Vom Sinn der Form

Erst die Schönheit macht eine Idee begehrenswert

Die ästhetische Dimension gehört zu allen unseren Ideen und Vorhaben dazu. Die Menschen sind nun mal sinnliche Geschöpfe – sowohl im Blick auf die Sinnesorgane, als auch im Blick auf das Sinnliche als solches. Das Schöne macht eine Sache begehrenswert. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der äußeren und der inneren Schönheit von etwas. Das äußerlich Schöne ist einfach nur hübsch – und sehr oft auch nur vorübergehend schön, wie die Mode. Die wirkliche Schönheit kommt von innen, aus dem Wesen heraus. Das ist nicht bloß eine landläufige Plattitüde, sondern schon seit Menschengedenken ästhetisches Wissen. Im Griechischen gibt es für die Worte „schön“ und „gut“ dieselbe Vokabel: καλλός και αγαθός. Der schöne Mensch war für die Griechen auch ein guter Mensch. Umgekehrt konnte ein hässlicher Mensch ihrem Verständnis nach nicht gut sein. Das können wir heute so natürlich nicht mehr akzeptieren. Für uns gibt es durchaus Menschen, die wir äußerlich als nicht schön empfinden, denen wir aber dennoch gutes Handeln attestieren, wie wir uns umgekehrt schöne Menschen vorstellen können, die Schlechtes tun.

Das Streben nach Schönheit ist tief im Menschen verankert. Schauen wir nur auf den Beginn der Menschheit, als die Urvölker anfingen, die ersten Gefäße aus Ton zur Aufbewahrung von Dingen herzustellen. Einige sind schnell zerbrochen, andere haben sich auch bei größeren Belastungen gut gehalten. Die Formen, die stabil blieben, haben die Menschen damals auch als schön empfunden, sie erschienen ihnen als brauchbar und gut, die anderen waren nichts wert. Die schönen Formen wurden verziert und noch schöner gemacht. Bei der Erfüllung des Zwecks allein sind die Menschen also nicht stehen geblieben, davon zeugen frühe Vasen und Gefäße, die im täglichen Einsatz waren, aber auch über ihre Bestimmung hinaus mit Mustern und Ornamenten geschmückt waren. Und im Blick auf feste Gestaltungskonzepte, die die Wissenschaftler ausgemacht haben, können wir auch die Brücke zur Gegenwart schlagen. Wiedererkennbarkeit ist auch heute noch ein wichtiges Kriterium bei der Produktgestaltung und beim Marketing. Und ich möchte fast sagen: Das war damals gewissermaßen die Geburtsstunde der ersten Markenartikel.

Es gibt Gerätschaften des täglichen Lebens, die uns gut in der Hand liegen, die wir gerne haben und deren Aussehen uns beim Gebrauch erfreut. Das kann ein Taschenmesser sein oder ein Schreibgerät, bei dem der Nutzen und das äußere Erscheinungsbild zusammen den Wert ausmachen, den der Gegenstand für uns hat. Und für mich als Maler haben natürlich Pinsel und sonstige Gestaltungswerkzeuge eine besondere Bedeutung. Um es ganz schlicht zu sagen: Es macht einfach mehr Freude, mit einem schönen Gegenstand umzugehen als mit einem Gegenstand, der uns optisch weniger anspricht. Wir essen ja auch lieber von einem schönen Geschirr oder trinken aus einem schönen Gefäß als aus einem praktischen, aber hässlichen. Meine Erfahrung ist, dass dieses Prinzip auch auf Ideen und Pläne zu übertragen ist. Es geht um ihre Akzeptanz beim Menschen. Das Schöne wird eher angenommen als das Hässliche. Vieles, was wir als schön empfinden, beurteilen wir aus der Erfahrung heraus so: Dinge, die funktionieren, die gut sind, die wir als angenehm kennengelernt haben, sind für uns einfach schön. Sicher, das Hässliche vermag mitunter eine größere Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn wir etwas Hässliches sehen, schauen wir oft zweimal hin, denn auch davon geht ein eigentümlicher Reiz aus.

