GRAHAM McNEILL
DER GROSSE BRUDERKRIEG 2
Falsche Götter
Scanned and edit by
iPad edition
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Horus — Der große Bruderkrieg
DIE ZEIT DER LEGENDE ...
Gewaltige Helden kämpfen um das Recht, über die Galaxis zu herrschen.
Die riesigen Armeen des Imperators der Erde haben die Galaxis in einem Großen Kreuzzug erobert — die unzähligen nichtmenschlichen Rassen sind von den Elitetruppen des Imperators zerschlagen und vom Antlitz der Geschichte gefegt worden. Ein neues Zeitalter der Vorherrschaft der Menschheit scheint anzubrechen.
Strahlende Zitadellen aus Marmor und Gold feiern die vielen Siege des Imperators. Auf einer Million Welten werden Triumphbögen errichtet, um die mächtigen Taten seiner stärksten und tödlichsten Krieger festzuhalten. An erster Stelle stehen die Primarchen, übermenschliche Wesen, welche die Armeen der Space Marines des Imperators von Sieg zu Sieg geführt haben. Sie sind unaufhaltsam und wunderbar, die Krone der genetischen Experimente des Imperators. Die Space Marines sind die gewaltigsten Menschenkrieger, welche die Galaxis je gesehen hat, und jeder von ihnen kann hundert und mehr normale Menschen im Kampf besiegen. In gewaltige, zehntausend Mann zählende Armeen eingeteilt, die Legionen genannt werden, erobern die Space Marines und ihre Primarchen die Galaxis im Namen des Imperators.
Der oberste aller Primarchen ist Horus, genannt der Prächtige, der Hellste Stern, der Liebling des Imperators und wie ein Sohn für ihn. Er ist der Kriegsmeister, der Oberkommandierende der militärischen Macht des Imperators, Unterwerfer von abertausend Welten und Eroberer der Galaxis.
Er ist ein Krieger ohnegleichen und ein überlegener Diplomat.
Horus ist der aufgehende Stern des Imperiums — aber wie hoch kann ein Stern steigen, bevor er fällt?
Dramatis Personae
DIE SONS OF HORUS
Kriegsmeister Horus Kommandant der Legion der
Sons of Horus
Ezekyle Abaddon Erster Hauptmann der
Sons of Horus
Tarik Torgaddon Hauptmann, 2. Kompanie,
Sons of Horus
Iacton Qruze »Der Halbgehörte«, Hauptmann, 3. Kompanie, Sons of Horus
Hastur Sejanus Hauptmann, 4. Kompanie,
Sons of Horus (gefallen)
Horus Aximand »Klein-Horus«, Hauptmann,
5. Kompanie, Sons of Horus
Serghar Targost Hauptmann, 7. Kompanie,
Sons of Horus, Logenmeister
Garviel Loken Hauptmann, 10. Kompanie,
Sons of Horus
Luc Sedirae Hauptmann, 13. Kompanie,
Sons of Horus
Tybalt Marr »Der Entweder«,Hauptmann,
18. Kompanie, Sons of Horus
Verulam Moy »Der Oder«, Hauptmann,
19.Kompanie, Sons of Horus
Kalus Ekaddon Hauptmann, Räubertrupp Catula, Sons of Horus
Falkus Kibre »Witwenmacher«, Hauptmann,
Terminatortrupp Justaerin,
Sons of Horus
Nero Vipus Sergeant, Taktischer Trupp Locasta,
Sons of Horus
Maloghurst »Der Verdrehte«, Scutarius oder
Schildträger des Kriegsmeisters
DIE PRIMARCHEN
Angron Primarch der World Eaters
Fulgrim Primarch der Emperors
Children
ANDERE SPACE MARINES
Erebus Erster Ordenspriester der
Word Bearers
Khârn Hauptmann, 8. Sturmkompanie
der World Eaters
DIE LEGIO MORTIS
Princeps Kommandant des Dies Irae,
Esau Turnet eines Titans der Imperator-
Klasse
Moderati Primus Ein hochrangiges Besatzungs-
Cassar mitglied des Dies Irae
Moderati Primus Ein weiteres Besatzungs-
Aruken mitglied des Dies Irae
DIE DAVINITER
Logenpriesterin Anführerin der Loge
Akshub der Schlange
Tsi Rekh Davinitischer
Verbindungsmann
Tsepha Ein Kultist Davins und
Akshubs Vermittler
IMPERIALE NICHT-ASTARTES
Petronella Vivar Palatina Majoria von Haus
Carpinus — Sprössling einer wohlhabenden Adelsfamilie
Terras
Maggard Petronella Vivars Leibwächter
Lordkommandant Kommandant der Horus'
Varvaras Legion beigeordneten
Streitkräfte der Imperialen
Armee
Adept Mechanicum Der Abgesandte des
Regulus Mechanicums bei Horus;
er kommandiert die Roboter
der Legion und wartet ihre Kampfmaschinen
TEIL EINS
Der Verräter
Ich war da an dem Tag,
als
Horus fiel ...
»Die Torheit der Menschen besteht darin zu glauben, dass sie große Schauspieler auf der Bühne der Geschichte sind und ihre Handlungen Einfluss auf den großen Fluss der Zeit haben. Ein mächtiger Mann mag sich an die wärmende Vorstellung klammern, er könne ruhig schlafen, weil sich ohne ihn die Welt nicht drehen, die Berge einstürzen und die Meere austrocknen würden. Aber wenn uns die Geschichte überhaupt etwas gelehrt hat, dann doch, dass letzten Endes alles vergänglich ist. Unzählige Zivilisationen vor uns sind nur noch Staub und Knochen und die größten Helden ihrer Zeit nur noch vergessene Legenden. Niemand lebt ewig, und wie die Erinnerung, so verblasst auch das Andenken an sie. Dies ist eine universelle Wahrheit und ein unabdingbares Gesetz, das trotz der Proteste der Eitlen, der Arroganten und Tyrannischen nicht bestritten werden kann.
Horus war die Ausnahme.«
— Kyril Sindermann, Vorrede an die Memoratoren
»Tausend Klischees wären nötig, um den Kriegsmeister zu beschreiben, und jedes wäre wahrer als das vorherige.«
— Petronella Vivar, Palatina Majoria von Haus Carpinus
»Alles verkommt in den Händen von Menschen.«
— Ignace Karkasy,
Meditationen über den elegischen Helden
Eins
Sprössling Terras
Koloss
Rebellenmond
MAGNUS DER ZYKLOP, Rogal Dorn, Leman Russ: Namen, in denen Geschichte mitschwang, Namen, die Geschichte schrieben. Ihr Blick folgte der Liste weiter aufwärts: Corax. Konrad Curze, genannt Night Haunter. Angron ... und immer so weiter durch ein Vermächtnis aus Heldentum und Eroberung, von Welten, die im Namen des Imperators in das beständig expandierende Imperium der Menschheit eingegliedert worden waren.
Allein der Klang der Namen in ihrem Kopf verursachte ihr ein Kribbeln.
Aber größer als alle anderen war der Name ganz oben auf der Liste.
Horus: der Kriegsmeister.
Lupercal nannten ihn seine Soldaten — ein Kosename für ihren geliebten Kommandanten. Ein Name, im Feuer der Schlacht erworben: auf Ullanor, auf Mord, auf Dreiundsechzig-Neunzehn — eine Welt, die von den verblendeten Bewohnern in ihrer Unwissenheit Terra genannt worden war — und in tausend anderen Schlachten, die sie noch nicht in ihre Gedächtnisimplantate eingespeichert hatte.
Der Gedanke, so weit von dem riesigen Familienbesitz in Kairos entfernt zu sein und bald die Rächender Geist zu betreten, um lebendige Geschichte aufzuzeichnen, raubte ihr den Atem. Und doch war sie hier, um viel mehr zu tun — ganz tief in ihrer Seele wusste sie, dass Horus Geschichte war.
Sie fuhr sich durch das lange, mitternachtsschwarze Haar, frisiert nach der neusten Mode am terranischen Hof — nicht, dass dies irgendjemand so weit draußen im All wissen würde -, und strich mit den Fingernägeln über ihre glatte, makellose Haut. Ein Leben im Wohlstand hatte vornehme Züge in ihre olivfarbene Haut gemeißelt, und der stolze Schwung ihrer Kinnlinie wies den einen geradezu modischen Anflug von Unnahbarkeit auf.
Hochgewachsen und umwerfend, saß sie an ihrem Sekretär aus Ahornholz, einem Familienerbstück, das, wie ihr Vater stolz prahlte, ein Geschenk des Imperators für seine Ur-Ur-Großmutter nach der großen Vereidigung im Ural gewesen war. Mit einem Mnemo-Federhalter tippte sie auf ihre Datentafel, dessen reaktive Feder als Reaktion auf ihre Erregung zuckte. Wahllose, zufällige Wörter krochen über die sanft leuchtende Oberfläche, während die organischen Hirnstammkristalle die Oberflächengedanken ihrer vorderen Hirnlappen aufschnappten.
Kreuzzug ... Held ... Retter ... Zerstörer.
Sie lächelte und löschte die Worte durch einen Wischer mit dem elegant manikürten Nagel, dessen Rand bis auf die Fraktalebene geglättet war, dann schrieb sie mit ausgeprägten, zusammenhängenden Federschwüngen.
Mit großem Herzen und einem feierlichen Gefühl der Ehre schreibe ich, Petronella Vivar, Palatina Majoria des Hauses Carpinus, diese Worte nieder. Ein langes Jahr bin ich von Terra gereist, habe viele Mühen und Unbilden ertragen ...
Petronella runzelte die Stirn und löschte die eben geschriebenen Worte rasch wieder, verärgert darüber, dass sie die unnatürliche Affektiertheit kopierte, die sie in den von der Speerspitze des Großen Kreuzzugs heimgeschickten Schriften der Memoratoren so erzürnt hatten.
Vor allem Sindermanns Texte irritierten sie, obwohl sie in letzter Zeit seltener geworden waren. Dion Phraster produzierte einige passable Sinfonien — nichts, was sich in den terranischen Ballsälen länger als ein oder zwei Tage einer gewissen Gunst erfreuen würde -, aber durchaus angenehm. Und die Landschaften von Keland Roget waren gewiss lebendig, besaßen aber einen plakativen Pinselstrich, den sie unangemessen fand.
Ignace Karkasy hatte einige passable Gedichte geschrieben, aber sie zeichneten ein Bild vom Kreuzzug, das sie für ein so staunenswertes Unternehmen als zu wenig schmeichelhaft empfand (vor allem Blut Durch Missverständnis), und sie fragte sich oft, warum der Kriegsmeister ihm gestattete, solche Worte niederzuschreiben. Manchmal kam ihr der Gedanke, dass ihm vielleicht die unterschwellige Bedeutung dieser Gedichte entging, und dann lachte sie über die Vorstellung, dass jemandem wie Horus etwas entgehen könne.
Sie lehnte sich zurück und tauchte die Feder in das Lethe-Fass, als plötzlich ein jäher, heimtückischer Zweifel an ihr nagte. Sie war so kritisch den anderen Memoratoren gegenüber, obwohl sie ihre eigenen Fähigkeiten erst noch unter Beweis stellen musste.
War sie wirklich besser? Konnte sie mit dem größten Helden des Zeitalters zusammentreffen — manche nannten ihn einen Gott, obwohl das dieser Tage eine lächerliche und unmoderne Vorstellung war — und erreichen, was ihnen ihrer Ansicht nach nicht gelungen war? Wofür hielt sie sich — zu glauben, ihre bescheidenen Fähigkeiten könnten den gewaltigen Geschichten gerecht werden, die der Kriegsmeister auf dem Amboss der Schlacht schmiedete?
