Einunddreißig

Ich lehnte an der Grenze zum kaiserlichen Kordon an einer Wand und bemühte mich, einen lässigen Eindruck zu machen. Leicht fiel mir das nicht, denn ein Dutzend Goldschärpen blickten auf mich herab.

Die Straße, die uns trennte, war so breit wie drei gewöhnliche Straßen und tadellos in Schuss. Westlich von mir lagen herrschaftliche Wohnhäuser mit umzäunten Grundstücken, teure Spezialitätenläden, angesagte Tavernen und Hurenhäuser mit allerbestem Ruf. Östlich von mir lag die Mauer, ein gewaltiges Bauwerk aus rot-weißem Backstein, das sich über eine Meile weit in nördliche und südliche Richtung erstreckte und dann einen Bogen zum Deich beschrieb, der Ildrecca einfasste. Höher als die umliegenden Gebäude und auch breiter als die meisten von ihnen, markierte die Mauer die Grenzen des Himmels auf Erden, wenn man den Priestern Glauben schenkte, oder des Spielplatzes der begüterten und Mächtigen, wenn man einer nüchterneren Betrachtungsweise den Vorzug gab. Auf jeden Fall war dies ein Ort, wo solche wie ich keinen Zutritt hatten.

Das war jedoch nicht der Grund, weshalb die Schärpen mich anstarrten.

Ich übersah sie geflissentlich und schaute zum Himmel hoch. Ein dunkler Fleck breitete sich in der ansonsten makellosen Bläue aus. Die Zehn Wege brannten, und das schon seit fast einem Tag. Schuld daran waren Schatten und ich. Das Feuer war inzwischen eingedämmt – wie sich herausstellte, taugten die Soldaten zum Feuerlöschen –, doch in der ganzen Stadt setzte sich Asche ab, je nachdem, woher der Wind wehte. Ein dunkler Wintertag zum Frühlingsbeginn.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob die Asche mir vielleicht folgte, damit ich nicht vergaß, was ich getan hatte. Dabei hätte ich das selbst unter strahlend blauem Himmel nicht vergessen können.

Als das Ausfallstor an der anderen Straßenseite mit lautem Knall zufiel, richtete ich meinen Blick wieder auf den Erdboden. Die Goldenen standen stramm. Eine hochgewachsene Gestalt war soeben aus dem kaiserlichen Kordon gekommen. Sie trug eine weiße Schärpe um die Hüfte und hatte sich Bänder ins Haar geflochten. Lyria.

Sie sprach mit einem der Goldenen, der daraufhin auf mich zeigte. Lyria sah zu mir herüber, zog die Stirn kraus und betrachtete die gefaltete Nachricht, die ich ihr hatte überbringen lassen. Es geht um deinen Eid. Vor der Mauer. Keine Unterschrift. Offenbar hatte sie mit jemand anderem gerechnet – mit einem breitschultrigen Mann samt seinem verdammt großen Schwert, den man Eisen Degan nannte.

Ich schob mir einen Ahramikern in den Mund, wandte mich ab und ging die Straße entlang.

Hinter mir das Geräusch von Schritten. Ich wollte mich gerade umdrehen, als mich jemand beim Nacken packte. Eine zweite Hand legte sich auf meine rechte Schulter und stieß mich zur Mauer. Ich prallte davon ab und wurde erneut gestoßen. Der Samenkern flutschte mir aus dem Mund und rollte übers Pflaster. Am Tor wurde gelacht und gejohlt.

Lyria legte ihren Mund an mein Ohr. »Niemand bestellt mich aus dem kaiserlichen Kordon zu sich, und schon gar nicht ein Gossenkriecher wie du.«

»Hände weg, Schärpe!«, sagte ich, zur Mauer gewandt. »Ich tue nur jemandem einen Gefallen.«

»Wem, Eisen Degan? Hat er dich geschickt?«

»Eisen ist tot. Nein, den Gefallen tue ich dir, dumme Schärpe.« Der Druck in meinem Nacken ließ augenblicklich nach. Ich drehte mich um und schüttelte ihre Hand ab. Sie reagierte nicht einmal. »Was soll das heißen, er ist tot?«, sagte sie.

»Was glaubst du wohl?«, entgegnete ich und rieb mir die Stelle an der Schulter, mit der ich gegen die Wand geprallt war. »Er ist tot. Dieser Zustand sollte dir eigentlich bekannt sein, jedenfalls aus zweiter Hand.«

»Bist du dir sicher?«

»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er der Stahlbehandlung unterzogen wurde.«

»Wer war das?«

Ich schüttelte den Kopf. »Tut nichts zur Sache. Hier geht’s darum, dass ich dir helfen will.«

»Du willst mir helfen?« Lyria trat vor und drückte mich gegen die Mauer. »Falls du es vergessen haben solltest, du und dein Freund, ihr habt zwei meiner Schwertbrüder getötet. Ich habe dich nur deshalb am Leben gelassen, weil ich Eisen Degan mein Wort gegeben hatte.« Sie lächelte böse. »Aber wenn er tot ist, dann sind mir die Hände nicht länger gebunden, nicht wahr?«

