10. Befreiung
Ende August 2022
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Marcus ist besorgt, weil Rudolf verschwunden ist. Er kann nicht glauben, dass er sie hintergehen will, es muss ihm etwas zugestoßen sein! Nur kann es für sie böse Folgen haben, wenn Rudolf gezwungen wird, alles, was er weiß, zu verraten.
Stephan macht sich anfangs sogar noch mehr Sorgen um Victor Grey, da er eine zeitlang überhaupt keine Emotionen mehr empfängt. Dann aber nimmt er sehr gedämpft Victor wieder wahr, aber so wirr und neu, dass er es nicht verstehen kann. Er bespricht dies mit seinem Vater.
Marcus denkt lange darüber nach.
»Ich habe eine wilde Spekulation. Könnte es sein, dass Tschau seine Hand im Spiel hat? Dass du Victor deshalb nicht mehr klar empfangen kannst weil er parahypnotische Befehle erhält? Er soll vielleicht keine mentalen Botschaften mehr mit dir auszutauschen? Ist vielleicht auch Rudolf involviert? Wir haben von der Mollermietzentrale in San Franzisko eine hohe Rechnung bekommen, weil er seinen Moller nicht zurückgebracht hat, sondern ihn in Albuquerque stehen ließ. Ich rufe Travelfast an.«
Wenige Minuten später kommt Marcus fast triumphierend zurück.
»Manchmal funktionieren meine grauen Zellen doch noch. Rudolf ließ seinen Moller nicht irgendwo in Albuquerque stehen, sondern am Gelände von Travelfast, nachdem er sich verabschiedet hatte. Er ist aber auch nicht mit einem Auto weggefahren. Noch bevor er die Firma verließ, landete ein Moller 980. Da Travelfast ja gerade einen solchen für uns umgebaut hat und das Modell sehr teuer und daher selten ist, erregte es einige Aufmerksamkeit. Es flog nach einigen Stunden, knapp nachdem Rudolf gegangen war, wieder ab, ohne Kontakt mit der Firma Travelfast aufzunehmen. Ich habe daher meinen Freund Dr. Moller bei Moller direkt angerufen. Der alte Herr mit seinen 87 Jahren ist noch immer gut drauf und hat mir geholfen, obwohl er es eigentlich nicht tun durfte. Er hat mir verraten, wer diesen Moller 980 gekauft hat. Ein gewisser Mr. Swok aus Palau und wir haben auch eine Beschreibung von ihm. Mit etwas Fantasie ist das unser Tschau, nur mit Bart und neuer Frisur! Ich habe gleich in Palau angerufen und lasse erheben, ob dort ein Swok bekannt ist und was man über ihn weiß.«
»Was ist Palau?«
»Eine Inselgruppe mit nur insgesamt 30.000 Einwohnern ca. 1500 km östlich von Manila. Es ist ein eigenständiger Staat, der aus ca. 100 größeren und 10.000 kleinen Inseln besteht. Ich denke es besteht eine gute Chance, dass Tschau alias Swok Rudolf und Victor entführt hat. Victor weiß nicht gar so viel über uns und Rudolf hat eine Kapsel geschluckt, so dass er nicht wirklich hypnotisierbar ist. Ich traue ihm zu, dass er das ausgenützt hat, bzw. noch ausnützt.«
Marcus schätzt Rudolf richtig ein. Wie kann er, Rudolf, Marcus informieren, dass sie auf der Insel Filco gefangen gehalten werden? Nur über die Schiene Victor- Stephan!
Victor hat den Auftrag, keine mentalen Botschaften mehr auszutauschen. Aber er darf doch noch denken! Und er hat doch mit Stephan für jeden Buchstaben einen Gedanken ausgedacht! Rudolf weiß nicht, wie genau sie mit Kameras überwacht werden. Als Victor wieder im Bett liegt, legt sich Rudolf in sein Feldbett daneben und rollt sich auf die Seite in die Nähe Victors.
»Victor, machst du mir den Gefallen und denkst ein paar Begriffe für mich?«
Victor denkt nach, durch die Parahypnose träge. ‚Ich habe den Befehl, unverbindlich freundlich zu allen zu sein. Mir ist denken nicht verboten.’
»Ja, OK«.
»Dann denke bitte fest an: Bunt. (Pause) Nun an: Herrlich. (Pause) Nun an: Flüssig. (Pause) Nun an: Schnell. (Pause) Nun an: Gehen. (Lange Pause). Und nun noch einmal…..
Rudolf wiederholt dieses Buchstabieren von F-I-L-C-O so oft, bis er Angst hat, dass es auffallen könnte, wie er immer dieselben Begriffe murmelt.
Tatsächlich hat es Denny bemerkt, der gerade bei der Überwachungskamera sitzt. Er meldet es Tschau.
»Danke für die Information, Denny. Könnte ja noch interessant werden. Übrigens, ohne Vorwarnung können wir hier nicht überfallen werden und verteidigen können wir uns auch ganz gut.«
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Auf Great
Barrier Island hofft Stephan, dass sein Vater richtig kombiniert
hat und sie so den Ort von Rudolf und Victor finden können. Immer
und immer wieder versucht er, mentalen Kontakt zu Victor
herzustellen, doch es ist nur ein sinnloses Rauschen. Doch was ist
das? Plötzlich kommt in das Rauschen ein gewisser Rhythmus. Schwach
aber doch für Stephan wahrnehmbarm, kommen die Gedanken:
bunt-herrlich-flüssig-schnell-gehen. Und nach einer längeren Pause
noch einmal und noch einmal. Das ist ihr Gedankenalphabet und heißt
f-i-l-c-o. Wenn sonst alle Überlegungen stimmen, dann ist Victor an
einem Platz der ‚Filco’ heißt!
Stephan läuft zu Marcus.
»Kennst du einen Platz mit dem Namen Filco?«
Marcus staunt: »Seit wenigen Minuten. Es ist eine Insel in Palau, die Mr. Swok gehört. Und nach der Beschreibung, wie Swok noch vor einem Jahr ausgesehen hat, ist Swok unser Tschau.«
»Herrlich!«, ruft Stephan, »Victor hat mir schwach aber deutlich die Botschaft ‚Filco’ geschickt!«
»Dann ist wohl alles klar. Wir werden sofort aufbrechen, um Victor und ich wette auch Rudolf, zu befreien. Klaus muss den Moller 980 fliegen. Wir nehmen Cynthia mit. Unter anderem, weil wir den Parahypnoseblock in Victor wohl nur durch Auslöschen seiner Erinnerungen aufheben können und zwar von dem Zeitpunkt zwischen der ersten und der letzten Hypnose.