Dann erinnerte sie sich ihrer Abstammung und straffte sich. War sie nicht ein Spross des Hauses Carpinus, des besten und einflussreichsten aller Adelshäuser der terranischen Aristokratie? Hatte Haus Carpinus nicht auch schon den Aufstieg des Imperators und seine Vorherrschaft in den Vereinigungskriegen aufgezeichnet und zugesehen, wie sich das Imperium von einem Planeten umspannenden Reich zu einem Gebilde entwickelte, das mittlerweile von einer Seite der Galaxis zur anderen reichte, um die verlorene Domäne der Menschheit wiederzuerrichten?
Als suche sie weiteren Zuspruch, öffnete Petronella eine flache Skizzenmappe. Der Ledereinband trug ein Monogramm. Oben auf dem Stapel Papiere lag ein Bild von einem blonden Astartes in polierter Rüstung, der vor einer Gruppe Kameraden kniete. Einer von ihnen reichte ihm eine lange Pergamentrolle. Petronella wusste, dass diese Pergamentrollen Augenblicksschwur genannt wurden, Schwüre, die vor der Schlacht geleistet wurden. Die Krieger gelobten, den bevorstehenden Kampf mit aller Hingabe zu führen. Ein eingearbeitetes »EK« identifizierte es als eines von Euphrati Keelers Bildern, und obwohl es ihr widerstrebte, einem der Memoratoren Lob zu zollen, war dieses Exemplar einfach wundervoll.
Lächelnd schob sie das Bild beiseite, und darunter kam ein Bogen schweren Büttenpapiers zum Vorschein. Es trug das vertraute Wasserzeichen des doppelköpfigen Adlers, der die Union des Mechanicums vom Mars mit dem Imperator symbolisierte, und die Schrift war in den kurzen, eckigen Strichen der Hand des Sigilliten gehalten. Die raschen Federstriche und halbfertigen Buchstaben kündeten von einem Mann, der in aller Eile geschrieben hatte, und die Aufwärtsneigung der Großbuchstaben wiesen darauf hin, dass ihm sehr viel durch den Kopf ging, obwohl sie nicht wusste, warum das nun, da der Imperator nach Terra zurückgekehrt war, so sein sollte.
Sie lächelte, als sie den Brief zum vermutlich hundertsten Mal las, seit sie den Raumhafen in Gyptus verlassen hatte, denn sie wusste, dass er die höchste Ehre repräsentierte, die ihrer Familie bisher zuteilgeworden war.
Ein Schauder der Vorfreude überlief sie, als sie entfernte Sirenen und eine verzerrte Automatenstimme aus den goldumrandeten Lautsprechern vor ihrer Suite hörte. Sie verkündete, dass ihr Schiff im hohen Orbit um den Planeten vor Anker gegangen sei.
Sie war angekommen.
Petronella zog an einer silbernen Kordel neben dem Sekretär, und kaum einen Moment später läutete die Türglocke. Sie lächelte in dem sicheren Wissen, dass nur Maggard ihren Ruf so schnell beantworten konnte.
Zwar äußerte er in ihrer Gegenwart niemals ein Wort — und würde dies dank der von den Anstandshütern der Familie vorgenommenen chirurgischen Anpassungen auch niemals tun -, aber sie wusste, wann er in der Nähe war. Ihr Mnemo-Federhalter reagierte immer mit einem aufgeregten Zittern auf den kalten stählernen Biss seines Verstands.
Sie drehte sich in ihrem tief gepolsterten Stuhl um und sagte: »Öffnen.«
Die Tür schwang geschmeidig auf, und sie kostete den Moment aus, in dem Maggard auf die Erlaubnis wartete, vor sie zu treten.
»Ich erlaube dir einzutreten«, sagte sie und beobachtete, wie ihr mürrischer, zwanzig Jahre in ihren Diensten stehender Leibwächter geschmeidig die Schwelle zu ihrer mit Fresken geschmückten und in Gold- und Scharlachtönen gehaltene Suite überschritt. Jede seiner Bewegungen war beherrscht und knapp, als stünde sein gesamter Körper — von den harten, wie gemeißelt wirkenden Beinmuskeln bis zu den breiten, kräftigen Schultern — unter Spannung.
Er trat zur Seite, als sich die Tür hinter ihm schloss, und der Blick seiner tanzenden goldenen Augen huschte auf der Suche nach etwas Verdächtigem in einer Vielzahl von Spektren über die gewölbte, filigrane Decke und die angrenzenden Vorzimmer. Eine Hand lag auf dem glatten Griff seiner Pistole, die andere auf dem Heft seines Kirlian-Rapiers mit der Goldklinge. Seine nackten Arme wiesen ebenso schwache Spuren augmetischer Chirurgie auf — blasse Linien auf dunkler Haut — wie das Gewebe rings um die Augen, die von den Hauschirurgen durch teure biometrische Spektrumsverstärker ersetzt worden waren. Er sollte den Sprössling des Hauses Carpinus noch besser beschützen können.
In eine Rüstung aus flexiblen Goldbändern und Silberschuppen gehüllt, nickte Maggard ernst und signalisierte so, dass alles in Ordnung war, obwohl Petronella ihm das auch ohne sein Getue hätte sagen können. Doch da sein Leben verwirkt wäre, sollte ihr etwas zustoßen, konnte sie seine Vorsicht durchaus verstehen.
»Wo ist Babeth?«, fragte sie, während sie den Brief des Sigilliten zurück in die Mappe schob und den MnemoFederhalter aus dem Lethe-Fass nahm. Sie setzte die Feder auf die Datentafel und konzentrierte sich, um Maggards Gedanken zu gestatten, die Worte zu bilden, die seine Kehle nicht mehr formulieren konnte. Als sie das Geschriebene las, runzelte sie die Stirn.
»Sie hat nicht zu schlafen«, sagte Petronella. »Weck sie. Ich soll dem größten Helden des Großen Kreuzzugs vorgestellt werden, und ich will nicht aussehen, als käme ich geradewegs aus einem Pilgerkrawall auf Terra, wenn ich vor ihn trete. Hol sie und lass sie das Samtkleid mitbringen, das rote mit dem hohen Kragen. Ich erwarte sie in fünf Minuten.«
Maggard nickte und zog sich zurück, doch erst nachdem sie den köstlichen Kitzel der Erregung verspürt hatte, als der Mnemo-Federhalter in ihrer Hand zuckte und noch zwei Worte auf die Datentafel kritzelte.
...mmtes Miststück ...
In einer der alten Sprachen Terras bedeutete sein Name »Tag des Zorns«, und Jonah Aruken wusste, dass dieser Name durchaus verdient war. Dies Irae stand vor ihm wie ein uralter Gott aus längst vergessener Zeit, ein gewaltiges Monument des Krieges und der Zerstörung, dessen gepanzerter Kopf stolz über das versammelte Wartungspersonal hingwegschaute, das sich wie Gläubige um ihn tummelte.
Der Titan der Imperator-Klasse stellte die Krone der Fähigkeiten und des Wissens des Mechanicums dar, den Höhepunkt eines Milleniums des Krieges und der Militärtechnologie. Der Titan hatte keinen anderen Zweck als Zerstörung und war mit der natürlichen Affinität für das Geschäft des Tötens konzipiert, die der Menschheit innewohnte. Der Titan war ein kolossaler, gerüsteter Riese aus Stahl, dreiundvierzig Meter hoch auf seinen krenellierten Festungsbeinen, die jeweils eine ganze Kompanie Soldaten samt der ihnen zugeordneten Hilfstruppen aufnehmen konnten.
Jonah beobachtete, wie ein langes schwarz-goldenes Banner zwischen den Beinen des Titans entrollt wurde, auf dem das Totenkopf-Symbol der Legio Mortis prangte. Es sah aus wie das Lendentuch irgendeines brutalen Wilden. Zahlreiche Schriftrollen, jede mit dem Namen eines glorreichen Siegs des Kriegsmeisters geschmückt, waren auf das Ehrenbanner gestickt, und Jonah wusste, dass noch viele hinzukommen würden, bevor der Große Kreuzzug vorbei war.
Dicke, geriffelte Kabel schlängelten sich von den abgeschirmten Reaktorkernen in der Hangardecke zum gepanzerten Rumpf des Titans, wo der Plasmareaktor der gewaltigen Kriegsmaschine mit der Energie einer eingesperrten Sonne gefüttert wurde.
Sein diamantharter Rumpf war vernarbt und trug noch die Spuren des Kampfes gegen die Megarachniden, die von den Techadepten noch nicht gänzlich beseitigt worden waren. Nichtsdestoweniger war er ein prachtvoller und zur Bescheidenheit mahnender Anblick, obwohl er Kopfschmerzen und Übelkeit nach zu viel Amasec in der letzten Nacht nicht beseitigen konnte.
Riesige rumpelnde Kräne an der Decke hoben massige Behälter mit Granaten und langen, stumpfnasigen Raketen in die Abschussbuchten der Geschütze des Titans. Jedes Geschütz hatte die Größe eines Habitatblocks, gewaltige mehrläufige Kanonen, Langstreckenhaubitzen und eine monströse Plasmakanone mit genug Kraft, um Städte dem Erdboden gleichzumachen.
Er beobachtete, wie die Waffenmannschaften die Geschütze warteten, und verspürte den vertrauten Anflug von Stolz und Aufregung, als er sich auf den Weg zu dem Titan machte. Er lächelte über den maskulinen Symbolismus, mit dem ein Titan, der für den Krieg vorbereitet wurde, aufwarten konnte.
Als ein mit Vulkan-Boltpatronen beladener Karren an ihm vorbeiraste und ihn auf dem Weg durch das organisierte Chaos aus Bodenpersonal, Titanenbesatzung und Helfern nur knapp verfehlte, schrak er zusammen. Mit quietschenden Bremsen kam er zum Stillstand, und der Kopf des Fahrers nickte herum.
»Pass doch auf, wo du hinlatschst, du verdammter Idiot!«, rief der Fahrer, indem er sich von seinem Sitz erhob und wütend auf ihn losging. »Wenn ihr Titanenjockeys glaubt, ihr könnt hier wie Piraten rumstolzieren, will ich euch mal sagen, was ich ...«
Die Worte blieben dem Mann im Halse stecken, und er nahm schlagartig Haltung an, als er die Granatsplitter und das geflügelte Schädelemblem auf den Schulterklappen von Jonahs Uniformjacke sah, die ihn als Moderati Primus des Dies Irae auswiesen.
»Tut mir leid«, lächelte Jonah, indem er die Arme in einer Geste amüsierter Entschuldigung ausbreitete, während der Mann schluckte. »Ich habe Sie nicht gesehen, Meister, ich habe einen ziemlich heftigen Kater. Aber wieso rasen Sie hier auch so herum? Sie hätten mich umbringen können.«
»Sie sind mir einfach vor den Karren gelaufen«, sagte der Mann, den Blick starr auf einen Punkt über Jonahs Schulter gerichtet.
»Bin ich das? Tja ... also ... seien Sie nächstes Mal etwas vorsichtiger«, sagte Jonah, der bereits weiterging.
»Dann pass auf, wo du hinlatschst ...«, zischte der Mann leise, bevor er wieder auf seinen Karren stieg und weiterfuhr.
»Seien Sie jetzt vorsichtig!«, rief Jonah dem Fahrer hinterher, während er sich die Beleidigungen vorstellte, die er sich über »diese verdammten Titanenjockeys« einfallen lassen würde, um sie bei erster Gelegenheit seinen Kameraden vom Bodenpersonal zu erzählen.
