Als ich Maghib überzeugt hatte, daß niemand ihn

verdächtigen würde, willigte er schließlich ein und versprach mir auch, etwas außerhalb von Pomore am Strand ein

kleines Signalfeuer anzuzünden, sobald die Königin sich nicht mehr länger hinhalten ließ. Frido war inzwischen dabei, zusammen mit der Wache die letzten Gepäckstücke auf

unsere Pferde zu laden. Als er mich kommen sah, schickte er die Wache aufs Schiff zurück. Ich bat ihn, ebenfalls noch einmal kurz an Bord zu gehen, um unserem Seemann, der

inzwischen ebenfalls an die Geschichte mit der

Überraschung glaubte, den Befehl zu geben, sogleich

wieder auszulaufen, in sicherer Entfernung von Pomore vor Anker zu gehen und dort zu warten, bis er durch ein

Signalfeuer am Strand das Zeichen zur Rückkehr erhielte.

Als Frido wenig später zu mir zurückkehrte, hatte das Schiff bereits wieder abgelegt. Wir schwangen uns auf die Pferde, ritten in aller Ruhe aus der Stadt hinaus und galoppierten erst los, als wir das letzte Haus von Pomore weit hinter uns gelassen hatten.

Aus meiner Sicht gab es auf unserem langen Ritt nach

Süden keine besonderen Vorkommnisse, für den jungen

Prinzen war jedoch jede Meile und jeder Tag ein neues, aufregendes Abenteuer, da er Pomore vor unserer

Schiffsreise noch nie verlassen hatte. Er hatte noch nie zuvor einen Fluß durchwatet oder einen Berg bestiegen, und wir überquerten unterwegs gleich mehrere Flüsse und ritten über eine ganze Reihe von Bergen. Er war auch noch nie gezwungen gewesen, selbst zu jagen, zu fischen oder Fallen zu stellen, um etwas zu essen zu haben. All das brachte ich ihm mit der Zeit bei. Er lernte sehr schnell und konnte bald sogar mit dem Wurfseil, das ich von den Amazonen

übernommen hatte, kleinere Beutetiere fangen. Obwohl

zwischen mir und Frido kein so großer Altersunterschied bestand wie seinerzeit zwischen mir und dem alten Wyrd, kam ich mir oft so vor wie mein alter Lehrer und weiser Ratgeber, als ich diesem unerfahrenen Jungen zeigte, wie man im Wald überleben konnte, denn vieles, was ich ihn lehrte, hatte ich in meiner Jugend auf ganz ähnliche Weise vom alten Wyrd gelernt: wie man selbst im Winter noch

eßbare Pflanzen fand, wie man Wildbret in seiner eigenen Haut kochte, wie man sich an einem wolkigen Tag des

Sonnensteins bediente, um die richtige Richtung zu finden...

Der Sonnenstein war für uns auf dieser Reise wirklich von unschätzbarem Wert, denn er half uns, unseren Kurs zu

halten. Nach meinen Berechnungen führte der kürzeste Weg in die römischen Provinzen direkt nach Süden. Natürlich ließen sich Umwege nicht immer vermeiden, denn

manchmal ist es sinnvoller, einem Hindernis auszuweichen statt den direkten, aber viel mühsameren Weg zu wählen.

Ich machte auch bewußt einen Bogen um die wenigen

kleinen Siedlungen, die anfangs noch auf unserem Weg

lagen, denn die rückständigen Bewohner solch abgelegener Dörfer stellen oft die seltsamsten Fragen. Als wir die Weichsel jedoch erst hinter uns gelassen hatten, kamen wir immer seltener an Siedlungen vorbei.

Nachdem wir lange Zeit durch kaum erschlossene Gebiete immer geradewegs nach Süden geritten waren, erreichten wir schließlich die große Biegung der Donau. Die verfallenen Ruinen der Grenzstadt Aquincum, an denen ich früher schon einmal vorbeigekommen war, kündigten uns an, daß wir uns allmählich wieder der Zivilisation näherten. Immerhin

befanden wir uns jetzt bereits in der Provinz Valeria, und als Prinz Frido zum ersten Mal in seinem Leben römischen

Boden betrat, fand er das genauso aufregeqd wie all die anderen neuen Abenteuer, die er auf dieser Reise schon erlebt hatte. Mir fiel auf, daß das Eis auf dem Fluß bereits aufbrach; wir mußten uns also beeilen, denn der Frühling schien kurz vor der Tür zu stehen. In wildem Ritt jagten wir die Donau hinunter nach Süden, bis wir schließlich den Kriegshafen Mursa erreichten. Dort legte ich dem

Flottenführer die von seinem Oberbefehlshaber

unterschriebene Urkunde vor, die mich als Marschall

auswies. Als er mir mitteilte, daß der Krieg möglicherweise unmittelbar bevorstünde, setzte ich sofort ein kurzes

Schreiben an Theoderich auf und bat den freundlichen

Flottenführer, es sogleich mit seinem schnellsten Schiff zu meinem König bringen zu lassen. Obwohl ich in diesem Brief auch ganz kurz auf meinen Aufenthalt im Land der Rugier einging, lautete meine Botschaft an Theoderich im Grunde nur: Vermeide bis zu meiner Ankunft jede kriegerische

Auseinandersetzung mit Strabo und seinen Verbündeten.

Ich bringe eine geheime Waffe mit.

14

Kurze Zeit später fuhren Frido, ich und die Pferde bereits auf einem flachen Flußboot in Richtung Novae. Das Eis auf der Donau war inzwischen geschmolzen, und die Bäume auf beiden Seiten des Flusses trieben schon die ersten Knospen hervor. Da die Donau auf ihrem Weg nach Novae an meinen Ländereien vorbeifloß, ließ ich uns schon vor der Stadt ans Ufer setzen, um den Prinzen auf meinem Landsitz

unterzubringen. Ich übergab Frido der Obhut meiner

hocherfreuten Dienerschaft und sagte zu ihm: »Du kannst ruhig hierbleiben und dich erst einmal von den Strapazen der Reise erholen. Ich werde inzwischen das Armeelager deines Vaters suchen.«

Ich wußte natürlich nicht, wo Theoderich sich gerade

aufhielt, entschloß mich jedoch, zuerst einmal direkt zu seinem Palast zu reiten. Sein alter Diener Costula, der mich hocherfreut begrüßte, nickte, als ich ihn fragte, ob der König zu Hause sei, und führte mich sofort zu Theoderich. Mein Freund sah stattlicher und königlicher aus denn je. Er hatte etwas zugenommen; sein Körper war jedoch nicht dicker, sondern lediglich muskulöser geworden. Auch sein Bart sah voller und prächtiger aus als je zuvor. Er wirkte zwar besonnener als sonst, schloß mich jedoch sofort unter lauten und herzlichen Begrüßungsworten in seine Arme und freute sich sehr, daß ich mich wie er bei bester Gesundheit befand.

Kurz darauf legte er mir jedoch nachdenklich die Hände auf die Schultern und sagte: »Ich habe Deine Warnung befolgt, Saio Thorn. Es hat bisher noch keine Schlacht

stattgefunden. Ich muß jedoch zugeben, daß mich diese

Zurückhaltung sehr viel Beherrschung gekostet hat. Ich hätte den Feind lieber sofort angegriffen und ihm dadurch nicht erst die Möglichkeit gelassen, den Ort und den Zeitpunkt der Schlacht selbst zu wählen.«

»Dann kannst du das jetzt tun«, sagte ich und erklärte ihm, was für eine Waffe ich mitgebracht hatte und wie man sie meiner Meinung nach am besten einsetzen konnte. »Der

Bursche geht davon aus, daß ich ihn zu seinem Vater

bringe; und in gewisser Weise tue ich das ja auch. Ich weiß natürlich, daß mein Plan verhindern könnte, daß es

überhaupt zu einer Schlacht kommt, und das ist

wahrscheinlich nicht in deinem Sinne.«

Ein wehmütiges Lächeln huschte über Theoderichs

Gesicht, dann schüttelte er jedoch zu meiner Überraschung den Kopf und sagte: »Als ich noch ein Krieger war, konnte ich mir ein Leben ohne Kampf nicht vorstellen. Je länger ich jedoch König bin, desto weniger liegt mir daran, das Blut meiner Krieger sinnlos zu vergießen. Natürlich hat mir Kaiser Zeno mehr Legionen angeboten, als ich für diesen Krieg jemals von ihm angefordert hätte. Mir wäre jedoch wohler, wenn ich seine Hilfe gar nicht erst in Anspruch nehmen müßte. Mein Vetter weiß genau, daß dies sein letztes

Aufbegehren ist; daher hat er auch noch nicht angegriffen.

Seine Aufstände waren dem Reich schon immer ein Dorn im Auge. Nun, da er ein paar Verbündete hinzugewonnen hat, hofft er, daß er dem Reich allein durch seinen Aufmarsch mit einer größeren Armee ein paar Zugeständnisse abtrotzen kann: ein kleines Stück Land, auf dem sich seine Ostgoten niederlassen können, und ein paar kleinere Ländereien für sich selbst. Seine erwartungsvollen Verbündeten aber

werden auf jeden Fall sämtlich leer ausgehen. Ihre

Enttäuschung dürfte ihn jedoch kalt lassen, wenn sie ihren Zweck erst einmal erfüllt haben.«

Theoderich lachte und klopfte mir kameradschaftlich auf den Rücken. »Also gut, laß uns nun dafür sorgen, daß

keiner von ihnen auf seine Kosten kommt!« Er schritt zur Tür des Thronsaals hinüber und gab einem draußen wartenden Höfling ein paar Anweisungen.