Neben der Erfahrung spielt beim ästhetischen Urteil auch die Erziehung eine Rolle. Deren Maximen verändern sich im Lauf der Jahre und Jahrhunderte immer wieder. So entsprachen beispielsweise dem Schönheitsideal in Bayern auf dem Land im 19. Jahrhundert Frauen mit strammen Waden: Diese Frauen erweckten den Eindruck, dass sie belastbar waren und gut arbeiten konnten. Weniger dem Schönheitsideal entsprachen dagegen die Dürren und Mageren, weil sie nichts auszuhalten schienen oder am Ende gar irgendwie krank waren. Die Kunst ist dabei immer ein Gradmesser für das ästhetische Empfinden und Ideal einer Epoche: Ich denke da zum Beispiel an den Barock, etwa Bilder von Rubens, wo füllige Frauen als schön galten und die Kunstwerke bevölkerten. Schönheitsideale haben immer auch etwas mit Reichtum und dem vorherrschenden Wertesystem zu tun. Das war im Barock nicht anders als heute. Frauendarstellungen aus der Frühgeschichte zeigen uns, dass es damals die wichtigste Eigenschaft des weiblichen Geschlechts war, vielen Kindern das Leben zu schenken und sie gut ernähren zu können. Zu späteren Zeiten wandelte sich dieses Schönheitsideal. Heute werden in der Regel die Frauen für attraktiv gehalten, deren Körper selbst nach einer Geburt am besten straff und schlank ist und der ewige Jugend und Sportlichkeit ausdrückt.

Schönes macht Freude. Schönes ist begehrenswert. Dass eine neue Idee bei anderen gut ankommt und gut verkauft werden kann, ist sehr viel leichter zu erreichen, wenn diese schön ist. Ein Objekt, das ich gerne in die Hand nehme, wird größeren Erfolg haben als eines, das ich nicht gerne in die Hand nehme, selbst wenn es dieselbe Funktion hat. Und wenn wir ehrlich sind: Ein ganzer Wirtschaftszweig lebt von dieser Neigung zum Sinnlichen – angefangen bei Grafikern, Textern bis hin zu Designern und Marketingmenschen.

Die Menschen dekorieren sich gerne mit Schönem. Sie haben Gebrauchsgegenstände um sich, die schön sind, weil die Schönheit dieser Gegenstände ihren Besitzern zugeordnet wird. Und selbst diejenigen, die bewusst das Auffällige, Hässliche suchen, wollen sich damit von den anderen absetzen und auffallen – und finden darin wiederum das Schöne für sich selbst. Das Bedürfnis sich zu schmücken ist schon aus prähistorischer Zeit bekannt. Die Menschen haben sich buchstäblich ihr Vermögen um den Hals gehängt, etwa Ketten aus Gold und Edelsteinen oder auch Metallspangen, die als Zahlungsmittel eingesetzt wurden. Es galt als schön, herzuzeigen, was einer besaß. Die Schönheit des Objektes ist auf den Träger übergegangen. Noch im Bestattungskult schlug sich das nieder. Die Toten wurden so schön wie nur irgend möglich hergerichtet und reich dekoriert, auch wenn sie selbst zweifellos kaum mehr Wert darauf gelegt haben dürften.

Das Äußere soll sich auf den Menschen selbst übertragen – dieser Gedanke zieht manchmal arg weite Kreise, bis in militärische Zusammenhänge hinein: Breite Schultern vermitteln Macht und Entschlossenheit, Schulterklappen betonen das noch extremer. Waffen, die zur Schau getragen wurden, sollten andere abschrecken. Noch heute gibt es Menschen, die sich mit Waffen umgeben und sich damit überlegen fühlen. Und was unseren Vorfahren das schnelle und tüchtige Pferd war, ist heute das entsprechende Auto, mit dem der eine oder andere dann auch ganz zügellos unterwegs ist. Früher, als die Schuster noch selbst die neuen Schuhe anfertigten, ließen sich die jungen Burschen auf dem Land extra die Sohlenleder so präparieren, dass es geknarzt hat. Damit zeigten sie: „Ich habe neue Schuhe an, ich kann mir das leisten.“

Schönheit ist das, was die Idee begehrenswert, attraktiv macht. Sie ist eine Sache des Marketing und der Werbung. In den entsprechenden Abteilungen der Wirtschaftsunternehmen machen sich Menschen viele Gedanken, Dinge so zu gestalten, dass sie schön sind und im wörtlichen Sinne Gefallen finden. Da gibt es gewitzte Strategien: Unter Umständen kann es sogar so sein, dass ein neues Produkt, zum Beispiel ein neues Auto, erst einmal gar nicht als schön empfunden wird und auch gar nicht als solches empfunden werden soll. Weil es sich von den gewohnten Modellen aber extrem unterscheidet, wird es als neu empfunden. Und dann kommt es zu dem gleichen Verhaltensmuster wie bei den Schuhen der Bauernburschen. Der Besitzer fällt auf als Inhaber eines neuen Autos, das er sich leisten kann. Der Geschmack der Allgemeinheit wandelt sich, gewöhnt sich an den Anblick des neuen Modells und verbindet damit Wohlstand. So wird dann ein Produkt als schön empfunden, bis es wieder von einem Neuen abgelöst wird.