Deine Mutter muss mitkommen, damit wir die beiden Gefangenen auf der Insel finden. Sie sind sicher in einem Haus oder in einer Höhle versteckt. Wenn ich Recht habe und Rudolf dabei ist, ist er nicht hypnotisiert, nur vermutlich irgendwie gefesselt oder eingesperrt. Ich kann ihn befreien und er wird uns dann mit Victor helfen. Ich glaube übrigens, wir sollten die Gelegenheit nützen um Tschau gefangen zu nehmen … er kann uns mit seiner Parahypnose nicht wirklich gefährlich werden. Wir halten ihn dann in einem Paragefängnis fest, wie seinerzeit die Brodlyn Zwillinge[1] und überlegen uns, wie wir ihn, der weltweit gesucht wird, der Polizei übergeben können, ohne dass Tschau seine Parahypnosefähigkeit einsetzen kann. Vielleicht ist das ein Glückstag für uns und wir können das Problem Tschau endgültig lösen.«
Klaus Baumgartner ist nicht so begeistert, dass Marcus, er, Maria, Stephan und Cynthia zu dieser Befreiungsaktion fliegen sollen.
»Ist das nicht zu gefährlich? Was ist, wenn Tschau hier angreift, während wir weg sind? Vielleicht will er uns mit der Entführung bewusst weglocken! Erinnere dich an die Warnung von Atalantis!«
»Du hast natürlich Recht, wir dürfen nicht lange weg sein. Aber Palau ist ‚nur’ 7000 Kilometer entfernt, dafür brauchen wir mit dem Moller 980 höchstens 6,5 Stunden. Wir werden dort nicht mehr als 30 Minuten brauchen. Wir können also noch heute Nacht zurück sein. Bedenke: Rudolf ist erst seit vorgestern verschwunden. Tschau hat ihn nach Filco gebracht. Er kann noch nicht lange genug dort sein, um die notwendigen Vorbereitungen für eine Angriff auf uns getroffen zu haben.«
»Du meinst, dass er erst Leute und Ausrüstung nach Neuseeland einfliegen muss, und genau dass der Grund ist, warum er sich einen Moller 980 gekauft hat und er nicht schon vorher alle Vorbereitungen durchführen konnte?«
Marcus nickt: »Zumindest nicht alle.«
Das Team bricht ohne weitere Diskussionen auf. Die Befreiung von Rudolf und Victor scheint eine jener Aktionen zu sein, die schon fast zur Routine geworden sind. Eine ähnliche Aufgabe, die Befreiung von Joseph Rath, verlief ja ebenfalls problemlos.
Sie überqueren auf ihrer Route Neuguinea und zwar zuerst den östlichen, dann den zu Indonesien gehörenden westlichen Teil. Die Überflugsgenehmigung wird problemlos erteilt. Am Militärstützpunkt Jayapura sorgt der höchstrangige Offizier Subandrio dafür, dass ein ‚Freund’ über den neuseeländischen Moller 980, der nach NNO unterwegs ist, informiert wird.
Marcus hat im Moller genaue Landkarten und eine Satellitenaufnahme von Filco und Umgebung auf den Tisch gelegt.
»Hier, am Rand der sandigen Bucht, gibt es die einzigen Wohnhäuser. Das größte ist direkt an die Felsen angebaut. Das ist wohl kein Zufall. Meine Informanten aus Palau berichten, dass sich unter Filco ein Höhlensystem befindet. Die eigentliche Zugänge sind Tunnels auf der anderen Seite der Insel, sie befinden sich direkt am Meer. Während der Kampfhandlungen im zweiten Weltkrieg wurden sie zubetoniert. Vermutlich gibt es vom Haus einen Zugang in das Höhlensystem. Die verschlossenen Tunnelzugänge sollen übrigens vom Meer aus sichtbar sein, sind aber durch eine Anzahl kleiner felsiger Inseln knapp vor der Hauptinsel abgeschirmt. Klaus, du solltest bitte von dieser Richtung anfliegen, damit wir nicht entdeckt werden. Wir können uns notfalls zwischen einer der kleinen Inseln und der Hauptinsel verstecken.«
Nach wie geplant knapp sieben Stunden erreichen sie den Luftraum von Palau. Sie nähern sich Filco von der felsigen Seite. Sie fliegen 20 Meter über dem Meer und über die kleinen, pilzförmigen vorgelagerten Inseln. Bei einer gibt es einen schmalen steinigen Strand, gerade groß genug, dass der Moller aufsetzen kann. Nur 60 Meter vor ihnen liegen die Felsen von Filco und deutlich erkennbar, eine Stelle, die mit Beton gefüllt ist!
Maria konzentriert sich nun mit ihrem Parasehen auf Filco.
»Ja, ich habe sie gefunden. Hinter der Betonwand macht der Tunnel einige Biegungen und endet in einer großen Höhle, die zu einer Werkstatt umfunktioniert wurde. Dort sind Rudolf und Victor. Sie sind mit Handschellen, an denen eine Kette hängt, gefesselt. Das macht sie zwar nicht bewegungsunfähig, aber sie haben keinen Handlungsspielraum. Klaus, brich du den Beton auf, den Rest machen Marcus und ich.«
Sie ergreift die Hand von Marcus, so dass dieser nun auch in die Höhle sehen kann. Mit seiner telekinetischen Begabung sprengt er die Handschellen von Rudolf, der sofort versteht, was geschieht. Während Klaus eine Rakete auf die Betonwand abfeuert, öffnet Marcus auch die Handschellen von Victor und zieht telekinetisch beide in Richtung Tunnel. Die explodierende Rakete schlägt ein Loch in die Wand, die sich als verkleidetes Tor erweist! Marcus erhöht seinen Druck auf Rudolf und Victor. Sie sollen durch den Tunnel in Richtung Moller laufen. Rudolf ergreift Victors Hand und zieht den apathischen Freund in Richtung Freiheit.
In diesem Augenblick gibt es einen furchtbaren Krach. Der Moller wird so durchgerüttelt, dass Stephan und Cynthia, die gerade noch aufrecht gestanden sind, umstürzen. Maria und Marcus halten sich gegenseitig. Maria blickt nach oben durch die Decke des Mollers. Wegen der verdichteten Haut ist dies schwer.
»Achtung«, schreit Maria.
»Irgendwie schaffen sie es, riesige Felsbrocken von oben auf den Moller zu werfen. Hier kommt wieder einer.«
Es kracht, der Moller ächzt aus allen Fugen, einige Anzeigen leuchten rot auf.
Klaus reagiert sofort. Er muss vom Strand unterhalb der Felsen weg! Er hebt einen Meter ab und fliegt zum Tunneleingang, wo er den Moller knapp über dem Wasser schweben lässt. Maria wehrt sich dagegen, als Marcus durch sie wieder in den Tunnel schauen will, um den Flüchtenden zu helfen.