Einige seiner Oberbefehlshaber, die kurz darauf

erschienen, kannte ich bereits. Energisch teilte er jedem von ihnen mit, was er zu tun habe.

»Pitzias, beginnt sogleich damit, unsere Stammtruppen

über die Donau setzen zu lassen. Ibba, sagt Euren

Zenturionen, sie sollen diese Truppen dann gleich in

Schlachtordnung aufstellen, und zwar gerade nur so weit von Romula entfernt, daß sie von dort aus nicht mit Pfeilen beschossen werden können. Der Feind wird dann natürlich ebenfalls schnell seine Truppen in Position bringen. Herduic, Ihr begebt Euch inzwischen als Unterhändler zu Strabo und teilt ihm mit, daß ich ihn zu sprechen wünsche, bevor wir zu den Waffen greifen. Und empfehlt ihm, seinen Verbündeten König Fewa zu dieser Unterredung mitzubringen. Während Ihr all diese Vorkehrungen trefft, werde ich mich mit meinen Marschallen Soas und Thorn in der Nähe von Romula

aufhalten. Begebt Euch nun zu Euren Truppen. Habai ita swe!«

Sie grüßten zackig und gingen hinaus. Dann wandte

Theoderich sich an mich: »Ich werde dich jetzt nicht länger aufhalten, Thorn. Du sehnst dich sicher schon nach einem Bad in einer heißen Therme und nach frischen Kleidern. Ich brenne jedoch darauf, zu hören, was deine historischen Nachforschungen ergeben haben. Komm heute abend zum

Essen herüber, dann können wir uns ausführlich und in aller Ruhe unterhalten. Wenn du möchtest, kannst du auch Prinz Frido mitbringen.«

»Ne, wir dürfen den Jungen nicht verwirren. Er glaubt

doch, daß ich zu Theoderich Strabo gehe. Und du müßtest deine Augen schon gewaltig verdrehen, wenn er dich für den schielenden Theoderich halten soll. Frido fühlt sich auf meinem Landsitz sehr wohl. Er wird von meiner Dienerschaft bestens betreut und bewacht. Wenn du nichts dagegen hast, dann werde ich ihn dort wohnen lassen, bis wir nach Romula reiten.«

Ich kehrte also zu meinem Landsitz zurück und verbrachte den Rest des Tages genüßlich in einem dampfendheißen

Bad; danach zog ich Thorns beste Kleider an und machte mich auf den Weg zum Palast. Unterwegs hielt ich kurz vor meinem Haus in Novae an, um nachzusehen, ob dort noch

alles in Ordnung war, und um Veledas Sachen, die ich nun schon über den ganzen Kontinent geschleppt hatte, dort zu verstauen.

Im Speisesaal des Palastes schilderte ich Theoderich bei einem köstlichen Essen und vielen Bechern

ausgezeichneten Weines, was ich alles erlebt hatte, seit ich von ihm auf Reisen geschickt worden war, um die

Geschichte der Goten zu erforschen und niederzuschreiben.

Ich erzählte ihm die volle Wahrheit, auch wenn meine

Darstellung möglicherweise in vieler Hinsicht den alten Liedern oder anderen in Ehren gehaltenen Mythen,

Legenden und Fabeln widersprach. Um zu vermeiden, daß

er mich nach unangenehmen Einzelheiten fragte, vertuschte ich allerdings die wahren Gründe für das unerwartete

Auftauchen eines gewissen Thor, der mir aus dem Land der Westgoten nachgeschickt worden war, um mich auf meiner Mission zu begleiten. Ich beschönigte auch die Umstände, unter denen dieser Thor und die einstige Zofe Swanilda in meinem Beisein »auf tragische Weise ums Leben kamen«.

Ich erzählte Theoderich von all den Menschen, die mir

unterwegs begegnet waren, nannte ihm die Namen fremder Völker und schilderte ihm viele merkwürdige Sitten und Gebräuche. Ich erzählte ihm nicht nur fast alles, was ich mit eigenen Augen gesehen hatte, sondern auch vieles, was ich nur gehört hatte.

Es war schon sehr spät, als ich mich von Theoderich

verabschiedete, um zu meinem Landsitz zurückzukehren.

Wir hatten vereinbart, daß ich dort warten würde, bis er mich und Frido rufen ließ, um mit ihm zusammen zu Strabo zu reiten. Ich hätte auch im Palast bleiben können, zog es jedoch vor, unter meinem eigenen Dach zu übernachten,

denn während ich mich bemüht hatte, möglichst viel über die Goten herauszufinden, waren ein paar ganz persönliche

Fragen unbeantwortet geblieben. Seit jener Nacht, in der ich den Waliskarja davongeritten war und die Überreste meines Mannamawi-Liebhabers bei ihnen zurückgelassen hatte, war mir des öfteren die Frage durch den Kopf gegangen, ob ich in den Armen einer ganz gewöhnlichen Frau oder eines

ganz gewöhnlichen Mannes wohl je die Erfüllung finden

würde, die Thor-Genoveva mir gegeben hatte. In dieser

ersten Nacht zu Hause wollte ich mit Hilfe einer meiner Sklavenfrauen zumindest versuchen, den ersten Teil dieser Frage zu beantworten.

Als ich kurze Zeit später erfuhr, daß das blonde

Schwedenmädchen Renata während meiner langen

Abwesenheit einen meiner jungen Sklaven geheiratet hatte, sah ich wohlwollend davon ab, von meinen

Eigentumsrechten an ihr Gebrauch zu machen, und

bediente mich stattdessen der dunkelhaarigen Alanenfrau Naranj. Ihr Mann beaufsichtigte meine Mühle und war schon immer stolz darauf gewesen, daß sein Herr sich gelegentlich seine Frau auslieh. Naranj war mit ganzem Herzen bei der Sache und verhalf mir dadurch zu der freudigen Erkenntnis, daß es gar nicht unbedingt notwendig ist, zur gleichen Zeit und im gleichen Bett alle nur erdenklichen Varianten der Umarmung, Paarung und gegenseitigen Erforschung

durchzuspielen. Zu meiner großen Freude stellte ich auch fest, daß die Arten, auf die eine Frau Vergnügen bereiten und empfangen kann, zwar physisch begrenzt sind, daß

jedoch all die Lustgefühle, die eine Frau zu empfinden und auszulösen vermag, wirklich äußerst vielfältig und

beglückend sind. Als ich mich dann in der folgenden Nacht in Veleda verwandelte und einen gutaussehenden, jungen Handlungsreisenden, den ich auf dem Marktplatz getroffen hatte, nach Novae in mein Haus mitnahm, machte ich

hocherfreut die Erfahrung, daß sich über die Vereinigung mit einem männlichen Liebhaber genau dasselbe sagen läßt.

Fünf oder sechs Tage später saß ich unweit des Dorfes

Romula in voller Rüstung und mit allen Waffen auf meinem gesattelten Velox. Prinz Frido saß unbewaffnet und ohne Rüstung auf seinem kastanienbraunen Wallach neben mir, und ein Stück hinter uns wartete ein stattlicher Teil von Theuderichs Truppen. Vor uns lag ein schmaler, flacher Fluß, auf dessen anderem Ufer in einiger Entfernung

Strabos Truppen ebenfalls warteten. Sie schauten wie wir gespannt zu einer kleinen, kahlen Insel in der Mitte des Flusses hinüber, denn Strabo hatte gefordert, daß die von Theoderich vorgeschlagene Unterredung dort stattfinden solle. Von den acht Mann, die sich nun auf der Insel

befanden, waren nur sieben zu sehen.

Von unserer Seite waren König Theoderich und Saio Soas durch das flache Wasser hinübergeritten. Von der anderen Seite hatte sich nur König Fewa zu Pferd zur Insel begeben.

Strabo war dagegen von vier Trägern in einer mit Vorhängen versehenen Sänfte zur Insel getragen worden. Es war klar, warum der Schweinemann darauf bestanden hatte, daß das Treffen auf dieser kleinen Insel stattfinden sollte. Er wollte sowohl von seinen wie auch von unseren Männern möglichst nicht gesehen werden, denn er konnte nicht mehr von sich zeigen als seinen durch die Vorhänge der Sänfte

gestreckten Kopf, und vom Oberbefehlshaber einer Armee wurde im allgemeinen natürlich ein würdevolleres Auftreten erwartet.

Ich lehnte mich zu Frido hinüber und fragte ihn: »Erkennst du deinen Vater dort drüben?«

»Ja, ja!« rief er und hüpfte glücklich in seinem Sattel auf und ab.

Ich ermahnte ihn hastig: »Nein, wink ihm jetzt noch nicht zu und ruf auch nichts hinüber. Du wirst bald bei ihm sein.

Im Augenblick müssen wir uns jedoch ebenso still verhalten wie alle andern.«

Der Junge sank gehorsam in seinen Sattel zurück, sah

jedoch leicht verwirrt aus. Er wirkte seit unserer Ankunft in Novae schon die ganze Zeit etwas verstört, und das war ja auch nicht verwunderlich, denn weder ich noch meine

Dienerschaft hatten Frido bisher mitgeteilt, daß ich der Marschall und er die Geisel Theoderich Amalings war. Ich war zusammen mit Frido weit hinter den in Kolonnen

aufmarschierenden Hundertschaften Theoderichs nach

Romula geritten; Frido wußte also nicht einmal, daß er mit der Armee hierhergekommen war, die seinem Vater feindlich gegenüberstand. Er hatte in diesem Augenblick nicht die geringste Ahnung, weshalb und worüber die Männer dort

drüben auf der Insel verhandelten, und er wußte auch nicht, wer von ihnen auf welcher Seite war.

