Zwanzig

Die Bresche

Ein freier Mittag

Pläne

 

 

DER BESUCH DER EMPERORS CHILDREN war schmerzlich kurz, und die beiden Primarchen verbrachten die gesamte Zeit gemeinsam hinter verschlossenen Türen, während ihre Krieger Übungskämpfe austrugen, tranken und über den Krieg redeten. Was der Kriegsmeister und Fulgrim auch besprochen hatten, es schien den Primarchen der Emperors Children davon überzeugt zu haben, dass alles bestens war, und drei Tage später formierte sich eine Ehrengarde am oberen Transitdock, als sich die Emperors Children von den Sons of Horus verabschiedeten.

Saul Tarvitz und Torgaddon wünschten sich ein herzliches Auf Wiedersehen, während Lucius und Loken einander trocken die Hände schüttelten und daran dachten, wie sie das nächste Mal die Klingen kreuzen würden. Eidolon nickte Torgaddon und Loken kurz zu, während sich Apothekarius Fabius wortlos verabschiedete.

Fulgrim und Horus wechselten eine brüderliche Umarmung und flüsterten Worte, die niemand sonst hören konnte. Der wunderbar perfekte Primarch der Emperors Children wandte sich mit einer verschnörkelten Bewegung der Druckschleuse zu und verließ die Rächender Geist mit wehendem Schuppenumhang.

Etwas glitzerte unter dem Umhang, und Loken fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als er einen flüchtigen Blick auf ein schrecklich vertrautes goldenes Schwert erhaschte, das um Fulgrims Hüfte gegürtet war.

Loken sah, dass die Eiserne Zitadelle treffend benannt war. Ihre glänzenden Mauern ragten aus dem Fels wie scharfkantige Metallzähne. Das vormittägliche Licht wurde von den schimmernden Mauern reflektiert, die Luft flimmerte im Dunst von Energiefeldern, und Wolken aus Metallsplittern regneten von selbstreparierenden Schanzen nieder. Die äußeren Bereiche der Festung lagen in Trümmern, das Ergebnis einer viermonatigen Belagerung durch die Krieger Angrons und die Kriegsmaschinen des Mechanicums.

Der Dies Irae und die anderen Titanen bombardierten täglich die Mauern mit Sprenggranaten und knisternden Energiestrahlen und drängten die Bruderschaft so langsam, aber sicher zu dieser ihrer letzten Bastion zurück.

Die eigentliche Zitadelle war ein kolossaler Halbmond vor einer Ansammlung aus weißen Bergen, deren Zugang durch eine Unzahl Schanzen bewacht wurde. Die meisten dieser Befestigungen waren kaum mehr als rauchende Trümmer, und die Legio Reductor des Mechanicums hatte beängstigende Mengen Geschützmunition verbraucht, um sie zur Vorbereitung des Sturms auf die Eiserne Zitadelle dem Erdboden gleichzumachen.

Nach Monaten beständigen Granatbeschusses waren die glänzenden Mauern der Zitadelle schließlich geborsten und wiesen eine halben Kilometer breite Bresche auf. Die Zitadelle war sturmreif, aber die Bruderschaft würde bis zum bitteren Ende kämpfen, und Loken wusste, dass die meisten Krieger, die diese Bresche erklommen, sterben würden.

Er wartete auf den Einsatzbefehl, wissend, dass ein Sturmangriff auf eine Befestigung der sicherste Weg für einen Krieger war, den Tod zu finden.

Statistisch gesehen war der Tod eine Beinahe-Gewissheit, wenn man die Mauern einer gut verteidigten Festung erstürmte und er war daher verpflichtet, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.

»Wird es bald losgehen, was meinst du, Garvi?«, fragte Vipus, der zum zigstenmal den Einschaltmechanismus seines Kettenschwerts prüfte.

»Ich glaube schon«, sagte Loken, »aber ich kann mir vorstellen, dass die World Eater die Ersten sein Werden.«

»Sie können die Ehre gern haben«, grunzte Torgaddon und überraschte Loken mit dieser Außerung. Normalerweise war Torgaddon der Erste, der einen Platz in der Speerspitze einer Schlacht beanspruchte, obwohl er bereits einige Zeit in sich gekehrt und missmutig war. Er ließ sich nicht über die Gründe dafür aus, aber Loken wusste, dass es mit Aximand und Abaddon zu tun hatte.

Die anderen beiden Mitglieder des Mournival hatten im Laufe dieses Krieges praktisch nur mit ihnen geredet, wenn es organisatorisch notwendig gewesen war. Auch waren die vier seit Davin nicht mehr gemeinschaftlich mit dem Kriegsmeister zusammengetroffen.

Defacto existierte das Mournival nicht mehr.

Der Kriegsmeister war sein eigener Ratgeber, und Loken stimmte mit Iacton Qruzes Äußerung überein, die Legion habe ihre Richtung verloren. Die Worte des »Halbgehörten« hatten kein richtiges Gewicht bei den Sons of Horus, und die Beschwerden des betagten Veteranen wurden weitgehend ignoriert.

Lokens wachsender Argwohn hatte neue Nahrung erhalten, und zwar durch das, was Apothekarius Vaddon ihm erzählt hatte, als er gleich nach dem Abflug der Emperors Children zum Sanitätsdeck geeilt war.

Er hatte den Apothekarius mitten in einer Operation angetroffen, da er sich um die Verwundeten der Legion kümmerte, und der geflieste Boden war glitschig von geronnenem Blut.

Loken war nicht so dumm gewesen, Vaddon bei der Arbeit zu stören, und hatte gewartet.

»Das Anathame?«, wollte Loken schließlich wissen. »Wo ist es?«

Vaddon blickte von dem Waschbecken auf, wo er sich das Blut von den Händen wusch.

»Hauptmann Loken. Das Anathame? Ich habe es nicht mehr. Ich dachte, Sie wüssten es.«

»Nein, ich wusste es nicht. Was ist damit passiert? Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen niemandem erzählen, dass Sie es haben.«

»Und ich habe es auch niemandem erzählt«, sagte Vaddon wütend.

»Er wusste es bereits.«

»Er?«, fragte Loken. »Von wem reden Sie?«

»Von Fabius, dem Apothekarius der Emperors Children«, sagte Vaddon. »Vor ein paar Stunden ist er zu mir gekommen und hat mir gesagt, er sei autorisiert, es zu holen.«

Loken überlief es kalt. »Autorisiert von wem?«

»Vom Kriegsmeister«, sagte Vaddon.

»Und Sie haben es ihm gegeben?«, fragte Loken.

»Einfach so?«

»Was hätte ich denn tun sollen?«, fauchte Vaddon.

»Dieser Fabius hatte das Siegel des Kriegsmeisters. Ich musste es ihm geben.«

Loken holte tief Luft. Der Apothekarius hatte wirklich keine Wahl gehabt, wenn ihm Horus' Siegel präsentiert worden war. Die Monate von Vaddons Forschung an der Waffe hatten bisher keine Resultate erbracht, und mit ihrem Verschwinden aus der Rächender Geist waren alle Hoffnungen, ihre Geheimnisse zu ergründen, für immer zunichtegemacht worden.

Eine knisternde Stimme in Lokens Helm riss ihn aus seinen trübsinnigen Erinnerungen an den zweiten Diebstahl des Anathame, und er konzentrierte sich auf die Schlachtordnung, die über den Ohrhörer kam.

Tatsächlieh würden die World Eaters vorangehen, und zwar mit einer vollen Sturmkompanie, die von Angron persönlich angeführt und von zwei Kompanien der Sons of Horus unterstützt würde, der Zehnten und der Zweiten: Lokens und Torgaddons.

Torgaddon und Loken wechselten einen unbehaglichen Blick. Dass ihnen die Ehre zuteilwurde, durch die Bresche zu stürmen, schien im Widerspruch zu ihrem aktuellen Status in der Legion zu stehen, aber der Befehl war erteilt worden und ließ sich nicht mehr ändern. Armee-Regimenter würden folgen, um das Gelände zu sichern, das die Astartes erobern würden, und diese Abteilungen würde Hektor Varvarus persönlich anführen.