»Das Ausweichen hat uns nichts gebracht, ich sehe mehrere Felsstücke, ich schätze tonnenschwer, durch die Luft schweben. Sie werden von Schwärmen von Minidrohnen getragen!«, ruft sie entsetzt. Zwei Treffer knapp hintereinander kippen den Moller fast, den nächsten Treffer kann Marcus mit größter telekinetischer Anstrengung ins Meer abdrängen, dann aber haben sie wieder einen Einschlag. Die Decke des Mollers zeigt einen Riss!
»Wir müssen hier weg«, ruft Klaus, »wo bleiben nur Rudolf und Victor?«.
»Klaus, es
kommen drei weitere Geschoße!«, warnt Maria.
Klaus beschleunigt waagrecht parallel zur Insel, die Minidrohnenschwärme können nicht rasch genug folgen. Sie bleiben, wie Wächter, mit ihren Lasten einige Meter über dem Tunnelausgang schweben, um alles, was in die Nähe kommt, zu zertrümmern.
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Tschau, Denny und Kim beobachten das Geschehen über Drohnen mit großem Vergnügen. Mu-mu-tu, der Leiter des lokal rekrutierten »Teams der Zwölf« und zwei seiner Mitarbeiter steuern je einen Drohnenschwarm. Die 2 bis 3 Tonnen schweren Gesteinstrümmer, die Tschau durch Sprengungen auf den kleinen Inseln vorbereitet hat, bewähren sich als Waffe hervorragend, wenn man sie aus zwanzig oder mehr Meter Höhe herabstürzen lässt. Er kann sich die entsetzten Gesichter im Moller vorstellen, als sie noch immer getroffen werden, selbst als sie den Strand verlassen. Bis dahin dachten sie wohl, man rollt die Felsen von oben auf sie. Erst jetzt werden sie erkennen, dass die Steine durch Drohnenschwärme getragen werden!
»Der Moller ist beschädigt! Seine Decke hat einen Riss!«, jubelt da Denny.
»Sie geben auf, sie fliegen weg!«
Jim sitzt neben ihnen, ist aber anderweitig beschäftigt. Er hat, zusammen mit dem anderen Wachpersonal, mit Amüsement aber auch mit einer Portion Respekt beobachtet, wie die Handschellen der Gefangenen von einer gewaltigen Geisterhand aufgerissen wurden und wie sich die beiden nun Richtung Ausgang bewegen. Victor ist apathisch, wie erwartet, aber dem anderen scheint die Parahypnose nicht so zugesetzt zu haben! Er agiert rasch, geschickt und zielstrebig, anders als von Tschau prognostiziert!
‚Ihr entkommt mir trotzdem nicht’, schwört sich Jim. Er aktiviert den Drohnenschwarm in der Höhle. Die beiden sind ihm hilflos ausgeliefert, da sie keine e-Helper tragen. Die 25 Millionen Drohnen könnten die beiden einfach umwerfen, festhalten, was auch immer! Das kann er ja immer noch, überlegt sich Jim und spielt jetzt mit teuflischem Vergnügen »Katze und Maus« mit den beiden. Er lässt die Drohnen nicht direkt auf sie los, sondern verwendet sie, um die Flüchtenden mit einem Bombardement von kopfgroßen Steinen unter Dauerbeschuss zu nehmen. Sein Treffsicherheit wird zunehmend besser. Rudolf bricht mit einem Schmerzensschrei zusammen, rafft sich aber wieder auf. Mehrmals müssen die Fliehenden hinter Felsen Schutz suchen und kommen daher nur langsam weiter. Als schließlich Rudolf doch mit Victor im Tunnel verschwindet beschließt Jim, den Spaß zu beenden. Er steuert den gesamten Schwarm wie ein fliegendes, steuerbares Geschoß in den Tunnel hinein. Die vielen Überwachungskameras zeigen die Fliehenden und den immer näher kommenden Großschwarm. Er wird sie mit seinen 12,5 Tonnen zerquetschen wie Fliegen!
Denny schreit in diesem Augenblick auf.
»Was ist das?« Jim ist einen Moment lang abgelenkt. Auch Tschau ist verärgert über das, was er miterleben muss, es überrascht ihn aber weniger, wie seine Mitarbeiter. Der Pilot des Mollers hat das Fluggerät hochgezogen, höher als die Drohnen fliegen, und hat innerhalb von Sekunden drei Raketen abgefeuert, direkt auf die Schwärme, die die Felsen tragen. Bevor Mu-mu-tu reagieren kann, explodieren die Raketen mit Wucht und zerstören die Schwärme zur Gänze. Die Felstrümmer platschen ins Meer.
»Ja, ja, das ist der Nachteil wenn man die Schwärme zu konzentriert einsetzt, sie können dann durch eine große Explosion vernichtet werden. Aber, wir haben unseren Gegnern ganz schön zugesetzt. Sie werden einen neuen Moller benötigen, und die Gefangenen sind sicher schon erledigt, Jim?«, sagt Tschau.
»Fast. Ich habe zuerst ein bisschen mit dem Schwarm trainiert. Aber nun haben sie nur noch Sekunden zu leben.« Alle vier schauen jetzt gebannt auf den Monitor von Jim. Sie sehen, dass die Gefangenen mühsam nach vorne stolpern und der Drohnenschwarm gute 50 Meter hinter ihnen ist. Er nähert sich rasend schnell.
Da stürzt unmittelbar vor dem Schwarm die Tunneldecke ein! Nicht nur kann der Schwarm die Fliehenden nicht mehr verfolgen, er prallt auch mit beachtlicher Geschwindigkeit in die Schuttwand. Viele der Drohnen sind zerstört. Fluchend rettet Jim ein Viertel der Drohnen. Tschau wendet sich zornig ab.
»Das war dieser verdammte Telekinet Marcus. Und du, Jim, hast das vermasselt, wir werden darüber noch zu reden haben!«
Er führt seine Strafpredigt nicht weiter sondern schwebt, zur Überraschung aller, aus seinem Sitz in Richtung Ausgang!
»Gut gemacht«, ruft Marcus, als Klaus die drei Schwärme mit Raketen vernichtet, »unsere Freunde waren im Höhlensystem bedroht, dort habe ich hinter ihnen mit Marias Hilfe die Tunneldecke zum Einsturz bringen können. Sie sind jetzt in Sicherheit und werden jeden Augenblick das Freie erreichen.«
Klaus zögert keinen Augenblick. In Sekundenschnelle bringt er den Moller längsseitig zum Tunnelausgang und öffnet die Schiebetür. Von der gegenüberliegenden kleinen Insel werden sie mit Maschinengewehren beschossen. Abgesehen vom Lärm stört das nicht wirklich. Die Haut des Mollers wird dadurch nicht einmal beschädigt. Umgekehrt schirmt der Moller den Tunnelausgang ab. Nur dort, wo einzelne Kugeln den Riss in der Decke des Mollers genau treffen, richten sie etwas Schaden an. Sehr lange sollte man also doch nicht hier bleiben!