Die in Schlachtordnung aufgestellten Krieger beider

Armeen verhielten sich ganz still und achteten sorgsam darauf, daß ihre Pferde möglichst nicht wieherten, ihre Waffen nicht klirrten und ihre Rüstungen nicht knarrten. Wie wir lauschten auch sie angestrengt dem Wortwechsel

zwischen Theoderich und Strabo. Besonders Strabos laute, grobe und heisere Stimme, an die ich mich noch gut

erinnern konnte, war recht deutlich zu hören. Er wollte offensichtlich seine Truppen anfeuern und unsere

entmutigen, indem er Theoderich Anschuldigungen und

Schmähungen entgegengrölte, die für die Ohren aller

Anwesenden bestimmt waren.

»Abtrünniger Vetter! Verfluchter Amaling! Du hast aus den einst so stolzen Ostgoten Speichellecker gemacht! Unter deinem schlaffen Banner sind sie nur noch armselige

Abbilder der Römer! Sie kriechen vor Kaiser Zeno und

tauschen ihre Unabhängigkeit gegen ein paar Krümel vom kaiserlichen Tisch ein!«

Frido lehnte sich zu mir herüber und flüsterte mir eine Frage zu: »Der Mann in der Kiste, der da so schreit, ist das Triarius, der Verbündete meines Vaters?« Ich nickte, und der Junge sank wieder in den Sattel zurück; er sah nun zwar etwas weniger verwirrt aus, schien jedoch über den neuen Bundesgenossen, den König Fewa sich da ausgesucht

hatte, nicht gerade begeistert zu sein.

»Stammesbrüder!« brüllte Strabo. »Hört alle her! Ich bitte euch, ich rate euch, ich fordere euch auf: Schließt Euch mir an und schüttelt das römische Joch ab! Setzt der falschen Königsherrschaft unseres verräterischen Vetters ein Ende!«

Theoderich saß weiterhin geduldig auf seinem Pferd und ignorierte die Haßtiraden, die der Kopf, der da zwischen den Vorhängen hervorschaute, von sich gab. Strabo merkte, daß seine flammende Hetzrede seine Stammesbrüder auf

unserer Seite des Flusses wenig beeindruckte. Mit vom

vielen Schreien überanstrengter und geschwächter Stimme fuhr der Schweinemann dennoch fort: »Ostgotische Brüder!

Rugische Kampfgenossen! Freunde und Verbündete! Folgt

mir in die Schlacht und -« Hier unterbrach ihn Theoderich und rief mit so lauter Stimme, daß alle ihn hören konnten:

»Slavaith, nithjis! Schweig, Vetter! Nun habe ich das Wort!«

Er wandte sich jedoch nicht an Strabo oder an die

wartenden Armeen, sondern sagte zu dem Reiter, der neben der Sänfte hergeritten war: »Fewa, habt Ihr scharfe Augen?«

Überrascht rutschte der rugische König ein wenig in seinem Sattel hin und her und nickte dann mit seinem behelmten Kopf. »Dann schaut dort hinüber!« befahl Theoderich und deutete mit erhobenem Arm in unsere Richtung. »Setz dich aufrecht in den Sattel, Frido«, wies ich den Prinzen an, als sein Vater den Kopf herumdrehte und zu uns hinüberblickte.

Der Junge tat sogar noch ein weiteres: mit Hilfe des

Fußseils, das er sich unter meiner Anleitung konstruiert hatte, stützte er sich so weit hoch, daß er buchstäblich im Sattel stand. Aufrecht und für alle sichtbar winkte er nun fröhlich mit der Hand und rief mit seiner piepsigen

Kinderstimme so laut er nur konnte: »Hails, Fadar!«

König Fewas Pferd wich einen Schritt zurück, als sei es ebenso verblüfft wie sein Reiter. Plötzlich herrschte auf der kleinen Insel helle Aufregung; die Worte, die nun in aller Eile ausgetauscht wurden, waren für uns Zuschauer nicht mehr zu verstehen. Die drei Reiter Theoderich, Soas und Fewa zeigten abwechselnd auf mich, auf Frido, auf Strabo und auf Strabos Truppen. Fewa ritt auf der kleinen Insel zwischen den beiden Parteien hin und her und versuchte, zuerst

Theoderich und Soas und dann wieder Strabo mit

vielsagenden Gesten zu überzeugen. Der Schweinemann

hätte sicher ebenfalls aufgeregt gestikuliert, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, denn die ganze Sänfte wurde von den heftigen Bewegungen seines Körpers wie wild hin- und hergeschüttelt.

Der Tumult auf der Insel war erst zu Ende, als König Fewa resigniert die Hände hochwarf, seinen Gesprächspartnern den Rücken zukehrte, seinem Pferd die Zügel gab und durch das Wasser zurückstob. Er ritt das andere Ufer hinauf, bis er die linke Flanke der Armee erreichte, die dort immer noch unerschütterlich auf das Signal zum Kampf wartete. Erneut wild mit den Händen fuchtelnd gab er offensichtlich seinen rugischen Kriegern eine Reihe von Befehlen, die ich nicht verstand. Zum Zeichen des Waffenstillstands stiegen

daraufhin viele Reiter in den vorderen Reihen vom Pferd, etliche Lanzenträger bohrten ihre Speerspitzen in den

Boden, und zahlreiche Schwertkämpfer steckten ihre

Klingen in die Scheide zurück. Die anderen Krieger in den vorderen, für uns erkennbaren Reihen waren sichtlich

bestürzt, als sie ihre rugischen Kampfgenossen die Waffen niederlegen sahen, und irrten nun völlig kopflos umher; wir sahen die Banner ihrer Fahnenträger planlos hin- und

herwedeln und vernahmen ein verschwommenes

Gemurmel, das sich anhörte, als ob die verschiedenen

Truppenteile laut und zornig miteinander stritten.

Strabo schien noch viel mehr aus der Fassung geraten zu sein als seine Truppen, denn er tobte und wütete dermaßen in seiner Sänfte herum, daß sie auf den Schultern ihrer Träger heftig hinund hergerüttelt wurde. Die vier Männer mußten einen wahren Tanz vollführen, um das

Gleichgewicht zu halten. Theoderich und Soas saßen

dagegen ruhig im Sattel und beobachteten das ganze

Geschehen in völliger Gelassenheit. Zum letzten Mal hörte ich Strabo mit heiserer Stimme grölen: »Tragt mich zurück!«

Daraufhin machten die auf wackeligen Beinen

umhertorkelnden Träger kehrt und schleppten die

schaukelnde und hüpfende Sänfte durch das Wasser zum

anderen Ufer hinüber.

Frido fragte mich plötzlich mit nachdenklicher Stimme:

»Werde ich denn gar keinen Krieg zu sehen bekommen?«

»Heute nicht mehr«, antwortete ich ihm lächelnd. »Diesen Krieg hast du soeben gewonnen.«

Die erschöpften Sänftenträger versuchten inzwischen

unter großen Mühen, ihre immer noch schwankende Last die Uferböschung hinaufzuhieven. Ein paar von Strabos

Lanzenträgern eilten herbei, um mitanzupacken; da kipppte die Sänfte plötzlich mit einem so heftigen Ruck zur Seite, daß der verstümmelte Strabo hinausgeschleudert wurde und direkt in eine der senkrecht emporragenden Lanzen stürzte.

Als seine Krieger sich von ihrem Schock erholt hatten, erkannten sie, daß für ihren so schlachterfahrenen König diesmal jede Hilfe zu spät kam. Strabos unrühmliches Ende sollte später in alle Geschichtsbücher eingehen.

Als Theoderich, Soas und ich noch in derselben Nacht im Armeezelt Theoderichs bei einigen Bechern Wein die

Ereignisse des Tages besprachen, ließ ich die boshafte Bemerkung fallen: »Fewa hat es vielleicht gar nicht so eilig, zu seiner Königin Giso zurückzukehren. Ich kann es ihm nicht verdenken. Übrigens, ich habe ihn bisher ja nur aus der Ferne gesehen, aber hat er denn wirklich eine so

ungewöhnlich kleine Nase?«

»Was?« Die beiden Männer blinzelten überrascht, und

Theoderich sagte: »Nun, als Rugier hat er natürlich keine markante römische Nase. Aber warum um alles in der Welt stellst du uns diese Frage?«

Ich lachte und erzählte ihnen, wie sehr es Königin Giso auf meinen Gefährten Maghib abgesehen hatte, weil sie

annahm, seine lange armenische Nase sei ein Zeichen

dafür, daß seine männlichen Attribute und Talente ebenfalls besonders gut entwickelt seien.

Die beiden Männer stimmten in mein Gelächter ein, und

Theoderich sagte: »Ich frage mich, warum dieser inzwischen schon so oft widerlegte, uralte Mythos so hartnäckig

weiterlebt.«

Der alte Soas kratzte sich den Bart und sagte

nachdenklich: »Was das weibliche Geschlecht betrifft, so habe ich allerdings immer wieder feststellen können, daß der Mund einer Frau tatsächlich zuverlässige Rückschlüsse auf die Beschaffenheit ihrer weiblichen Organe zuläßt. Ein großer Mund deutet stets auf eine geräumige Vagina hin; wenn der Mund einer Frau besonders weit, lose oder feucht ist, dann weist ihre untere Öffnung dieselben Eigenschaften auf. Und eine Frau, deren kleiner Schmollmund eher an eine zarte Rosenknospe erinnert, hat auch unten ein

dementsprechend kleines Mündchen.«

Ich starrte den Marschall leicht verblüfft an, denn die Vorstellung, daß dieser alte Mann einmal jung genug

gewesen war, um Erfahrungen mit den verschiedensten

Arten weiblicher Münder zu sammeln, fiel mir doch etwas schwer; Theoderich dagegen stimmte Soas Behauptungen

mit einem ernsthaften Nicken zu.

