Kapitel 13
Der Mörder
Diese Fragen! Diese endlose Fragerei! Was hat sie damit bloß bezweckt?
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf die Tischplatte. Ich habe ihren Namen schon in Suchmaschinen eingegeben und die Ergebnisse auseinandergenommen. Doch das bringt mich nicht weiter. Denn Google ist nicht in der Lage, mir zu verraten, ob sie demnächst einen Zugriff plant.
Im Keller liegen keinerlei Beweisstücke mehr. Trotzdem fürchte ich, dass sie es mir irgendwie nachweisen können. Wo war mein Fehler? Was habe ich übersehen?
In allererster Linie beschäftigt mich jedoch etwas anderes: Wie soll ich mich von nun an verhalten?
Es gibt drei Alternativen: Entweder ich warte ab und hoffe darauf, dass sie mir die Taten nie beweisen können. Oder ich fliehe und lebe ab sofort mit der Angst, jederzeit verhaftet werden zu können. Als dritter Ausweg bliebe noch die Möglichkeit, mit einem großen Knall stilvoll abzutreten.
Ich schiebe den Stuhl zurück und tigere unruhig durch die Räume. Wie kann ich in Erfahrung bringen, was sie vorhaben?
Durch mein Wohnzimmerfenster blicke ich nach draußen. Allerdings werden sie kaum so dumm sein, einen Streifenwagen vor mein Haus zu stellen. Nachdem ich eine Weile hinausgestarrt habe, treffe ich eine Entscheidung. Freiheit ist mir das Allerwichtigste. Selbst wenn ich dadurch einige Annehmlichkeiten aufgeben muss.
Rasch überprüfe ich online meinen Kontostand. Irgendwann werden sie meine Konten sperren und so meine Bewegungsfreiheit eingrenzen. Oder sie kontrollieren zuerst die Kontobewegungen, um meinen Standort zu ermitteln. Ich muss also auf der Hut sein.
Ich hole eine Reisetasche aus meinem Schlafzimmer und stopfe sie mit Kleidungsstücken voll. Für den Fall, dass ich beobachtet werde, darf ich nicht zu viel ins Auto schleppen. Nach nur fünf Minuten bin ich fertig. Fast schon wehmütig schaue ich mich in meinen eigenen vier Wänden um. Bevor ich das erste Mal zugeschlagen habe, habe ich mir nie Gedanken über das Ende gemacht. Doch sogar mit meinem jetzigen Wissen hätte ich mich damals wohl nicht zurückhalten können. Das Verlangen war zu stark.
Achtlos werfe ich die Tasche in den Kofferraum, steige ein und fahre los. Zunächst brauche ich einen Geldautomaten. Danach werde ich die Karre volltanken und die Stadt verlassen. Ein paar hundert Kilometer zwischen mich und meine Verfolger bringen. Aber ich bin noch keinen Kilometer weit gekommen, als ich hinter mir Scheinwerfer bemerke. Das Fahrzeug hält gut zehn Wagenlängen Abstand. Scheiße! Kann so was mitten in der Nacht Zufall sein?
Bei der nächsten Gelegenheit biege ich rechts ab. Der Wagen folgt mir. Mein Puls rast, und ich bin versucht, einfach aufs Gaspedal zu treten und mein Heil in einer rasanten Flucht zu suchen. Vorläufig warte ich jedoch ab. Ich nähere mich einer Kreuzung, die Ampel ist rot. An der Haltelinie bremse ich abrupt. Das Auto hinter mir rollt deutlich langsamer, doch da die Rotphase andauert, kommt es ebenfalls zum Stehen. Am Steuer sitzt eine junge Frau, die in diesem Moment gähnt und dabei zur Seite schaut.
Werde ich paranoid?
Endlich springt die Ampel um. Ich fahre in normalem Tempo an. In einigen hundert Metern besteht die Möglichkeit, abzubiegen. Was ich auch tue, ohne den Blinker zu setzen und mit quietschenden Reifen. Die Frau hinter mir bleibt auf der Hauptstraße. Mein Fahrmanöver scheint sie überhaupt nicht zu interessieren.
***
Bei der Bankfiliale angekommen, steige ich aus und sehe mich unauffällig um. Auf den letzten fünf Kilometern ist mir kein Verfolger mehr aufgefallen. Vielleicht habe ich mir das wirklich nur eingebildet. Trotzdem beeile ich mich und fordere am Geldautomaten die Höchstsumme an, die ich an einem Tag abheben kann. Die ganze Zeit ist kein Mensch zu sehen. Meine Furcht war wohl ein wenig übertrieben. Bis sie merken, dass ich verschwunden bin, werde ich mir einen schönen Vorsprung verschafft haben.
***
Kurz vor der Autobahnauffahrt gibt es einen großen Pendlerparkplatz. Eine halbe Stunde nach Mitternacht ist er allerdings bis auf einen Wohnwagen und zwei Autos vollkommen leer. Aus dem Campingwagen dringt schwaches Licht durch eine weiße Gardine. Einer der Pkws wirkt so, als gehörte er eher auf einen Schrottplatz.
Bevor ich die Stadt hinter mir lasse, will ich noch einmal anhalten und in Ruhe überlegen, ob ich das Richtige tue oder mich gerade völlig kopflos verhalte.
Ehe ich meine Gedanken ordnen kann, klopft plötzlich jemand an die Beifahrerscheibe. Erschrocken zucke ich zusammen. Wie konnte ich bloß so unaufmerksam sein, dass ich die Person gar nicht bemerkt habe?