»So ist es«, sagte ich. »Er ist tot, aber dein Wort gilt noch; es ist noch zu haben.«

Sie versteifte sich, als habe ihr jemand befohlen, Haltung anzunehmen. »Was?«

Das klang schon besser. »Dein Eid galt nicht nur Eisen«, sagte ich. »Du bist damit eine Verpflichtung gegenüber dem Deganerorden als Ganzem eingegangen. Wenn der Deganer, dem dein Eid gilt, stirbt, steht es anderen Deganern frei, deine Verpflichtung zu übernehmen.«

»Hältst du mich für blöd?«, entgegnete sie. »Die Bedingungen sind mir bekannt. Meine Verpflichtung endet, sobald ich dich ausgeliefert habe!«

»Da habe ich die Unterhaltung vor dem Weinladen aber anders in Erinnerung«, sagte ich.

Lyrias Hand wanderte zum Schwert. Im Moment machte sie ganz den Eindruck, als sei sie bereit, es auch zu gebrauchen. »Vielleicht trügt deine Erinnerung, Gossenkriecher.«

Ich wandte den Kopf und spuckte aus. Lyria schäumte.

»Mein Gedächtnis lässt mich nie im Stich«, sagte ich, ihren Blick erwidernd, »zumal dann nicht, wenn es um Schärpen und Schulden geht.«

Sie erhöhte den Druck, presste mich mit ihrem Körper gegen die Mauer. Unter anderen Umständen hätte mir das nichts ausgemacht; unter ihrer Uniform waren ein paar interessante Dinge verborgen. So aber blieb mir nicht mal genug Platz zum Atmen.

»Willst du mir drohen, kleiner Mann?«

»Nicht drohen; ich sage nur, wie’s ist. Eisen ist tot. Bis auf Weiteres wird der Orden davon ausgehen, dass du ihm noch immer verpflichtet bist. Man wird deine Schuld abrufen, und ich glaube nicht, dass man dir dabei deine in letzter Zeit geleisteten Dienste zugutehalten wird. Dann stehst du mit deiner Verpflichtung wieder ganz am Anfang.«

Ich beobachtete, wie sich in ihren Augen erst Begreifen und dann Angst abzeichnete. Weiße Schärpen sollten ausschließlich dem Kaiser dienen, und zwar mit ganzer Kraft; andere Verpflichtungen einzugehen – zumal gegenüber den Deganern – war ihnen streng verboten. Über die Vereinbarung, die sie mit Eisen getroffen hatte, konnte ich nur Mutmaßungen anstellen, doch ich konnte mir denken, was ihr drohte, wenn herauskam, dass sie sich mit ihm eingelassen hatte: Ächtung, Verbannung, vielleicht sogar eine öffentlich Hinrichtung wegen Hochverrats. Üble Aussichten für jemanden, der sich mit Leib und Seele dem Kaiser verpflichtet hatte.

Sie durfte nichts davon nach außen dringen lassen.

Sie war auf mich angewiesen.

»Und du kannst die Sache beilegen, nehme ich an?«, sagte sie mürrisch.

»Ich war der einzige Augenzeuge, vergiss das nicht«, sagte ich. »Wir waren zu dritt, als du mich übergeben hast. Wenn ich den Deganern sage, du wärst mit Eisen quitt, bist du aus dem Schneider.«

Lyria trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. »Weshalb sollte man dir glauben?«

»Du hast mich übel zugerichtet und an Eisen Degan übergeben«, sagte ich. »Außerdem bin ich ein Kin. Niemand würde auch nur auf den Gedanken kommen, ich könnte für eine Weißschärpe lügen, zumal unter diesen Umständen. Meinst du nicht auch?«

»Würde man sich nicht fragen, warum du die Information freiwillig weitergibst?«

Ich schloss seufzend die Augen. »Du hast keine Ahnung, wie das läuft, stimmt’s?« Blöde Weißschärpen. Ich sah ihr noch immer in die Augen. Zorn spiegelte sich darin wider, aber auch ein Fünkchen Interesse. Mir sollte es recht sein.

»Ich gehe damit nicht zu ihnen«, sagte ich. »Wir warten, bis sie zu dir kommen. Wenn sie dir nicht glauben, erwähnst du, dass ich mit dir gesprochen habe. Die Deganer werden mich dann zur Rede stellen. Erst mal weiche ich aus, bis sie richtig sauer werden. Dann bearbeiten mich die Deganer, bis ich widerwillig berichte, Eisen habe erklärt, deine Schuld sei beglichen.« Ich breitete lächelnd die Arme aus. »Problem gelöst.«

»Und wenn sie dir nicht glauben, dass du dabei warst?«

»Ich weiß, wo sein Schwert zu finden ist«, entgegnete ich. »Sie werden mir glauben.«

Lyria musterte mich ausgiebig. »Wie viel?«, fragte sie schließlich.