Das ist aber auch nicht notwendig. Denn schon springt Rudolf durch die Türe und zieht den noch immer apathischen Victor unter Mithilfe von Marcus mit.
»Robert, bitte fliege zur anderen Inselseite, bleib direkt über dem Haupthaus in Schwebe. Ich möchte trotz allem versuchen, Tschau wie geplant zu entführen.«
Wieder arbeiten Maria und Marcus zusammen. Durch Maria können sie in die Kontrollzentrale sehen, wo Tschau und drei andere sitzen. Tschau redet gerade zornig auf einen der drei ein. Da ergreift Marcus Tschau, hebt ihn telekinetisch und lässt ihn Richtung Ausgang schweben.
Der gerade Beschimpfte reagiert am schnellsten. Mit seiner Steuerung führt er den Rest des Schwarms, es sind immer noch über 8 Millionen Minidrohnen, zu Tschau. Sie halten ihn fest. Ihre gemeinsame Kraft und jene von Marcus sind etwa gleich. Als sich die Drohnen wie ein Bienenschwarm um Tschau legen, fühlt Marcus, dass sein Einfluss nachlässt. Er muss zuerst den Schwarm oder einen Teil des Schwarms ausschalten! Marcus ergreift diverse Gegenstände, wie er sie gerade findet und schleudert sie gegen den Schwarm. Jedes Mal schaltet er dadurch tausende Drohnen aus. Die Methode scheint mit etwas Geduld zu greifen.
Da brüllt Klaus: »Marcus, gib es auf. Ich muss hier weg. Da unten bereiten sie gerade großkalibrige Raketen für den Abschuss auf uns vor. Das hält der Moller nicht aus.«
Marcus wendet sich dem neuen Problem zu. Während Klaus den Moller mit höchster Beschleunigung sanft schräg nach oben lenkt, so dass bald die Felsen von Filco zwischen ihnen und den Abschussrampen der Raketen liegen, starten die ersten. Marcus konzentriert sich auf diese. Sie sind nicht gesteuert, sondern rein ballistisch. So fällt es ihm leicht, sie abzulenken. Der Moller und seine Insassen sind schließlich außer Reichweite der Raketen und in Sicherheit.
Tschau hat sich von seinem Schreck erholt.
»Danke, Jim, für deine Hilfe. Damit hast du deinen vorherigen Fehler wieder gut gemacht. Wir wissen jetzt, die Gruppe um Marcus ist stark, aber nicht unschlagbar. Ich denke, sie werden Probleme haben, mit dem beschädigten Moller Neuseeland zu erreichen, dafür werde ich sorgen.«
Er ruft am Militärstützpunkt Jayapura den Offizier Subandrio an und gibt ihm den parahypnotischen Aktivierungscode. Am meisten stört es Tschau, dass er fast 50 % der Drohnenvorräte verloren hat. Er wird wohl wieder irgendwo eine Fabrik für Minidrohen aufbauen müssen!
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Im Moller ist einigermaßen Ruhe eingekehrt. Der verletzte Rudolf ist versorgt. Er bedankt sich für die Befreiung. Die Erfahrungen werden ausgetauscht und es ist klar, dass sein Versuch, Stephan über Victor zu erreichen, möglicherweise Tschau gewarnt hat. Tschau muss aber auch noch andere Freunde haben.
»Oder Personen, die unter seinem parahypnotischen Befehl stehen, vielleicht sogar gegen ihren Willen«, ergänzt Marcus.
»Dass du gehört hast, dass Tschau tatsächlich einen Angriff auf uns vorhat, ist eine wichtige Bestätigung unserer Theorien.«
»Cynthia, du weißt, was du mit Victor machen musst?«, ergänzt Marcus.
Cynthia nickt unglücklich: »Ja, ich hoffe, es bringt ihn nicht zu sehr durcheinander«.
Cynthia löscht die Erinnerungen der letzten Tage aus dem Gedächtnis Victors. Dieser ist sofort wieder »der alte «, nur wundert er sich, wo er ist, wie er hierher kam, usw. Cynthia und Marcus erläutern ihm geduldig, was geschehen ist und erklären auch die Parakräfte von Cynthia und Tschau, erwähnen aber die anderen Parabegabungen nicht. Victor bedankt sich für seine Rettung, obwohl er ja ohne Kontakt mit der Gruppe wohl nie entführt worden wäre. Er besteht darauf, der Gruppe gegen den Kampf mit Tschau beizustehen.
»Ich habe ohnehin noch Anspruch auf einige Wochen Urlaub. Die werde ich, ob ihr wollt oder nicht, in eurer Nähe verbringen.«
»Wenn es dir ernst ist, Victor, Danke«, sagt Marcus, »es könnte für uns wirklich eine Hilfe sein, wenn du im einzigen vernünftigen Hotel in Tryphena, das ist nur knappe zehn Kilometer südlich unserer Basis M auf Great Barrier Island, Urlaub machst und dich ein bisschen umschaust und umhörst. Es ist auf der Insel im gegenwärtigen Winter so unfreundlich und regnerisch, dass fast jeder verdächtig ist, der jetzt freiwillig hinkommt. Über Stephan kannst du uns jederzeit warnen, du kannst uns auch ab und zu besuchen. Obwohl, dann müssen wir uns eine Geschichte als Vorwand dafür ausdenken. Denn unser Anwesen ist so groß und komfortabel, dass alle Freunde stets bei uns wohnen.«
»Das geht einfach. Ich spiele einen Zeugen Jehovas und versuche, alle Menschen auf der Insel zu bekehren. Damit habe ich stets einen Vorwand, jede Person anzusprechen, anderseits wird sich niemand mit mir ernsthaft einlassen wollen.« Alle schmunzeln: »Prima Idee! Ob du das durchhältst?«
Klaus und Rudolf haben inzwischen den Moller 980 genau gequeckt. Er ist nur mehr bedingt einsetzbar. Diverse Sensoren und Außenkameras sind ausgefallen. Das wird später einigermaßen leicht zu reparieren sein. Aber der Riss in der oberen Decke ist ein kompliziertes Problem. Die Außenhaut ist so schwer zu bearbeiten, dass man sie vermutlich zur Gänze wird erneuern müssen.