Dieses leichte Thema war für Theoderich und Soas, die

sich sonst immer nur mit gewichtigen Fragen der

Staatskunst und der Kriegsführung beschäftigten, natürlich eine willkommene Abwechslung. Mit meiner nächsten

Bemerkung kam ich jedoch wieder auf die Ereignisse des vergangenen Tages zu sprechen: »Ich war freudig

überrascht, zu hören, daß König Fewa sich inzwischen ganz bereitwillig mit uns verbündet hat. Ich hätte eher erwartet, daß er sehr zornig ist, weil wir seinen Sohn entführt und als Geisel genommen haben.«

»Ne«, sagte Theoderich. »Er schien sich eher zu freuen, seinen kleinen Prinzen so weit weg von zu Hause ganz

unerwartet wiederzusehen und ihn zudem in guten Händen zu finden. Außerdem glaube ich, daß deine Vermutungen

richtig waren, Thorn. Fewa hat tatsächlich erst hier begriffen, daß Strabo ihn belogen hatte, daß er den Thron

unrechtmäßig an sich reißen wollte und, was noch

schlimmer ist, daß dieses Unterfangen von vornherein nur sehr wenig Aussicht auf Erfolg hatte.«

»So weit, so gut«, brummte Soas, der nun wieder ganz der nüchterne, scharfsichtige alte Marschall war. »Strabo hat Fewa für den Einsatz der rugischen Armee sicherlich Euer halbes Königreich versprochen, Theoderich. Was könnt Ihr ihm denn anbieten, wenn er seine Krieger jetzt Euch zur Verfügung stellen will? Oder, besser gesagt, was verlangt Fewa dafür?«

»Gar nichts«, sagte Theoderich gelassen, »er wünscht

lediglich, daß er und seine Männer nach jedem

gemeinsamen Sieg, den wir unter meinem Oberbefehl

erringen, ihren gerechten Anteil erhalten.

»Aber wo wollt ihr denn jetzt noch siegen?« fragte ich.

»Worum wollt ihr denn jetzt noch kämpfen? Und gegen

wen? Strabo war dein einziger wirklicher Rivale, Theoderich.

Er war das einzige Ärgernis, das Kaiser Zeno wirklich ein Dorn im Auge war. Ihr habt Strabo jetzt zwar ein für alle Mal ausgeschaltet, aber dieser Sieg hat keinem von euch neues Land beschert und euch auch sonst keine Beute

eingebracht, die sich teilen ließe. Sicherlich wird es auch in Zukunft immer wieder kleine Emporkömmlinge geben, die es zu bekämpfen gilt, aber solche Siege bringen keinen

Gewinn. Nur wenn Ihr einen reichen König oder eine

wohlhabende Nation zum Feind hättet, bestünde Aussicht auf einen lohnenden Krieg; da es einen solchen Gegner

jedoch nicht gibt, verstehe ich nicht -«

Theoderich fiel mir ins Wort: »Du vergißt diese eine große Sorge, die Zeno nun schon seit einigen Jahren hartnäckig bedrängt. Ich rechne damit, daß er mich schließlich bitten wird, ihm bei der Beseitigung dieses Übels behilflich zu sein.«

Soas und ich, seine beiden Marschalle, schauten einander fragend an, und Theoderich grinste, als wir schlagartig begriffen, wen er meinte.

Ich flüsterte den Namen: »Audawakrs!« und Soas sagte:

»König Odoaker!«

Das klangvolle Wort, das uns dann beiden gleichzeitig

voller Ehrfurcht über die Lippen kam, war: »Rom!«

Die Eroberung

1

Wie das Sprichwort sagt, führen alle Wege nach Rom,

doch es war ein weiter Weg für uns bis zur Erreichung

dieses Ziels.

Theoderich mußte zuerst nach Konstantinopel, und Soas

und ich, seine Generäle Pitzias und Herduich sowie ein beträchtliches Gefolge seiner besten Dienstmannen

begleiteten ihn, denn ihm sollten in dieser Stadt Ehren zuteil werden, die noch nie ein Barbar von einem römischen

Kaiser erfahren hatte. Kaiser Zeno, der von dem unblutigen Sieg über Strabo benachrichtigt worden war, bestand darauf, daß Theoderich in die Hauptstadt käme, um dreifach gefeiert zu werden: mit einem Triumphzug, mit dem Titel Flavius und mit dem Konsulat des Jahres.

Schon so manchem römischen General war die Ehre jener

würdevollen öffentlichen Zeremonie verliehen worden, die man Triumph nennt, und zahlreiche römische Bürger - selbst einige Nichtbürger - hatten schon den Titel gentilicus flavius erhalten, und jedes Jahr war zumindest einem angesehenen Römer die Konsulwürde zuerkannt worden (wobei sich nicht wenige fast ruinierten, indem sie sich diese Ehre erkauften), doch Theoderich war der erste und einzige Gote, dem alle drei Ehrungen verliehen wurden, noch dazu alle auf einmal.

Später behaupteten böse Zungen, daß Zeno Theoderich

damit bestochen habe, und nicht vergeblich, doch ich

beurteilte das Ganze eher als Werbung. Seit der Kaiser Theoderich als König der Ostgoten anerkannt und ihn zum obersten Heerführer der donauländischen Truppen ernannt hatte, war Theoderich Zeno treu ergeben und achtete und respektierte ihn vollkommen. Allerdings hatte er sich stets seine Unabhängigkeit bewahrt, beispielsweise indem er das Angebot Zenos nicht annahm, Strabos Aufstand mit Hilfe kaiserlicher Truppen niederzuschlagen. Nun, so schien es mir, wollte Zeno mehr als Eintracht zwischen Herrscher und Untergebenem. Jetzt suchte er die Freundschaft eines ihm Gleichgestellten.

Mir wurde die Ehre zuteil, an der Seite von Flavius Amalus Theodoricus und gefolgt von dessen prächtig ausgestatteten Reitern wieder über die Via Egnatia und durch das Goldene Tor von Konstantinopel zu reiten. Unter den dreifachen Torbögen erwartete uns eine Gesandtschaft von Senatoren, Magistraten und geistlichen Würdenträgern des östlichen Imperiums. Theoderich stieg von seinem Pferd und nahm

von Akakios, dem bischöflichen Patriarchen der Stadt, den Lorbeerkranz entgegen. Er wurde als »Christianorum

Nobilissime et Nobilium Christianissime« begrüßt - als der vornehmste der Christen und christlichste der Vornehmen.

Die Senatoren hüllten ihn in die gold- und purpurverbrämte Toga picta, reichten ihm ein Szepter, nannten ihn

»Patricius« und hießen ihn in sein Amt als Consul Ordinarius dieses römischen Jahres 1237 ab urbe condita,

beziehungsweise des Jahres 484 nach christlicher

Zeitrechnung, willkommen. Dann bestieg Theoderich den

runden Triumphwagen, der nur für diesen Zweck verwendet wird, und zügelte dessen Zweigespann, so daß die

Würdenträger ihm als Ehrengarde vorausmarschieren

konnten.

Wir Ostgoten trugen die altvertrauten Harnische und den Schmuck, doch es war das erste Mal, daß ich römische

Legionäre aufmarschieren sah. Sie waren wahrhaft

aufgeputzt in Prunkanzügen aus gefärbtem Leder und

trugen wehende Helmbüsche. Ihre Helme waren von

seltsamer Form. Während der gewöhnliche Helm Schädel,

Stirn und Wangen schützt, bedeckt der Paradehelm das

gesamte Gesicht und hat nur zwei Gucklöcher für die Augen.

Als wir im Forum des Konstantin ankamen, wartete Zeno

bereits auf uns. Er begleitete Theoderich vom

Triumphwagen hinauf auf eine Plattform, die mit Blumen geschmückt war. Die Marschierenden, die Reiter und

Musikanten bewegten sich im Kreis um die große Säule des Forums herum, so daß die beiden Monarchen die

Prozession sehen konnten. Jeder Trupp, der an der

Plattform vorbeikam, rief einstimmig »lo triumphe!« und entbot entweder mit der geballten rechten Faust den

römischen oder mit dem steif ausgestreckten rechten Arm den ostgotischen Gruß. Die Bürger der Stadt, die sich um das Forum drängten, wiederholten echogleich jeden Ruf »lo triumphe!«, bis sich Zeno und Theoderich zur Andacht in die Hagia Sophia zurückzogen.

Als Theoderich wieder aus der Kirche herauskam, gab er den Befehl: »Wegtreten!«, der von den Offizieren

kolonnenweise wiederholt wurde, und die Triumphreiter, die Marschierenden und Musikanten traten aus den Gliedern

ihrer Truppen hervor. Dann kamen aus allen Küchen der

Stadt Bedienstete mit schwerbeladenen Platten, mit

Schüsseln und Tellern, mit bis zum Rand gefüllten Krügen, Kannen und Amphoren. Die Soldaten und Zuschauer taten

sich an der Fülle der Speisen gütlich, während wir

Höherrangigen uns zu einem eher formellen, weniger

lustvollen Mahl in den Purpur-Palast begaben.