»Du schuldest mir einen Dienst – den gleichen, den du Eisen Degan geschuldet hast.«

Sie trat von einem Fuß auf den anderen. »Was für einen Dienst?«

Ich klopfte mir umständlich die Kleidung glatt. »Schlag mich.«

»Was?«

»Wir unterhalten uns schon zu lange«, sagte ich. »Deine Freunde am Tor werden bestimmt schon argwöhnisch. Schlag mich, dann sage ich dir, welchen Gefallen du mir erweisen sollst.«

»Wird gemacht.« Ein verwischter Schemen, dann knallte etwas gegen meinen Kiefer. Ich ging zu Boden.

»Wenn das nicht überzeugend gewesen sein sollte, kann ich’s gerne noch mal wiederholen«, sagte Lyria selbstzufrieden.

»Schon gut«, brummte ich, wälzte mich herum und sah zu ihr auf. Kein Lächeln, aber das Funkeln in ihren Augen war nicht zu übersehen. Ich betastete meinen Kiefer und vergewisserte mich, dass nichts gebrochen war.

»Und?«, sagte sie, als ich mich langsam hochrappelte. Ich konnte nur hoffen, dass sie die Fäuste nur zum Schein geballt hatte.

»Du hast im Ödland nach einem Buch gesucht, erinnerst du dich? Du und Degan, Bronze Degan, meine ich … ihr hättet euch beinahe gegenseitig getötet.«

»J-ja.«

»Ich will, dass der Kaiser erfährt, dass es beim Feuer in den Zehn Wegen verbrannt ist.«

»Was?«

»Keine Sorge«, sagte ich. »Was davon übrig geblieben ist, befindet sich in meinem Besitz. Du kannst ihm also Beweise vorlegen.«

»Ist das Buch wirklich verbrannt?«

»Ja, soviel ich weiß.«

Lydia knirschte mit den Zähnen. »Ich werde keine Lügen erzählen über das Buch, das ich finden sollte«, sagte sie. »Und bestimmt nicht dem Kaiser!«

»Dir ist doch wohl klar, dass es hier um Erpressung geht, oder?«, sagte ich. »Und dass du tun musst, was ich von dir verlange, um das Gewünschte zu bekommen?«

»Ja, aber ich habe nicht vor, es zu tun.«

»Und warum nicht, verdammt noch mal?«

Lyria sah mich lange an, dann drehte sie sich um und setzte sich in Bewegung. »Ich kann nicht«, sagte sie.

Ich fasste sie bei der Schulter und drehte sie zu mir herum. »Du hast mich nicht verstanden!«, knurrte ich. »Du hast keine Wahl. Entweder ich oder die Deganer – so einfach ist das.«

»Ist es nicht!«, entgegnete sie. »Ich habe den Eid, den ich dem Kaiser geleistet habe, schon einmal gebrochen. Ich werde es nicht noch einmal tun.«

»Deinen Eid?«, sagte ich. »Scheiß auf deinen Eid! Ich will dir mal sagen, was es mit Versprechen auf sich hat: Sie gelten nicht bedingungslos, sie sind nicht unveränderlich, und sie sind auch nicht unverbrüchlich. In den vergangenen Tagen habe ich erlebt, wie mehr Eide und Versprechen gebrochen wurden, als ich mir im Traum hätte vorstellen können. Aber dabei habe ich etwas gelernt: Man kann nicht alle Versprechen halten. So sehr man sich auch bemüht, es geht nicht. Darum muss man sich entscheiden, nicht nur welche Versprechen man halten will, sondern auch wie man sie halten will. Man muss hinter die Worte blicken, hinter die Bedeutung, die man ihnen beimisst, und herausfinden, was sie wirklich bedeuten.

Es ist leicht, sich an die Vorstellung von der Bedeutung der Worte zu klammern, die man ihnen in einer bestimmten Situation zuerkannt hat, aber darum geht es nicht bei einem Eid. Ein solches Versprechen muss sich verändern, wenn du dich veränderst, vor allem aber muss es an die Anforderungen angepasst werden, welche die Welt an einen stellt. Es geht nicht darum, ob man sein Wort hält oder nicht; es geht darum, dass man der Bedeutung hinter den Worten treu bleibt.« Auch dann, wenn das heißt, dich gegen deinen Orden zu stellen, dachte ich. Jetzt hatte ich das begriffen. »Wenn du mich hier stehen lässt, wird der Kaiser das Buch nicht bekommen, nach dem es ihn verlangt; außerdem gehst du auch gegenüber den Deganern eine Verpflichtung ein. Du, eine Weiße Schärpe, Beschützerin des Kaisers, wirst ihnen gehören. Du hattest eine Vereinbarung mit Eisen Degan, aber wer weiß, was sie von dir verlangen werden?«

Lyria wandte den Blick ab. Ich verzichtete darauf, ihr zu sagen, dass die Deganer eine ganz ähnliche Aufgabe hatten wie sie, nur ein wenig breiter gefasst. Das hätte mich im Moment nicht weitergebracht.