Der Hangar war zwar über zwei Kilometer lang, aber Jonah fühlte sich trotzdem beengt, als er zum Dies Irae ging. Der Geruch nach Maschinenöl, Schmierfett und Schweiß war für seinen Kater nicht gerade zuträglich.
Ein ganzes Heer Titanen der Legio Mortis stand kampfbereit da: schnelle mittelschwere Reaver, Warhounds zur Aufklärung und die gewaltigen Warlords. Es gab auch ein paar neuere Titanen der Night-Gaunt-Klasse, aber keiner konnte es mit der ehrfurchtgebietenden Pracht eines Titans der Imperator-Klasse aufnehmen. Dies Irae stellte sie alle in den Schatten, was Größe, Kraft und Herrlichkeit betraf, und Jonah wusste, dass es in der Galaxis nichts gab, das sich gegen eine so furchteinflößende Kriegsmaschine behaupten konnte.
Jonah richtete seinen Kragen und schloss die Messingknöpfe an der Jacke, strich sie glatt, bevor er die breiten Füße des Titans erreichte. Er fuhr sich durch das schulterlange schwarze Haar, um zumindest den Eindruck zu erwecken, nicht in seinen Kleidern geschlafen zu haben. Er konnte die dünne, eckige Gestalt von Titus Cassar sehen, dem anderen Moderati Primus, der an einer Überwachungskonsole arbeitete, und er hatte nicht den Wunsch, einen weiteren Vortrag über die neunundneunzig Tugenden des Imperators über sich ergehen zu lassen.
Anscheinend war geschniegeltes Aussehen eine der wichtigsten.
»Guten Morgen, Titus«, sagte er in unbeschwertem Ton.
Cassars Kopf ruckte überrascht hoch, und er schob rasch ein zusammengefaltetes Pamphlet unter einen Stapel Bereitschaftsberichte.
»Du kommst zu spät«, sagte er, nachdem er sich schnell wieder gefasst hatte. »Wecken war vor einer Stunde, und Pünktlichkeit ist das Kennzeichen des Frommen.«
»Komm mir nicht damit, Titus«, sagte Jonah, indem er die Hand ausstreckte und das Pamphlet unter dem Stapel hervorzog. Cassar wollte ihn daran hindern, doch Jonah war zu schnell und schwenkte es vor seiner Nase hin und her.
»Wenn Princeps Turnet dich damit erwischt, bist du Geschützservitor, bevor du weißt, wie dir geschieht.«
»Gib es mir wieder zurück, Jonah, bitte.«
»Ich bin nicht in der Stimmung für noch eine Predigt aus dieser Fibel der verdammten Lectitio Divinitatus.«
»Schön, ich packe es weg, nur gib es mir wieder, ja?«
Jonah nickte und hielt Cassar die zerlesene Fibel hin, der sie ihm förmlich aus der Hand riss und in seine Uniformjacke schob.
Jonah rieb sich mit den Handrücken die Schläfen und sagte: »Was soll eigentlich die Eile? Das alte Mädchen ist doch nicht mal bereit für die Vor-Einsatz-Tests, oder?«
»Ich wünschte, du würdest aufhören, den Titan als eine Sie zu bezeichnen. Das riecht nach heidnischem Anthropomorphismus«, sagte Cassar. »Ein Titan ist eine Kriegsmaschine, nicht mehr. Stahl, Adamantium und Plasma, dazu Fleisch und Blut, das darüber herrscht.«
»Wie kannst du das sagen?«, fragte Aruken, indem er zu einem stahlverkleideten Beinabschnitt ging und die Treppe zu den Rundbogentoren erklomm, die hineinführten. Er schlug mit der Handfläche auf das dicke Metall und sagte: »Sie ist offensichtlich eine Sie, Titus. Sieh dir die wohlgeformten Beine an, den Schwung der Hüften. Und trägt sie uns nicht in sich wie eine Mutter, die ihre ungeborenen Kinder beschützt?«
»Spott trägt die Saat der Pietätlosigkeit in sich«, sagte Cassar ohne eine Spur Ironie, »und das dulde ich nicht.«
»Ach, hör doch auf, Titus«, sagte Aruken, der sich langsam für das Thema erwärmte. »Spürst du es denn nicht, wenn du in ihr bist? Hörst du nicht ihren Herzschlag im Grollen ihres Reaktors, und spürst du nicht die Wildheit ihres Zorns im Donner ihrer Geschütze?«
Cassar wandte sich wieder seiner Überwachungskonsole zu und sagte: »Nein, tue ich nicht, und ich will von diesem Unfug auch nichts mehr hören, wir hinken ohnehin schon dem Zeitplan für die Vor-Einsatz-Tests hinterher. Princeps Turnet lässt unser Fell an den Rumpf nageln, wenn wir nicht fertig werden.«
»Wo ist der Princeps?«, fragte Jonah, nun ernst. »Beim Kriegsrat.«
Aruken nickte und ging die Treppe des Titanenfußes zu Cassar an der Überwachungskonsole hinunter. »Nur weil du nie Gelegenheit hattest, eine Frau zu genießen, habe ich noch lange nicht Unrecht.«
Cassar bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.
»Das reicht jetzt. Der Kriegsrat ist bald zu Ende, und ich will nicht, dass die Leute sagen, die Lego Mortis wäre nicht bereit gewesen, den Befehlen des Imperators zu folgen.«
»Du meinst, den Befehlen des Kriegsmeisters«, korrigierte Jonah.
»Wir haben das doch schon oft genug diskutiert, mein Freund«, sagte Cassar. »Horus wurde vom Imperator eingesetzt. Wir vergessen das auf eigene Gefahr.«
»Das mag sein, aber es sind viele düstere und blutige Tage vergangen, seit wir an der Seite des Imperators gekämpft haben, oder? Aber war Horus nicht immer und auf jedem Schlachtfeld für uns da?«
»Das war er tatsächlich, und dafür würde ich ihm auch bis hinter die Halosterne folgen«, nickte Cassar. »Aber sogar der Kriegsmeister muss sich vor dem Gott-Imperator verantworten.«
»Gott-Imperator?«, zischte Jonah, indem er sich näher zu ihm beugte, als er sah, dass sich ein paar Mitglieder des Bodenpersonals zu ihnen umdrehten. »Hör mal, Titus, du musst mit diesem Gott-Imperator-Schwachsinn aufhören. Eines Tages sagst du das dem Falschen, und dann schlägt dir jemand dafür den Schädel ein. Außerdem sagt der Imperator selbst, dass er kein Gott ist.«
»Nur das wahrhaft Göttliche bestreitet seine Göttlichkeit«, zitierte Cassar aus seinem Buch.
Jonah hob kapitulierend die Hände und sagte: »Schon gut, ganz wie du willst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
»Die Rechtschaffenen haben von den Gottlosen nichts zu befürchten, und ...«
»Erspar mir den nächsten Vortrag über Moral, Titus«, seufzte Jonah, indem er sich abwendete und zusah, wie eine Abteilung Soldaten der Imperialen Armee mit den Lasergewehren am Trageriemen über der Schulter in den Hangar marschierte.
»Schon irgendwas bekannt, gegen wen wir auf diesem Felsbrocken antreten?«, wechselte Jonah das Thema. »Ich hoffe, es sind die Grünhäute. Wir sind ihnen immer noch was schuldig für die Zerstörung von Vulkas Tor auf Ullanor. Was meinst du, sind es die Grünhäute?«
Cassar zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Jonah. Spielt es eine Rolle? Wir bekämpfen, wen wir laut Befehl bekämpfen sollen.«
»Ich wüsste es nur gern.«
»Du wirst es erfahren, wenn Princeps Turnet zurückkehrt. Und wo wir gerade von ihm reden: Solltest du nicht besser das Kommandodeck für seine Rückkehr vorbereiten?«
Jonah nickte, denn er wusste, dass der andere Moderati recht und er schon genug Zeit damit verschwendet hatte, ihn zu reizen. Princeps Senioris Esau Turnets Ruf als gefürchteter, rücksichtsloser Krieger war wohlverdient, und er führte ein strenges Regiment im Dies Irae.
Titanenbesatzungen mochten im Allgemeinen mehr Freiraum in ihrem Benehmen genießen als gemeine Soldaten, aber Turnet duldete keine derartigen Laxheiten bei der Besatzung seines Titans.
»Du hast recht, Titus, ich bin zerknirscht.«
»Du brauchst nicht zerknirscht zu sein«, sagte Cassar, indem er auf das Tor im Bein des Titans zeigte. »Sei lieber bereit.«
Jonah deutete einen flüchtigen Gruß an, trabte die Treppe empor und überließ es Cassar, den Titan für das Auftanken vorzubereiten. Er arbeitete sich an einsteigenden Soldaten vorbei, die murrten, als er sie beiseite schob.
Einige wurden laut, doch als sie seine Uniform sahen und begriffen, dass schon bald ihr Leben von ihm abhängen würde, verstummten sie rasch.
Jonah blieb vor dem Eingang in den Titan stehen und nahm sich eine Sekunde, um den Moment auf der Schwelle zu genießen. Er legte den Kopf in den Nacken und schaute an der riesigen Maschine empor, dann holte er tief Luft und schritt durch das hohe, mit Adler und Blitzstrahl gekrönte Tor.
Er wurde in rotes Licht getaucht, als er das kalte, harte Innere des Titans betrat. Mit einer Vertrautheit, die unzählige Stunden des Studiums jeder Schraube und Niete im Dies Irae verriet, arbeitete er sich durch die niedrigen Korridore.
Es gab keine Ecke des Titans, die Jonah nich kannte. Jeden Gang, jede Luke und jedes Geheimnis des alten Mädchens — Jonah kannte sie alle.
Nicht einmal Titus und Princeps Turnet kannten Dies Irae so gut wie er.
Er erreichte das Ende eines schmalen Korridors und näherte sich einer dicken Eisentür, die von zwei Soldaten in poliertem schwarzen Brustharnisch über silbernen Kettenhemden bewacht wurden. Beide trugen eine Maske in der Form des Totenkopfes der Legio und waren mit einem kurzen Schockstab und einer gehalfterten Schockpistole bewaffnet. Sie spannten sich, als er in Sicht kam, lockerten sich dann aber wieder, als sie ihn erkannten.
Jonah nickte ihnen zu und sagte: »Moderati Primus unterwegs von den unteren zu den mittleren Sektionen.«
Der eine Soldat nickte und zeigte auf ein glänzend schwarzes Paneel neben der Tür, während der andere seine Pistole zog. Die Mündung leuchtete leicht, und zwei silberne Stahlzangen ragten bedrohlich daraus hervor, zwischen denen blaue Funken sprangen.
Lichtbögen konnten daraus hervorschießen und einem in einem Energieblitz das Fleisch von den Knochen sengen, aber die Waffe konnte in der Enge des Titans keine gefährlichen Querschläger erzeugen.
Jonah drückte die Handfläche auf das Paneel und wartete, während ein gelber Strahl seine Hand abtastete. Ein Licht über der Tür blinkte grün, und der nächste Soldat beugte sich herüber und drehte an einem Lukenrad, das die Tür öffnete.
»Danke«, sagte Jonah und ging hindurch zu einer der Wendeltreppen, die im Bein des Titans nach oben führten. Die schmalen Treppenstufen aus Eisengeflecht wanden sich um dicke Faserbündelmuskeln und pulsierende Stromkabel, die in flimmernde Energiefelder gehüllt waren, doch Jonah beachtete sie nicht, da er ganz auf seinen rebellierenden Magen konzentriert war, während er die heiße, stickige Treppe erklomm. Auf halbem Weg musste er innehalten, um zu verschnaufen. Er wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und erreichte die nächste Ebene.