Vielfach müssen die Marketingabteilungen weit voraus denken, um den Geschmack der Menschen in eine gewisse Richtung zu lenken. In der Modebranche funktioniert das ebenso: Das schöne Kleidungsstück ist das Neue, das, was seinen Träger schmückt und begehrenswert macht, indem es zeigt, dass er ein gegenwärtiger, moderner Mensch ist, der sich Geschmack leisten kann. Und vielleicht kennt man das Gefühl, wenn man den Kleiderschrank öffnet. Wir nehmen nicht mehr das Modell vom letzten Jahr, obwohl es genauso gut wärmt und bedeckt und es im Grunde völlig unnötig wäre, wieder Geld auszugeben. Aber wir dekorieren uns lieber mit neuen Formen und Gestalt gewordenen Ideen.

Bei aller Kurzlebigkeit der Schönheit in Modefragen: Es gibt zum Glück auch eine Kehrseite, die mir persönlich sehr gefällt: Die Klassiker, die unabhängig von Modetrends existieren, beziehungsweise über jedem aktuellen Trend stehen. Manchmal drücken sie aus, dass sich jemand schon vor langer Zeit etwas besonderes leisten konnte, dass einer schon vor langer Zeit „dazugehört“ hat und somit kein Emporkömmling ist. Mit ihnen können wir aber auch Unabhängigkeit demonstrieren und Bewusstsein für Tradition, auch das kann begehrenswert machen.

Innere und äußere Schönheit

Dekoration ist etwas, was sich an der Oberfläche abspielt. Wir müssen aufpassen, dass wir uns darauf nicht beschränken – sonst fehlt es schlichtweg an Tiefe. Wenn Schönheit nur mehr zum Dekor dient, dann wird sie zum Schein, dann fallen Äußeres und Inneres auseinander. Was bleibt, ist nur der Versuch, etwas als schön gelten zu lassen. Der Inhalt wird belanglos, es gibt keine Botschaft oder Aussage einer Sache.

Heutzutage fangen bereits die Kinder an, sich zu dekorieren. Sie legen Wert auf bestimmte Accessoires und Marken und plappern dabei nach, was ihnen von Erwachsenen vorgesagt worden ist. Ob jedoch dieser oder jener Aufnäher auf einer Jacke prangt, hat mit deren Funktion rein gar nichts zu tun. Die Kinder und Jugendlichen schmücken sich mit einer Marke, damit die Kraft des Markenkerns, getragen von ihren Sporthelden, auf sie übergeht. Wenn es das Einzige ist, weshalb sich Kinder stark fühlen können und für das sie Bewunderung und Wertschätzung erfahren, dann haben wir in unserer Gesellschaft etwas falsch gemacht. Und ich bin überzeugt, dass es zu den großen Aufgaben in der Erziehung gehört, Kindern den Sinn für die eigentlich wichtigen und tiefgehenden Dinge und Erkenntnisse zu vermitteln. Eine wichtige, sicher aber keine leichte Aufgabe.

Accessoires und reine Äußerlichkeiten machen den Menschen selbst nicht unmittelbar schöner. Ich glaube, dazu bedarf es mehr. Zur wahren Schönheit gehört eben auch die Schönheit der Seele und die des Geistes, die natürlich wieder sinnlich erfahrbar werden: in der Bewegung, in der Handlung, in der Denkweise, in der Reaktion eines Menschen. Die innere Schönheit, die ein alter Mensch auszustrahlen vermag, kann uns begeistern, genauso wie es uns umgekehrt gruseln kann davor, wie sehr einem jungen, hübschen Menschen die innere Schönheit fehlt. Nicht von ungefähr bezeichnen wir einen Menschen, der einen schönen ersten Eindruck erweckt, dann aber giftig redet oder hartherzig handelt, als eine falsche Person. Ein Mensch mit einem Engelsgesicht kann in einer Weise agieren, dass sich seine Mitmenschen nur mehr mit Grausen abwenden wollen. Die äußere Schönheit korrespondiert zu offensichtlich nicht mit dem inneren Wesen.