Für den gegenwärtigen Flug ist der Riss natürlich das Hauptproblem. Dadurch fehlt der Druckausgleich in der Kabine. Sie werden nicht höher als 3.000 Meter fliegen können. Selbst in dieser Höhe ist die Luft schon dünner und auch über der Südsee kühl. Trotz der ‚nur’ 500 km/h die sie in dieser Höhe fliegen können ist das Geräusch, das die Luft durch den Riss erzeugt, unangenehm laut. Einige Versuche, den Riss von innen zu schließen, sind nur mäßig erfolgreich. Es wird ein sehr viel längerer Rückflug als geplant. Der Treibstoff sollte gerade noch reichen.
»Rudolf, vielleicht ist das Problem mit dem Moller 980 ein Glück für dich. Wir werden diesen richten lassen und als Zweitgerät verwenden. Aber wir kaufen einen neuen. Der bekommt eine noch bessere Außenhaut (Rudolf ahnt was Marcus damit meint), die Einstiegsschleuse, die du immer wolltest und dann werden wir anstelle der normalen Sensoren gleich die neuen Millivibrations-Sensoren einbauen, von denen ich dir erzählt habe.
Es ist bereits
tiefe Nacht als sie die Küste Neuguineas erreichen. Plötzlich sehen
sie unter sich hellen Flammenschein, zuerst einen, dann zwei, dann
drei. Nach einer Schrecksekunde begreift Klaus, dass dieses
Feuerwerk ihrem Moller gilt.
»Man hat von der Militärbasis Jayapura drei Raketen auf uns abgefeuert! Wer immer das tat, er ist wohl auch dafür verantwortlich, dass Tschau gewarnt wurde. Alle sofort fest anschnallen.«
Sie folgen dem Befehl. Klaus schaltet den zusätzlichen Tarnschild ein, der ihnen schon oft geholfen hat, erhöht die Geschwindigkeit, ändert den Kurs, sinkt mit starker Beschleunigung. Die entstehenden Fliehkräfte gehen an die Grenze des Erträglichen. Das Manöver genügt aber, um den offenbar nicht gelenkten Raketen zu entgehen.
Die Erleichterung dauert nur kurz. Wieder starten zwei Raketen kurz nacheinander. Diesmal sind sie offenbar gelenkt. Sie verfolgen die Ausweichmanöver von Klaus, also ist vermutlich auch der Tarnschild des Mollers ausgefallen! Marcus versucht mit seinen telekinetischen Kräften, die Raketen abzudrängen. Deren steuerbaren Triebwerke sind aber zu stark für ihn.
»Klaus, mach die Schiebetür auf und fliege nur gerade aus!«, ruft Marcus. Ohne zu fragen warum, betätigt Klaus den entsprechenden Schalter. Die Tür gleitet auf, die Luft stürmt mit mehren hundert Kilometern pro Stunde ins Innere, nimmt ihnen den Atem. Marcus reißt einen der leeren Sitze aus der Verankerung, lässt ihn durch die Öffnung fliegen und steuert ihn telekinetisch so, dass die erste Rakete den Sitz weit hinter ihnen trifft und explodiert. Marcus hat gerade noch genug Zeit, die zweite Rakete auf ähnliche Weise zu zerstören. Sie explodiert schon sehr knapp bei ihnen.
»Klaus, es hilft nichts. Du musst zurückschießen. Zerstöre die drei Abschussrampen. Maria sagt, sie liegen ganz eng beisammen.«
Als es unten wieder aufblitzt, ein weiterer Raketenstart, hat Klaus ein gutes Ziel. Er feuert eine Rakete ab, die nun automatisch die Quelle des Blitzes treffen wird. Es ist ihre letzte Rakete! Sie haben nur noch zwei Bomben an Bord. Klaus blickt Marcus fragend an. Dieser nickt.
»Wenn wir jemanden töten, möge man uns vergeben.«
Klaus manövriert den Moller genau über die Abschussrampen, während Marcus versucht, auch die gegenwärtige Rakete mit einem telekinetisch gelenkten Objekt auszuschalten. Marcus keucht, er nähert sich dem Ende seiner Parakräfte. Als die Rakete explodiert, bricht Marcus wie tot zusammen.
Es kann ihm niemand helfen. Jeder muss angeschnallt bleiben, so wie er ist. Klaus fährt die Tür zu, während er senkrecht nach unten beschleunigt. Erst 500 Meter über dem Ziel klinkt er die Bomben aus, zieht die Maschine wieder langsam in die Waagrechte, wobei Beschleunigungskräfte auftreten, durch welche Cynthia und Maria vorübergehend bewusstlos werden. Victor Grey wird an seine Starts ins Weltall erinnert. Hinter ihnen sieht man zwei große Blitze, wo die Bomben eingeschlagen sind. Sie entfernen sich schnell, noch einige Minuten mit der bangen Frage: Kommen noch mehr Raketen? Doch es bleibt ruhig. Ihr Angriff auf die Abschussstellungen scheint erfolgreich gewesen zu sein.
Schließlich stellt Klaus den Moller wieder auf Automatik, schnallt sich los und geht zu Marcus. Dieser hängt noch immer leblos in seinen Gurten. Auch die anderen stürzen besorgt zu ihm. Klaus fühlt nach dem Puls.
»Schwach, aber OK. Nur total erschöpft«, kommentiert er. Zusammen legen sie Marcus auf ein Notbett. Er öffnet kurz die Augen, murmelt etwas von ‚müde’, drückt Maria die Hand und versinkt in einen tiefen Schlaf.
Mit dem noch vorhandenen Treibstoff kann es der Moller nicht mehr nach Great Barrier Island schaffen, sondern bei sparsamstem Verbrauch mit den letzten Tropfen gerade noch bis zur »Ninety Mile Beach«, nahe von Kapp Reinga an der Nordspitze Neuseelands. Sie benachrichtigen SR-Inc. in Auckland. Man wird ihnen mit einem Moller 600 Treibstoff bringen und Victor Grey mit nach Auckland nehmen. Ihren Plänen entsprechend ist es sinnvoller, wenn Victor als ‚ganz normaler Tourist’ mit der Fähre von Auckland zur Insel nach Tryphena übersetzt. Er muss sich ja außerdem noch Touristenausrüstung und ein Köfferchen mit einer Bibel, mit neuen Ausgaben des »Wachturms« und andere Unterlagen besorgen, wenn er als Zeuge Jehovas authentisch wirken will!
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Tschau und seine drei engsten Mitarbeiter fühlen sich auf Filco nicht mehr sicher. Daher übersiedeln sie mit der ganzen Ausrüstung und ihrem »Team der Zwölf« ins indonesische Neuguinea nach Jayapura, wo sie viele ‚Freunde’ haben. In Wirklichkeit sind dies Menschen, die Tschau durch Parahypnose voll im Griff hat. Angela ist vorübergehend zu ihrer Familie nach Singapur zurückgekehrt.