Hier oben war es kühler, da starke Einheiten zur Wärmerückführung die durch das Ablassen von Plasmagasen aus dem Reaktor erzeugte Hitze verteilten. Kapuze tragende Adepten des Mechanicums standen vor flackernden Kontrollpaneelen und bauten langsam die Plasmastufen im Reaktor auf. Besatzungsmitglieder begegneten ihm und salutierten. Dies Iraes Besatzung bestand aus fähigen Männer, und das mussten sie auch sein — Princeps Turnet hätte sie andernfalls nicht ausgewählt. Alle Männer und Frauen an Bord des Titans waren aufgrund ihrer Fachkenntnisse und Hingabe persönlich ausgesucht worden.
Schließlich erreichte Jonah die Moderati-Gemächer im Herzen des Titans und schob seinen Authentifikator in den Schlitz neben der Tür.
»Moderati Primus Jonah Aruken«, sagte er.
Das Schloss klickte, und die Tür öffnete sich mit einem Glockenton. Dahinter wartete eine strahlende Kuppelkammer mit gerundeten Wänden aus glänzendem Metall und einem halben Dutzend gleichmäßig über die Decke verteilten Öffnungen.
Jonah blieb in der Mitte des Raums stehen und sagte: »Kommandobrücke, Moderati Primus, Jonah Aruken.«
Der Boden flimmerte und kräuselte sich wie Quecksilber, als sich eine perfekte, kreisrunde Scheibe aus einem spiegelartigen Metall unter seinen Füßen bildete und ihn von unten anhob. Die dünne Scheibe stieg, und Jonah schob sich die Transportröhre entlang durch ein Loch in der Decke dem höchsten Punkt des Titans entgegen. Die Wände der Röhre leuchteten in ihrem eigenen inneren Licht, und Jonah unterdrückte ein Gähnen, als die silberne Scheibe anhielt und er das Kommandodeck betrat.
Das Innere des Kopfbereichs des Dies Irae war weitläufig und quaderförmig. Im Boden gab es beiderseits des Hauptgangs Vertiefungen, wo Kapuze tragende Adepten und Servitoren über direkte Schnittstellen mit den Kernfunktionen der kolossalen Maschine verbunden waren.
»Und wie geht es uns so an diesem wunderbaren Morgen?«, fragte er. »Sind Sie bereit, den Kampf wieder einmal zu den Heiden zu tragen?«
Wie üblich bekam er keine Antwort, und Jonah schüttelte lächelnd den Kopf, als er in den vorderen Bereich der Brücke ging. Er spürte bereits, wie sein Kater beim Gedanken der Verschmelzung mit der Kommando-Schnittstelle nachließ. Drei Polstersessel besetzten ein erhöhtes Podium vor dem leuchtend grünen Taktik-Bildschirm. Dicke Bündel isolierter Kabel hingen aus ihren Armlehnen und Kopfstützen.
Er ging an dem mittleren Sessel vorbei, der Princeps Turnet gehörte, und glitt in die bequeme Vertiefung in der Sitzfläche des rechten Sessels, die er im Laufe der Jahre in das knarrende Leder gesessen hatte.
»Adepten«, sagte er. »Verbinden Sie mich.«
Rot berobte Adepten des Mechanicums tauchten auf, jeweils einer rechts und links von ihm. Ihre Bewegungen waren bedächtig und synchron, während sie ihm feine, mikrozelluläre Handschuhe überstreiften, deren mnemonische Innenseiten sich mit seiner Haut verbanden und seine Lebensfunktionen aufzeichneten. Ein anderer Adept zog ihm ein silbernes Gitter aus enzephalografischen Sensoren über den Kopf, und die Berührung des kühlen Metalls auf der Haut war eine willkommene Empfindung.
»Halten Sie still, Moderati«, sagte der Adept hinter ihm mit dumpfer, lebloser Stimme. »Die Kortikal-Dendriten sind bereit.«
Jonah hörte das Zischen der Nackenklammern, als sie aus der Seite der Kopfstütze ausfuhren, und im Augenwinkel sah er, wie schlangenartige Metallsplitter aus den Klammern ausfuhren. Er wappnete sich gegen den kurzen Verbindungsschmerz, als sie über seine Wangen zu den Augen glitten wie silberne Würmer.
Dann konnte er sie zur Gänze sehen: unglaublich dünne Silberdrähte, keiner dicker als ein menschliches Haar und doch fähig, riesige Informationsmengen zu transportieren.
Die Klammern schlossen sich fest um den Kopf, während die Silberdrähte herabsanken, durch die Augenwinkel drangen und sich am Sehnerv vorbei ins Hirn schlängelten, wo sie sich schließlich direkt mit seiner Großhirnrinde verbanden.
Er grunzte, als der eisige Schmerz durch sein Gehirn zuckte, entspannte sich aber schnell wieder, denn nun spürte er, wie der Titan eins mit ihm wurde. Informationen durchfluteten ihn, die von den Kortikal-Dendriten durch normalerweise ungenutzte Bereiche seines Hirns geleitet wurden.
So konnte er jeden Bestandteil der gigantischen Maschine spüren, als sei er eine Ausweitung seines eigenen Körpers.
Mikrosekunden später waren die posthypnotischen Implantate in den unterbewussten Teilen seines Hirns bereits mit den Vor-Einsatz-Tests beschäftigt, und über die Innenseiten seiner Augäpfel huschten Telemetriedaten, Waffenbereitschaftszustände, Treibstoff-mengen und Millionen andere Informationshäppchen, die ihm ermöglichen würden, diesen herrlichen, wunderbaren Titan zu befehligen.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte der Adept, und Jonah lachte.
»Es ist gut, der König zu sein«, sagte er.
Als die ersten Lichtpunkte am Himmel leuchteten, wusste Akshub, dass die Geschichte zu ihrer Welt gekommen war. Sie hielt ihren mit Fetischen behangenen Stab fest in der Krallenhand, denn sie wusste, dass ein Augenblick in der Zeit dämmerte, den die Menschheit nie vergessen würde. Er verhieß einen Tag, an dem die Götter selbst aus dem Reich der Mythen und Legenden treten würden, um mit Blut und Feuer die Zukunft herauszumeißeln.
Auf diesen Tag wartete sie, seit sie kaum mehr gewesen war als ein Säugling und die großen Krieger vom Himmel Nachricht von ihrer heiligen Aufgabe gebracht hatten. Als der große rote Sonnenball im Norden aufging, brachten trockene Winde den sauren Geruch bitterer Blüten aus den mit Gräbern bedeckten Tälern lange toter Herrscher mit sich.
Hoch oben in den Bergen beobachtete sie, wie sich dieser Tag aller Tage unter ihr entfaltete, während ihr Tränen der Verzückung aus den schwarzen, ovalen Augen über die runzligen Wangen rannen. Aus den Lichtpunkten wurden feurige Streifen, die sich über die Wolken zum Boden zogen.
Unter ihr zogen große Herden gehörnter Tiere durch die blühende Savanne zu ihren Wasserlöchern im Süden, bevor der Tag zu heiß für Bewegung wurde und die schnellen Raubtiere mit den messerscharfen Reißzähnen aus ihren felsigen Höhlen kamen. Vogelschwärme flogen mit breiten Schwingen über die höchsten Berggipfel weit über ihr hinweg und schrien dabei heiser, aber musikalisch, während dieser bedeutsame Tag langsam älter wurde.
Die ungezählten Variationen des Lebens existierten auf ihre übliche Art weiter und ahnten nicht, dass sich auf dieser wenig bemerkenswerten Welt bald Ereignisse von galaxisweiter Bedeutung zutragen würden.
An diesem Tag aller Tage wusste nur sie das zu würdigen.
Die erste Welle der Landekapseln ging um genau 16:04 Uhr Zulu-Zeit rings um das Zentralmassiv nieder. Die kreischenden Düsen ihrer Triebwerke brachten sie auf feurigen Säulen herein, als sie in die dichtesten Atmosphärenschichten eintauchten. Stormbirds folgten, die wie gefährlich grazile Raubvögel auf irgendein glückloses Opfer herabzustoßen schienen.
Durch die Eintauchhitze schwarz und versengt, wirbellen die Landekapseln bei ihrem Einschlag gewaltige Wolken aus Staub und Erde auf, bevor sich ihre breiten Luken mit hallendem Krachen öffneten und auf den Steppenboden schepperten.
Dreihundert Krieger in dicker Plattenrüstung verließen die Landekapseln und schwärmten mit mechanischer Präzision aus, wobei sie rasch die Verbindung zu anderen Trupps herstellten und einen Verteidigungsring um einen wenig bemerkenswerten Landstrich in der Mitte ihrer Landezone bildeten. Stormbirds kreisten in einander überlappenden Ovalen über ihnen, als wollten sie zu einer Annäherung herausfordern.
Auf ein unsichtbares Signal hin lösten die Stormbirds ihre Formation auf und stiegen rasch, während die klobige Form eines Thunderhawk mit schwarzem Bauch auf blau-weißen Kondensstreifen aus den Wolken herabsank. Die größeren Schiffe umgaben das kleinere wie ein Haufen Hennen ein Küken und begleiteten es zur Oberfläche, wo es in einer wallenden Wolke aus rotem Staub aufsetzte.
Die Stormbirds jagten auf ihren zuvor festgelegten Patrouillenschleifen davon, während sich die vordere Luke des Thunderhawk mit dem Zischen entweichender Druckluft öffnete. Zehn Krieger in der schimmernden Plattenrüstung der Sons of Horus und mit buschverzierten Helmen verließen das Schiff mit wehenden Schulterumhängen in vielen Farben.
Jeder trug ein goldenes Boltgewehr vor der Brust und drehte beständig den Kopf auf der Suche nach Bedrohungen.
Ihnen folgte ein lebendiger Gott, dessen Rüstung golden und meergrün leuchtete. Sein Umhang in majestätischem Purpur rahmte ihn perfekt ein. Ein einzelnes rotes Auge prangte auf seinem Brustharnisch, und um seine perfekte Stirn wand sich ein Lorbeerkranz.
»Davin«, seufzte Horus.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal hierher zurückkehren würde.«
Zwei
Du blutest
Ein guter Krieg
Bis die Galaxis brennt
Zeit zum Zuhören
MERSADIE OLITON ZWANG SICH hinzusehen. Die Klinge
stach nach Loken — dieser Angriff würde ihn tödlich treffen. Doch wie immer wich er dem Stoß in einem Tempo aus, das seine massige Astartes-Gestalt Lügen strafte, und hob sein Schwert rechtzeitig, um den Nachfolgehieb zu parieren. Ein schwerer Schlägel schwang nach seinem Kopf, doch er hatte den Hieb offensichtlich vorausgesehen und duckte ihn ab.
Der Übungskäfig klirrte, während die Waffen durch die Luft schwangen, stießen und hieben und den massigen Astartes-Krieger darin zu töten versuchten. Auf Lokens harten Muskeln glänzte eine Schweißschicht, und er Brunzte, als eine Klinge seinen Oberarm ritzte. Mersadie zuckte zusammen. Ein dünnes Rinnsal Blut rann über seinen Bizeps.
Soweit sie sich erinnern konnte, war das überhaupt das erste Mal, dass sie sah, wie er im Übungskäfig verwundet wurde.