Zur inneren Schönheit gehört für mich auch eine Erhabenheit, ein natürlicher Stolz, den ich von einem aufgesetzten Stolz unterscheide. Ein Mensch, der aus innerer Sicherheit heraus aufrecht geht, wird von seiner Umgebung anders wahrgenommen als einer, der sein Kinn hochreckt und im Bewusstsein seiner Macht daher schreitet. Es gibt natürliche Größe und imitierte, aufgesetzte Größe. Frauen erfreuen durch ihr Auftreten die Männer. Eine Frau sieht begehrenswerter aus, wenn sie ihre Vorzüge unterstreicht und erwartet, dass die Männer das anerkennend wahrnehmen. Aber wie schnell kann der Eindruck ins Kühle oder Arrogante kippen. Ganz einfache Menschen können von Natur aus eine Erhabenheit ausstrahlen, die uns vor Schönheit innehalten lässt; andere Menschen, die sich stolz geben, wirken dagegen einfach nur aufgeblasen. Das Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten drückt sich nach außen aus, aber wenn der Ausdruck mehr sagt, als dahinter steckt, merken wir das als Betrachter sehr schnell und reduzieren den Menschen in Gedanken wieder auf sein eigentliches Maß.

Wir kennen auch das Gegenteil, dass einer zu bescheiden auftritt, kein Selbstvertrauen hat, zu schüchtern ist. Zugegeben, ein gewisses Maß an Eigenwerbung muss schon sein, wenn wir etwas erreichen wollen. Aber es kommt hier auf das rechte Maß an. Ein Zuviel kann das Gegenteil bewirken, genauso wie überall in der Werbung. Das Gespür für das rechte Maß ist entscheidend für Erfolg oder Misserfolg.

Schlichtheit und Opulenz

Meine Erfahrung bei Ideen und Vorhaben ist: Die Schlichtheit ist oft überzeugender als ein überladenes Konzept. Mit weniger wird oft mehr ausgedrückt. Die innere Schönheit ist stark genug. Wenn ich ein Bild male und darauf alle Techniken unterbringen will, die ich jemals gelernt habe, und alle Farben, die ich zur Verfügung habe, dann wird es deswegen garantiert nicht besser als eines, bei dem ich zurückhaltender bin, nur eine Idee ausdrücke und lediglich das anbringe, was nötig ist. Nicht anders verhält es sich beim Erzählen von unterhaltsamen Anekdoten oder Witzen. Wir lachen mehr über jemanden, der in kurzen Worten treffend formuliert als über denjenigen, der den Witz langweilig und schier endlos erzählt. Eine Pointe muss auf den Punkt kommen – so sagt es ja auch ihr Name.

Beim äußeren Erscheinungsbild eines Gebrauchsgegenstandes verhält es sich ähnlich: Wenn ich immer alles mache, was möglich ist, schieße ich womöglich weit über das Ziel hinaus und die Gestaltung des Gegenstands wirkt aufgesetzt.

Selbst im Barock haben die Menschen bei aller Opulenz der Formen auch große Zurückhaltung geübt, zum Beispiel bei den Farben. Die Künstler haben damals zwar fast alle geraden Linien in Bögen, Ornamente und Dekors aufgelöst, aber in der Farbgebung waren sie sehr zart und zurückhaltend. Die Harmonie des Gesamtwerks war zentral. Da hätten sie auch viel knalliger sein können, haben sich aber stark zurückgenommen, um andere Dinge mehr zur Geltung zu bringen.

Natürlich kann Opulenz an sich auch etwas Schönes sein, wenn sie im Gesamtbild stilvoll gestaltet ist, sei es beispielsweise in der Oper oder bei den Messgewändern in der Kirche. Manche von ihnen sind ganz bewusst zu Ehren Gottes so reichhaltig wie möglich gefertigt, die Gläubigen sollen sozusagen auf Erden einen Blick in den Himmel erhaschen können.

Jede Kunstepoche hat ihr eigenes stilbildendes Ideal, das selbst wiederum Entwicklungsschritte durchläuft. Die meist einfache Anfangsidee wird umgesetzt, bis sie zu einer gewissen Perfektion gereift ist, dann wird sie immer weiter getrieben und ausprobiert, bis sie überladen wirkt und die Menschen sie nicht mehr sehen können, sodass darauf wieder ein neues Ideal erwächst, das dominant wird, bis es durch vielfache Ausschmückung vollkommen ausgereizt ist. Dieses Prinzip gilt im Grunde überall, sei es bei der Mode, bei Autos oder bei Handys. Es gibt eine neue Idee, und wenn diese dann so weit ausgebaut und übertrieben gestylt wurde, dass sie kein Mensch mehr sehen kann, schreiten die Hersteller zu etwas Neuem fort. Dabei hat die weitergeführte Idee genauso ihre Berechtigung wie die Anfangsidee. Ich denke da zum Beispiel an die Musik. Wir können die Kompositionen von Bach schätzen wie die von Donizetti. Der eine steht am Anfang, der andere am Ende seiner Epoche. Auch Autos sind ein gutes Beispiel. Oftmals werden sie im Laufe ihres Modelllebens so überladen, dass das ursprüngliche Gestaltungsprinzip und die klare Formensprache kaputtgehen. Solche Fehler der Markengestaltung sind meist erst erkennbar, wenn sie sich am Markt niederschlagen und die Absatzzahlen zurückgehen. Dann muss ein Unternehmen schnellstens zurücksteuern.