Loken und Torgaddon schüttelten sich die Hand, und Loken sagte: »Wir sehen uns drinnen, Tarik.«

»Versuch, dich nicht umbringen zu lassen, Garvi.« »Danke für die Erinnerung«, sagte Loken. »Ich dachte eigentlich, das wäre der Witz dabei.«

»Mach keine Scherze, Garvi«, sagte Torgaddon. »Es ist mein Ernst. Ich glaube, wir werden die gegenseitige Unterstützung brauchen, bevor dieser Feldzug vorbei ist.«

»Was willst du damit sagen?«

»Schon gut«, sagte Torgaddon. »Wir reden darüber, sobald die Zitadelle uns gehört, hm?«

»Ja, wir teilen uns eine Flasche Siegerwein in den Ruinen der Zitadelle der Bruderschaft.«

Torgaddon nickte und sagte: »Aber du gibst einen aus.«

Sie schüttelten sich noch einmal die Hände, und Torgaddon trabte zu seinen Kriegern, um sie auf den Beginn des blutigen Sturmangriffs vorzubereiten.

Loken schaute ihm hinterher und fragte sich, ob er seinen Freund lebend wiedersehen würde und sie sich anschließend eine Flasche teilen konnten. Er verdrängte diese defätistischen Gedanken und machte sich auf den Weg durch seine eigene Kompanie, um Befehle zu erteie und Worte der Aufmunterung zu sprechen.

Als weiter unten auf dem Hügel lauter Jubel ausbrach, drehte er sich um. Eine Kriegerkolonne in den blau-weißen Rüstungen der World Eater marschierte zur Bresche.

Die Sturmtruppen waren ungeschlachte Krieger mit massigen Kettenäxten und schweren Sprungmodulen. Sie waren destillierte Brutalität, und die konzentrierte Gewalttätigkeit formte aus ihnen die furchterregendsten Nahkämpfer, die Loken je gesehen hatte.

Primarch Angron führte sie an.

 

Angron, der Blutige. Der Rote Engel.

Loken hatte all diese Namen und noch mehr für Angron gehört, aber keiner wurde der schieren Körperlichkeit des Primarchen gerecht. In eine uralte Gladiatorenrüstung gehüllt, war Angron wie ein Krieger aus einem vergessenen heroischen Zeitalter. Ein funkelnder Netzumhang aus Kettenpanzer hing von seinem hohen Kragen und den Schulterschützern herab, in den Schädel eingearbeitet waren barbarische Trophäen.

Er war bis an die Zähne mit Kurzschwertern und Dolchen von der Länge eines Kettenschwerts der Astartes bewaffnet. Eine schmucke Pistole antiker Konstruktion war an jedem Oberschenkel gehalftert, außerdem führte er eine monströse Kettengleve, deren Größe alles überstieg, was Loken glauben konnte.

»Lebendiger Thron ...«, hauchte Nero Vipus, als sich Angron näherte.

»Ich hätte es nicht geglaubt, würde ich es nicht mit eigenen Augen sehen.«

»Ich weiß, was du meinst«, antwortete Loken. Das primitive, barbarische Äußere des gewaltigen Primarchen erinnerte ihn an die blutigen Geschichten, die er in den Chroniken von Ursh gelesen hatte.

Angrons Gesicht mit seinen dicken, vernarbten und blutigen Zügen versprach Morde. Dunkles Eisen funkelte auf seiner Kopfhaut, wo Schädelimplantate die ohnehin furchteinflößende Aggressivität noch verstärkten. Die Implantate waren vor Jahrhunderten in Angrons Hirn eingesetzt worden, als er ein Sklave gewesen war, und obwohl es die Technologie gab, um sie wieder zu entfernen, hatte er es nie gewollt.

Der Primarch marschierte vorbei und warf dabei einen Blick auf die Männer der 10. Kompanie, als er seine Krieger zum Aderlass führte. Loken schauderte bei seinem Anblick, denn in den Augen mit den schweren Lidern sah er nur Tod, und er fragte sich, welche schrecklichen Gedanken Angron durch den gemarterten Kopf gehen mussten.

Kaum war der Primarch der World Eaters vorbei, als das Bombardement begann und die Geschütze der Legio Mortis Salven von Raketen und Granaten durch die Bresche jagten.

Loken beobachtete, wie Angron seine Angriffsbefehle mit kurzen Gesten seiner Gleve gab, und einen Moment empfand er Mitleid für die Krieger der Bruderschaft in der Zitadelle. Sie waren zwar verschworene Feinde, aber er beneidete sie nicht um die Aussicht, gegen diesen lebenden Avatar des Blutes zu kämpfen.

Ein grausiger Kriegsruf ertönte aus den Reihen der World Eaters, und Loken beobachtete, wie Angron seine Krieger durch ein krudes Ritual der Skarifizierung führte. Die Krieger zogen den linken Panzerhandschuh aus, fuhren sich mit der Axt über die Handfläche und schmierten sich das Blut über das Helmvisier, während sie Lobgesänge auf Tod und Blutvergießen anstimmten.

»Mir tun die armen Schweine in der Zitadelle beinahe leid«, sagte Vipus und sprach damit Lokens Gedanken aus.

»Höchste Bereitschaft für alle«, befahl er.

»Wir rücken aus, wenn die World Eaters die Bresche erreicht haben.«

Er hielt Nero Vipus die Hand hin und sagte: »Töte für die Lebenden.«

»Töte für die Toten«, antwortete Vipus.

Der Sturmangriff begann in einer Rauchwolke, als die World Eaters die unteren Hänge der Bresche mit tosenden Schüben ihrer Sprungmodule erklommen. Die Bresche selbst und die Mauer ringsumher waren in die Explosionen des Beschusses durch die Titanen gehüllt, und die Vorstellung, jemand könne ein derartiges Gewitter überleben, schien Loken unmöglich zu sein.

Während die World Eaters die Geröllhänge erstürmten, kletterten Loken und seine Krieger über die verbogenen, geschwärzten Eisenträger, die aus den Mauern über ihnen gesprengt worden waren. Sie rückten vor und schossen dabei mit ihren eigenen Waffen in die Bresche, bevor die Sturmtruppen ihr Ziel erreichten.

Der Hang war steil, aber gut zu erklimmen, und sie kamen stetig voran. Hin und wieder prallten Kugeln und Laserstrahlen von den Felsen oder ihren Rüstungen ab, aber auf diese Entfernung konnten sie ihnen nichts anhaben.

Fünfhundert Meter weiter links sah Loken Torgaddon, wie er die Zweite Kompanie im Kielwasser der World Eaters den Hang emporführte. Die beiden Kompanien der Sons of Horus schützten die verwundbaren Flanken der Sturmtruppen und hielten schwerere Waffen bereit, um die Bresche zu sichern.

Hinter den Astartes folgten die Soldaten von Hektor Varvarus' Byzantiner Janitscharen in ihren langen cremefarbenen Jacken mit Goldbesatz. In feierlicher Galauniform in die Schlacht zu ziehen, kam Loken lächerlich vor, aber Varvarus hatte erklärt, er und seine Männer würden die Zitadelle nicht betreten, wenn sie nicht wie aus dem Ei gepellt aussähen.

Loken wendete sich vom prächtigen Anblick der marschierenden Soldaten ab, als er einen tiefen Basston grollen hörte, der direkt aus dem Boden zu kommen schien. Pulverisiertes Geröll und Felsen tanzten, als die Vibrationen immer stärker wurden, und Loken spürte, dass etwas ganz entschieden nicht stimmte. Voraus konnte er erkennen, wie Angron und die World Eaters die Bresche erreichten.

Flammende Rauchsäulen umgaben Angron, und Loken hörte das Triumphgebrüll des gewaltigen Primarchen sogar über die donnernden Explosionen der Schlacht hinweg.

Das Grollen wurde lauter und heftiger, und Loken musste sich an einem verrosteten Träger festhalten, um auf den Beinen zu bleiben, da der Boden weiterhin schwankte wie bei einem gewaltigen Erdbeben. Große Risse spalteten den Boden, aus denen gewaltige Feuersäulen in die Höhe schossen.

»Was geht hier vor?«, überschrie er den Lärm.

Niemand antwortete, und Loken fiel, als die Bresche plötzlich in einer Flammenwand explodierte, die sich viele hundert Meter hoch in die Luft schraubte. Gestein und Metall wurden himmelwärts geschleudert, als der obere Teil der Mauer in einer gewaltigen seismischen Detonation verschwand.

