel.
„Von der Polizei hat’s die Presse nicht!“ folgerte Beni. „Die hätten mit Vergnügen berichtet, daß ich ohne Führerschein gefahren bin.“
Der Rex kam die Freitreppe herunter. „Ihr wart tatsächlich sehr maßvoll mit euren Aktionen“, sagte er. „Ganz im Gegensatz zu den Mädchen. Andis Fuß ist dick geschwollen. Ich hab ihm einen Arnika-Umschlag gemacht und werde ihn morgen zum Röntgen bringen. Ein unschöner Ausklang, aber nicht eure Schuld. Geht jetzt schlafen!“
Mit den Worten: „Leider war auch Fräulein Dr. Horn nicht gerade maßvoll!“ reichte ihm Mücke die Zeitung.
Fritz, der Seltenfröhlich, schüttelte den Kopf. „Da kommt noch was nach! Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache.“
Obwohl Unkerei auf der Burg verpönt war, widersprach ihm diesmal niemand.