Als begeisterter Fahrradfahrer bin ich beileibe kein Autonarr. Aber ich bin der Überzeugung, dass sich eine gute Form prinzipiell sehr lange am Markt halten kann. Porsche ist dafür ein gutes Beispiel. Zwar bin ich noch nie einen gefahren, aber in meinen Augen stellt er eine sehr schöne Form dar. Vom ersten Modell bis heute haben wir zwischendurch viele Variationen sehen können. Die ursprüngliche, unverkennbare Idee war immer vorhanden, die Handschrift blieb gleich. Zwischendurch haben wir Zugeständnisse an den Zeitgeschmack in Form von Ergänzungen erlebt, die uns heute nicht nötig erscheinen, und wir haben auch Bekenntnisse zu klaren Linien, zurück zur ursprünglichen Idee, gesehen. Auch hier gilt: Weniger ist oft mehr. Ähnliche Prozesse lassen sich bei anderen Automarken erkennen, sei es bei Mercedes, BMW oder Audi. Das Zurück zur Schlichtheit und Eleganz der Ursprungsidee ist in gewissen Konjunkturzyklen immer wieder ein großer Marketingtrend.

Der Sinn für Schönheit und seine Auswirkungen auf die Kreativität

Für ein gutes Arbeitsklima im Unternehmen ist es von großer Bedeutung, dass die Umgebung schön ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich in ihren Büros und in den Sitzungsräumen wohlfühlen. Bei uns kann sich jeder bei der Büroausstattung selbst die gewünschten Bilder aussuchen. Ich halte das für eine wichtige Voraussetzung auch für den Erfolg des Unternehmens: Erst wenn der Einzelne sich in seiner Umgebung wohlfühlt, kann er auch seine Fähigkeiten und Talente entfalten. Und blickt man auf die Zeit, die man ein Leben lang bei der Arbeit verbringt, dann wäre es fatal, wenn es dort alles andere als einladend und freundlich wäre. Auch ich selbst finde es ungemein wichtig, dass die Umgebung im Unternehmen schön gestaltet ist und die Mitarbeiter die Arbeits- wie die Pausenzeiten in einer schönen Atmosphäre verbringen können. Die Mitarbeiter wollen stolz sein auf ihre Firma und sich auf ihre Arbeitsstätte freuen können. Sie identifizieren sich leichter, wenn sie in einem Unternehmen arbeiten, das ihnen auch rein äußerlich gefällt. Wenn die Firmengebäude grau und schmutzig erschienen, wäre die Begeisterung sicherlich gedämpfter. Auch eine Schule, die heruntergekommen und dreckig aussieht, wird es schwer haben, Kinder zu erziehen und sie dazu zu bringen, gegenüber ihrer Umwelt Rücksicht zu nehmen. In einer gepflegten Umgebung sind Kinder von sich aus etwas gebremster.

Um solche Dinge kümmere ich mich bei uns im Unternehmen persönlich. Nur gelegentlich, bei Neubauten oder grundlegenden Renovierungen, lassen wir uns auch von außen beraten, sind aber sehr kritisch und lassen uns nichts aufschwatzen.

Und eine weitere Sache erlebe ich als ungemein wichtig: Zur Stärkung einer innovativen Atmosphäre braucht ein Unternehmer vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst einen Sinn für Schönheit haben. In unserer Firma achten wir bei der Schulung junger Menschen darauf, dass sie auch für eine weitergehende Bildung sensibilisiert werden. Mit unseren Auszubildenden gehen wir jährlich einmal in die Oper und erklären ihnen, was da passiert. Und wir machen ein festliches Essen mit ihnen, einfach um zu zeigen, wie so etwas abläuft – in der Hoffnung, es möge sie anregen.