Wie die Bunker in der Stadt zerstörte die Bruderschaft alles, was sie nicht halten konnte, und Lokens reaktive Sinne schalteten sich angesichts der Überfrachtung mit Licht und Lärm aus. Verbogene Trümmer regneten rings um sie nieder, und Loken hörte Schmerzensschreie und das Krachen berstender Rüstungen, als Dutzende seiner Männer von den herabstürzenden Felsen zermalmt wurden.

Staub und Materie erfüllten die Luft, und als sich Loken sicher genug fühlte, um sich zu bewegen, sah er mit Entsetzen, dass das gesamte Gebiet in und um die Bresche dem Erdboden gleichgemacht worden war.

Angron und die World Eaters waren verschwunden, unter den Trümmern eines Bergs begraben.

Torgaddon sah dasselbe und rappelte sich auf. Er brüllte
seine Krieger an, um sie auf die Beine zu scheuchen, und
stürmte den Ruinen der Bresche entgegen. Verdreckte, staubbedeckte Krieger kletterten aus den Trümmern und folgten ihrem Hauptmann, während er sie nach oben und möglicherweise in den Tod führte.

Torgaddon wusste, dass sein Handeln wahrscheinlich selbstmörderisch war, aber er hatte gesehen, wie Angron unter dem Berg begraben worden war, und ein Rückzug kam nicht infrage.

Er aktivierte die Klinge seines Kettenschwerts und stürmte den Hang mit dem wilden Ruf der Sons of Horus auf den Lippen empor.

»Lupercal! Lupercal!«

 

Loken sah, wie sich sein Bruder aus den Nachwehen der Explosion erhob wie ein wahrer Held, und begann mit seinem eigenen Sturm auf die Bresche. Nichts sprach dagegen, dass noch eine zweite seismische Mine in der Bresche versteckt war, aber der Anblick des durch die Bruderschaft begrabenen Primarchen löschte alle Gedanken an eine taktischere Reaktion als einen Sturmangriff aus.

»Krieger der Zehnten!«, brüllte er.

»Zu mir! Lupercal!«

Lokens überlebende Männer rafften sich aus den Trümmern auf und folgten ihm, während der Name des Kriegsmeisters von den Bergen widerhallte. Loken sprang von Felsen zu Felsen und kletterte schneller bergauf, als er es für möglich gehalten hätte, da seine Wut grell und heiß loderte. Er war bereit, gegen die Bruderschaft zu üben, Vergeltung für das, was sie im Namen des Trotzes angerichtet hatte, und nichts würde ihn daran hindern.

Loken wusste, dass er die Bresche erreichen musste, bevor die Bruderschaft erkannte, dass ihre Strategie nicht alle Angreifer getötet hatte. Er rannte weiterhin aufwärts und setzte dabei die ganze erhöhte Muskelkraft ein, die ihm seine Rüstung gewährte. Oben blitzte ein Gewitter aus Gewehrfeuer: Laserstrahlen und Kugeln prallten gegen Felsen und Metalltrümmer. Ein großkalibriges Geschoss streifte einen seiner Schulterschützer und wirbelte ihn halb herum, doch Loken schüttelte den Streifschuss einfach ab und stürmte weiter.

Die brüllende Flut der Astartes erklomm die Bresche, wobei die letzten Strahlen der Morgensonne auf dem leuchtenden Grün ihrer Rüstungen glitzerten. So viele Krieger in der Schlacht zu sehen, war wunderbar, eine unaufhaltsame Welle des Todes, die jeglichen Widerstand in einem Gewitter aus Gewehrfeuer und Klingen hinwegfegen würde.

Alle Taktik war jetzt akademisch, denn der Anblick von Angrons Fall ließ alle Krieger ihre Zurückhaltung vergessen. Loken konnte die silbern glänzenden Rüstungen von Kriegern der Bruderschaft sehen, die in die Überreste der Bresche kletterten und dabei schwere, auf Stativen montierte Waffen hinter sich herzogen.

»Boltgewehre!«, rief er. »Feuer eröffnen!«

Das Ende der Bresche verschwand, als ein Geschosshagel explodierte.

Funken und Fleischfetzen flogen, während die Patronen der Astartes ihre Ziele trafen, und obwohl viele aus der Hüfte schossen, lagen die meisten Schüsse tödlich genau.

Der Lärm war unglaublich. Hunderte Geschosse rissen die feindlichen Krieger in Fetzen, und Wolfsgeheul hallte, als sich die durch die Bresche stürmenden Astartes wieder in Luna Wolves verwandelten. Loken warf sein leeres Boltgewehr beiseite, zog das Kettenschwert und aktivierte es, als er über die rauchenden Felsen hinwegsetzte, die Angron und die World Eaters zermalmt hatten jenseits der Mauern der Eisernen Zitadelle lag ein ausgedehnter Platz, der mit Geschützstellungen und Stacheldrahtrollen bedeckt war. Ein von Granateinschlägen zerfressener Burgfried war in den Berg gehauen, doch seine Tore lagen in Trümmern, und schwarzer Rauch quoll aus seinen Schießscharten. Krieger der Bruderschaft strömten aus den Ruinen der Mauer zu diesen vorbereiteten Stellungen, aber sie hatten den richtigen Moment für ihr Rückzugsmanöver verpasst.

Die Sons of Horus waren bereits unter ihnen und metzelten sie mit brutalen Hieben ihrer Kettenschwerter nieder oder erschossen sie, wenn sie flohen. Loken hieb sich durch einen Trupp Bruderschaftskrieger, die sich zum Kampf stellten, und tötete drei von ihnen mit ebenso vielen Schwerthieben, während er dem letzten Gegner mit einem Ellbogenstoß den Schädel zertrümmerte.

Alles war ein einziges Pandämonium, als die Sons of Horus innerhalb der Eisernen Zitadelle Amok liefen und ihre Verteidiger mit unvorstellbarer Gewalttätigkeit niedermetzelten. Loken tötete und tötete und schwelgte im Vergießen feindlichen Blutes, und ihm ging auf, dass der Krieg mit diesem Sieg vorbei sein würde.

Mit diesem Gedanken durchdrang die kalte Realität den roten Nebel seiner Wut. Sie hatten gesiegt, und er sah bereits, wie dieser Sieg zu einem Massaker geriet.

»Garviel!«, rief eine verzweifelte Stimme über Interkom. »Garviel, kannst du mich hören?«

»Laut und deutlich, Tarik!«, antwortete Loken.

»Wir müssen das beenden!«, rief Torgaddon. »Wir haben gewonnen. Es ist vorbei. Nimm deine Kompanie zurück.«

»Verstanden«, sagte Loken, erfreut, dass Torgaddon ebenso dachte wie er selbst.

Kurz darauf tönten schroffe Befehle durch das Interkom, die rasch die Runde machten.

Als die Echos der Schlacht schließlich verhallt waren, sah Loken, dass die Astartes mit Mühe und Not gerade noch verhindert hatten, in einen Abgrund der Barbarei zu fallen, aus dem sie vielleicht nie wieder aufgetaucht wären. Blut, Leichen und der Gestank der Schlacht waren allgegenwärtig, und als Loken in den wunderbar klaren Himmel schaute, sah er, dass die Sonne beinahe den Zenit erreicht hatte.

Der letzte Sturm auf die Eiserne Zitadelle hatte weniger als eine Stunde gedauert und doch einen Primarchen, Hunderte World Eaters und Tausende der Bruderschaft das Leben gekostet, und der Imperator allein wusste, wie vielen Sons of Horus.

Das Massengemetzel war eine furchtbare Vergeudung von Leben für eine bescheidene Beute: ruinierte Städte, eine dezimierte und feindselige Bevölkerung und eine Welt, die mit Sicherheit bei erster Gelegenheit rebellieren würde.

War die Eingliederung dieser Welt ein solches Blutvergießen wert?

Die Mehrzahl der Bruderschaftskrieger war in diesen letzten Minuten gestorben, aber noch viel mehr waren Gefangene der Sons of Horus.