Der grinsende blonde Riese Sedirae und Lokens Freund Vipus hatten die Übungshalle schon längst verlassen und sie mit dem Hauptmann der 10. Kompanie allein gelassen. So geschmeichelt sie auch war, dass er sie gebeten hatte, ihm bei seinen Übungen zuzusehen — sie stellte rasch fest, dass es ihr sehr viel lieber gewesen wäre, wenn er dieses grässliche Ritual beendet hätte,
damit sie über die Geschehnisse auf Davin und die Ereignisse reden konnten, die dazu geführt hatten, dass sie nun auf seinem Mond Krieg führten. Sie saß auf einer der kalten Eisenbänke vor den Übungskäfigen und hatte bereits mehr Bilder geklick-blinzelt und in ihren Gedächtnisspulen gespeichert, als sie je brauchen würde.
Außerdem, wenn sie ehrlich war, beunruhigte sie die ... Besessenheit von Lokens Übungskämpfen. Sie hatte ihn schon mal dabei beobachtet, aber das war immer nur eine Ergänzung ihrer normalen Diskussionen gewesen, niemals der Mittelpunkt. Dies war etwas anderes. Es war, als wolle der Hauptmann der Luna Wolves …
Nein, nicht der Luna Wolves, erinnerte sie sich: der Sons of Horus.
Während Loken den nächsten Schlag abwehrte, warf sie einen Blick auf ihren internen Chronometer und sah, dass sie bald gehen musste. Karkasy würde nicht warten, denn sein ungeheurer Appetit würde jeden Anflug von Höflichkeit ihr gegenüber im Keim ersticken.
Er würde ohne sie in die Mensa der Iteratoren gehen. Dort gab es reichlich Wein umsonst, und trotz Ignaces neu entdeckter Hingabe an die Sache des Memorierens gefiel ihr die Vorstellung nicht, ein derartiges Füllhorn an Alkohol könne direkt vor ihm ausgeschüttet werden.
Sie verdrängte alle Gedanken an Karkasy, als die zischenden mechanischen Halbkugeln des Übungskäfigs auseinanderklafften und eine Glocke läutete. Loken trat aus dem Käfig, die blonden Haare, die länger geworden waren, an den Kopf gekleistert und die leicht sommersprossige Haut von der Anstrengung gerötet.
»Sie sind verletzt«, sagte sie, als sie ihm ein Handtuch reichte.
Er schaute nach unten, als habe er die Wunde noch gar nicht zur Kenntnis genommen. »Das ist nichts«, sagte er, indem er das bereits geronnene Blut wegwischte. Sein Atem ging rasch und stoßweise, und sie versuchte ihre Überraschung zu verbergen.
Einen Astartes außer Atem zu sehen, war absolut ungewohnt für sie. Wie lange war er bei ihrem Eintreffen in der Halle schon im Übungskäfig gewesen?
Loken wischte sich den Schweiß von Gesicht und Oberkörper, während er zu seiner Rüstkammer ging. Mersadie folgte ihm. Wie üblich bewunderte sie unwillkürlich die Perfektion seiner Statur.
Die alten Stämme der Olympischen Hegemonie hatten solche Exemplare physischer Perfektion Adonis genannt, und das Wort passte zu Loken wie eine meisterhaft geschmiedete MarkIV-Rüstung. Beinahe ohne nachzudenken, klick-blinzelte Mersadie ihn.
»Sie gaffen«, sagte Loken, ohne sich umzudrehen.
Überrumpelt sagte sie: »Verzeihung, ich wollte nicht ...«
Er lachte. »Ich ziehe Sie nur auf. Es macht mir nichts aus. Wenn man sich an mich erinnern soll, dann auf der Höhe meiner Kräfte, nicht als zahnlosen alten Mann, der in seine Grütze sabbert.«
»Mir war nicht klar, dass Astartes altern«, erwiderte sie, als sie sich wieder gefasst hatte.
Loken zuckte die Achseln und nahm sich eine Armschiene und ein Poliertuch. »Ich weiß nicht, ob wir altem. Keiner von uns hat jemals lange genug gelebt, um es herauszufinden.«
Ihr Gefühl für Ungesagtes verriet ihr, dass sie diesen Ansatz in einem Kapitel ihrer Memoratorien benutzen konnte, wenn er noch mehr über dieses Thema verriet. Die Melancholie des Unsterblichen oder das Paradoxon eines alterslosen Wesens im Fluss beständigen Wandels — zappelnde Fliegen im gerinnenden Harz der Historie.
Ihr ging auf, dass sie sich selbst vorauseilte, und fragte: »Stört es sie, nicht alt zu werden? Ist etwas in Ihnen, das alt werden will?«
»Warum sollte ich alt werden wollen?«, fragte Loken, indem er seine Büchse mit Polierpulver öffnete und etwas davon auf die Armschiene gab, deren neue Farbe, ein blasses, metallisches Grün, ihr immer noch unvertraut war. »Wollen Sie das etwa?«
»Nein«, gab sie zu, wobei ihre Hand unbewusst zu ihrer schwarzen, haarlosen Kopfhaut wanderte. »Nein, will ich nicht. Um ehrlich zu sein, macht es mir sogar Angst. Ihnen auch?«
»Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht angelegt bin, um Angst zu empfinden. Ich bin jetzt stark, kräftig. Warum sollte ich das ändern wollen?«
»Ich weiß nicht. Ich dachte, wenn Sie älter werden, könnten Sie eines Tages, na ja, sich zur Ruhe setzen. Wenn der Kreuzzug vorbei ist, meine ich.«
»Vorbei?«
»Ja, wenn die Kämpfe beendet sind und das Reich des Imperators wiederhergestellt wurde.«
Loken antwortete nicht sofort, sondern polierte weiter seine Rüstung.
Sie wollte die Frage schon wiederholen, als er sagte: »Ich weiß nicht, ob er je vorbei sein wird, Mersadie. Seit ich dem Mournival angehöre, habe ich mit einer Reihe von Leuten gesprochen, die alle zu glauben scheinen, dass wir die Große Vereinigung nie vollenden werden. Oder dass es nicht von Dauer sein wird, falls wir es tun.«
Sie lachte. »Das klingt, als hätten Sie zu viel Zeit mit Ignace verbracht. Hat seine Poesie wieder eine Wendung zum Rührseligen genommen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Was ist es dann? Was bringt Sie auf diesen Gedanken? Die Bücher, die Sie sich von Sindermann geliehen haben?«
»Nein«, sagte er wieder, und der Blick seiner hellgrauen Augen verfinsterte sich bei der Erwähnung des ehrwürdigen Ersten Iterators.
Sie spürte, dass er sich zu diesem Thema nicht weiter auslassen würde, und verschob dieses Gespräch auf eine andere Gelegenheit, wenn er sich offener zu diesen ungewöhnlich düsteren Gedanken äußern würde.
Sie beschloss, eine andere Frage zu stellen und das Ganze in eine optimistischere Richtung zu lenken, als ein Schatten auf sie fiel. Als sie sich umdrehte, sah sie die massige Gestalt des Ersten Hauptmanns Abaddon vor sich.
Wie üblich waren seine langen Haare zu einem silbern umwickelten Knoten zusammengebunden, der Rest war kahl rasiert. Der Hauptmann der Ersten Kompanie der Sons of Horus trug schlichten Übungsdrillich und ein monströses Schwert mit einer Sägezahnklinge.
Er funkelte Mersadie missbilligend an.
»Erster Hauptmann Abaddon ...«, begann sie, indem sie den Kopf neigte, aber er fiel ihr ins Wort.
»Du blutest?«, fragte Abaddon, und seine kräftige Faust umschloss Lokens Arm, während der sonore Klang seiner Stimme seine massige Statur nur betonte. »Die Übungsmaschine hat einen Astartes verletzt?«
Loken schaute auf das Muskelpaket, wo die Klinge durch die schwarze Tätowierung des doppelköpfigen Adlers geschnitten hatte.
»Ja, Ezekyle, es war eine lange Sitzung, und ich war müde. Es ist nichts weiter.«
Abaddon grunzte und sagte: »Du wirst weich, Loken. Wenn du mehr Zeit in Gesellschaft von Kriegern anstatt lästiger Dichter und neugieriger Schreiber verbrächtest, würdest du vielleicht weniger zu derartiger Müdigkeit neigen.«
»Vielleicht«, stimmte Loken zu, und Mersadie spürte die knisternde Spannung zwischen den beiden Astartes.
Abaddon nickte Loken knapp zu und bedachte sie mit einem letzten stacheligen Blick, bevor er zu den Übungskäfigen ging und sein Schwert surrend zum Leben erwachte.
Mersadie beobachtete Lokens Augen. Sie folgten Abaddon, und sie sah dort etwas, das sie nie erwartet hätte: Wachsamkeit.
»Was sollte das denn?«, fragte sie.
»Hat es etwas damit zu tun, was auf Davin passiert ist?«
Loken zuckte die Achseln. »Das kann ich nicht sagen.«
Davin. Die melancholischen, in seinen Wüsten versprengten Ruinen kündeten von einer einstmals zivilisierten Kultur, aber die Anarchie der Alten Nacht hatte die Gesellschaft zerstört, die hier vor vielen Jahrhunderten gediehen war.
Jetzt war Davin eine wilde Welt, die von heißen, trockenen Winden gepeitscht wurde und im Blick des unbarmherzigen roten Auges einer Sonne briet. Vor sechs Dekaden hatte Loken zuletzt einen Fuß auf Davin gesetzt, obwohl der Planet damals Dreiundsechzig-Acht geheißen hatte, da Davin die achte Welt war, die von der 63. Expeditionsflotte eingegliedert wurde.
Die Eingliederung hatte seiner Ansicht nach keine sonderliche Verbesserung bewirkt.
Die Oberfläche war harter, gebackener Lehm mit stellenweiser magerer Vegetation und Wäldern aus hohen Bäumen, die einen starken Duft verströmten. An Siedlungen gab es nur primitive Gemeinden entlang der fruchtbaren Flusstäler, obwohl viele nomadische Stämme auf einsamen Wegen durch die gewaltigen, von Schlangen verseuchten Wüsten zogen.
Loken erinnerte sich gut an die Schlachten, die sie ausgetragen hatten, um diese Welt einzugliedern, kurze, heftige Kämpfe mit den eingeborenen Kriegerkasten, die Krieg gegeneinander führten und deren interne Konflikte sie beinahe ausgelöscht hatten. Obwohl zahlenmäßig und technologisch hoffnungslos unterlegen, hatten sie mit großem Mut gekämpft, bevor sie ihre Kapitulation anboten, nachdem sie der Ehre Genüge getan hatten.
Die Luna Wolves waren von ihrem Mut und ihrer Bereitschaft beeindruckt gewesen, die neue Ordnung ihrer Gesellschaft zu akzeptieren, und der Kommandant — damals noch nicht der Kriegsmeister — hatte verfügt, seine Krieger könnten von diesen tapferen Gegnern sehr viel lernen.
Zwar waren die Stammeskrieger durch Millennien der Isolation vom menschlichen Genom getrennt und hatten nur wenige physische Gemeinsamkeiten mit den Siedlern, die nach den Astartes kamen, aber Horus hatte den wilden Stammeskriegern angesichts ihrer begeisterten Aufnahme der imperialen Lebensart zu bleiben erlaubt.
Iteratoren und Memoratoren waren noch kein offizieller Bestandteil der Kreuzzugsflotten gewesen, aber die Zivilisten und Gelehrten, die an den Rockschößen der Expeditionsflotten hingen, mischten sich unter die Bevölkerung und verkündeten die Herrlichkeit und Wahrheit des Imperiums. Sie waren mit offenen Armen aufgenommen worden, hauptsächlich dank der pflichteifrigen Arbeit, die von den Ordenspriestern der XVII. Legion, den Word Bearers, im Kielwasser der Eroberung geleistet wurde.