Dahinter steckt die Erfahrung, dass ein kulturell gebildeter Mensch in den meisten Situationen anders reagiert als ein ungebildeter. Ein gebildeter Mensch hat Freude an vielen Dingen, die ein ungebildeter gar nicht mitbekommt. Das können Feinheiten sein, Kleinigkeiten, die dem Gebildeten zur Freude gereichen, eine Klangfolge, die bestimmte Empfindungen auslöst, ein revolutionäres Formmuster, das er wiedererkennt, ein Gespür für Farben und Gestaltungen. Der Volksmund sagt: „Man sieht nur, was man kennt.“ Und ich möchte das noch weiter führen: Wir können nur umsetzen und weiterentwickeln, was wir kennen. Durch die Bildung, die von der Ausbildung im engeren Sinne zu unterscheiden ist, wird der Mensch in die Lage versetzt, zu unterscheiden, was schön und was nicht schön ist. Ein Mensch mit ausgebildetem ästhetischem Urteilsvermögen vermag Dinge zu unterscheiden, bei denen er früher gar keinen Unterschied gesehen hätte. Ein Gespür für Feinheiten, für Zwischentöne stellt sich ein, und damit auch Möglichkeiten und Freiräume, zu assoziieren und Lösungen zu finden.

Auch hier macht es ein Beispiel aus der Kunst deutlich: Wenn ich über geschichtliche Ereignisse informiert bin und mit diesem Wissen Kunstwerke aus der entsprechenden Zeit ansehe, dann vermag ich dabei auch an vieles andere zu denken, was damals passiert ist, und kann es wieder abrufen. Das ist wie ein Film, den ich erneut sehe. Oder nehmen wir die Musik. Derjenige, der sich ein bisschen mehr mit ihr beschäftigt hat, wird ein Musikstück durch wiederholtes Hören immer tiefer erfassen und wird sicher mehr Freude daran erleben können. Ein anderer hat vielleicht eine gewisse Anfangsfreude, doch dann ist es bald vorbei. Wer sich zu wenig mit den Dingen beschäftigt, kann mit seinem vorschnellen Urteil arg danebenliegen. Vor allem aber verschließt sich ihm eine Möglichkeit, Freude zu schöpfen und inneren Reichtum. Um ihm diese zu eröffnen, müssen wir ihn bilden und darauf hinweisen, wie die Dinge gemacht sind.

Wenn Sie heute junge Leute in ein Sinfoniekonzert schicken, von dem sie keine Vorkenntnisse haben, werden die allermeisten auf die Uhr schauen, wann es endlich wieder vorbei ist. Und wenn Sie die jungen Leute in ein Museum schicken, werden sie einfach so durchgehen und schauen, ob sie irgendwo etwas wirklich Auffallendes finden. Haben Sie die jungen Leute vorher aber einmal in die Materie eingeführt und ihnen grundlegende Dinge erklärt, dann gehen sie auch alleine wieder dahin, dann finden sie dort alte Bekannte und können eine Wiedersehensfreude empfinden.

Ob es sich tatsächlich im Unternehmenserfolg niederschlägt, wenn die Mitarbeiter entsprechend gebildet sind, ist natürlich nicht messbar. Es ist ein Wunschdenken von mir. Auf jeden Fall fördert es den inneren Reichtum. Mir liegt es sehr am Herzen, jungen Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft und Ausbildung nie mit gewissen Dingen der Kultur in Berührung gekommen sind, zu zeigen: Da gibt es noch mehr. Und dann mag einer darunter sein, der es schön findet und dem sich eine neue Welt eröffnet. Das wäre schon ein großer Erfolg.

Sehr gut erinnere ich mich daran, dass ich selbst als junger Mensch den Dingen der Kunst gegenüber – mit Ausnahme der Malerei – überhaupt nicht aufgeschlossen war. Ich wollte weder ins Konzert noch in die Oper noch ins Theater, das hat mich nicht berührt. Ein Hauptgrund war sicherlich, dass ich es schlicht nicht kannte und dass mich die Natur draußen damals mehr anzog. Mir stand der Sinn einfach nach anderem. Meine Beziehungen zu Handwerkern, zur praktischen Arbeit und zum Sport waren viel stärker als die zu den Denkern, den geistig Arbeitenden. Für mich war nur das Arbeit, dessen Ergebnis ich sehen konnte. Ein Skispringer hat mich weit mehr beeindruckt als ein Musiker.