Loken setzte seinen Helm ab und atmete gierig die klare Luft ein, deren Frische nach der wiederaufbereiteten Luft in seiner Rüstung wie süßer Wein schmeckte. Er ging durch die Trümmer der Schlacht, die zerfetzten Überreste feindlicher Krieger, die wie Unrat überall auf dem Platz lagen.

Er fand Torgaddon kniend, ebenfalls ohne Helm und schwer atmend. Sein Freund blickte zu ihm auf und lächelte schwach.

»Tja ... wir haben es geschafft.«

»Ja«, stimmte Loken traurig zu, während er sich die blutigen Überreste ansah. »Das haben wir, nicht wahr?«

Loken hatte schon Tausende Feinde getötet und würde in zukünftigen Kriegen weitere töten, doch die Grausamkeit dieser Schlacht hatte ihm den Triumph des Siegs verdorben.

Die beiden Hauptmänner drehten sich um, als sie das Getrappel von Schritten hinter sich hörten. Die führenden Bataillone der Byzantiner Janitscharen waren schließlich in der Zitadelle angekommen. Loken konnte das Entsetzen in den Gesichtern der Soldaten sehen und wusste, dass der Ruf der Astartes mit jedem Mann, der einen Fuß in die Zitadelle setzte, Schaden nehmen würde.

»Varvarus ist da«, sagte Loken.

»Gerade im richtigen Augenblick, nicht?«, fragte Torgaddon. »Das wird ihm seine Stimmung uns gegenüber sicher versüßen.«

Loken nickte und beobachtete nur, wie die reich geschmückten Kommandoeinheiten der Byzantiner Janitscharen in die Zitadelle eindrangen. Ihre hohen blauen Banner flatterten im Wind, glänzend dekorierte Offiziere begutachteten das Schlachtfeld.

Hektor Varvarus stand auf dem höchsten Punkt der Bresche und betrachtete die Szenerie, und seine entsetzte Miene war auch aus der Ferne leicht zu erkennen. Loken spürte seine Abneigung gegenüber Varvarus wachsen, als er dachte: Dafür sind wir erschaffen worden, was hast du also erwartet?

»Sieht aus, als seien ihre Anführer hier, um sich Varvarus zu ergeben«, sagte Torgaddon, indem er auf eine lange Kolonne geschlagener Männer und Frauen zeigte, die aus den rauchenden Trümmern des Burgfrieds kamen und rote und silberne Banner vor sich hertrugen.

Hundert Krieger in ramponierten Rüstungen marschierten mit ihnen, die langläufigen Waffen geschultert und auf den Boden gerichtet.

Berobte Magi und behelmte Offiziere führten die Kolonne mit gesenkten Köpfen an, da sie sich mit ihrer Kapitulation abgefunden hatten. Nach dem Sturm des Platzes war die Zitadelle verloren, und die Anführer der Bruderschaft wussten es.

»Komm«, sagte Loken. »Das ist Geschichte. Da keine Memoratoren hier sind, können ebenso gut wir daran teilnehmen.«

»Ja«, stimmte Torgaddon zu, indem er sich erhob.

Die beiden Hauptmänner gingen parallel zu der Kolonne der geschlagenen Bruderschaftskrieger, und nach kurzer Zeit waren sie von allen Sons of Horus umgeben, die den Sturm auf den Platz überlebt hatten.

Loken beobachtete, wie Varvarus den rückwärtigen Hang der Bresche herunter und den Anführern der Technokratie von Aureus entgegenmarschierte.

Er verbeugte sich förmlich und sagte: »Ich bin Lordkommandant Hektor Varvarus, Kommandant der Armeen des Imperators in der 63. Expedition. Mit wem habe ich die Ehre?«

Ein älterer Krieger in goldener Rüstung trat aus den Reihen seiner Männer. Das schwarz-silberne Wappen wurde von einem höchstens sechzehnjährigen Burschen auf einer Fahnenstange getragen.

»Ich bin Ephraim Guardia«, sagte er, »Oberster Präzeptor des Ordenskommandos der Bruderschaft und Kastellan der Eisernen Zitadelle.«

Loken konnte die Anspannung in Guardias Gesicht sehen und wusste, dass der Kommandant im Angesicht des soeben erlebten Massakers seine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen musste.

»Ich frage Sie«, sagte Guardia. »Werden in Ihrem Imperium alle Kriege so ausgefochten?«

»Der Krieg ist ein rauer Lehrmeister, Oberster Präzeptor«, antwortete Varvarus. »Blut wird vergossen und Leben zerstört. Ich kann den Kummer über Ihre Verluste nachvollziehen, aber zu viel Trauer um die Toten ist Wahnsinn. Sie ist eine Qual für die Lebenden, und die Toten haben nichts davon.«

»Gesprochen wie ein Tyrann und ein Schlächter«, knurrte Guardia, und Varvarus ärgerte sich über den Mangel an Etikette bei seinem besiegten Feind.

»Mit der Zeit werden Sie erkennen, dass Krieg nicht das ist, wofür das Imperium steht«, versprach Varvaras.

»Der Große Kreuzzug des Imperators zielt darauf ab, den verschollenen Ablegern der Menschheit Vernunft und Erleuchtung zu bringen. Ich verspreche Ihnen, dass diese ... Unerfreulichkeiten bald vergessen sein werden, da wir in ein neues Zeitalter des Friedens eintreten.«

Guardia schüttelte den Kopf und griff in einen Beutel an seiner Hüfte. »Ich glaube, Sie irren. Aber Sie haben uns besiegt und meine Meinung ist nichts mehr wert.« Er entrollte ein Pergament. »Ich werde Ihnen unsere Erklärung vorlesen, Varvarus. Alle meine Offiziere haben sie unterzeichnet, und sie soll ein Zeugnis unserer Versuche sein, Ihnen zu trotzen.«

Guardia räusperte sich und fing an. »Wir haben gegen den heimtückischen Kriegsmeister gekämpft, um unsere Lebensart zu bewahren und uns dem Joch der imperialen Herrschaft zu widersetzen. In Wahrheit haben wir nicht für den Ruhm oder Reichtum und auch nicht für die Ehre gekämpft, sondern für die Freiheit, die kein ehrlicher, aufrechter Mann je aufgeben wollte. Doch unsere größten Krieger können gegen die Grausamkeit Ihres Krieges nichts ausrichten, und anstatt unsere Kultur auslöschen zu lassen, ergeben wir uns mit dieser Zitadelle und unsere Welten Ihnen. Mögen Ihre Herrschaft in Frieden freundlicher sein als Ihre Kriegsführung.«

Bevor Varvaras auf die Erklärung des Obersten Präzeptors reagieren konnte, bewegten sich ächzend die Trümmer hinter ihm. Risse bildeten sich, während etwas Furchtbares aus dem Boden in die Höhe drängte.

Zuerst glaubte Loken, es handle sich um die zweite seismische Mine, die er befürchtet hatte, doch dann sah er, dass sich dieses Beben auf ein sehr viel kleineres Gebiet konzentrierte. Janitscharen sprengten auseinander, und Männer stießen alarmierte Rufe aus, als mehr Trümmer aus der Bresche auf den Platz kollerten.

Loken umklammerte sein Schwertheft, als er sah, dass viele Bruderschaftskrieger nach ihren Waffen griffen.

Dann explodierte die Bresche mit dem Knirschen berstenden Gesteins, und etwas Gewaltiges und Rotes brach mit einem bestialischen Gebrüll voller Hass und Blutgier aus dem Boden. Soldaten flogen beiseite, von der Gewalt seines jähen Auftauchens davongeschleudert.

Angron ragte vor ihnen auf, blutverschmiert und erzürnt, und Loken staunte, dass er überhaupt noch lebte, nachdem viele tausend Tonnen Gestein auf ihn eingestürzt waren. Aber Angron war ein Primarch, und was — abgesehen von einem Anathame — konnte einen wie ihn wirklich niederwerfen?

»Blut für Horus!«, schrie Angron, sprang aus der Bresche und landete mit einem donnernden Krachen, und der Aufprall spaltete das Gestein unter ihm. Seine Kettengleve beschrieb einen Bogen und zerhackte die gesamte vordere Reihe Bruderschaftskrieger in blutige Fetzen. Ephraim Guardia starb in den ersten Sekunden, nachdem ihm die Gleve durch die Brust fuhr.