Tschau bedauert, dass es dem Militärstützpunkt unter Offizier Subandrio nicht gelungen ist, Marcus’ Moller abzuschießen. Es erhöht den Respekt seiner Mitarbeiter vor Marcus, als sie erfahren, dass der Moller einigen Raketen auswich, andere zu einer frühen Explosion brachte und schlussendlich sogar die drei Abschussrampen zerstörte, wobei es mehrere Verletzte gab. Der Zwischenfall wurde auf das Konto von Rebellen geschrieben, so dass es keine Untersuchungen gab.
Denny, Kim und Jim, die miterleben, wie ergeben und puppenhaft die von Tschau parahypnotisierten Menschen sind, haben insgeheim Angst, dass auch sie eines Tages parahypnotisiert werden. Gleichzeitig wird für sie die »Gruppe M« zu einem unbesiegbaren Mythos.
Tschau merkt natürlich, dass die Stimmung zwischen ihm und seinen engsten Mitarbeitern getrübt ist. Er versucht, sie durch großzügige Sonderzahlungen »für das Ärgernis der Übersiedlung« zu entschädigen. Dies gelingt ihm auch bis zu einem gewissen Grad. Aber er wird sich nach dem Sieg über Marcus überlegen müssen, wie er weiter mit ihnen verfährt. Vielleicht wird es doch notwendig sein, sie paraabhängig zu machen?
Jetzt gibt es aber Wichtigeres.
»Nach unseren Erfahrungen müssen wir den Angriff auf die Gruppe Marcus sehr viel gründlicher vorbereiten. Wir können uns, wie der letzte Zusammenstoß gezeigt hat, nicht darauf verlassen, dass eine einzige Taktik zum Erfolg führt. Wir werden also auf mehrere Arten gleichzeitig angreifen. Natürlich wieder mit unserer Schwärmen! Das Abwerfen von tonnenschweren Stücken soll sich bei Häusern ja mindestens so gut bewähren, wie bei dem Moller … und ausweichen können Häuser auch nicht so leicht«, grinst Tschau.
»Aber wir werden auch Raketen bzw. Granatwerfer einsetzen und zur Vorsicht einige Großanlagen in Neuseeland so präparieren, dass wir sie als Faustpfand für Erpressungen verwenden können. Um unsere Ausrüstung nach Neuseeland zu bringen fliegen wir mit dem neuen Moller 980 und zwar in der Dunkelheit. Dann ist er weder optisch noch für Radaranlagen erkennbar. Beim ersten Flug möchte ich dich, Denny, mit einem Schwarm in der Nähe von Auckland und dich, Kim, in der Nähe von Hamilton südlich von Auckland aussetzen. Ihr müsst versuchen, fernzündbare Sprengsätze an einigen neuralgischen Stellen zu deponieren. Ihr werdet dann während des eigentlichen Einsatzes wieder dort sein und auf meinen Befehl einzelne Sprengsätze zünden.«
Sie sind das schon mehrmals durchgegangen. Sie werden beide Male im einem Motel am Stadtrand wohnen und beim zweiten Mal das Zimmer mit Kameras so ausrüsten, dass sie jenen Personen, die Tschau erpressen will, beweisen können, dass es sich nicht um eine leere Drohung handelt. Sie werden Kameras auch dort anbringen, wo sie die Sprengsätze einbauen und zwar so, dass man genug von dem Objekt sieht, um die Drohung klar zu machen. Es liegt bei Denny und Kim, sich geeignete Plätze auszusuchen. In Auckland sind der hohe Turm beim Casino, das große Green Lane Spital, der Flughafen und das Stadtautobahngewirr im Zentrum Aucklands ideale Ziele. Den Firmensitz von SR.Inc. wollen sie verschonen. Dort soll nach dem Sieg Elektronik für sie erzeugt werden. Wie sich Tschau die Übernahme von SR.Inc. vorstellt, erklärt er nie, behauptet aber, einen absolut sicheren Plan zu haben. Nahe Hamilton bieten sich ein großes Kraftwerk, ein Staudamm des Waikato Flusses und die neue »größte Mall Neuseelands« für Bombenanschläge an.
Denny hat außerdem den Auftrag, mit der Fähre nach Tryphena zu fahren und sich dort in der weiteren Umgebung der Basis M umzusehen. Er soll versuchen, ein isoliert stehendes großes Haus zu mieten, wo später das »Team der 12« untergebracht werden wird. Dieses Team wird den Direktangriff auf die Basis M mit Schwärmen und Granatwerfern übernehmen.
Kim und Denny erledigen die ihnen zugewiesenen Aufgaben rasch und gut. Sie haben die Sprengsätze und Kameras entsprechend angebracht. Denny und Kim erforschen die Situation auf Great Barrier Island. Sie mieten ein großes Haus nur wenige Kilometer nördlich der Basis M. In die Garage stellen sie drei gemietete Geländeautos, hinter dem Haus, vom Busch versteckt, befindet sich jenes große Lastauto, auf dem Denny die zwei Minidrohnenschwärme per Fähre auf die Insel gebracht hat, während Kim ein unscheinbares Mietauto benutzte und nur aus Langeweile und Neugier auch auf die Insel mitgekommen ist. Tschau wird dies nicht gerne hören, er hätte die Drohnenschwärme lieber weniger auffällig mit dem Moller in der Nacht vom Festland auf die Insel gebracht, und es wird ihm auch nicht Recht sein, dass Kim die Insel besucht. Aber es scheinen weder der Transport noch die beiden irgendein Aufsehen erregt zu haben.
Kim fährt mit Denny zur Fähre nach Tryphena zurück, weil Tschau sie vereinbarungsgemäß in Auckland mit dem Moller abholen wird.
Victor Grey ist unsicher, ob er Marcus von seinen Beobachtungen berichten soll. Ein riesiger LKW mit über 28 Tonnen Übersiedlungsgut, wie er von der Fähre erfahren konnte, ist doch etwas außergewöhnlich. Und dass jemand drei Geländeautos mietet und dann nur in eine Garage stellt, doch auch. Andererseits, er hat inzwischen erlebt, wie großzügig Marcus Geld ausgibt … allein, dass er einfach einen neuen Moller 980 kauft als wäre das nichts ….also ist viel Geld ausgeben nicht immer ungewöhnlich. Vielleicht sollte er sich einmal die Ladung des LKWs ansehen?
Als er dies tut und die für eine verlassene Gegend nicht ungewöhnlichen Sicherheitsanlagen entdeckt, die das Grundstück mit dem LKW umgeben, überlegt er es sich anders und lässt die Sache vorläufig auf sich beruhen. Wie soll ein unbewohntes Haus auch gefährlich werden? Er wird die Augen offen halten.