Mich musste meine ältere Schwester motivieren. Erst dadurch, dass sie mich zu vielen Ereignissen einfach mitgenommen hat, habe ich die Künste kennen und schlussendlich auch lieben gelernt – und nicht zuletzt darüber viele spannende Bekanntschaften geschlossen. Wenn wir die Menschen nicht hinführen zu den Dingen der Bildung, werden die allermeisten nie etwas von der Vielfalt und dem kulturellen Reichtum der Welt mitbekommen. Darum bin ich auch so ein starker Befürworter des Prinzips der humanistischen Bildung an den höheren Schulen. Würden wir uns in der Pädagogik davon ganz abwenden und an unseren Schulen nur mehr zweckdienliche Fächer unterrichten, brächten wir unsere Jugend um vieles. Wenn jedes Fach, jeder Lerninhalt immer nur allein damit gerechtfertigt würde, dass er eine unmittelbare Anwendbarkeit hat, dann wäre das ein allzu verkürzt gedachtes Modell von Schule. Über die humanistische Bildung werden den jungen Menschen auf einfache Weise Zusammenhänge klargemacht, die sie später ausbauen können. Durch die intensive Beschäftigung mit alten Sprachen und der Geisteshaltung, die hinter zentralen Texten der Antike steckt, wird ihnen etwas vermittelt, das sie irgendwann einmal wieder hervorholen und zu neuen, welthaltigen Verknüpfungen nutzen können. In England ist es nicht umsonst Sitte, dass angehende Banker eben nicht, was naheliegend wäre, nur Betriebswirtschaftslehre studieren, sondern allgemeinbildende Fächer dazu wählen. Das zweckdienliche Denken lernen wir alle früh genug. Für einen Reichtum an Ideen bedarf es weit mehr.



Unser Denken und Handeln wird von vier verschiedenen Faktoren beeinflusst. Da ist zunächst unsere Wahrnehmung, auf die eine Vielzahl verbreiteter Redensarten Bezug nimmt. Wir behalten etwa eine Sache im Auge, manchmal drücken wir auch ein Auge zu. Je länger wir vor einer Sache die Augen verschließen, desto eher fällt es uns irgendwann wie Schuppen von den Augen. Und gewiss wird sich niemand auf etwas verlassen, das er nur vom Hörensagen kennt. Dann schon lieber auf seinen guten Riecher. Zumindest sollte ich merken, wenn eine Sache zum Himmel stinkt.

Dass es so unendlich viele Redensarten rund ums Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken gibt, zeigt aber nicht nur, wie wichtig für uns das Zeugnis unserer Sinne ist. Die obigen Beispiele zeigen auch, dass wir eigentlich Ahnungen und Gefühle meinen, wenn wir von Auge, Ohr, Nase oder Haut sprechen. Sehen oder hören wir doch im Grunde mit dem Gehirn, das sämtliche eingehenden „Daten“ verarbeitet, ohne dass es uns zunächst überhaupt bewusst würde. Im Gegenteil: Was unsere Sinnesorgane empfangen, überschreitet so gut wie nie unsere psychischen Wahrnehmungsschwellen. Denn unser sogenanntes sensorisches Gedächtnis vergisst extrem schnell. Was ich bewusst „höre“ oder „sehe“, ist im Grunde schon ein gedankliches Konstrukt, das mein Gehirn aus einem winzigen Teilbereich der eingegangenen Reize zusammengesetzt hat. Ein Konstrukt, das zudem rasch auf den Prüfstand meiner Wahrnehmungsgewohnheiten, Erfahrungen, Denkweisen oder Vorurteile kommt. Was wiederum dazu führt, dass Menschen ungewohnte Eindrücke nicht selten auch für trügerisch oder unwichtig halten – und beiseite schieben.

Wir wären wohl reine Gewohnheitstiere, hätte unsere sinnliche Erfahrung nicht zwei alternative Routen zur Auswahl, um den geraden Weg vom Wahrnehmen zum Meinen manchmal umgehen zu können: eine extreme Abkürzung und einen mühseligen, aber lohnenden Umweg. Die Abkürzung, das ist die Emotion, das, was wir auch als „Bauchgefühl“ bezeichnen. Der Umweg, das ist das gründliche Nachdenken.

Verstand und Gefühl werden hirnphysiologisch an verschiedenen Stellen verarbeitet. Schließlich hätten wir als Gattung kaum überlebt, wenn unsere frühen Vorfahren in jeder kritischen Situation erst gründlich überlegt oder ausdiskutiert hätten, ob Gefahr droht oder nicht. Ein Großteil unserer Emotionen wird über das limbische System gesteuert, dessen Zentren zu den evolutionär ältesten Teilen unseres Großhirns gehören. Unser rationales Denken, dem seinerseits eine höchst komplexe „Zusammenarbeit“ von Gedächtnis und logisch-abstrakter Symbolverarbeitung zugrunde liegt, sowie unsere sensorischen und motorischen Fähigkeiten hängen dagegen an verschiedenen „jüngeren“ Teilen der Großhirnrinde.

Zwei Strukturen des limbischen Systems – der Amygdala als „Frühwarnsystem“ und dem Nucleus Accumbens als „Belohnungsorgan“ unseres Gehirns – kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie steuern unsere stärksten Emotionen. Und weil das limbische System sehr kurze Drähte zum vegetativen Nervensystem hat, reagieren bei starken Gefühlen wie Freude und Trauer, Überraschung, Zu- und Abneigung oder Angst vor allem jene Organe sehr heftig, die wir traditionell zum Sitz unserer Gefühle erklären: der „Bauch“ und das Herz.