»Meinetwegen kannst du diese Grenze, die du schon einmal überschritten hast, ruhig ziehen und so tun, als wärst du ohne Fehl«, sagte ich. »Aber wir wissen beide, dass das gelogen ist. Die Deganer werden die Erfüllung des Eids einfordern, und dann verstrickst du dich noch tiefer. Oder du gehst auf mein Angebot ein und bist anschließend aller Verpflichtungen ledig. Womit ist dem Kaiser auf lange Sicht wohl besser gedient?«

Lyria schaute zu den Mauern des kaiserlichen Kordons hoch; ihr Blick reichte hinter den Ziegelstein und den Mörtel.

»Weshalb soll ich über das Buch die Unwahrheit sagen?«, fragte sie.

»Weil dies die einzige Möglichkeit ist zu verhindern, dass du und deine Freunde bei der Suche nach dem Buch die Stadt – und einige meiner Freunde – auseinandernehmt. Außer Gefahr sind sie erst dann, wenn der Kaiser glaubt, das Buch sei zu Asche verbrannt.« Nur so kann ich vermeiden, dass dein Boss mir bei lebendigem Leib die Haut abzieht, dachte ich, sprach es aber nicht aus.

Lyria ließ den Atem langsam entweichen. Als sie mir endlich Antwort gab, klang sie so leise und endgültig, dass ich sie kaum verstand. »Einverstanden. Was soll ich tun?«

Ich zog die angekokelten Reste des Tagebuchs ein Stück weit aus der Tasche hervor. Lyria konnte erkennen, dass es sich um Ioclaudias Journal handelte, nicht aber, dass Teile davon fehlten. Nach gelungener Flucht aus dem Lagerhaus hatte ich sie eigenhändig verbrannt.

»Wenn das Feuer in den Zehn Wegen erlischt, gehst du zu dem Lagerhaus im Ödland, wo die anderen beiden Weißen …« Den Rest des Satzes ließ ich unausgesprochen. Lyria sog langsam und drohend die Luft ein. »Wo deine Ordensbrüder gestorben sind«, setzte ich hinzu. »Dort wirst du das Buch finden und dazu die Überreste eines Toten und dessen Schwert. Lass das Schwert liegen und nimm das Buch mit. Ich werde dafür sorgen, dass es so aussieht, als wäre es vom Feuer verschont geblieben.«

Ich schob die Reste des Tagebuchs wieder in die Tasche und zog ein kleines, in Stoff eingeschlagenes Paket hervor. »Hier, nimm das mit. Es könnte dir helfen, deinen Boss versöhnlich zu stimmen.«

Lyria streckte die Hand aus, dann hielt sie inne. »Was ist das?«

»Eine Reliquie«, antwortete ich. Ein Bestechungsgeschenk, dachte ich. »Das Behältnis ist ein bisschen lädiert, aber die Reliquie selbst ist unbeschädigt.« Nur damit du dich nicht so sehr darüber ärgerst, dass ich dich für meine Zwecke eingespannt habe. Ich drückte es ihr in die Hand. »Das ist die Schreibfeder, mit der Theodoi die Zweite Rechtfertigungsschrift verfasst hat.« Im Moment will ich mir keine neuen Feinde machen.

»Woher …?«

»Eine lange Geschichte«, sagte ich. »Stell besser keine Fragen.«

Lyria betrachtete das Bündel, dann schob sie es behutsam hinter ihren Gürtel. »Und ich bekomme dich nie wieder zu Gesicht, hab ich recht?«

»Nicht einmal in deinen Träumen«, sagte ich.

»Das kann ich nur hoffen«, meinte sie und reichte mir die Hand. Ich stutzte, dann ergriff ich sie aus purer Gewohnheit, um den Händedrück der Kin mit ihr zu tauschen. Doch sie war keine von uns. Unsere Finger streiften aneinander, dann packte sie mich beim Handgelenk, hielt mich fest und rammte mir das Knie in den Magen.

Ich krümmte mich zusammen, ging in die Knie und schnappte nach Luft.

»Nur damit niemand auf den Gedanken kommt, wir würden in gutem Einvernehmen auseinandergehen«, erklärte Lyria kühl. »Das könnte Argwohn wecken.« Ich schaute ihren Stiefeln hinterher, als sie fortging.

Hätte ich genug Luft bekommen, hätte ich gelacht. So aber konnte ich nur keuchend zusehen, wie sich mein Mittagessen auf dem Pflaster verteilte.

Ich wollte gerade wieder Luft in meine Lunge saugen, als zwei Stiefel aus weichem braunem Leder in meinem Gesichtsfeld auftauchten. Die dazugehörigen Beine steckten in roten Strümpfen.