Es war ein guter Krieg gewesen: rasch gewonnen, und für die Luna Wolves verlustfrei. Der besiegte Feind war schnell und wirksam eingegliedert worden, was es dem Kommandanten ermöglicht hatte, es Kor-Phaeron von den Word Bearers zu überlassen, das Licht der Wahrheit und der Erleuchtung nach Davin zu bringen.
Ja, es war ein guter Krieg gewesen. Jedenfalls hatte er das geglaubt.
Schweiß lief ihm über den Hinterkopf und in die Rüstung, deren metallisch grüner Glanz noch neu und verblüffend für ihn war, obwohl er sie vor Monaten umlackiert hatte. Er hätte diese Aufgabe auch einem der vielen Rüstmeister der Legion überlassen können, hatte aber auch tief in sich gewusst, dass er sich selbst um seine Ausrüstung kümmern musste. Also hatte er jeden Bestandteil sorgfältig von Hand lackiert. Er vermisste den makellosen Glanz seiner weißen Rüstung, aber der Kriegsmeister hatte verfügt, die neue Farbe zusammen mit dem neuen Namen der Legion anzunehmen: Sons of Horus.
Loken erinnerte sich an den Jubel und die bewundernden Rufe, als die Verlautbarung des Kriegsmeisters die Runde durch die Expeditionsflotte gemacht hatte. Fäuste waren in die Luft gereckt und Kehlen heiser gebrüllt worden. Loken hatte sich seinen Freunden angeschlossen, dann aber einen Anflug von Unbehagen verspürt, als er den neuen Namen seiner geliebten Legion hörte.
Torgaddon, immer ganz Witzbold, hatte den Schatten über Lokens Gesicht huschen gesehen und gefragt: »Was ist los? Willst du, dass wir Sons of Loken heißen?«
Loken hatte gelächelt und gesagt: »Nein, es ist nur ...«
»Nur was? Haben wir das nicht verdient? Hat der Kommandant diese Ehre nicht verdient?«
»Natürlich, Tarik«, nickte Loken, der schreien musste, um sich angesichts des ohrenbetäubenden Jubels der Legion verständlich zu machen. »Er hat es mehr verdient als sonst jemand, aber findest du nicht, dass der Name auch eine Spur Selbstverherrlichung beinhaltet?«
»Selbstverherrlichung?«, lachte Torgaddon.
»Diese Memoratoren, die dir wie geprügelte Hunde folgen, müssen dir neue Wörter beigebracht haben. Nun hör schon auf, freu dich darüber und sei nicht so ein korrektes Arschloch!«
Tariks Begeisterung war ansteckend gewesen, und Loken hatte selbst gejubelt, bis er heiser gewesen war.
Fast konnte er die Heiserkeit wieder spüren, als er den sauren, stechenden Geruch der Winde Davins einatmete, die aus nördlicher Richtung bliesen, und wünschte, er könne im Moment woanders sein. Es war keine Welt ohne Schönheit, aber Loken mochte Davin nicht, obwohl er nicht sagen konnte, was genau ihn eigentlich störte.
Ein mürrisches Unbehagen hatte sich auf dem Flug von Xenobia nach Davin in seinem Bauch eingenistet, aber er hatte es verscheucht, als er den Planeten vor dem Kommandanten betreten hatte.
Als jemand, der aus den alptraumhaften industriellen Kavernen Cthonias stammte, konnte Loken nicht abstreiten, dass Davins weitläufige offene Flächen berauschend schön waren. Westlich von ihnen schienen hohe Berggipfel die Sterne zu kratzen, und weiter im Norden gab es, wie Loken wusste, Täler, die bis in die Tiefen der Erde reichten, und fantastische Gräber uralter Könige.
Ja, sie hatten auf Davin einen guten Krieg geführt.
Warum hatten die Word Bearers sie dann aber wieder hergeführt?
Einige Stunden zuvor hatte Maloghurst auf der Brücke der Rächender Geist die Datentafel aktiviert, die er in seiner verdrehten Klaue hielt. Die Haut war verbrannt und feucht rosa, trotz aller Versuche der Apothekarii der Legion, sie wiederherzustellen. Er hatte sich noch einmal den Inhalt der Nachricht angesehen und war wütend über die Formulierungen, die der Bittsteller benutzte.
Ihm gefiel die Aussicht nicht, dem Kriegsmeister die Botschaft zeigen zu müssen, und er fragte sich kurz, ob er sie ignorieren oder vorgeben könne, sie nie gesehen zu haben. Doch Maloghurst war nicht zum Schildträger des Kriegsmeisters aufgestiegen, weil er schlechte Nachrichten von ihm fernhielt. Er seufzte. Dieser Tage hatten die Worte nichtssagender Verwaltungsbeamter dasselbe Gewicht wie diejenigen des Imperators, und sosehr Maloghurst auch wollte, er konnte diese Botschaft nicht ignorieren.
Der Kriegsmeister würde nie sein Einverständnis geben, aber Maloghurst musste es ihm sagen. Schwach drehte er sich um und hinkte über das Strategiumdeck zu den Gemächern des Kriegsmeisters. Er würde ihm die Datentafel auf den Tisch legen, wo dieser sie dann finden würde, wenn die Zeit gekommen war.
Die Türen zu den Gemächern glitten beiseite und gaben den Blick auf das dunkle, friedliche Innere frei.
Maloghurst genoss die Einsamkeit, die Kühle der Luft, die den Schmerz seiner rohen Haut und seines verkrüppelten Rückgrats linderte. Das einzige Geräusch, das die Stille störte, war sein heiserer Atem, da die abnorme rückwärtige Krümmung seines Rückgrats übermäßigen Druck auf seine Lunge ausübte.
Maloghurst hinkte unter Schmerzen den glatten ovalen Tisch entlang, um die Datentafel ans Kopfende zu legen, wo der Kriegsmeister zu sitzen pflegte.
Es ist zu lange her, seit sich das Mournival zuletzt hier versammelt hat, dachte Maloghurst.
»Guten Abend, Mal«, sagte eine Stimme aus dem Schatten, ernst und müde.
Maloghurst ließ die Datentafel auf den Tisch fallen und drehte sich überrascht zu der Stimme um. Er musste die Person, die es für richtig befunden hatte, in die Gemächer des Kriegsmeisters einzudringen, zurechtweisen.
Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit, und er entspannte sich, als er die vertrauten Züge seines Kommandanten erkannte, die durch das Licht seines Ringkragens in einen unheimlichen roten Schein getaucht waren.
Der Kriegsmeister saß in voller Schlachtrüstung ganz hinten in seinen abgedunkelten Gemächern, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in den Händen.
»Milord«, sagte Maloghurst. »Ist alles in Ordnung?«
Horus starrte auf die Terrazzofliesen und rieb sich mit den Handballen über den rasierten Schädel. Sein edles, sonnengebräuntes Gesicht und die weit auseinanderstehenden Augen lagen tief im Schatten, und Maloghurst wartete geduldig auf eine Antwort.
»Ich weiß es nicht mehr, Mal«, sagte Horus.
Maloghurst spürte, wie ihm ein Schauer über den verkrüppelten Rücken lief. Er musste sich verhört haben. Dass der Kriegsmeister etwas nicht wusste, war unvorstellbar.
»Vertraust du mir?«, fragte Horus plötzlich. »Natürlich, Milord«, antwortete Maloghurst ohne Zögern
»Was lässt du dann für mich hier, das du mir nicht direkt bringen willst?«, fragte er, indem er zum Tisch ging und die Datentafel aufhob.
Maloghurst zögerte. »Eine weitere Last, die Sie nicht brauchen können, Milord. Eine Memoratorin von Terra, anscheinend mit Freunden an den höchsten Stellen: zum Beispiel der Sigillit.«
»Petronella Vivar von Haus Carpinus«, sagte Horus, als er den Inhalt der Datentafel las. »Ich kenne ihre Familie. Ihre Vorfahren haben den Aufstieg meines Vaters damals in den Tagen vor der Vereinigung aufgezeichnet.«
»Was sie verlangt, ist lächerlich«, fauchte Maloghurst. »Ist es das? Bin ich so unbedeutend, dass ich nicht memoriert werden muss?«
Maloghurst war erschrocken. »Milord, wovon reden Sie? Sie sind der Kriegsmeister, vom Imperator, von allen geliebt, ausgewählt, sein Regent in diesem großen Unterfangen zu sein. Die Memoratoren dieser Flotte mögen jede Tatsache aufzeichnen, die sie erleben, aber ohne Sie sind sie nichts. Ohne Sie ist alles bedeutungslos. Sie stehen über allen Menschen.«
»Über allen Menschen«, gluckste Horus. »Das klingt gut. Ich wollte immer nur diesen Kreuzzug zum Sieg führen und das Werk vollenden, das mein Vater mir überlassen hat.«
»Sie sind ein Vorbild für uns alle, Milord«, sagte Maloghurst stolz.
»Das ist wohl alles, worauf ein Mann zu Lebzeiten hoffen kann«, nickte Horus. »Ein Vorbild zu sein, und wenn er tot ist, eine Inspiration für die Geschichte. Vielleicht wird sie mir bei diesem hehren Ideal helfen.«
»Tot? Sie sind ein Gott unter Menschen, Milord: unsterblich und von allen geliebt.«
»Ich weiß!«, brüllte Horus, und Maloghurst schrak vor dem jähen vulkanischen Ausbruch zurück. »Der Imperator hätte gewiss kein Wesen wie mich mit der Fähigkeit erschaffen, das Unendliche zu begreifen, um nur diese kurze Zeitspanne zu existieren! Du hast recht, Mal, du und auch Erebus. Mein Vater hat mich für die Unsterblichkeit erschaffen, und die Galaxis sollte von mir wissen. Ich will, dass mein Name in zehntausend Jahren überall bekannt ist.«
Maloghurst nickte, da die furiose Überzeugung des Kriegsmeisters berauschend war, und sank unter Schmerzen auf ein Knie. »Was soll ich tun, Milord?«
»Sag dieser Petronella Vivar, dass sie ihre Audienz bekommt, aber es muss sofort sein.« Der Ausbruch war längst vergessen. »Und sag ihr, wenn sie mich beeindruckt, erlaube ich ihr, meine persönliche Memoratorin zu sein, solange sie will.«
»Sind Sie sicher, Milord?«
»Das bin ich, mein Freund«, lächelte Horus. »Und jetzt steh auf. Ich weiß, dass dir das Knien Schmerzen bereitet.«
Er half Maloghurst auf und legte seinem Schildträger sanft einen Panzerhandschuh auf die Schulter. »Wirst du mir folgen, Mal?«, fragte er.
»Was auch geschieht?«
»Sie sind mein Herr und Meister, Milord«, schwor Maloghurst. »Ich werde Ihnen folgen, bis die Galaxis brennt und die Sterne erlöschen.«
»Mehr verlange ich nicht, mein Freund«, lächelte Horus.
»Und jetzt wollen wir mal sehen, was Erebus zu sagen hat. Davin, hm? Wer hätte gedacht, dass wir noch einmal hierher zurückkehren würden?«
Zwei Stunden nach der Landung auf Davin.
Die Botschaft Erebus' von den Word Bearers, welche die 63. Expedition nach Davin gebracht hatte, sprach von einer alten Rechnung, der Beilegung eines Disputs, hatte aber nichts über Gründe und Teilnehmer gesagt.