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Es gibt wieder eine große Besprechung auf der Terrasse im Wintergarten. Heute sind alle hier: Maria, Marcus, Stephan, Linda, Klaus, Cynthia, Aroha, Herbert und Rudolf. Victor wird anschließend von Stephan über das wichtigste informiert werden.
Marcus: »Die Insel Filco ist geräumt. Wir wissen nicht, wo Tschau und seine Mitarbeiter zurzeit sind, aber ich fürchte, dass sie sich fleißig auf ihren Angriff vorbereiten. Dass es nicht nur ein Hirngespinst von mir ist, hat Rudolf bestätigt. Wir müssen uns nun überlegen, wie wir am besten damit fertig werden. Ist es euch Recht, wenn ich zunächst die Überlegungen von Klaus und mir offenlege und dass wir dann diskutieren?« Alle nicken.
»Es ist klar, dass sie uns hier direkt angreifen werden. Ich rechne damit, dass sie wieder Drohnenschwärme einsetzen, um uns mit Gesteinstrümmern wie im Moller zu bombardieren. Leider kommt ihnen zu Gute, dass die Straße von Tryphena nach Claris gerade erweitert wird und daher viele große Felstrümmer herumliegen. Es kann auch sein, dass sie einen Schwarm als riesiges Geschoß verwenden, etwa um dieses Haus zu zerschmettern, wie sie es im Tunnel mit Rudolf und Victor versucht haben. Ich bin sicher, dass sie auch Raketen oder Grantwerfer parat haben und sich diesmal nicht nur auf die Drohnenschwärme verlassen werden. Es kann auch sein, dass Tschau versucht, den einen oder anderen Piloten der Luftwaffe zu parahypnotisieren, so dass diese uns angreifen. Aber sie sind eine kleine Gruppe, sie können nicht beliebig viele Schwärme oder Granatwerfer bedienen.
Wenn Stephan die Personen ausschaltet, die die Granatwerfer bedienen, wenn Rudolf mit dem zwar lädierten aber einsatzfähigen Moller die Schwärme angreift, wenn wir alle 100 Boden-Luftraketen, die wir haben, auf tief fliegende Steine und Granaten programmieren und ich das eine oder andere Biest mit Telekinese abfange, dann sollten wir dem einigermaßen gewachsen sein.
Wenn wirklich einige Flugzeuge der Luftwaffe angreifen, so wird es bei Rudolf liegen, sie auszuschalten. Vielleicht sollte Klaus mitfliegen, um die Raketen zu bedienen. Angreifende Flugzeuge versuchen wir durch Abschießen von Triebwerken zur Notlandung zu zwingen. Wir vermeiden natürlich, Menschen zu töten.
Unser Warnsystem muss auf dem letzten Stand sein. Wir platzieren Bewegungssensoren und unsere neuesten Drohnen stationär in weitem Umkreis, deaktivieren aber ihren Selbstzerstörungsmechanismus. Die Bilder leiten wir in einen zentralen Raum hierher und werden sie ab sofort rund um die Uhr beobachten. Linda hat sich darum gekümmert, dass sie und unser Personal das schichtweise übernehmen. Dann gibt es ja noch Victor in Tryphena. Er hat sich eine Moller 600 gemietet, kann uns einerseits über Stephan warnen und umgekehrt, kann bei einem Angriff auch rasch bei uns sein. Vielleicht noch wichtiger ist es, dass Maria uns mit ihrem Parasehen hilft, sobald irgendetwas Auffälliges geschieht und uns zur richtigen Stelle dirigiert, wenn dies notwendig ist.
Besondere Sorgen mache ich mir um unsere Premierministerin. Sie hat sich so oft für SR-Inc. eingesetzt und nun sind sie und unsere Regierung gefährdet. Alle Regierungsmitglieder tragen unsere neuen e-Helper und sind so wenigstens nicht hypnotisierbar. Die PM hat sogar eine ‚Blinddarmkapsel’ geschluckt. Aber sie ist physisch nicht geschützt. Man könnte sie entführen oder mit geplanten Anschlägen erpressen. Ich bitte daher Aroha und Cynthia, als Hilfskräfte der Premierministerin noch morgen im Wellingtoner Büro anzufangen. Die PM ist damit einverstanden. Aroha ist besonders wichtig, weil sie uns über Herbert ohne technische Hilfsmittel informieren kann und umgekehrt. Ich habe übrigens im Parlamentsgebäude einen meiner verlässlichsten Sicherheitsleute sitzen. Paul Warren kann das Büro der PM, aber nur wenn er alarmiert wird, mit Kameras überwachen und notfalls eingreifen. Was haben wir übersehen? Was sollen wir noch vorbereiten?«
Linda meint: »Könnte es nicht sein, dass wir auch vom Meer aus angegriffen werden, beispielsweise von Booten aus?«
»Ja, das ist ein wichtiger Punkt, ich vergaß ihn zu erwähnen. Die PM hat drei der modernsten Küstenwachboote für einen Monat nach Claris abgestellt. Wir haben die ganze Mannschaft mit neuen e-Helpern ausgerüstet. Die Boote werden die Küste von Claris nach Süden, also an uns vorbei und noch ca. 6 km weiter patrouillieren. Die Boote sind uns unterstellt. Wir haben als Notsignal rote Feuerwerksraketen vereinbart. Diese sind am Bootssteg aufgestellt und können mit einem Knopfdruck gestartet werden. Es ist der neue große rote Knopf in der Küche. Wenn wir diese Notsignale abschießen, sie sind weithin sichtbar. Die Schiffe werden uns dann sofort beistehen. Da sie auch medizinisch gut ausgerüstet sind, sogar mit einem OP Raum, ist das eine zusätzliche Sicherheit.«
Rudolf wirft ein: »Tschau hat einen Moller 980. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den nicht einsetzt.«
»Für diesen Fall haben wir mehre lenkbare Raketen vorgesehen«, erklärt Klaus.
Der bescheidene Herbert meldet sich erst jetzt.
»Was ich prinzipiell nicht verstehe ist, wenn die PM und wir akut bedroht sind, warum werden wir dann nicht unter massiven militärischen Schutz gestellt?«
Marcus nickt.
»Ja, das wäre die offensichtliche Lösung, wenn schon alle Menschen in Neuseeland mit einem neuen e-Helper mit echten Paraschutz ausgestattet wären. Das ist aber nicht der Fall, wir konnten ja bisher nur eine erste Kleinserie herstellen. Wenn wir nun von einer größeren Militäreinheit ‚beschützt’ werden und es gelingt Tschau, die Anführer zu parahypnotisieren, dann wird aus dem Schutz eine tödliche Bedrohung. Mehr noch! Wir vermuten, dass die Minidrohnen die parahypnotische Fähigkeit von Tschau verstärken und ausstrahlen können. Es ist denkbar, dass Tschau den Befehl »tötet die Gruppe M«, oder auch andere Befehle, an tausende Personen gleichzeitig geben kann. Das ist der wahre Grund, warum Tschau und seine Minidrohnen so gefährlich sind und warum wir ihn ausschalten müssen.«
Die Gruppe schweigt. Nicht alle haben das bisher so dramatisch gesehen! Die Diskussion geht noch einige Zeit weiter. Es werden diverse Verbesserungen vorgeschlagen, aber nichts grundsätzlich Neues. Es ist ungewöhnlich, aber von allen Personen scheint sich Marcus vor einem Angriff fast am meisten zu fürchten!