»Wie ich sehe, machst du dir noch immer überall Freunde.«

Ich kannte die Stimme. Ich hätte nicht erwartet, sie noch einmal zu hören. Ich rappelte mich in eine sitzende Haltung hoch und sah zu Kells auf.

Mein Herz tat einen Satz, als ich ihn lebend vor mir sah, ob vor Freude oder Schreck, hätte ich nicht zu sagen vermocht. Er war wohlauf und unverletzt und hatte anscheinend sogar ein paar Pfund zugelegt. Und er lächelte.

Das ließ nichts Gutes ahnen.

Im nächsten Moment hielt ich das Messer aus der Unterarmscheide in der Hand.

»Na, na, na!«, sagte Kells und drohte mir mit dem Zeigefinger. »Die Schärpen schauen zu, und denen wird nicht gefallen, was du vorhast.«

»Du meinst, zwei Kin, die sich auf offener Straße gegenseitig an die Gurgel gehen?«, sagte ich und richtete mich auf. »Warum sollte sie das kümmern?«

»Wir sind Kin – denen lassen sie aus Prinzip nichts durchgehen.« Kells musterte mich von oben bis unten. »Gebrauchte Kleidung, noch dieselben alten Stiefel, frische Schrammen im Gesicht – da weiß ich wenigstens, dass du mich nicht für Geld verraten hast.«

»Ich habe dich nicht verraten«, entgegnete ich.

»Stimmt«, sagte Kells kühl. »Du hast mich im Stich gelassen. Du hast mich hängen lassen, mich Nicco ausgeliefert, gefangen in einem Kordon, der von kaiserlichen Soldaten umzingelt war. ›Verrat‹ ist eine viel zu schwache Bezeichnung dafür, dass du mich in die Scheiße geritten hast.«

Ich versuchte, seinen Blick zu erwidern, doch es gelang mir nicht. Ich hatte natürlich eine Erklärung parat, doch die behielt ich für mich. Ich konnte sagen, was ich wollte, es hätte wie eine Entschuldigung geklungen. Kells wusste nur, dass ich seine Anweisungen missachtet und ihm das Buch vorenthalten hatte, das er Schatten hatte aushändigen wollen. Meinetwegen war er jetzt ein Aufrechter ohne Organisation; ein gefallener Kin, der sich auf der Straße herumtrieb – genau wie ich.

Kells wollte keine Entschuldigungen hören, und ich wollte ihn nicht dadurch beleidigen, dass ich ihm welche aufdrängte.

»Ich habe mir geschworen, dass du dafür bezahlen wirst«, sagte er. »Du solltest leiden, und zwar ausgiebig. Und das wirst du auch, keine Sorge, bloß nicht so, wie du glaubst.« Ich spannte mich an. Kells seufzte. »Komm mit«, sagte er und trat an mir vorbei. »Ich gebe dir einen aus.«

Ich war so verblüfft, dass ich mich nicht von der Stelle rührte.

Kells blieb stehen und drehte sich um. »Was ist?«, sagte er. Meine Verwirrung erfüllte ihn anscheinend mit Genugtuung. »Du glaubst doch nicht etwa, ich wollte dich jetzt kaltmachen? Du bist unantastbar. Wenn ich auch nur Hand an dich legte, hätte ich Einsamkeit am Hals.«

»Einsamkeit?«

»Du scheinst ja richtig was abgekriegt zu haben. Du hast doch selbst mit ihr vereinbart, dass sie mich aus den Zehn Wegen rausschafft, oder hast du das schon vergessen? Einsamkeit hat ihre Zusage eingehalten. Sie hat mich mit der Hälfte meiner Leute in Sicherheit gebracht, bevor die Kaiserlichen einmarschiert sind. Ich arbeite jetzt für sie.« Kells setzte sich wieder in Bewegung. Ich folgte ihm benommen.

»Du arbeitest für Einsamkeit?«, sagte ich.

»Schon seltsam, findest du nicht?«

»Könnte man so sagen. Ich hätte nicht gedacht, dass Einsamkeit sich nach allem, was passiert ist, noch an unsere Abmachungen gebunden fühlen würde.«

»Du meinst, nachdem du ihr so übel mitgespielt hast?«, sagte Kells. »Ich hätte drauf geschissen, aber sie ist da ganz anders. Trotz alledem ist sie bei mir aufgetaucht und hat sich auf dich berufen, damit ich mir ihr Angebot wenigstens anhöre. Ehe ich mich versah, haben wir schon den Händedruck getauscht. Ich kann nicht behaupten, dass ich über die Bedingungen begeistert wäre, aber ich bin am Leben, und das gilt auch für viele meiner Leute. Ich habe keinen Grund, mich über sie zu beklagen.«

»Doch, hast du«, sagte ich. »Und wie steht’s mit mir?«

»Wie gesagt, du bist unantastbar.«

Wir gingen schweigend weiter, ließen den kaiserlichen Kordon hinter uns und gelangten in eine freundlichere Gegend. Kells zeigte auf ein kleines Café, das ein Stück die Straße hinunter lag. Wir nahmen unter der rot gestreiften Markise Platz. Ich bestellte eine Kanne Kaffee, Johannisbeerpasteten und als Ergänzung einen jungen, süßen Käse. Kells bestellte einen Becher Wein.