Nach dem Gemetzel auf Mord und der verzweifelten Evakuierung aus dem Extranus hatte Loken mit einem Kriegsgebiet von unerbittlicher Wildheit gerechnet, aber dieses Kriegsgebiet, wenn es denn so genannt werden konnte, war totenstill, heiß und ... friedlich.
Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert sein sollte.
Nicht lange nach der Landung war Horus zum gleichen Schluss gelangt, nachdem er mit einem Ausdruck des Wiedererkennens Davins Luft gewittert hatte.
»Hier gibt es keinen Krieg«, hatte er gesagt.
»Keinen Krieg?«, hatte Abaddon gefragt. »Woran können Sie das erkennen?«
»Das lernt man, Ezekyle«, sagte Horus. »Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Metall, nach Furcht und Blut. Auf dieser Welt gibt es nichts von alledem.«
»Warum sind wir dann hier?«, fragte Aximand, indem er seinen Helm absetzte.
»Anscheinend sind wir hier, weil wir gerufen wurden«, erwiderte Holms, dessen Stimme sich verdüsterte, und Loken gefiel der Klang des Wortes »gerufen« nicht.
Wer würde es wagen, den Kriegsmeister zu rufen?
Die Antwort war gekommen, als am Osthorizont eine Staubwolke größer wurde und acht klobige Kettenfahrzeuge ihnen über die Steppe entgegenrumpelten. An den Kom-Antennen der dunklen, im Schatten der mit dem Kriegsmeister gekommenen Stormbirds nahenden Fahrzeuge aus gebürstetem Stahl flatterten Wimpel mit dem Wappen einer anderen Legion der Astartes.
Auf dem führenden Rhino erhob sich stolz ein devotionales Trophäengestell auf dem gepanzerten Vorbau, das mit goldenen Adlern und Büchern behangen und mit gezackten Blitzen aus Lapislazuli geschmückt war.
»Erebus«, fauchte Loken.
»Haltet die Zunge im Zaum«, warnte Horus, als die Rhinos näher kamen, »und überlasst mir das Reden.«
Bizarrerweise roch es in der Jurte nach Äpfeln, obwohl Ignace Karkasy kein Obst in den geschnitzten Holzschalen sehen konnte, nur Fleischstücke, die für seinen anspruchsvollen Gaumen ein wenig zu roh aussahen. Er hätte schwören können, Äpfel zu riechen. Er sah sich in der Jurte um und fragte sich, ob irgendein regionaler Cidre angeboten wurde. Ein Einheimischer mit behaartem Gesicht und unergründlichen dunklen Augen hatte ihm bereits eine flache Schale mit hiesigem Schnaps angeboten, einem widerlich aussehenden Gebräu, das wie saure Milch roch, aber nach einem vielsagenden Blick von Euphrati Keeler hatte er höflich abgelehnt.
Das Getränk war ebenso krude wie die Jurte, aber sie hatte eine primitive Erhabenheit an sich, die den Romantiker in ihm ansprach.
Dennoch war er klug genug zu wissen, dass Primitivität gut und schön war, solange man nicht darin leben musste. Vielleicht hundert Personen füllten die Jurte — Armee-Offiziere, Strategium-Adepten, ein paar Memoratoren, Schreiber und Adjutanten.
Alle waren zum Kriegsrat des Kommandanten erschienen.
Karkasy ließ den Blick durch die verräucherte Jurte schweifen und sah, dass er sich in der Tat in illustrer Gesellschaft befand: Hektor Varvarus, Lordkommandant der Armee, stand neben einem buckligen Astartes-Riesen in cremefarbenen Gewändern, bei dem es sich um Maloghurst handelte, den Schildträger des Kriegsmeisters.
Eine ernste Gestalt in der schwarzen Uniform eines Titanen-Kommandanten hatte in der vordersten Reihe der Versammelten Haltung angenommen, und Karkasy erkannte die fleischigen Züge von Princeps Esau Turnet, Kommandant des Imperator-Titans Dies Irae.
Turnets Titan hatte die Armada dieser gigantischen Kampfmaschinen auf Mord ins Herz des Territoriums der Megarachniden geführt und für die Legio Mortis den Löwenanteil des Ruhms verdient.
Karkasy erinnerte sich noch an den gewaltigen Titan, der die architektonische Präsentation von Peeter Egon Momus auf Dreiundsechzig-Neunzehn überragt hatte, und schauderte. Selbst reglos hatte er eine intensive Reaktion in ihm provoziert, und die Vorstellung, wie eine derart zerstörerische Kraft entfesselt wurde, war ihm unerträglich.
Bei der zischenden Ansammlung silberner Streben und wirbelnder Zahnräder, die Reste vom Fleisch einer vage humanoiden Gestalt umgaben, musste es sich um Regulus handeln, den Adept des Mechanicums, und Karkasy sah genug Lametta und Orden an vorgereckten, uniformierten Brustkörben hängen, um ein ganzes Bataillon damit zu bestücken.
Trotz der Anwesenheit solcher Koryphäen musste Karkasy ein Gähnen unterdrücken, während er und der Rest der Versammlung dem davinitischen Logenmeister Tsi Rekh lauschten, der einen komplizierten Sprechgesang in der einheimischen Sprache vortrug. So interessant es auch gewesen war, die bizarren, beinahe menschlichen Einheimischen zu sehen, Karkasy wusste, dass die Bezeugung dieser langwierigen Zeremonie nicht der Grund sein konnte, warum Hauptmann Loken seine Anwesenheit im Kriegsrat autorisiert hatte. Ein dutzendgesichtiger Iterator namens Yelten übersetzte die Rede des Logenpriesters in imperiales Gotisch, und das präzise modulierte Timbre seiner Stimme trug die Worte in die hintersten Winkel der Jurte.
Über die Iteratoren kann man sagen, was man will, dachte Karkasy, aber sie erreichen auch noch die hintersten Reihen.
»Wie lange soll das noch dauern?«, flüsterte Euphrati Keeler ihm zu.
In ihrem allgegenwärtigen Kampfdrillich, den klobigen Armeestiefeln und dem engen weißen Unterhemd sah sie wie eine draufgängerische Grenzgängerin aus. »Wann trifft der Kriegsmeister ein?«
»Keine Ahnung«, sagte Ignace mit einem verstohlenen Blick auf ihr Dekolleté. Eine dünne Silberkette hing um ihren Hals, deren Anhänger unter dem Unterhemd verborgen war.
»Mein Gesicht ist hier oben, Ignace«, sagte Euphrati.
»Ich weiß, meine Teuerste«, sagte er, »aber ich bin schrecklich gelangweilt, und diese Aussicht gefällt mir sehr viel besser.«
»Gib es auf, Ignace, daraus wird nie etwas.«
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß, aber es ist eine angenehme Vorstellung, und die schiere Unmöglichkeit eines Vorhabens ist kein Grund, es aufzugeben.«
Sie lächelte. Ignace wusste, dass er ein wenig verliebt in Euphrati Keeler war, obwohl die Zeit seit dem Angriff der Xeno-Bestie auf sie in den Flüsterspitzen hart für sie gewesen war. Um ehrlich zu sein, war er überrascht, sie überhaupt hier zu sehen. Sie hatte Gewicht verloren und trug ihre blonden Haare in einem strengen Pferdeschwanz, immer noch wunderbar feminin trotz ihrer außerordentlichen Anstrengungen, es zu verbergen. Er hatte einmal ein Gedicht für die Marquise Xorianne Delaquis geschrieben, angeblich eine der großen Schönheiten am terranischen Hof — ein widerwärtiger Auftrag, aber ansehnlich bezahlt -, doch ihre Schönheit war künstlich und hohl verglichen mit der Vitalität, die er in Keelers Gesicht sah, als sei sie neugeboren. Sie war außerhalb seiner Reichweite, das wusste er.
Er hatte nur eine großzügig proportionierte Statur, diese Armesünderaugen und ein schlichtes rundes Gesicht zu bieten. Aber Ignace Karkasy hatte sich durch sein Aussehen noch nie von dem Versuch abbringen lassen, schöne Frauen zu verführen — das machte es nur noch mehr zu einer Herausforderung.
Auf der Welle der Bewunderung, die er für seine frühere Arbeit Reflexionen und Oden eingeheimst hatte, hatte er einige Eroberungen gemacht und so bemerkenswerte erotische Abenteuer erlebt.
Andere, leichter zu beeindruckende Frauen hatten sich von seiner intelligenten Flachserei verführen lassen.
Doch er wusste, dass Euphrati Keeler zu klug war, um auf offensichtliche Schmeicheleien hereinzufallen, und begnügte sich damit, sie einfach als Freundin zu betrachten. Als ihm aufging, dass er nie zuvor einer Frau freundschaftlich verbunden gewesen war, lächelte er.
»Um deine Frage ernsthaft zu beantworten, Teuerste«, sagte er, »ich hoffe doch, dass der Kriegsmeister bald kommt. Mein Mund ist so trocken wie die Sandalen eines Tallarners, und ich könnte einen anständigen Schluck vertragen.«
»Ignace ...«, sagte Euphrati.
»Spar dir die Moralpredigt«, seufzte er. »Ich meinte nichts Alkoholisches, obwohl ich im Moment eine Flasche von dem Zeug köpfen könnte, das sie auf Dreiundsechzig-Neunzehn trinken.«
»Ich dachte, du hättest diesen Wein gehasst«, sagte Keeler. »Du hast gesagt, er wäre eine Tragödie.«
»Ja, schon, aber wenn man über Monate immer nur dasselbe trinkt, ist es überraschend, was einem nur um der Abwechslung willen verlockend erscheint,
Sie lächelte, legte eine Hand auf das, was sich am Ende ihrer Halskette verbarg, und sagte: »Ich bete für dich, Ignace.«
Er verspürte so etwas wie Überraschung ob ihrer Wortwahl und sah dann einen Ausdruck verzückter Bewunderung in ihrem Gesicht, als sie ihre Bildeinheit hob und auf etwas hinter ihm richtete. Er drehte sich um und sah, wie die Jurtetür beiseitegeschlagen wurde und die massige Gestalt eines Astartes geduckt eintrat. Karkasy musste zwei Mal hinschauen, bis ihm aufging, dass die glänzende Rüstung des Kriegers keine der Sons of Horus war, sondern im Granitgrau der Word Bearers lackiert war. Der Krieger trug einen Stab mit einem mit Eidpapier überzogenen Buch am Ende, worüber eine lange Schärpe aus violettem Stoff gewickelt war. Er hatte seinen Helm in die Armbeuge geklemmt und schien von der Anwesenheit der Memoratoren überrascht zu sein.
Karkasy konnte erkennen, dass der Astartes mit dem breiten Gesicht ernst war. Sein Schädel war rasiert und mit komplizierten Schriftzeichen bedeckt. Ein Schulterschutz seiner Rüstung war in schweres Pergament gehüllt, das mit leuchtenden Buchstaben bedeckt war, während auf dem anderen die Abbildung eines Buches prangte, in dessen Mitte eine Flamme brannte. Obwohl er wusste, dass es die Erleuchtung symbolisierte, die aus dem Wort resultierte, verspürte er sofort instinktiv Abneigung dagegen.
Seine Dichterseele fühlte sich an den Tod des Wissens erinnert, eine furchtbare Zeit in der altterranischen Geschichte, als Wahnsinnige und Demagogen Bücher, Bibliotheken und Wortkundige verbrannt hatten — nur aus Furcht vor den Ideen, die sie durch ihre Kunst verbreiten mochten. Karkasys Denkweise nach waren derartige Symbole etwas für Heiden und Philister und nicht für Astartes, welche die Aufgabe hatten, die Grenzen von Wissen, Fortschritt und Erleuchtung auszuweiten.