Angron heulte vor Kampfeslust, während er sich mit weiten Schwüngen seiner monströsen, tosenden Waffe durch die Bruderschaft metzelte. Der Wahnsinn seines Massakers war grauenerregend, aber die Krieger der Bruderschaft hatten nicht die Absicht, kampflos zu sterben.

»Nicht! Aufhören!«, rief Loken, aber es war bereits zu spät. Die restlichen Krieger der Bruderschaft legten ihre Gewehre an und schossen auf die Sons of Horus und den tobenden Primarchen.

»Feuer eröffnen!«, rief Loken, denn er hatte keine Wahl.

Gewehrfeuer schlug in die Reihen der Bruderschaft, ein auf diese Entfernung absolut tödlicher Hagel aus Sprenggeschossen.

Der Lärm war ohrenbetäubend und entsetzlich kurz, da die Bruderschaft von den Astartes gnadenlos niedergemäht und von Angron in Stücke gehackt wurde.

Binnen Sekunden war es vorbei, und die letzten Überlebenden der Bruderschaft waren tot.

Verzweifelte Rufe nach Sanitätern kamen von den Kommandoeinheiten der Janitscharen, und Loken sah eine Gruppe blutverschmierter Soldaten auf den Knien rings um einen gefallenen Offizier, deren cremefarbene Uniformjacke rot gefärbt war.

Das Gold in seinen Orden funkelte im kalten Mittagslicht, und als einer der knienden Soldaten seine Stellung änderte, erkannte Loken den Gefallenen.

Hektor Varvarus lag in einer rasch größer werdenden Blutlache, und selbst aus der Entfernung konnte Loken klar erkennen, dass es keine Rettung für ihn gab. Der Körper des Mannes war von innen aufgerissen, und die Enden gesplitterter Rippen ragten glänzend aus der Brust, wo ganz offensichtlich ein Boltgeschoss explodiert war.

Loken weinte, denn er begriff, dass der labile Frieden gebrochen war, und er ließ sein Schwert angewidert fallen. Nach Angrons sinnlosem Angriff waren seine Krieger in Gefahr gewesen, und ihm war keine andere Wahl geblieben, als den Gegenangriff zu befehlen.

Dennoch bedauerte er es.

Die Bruderschaft war ein ehrenhafter Gegner gewesen, und die Sons of Horus hatten sie abgeschlachtet wie Vieh. Angron stand inmitten des Gemetzels, und die immer noch tosende Kettenklinge bespritzte die Krieger in seiner Nähe mit Blut.

Die Sons of Horus jubelten dem Primarchen der World Eaters zu, doch beim Anblick solcher Barbarei verspürte Loken tief in seiner Seele Schmerz.

»Das war keine Art für Krieger zu sterben«, sagte Torgaddon.

»Ihr Tod ist eine Schande für uns alle.«

Loken antwortete nicht. Er konnte nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einundzwanzig

Erleuchtung

 

 

MIT DEM FALL DER EISERNEN ZITADELLE war der Krieg

auf Aureus vorbei. Die Kampfkraft der Bruderschaft war zerstört, und wenngleich es noch hier und da vereinzelte Widerstandsnester gab, die ausgehoben werden mussten, waren die Kämpfe so gut wie eingestellt. Die Verluste waren auf beiden Seiten hoch, vor allem bei den Armee-Einheiten der Expedition.

Hektor Varvarus wurde mit gebührender Ehrerbietung zur Flotte zurückgebracht, und sein Leichnam wurde in einer Zeremonie dem All übergeben, der die hochrangigsten Offiziere der Expedition beiwohnten.

Der Kriegsmeister hielt persönlich die Grabrede für den Lordkommandanten, und die Leidenschaft und Tiefe seines Kummers war für alle offensichtlich.

»Heldentum ist nicht nur im Mann, sondern auch im Anlass«, hatte er über den Lordkommandanten gesagt.

»Nur, wenn wir jetzt hinschauen und den Erfolg sehen, werden Menschen sagen, dass es ein glückliches Ereignis war. Aber das war es nicht. Wir haben an diesem Tag viele tausend unserer besten Krieger verloren, und ich spüre den Verlust jedes einzelnen. Hektor Varvarus war ein Anführer, der wusste, dass man, wenn man mit den Göttern marschieren will, warten muss, bis man ihre Schritte hallen hört, um dann aufzuspringen und sich am Saum ihrer Gewänder festzuhalten.

Varvarus ist von uns gegangen, aber er würde nicht wollen, dass wir voller Trauer um ihn innehalten, denn die Geschichte ist ein unbarmherziger Lehrmeister. Sie hat keine Gegenwart, sondern nur Vergangenheit, die in Zukunft übergeht. Zu versuchen, sich daran festzuklammern, heißt, beiseitegefegt zu werden, und das, meine Freunde, wird niemals geschehen. Nicht solange ich Kriegsmeister bin. Diese Männer, die mit Varvarus gekämpft und geblutet haben, sollen diese Welt haben, um über sie zu wachen, auf dass sein Opfer niemals vergessen werde.«

Andere Redner hatten bereits ihre Abschiedsworte für den Lordkommandanten gesprochen, doch keiner war so eloquent wie der Kriegsmeister. Getreu seinem Wort sorgte Horus dafür, dass die Varvarus am treuesten ergebenen Einheiten ernannt wurden, die Welten zu verwalten, für deren Eingliederung er gestorben war.

Ein neuer imperialer Kommandant wurde eingesetzt, und die Militärmacht der Flotte begann mit dem zeitraubenden Prozess der Umgruppierung zur Vorbereitung auf die nächste Phase des Kreuzzugs.

 

Karkasys Quartier stank nach Druckerschwärze und Dämpfen, da die primitive mechanische Presse im Dauerbetrieb arbeitete, um genügend Exemplare der jüngsten Ausgabe von Die Wahrheit Ist Alles, Was Wir Haben zu erstellen. Zwar hatte sich sein Ausstoß in letzter Zeit ein wenig verringert, aber die Kiste mit den Bondsman Nummer 7 war beinahe leer. Ignace Karkasy fiel ein, dass er sich gefragt hatte — vor einer Ewigkeit, so kam es ihm vor -, ob die Lebensspanne seiner Kreativität in der Papiermenge gemessen werden konnte, die ihm noch zu füllen blieb. Solche Gedanken schienen angesichts des starken Schreibdrangs, der ihn dieser Tage überkommen hatte, vollkommen bedeutungslos zu sein.

Er saß auf der Kante seines Feldbetts, der letzte Sitzplatz, der ihm noch verblieben war, und schrieb den letzten skurrilen Vers für sein Pamphlet, während er zufrieden vor sich hinsummte. Papier füllte sein Quartier, auf dem Boden verstreut, an die Wände getackert und an jedem Platz, auf dem sie liegen blieben. Hingekritzelte Notizen, verworfene Oden und halb beendete Gedichte füllten den Raum, aber die Fruchtbarkeit seiner Muse war so maßlos, dass er nicht damit rechnete, sie in absehbarer Zeit zu erschöpfen.

Er hatte gehört, dass der Krieg gegen die Bewohner von Aureus vorbei war, dass die Sons of Horus die letzte Zitadelle in einer Schlacht eingenommen hatten, die von der Gerüchteküche im Schiff bereits als das Weiße-BergeMassaker bezeichnet wurde. Er kannte noch nicht die ganze Geschichte, aber mehrere Quellen, die er im Laufe der zehn Kriegsmonate erschlossen hatte, würden ihn ganz sicher mit saftigen Einzelheiten versorgen.

Er hörte ein kurzes Klopfen an seiner Schleusenjalousie und rief: »Herein!«

Karkasy schrieb weiter, während sich die Jalousie öffnete, zu konzentriert, um auch nur aufzublicken. »Ja?«, fragte er. »Was kann ich für Sie tun?«

Er bekam keine Antwort, also blickte er gereizt auf und sah einen gerüsteten Krieger stumm vor sich stehen. Zuerst verspürte er einen Anflug von Panik, als er das lange Schwert und den harten metallischen Glanz einer gehalfterten Pistole erblickte, doch als er sah, dass es Petronella Vivars Leibwächter war, entspannte er sich wieder. Maggard oder so ähnlich hieß er.