»Hast du von Niccos Revier gehört?«, fragte Kells, als die Bestellungen auf dem Tisch standen.

»Hab ich«, sagte ich und brach eine der Pasteten entzwei. Eigentlich hatte sie mehr Ähnlichkeit mit Biskuit – trocken und krümelig, aber nach dem säuerlichen Geschmack der Johannisbeeren entfaltete sich ein butterig süßes Aroma. Ich strich etwas Käse darauf, was der Pastete zusätzlich eine nussige Note verlieh. »Wie viel hat Streuner sich einverleibt?«, fragte ich.

»Etwa ein Drittel«, antwortete Kells, »vielleicht auch etwas mehr. Der Rest ist noch zu haben.«

Ich brummte etwas Unverständliches und biss von der Pastete ab. Lieber wäre es mir gewesen, wenn Streuner drei Fuß Stahl in den Brustkorb abgekriegt hätte, aber man kann nicht alles haben im Leben. Er hatte vor allen anderen gewusst, dass es Krieg geben würde; deshalb konnte er seine Leute in Stellung bringen, um die Kontrolle zu übernehmen, wenn alles zum Teufel ging – vielleicht sogar noch früher.

Nein, Streuner war nicht dumm, aber irgendwann würde ich den Mistkerl trotzdem kaltmachen müssen.

Kells trank einen Schluck Wein und sah auf die Straße. Er räusperte sich. »Ich habe das von dir und Degan gehört«, sagte er. »Du verstehst es wirklich, dich mit Leuten anzulegen, wenn du mir die Bemerkung gestattest.«

Ich schwieg.

»Hast du von ihm gehört?«, fragte Kells.

Ich dachte daran, wie Degan sich im Lagerhaus wortlos von mir abgewandt hatte. »Nein«, sagte ich.

»Hast du vor, nach ihm zu suchen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Glaubst du, das würde etwas ändern?«, sagte ich. »Glaubst du etwa, er würde mir verzeihen, wenn wir zusammen Kuchen essen, Kaffee trinken und plaudern würden?«

Kells blickte stirnrunzelnd auf den Tisch. »Nein, bestimmt nicht.«

»Na siehst du«, sagte ich. »Also, was willst du von mir? Wenn du mich nicht kaltmachen und mir nicht verzeihen willst, was willst du dann? Ich kann mir kaum vorstellen, dass Einsamkeit dich als Laufburschen einsetzt – jedenfalls nicht nach unserer letzten Begegnung.«

Kells lehnte sich zurück. »Ich will dir sagen, dass du richtig gehandelt hast«, erklärte er. »Du hast mir die Stirn geboten, du hast Schatten übers Ohr gehauen und Einsamkeit verladen, und ich will verdammt sein, wenn ich behaupten würde, ich hätte das an deiner Stelle ebenfalls fertiggebracht. Aber du hast es getan. Du mit deinem Dickschädel hast nicht lockergelassen, wo die meisten anderen sich aus dem Staub gemacht hätten. Das ist doch was.«

»Kann sein«, sagte ich, »aber das reicht nicht. Dafür habe ich das Leben zu vieler Menschen zerstört.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es reichen würde«, meinte Kells. »Aber was du getan hast, zählt. Wenn du dich einer Sache verschreibst, zahlst du einen Preis. Je eher du das begreifst, desto besser – für dich und die Menschen, die du benutzen wirst. Und glaub mir, du wirst sie benutzen. Dir bleibt keine Wahl.«

»Und was ist mit dir?«, fragte ich. »Hast du dich einer Sache verschrieben?«

»Du meinst, Einsamkeit gegen den Kaiser?« Kells blickte auf die Straße. Mein Erstaunen darüber, dass er Bescheid wusste, hielt sich in Grenzen. Schließlich war er Kells. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich war bereit, für Schatten zu arbeiten, aber das war etwas anderes; das war, als ginge man mit einem Grauen Prinzen ins Bett. Aber das jetzt« – er schwenkte unbestimmt die Hand – »ist größer. Ich weiß auch nicht.« Kells sah mich an. Ich biss noch ein Stück von der Pastete ab. »Hast du etwa vor, eine Organisation zu gründen, oder weshalb fragst du?«

Ich hätte mich beinahe verschluckt. »Ich?«

»Du hast ganz allein ein verflucht raffiniertes Spiel abgezogen, Drothe. Die Leute reden über dich.«

»Über mich?« Ich schluckte. Eigentlich hatte ich jetzt, da ich das Tagebuch los war, nur ans Überleben denken wollen. Wenn es nach mir ging, hatte es sich damit. »Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin ganz auf mich allein gestellt – keine Verbündeten, keine Organisation, keine Muskelmänner. Was könnte ich da schon ausrichten?«