Stephan trifft sich später noch in der Bar des ‚Green Bay’, wie Victors Hotel heißt, mit Victor und bespricht alle Maßnahmen. Die Besitzerin der Green Bay, die mit ihrem Mann das Hotel 2015 eröffnete, kennt Marcus und seine Familie gut. Als sie vorbeikommt und er die übliche Floskel »Wie geht das Geschäft?« fragt ist die Antwort überraschend.
»Also, zu dieser Jahreszeit hatte ich noch ganz selten Gäste außer Geschäftsleuten, die meist nur eine Nacht bleiben. Diesmal scheint das Wetter niemanden abzuschrecken. Da ist gestern dieser Mann aus Australien gekommen, Sam Oster und will eine Woche bleiben. Er schreibt an einem Buch, sagt er und hat dafür einen ruhigen Platz gesucht. Und heute kam ein Amerikaner, Bill Macy, der einen ernsten und ruhigen Eindruck macht und dauernd in seinem Zimmer am Computer hockt. Na, mir soll es recht sein.«
»Hast du die beiden gesehen?«, erkundigt sich Stephan bei Victor.
»Ja, und ich kenne sie nicht. Sie sind sicher nicht aus der inneren Tschau Gruppe, da kenne ich die Gesichter gut. Sie sind garantiert auch nicht parahypnotisierte Mitläufer von Tschau. Nein, sie sind nett und haben mit so unangenehmen Personen wie Tschau bestimmt nichts zu tun.«
86
Stephan stürzt am nächsten Tag ins Zimmer von Marcus
»Raianda wurde entführt. Wir müssen sofort helfen.«
»Ich weiß, ich unterhalte mich gerade mit ihrem Vater. Hier, übernimm.«
Stephan sieht in das milde Gesicht des Primararztes.
»Seit wann weißt du von der Entführung?« fragt Raiandas Vater.
»Seit wenigen Minuten. Raianda hat mich angerufen und angefleht, ich soll ihr helfen und sie nicht im Stich lassen. Ich werde sofort abreisen.«
Der Primararzt sagt streng: »Nein, das wirst du nicht. Wir kennen die Gruppe, die Rainanda entführt hat. Sie hat eine Lösegeldforderung gestellt, die wir nach den üblichen indischen Verhandlungen erfüllen werden. Raianda geht es gut und ihr wird nichts geschehen. Dass sie dich angerufen hat geht nur darauf zurück, dass die Gruppe eine große Summe Geld erhalten hat und zwar dafür, dass sie nicht nur Raianda entführt sondern vor allem, dass sie dich um Hilfe anfleht.
Dieses Geld kommt von einem Mr. Swok. Verhandelt hat mit der Gruppe ein gewisser Tschau. Dass er identisch mit Swok ist, passt gut in die Geschichte. Auch was du mir selber vor zwei Wochen erzählt hast, dass Atlantis euch ermahnt hat, möglichst vollständig auf Great Barrier Island zu bleiben, passt dazu. Tschau will damit nur möglichst viele von euch von der Insel wegkriegen, damit er in Ruhe euer Anwesen zerstören und SR-Inc. übernehmen kann.«
Stephan fragt erstaunt: »Woher willst du das alles wissen?«
»Weil unsere Polizei die Diskussionen mitgehört und dann sogar mit Tschau gesprochen hat, während er glaubte, mit den zukünftigen Entführern zu reden!«
Stephan nickt: »Auch mein Vater hat erwähnt, dass Tschau uns beseitigen und dann SR-Inc. übernehmen will. Aber wie soll das durchzuführen sein? Selbst wenn er unser Anwesen vernichtet und einige von uns tötet, wird ihm SR-Inc. nicht automatisch zufallen!«
»Genau deswegen habe ich deinen Vater kontaktiert. Bevor ihr die neuen e-Helper an die PM und an die Mitarbeiter verteilt habt, hat Tschau der Premierministerin und Robert, eurem Geschäftsführer bei SR-Inc., post-parahypnotische Befehle erteilt, die aktiviert werden können und von denen die beiden Betroffenen gar nichts wissen. Welche Befehle das genau sind, kann ich nicht sagen. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber stell dir einmal vor, Marcus und Klaus sterben gleichzeitig. Die Regierung Neuseeland besitzt 21 % von SR-Inc., beinahe der ganze Rest sind stille Beteiligungen, deren Besitzer vereinbart haben, dass sie mit der Regierung stimmen! Da kann man sich schon Szenarien vorstellen! Eine geschickte Person, die zwei der Schlüsselfiguren parahypnotisch in der Hand hat, könnte SR-Inc. durchaus übernehmen.
Es ist für euch wichtig, die beiden parahypnotischen Befehle bei der Premierministerin und bei Robert rasch zu löschen. So, und jetzt lass mich hier weitermachen. Du brauchst dir keine Sorgen um Raianda machen. Sie wird mit dir Urlaub machen sobald sie wieder frei ist und Tschau hinter Schloss und Riegel sitzt. Ich werde ihr berichten, dass du alles liegen und stehen lassen wolltest, um ihr zu helfen.
Stephan, schau nicht so ungläubig. Du weißt, wie ich Rainada liebe. Wenn ich denken würde, dass sie in Gefahr ist und du auch nur ein bisschen helfen könntest, würde ich anders handeln. Du kannst aber hier nicht helfen und du wirst, wo du bist, in den nächsten Tagen dringend gebraucht, fürchte ich. Alles Gute!«
Stephan blickt Marcus an: »Was sagst Du?«.
»Ich glaube, was Raiandas Vater sagt. Rainanda ist nicht in Gefahr. Du bist hier für uns vielleicht überlebenswichtig und es ist nur ein Schachzug von Tschau, dich hier wegzubekommen. Da Rainanda offenbar bald wieder frei sein wird, belegt die Entführung noch etwas: Der Angriff wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.«
Stephan nickt langsam: »Ich bleibe. Aber wenn Raianda etwas passieren würde, könnte ich nicht weiterleben.«
‚Es ist schön, wenn jemand anderer für jemanden
so wichtig ist’, denkt Marcus, sein Vater.
[1] Siehe »XPERTEN: Der Paradoppelgänger«.