Was wir Intuition nennen, ist daher im Grunde nichts anderes, als unser weitgehend ungebrochenes Vertrauen in deren Regungen. Schließlich sind wir über Jahrmillionen ganz gut damit gefahren. Und auch wenn uns Zivilisationsbürgern nur noch selten echte Gefahren drohen – unsere Welt wird nicht gerade übersichtlicher, unser Wissen und unsere Zeit bleiben begrenzt, die Zukunft ist unsicher. Jede Entscheidung auf Basis aller verfügbaren Informationen und Argumente rational abgewogen zu treffen, würde uns völlig überfordern. Weshalb es durchaus sinnvoll ist, wenn wir zumindest am Anfang auf unser Bauchgefühl hören, wenn wir neue Ideen und Vorhaben angehen wollen. Vor allem, wenn gleich die Alarmglocken läuten, sollten Sie sich die Sache mehr als gründlich überlegen. Wenn dagegen bei einem Geistesblitz sofort ihre Glückshormone überfließen: Vertrauen Sie diesem guten Gefühl – ziehen Sie aber auch in Betracht, dass Liebe blind machen kann.

Das ist nun einmal das Doppelgesicht unserer Intuitionen und Emotionen: Zu großen Teilen orientieren wir unser Handeln an ihnen, nicht an den strengen und aufwendigen Forderungen unseres Verstandes. Und sehr oft funktioniert das erstaunlich gut. Doch manchmal wird der Wunsch auch zum Vater zu vieler oder allzu kühner Gedanken. Dann lassen intuitive Verhaltensregeln und durchaus bewährte „Vorurteile“ uns in Denk- und Entscheidungsfallen tappen.

In solchen Zweifelsfällen hilft, neben kühlem Verstand, meines Erachtens am besten die individuelle Erfahrung, der vierte Faktor, der unser Denken und Handeln beeinflusst. Für mich verbindet die Erfahrung den Verstand mit dem Gefühl, haben doch beide Anteil an ihr. Denn Erfahrung bildet sich erstens aus angesammeltem Wissen, also etwas sehr rationalem; zweitens aus erlernten Fähigkeiten, teils automatisierten, teils sogar rein motorischen Handlungsroutinen; und drittens aus einem schwer zu beschreibenden „Radar“, das uns mehr oder minder bewusst anzeigt, ob wir früher in vergleichbaren Situationen erfolgreich oder weniger klug gehandelt haben.

Was immer Sie anfangen wollen, die Grundregel meines „Hipp-Prinzips“ lautet: Bleiben Sie stets offen für neue, auch für zunächst vielleicht irritierende Eindrücke und Meinungen. Vertrauen Sie Ihrer Intuition. Verlassen Sie sich vor allem auf Ihre Erfahrung. Und wenn es um die Wurst geht: Denken Sie so gründlich wie möglich und so lange wie nötig nach.

Die übrigen sieben Regeln in Kurzform:

  • Machen Sie sich klar, wo Sie stehen: im Verhältnis zu Ihren Wünschen, Träumen und Lebenszielen; im Verhältnis zu anderen Menschen; und im Verhältnis zu den Normen, Sitten und Traditionen Ihrer Umwelt.
  • Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, um eine Sache für Ihr Gefühl gründlich genug zu erwägen; und lassen Sie sich diese Zeit keinesfalls von anderen stehlen.
  • Entscheiden und handeln Sie mit Bedacht, aber entscheiden und handeln Sie dann auch mutig. Und hegen Sie keine übertriebene Furcht vor einem – leider immer möglichen – Scheitern ihrer Pläne.
  • Beziehen Sie klar Stellung. Stehen Sie zu Ihren Ideen und Vorhaben. Aber stehen Sie dann auch zu Ihrer Verantwortung für deren Folgen.
  • Nutzen Sie Ihre Freiheit klug und maßvoll. Bedenken Sie, dass Ihre Freiheit endet, wo die der anderen beeinträchtigt wird. Behalten Sie neben den Chancen die Risiken im Blick. Schätzen Sie Ihre Kräfte möglichst realistisch ein. Und lernen Sie Ihre Grenzen kennen.
  • Bleiben Sie in all Ihrem Tun optimistisch und lassen Sie sich durch nichts entmutigen.
  • Nichtsdestotrotz wird immer ein Quantum Unsicherheit bleiben, und hier hilft letztendlich immer nur eines: Gottvertrauen!