»Nun?«, fragte er wieder. »Wollten Sie irgendwas?«

Maggard schwieg, und Karkasy fiel wieder ein, dass der Mann stumm war. Ihm kam der Gedanke, wie dumm es war, einen solchen Boten zu senden.

»Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie mir nicht sagen können, warum Sie hier sind«, sagte Karkasy langsam, um zu gewährleisten, dass der Mann ihn verstand.

Daraufhin zog Maggard ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seinem Gürtel und hielt es ihm mit der linken Hand hin. Der Krieger unternahm keinen Versuch, näher zu treten, also legte Karkasy das Bondsman mit einem resignierten Seufzer beiseite und erhob seine Körperfülle von der Pritsche.

Karkasy tastete sich durch die Stapel der Notizbücher und nahm das Blatt. Es war sepiafarbener Papyrus mit einem durchgängig kreuzschraffierten Muster, wie er in den gyptischen Städten hergestellt wurde. Ein wenig grell für seinen Geschmack, aber offensichtlich teuer.

»Von wem könnte das sein?«, fragte Karkasy, bevor ihm wieder einfiel, dass dieser Bote nicht sprechen konnte. Er schüttelte den Kopf mit einem nachsichtigen Lächeln, entfaltete den Papyrus und überflog den Inhalt.

Er runzelte die Stirn, als er in den Worten Zeilen aus seinen eigenen Gedichten erkannte, düstere Bilder und starke Symbolik, aber die Reihenfolge stimmte nicht. Sie waren aus einem Dutzend verschiedener Werke zusammengestückelt.

Karkasy las fertig, und seine Blase leerte sich, als ihm die Bedeutung der Botschaft und die Absicht ihres Überbringers aufging.

 

Petronella marschierte in ihrem Quartier auf und ab, da sie ungeduldig darauf wartete, mit der Übertragung der letzten Gedanken ihres Leibwächters zu beginnen. Die Zeit, die Maggard mit den Astartes verbracht hatte, war äußerst fruchtbar gewesen, und sie hatte bereits sehr viel erfahren, das ihr verborgen geblieben wäre.

Jetzt drängte sich eine Struktur auf, eine tragische Geschichte, die in umgekehrter Reihenfolge erzählt wurde. Sie würde auf dem Totenbett des Primarchen beginnen, mit einem triumphalen Coda, der von seinem Überleben und den noch zu erwartenden Glorien kündete.

Schließlich wollte sie sich nicht nur auf ein Buch beschränken.

Sie hatte sogar schon einen Titel im Auge, der, wie sie glaubte, die Materie korrekt vermittelte und außerdem auch sie selbst einschloss.

Sie würde dieses Meisterwerk In den Fußstapfen der Götter nennen und hatte bereits die erste Zeile geschrieben — diesen wichtigsten Teil der Geschichte, der den Leser entweder packte oder kaltließ. Sie entsprachen ihren eigenen entsetzten Gedanken im Augenblick des Zusammenbruchs des Kriegsmeisters.

Ich war da an dem Tag, als Horus fiel.

Die Zeile hatte die richtigen tonalen Qualitäten und machte dem Leser unmissverständlich klar, dass er etwas sehr Profundes lesen würde, und dennoch blieb das Ende der Geschichte ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis.

Alles kam zusammen, aber Maggard verspätete sich mit der Rückkehr von seinem letzten Ausflug in die Welt der Astartes, und ihre Geduld ging zur Neige. In ihrer Nervosität hatte sie aus Babeth bereits ein weinendes Nervenbündel gemacht und sie in die winzige Kammer verbannt, die ihr als Schlafgemach diente.

Als sich ihre Quartiertür zum Empfangsraum öffnete, marschierte sie sofort hindurch, um Maggard für seine Säumigkeit zurechtzuweisen.

»Wie viel Uhr glaubst du ...«, begann sie, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie sah, dass die vor ihr aufragende Gestalt nicht Maggard war.

Es war der Kriegsmeister.

Er trug schlichte Gewänder und sah prächtiger aus, als sie ihn je gesehen hatte. Eine Aura der Kraft umgab ihn, und als sie aufblickte und von der vollen Wucht seiner Persönlichkeit getroffen wurde, war sie sprachlos.

Hinter ihm in der Tür stand die ungeschlachte Gestalt des Ersten Hauptmanns Abaddon. Horus blickte auf, als er eintrat, und nickte Abaddon zu, der die Tür hinter sich schloss.

»Fräulein Vivar«, sagte Horus.

Es bedurfte enormer Willensanstrengung, ihre Stimme wiederzufinden. »Ja ... Milord«, stammelte sie, entsetzt über das Durcheinander in ihrem Quartier und darüber, dass der Kriegsmeister es so sah. Sie durfte nicht vergessen, Babeth für die Vernachlässigung ihrer Pflichten zu bestrafen. »Ich ... das heißt, ich habe nicht damit gerechnet ...«

Horus hob eine Hand, um sie zu beruhigen, und sie verstummte.

»Ich weiß, ich habe Sie vernachlässigt«, sagte der Kriegsmeister.

»Sie haben an meinen innersten Gedanken teilgehabt, und ich habe mich ganz von den Erfordernissen des Krieges gegen die Technokratie in Anspruch nehmen lassen.«

»Milord, ich hätte mir nie träumen lassen, dass Sie mir solche Beachtung schenken«, sagte Petronella.

»Sie wären überrascht«, lächelte Horus. »Kommen Sie gut voran mit dem Schreiben?«

»Sehr gut, Milord«, sagte Petronella.

»Ich war produktiv seit unserer letzten Begegnung.«

»Darf ich es sehen?«

»Selbstverständlich«, sagte sie, angetan, dass er Interesse an ihrer Arbeit zeigte. Sie musste sich zwingen, nicht in ihr Arbeitszimmer zu rennen. Dort zeigte sie auf den Stapel Papier auf ihrem Sekretär.

»Es ist ein ziemliches Durcheinander, aber alles, was ich geschrieben habe, ist hier«, strahlte Petronella.

»Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie meine Arbeit begutachten würden. Wer wäre schließlich qualifizierter?«

»Ganz recht«, stimmte Horus zu, während er ihr zum Sekretär folgte, wo er ihre jüngsten Ergüsse aufnahm.

Seine Augen überflogen die Seiten und nahmen den Inhalt dabei rascher auf, als dies jeder Sterbliche vermocht hätte.

Sie suchte in seinem Gesicht nach einer Reaktion, aber Horus blieb unergründlich wie eine Statue, und plötzlich machte sie sich Sorgen, es könne ihm missfallen.

Schließlich legte er die Blätter wieder auf den Sekretär und sagte: »Es ist sehr gut. Sie sind eine talentierte Dokumentatorin.«

»Vielen Dank, Milord«, strahlte sie. Die Kraft seines Lobes war wie ein belebendes Tonikum in ihren Adern. »Ja«, sagte Horus mit kalter Stimme.

»Es ist beinahe schade, dass niemand es je lesen wird.«

 

Maggard packte Karkasy vorne am Gewand, wirbelte ihn herum und legte dem Dichter den Arm um den Hals. Karkasy wehrte sich gegen den starken Griff, hatte Maggards überlegener Kraft jedoch nichts entgegenzusetzen.

»Bitte!«, ächzte er, und das Entsetzen machte seine Stimme schrill.

»Nein, bitte nicht!«

Maggard sagte nichts, und Karkasy hörte das Knarren von Leder, als die freie Hand des Kriegers den Verschluss seines Halfters öffnete.

Karkasy kämpfte, aber er konnte nichts tun, da die entsetzliche Kraft von Maggards Arm um seinen Hals ihm den Atem raubte und seine Sicht verschwimmen ließ.

Er weinte bittere Tränen, während sich die Zeit verlangsamte. Die Pistole knarzte, als sie aus dem Halfter glitt, und der Hammer wurde mit einem harschen Klicken gespannt.

Er biss sich auf die Zunge. Blutiger Schaum sammelte sich in den Mundwinkeln. Rotz und Tränen vermischten sich auf seinem Gesicht. Seine Beine schabten über den Boden. Blätter flogen in alle Richtungen.

Kalter Stahl presste sich gegen seinen Hals, als der Lauf von Maggards Pistole unter sein Kinn geklemmt wurde. Karkasy roch das Waffenöl.