Man führte uns in den eleganten »Speisesaal der

neunzehn Liegen«. Da es dort tatsächlich nur neunzehn

Liegen gab, konnten diejenigen, die unter meinem, Soas'

oder des Bischofs Rang waren, nicht untergebracht werden, das heißt, daß all die Senatoren, Magistrate und niederen Geistlichen woanders speisen mußten. Als wir Privilegierten uns müßig zum Mahl ausstreckten, das aus Fasanenbrust in Himbeerwein und gerösteten Zicklein in Fischsauce bestand, hörte ich zufällig, wie Zenos ältere und beleibte, doch immer noch ansehnliche Gemahlin, die Basilissa Ariadne,

Theoderich zu seinem neuen Titel gratulierte.

»Selbst das gemeine Volk scheint Eure Ernennung zum

Konsul gutzuheißen«, sagte sie. »Die versammelte

Bevölkerung jubelte Euch zu. Ihr müßt stolz sein, Konsul.«

»Ich strebe danach, meine Demut zu bewahren, Kaiserin«, antwortete Theoderich jovial. »Schließlich schlug Kaiser Caligula einst vor, sein Lieblingspferd zum Konsul zu

ernennen.«

Die Kaiserin lachte, doch Zeno schien halb verärgert, halb traurig darüber, daß es Theoderich nicht im geringsten beeindruckte, so mit Ehren überhäuft zu werden. Aber Zeno gab nicht auf. Während der folgenden Tage und Wochen

fuhr er fort, Theoderich mit Aufmerksamkeiten zu

schmeicheln, und natürlich kamen auch wir Begleiter des Königs in den Genuß der Annehmlichkeiten, die dies mit sich brachte. Ich für mein Teil war vermutlich von all den

Belustigungen und Zerstreuungen, die uns geboten wurden, stärker beeindruckt als Theoderich, der inmitten der Wunder von Konstantinopel aufgewachsen war.

Wenn Theoderich, ich und unsere Begleiter nicht gerade unterhalten oder gefeiert wurden oder die Attraktionen der Stadt zu sehen bekamen, befanden wir uns oft im Gespräch mit dem Kaiser. Stets waren Übersetzer dabei, um die

Konversation für alle zu erleichtern, und Wein aus Chios wurde ausgeschenkt, um sie in Gang zu halten. Ich wartete darauf, daß Zeno erwähnen würde, wie er Odoaker vom

Thron zu stürzen gedachte, oder daß er diesbezüglich

vertraulich mit Theoderich beraten würde, doch offensichtlich hatte er es damit nicht sehr eilig. Er ließ sich nur zeitweise über kaiserliche Angelegenheiten aus und schien damit

einverstanden zu sein, daß die Übersetzer seine Worte an uns alle weitergaben. Odoaker erwähnte er nicht.

Monate vergingen. Der Kaiser bewirtete uns Besucher

weiterhin mit herzlicher Gastfreundschaft und Unterhaltung, doch nie erwähnte er Odoaker. Da Theoderich damit

zufrieden schien, den Purpur zu tragen und das Leben eines Hedonisten zu führen, und da er mich dazu nicht brauchte, bat ich um seine Erlaubnis, eine Reise unternehmen zu

dürfen.

»Solange ich hier im Östlichen Imperium bin, möchte ich außer Konstantinopel noch etwas anderes sehen«, sagte

ich.

»Aber natürlich, Thorn«, meinte er nachsichtig. »Wenn ich dich brauche, werde ich einen Boten ausschicken und dich suchen lassen.«

Also ruderte ein Fährmann des Palastes mich und Velox

vom Hafen Boukoleon über den Propontis nach Chrysopolis, das heißt, ich setzte vom europäischen Kontinent zum

asiatischen Kontinent über. In aller Gemächlichkeit, müßig und ohne bestimmtes Ziel folgte ich dem Verlauf der Küste.

Wenn man beständig durch Städte und Dörfer kommt, die

durch gut ausgebaute Straßen verbunden und mit einer

komfortablen griechischen Herberge ausgestattet sind, fällt das Reisen leicht. Außerdem war das Wetter lind, und auf meinem Weg gen Süden bemerkte ich kaum, wie der Herbst zum Winter und der Winter zum Frühling wurde.

Zuerst kam ich durch das Gebiet südlich des Propontis, wo die

Mysier leben. Dieser Volksstamm war früher sehr

kriegerisch, doch über die Jahrhunderte hinweg wurden sie so oft überwältigt, unterworfen und unterdrückt, daß sie all ihre Kampfeslust verloren. Die Mysier sind tatsächlich so weit heruntergekommen, daß sie sich dazu hergeben, auf Beerdigungen gegen Bezahlung zu trauern. Ihre traurige Geschichte und ihr melancholisches Erbe versetzt sie in die Lage, um jeden Verstorbenen ausgiebig Tränen zu

vergießen. In einem Kahn begab ich mich vom Festland auf die Insel Kos, wo die feinsten Baumwolltücher der Welt gewoben werden und wo die seltene Purpurfarbe gewonnen wird. Die Frauen von Kos sind so stolz auf die Produkte ihrer Insel, daß sie sie täglich, auch zu den niedrigsten Arbeiten und auch auf der Straße tragen. Dazu muß eine Frau stolz auf ihren Körper sein, denn eine Stola oder Tunika aus dieser Baumwolle ist so skandalös durchsichtig, daß es fast anstößig wirkt. Ich kaufte etwas Purpur und einige Kleider aus Baumwolle für Veledas Garderobe, obwohl ich nicht

vorhatte, sie jemals öffentlich zu tragen und wie die Frauen aus Kos meinen Körper zur Schau zu stellen.

Von einem Vorgebirge etwas weiter südlich auf dem

Festland nahm ich ein Boot zur Insel Rhodos und sah mir an, was von dem berühmten Koloß übriggeblieben war.

Bevor die gigantische Bronzestatue des Apollo vor fast sieben Jahrhunderten durch ein Erdbeben zerstört wurde, hieß sie die Schiffe im Hafen von Rhodos willkommen und war - wie man sagt - so hoch wie zwanzig Männer

übereinander. Das ist sehr wohl möglich, denn allein der Daumen der Statue war so groß, daß ich ihn nicht mit beiden Armen umfangen konnte. Inmitten der Bruchstücke kann

man die Wendeltreppe sehen, die einst die Besucher zur Aussichtsplattform hinaufführte, wo sie durch die Augen des Apollo hinaus auf die Ägäis blicken konnten. Der Koloß muß vom Erdboden oder vom Meer aus noch mächtiger

ausgesehen haben, als er wirklich war. Vormals hatten die Bildhauer ihre Statuen lebensgroß gestaltet, das heißt die Gesamtgröße ist siebeneinhalbmal höher als der Kopf. Doch diese Statue wurde von Bildhauern geschaffen, die ihre Statuen acht, neun oder gar zehn Kopflängen hoch werden ließen und ihnen dadurch so viel Ausdruck verliehen, daß seither Standbilder von Göttern und auch Menschen immer in dieser Form nachgebildet wurden.

Es war nun schon lange her, daß ich den Purpur-Palast

verlassen hatte, doch ich hinterließ eine deutliche Spur. In jeder Herberge in der ich abstieg, gab ich meinen Titel und Namen an, und bis zu diesem Zeitpunkt war mir kein Bote Theoderichs gefolgt. Daher nahm ich an, daß er mich nicht brauchte, reiste weiterhin in aller Gemächlichkeit, auch als ich Velox wieder gen Konstantinopel lenkte, und hielt mich an jedem Ort auf, der mein Interesse erweckte.

Nach meiner Rückkehr in Konstantinopel, begab ich mich natürlich sofort zu Theoderich. Ich fand ihn in seinen Gemächern. Er hatte ein hübsches Chasar-Mädchen auf

dem Schoß und hatte eine mutwillig selbstzufriedene Miene aufgesetzt. Marschall Soas und die Generäle Pitzias und Herduich aber sahen recht betreten aus. Als ich den Raum betrat, nickten sie mir nur kurz zu, denn offensichtlich hatte ich sie in einer ernsten Unterhaltung unterbrochen.

»Das Opfer war nicht irgend jemand aus der Gosse«,

sagte Herduich gerade mißbilligend.

»Ihr habt des Kaisers Gastfreundschaft und Euer Amt als Konsul des Jahres mißbraucht«, meinte Pitzias.

»Zeno wird entsetzt sein. Empört. Außer sich«, knurrte Soas.

Doch Theoderich grüßte mich unbeschwert: »Hails, Saio

Thorn! Du kommst gerade rechtzeitig zu hören, wie sie mich verurteilen.«

»Wieso? Warum?«

»Ach, nichts. Ich habe mir nur erlaubt, heute morgen einen kleinen Mord zu begehen.«

2

»Mord? Unsinn!« schnaubte Zeno. »Die Tat war durchaus

berechtigt. Der Kerl war überflüssig auf dieser Welt.«

Wir Marschälle und Generäle atmeten auf. Wir hatten uns alle schon zum Tode verurteilt und von den Mauern der

Stadt baumeln sehen. Ohne auch nur das geringste

Anzeichen der Reue sagte Theoderich zum Kaiser: »Ich

rächte nur die Kränkung, die meiner königlichen Schwester zugefügt wurde.«

Er hatte mir bereits erzählt, wie er Rekitach auf der Straße getroffen, dessen »Fischgesicht« erkannt, sein Messer

gezogen und den Sohn Strabos auf der Stelle am hellichten Tag erstochen habe. »Dennoch«, sagte Zeno mit steinerner Miene, »was Ihr getan habt, ziemt sich nicht für einen römischen Konsul. Der Purpur verleiht keineswegs das

Privileg der Immunität, Theoderich. Ich kann es nicht

hinnehmen, daß mein Volk denkt, ich würde im Alter allzu nachsichtig. Und das würde es zweifellos denken, könntet Ihr weiterhin meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.«

»Ihr wollt also, daß ich Konstantinopel verlasse, Hoheit?«

»Richtig. Und ich will, daß Ihr nach Ravenna geht.«

Theoderich hob die Augenbrauen.