Er lächelte über diese köstliche Ketzerei und fragte sich, ob er sie in ein Gedicht einarbeiten konnte, ohne dass Hauptmann Loken es bemerken würde, doch der rebellische Gedanke war kaum aufgetaucht, als er ihn auch schon wieder verdrängte. Karkasy wusste, dass sein Gönner seine Werke dem zunehmend zurückgezogener lebenden Kyril Sindermann zeigte. All seiner Düsterkeit zum Trotz war Sindermann kein Dummkopf, wenn es um Sprache ging, und würde gewiss alle riskanten Anspielungen verstehen.
In diesem Fall würde sich Karkasy rasch auf dem nächsten Frachter zurück nach Terra wiederfinden, und zwar ungeachtet jeglicher Gönnerschaft seitens der Astartes.
»Wer ist das?«, fragte er Keeler, indem er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Neuankömmling richtete, da Tsi Rekh seinen Sprechgesang beendete und sich vor ihm verbeugte. Der Krieger hob daraufhin den Stab zum Gruß.
Keeler warf ihm einen schnellen Blick zu und sah ihn an, als sei ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. »Ist das dein Ernst?«, zischte sie.
»Es ist mir noch nie ernster gewesen, Teuerste. Wer ist das?«
»Das«, sagte sie stolz, während sie noch ein Bild von dem Astartes-Krieger machte, »ist Erebus, der Erste Ordenspriester Word Bearers.«
Und plötzlich wusste Ignace Karkasy mit absoluter Klarheit, warum Hauptmann Loken ihn dabeihaben wollte.
Als Karkasy den staubigen Boden von Davin betrat, hatte er sich an die bedrückende Hitze von Dreiundsechzig-Neunzehn erinnert gefühlt.
Unter dem ohrenbetäubenden Tosen der atmosphärischen Rotoren war er, umflattert von seinen perfekt geschneiderten Gewändern, aus ihrem Fallwind gestolpert.
Hauptmann Loken hatte ihn in seiner prächtigen hellgrünen Rüstung und anscheinend vollkommen unberührt von Hitze und Staub erwartet.
»Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, Ignace.«
»Keine Ursache, Hauptmann«, überschrie Karkasy den Triebwerkslärm der wieder abhebenden Fähre. »Ich bin geehrt und nicht wenig überrascht, wenn ich ehrlich bin.«
»Das brauchen Sie nicht zu sein. Ich sagte Ihnen doch, ich wollte jemanden, der sich mit der Wahrheit auskennt, oder?«
»Ja, Hauptmann, das sagten Sie in der Tat«, strahlte Karkasy. »Bin ich deswegen hier?«
»In gewisser Weise«, bestätigte Loken. »Sie haben ein unverbesserliches Mundwerk, Ignace, aber heute sind Ihre Ohren gefragt. Verstehen Sie?«
»Ich glaube schon. Was soll ich mir anhören?« »Nicht was, sondern wen.«
»Also gut. Wen soll ich mir anhören?«
»Jemanden, dem ich nicht traue«, sagte Loken.
Drei
Eine Glasscheibe
Ein Mann von edlem Charakter
Verborgene Worte
AM TAG VOR DER LANDUNG auf Davin suchte Loken Kyril Sindermann in Archivkammer Drei auf, um das Buch zurückzubringen, das er sich von ihm geliehen hatte. Er ging durch die staubigen Regalreihen und vorbei an Stapeln vergilbter Schriften, während lethargische, schwach brennende Lichtkugeln dicht über seinem Kopf wackelten und seine schweren Schritte laut durch die ernste Stille hallten. Hier und da klickte ein einsamer Gelehrter auf einem hohen Stelzenstuhl durch die Düsternis, doch keiner war sein alter Mentor.
Loken marschierte durch eine weitere schwindelerregend hohe Gasse aus Manuskripten und ledergebundenen Wälzern mit Titeln wie Lobgesänge auf das Omniastrische Dogma, Meditationen über den Elegischen Helden und Gedanken und Erinnerungen an die Alte Nacht. Keiner davon war ihm bekannt, und er fragte sich langsam, wie er Sindermann in diesem Labyrinth des Arkanen finden sollte, als er die vertraute, gebeugte Gestalt des Iterators vor losen Pergamentrollen mit Lederkordeln und Bücherstapeln umgeben an einem langen Tisch erblickte.
Sindermann kehrte ihm den Rücken zu und war so in seine Lektüre vertieft, dass er Loken gar nicht kommen zu hören schien.
»Mehr schlechte Poesie?«, fragte Loken und hielt dabei einen gewissen Abstand.
Sindermann fuhr zusammen und schaute überrascht und mit derselben Verstohlenheit über die Schulter wie damals, als Loken ihm zum ersten Mal im Archiv begegnet war.
»Garviel«, sagte er, und Loken hörte einen Unterton der Erleichterung in seiner Stimme.
»Hatten Sie jemand anderen erwartet?«
»Nein. Nein, überhaupt nicht. In diesem Teil des Archivs begegne ich selten anderen Personen. Die Materie hier ist ein wenig zu grell für die meisten ernsthaften Gelehrten.«
Loken ging um den Tisch herum und betrachtete die vor Sindermann ausgebreiteten Papiere — enge, unleserliche Schrift, sepiafarbene Holzschnitte zähnefletschender Ungeheuer und in Flammen gehüllter Männer. Sein Blick huschte zu Sindermann, der nervös an seiner Unterlippe kaute.
»Ich muss gestehen, dass ich eine Vorliebe für die alten Texte entwickelt habe«, erklärte er. »Wie Die Chroniken von Ursh, die ich Ihnen geliehen habe, ist das kühnes, blutiges Zeug. Naiv und zu gleichnishaft, aber nichtsdestoweniger anrührend.«
»Ich habe es zu Ende gelesen, Kyril«, sagte Loken, indem er das Buch vor Sindermann auf den Tisch legte. »Und?«
»Wie Sie schon sagten: Es ist blutig, grell und neigt manchmal zu fantastischen Ausflügen ...«
»Aber?«
»Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie einen Hintergedanken hatten, als Sie mir das Buch gaben.«
»Einen Hintergedanken? Nein, Garviel, ich kann Ihnen versichern, dass nichts dergleichen im Spiel war«, sagte Sindermann, obwohl Loken nicht sagen konnte, ob er ihm glaubte.
»Sind Sie sicher? Darin gibt es Passagen, die meiner Ansicht nach mehr als einen Anflug von Wahrheit enthalten.«
»Ach, kommen Sie, Garviel, das können Sie unmöglich glauben«, spottete Sindermann.
»Das Murengon«, antwortete Loken. »Anult Keysers letzte Schlacht gegen die Konklaven Nordafriks.« Sindermann zögerte. »Was ist damit?«
»Ich sehe in Ihren Augen, dass Sie bereits wissen, was ich sagen werde.«
»Nein, Garviel, das weiß ich nicht. Ich kenne den Abschnitt, den Sie meinen, und er ist zwar spannend, aber ich glaube kaum, dass man den Inhalt allzu wörtlich nehmen darf.«
»Ich gebe Ihnen recht«, nickte Loken. »Das ganze Gerede davon, dass der Himmel wie Seide aufriss und die Berge einstürzten, ist eindeutig Unsinn, aber der Text erwähnt auch, dass Menschen zu Dämonen werden und sich gegen ihre Kameraden wenden.«
»Ah ... jetzt verstehe ich. Sie glauben, das ist ein weiterer Hinweis darauf, was mit Xavyer Jubal passiert ist?«
»Glauben Sie das nicht?«, fragte Loken, indem er eines der vergilbten Pergamente umdrehte und auf eine Dämonengestalt in Fellen deutete. Sie hatte gebogene Widderhörner, fletschte Reißzähne und trug eine blutige Axt mit eingeprägtem Schädel.
»Jubal hat sich in einen Dämon verwandelt und versucht, mich zu töten! Was auch Anult Keyser widerfahren ist. Einer seiner Generäle, ein Mann namens Wilhym Mardol, wurde zu einem Dämon und hat ihn getötet. Klingt das nicht vertraut?«
Sindermann lehnte sich zurück und schloss die Augen. Loken sah, wie müde er aussah. Seine Haut hatte die Farbe der Pergamente, die er las, und die Kleidung hing ihm am Leib, als sei er nur noch Haut und Knochen.
Loken ging auf, dass der ehrwürdige Iterator erschöpft war.
»Es tut mir leid, Kyril«, sagte er, indem er sich ebenfalls zurücklehnte.
»Ich bin nicht hergekommen, um mich mit Ihnen zu streiten.«
Sindermann lächelte, was Loken daran erinnerte, welchen Stellenwert sein weiser Rat mittlerweile für ihn hatte. Sindermann war zwar kein Lehrer im eigentlichen Wortsinn, hatte aber einige Zeit als Lokens Mentor und Berater fungiert, und die Erkenntnis, dass auch Sindermann nicht alle Fragen beantworten konnte, war ein ziemlicher Schock für ihn gewesen.
»Schon gut, Garviel, es ist gut, dass Sie Fragen haben. Es zeigt, dass Sie lernen, dass die Wahrheit oft komplizierter ist, als es zunächst den Anschein hat. Ich bin sicher, der Kriegsmeister schätzt diesen Aspekt an Ihnen. Wie geht es dem Kommandanten?«
»Er ist müde«, räumte Loken ein.
»Die Forderungen derer, die um seine Aufmerksamkeit buhlen, werden mit jedem Tag lauter. Botschaften aller Expeditionen des Kreuzzugs versuchen ihn in alle Richtungen zugleich zu ziehen, und beleidigende Direktiven des Senats zu Terra trachten danach, aus dem Kriegsmeister einen verdammten Verwaltungsbeamten zu machen. Er trägt eine schwere Last, Kyril. Aber glauben Sie nicht, Sie könnten so leicht das Thema wechseln.«
Sindermann lachte.
»Sie sind mittlerweile zu fix für mich, Garviel. Also gut, was wollen Sie wissen?«
»Die Männer in dem Buch, von denen behauptet wurde, dass sie Zauberkräfte einsetzten — waren das Hexenmeister?«
»Das weiß ich nicht«, gab Sindermann zu. »Es ist gewiss möglich. Es liest sich nicht so, als seien ihre Kräfte natürlich gewesen.«
»Aber wie konnten ihre Anführer den Einsatz solcher Kräfte gutheißen? Sie müssen die damit verbundenen Gefahren doch erkannt haben.«
»Vielleicht, aber bedenken Sie Folgendes: Wir wissen sehr wenig über das Thema und haben das Licht der Weisheit und der Wissenschaft des Imperators, das uns leitet. Wie viel weniger müssen sie gewusst haben?«
»Sogar ein Barbar muss wissen, dass solche Dinge gefährlich sind«, sagte Loken.
»Barbar?«, sagte Sindermann. »Eine sehr abwertende Bezeichnung, mein Freund. Urteilen Sie nicht zu rasch, wir unterscheiden uns nicht so sehr von den Stämmen der Alten Erde, wie Sie vielleicht glauben.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wir unterscheiden uns von ihnen wie eine Sonne von einem Planeten.«
»Sind Sie da so sicher, Garviel? Sie glauben, dass die Wand zwischen Zivilisation und Barbarei so solide ist wie Stahl, aber das ist sie nicht. Ich sage Ihnen, diese Trennlinie ist ein dünner Faden, eine Glasscheibe. Eine Berührung hier, ein Stoß da, und schon kehrt die Herrschaft heidnischen Aberglaubens, die Furcht vor der Dunkelheit und die Anbetung übler Wesen in hallenden Kirchen zurück.«