Er wünschte …

Der harte Knall des Pistolenschusses hallte ohrenbetäubend durch das enge Quartier.

 

Zuerst war Petronella nicht sicher, ob sie begriff, was der Kriegsmeister meinte. Warum sollten die Leute nicht in der Lage sein, ihr Werk zu lesen? Dann sah sie das kalte gnadenlose Licht in seinen Augen.

»Milord, ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe«, sagte sie zögernd.

»Doch, Sie verstehen.«

»Nein ...«, flüsterte sie, indem sie vor ihm zurückwich.

Der Kriegsmeister folgte ihr mit langsamen, gemessenen Schritten. »Bei unserer Unterhaltung im Apothekarium habe ich Sie in Pandoras Büchse schauen lassen, Fräulein Vivar, und das tut mir wirklich leid. Nur eine Person sollte über die Dinge in meinem Kopf Bescheid wissen, und diese Person bin ich. Alles, was ich gesehen und getan habe, alles, was ich noch tun werde ...«

»Bitte, Milord«, sagte Petronella, während sie aus ihrem Schreibzimmer in das Empfangszimmer zurückwich.

»Wenn Sie nicht zufrieden sind mit dem, was ich geschrieben habe, kann ich es ändern, redigieren. Natürlich würde ich zu allem meine Zustimmung geben.«

Horus schüttelte den Kopf und kam mit jedem Schritt näher.

Petronella spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und sie wusste, dass dies nicht wirklich geschehen konnte. Der Kriegsmeister würde nicht versuchen, ihr Angst einzujagen. Sie mussten ihr irgendeinen groben Streich spielen. Die Vorstellung, wie die Astartes sie zum Narren hielten, brannte in ihrem gekränkten Stolz, und der Teil von ihr, der Horus bei ihrer ersten Begegnung angefahren hatte, drang an die Oberfläche.

»Ich bin die Palatina Majoria von Haus Carpinus, und verlange, dass Sie das respektieren!«, rief sie, während sie entschlossen stehen blieb.

»Sie können mich nicht einschüchtern. «

»Ich versuche nicht, Sie einzuschüchtern«, sagte Horus, indem er sie bei den Schultern nahm.

»Nicht?«, fragte Petronella erleichtert. Sie hatte gewusst, dass es nicht richtig sein konnte, dass irgendwo ein Fehler stecken musste.

»Nein«, sagte Horus, während seine Hände zu ihrem Hals glitten.

»Ich erleuchte Sie.«

Ihr Genick brach mit einer raschen Drehung seines Handgelenks.

 

Die Sanitätszelle war eng, aber sauber und gut gewartet. Mersadie Oliton saß neben dem Bett und weinte leise vor sich hin, sodass ihr Tränen über die kohlschwarze Haut liefen. Kyril Sindermann saß bei ihr, und auch er vergoss Tränen, während er die Hand derjenigen hielt, die in dem Bett lag.

Euphrati Keeler lag reglos da, die Haut glatt und bleich und mit einem Schimmer, der sie aussehen ließ wie poliertes Porzellan. Seit ihrer Begegnung mit dem Grauen in Archivkammer Drei lag sie reglos und unansprechbar in dieser Zelle.

Sindermann hatte Mersadie erzählt, was passiert war, und sie wusste nicht, ob sie ihm glauben oder Wahnvorstellungen vorwerfen sollte.

Sein Gerede von einem Dämon und von Euphrati, die erfüllt von der Macht des Imperators vor ihm gestanden hatte, war zu fantastisch, um wahr zu sein ... oder? Sie fragte sich, ob er sonst noch jemandem davon erzählt hatte.

Die Apothekarii konnten keinen physischen Schaden an Euphrati Keeler feststellen, abgesehen von der adlerförmigen Verbrennung an ihrer Hand, die nicht verblassen wollte. Ihre Werte waren stabil, die Hirnaktivität normal. Niemand konnte sich ihren komatösen Zustand erklären, und niemand hatte eine Idee, wie man Keeler daraus aufwecken sollte.

Mersadie besuchte Euphrati, so oft sie konnte, aber sie wusste, dass Sindermann jeden Tag kam und mehrere Stunden bei ihr verbrachte.

Manchmal saßen sie gemeinsam da, redeten mit Euphrati und erzählten ihr von den Ereignissen, die auf den Planeten unter ihnen stattfanden, von den Schlachten, die ausgetragen wurden, oder auch einfach nur die neuesten Schiffsgerüchte.

Nichts schien die Imagologin zu erreichen, und Mersadie fragte sich manchmal, ob es nicht gütiger gewesen wäre, sie sterben zu lassen. Was konnte für jemanden wie Euphrati schlimmer sein, als in ihrem eigenen Körper gefangen zu sein, unfähig, zu kommunizieren oder sich auszudrücken.

Sie und Sindermann waren heute zusammen eingetroffen, und beide wussten sofort, dass der andere geweint hatte. Die Nachricht von Ignace Karkasys Selbstmord hatte sie alle schwer getroffen, und Mersadie konnte immer noch nicht glauben, dass er dazu fähig gewesen sein sollte.

In seinem Quartier war ein Abschiedsbrief gefunden worden, angeblich in Versen verfasst. Selbst damit verriet Ignace noch seinen enormen Dünkel: dass er seine Abschiedsworte in seine eigene Poesie kleidete.

Sie hatten um eine weitere verlorene Seele geweint, saßen dann beiderseits von Euphratis Bett und hielten einander und Keeler bei den Händen, während sie über bessere Zeiten redeten.

Beide drehten sich um, als es leise klopfte.

Ein dünngesichtiger Mann in der Uniform der Legio Mortis stand mit sehr ernster Miene in der Tür. Mersadie konnte erkennen, dass der Korridor hinter ihm voller Leute war.

»Ist es in Ordnung, wenn ich hereinkomme?«, fragte er.

Mersadie Oliton sagte: »Wer sind Sie?«

»Ich bin Titus Cassar, Moderati Primus des Dies Irae. Ich bin gekommen, um die Heilige zu sehen.«

 

Sie trafen sich im Aussichtsdeck bei ganz wenig Licht, sodass die Dunkelheit des Alls nur vom reflektierten Schein der soeben eroberten Planeten aufgehellt wurde. Loken hatte die Hände auf das Panzerglas der Aussichtsbucht gelegt und überlegte. Er glaubte, dass auf Aureus etwas Fundamentales mit den Sons of Horus geschehen war, wusste aber nicht, was.

Torgaddon gesellte sich Augenblicke später zu ihm, und Loken begrüßte ihn mit einer brüderlichen Umarmung und voller Dankbarkeit, einen so treuen Freund zu haben.

Sie standen eine Weile stumm da, jeder in seine Gedanken vertieft, während sie die besiegten Planeten dabei beobachteten, wie sie sich im All unter ihnen drehten. Die Vorbereitungen für den Abflug waren getroffen, und die Flotte konnte in Marsch gesetzt werden, obwohl sie beide keine Ahnung hatten, wohin die Reise gehen würde.

Schließlich brach Torgaddon das Schweigen. »Was machen wir also?«

»Ich weiß es nicht, Tarik«, erwiderte Loken. »Wirklich nicht.«

»Das dachte ich mir«, sagte Torgaddon, indem er ein Reagenzglas in die Höhe hielt, in dem etwas das matte Licht mit sanftem goldenen Schein reflektierte. »Dann wird das auch nicht helfen.«

»Was ist das?«, fragte Loken.

»Das hier sind Boltgeschosssplitter, die aus Hektor Varvarus entfernt wurden.«

»Boltgeschosssplitter? Warum hast du die?«

»Weil es unsere sind.«

»Wie meinst du das?«

»Es sind unsere«, wiederholte Torgaddon. »Das Geschoss, das den Lordkommandanten getötet hat, kam aus einem Boltgewehr der Astartes, nicht aus einem Gewehr der Bruderschaft.«

Loken schüttelte den Kopf. »Nein, da muss irgendwo ein Fehler gemacht worden sein.«

»Da ist kein Fehler gemacht worden. Apothekarius Vaddon hat die Splitter persönlich untersucht. Es sind unsere, keine Frage.«

»Du glaubst, Varvarus hat ein verirrtes Geschoss von einem von uns abbekommen?«

Torgaddon schüttelte den Kopf. »Die Wunde war mitten im Ziel, Garviel. Es war ein gezielter Schuss.«

Beide schwiegen eine ganze Weile. Dann sagte Loken: »Sollen wir angesichts solcher Heimtücke und Zerstörung verzweifeln oder sind uns Glaube und Ehre Ansporn zu handeln?«

»Was ist das?«, fragte Torgaddon.