»Ein Mann Eurer kriegerischen Natur verdient einen

würdigeren Gegner als einen abgetakelten Königssohn.«

»Einen König etwa?« fragte Theoderich amüsiert. »Ihr

wollt, daß ich ein Messer in den König von Rom

hineinjage?«

»Nun, zumindest könnt Ihr seine aufgeblasenen Pläne

durchkreuzen«, antwortete Zeno, und wir Begleiter

Theoderichs tauschten einen Blick. Endlich kam der Kaiser zur Sache, nachdem er sich so lange unentschlossen

gezeigt hatte.

»Odoaker hat meine Geduld lange genug auf die Probe

gestellt. Er hat sich ein volles Drittel der Ländereien in Italien angeeignet - private Ländereien, kirchliche hat er verschont, um sich die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits nicht

zunichte zu machen. Das ist schamloser Diebstahl, und nicht einmal Landlose profitieren davon. Kein Bauer wird jemals auch nur einen Morgen davon zu sehen bekommen.

Odoaker wird die Ländereien ausschließlich unter seinen Hofbeamten, Präfekten und Statthaltern aufteilen. Es ist ungeheuerlich!« Keiner von uns lächelte, obwohl wir sehr wohl wußten, daß Zeno nur vorgab, rechtschaffen schockiert zu sein. Es kümmerte ihn kein bißchen, ob Odoaker nun von reichen Römern stahl, Landlose überging oder zu seinen Höflingen allzu großzügig war. Ihn wurmte nur, daß diese Abtretungsmaßnahme Odoakers Stellung in seinem Volk

festigen würde. Die Großgrundbesitzer, denen er Land

wegnahm, waren zu wenige an der Zahl, als daß sie ihm

hätten schaden können. Der reichste Landeigentümer, die Kirche, würde ihn segnen, wenn er ihren Besitz unangetastet ließ. Die Legislatoren und Administratoren, denen er das Land übertrug wären enger an ihn gebunden und würden

seine Herrschaft sichern. Die wichtigste Folge von allem wäre, daß das gesamte gemeine Volk Italiens seinen Namen preisen würde, ganz einfach deshalb, weil die unteren

Klassen überall auf der Welt sich stets freuen, wenn jemand die Reichen erleichtert und in Unruhe versetzt, sogar, wenn sie selbst nichts davon haben.

»Ich tadelte Odoaker heftig dafür, daß er seine

Kompetenzen überschritten hat«, fuhr Zeno fort. »Natürlich antwortete er pflichtschuldigst mit den aufrichtigsten Beteuerungen seiner unverminderten Treue und

Ergebenheit und sandte mir all die römischen

Krönungsinsignien - das purpurne Diadem, die sternförmige Krone, das juwelenbesetzte Szepter und den Reichsapfel -

die unschätzbaren Herrscherinsignien, die während der

vergangenen fünfhundert Jahre jeden römischen Kaiser

schmückten. Dies tat er vermutlich, um mir zu versichern, daß er zumindest nicht nach dieser Herrschaft strebt. Ich fühle mich geschmeichelt, im Besitz dieser Insignien zu sein, aber es stimmt mich nicht versöhnlich, weil Odoaker mir immer noch unverschämt die Zähne zeigt. Er weigert sich, jene Anordnung zur Abtretung von Ländereien rückgängig zu machen. Ich duldete sein anmaßendes Verhalten schon zu lange. Jetzt will ich den Mann aus dem Wege haben. Und ich will, daß Ihr das übernehmt, Theoderich.«

»Das wird nicht leicht sein, Hoheit. Odoaker besitzt die Loyalität aller weströmischen Legionen, und er hat sich auch bei anderen westlichen Volksstämmen um Verbündete

bemüht, bei den Burgundern und den Franken...«

»Wenn es einfach wäre«, erklärte Zeno maliziös, »würde ich meine Frau Ariadne senden, oder den Eunuchen Myros, oder die Palastkatze. Eben weil es nicht einfach ist, bitte ich einen starken Krieger.«

»Und ich glaube, daß die Mission erfolgreich verlaufen wird, Hoheit. Euch sollte nur bewußt sein, daß es nicht über Nacht geschehen kann. Mein eigenes ostgotisches Heer

wird dazu nicht ausreichen, selbst wenn König Fewas Rugier mich unterstützen. Ich muß mehr Streitkräfte heranziehen, Odoaker wird davon erfahren und seinerseits...«

»Ich werde es Euch noch schwerer machen«, unterbrach

ihn der Kaiser. »Da Ihr von zusätzlichen Streitkräften sprecht: Ihr werdet doch wohl nicht mit den donauländischen Legionen rechnen, die derzeit unter Eurer Befehlsgewalt stehen?«

»Natürlich nicht«, gab Theoderich steif zurück. »Wir

können nicht römische Legionen gegeneinander

marschieren lassen. Das würde spalten, was vom Reich

noch vorhanden ist.«

»Genau aus diesem Grunde muß ich Euch noch eine

Bedingung auferlegen: Wenn Eure Soldaten von Novae

nach Italien marschieren, werden sie nicht von dem Land leben, solange sie sich auf oströmischem Boden befinden.

Wenn Ihr die östlichen Provinzen durchquert, werdet Ihr von der Bevölkerung weder Abgaben noch Marschverpflegung

verlangen. Erst wenn Ihr in Pannonien den Boden des

einstigen Westlichen Imperiums betretet, ist es Euren

Truppen erlaubt, das Land zu plündern und zu verheeren.«

Theoderich runzelte die Stirn. »Das würde heißen, daß wir für eine Strecke von dreihundert römischen Meilen Vorräte mitführen und deshalb die nächste Ernte abwarten müssen.

Wegen unseres späten Aufbruchs wird es Winter sein, wenn wir in Pannonien ankommen, und wir werden gezwungen

sein, dort zu überwintern. Dann sind es immer noch

vierhundert Meilen bis zur italienischen Grenze. Es kann Sommer werden, bis wir auf Odoakers Truppen stoßen -

oder bis diese uns aufspüren.«

»Ihr habt mir gesagt, ich solle keinen schnellen Erfolg erwarten«, antwortete Zeno achselzuckend.

»Also gut«, gab Theoderich zurück und warf sich in die Brust. »Ich kenne nun meine Mission und weiß, welches Ziel ich zu erreichen habe. Ich sehe ein, daß gewisse

Einschränkungen notwendig sind. Nun, Hoheit, darf ich

erfahren, was ich im Falle eines Sieges gewinne?«

»Alles. Die Halbinsel Italien. Ganz Latium, von wo aus sich das größte Reich, das die Welt je gekannt hat, entwickelte.

Die Ewige Stadt Rom, welche einst die Welt bedeutete. Die kaiserliche Hauptstadt Ravenna. Andere reiche Städte

Italiens und all die reichen Lande dazwischen. Schafft Odoaker rex beiseite und Ihr werdet Theodoricus rex.«

»Rex... rex...« wiederholte Theoderich nachdenklich. »Der Titel ist überflüssig. Mein Name Thiudareichs enthält ihn schon.«

Zenos Übersetzer hatte Schwierigkeiten mit diesem

Wortspiel und wurde noch nervöser, als er Theoderichs

nächste kühne Frage wiedergab: »Und ich selbst, Hoheit?

Was werde ich dann sein? Euer Verbündeter, Euer

Untergebener oder Euer Sklave?«

Der Kaiser sah Theoderich einen Augenblick lang streng an. Doch dann wurde sein steinerner Gesichtsausdruck

weicher, und er sagte freundlich: »Wie Ihr bemerktet, sind Titel oft fragwürdig und ein wohlfeil Ding. Wir wissen beide sehr wohl, daß Ihr der einzige seid, der diese Mission für mich erfüllen kann. Also werde ich keine Ausflüchte

gebrauchen. Wenn es Euch gelingt, Odoaker die italische Halbinsel zu entreißen, werdet Ihr sie auch regieren. Als mein Gesandter, mein Stellvertreter, als Verwalter an des Kaisers Statt. Ich werde mich nicht in Eure Regentschaft einmischen. Wenn Ihr wollt, macht daraus das neue Reich der Ostgoten. Es ist viel fruchtbarer, viel schöner, viel wertvoller als die Ländereien, die Euer Volk in Moesien beansprucht. Was immer Ihr auch aus dem eroberten Land macht - selbst wenn Ihr das Westliche Imperium in all seiner Größe und Macht wiederherstellen solltet -, es wird Euch gehören. Zwar werdet Ihr in meinem Namen regieren, aber Ihr werdet regieren.«

Theoderich nahm sich Zeit, um über das Gehörte

nachzudenken. Dann nickte er, lächelte, neigte den Kopf vor dem Kaiser, machte uns anderen ein Zeichen, dasselbe zu tun, und sagte: »Habai ita swe. Eithe houto nai. So sei es.«

Auf unserem Rückweg nach Moesien trennten wir uns in

Hadrianopolis. Theoderich, Soas, Pitzias und Herduich

nahmen jeder einen Teil unserer Truppen mit und

schwärmten von West nach Ost in verschiedene Richtungen aus, um in jedem Stamm, Gau und in jeder Sippschaft neue Rekruten für unser Heer auszuheben. Mit nur zwei

Dienstmannen reiste ich selbst geradewegs nach Novae,

weil Theoderich mich gebeten hatte, meine Arbeit an der gotischen Geschichte wieder aufzunehmen. Wenn er bald, wie er sich ausdrückte, Monarch über mehr würde, als er ohnehin schon sei, dann wünsche er, daß die Geschichte seines Volkes und der Stammbaum seiner Familie von allen zeitgenössischen Monarchen entsprechend gewürdigt

werden könne.

