BECKY

Am neunzehnten Februar, einem Freitag, ging Becky um zehn Uhr abends zu Bett, hatte sich aber den Wecker auf halb eins gestellt. Sie schlüpfte in ihre Klamotten, ärgerte sich über das Rascheln ihres Anoraks, huschte durchs Wohnzimmer und verließ das Grundstück über die Terrasse, durch den Garten. Cyberjack wollte was losmachen, und Ryan wollte auch da sein. Becky mochte Cyberjack, er hatte einen irrsinnig reichen Vater und dementsprechend immer Knete. Cyberjack war in Behandlung gewesen, weil er schlechte Noten bekam und acht Stunden am Tag vor dem Computer hockte, World of Warcraft. Jetzt hatten sie eine Zeitschaltuhr angebracht, er durfte nur noch maximal eine Stunde pro Tag spielen, verlor alle Highscores und suchte sich einen Freund, ausgerechnet Ryan, der ein bißchen unheimlich wirkte, leptosomer Gothic-Typ, der immer fror, sogar im Sommer, und einen schwarzen Ledermantel trug, wie die Freaks von der Columbine. Damit wollte er Beachtung schinden und wirkte doch irgendwie lächerlich – und erst seit er die Freundschaft von Cyberjack gewonnen hatte, war sein Ansehen an der Schule leicht gestiegen. Cyberjack konnte man vieles nachsagen, nur Geiz nicht, er konnte mit der Kohle seines Daddys überall und jederzeit Party machen. Gut sah er nicht aus, aber es ging. Becky mochte ihn wegen seines krassen Humors, vor dem nichts sicher war. Sie lief durch den schwach beleuchteten Oriole-Park nach Osten, es war nicht besonders kalt für Ende Februar. Die Jungs warteten unten am Bahndamm Merton/Yongestreet, tranken Becks Lemon und rauchten, aber nur normale Selbstgedrehte, ohne Scheiß.

Komm heute Nacht, hatten sie gesagt, wir machen was und brauchen dich zum Schmierestehn. Becky genoß es, daß beide Jungs in sie verliebt waren oder wenigstens so taten und sich ihretwegen manchmal in die Haare kriegten, auf freundschaftliche Art, nicht grob, nicht ernst. Sie wußte um ihre Schönheit und war froh, daß sie zwei Jahre älter aussah, als sie war, ansonsten hätten sich die beiden sicher nicht mit ihr abgegeben. Gleichaltrige Jungs fand sie langweilig und unreif. Ryan drückte ihr ein Bier in die Hand und fragte, ob er ihr eine drehen solle. Becky lehnte ab. Sie hatte einmal einen Zug genommen und ihr war schlecht geworden, das genügte. Ich dreh dir ne ganz Dünne. Das entspannt. Ryan gab nicht auf, aber Becky blieb bei ihrem Nein. Was habt ihr vor? Cyberjack zeigte auf seinen Rucksack. Mein Dad sagt, ich soll ins Freie, an die frische Luft, also tu ich ihm den Gefallen, ne? Er hatte die Eigenart, an viele Sätze dieses Ne? anzuhängen, auch wenn es gar keinen Sinn ergab. Ryan war definitiv der intelligentere von den beiden (manchmal trug er ein Kafka-T-Shirt), aber auch der häßlichere. Er gehörte zu jener Sorte, die sich eher noch etwas häßlicher machen, als die Natur es für sie vorgesehen hat, mit weißer Schminke und Kajalstift, und seine Eltern schienen nichts dagegenzuhaben, daß er sich schon drei Piercings hatte stechen lassen. Cyberjack schwenkte den Rucksack mit beiden Armen über seinem Kopf, und ein paar Dosen fielen raus. Spraydosen. Alles klar, meinte Becky, was wollt ihr denn verschönern?

Wir haben gedacht, einen Waggon hier, ne? Cyberjack kicherte. Aber das ist ja nichts Besonderes, ne? Da ham wir uns gedacht, muß cooler sein, die Action. Und um ehrlich zu sein, ne? Ich bin kein Künstler, also nicht mit Bildern, ne? Klare Worte sind eher mein Fall. Biste dabei?

Wobei? fragte Becky.