»Aus einer Rede, die ich in einem Buch gelesen habe, das Sindermann mir gegeben hat. Es kam mir passend vor, wenn man bedenkt, wo wir jetzt stehen.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte Torgaddon zu.

»Was wird aus uns, Tarik?«, fragte Loken. »Ich erkenne unsere Legion nicht mehr wieder. Wann hat sie sich verändert?«

»In dem Moment, als wir der Technokratie begegnet sind.«

»Nein«, sagte Loken.»Ich glaube, es war auf Davin. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Dort ist irgendwas mit den Sons of Horus geschehen, etwas Schändliches, Finsteres und Böses.«

»Ist dir klar, was du da sagst?«

»Ja«, erwiderte Loken. »Ich sage, dass wir die Wahrheit des Imperiums der Menschheit hochhalten müssen, welches Böse es auch bestürmen mag.«

Torgaddon nickte. »Der Mournival-Eid.«

»Böses hat den Weg in unsere Legion gefunden, Tarik, und es liegt an uns, es herauszuschneiden. Stehst du mir bei?«, fragte Loken.

»Immer«, sagte er, und die beiden Krieger schüttelten sich die Hände auf die alte terranische Art.

 

Der kalte Schein der Brückeninstrumente war die ein-
zige Lichtquelle im düsteren Allerheiligsten des Kriegs-
meisters. Der Raum war voll, da sich der Kern
der Offiziere und Kommandanten um den Tisch versammelt hatte.

Horus selbst saß an seinem gewohnten Platz am Kopfende. Aximand und Abaddon standen hinter ihm, ein starker Verweis auf seine Autorität. Maloghurst, Regulus, Erebus, Princeps Turnet von der Legio Mortis und verschiedene andere handverlesene Kommandanten der Armee bildeten den Rest der Versammlung.

Zufrieden, dass alle da waren, beugte sich Horus vor und ergriff das Wort.

»Meine Freunde, wir beginnen bald mit der nächsten Phase unseres Feldzuges zwischen den Sternen, und ich weiß, dass Sie alle neugierig sind, wohin wir als Nächstes fliegen. Ich will es Ihnen sagen, aber bevor ich das tue, sollte sich jeder die Größe und den Umfang der vor uns liegenden Aufgabe vor Augen führen.«

Er sah, dass er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller hatte, und fuhr fort. »Ich werde den Imperator von seinem Thron auf Terra stoßen und seinen Platz als Herr der Menschheit einnehmen.«

Die Ungeheuerlichkeit seiner Worte blieb den Kriegern nicht verborgen, und er gab ihnen ein paar Minuten Zeit, ihr Gewicht einzuschätzen, wobei er den Ausdruck der Beunruhigung genoss, der sich in die Gesichter schlich.

»Haben Sie keine Angst, Sie sind unter Freunden«, gluckste Horus.

»Ich habe im Laufe des Krieges mit Ihnen allen unter vier Augen gesprochen, aber dies ist das erste Mal, dass wir uns versammeln und ich offen über unsere Bestimmung rede. Sie werden mein Kriegsrat sein, jene, denen ich die Entwicklung meines Plans anvertraue.« Horus erhob sich von seinem Platz und redete weiter, während er langsam den Tisch umrundete. »Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und betrachten sie das Gesicht Ihres Nebenmannes. In dem bevorstehenden Kampf wird er Ihr Bruder sein, denn alle anderen werden sich von uns abwenden, wenn wir unsere Absichten offenkundig machen. Bruder wird gegen Bruder kämpfen, und das Schicksal der Galaxis ist letzten Endes der Preis. Wir werden uns Anschuldigungen der Ketzerei ausgesetzt sehen und Anklagen des Hochverrats, aber sie werden von uns abfallen, weil wir recht haben. Daran gibt es nichts zu deuteln. Wir haben recht, und der Imperator hat unrecht. Er hat mich gänzlich falsch eingeschätzt, wenn er glaubt, dass ich zusehe, wie er sein Reich im Stich lässt in seinem Streben nach Göttlichkeit und uns mit den Zerstörungen zurücklässt, die seine zügellosen Ambitionen bringen. Der Imperator verlangt Treue von den Millionen Soldaten und Hunderttausenden Astartes. Seine Schlachtflotten fliegen von einer Seite der Galaxis zur anderen. Die 63. Expedition kann nicht hoffen, es mit solchen Zahlen und Mitteln aufzunehmen. Sie alle wissen, dass es so ist, aber wir haben dennoch einen Vorteil.«

»Und welcher Vorteil ist das?«, fragte Maloghurst genau aufs Stichwort.

»Wir haben den Vorteil der Überraschung. Noch argwöhnt niemand, dass wir den wahren Plan des Imperators in Erfahrung gebracht haben, und das ist unsere wichtigste Waffe.«

»Aber was ist mit Magnus?«, fragte Maloghurst drängend.

»Was passiert, wenn Leman Russ ihn nach Terra zurückbringt?«

Horus lächelte. »Beruhige dich, Mal. Ich habe bereits Verbindung zu meinem Bruder Russ aufgenommen und ihn über das ganze Ausmaß von Magnus' verräterischer Benutzung dämonischer Zauber und Beschwörungen erleuchtet. Er war ... entsprechend wütend, und ich glaube, ich habe ihn überzeugt, dass es eine Verschwendung von Zeit und Mühe wäre, Magnus nach Terra zu bringen. «

Maloghurst erwiderte Horus' Lächeln. »Magnus wird Prospero nicht lebend verlassen.«

»Nein«, stimmte Horus zu. »Das wird er nicht.«

»Was ist mit den anderen Legionen?«, fragte Regulus. »Sie werden nicht untätig herumsitzen, während wir Krieg gegen den Imperator führen. Wie sollen wir sie neutralisieren?«

»Eine gute Frage, Adept«, sagte Horus, während er bei seiner Umkreisung des Tisches hinter seiner Schulter stehen blieb. »Wir sind selbst nicht ohne Verbündete. Fulgrim gehört zu uns, und er wird Ferrus Manus von den Iron Hands für unsere Sache gewinnen. Auch Lorgar begreift die Notwendigkeit dessen, was getan werden muss, und beide stellen die volle Macht ihrer Legionen hinter mein Banner.«

»Damit bleiben immer noch viele andere«, stellte Erebus fest.

»In der Tat, Ordenspriester, aber mit Ihrer Hilfe könnten sich uns auch noch andere anschließen. Unter dem Vorwand eines Kaplansedikts werden wir Abgesandte zu allen Legionen schicken und die Bildung von Kriegerlogen in ihnen propagieren. Aus kleinen Anfängen können wir sie vielleicht für unsere Sache gewinnen.«

»Das wird seine Zeit dauern«, sagte Erebus.

Horus nickte. »Das wird es, ja, aber auf lange Sicht wird es sich auszahlen. In der Zwischenzeit habe ich anderen Legionen, von denen ich nicht glaube, dass wir sie schwankend machen können, Marschbefehle erteilt. Die Ultramarines sammeln sich bei Calth, wo sie von Kor Phaeron von den Word Bearers angegriffen werden, und die Blood Angels wurden in den Signushaufen geschickt, wo Sanguinius in Blut waten wird. Dann machen wir einen raschen, entscheidenden Vorstoß nach Terra.«

»Es bleiben noch andere Legionen«, sagte Regulus.

»Ich weiß«, antwortete Horus, »aber ich habe einen Plan, der sie ein für alle Mal als Bedrohung für uns ausschalten wird. Ich locke sie in eine Falle, aus der es kein Entrinnen gibt. Ich werde das Imperium des Imperators in Brand setzen, und aus der Asche wird sich der neue Herr der Menschheit erheben.«

»Und wo werden Sie diese Falle stellen?«, fragte Maloghurst.

»Nicht weit von hier«, sagte Holms. »Im Istvaan-System.«