»Wie hast du es geschafft, mit zwei Prinzen, ebenso vielen Aufrechten, einem Kin-Krieg und dem Kaiserreich klarzukommen?«, erwiderte Kells. »Mag sein, dass du dich damit bei vielen Kin nicht gerade beliebt gemacht hast, aber sie respektieren dich – jetzt mehr denn je. Du hast etwas vollbracht, was niemand für möglich gehalten hätte. Das zählt eine ganze Menge, glaub mir.«

Ich starrte Kells an. Glaubten die Leute wirklich, ich hätte einen Plan verfolgt und diesen Ausgang vorausgesehen? Ich blickte auf die Krümel meines Gebäcks nieder und schüttelte den Kopf. »Die Engel stehen mir bei«, murmelte ich.

»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Kells. Ich schaute hoch. Er grinste.

»Ja?«

»Wie fühlt sich das an?«

»Was meinst du?«

»Die Prinzen gegeneinander auszuspielen«, sagte er. »Das Reich zu verladen; Nicco und mich zu neutralisieren; das Richtige zu tun oder jedenfalls das, was du darunter verstehst. Wie fühlt sich das an?«

In seinem Blick brannte das Verlangen zu erfahren, wie es sich anfühlte, wenn man getan hatte, was ich getan hatte – sich gegen alle Wahrscheinlichkeit zu behaupten, eine Seite zu wählen, aus Überzeugung etwas zu tun, sei es richtig oder falsch. Und zum ersten Mal stellte ich mir die Frage, wie viele andere Kin – oder wie viele Menschen überhaupt – das gleiche Verlangen hatten.

»Es war ein gutes Gefühl«, sagte ich. »Und es kam mir falsch vor. Es hat wehgetan und mir eine Höllenangst gemacht. Und ich kann immer noch nicht sagen, ob es das wert war.«

Kells nickte einmal knapp. »Na gut«, sagte er. Er schob den Stuhl zurück und ließ sich neben dem Tisch auf ein Knie nieder. Ehe ich mich versah, hatte er meine Hand ergriffen. »Dann bist du mein Prinz, wenn du mich haben willst.«

Ich fuhr so heftig zurück, dass ich beinahe den Tisch umgeworfen hätte. »W-w-was?«, stammelte ich.

Kells lachte. »Tut mir leid. Ich konnte mich einfach nicht beherrschen.« Er forderte mich mit einer Handbewegung auf, wieder Platz zu nehmen, und setzte sich ebenfalls. »Aber du musst zugeben, das hat was für sich.«

»Dass du ein verrückter Mistkerl bist?«

»Nein, dass die Straße dich befördert hat.«

Ich glotzte ihn an. Ich wusste, ich hätte etwas sagen sollen – oder weglaufen und mich verstecken –, doch stattdessen starrte ich meinen ehemaligen Boss mit offenem Mund an.

»Das ist so«, sagte Kells. »Es geht das Gerücht, ein neuer Grauer Prinz habe sich aus der Asche des Krieges erhoben, habe Schatten und Einsamkeit sowie zahlreiche Aufrechte – mich eingeschlossen – besiegt und sei nun dabei, seine Leute in ganz Ildrecca in Stellung zu bringen.« Kells nahm noch einen Schluck Wein, dann blickte er sinnend in seinen Becher und kippte den Rest Wein auf den Boden. »Die Leute tragen schon deine Farben, weißt du.«

»Meine Farben?«, wiederholte ich. »Ich habe keine Farben!«

»Die Straße und die etwa zwanzig Kin, die sie tragen, behaupten etwas anderes. Übrigens kann ich nur hoffen, dass dir Grau und Grün zusagen.« Kells schenkte sich nach. »Es wird sogar gemunkelt, Blauer Umhang Rhys wolle sich mit dir treffen. Ich würde vorschlagen, dass du nur zwanzig Prozent aller Einkünfte von ihm verlangst, weil er sich als Erster an dich gewandt hat. Den Aufschneidern und Aufrechten, die später kommen, kannst du dann mehr abknöpfen. Das wird Rhys das Gefühl geben, er sei etwas Besonderes – und ihn umso fester an dich binden –, während es ein paar der Unentschlossenen veranlassen wird, sich dir anzuschließen. Du musst dich mit dem Aufbau deiner Organisation beeilen.«

»Aber ich bin kein …«

Kells brachte mich mit einem Blick zum Schweigen. »Doch, bist du!«, knurrte er. »Du bist ein Grauer Prinz. Das glaubt die Straße, das glauben die Kin, und so, wie Einsamkeit über dich gesprochen hat, glaubt sie das auch. Wenn das so viele Leute glauben, ist es gleichgültig, ob du einverstanden bist oder nicht, denn man wird dich wie einen Prinzen behandeln. Und das gilt auch für die anderen Prinzen.«

Die anderen Prinzen. Verdammter Mist. Mit einem flauen Gefühl im Magen hielt ich auf der Straße Ausschau nach Klingen.

