Kapitel 3
Susan
Ich verlasse die Bundesstraße und steuere die erste Tankstelle in der Stadt an. Nachdem ich den Wagen abgebremst habe, zeigt mir ein Blick über die Schulter, dass ich nicht nah genug an der Zapfsäule stehe. An der gegenüberliegenden Säule wird gerade ein Streifenwagen betankt. Die Zapfpistole in der Hand, schaut der Polizist in meine Richtung, während ich ein Stückchen zurücksetze. Rums! Im Schritttempo habe ich ein inzwischen hinter mir stehendes Fahrzeug gerammt.
Ich schalte den Motor aus und öffne die Fahrertür. Ich bin noch nicht mal richtig ausgestiegen, als bereits ein aufgebrachter älterer Herr auf mich losgeht.
»Können Sie nicht aufpassen? Das ist ein Neuwagen!«
Zerknirscht blicke ich zwischen dem Heck meines roten Kleinwagens und der Front seiner champagnerfarbenen Limousine hin und her. Spontan entdecke ich zwar keine Beule, aber dafür eine rötliche Schramme an seinem Fahrzeug.
»Oh nein, das tut mir leid«, stammle ich schuldbewusst. »Ich weiß echt nicht, wie das passieren konnte. Entschuldigen Sie bitte. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
»Kein Wunder«, meint der plötzlich hinzugetretene Polizist, der sich schlichtend zwischen uns stellt und die Arme selbstbewusst in die Seiten stemmt. Ein großer, muskulöser Typ mit beruhigender Ausstrahlung. Er wendet sich an meinen Unfallgegner. »Sie sind ganz schön dicht aufgefahren. Außerdem waren Sie für eine Tankstelle zu schnell. Die junge Frau konnte Sie gar nicht sehen, weil Sie eine Sekunde vorher überhaupt noch nicht da waren.«
»Hm«, brummelt der Alte verlegen. »Aber muss man sich nicht auf jeden Fall vergewissern, ob sich jemand nähert?«
»Nun ja, das ist die Frage. Letztlich haben Sie sich beide nicht ganz korrekt verhalten«, sagt er und lächelt freundlich. »Mal sehen, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist.« Er beugt sich vor und streicht mit der Hand über die Karosserie. »Haben Sie zufällig ein Taschentuch dabei?«
»Ja«, antworte ich, greife in die Gesäßtasche meiner Jeans und gebe ihm ein zusammengefaltetes Papiertaschentuch. »Hier.«
Er schaut zwinkernd zu mir hoch. Flirtet er etwa mit mir?
»Habe ich mir doch gedacht«, meint er und entfernt mit dem Tuch den roten Streifen. »Das war nur Farbe. Sonst kann ich nichts finden. Wollen Sie selbst noch einmal schauen, ob alles in Ordnung ist?«
»Meinetwegen«, stimmt der Mann zu. »Na ja, ich bin froh, dass mein Prachtstück unversehrt ist. Immerhin habe ich einen Polizisten als Zeugen, falls doch noch etwas sein sollte.«
»Genau. Ich schlage vor, Sie tauschen für alle Fälle Ihre Adressen aus. Und mein Name steht hier.«
Er tippt sich auf die Brust. David Storm.
»Ich hole eben mein Kärtchen aus dem Handschuhfach«, erkläre ich und spüre seinen bewundernden Blick auf meinem Po. Als ich zurückkomme, reiche ich den beiden Männern jeweils eine Visitenkarte.
»Okay«, sagt der Ältere. »Meine Daten notiere ich Ihnen auf einem Stück Papier. Einen Augenblick bitte.« Er geht zu seinem Wagen und lässt mich und den Polizisten, der aufmerksam mein Kärtchen studiert, allein.
»Susan Barner, Webdesignerin, so, so. Nun habe ich Sie in der Hand.«
»Ganz offensichtlich. Danke jedenfalls, dass Sie mir aus der Patsche geholfen haben. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn er die Polizei gerufen hätte.«
Wir lachen. Als ich den Zettel mit der Adresse des anderen Fahrers in Empfang genommen habe, schüttle ich zuerst ihm die Hand, dann ist mein Freund und Helfer David dran.
»Ich muss jetzt wirklich schnell tanken und arbeiten. Bin schon viel zu spät dran«, erkläre ich im Gehen.
»Dann wünsche ich Ihnen einen schönen und entspannten Tag.«
»Danke, das wäre prima – noch mehr Aufregung kann ich absolut nicht gebrauchen.«
Draußen wird es bereits dunkel, als ich den Fernseher einschalte und es mir mit einem Becher Eis auf der Couch gemütlich mache. Genüsslich schiebe ich den Löffel in den Mund, als vor mir auf dem Tisch mein Handy klingelt. Die Nummer auf dem Display ist keinem Namen zugeordnet.