Als unser Heergefolge schließlich bereit war, sich gen Italien in Bewegung zu setzen, zählte es mit den

Neukriegern und den Veteranen etwa

sechsundzwanzigtausend Mann. Zusammen mit König

Fewas achttausend Rugiern besaß Theoderich somit eine

Streitmacht von vierunddreißigtausend Fußsoldaten und

Reitern - mehr als acht reguläre römische Legionen. Doch es erforderte noch mehr Zeit, eine solche Zahl von Kriegern zu rüsten, und Theoderich stürzte sich, sobald er wieder in Novae ankam, in die Vorbereitungen zum Aufbruch.

Das gesamte Heer mußte in leichter zu befehligende

Einheiten wie Legionen, Kohorten, Zenturien,

Zeltgemeinschaften und Schwadronen aufgeteilt werden und für jede Organisationsebene mußten Befehlshaber ernannt werden. Die frisch ausgehobenen Rekruten bedurften der Ausbildung, und diejenigen, die zwar erfahrener waren, jedoch schon eine Weile nicht mehr gekämpft hatten,

mußten nochmals zur Übung in der Handhabung der Waffen unterwiesen werden. Für Soldaten, die kein Reittier

besaßen, mußten Pferde aufgetrieben und abgerichtet

werden, manche mußten erst noch zugeritten werden. Für den Marschproviant mußten Karren beschafft und neue

gebaut werden. Seilwinden wurden geflochten und für die Wurfmaschinen eichene Balken geschnitten; zum Ziehen der schweren Karren wurden Ochsen gebraucht. Männer

mußten mit Rüstungen ausgestattet werden, in manchen

Fällen sogar mit Stiefeln und Kleidern. Schwerter, Speere und Messer wurden als Ausrüstung für die Krieger und als Ersatzwaffen angefertigt. Zahllose Pfeile wurden mit Spitzen versehen und befiedert, und zusätzliche Bogensehnen

wurden gedreht und gespannt. Jedermann mußte mit genug Proviant versorgt werden sowohl hier im Lager als auch auf dem Marsch. Die Männer, die nicht der Ausbildung oder der Übung mit Kriegswaffen bedurften, wurden zur Einbringung der Ernte oder zum Schlachten eingeteilt. Als dann das Korn gedroschen, geworfelt und in Säcke gefüllt war, als Wein, Öl und Bier in Fässer gefüllt und das Fleisch getrocknet, geräuchert oder gesalzen war, verteilte Theoderich diese Vorräte wie einst König Fewa. Kähne brachten Ladungen mit Lebensmitteln stromaufwärts und deponierten sie nach und nach entlang unserer Wegstrecke.

Die Geschäftigkeit und das Getriebe konnten natürlich

nicht im geheimen vonstatten gehen, so daß Odoaker

seinerseits Vorbereitungen traf, und auch diese blieben keinem verborgen. Reisende, die aus dem Westen kamen,

berichteten uns, daß Truppen aus allen Teilen Italiens nach Norden rückten. Unsere militärischen Kundschafter, die diese Bewegung ausspionieren sollten, berichteten etwas ausführlicher, daß die Größe der Truppen ungefähr der

unsrigen entspreche und daß sie sich in einer

Verteidigungsposition sammelten. Die unsichtbare

Trennungslinie zwischen dem Westlichen und dem Östlichen Imperium in der Provinz Pannonien war nicht genau

festgelegt, und schon immer hatten beide Reiche versucht, diese Grenze zu ihrem jeweiligen Vorteil zu verschieben.

Odoaker hätte jedes Recht gehabt, von den italischen

Provinzen aus zumindest halbwegs nach Pannonien hinein vorzurücken und uns dort zu konfrontieren. Doch den

Berichten nach zu urteilen befahl er seine Truppen viel weiter weg an die östliche Grenze der östlichsten Provinz Venetien, entlang des Isonzo, der von der Julischen Alp bis zum Adriatischen Meer fließt.

Nachdem er diese Berichte erhalten hatte, berief

Theoderich eine Versammlung ein, um die Lage zu

besprechen. Der Rat bestand aus ihm selbst, den

Marschällen Soas und mir, den Generälen Ibba, Pitzias und Herduich, seinem Verbündeten Fewa und dessen Sohn

Frido, der nun endlich einen Krieg zu sehen bekam, wie ich es ihm schon lange versprochen hatte.

Theoderich hüb an: »Odoaker hätte beschließen können,

uns im wilden Pannonien anzugreifen, weitab von Rom, was uns vielleicht davon hätte abhalten können, die geweihte Erde zu entheiligen. Stattdessen versperrt er nur

entschieden die Tür. Es ist fast, als wolle er sagen:

›Theoderich, du kannst das umstrittene Land Pannonien

behalten. Doch hier in Venetien, an der Grenze des

Imperiums Italien, hier bestimme ich.‹«

Herduich meinte: »Das könnte ein großer Vorteil für ihn sein. Ein Heer ficht auf heimatlichem Boden immer am

verbissensten.«

Pitzias meinte: »Das heißt, daß wir mehr als sechshundert römische Meilen marschieren müssen, nur, um mit ihm

handgemein zu werden. Der Marsch wird unsere Mannen

ermüden.«

»Zumindest«, meinte Ibba, »werden wir uns nicht durch

die gesamte Strecke hindurchkämpfen müssen.«

»Wenn wir nicht die ganze Wegstrecke über kämpfen

müssen, dürfte der Marsch nicht allzu kräftezehrend sein«, meinte Soas. »Vor achtzig Jahren legte der Westgote

Alarich dieselbe Strecke zurück, und seine Streitkräfte waren wesentlich schlechter ausgestattet als unsere. Er

marschierte bis vor die Tore Roms und brach sie nieder.«

»Ja«, sagte Theoderich. »Meiner Meinung nach gibt es

keine bessere Route als diejenige, die Alarich nahm. Wir folgen der Donau bis Singidunum und dann der Save bis

Sirmium. Bis dahin haben wir ungefähr die Hälfte unserer Strecke zurückgelegt und überwintern dort. Wenn wir

weiterhin der Save durch das restliche Pannonien folgen, kann uns auf dem Durchmarsch durch Savien und Noricum

Mediterraneum nichts davon abhalten, von dem zu leben, was das Land hergibt. Am Oberlauf der Save kommen wir

nach Aemona, wo wir viel Nützliches erbeuten können. Von dort aus müssen wir bis zum Isonzo nur noch ein Flachland überqueren. Wir werden im späten Frühjahr vor Odoakers Toren stehen.«

Wir anderen murmelten zustimmend. Dann ergriff König

Fewa das Wort, und es war das erste Mal, daß ich ihn

sprechen hörte: »Ich möchte etwas bekanntgeben«, sagte er mit seinem schweren rugischen Akzent.

Wir sahen ihn alle erwartungsvoll an.

»In der Aussicht und Überzeugung, daß ich bald einen Teil des einstigen römischen Reiches regieren werde, habe ich beschlossen, meinen Namen zu romanisieren.« Er rümpfte seine kurze Nase und sah uns hochmütig an. »Von nun an möchte ich Feletheus genannt werden.«

Prinz Frido zuckte vor Verlegenheit und Überraschung

zusammen. Wir anderen starrten Löcher in die Luft und

versuchten, ein Lächeln zu unterdrücken. Fewa-Feletheus war genauso aufgeblasen wie seine Gemahlin, Königin Giso, und ich fragte mich, wie diese beiden bloß einen so

bescheidenen, liebenswerten Sohn hervorgebracht hatten.

»Euer Name sei Feletheus«, sagte Theoderich gutgelaunt.

»Doch nun, Freunde, Verbündete, Männer: Laßt uns

unserem Namen Krieger Ehre machen!«

So schwang sich Theoderich an einem herrlich frischen

Herbsttag des Monats Scheiding, der von den Goten Gairu und heute September genannt wird, im ersten Monat des

römischen Jahres 1241, im Jahr 488 nach christlicher

Zeitrechnung, in seinen Sattel, rief: »Atgadjats!«, und die Erde vibrierte unter abertausenden von Füßen und

Pferdehufen und dem Rollen vieler hundert Wagenräder, als unser mächtiger Zug gen Westen, gen Rom aufbrach.

Die ersten zweihundertundvierzig Meilen unseres

Marsches waren erwartungsgemäß nicht sehr hart, keine

Hindernisse stellten sich uns in den Weg und wir waren nicht gezwungen zu kämpfen. Das Wetter im September und

Oktober eignet sich vorzüglich zu einem solchen

Unternehmen, es ist tagsüber nicht zu heiß zum

Marschieren und nachts noch warm genug, um im Freien zu übernachten. Die Jahreszeit verdient ihren früheren Namen

»Speermonat«, denn es gibt genug Wild zum Jagen. Wir

sandten unseren Kolonnen Vorreiter voraus - oft waren auch Frido und ich darunter -, die sowohl Ausschau hielten als auch jagten. Die Vorreiter erlegten Tiere, die sich als Nahrung eigneten, und wilde Vögel, brachen Obst, Oliven und Trauben und brachten Geflügel von Bauernhöfen. Das war natürlich gegen die mit dem Kaiser getroffene

Vereinbarung, seinen hier ansässigen Untertanen keinen Tribut abzuverlangen, doch selbst Zeno hätte zugestanden, daß man Soldaten kein allzu gutes Benehmen aufzwingen

kann.