»Jetzt hast du’s kapiert«, sagte Kells. »Ich glaube, Einsamkeit wird sich über die ganze Sache köstlich amüsieren, aber damit dürfte sie so ziemlich allein stehen.«

»Das heißt, ich muss Leute anwerben und den Kopf einziehen. Und zwar schnell.«

»Hm. Warum ist mir das nicht eingefallen?«

Ich musterte weiterhin die Straße. Guckte mich der Beutelschneider vielleicht komisch an? Und was war mit dem Bettler dort drüben? Hatten sie es auf mich abgesehen, oder nahmen sie nur den neuen Grauen Prinzen in Augenschein?

Oder hatte ich schon Wahnvorstellungen?

Eine Frau mit Kind ging vorbei, und ich blickte ihr unwillkürlich nach, die Hand am Dolch.

Na gut, ich hatte Wahnvorstellungen.

Ich lehnte mich zurück und rieb mir das Gesicht. Ich, ein Grauer Prinz? Was zum Teufel bedeutete das überhaupt? Was sollte ich tun? Die einzigen mir bekannten Vertreter dieser Gattung waren eine Traumwandlerin, die den Kaiser töten wollte, und ein Ränkeschmied, der sich hinter einer Maske aus Dunkelheit verbarg. Da ich mir kaum vorstellen konnte, dass ich mich in einen dunklen Umhang hüllte und geheimnisvolle Zusammenkünfte in verlassenen Häusern abhielt, fehlte es mir an nützlichen Anhaltspunkten.

Was war ein Grauer Prinz überhaupt? Der Kopf einer Organisation, die im Verborgenen agierte. Ein Grauer Prinz war ein Kin, dessen Maßstab weder die Straße noch der Kordon noch die Stadt als Ganzes waren. Einsamkeit und Schatten hatten groß gedacht. Und langfristig.

Jetzt wurde mir klar, dass sie tief in ihrem Innern Isidore nacheiferten; sie wollten es mit dem Mann aufnehmen, der die Kin geeint und sich selbst zum Dunklen König gemacht hatte. Die Prinzen wollten beweisen, dass sie im Grunde Könige waren.

Ich aber wollte nicht König sein. Ich wollte nichts weiter als Kin sein. Allerdings wurde ich im Moment anscheinend nicht gefragt.

Ich sah Kells an. Er beobachtete mich, den Anflug eines Lächelns um die Lippen, Eiseskälte im Blick. Da wurde mir klar, dass ich mir weder Einsamkeit noch Schatten, auch nicht die anderen Prinzen oder gar Isidore als Beispiel nehmen musste; vor mir saß einer der besten Organisatoren der Kin, der zudem lange Jahre mein Mentor gewesen war. Und wenn ich Glück hatte, war er das noch immer.

»Du hast mir eben ein Angebot gemacht«, sagte ich. »Gilt das noch?«

»Ja. Und es schließt auch etwa ein Dutzend meiner Leute ein, die ebenfalls für Einsamkeit arbeiten. Wenn du willst, machen wir mit.«

»Ich kann euch im Moment nichts bieten«, sagte ich.

»Du hast uns das Leben gerettet; dafür stehen wir in deiner Schuld. Wenn du erst mal einen besseren Stand auf der Straße hast, reden wir über Geld.«

Ich blickte kopfschüttelnd an Kells vorbei, auf die Straße und auf Ildrecca. Drothe, der Graue Prinz von … ja, wovon eigentlich? Der Prinz eines Jark, der mich hatte töten wollen? Eines djanesischen Wortmagiers, der seine Dienste für Geld feilbot? Einer Handvoll Schnitter, die Farben trugen, die ich noch nie gesehen hatte? Und dann noch dreizehn Kin, die der Organisation eines anderen Prinzen angehörten. Was für ein beschissener Beginn.

Ich schüttelte den Kopf und brach in Gelächter aus.

»Was ist daran so komisch?«, fragte er.

»Meine Organisation«, sagte ich.

»Was ist damit?«

»Die Hälfte der Leute sind Langnasen. Wie zum Teufel soll man eine Verbrecherorganisation mit einem Haufen Langnasen gründen, noch dazu ohne Geld?«

Kells stimmte in mein Gelächter ein. »Genau die richtige Aufgabe für dich.«

Ich nickte. »Scheint so.« Ich trank einen Schluck kalten Kaffee und überlegte. Ja. Die Nasen würden sich als nützlich erweisen, wenn es irgendwann darum ginge, Einsamkeit gefügig zu machen. Schließlich galt es noch immer, das Reich zu retten und den Fortbestand der Kin zu sichern, und ich wollte verdammt sein, wenn ich mir von ihr dabei reinreden ließ.

Kells bestand darauf, die Bezahlung zu übernehmen. Er meinte, das müsse so sein, denn schließlich sei ich sein Boss.