»Hallo?«
»Hallo, hier ist David Storm, der Polizist von heute Mittag. Ich hoffe, ich störe Sie nicht?«
Ich grinse. »Nein, höchstens beim Eis essen, aber ich muss sowieso auf mein Gewicht achten.«
»Ich widerspreche Ihnen nur ungern, aber da bin ich vollkommen anderer Meinung. Sie haben eine Bombenfigur.«
»Finden Sie?«, kokettiere ich. »Nennen Sie mich ruhig Susan.«
»Gerne, und ich bin David. Also, Susan, eigentlich hatte ich überlegt, ob ich bluffe und vorgebe, dich wegen des schweren Verkehrsdelikts strafrechtlich belangen zu müssen. Aber dann dachte ich mir, dass das kein guter Einstieg ist.«
»Kein guter Einstieg für was?«
»Ähm«, stammelt er unbeholfen und kichert. »Mist, jetzt machst du mich verlegen. Das ist mir lange nicht passiert.«
»Ach, das machst du häufiger?«
»Nein, ehrlich nicht. Ich treffe im Dienst fast nie attraktive und sympathische Frauen wie dich. Und wenn, rufe ich sie nachher nicht an – dafür bin ich viel zu schüchtern. Du bist eine absolute Ausnahme.«
»Oh, mein Eis schmilzt. Ich bringe es mal besser zurück ins Tiefkühlfach«, lenke ich ab.
»Du kannst doch einfach weiterlöffeln. In der Zwischenzeit erzähle ich dir von meinem langweiligen Polizeialltag.«
»Dein Job ist bestimmt viel spannender als meiner. Ich sitze die meiste Zeit allein am Schreibtisch und grüble über Grafiken und Bildmaterial nach. Leider scheitere ich regelmäßig an meinen eigenen Erwartungen, weil alles schon mal dagewesen ist. Etwas komplett Neues zu entwickeln wäre toll!«
»Ich würde gern sehen, was du arbeitest«, sagt er mit schmeichelnder Stimme, während ich das Handy zwischen Ohr und Schulter klemme und mit der freien Hand die Kühlschranktür öffne. »Glaubst du, das kriegen wir hin?«
»Ich denke, ja«, flüstere ich. Mein Telefon fängt an zu piepen. »Oh … mein Akku ist gleich leer. David?«
»Hm?«
»Da ich ja nun immer noch Hunger habe, könnte ich einen Happen essen gehen. In der Nähe meiner Wohnung findet gerade ein Streetfood-Festival statt. Hast du zufällig auch Appetit? Dort könnten wir weiterquatschen. Natürlich nur, wenn du Zeit und Lust hast. Es ist ja auch schon ziemlich spät.«
Seine Stimmt klingt beinahe euphorisch. »Großartiger Vorschlag! Erstens freue ich mich riesig, dass du mich dabei haben willst, zweitens habe ich ständig Hunger, und drittens wollte ich da sowieso hin. Mir fehlte bisher nur der nötige Tritt in den Hintern – und vor allem die entzückende Begleitung. Treffen wir uns in einer halben Stunde vorm Eingang auf der Flussseite?«
»Ja, bis gleich!«
In Windeseile ziehe ich mich um, erneuere mein Make-up und versuche, so etwas Ähnliches wie eine Frisur hinzubekommen, indem ich die Haare hochstecke. Aufmunternd nicke ich meinem Spiegelbild zu. Sah schon mal besser aus, aber für eine spontane Verabredung wird es vermutlich reichen.
David ist bereits da. Er lehnt in einem engen, schwarzen T-Shirt und grauen Jeans lässig an einer Mauer. Als er mich sieht, stößt er sich ab und breitet strahlend die Arme aus. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm anscheinend nicht. Optisch entspricht er ganz meinem Geschmack. Er überragt mich um anderthalb Köpfe, ist ein dunkler Typ und modisch, aber nicht zu bemüht bekleidet.
»Hey«, sagt er, nimmt mich in den Arm und haucht mir links und rechts ein angedeutetes Küsschen auf die Wange. »Schön, dass du mich nicht versetzt.«
»Warum sollte ich?«, antworte ich und weiche ein Stück zurück. »Immerhin bin ich diejenige, die gleich verhungert. Das riecht ja schon hier absolut verführerisch.«
Wir schlendern über den weitläufigen Platz, der extra für das Streetfood-Festival herausgeputzt wurde.
»Sollte ich mal im Lotto gewinnen, kaufe ich mir einen Foodtruck«, scherzt David und steuert einen mattschwarz lackierten Wagen an, in dem Burger gebraten werden.
Gemeinsam studieren wir das Burger-Angebot und beschließen, erst einmal weiterzugehen. Zwar knurrt mir der Magen, aber ich möchte mich nicht schon am ersten Stand überfuttern, sondern mehrere Sachen probieren. David überlässt mir die Wahl, sodass ich mich für etwas Süßes entscheide.
»Hältst du mich für abartig, wenn ich mit Waffeln starte?«, frage ich. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich an einem hölzernen Verkaufstresen zusehe, wie Vanillesahne auf herzförmige Waffeln gelöffelt wird. Anschließend kommt noch Puderzucker obendrauf. »Ich nehme auch nur eine Miniportion.«
»Ihr Frauen immer mit eurem Gewicht. Lass es dir doch einfach schmecken, Susan, statt dir ständig Gedanken über Kalorien zu machen.«
Ich setze mich mit meiner Waffel an eine Bierzeltgarnitur und warte auf David, der uns am Stand gegenüber Kaffee besorgt. Fürsorglich stellt er wenig später einen Becher Cappuccino so vor mich hin, dass sogar der Henkel in die richtige Richtung zeigt. Neugierig schaue ich ihm direkt in die Augen.
»Was?«, fragt er verunsichert. »Habe ich irgendwas im Gesicht?«
»Nein, alles in Ordnung. Ich überlege nur, wo dein Haken ist.«