Ich betrachte die Frau teils durchs Fenster, teils durch den Außenspiegel. Sie trägt nichts außer einer roten Corsage, halterlosen Strümpfen und hochhackigen Schuhen. Ihre Lippen sind pink angemalt, die Augenbrauen stark betont. Die Frage, wem der Wohnwagen gehört, ist damit wohl beantwortet.
Ich drehe den Zündschlüssel, um anschließend das Beifahrerfenster hinunterzulassen. Sofort steckt die Frau ihren Kopf ins Wageninnere. Ihr Anblick weckt in mir den Wunsch, ihre langen, schwarzen Haare zu packen und dann die Scheibe wieder hochgleiten zu lassen. Ob man so einen Menschen töten könnte?
»Hi, Süßer«, gurrt sie. »Ich bin Kimberly.«
»Hi, Kim.«
»Bist du meinetwegen hierhergekommen, oder ist unsere Begegnung Zufall?« Ihr osteuropäischer Akzent ist nicht zu überhören, obwohl sie versucht, ihn mit ihrem zuckersüßen Tonfall zu übertünchen.
»Deinetwegen?«
»Vielleicht hat dir ja jemand eine Empfehlung gegeben. Meine Stammfreier sind sehr begeistert. Neukunden haben meist vorher von mir gehört.«
»Schön für deine Geschäfte.«
»Also war es Zufall.«
Ihr Gehabe zerrt an meinen Nerven. Doch gleichzeitig spüre ich, wie sich in mir das bekannte Verlangen breitmacht. Ob die Polizei schnell darauf käme, dass ich hinter dem Mord stecke?
»Nennen wir es Schicksal«, antworte ich.
Sie lacht übertrieben. »Schicksal! Das finde ich geil! Bist du ein Dichter?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Süßer, ich biete Spitzenleistung zu fairen Preisen. Alle Positionen, Girlfriendsex, erotische Massage, Dildospiele, Spanisch, Facesitting, Körperbesamung und Analverkehr, was ich aber von deiner Größe abhängig mache. Da bin ich nämlich ein bisschen empfindlich.«
»Gut zu wissen. Ich will dir ja nicht weh tun.«
»Du bist so ein Lieber. Wonach steht dir der Sinn?«
»Hast du Oralverkehr ohne Kondom im Angebot?«
»Ja«, bestätigt sie. »Ohne Schlucken.«
Den Gedanken, dass das zu beweisen wäre, behalte ich für mich.
»Willst du nur einen Blowjob? Und dann in meiner Hand kommen? Würde dich fünfunddreißig Mäuse kosten.«
»Was kostet richtiger Sex?«
»Halbe Stunde fünfzig. Ganze Stunde achtzig. Du darfst so oft abspritzen, wie du kannst. Zweimal kriegen wir bestimmt hin, oder?« Sie zwinkert auf ekelerregende Weise.
Lohnt es sich, meine Flucht ihretwegen aufzuschieben? Ist sie das Vergnügen wert? In meinem Unterleib pocht es mächtig – trotzdem bin ich unsicher, was ich machen soll.
»In meinem Wohnwagen gibt es ein wirklich bequemes Bett«, nennt sie einen vermeintlichen weiteren Anreiz.
»Muss ich fürchten, dass in der Zwischenzeit dein Zuhälter kommt und mein Auto ausräumt?«
»Ich habe gar keinen Zuhälter«, reagiert sie empört. »Wir sind beide schön allein und können auch ganz laut sein. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Am liebsten würde ich ihr den Rat geben, potenziellen Freiern solche Informationen besser nicht preiszugeben.
»In deinen Campingwagen gehe ich nicht«, stelle ich klar.
Ich bin nicht vorbereitet und will keine Spuren hinterlassen. In meinem Auto wäre es sicherer.
»Das ist doch viel praktischer als in deinem Auto«, versucht sie mich zu überzeugen.
»Vielleicht stehe ich auf Autosex.«
»Du bist der Boss.«
In Sekundenschnelle überlege ich, wie ich sie am leichtesten erledigen könnte. Ich müsste meine Hände einsetzen. Sie erwürgen. Ihr den Schädel einschlagen. Ich würde Fingerabdrücke an ihr hinterlassen. Könnte ich die anschließend alle beseitigen?
»Hast du irgendwo Wasser, damit ich mich hinterher säubern kann?«
»Klar. Alles da.«
»Einen Wasserschlauch?«
»Was? Nein. Wieso einen Schlauch?«, stammelt sie überrascht.
»War nur so ein Gedanke.«
Das Pochen meines Schwanzes wird unerträglich. Das Verlangen will endlich gestillt werden. Aber bislang war ich bei jedem Mord so sorgfältig. Soll ich tatsächlich nachlässig werden und mich auf eine Situation einlassen, die ich nicht unter Kontrolle habe? Nein, damit würde ich alles nur noch schlimmer machen. Ich beschließe, dem Drängen nicht nachzugeben, sondern meine Flucht fortzusetzen.
»Hast du dich entschieden? Wie soll ich es dir besorgen?«
»Ja, ich habe mich entschieden.«
»In deinem Auto?« Sie zieht den Kopf zurück und öffnet die Beifahrertür.
»Mach zu!«, befehle ich.
»Warum?«
»Mach die Tür zu!«
Endlich folgt sie meiner Aufforderung, beugt sich dann aber gleich wieder ins Innere und sieht mich fragend an. »Lieber im Wohnwagen?«
»Nein, du blöde Schlampe! Du stinkende Fotze!«
»Spinnst du?«, schreit sie.
Ich fahre die Scheibe hoch. Ruckartig springt Kim zurück, verliert das Gleichgewicht und setzt sich auf den Po.
»Arschloch!«, brüllt sie.
Woher soll sie wissen, dass sie mir eigentlich dankbar sein müsste?