Biste dabei oder nicht? Geht drum, dabei zu sein. Oder halt nicht.

Was habt ihr denn vor?

Eigentlich würd ich dich gerne mal poppen, sagte Cyberjack, das hab ich vor. Aber das willste ja momentan grad gar nicht, ne? Becky gab keine Antwort, seufzte nur angenervt, obwohl sein krasser Humor ihr nicht mißfiel und sie zu einem Zungenkuß sogar bereit gewesen wäre.

Also mach ich was anderes. Komm mit, wir rocken die Schule!

Ryan sah den Zeitpunkt gekommen, bei Becky zu punkten, er legte Cyberjack die Hand auf die Schulter, als ob er ihn bändigen wolle.

Wir sprayen was an die Mauer vorm Eingang von der Yorkland. Daß jeder morgen früh die Botschaft schwarz auf beige nachlesen kann.

Wasn für ne Botschaft?

Es schien, als habe Cyberjack noch keine Ahnung, welche Botschaft er an die Schulmauer sprayen wollte. Irgendwas Krasses. Nieder mit der Yorkland! zischte Ryan, Nonnen wollen postmortalen Gruppensex mit Jesus! Und die Flaschenhälse klirrten aneinander. Becky merkte, daß die Jungs schon betrunken waren, und Cyberjack leerte seine zweite Flasche auf ex. Und rülpste laut.

Willste mal mein’ Schwanz sehen?

Bestimmt nich.

Woher willstn das wissen, wennde ihn noch nie gesehen hast?

Er drehte sich um, ging zwei Schritte und öffnete seinen Reißverschluß, pisste gegen den Zug, der auf dem Abstellgleis stand. Becky sah in eine andere Richtung, obwohl das Geräusch des Urinstrahls ihr auf gewisse Weise imponierte. Sie wünschte sich manchmal, beim Pinkeln nicht in die Hocke gehen zu müssen. Im Stehen einen solchen Schwall abzulassen, dabei zu singen, das mußte grooven. Und es war doch ein wenig kalt jetzt, Dampf kroch am Waggon empor. Ryan trat nah an sie heran und entschuldigte sich für das Verhalten seines Freundes, das er prollig nannte. Becky überlegte sich, ob Ryan vielleicht ein ganz netter Kerl war, der unter Wert gehandelt wurde. Man müßte ihn dazu bringen, sich die Farbe aus dem Gesicht zu kratzen. Dachte sie. Darunter ist er bestimmt ein ganz anderer Mensch. Cyberjack war fertig und drehte sich um. Becky?

Ja?

Sie sah, daß sein Hosenstall offen stand und etwas vor ihm her baumelte, das in enormer Geschwindigkeit anschwoll. Neulich, als Ryan sein Macbook dabeihatte, hatte Becky mit den Jungs auf youporn.com ein paar Clips angesehen, hatte einen ersten Einblick gewonnen, was Männer mit Frauen so anstellen. Cyberjacks Erektion war die erste, die ihr live vor Augen kam. Ryan schien die Sache peinlich zu werden, er nahm Becky in den Arm und küßte sie auf den Mund. Sie drückte ihn weg.

Hör mal, Kleines, hechelte Cyberjack, hörbar erregt von seinem krassen Humor, du willst doch keine doofe Nuß sein, oder? Ne?

Schieb das Teil mal wieder ein, der ist häßlich! Hörte Becky sich sagen und wunderte sich, daß Ryan sie immer noch festhielt, an ihrem Hals leckte.

Der ist nicht häßlich, Baby, was sagstn du für Zeug? Häßlich? Paß uff, ich geb dir fünfzig Steine, wenn du ihn mal küßt. Da holst du dir keine Krankheit von.

Ryan leckte ihr den Hals, aber das nahm sie wie eine Nebenwirkung wahr, sie starrte, obwohl sie es nicht wollte, auf Cyberjacks erigierten Penis, der vor ihrem Gesicht wippte und immer größer zu werden schien. Immer wippiger, falls es das Wort gab. Plötzlich stolperte sie und landete im Schnee, Ryan hatte ihr ein Bein gestellt, der alberne Idiot. Wie blöd er jetzt lachte.