Unterwegs schlössen sich uns des öfteren zusätzliche

Trupps von Kriegern an, die uns feierten und begierig darauf waren, mit uns zu marschieren und zu kämpfen. Es waren Angehörige zahlreicher kleiner germanischer Völkerschaften

- Warnen, Langobarden, Heruler - manchmal nur eine

Handvoll, manchmal alle waffenfähigen Männer eines

ganzen Stammes, und viele waren weit gereist, uns zu

treffen. Es war eine Plage, sie in ein bereits organisiertes Heer zu integrieren, und die Offiziere, deren Aufgabe das war, knirschten mit den Zähnen, doch Theoderich lehnte keinen der neugewonnenen Verbündeten ab. Im Gegenteil, er scheute keine Mühe, sie als unsere Kameraden zu

begrüßen. Jedesmal, wenn eine ansehnliche Truppe

beieinander war, hielt er ein Ritual ab, in dessen Verlauf sie ihm und er ihnen die Treue schwor. Auch die arianischen Geistlichen, die unser Heer begleiteten, knirschten mit den Zähnen: Wie ich wohl wußte, nahm unser König seinen

Glauben nicht sehr ernst. Und da die meisten unserer

Neukrieger der heidnischen Religion anhingen, schwor

Theoderich entgegenkommend seinen Eid auf den

heidnischen Kriegsgott Wotan.

Diese ersten zweihundertundvierzig Meilen brachten uns schließlich nach Singidunum, wo die Save in die Donau

mündet. Am Flußufer entlang schlugen wir unser Lager auf und blieben einige Tage, teilweise, um unsere Vorräte von diesem oder jenem wieder aufzustocken, teilweise, um den Truppen die Gelegenheit zu geben, aus den

Annehmlichkeiten der Stadt Nutzen zu ziehen. Singidunum war nun von der Legio IV Flavia belegt, und während wir in der Nähe der Stadt lagerten, gingen viele Soldaten dieser Legion zu Theoderich über.

In Singidunum hatte ich meinen ersten richtigen Kampf

erlebt, und als ich durch die Straßen der Stadt ging, hatte ich das Gefühl, als gehörten sie mir. Mein Begleiter, Prinz Frido, war noch aufgeregter als ich, denn ich hatte ihm alles über die Belagerung von Singidunum und den Sieg über die

Sarmaten und König Babai erzählt, als wir auf dem Weg

nach Novae mit dem Kahn an der Stadt vorbeigefahren

waren.

»Jetzt, Saio Thorn«, rief er eifrig, »jetzt müßt Ihr mir alles zeigen, was Ihr mir beschrieben habt.«

»Also gut«, sagte ich, als wir durch die Straßen gingen.

»Dort vor uns sind die Tore, die von unseren Trompeten von Jericho gesprengt wurden. Sie wurden mittlerweile wieder aufgebaut.«

Etwas weiter erklärte ich: »Hier spießte ich einen

schuppenbepanzerten sarmatischen Krieger auf, und dort drüben schlitzte Theoderich dem Verräter Camundus den

Bauch auf. Von der Mauer dort wurden die Leichen

hinuntergeworfen und verbrannt, und hier ist das Zentrum der Stadt, wo wir unseren Sieg mit einem Festmahl

feierten.«

Doch schließlich sagte ich: »Ich danke dir, mein Freund, daß ich dich mit den Erinnerungen eines alten Haudegens unterhalten durfte. Jetzt laß mich allein und amüsiere dich auf eigene Faust. Ich will erforschen, wo ein alter Krieger hier Zerstreuung finden kann.«

Frido lachte verständnisvoll und ging allein weiter.

Von Singidunum aus führte unser Marsch am Nordufer der Save entlang, was hieß, daß wir nun in der Provinz

Pannonien waren und plündern konnten, wie wir wollten, ohne irgendwelche Abmachungen zu verletzen. Doch wir

fanden nur wenige Menschen, die wir ausplündern konnten, und selbst diese hatten nicht viel. Unser Ruf war uns

vorausgeeilt, und es war schon lange sprichwörtlich, daß ein Volk auf der Wegstrecke eines anrückenden Heeres nur

eine Alternative hat: fliehen oder fasten. Die Bauern, die ihre Ernte eingebracht hatten, hatten beschlossen zu fliehen und ihre Erzeugnisse und Herden mitgenommen. Doch wir

besaßen noch genug Proviant. Kähne voller Lebensmittel warteten in regelmäßigen Abständen an der Save entlang auf uns, es gab immer noch genug Wild, und am Ufer

entlang wuchs zwar trockenes, aber genügend Gras für

unsere Pferde.

Achtzig Meilen stromaufwärts von Singidunum näherten

wir uns der Stadt Sirmium, und Theoderich schickte einen Herold voraus mit der Warnung, die noch von unseren

plündernden Vorfahren stammte: »Tributum aut bellum!

Tribut oder Krieg!« Obwohl der größte Teil unseres Heeres die Stadt noch nicht einmal erblickt hatte, blies der Wind in unsere Richtung, und wir schnappten alle verzweifelt nach Luft und würgten und fluchten, denn die Stadt stank

schrecklich. Bald fanden wir heraus, warum. Die Landschaft um Sirmium schien sich vorzüglich zur Schweinezucht zu eignen, deshalb war die Stadt das Schlachthaus ganz

Pannoniens - vielleicht sogar Europas - Sie exportierte Schweinefleisch, Schweinsleder, Schweineborsten und alle anderen Produkte, die mit Schweinen zu tun haben.

Vorsichtigerweise hatte die Stadt eingewilligt, Tribute abzugeben, doch wir wurden natürlich nicht gerade freudig begrüßt, als wir in deren stinkende Außenbezirke

einmarschierten. Weil die Bürger einer Stadt nicht so ohne weiteres in der Lage sind, ihre Besitztümer zu nehmen und zu fliehen, waren die Vorratslager der Stadt gut gefüllt. Es gab nicht nur Schweinefleisch, sondern auch Korn, Wein, Öl, Käse und vieles andere mehr - genug, um unser Heer

bequem über den Winter zu bringen, und wir

beschlagnahmten alles. Allerdings hielt uns Sirmiums

einzige Verteidigungswaffe, der faule Gestank, von der Stadt fern, und wir besetzten und verwüsteten nichts, brachten keine Truppen in den Häusern unter und belästigten auch die Bevölkerung nicht, sondern schlugen unser Winterlager absichtlich in einiger Entfernung von der Stadt und gegen den Wind auf.

Auch mußten wir uns ohne die trefflichen Zerstreuungen zufrieden geben, deren Komfort wir in Singidunum genossen hatten. Das heißt, daß Sirmium noch lange, nachdem wir jede Sau in den Viehhöfen der Stadt und jeden Rest

konservierten Fleisches in den Speichern gegessen hatten, immer noch nach Schweineställen und Fleischabfällen

stank. Selbst die Badestuben und Huren rochen so streng, daß man sich ihnen nicht nähern wollte. Keiner von uns -

Prinz Frido und mich eingeschlossen verspürte den Wunsch, in die Stadt zu gehen. Und so kam es, daß unsere Männer den ganzen Winter über gewissenhaft auf ihren Posten

blieben und in der frischen Luft des Lagers ihren

militärischen Pflichten nachgingen.

3

Mit dem linden Wetter des Vorfrühlings nahmen wir

unseren Marsch gen Westen wieder auf. Doch es ging nicht so einfach voran, wie wir es uns vorgestellt hatten. Ungefähr sechzig Meilen stromaufwärts von Sirmium, an einem Ort namens Vadum, wurden wir von einer feindlichen Schar aus dem Hinterhalt überfallen. Vadum ist keine Stadt oder

Ansiedlung. Der Name bezeichnet nur eine Furt, da an

dieser Stelle die Straße vom hügeligen Nordufer der Save zum flacheren kreuzt. Es lag auf der Hand, daß unser

großes Heergefolge, die Pferde und Karren, die schwerfällig über die Furt rumpelten - noch dazu in so kaltem Wasser, daß Pferde wie Reiter gleichermaßen davor

zurückschreckten - ein leichtes Angriffsziel bot.

Ich nahm an jenem Tag nicht am Kampf teil, denn ich

befand mich gerade mitten im Fluß, als die Schlacht

entbrannte, doch Theoderich und Ibba waren schon am

gegenüberliegenden Ufer angekommen, und sie sammelten

schnell ihre Männer um sich. Wir Ostgoten waren wegen

unserer nassen Rüstungen und den von der Kälte erstarrten Gliedern benachteiligt, aber trotzdem waren wir den

angreifenden Gepiden unter König Thraustila zahlenmäßig so überlegen, daß wir sie leicht abwehrten und

zurückdrängten. Die Schlacht war schnell vorüber, und auf jeder Seite waren ungefähr einhundert Männer verletzt oder tot und eine größere Anzahl Pferde verendet. Als die

überlebenden Gepiden zusammengetrieben, entwaffnet und gefangengenommen waren, erfuhren wir, warum wir von

unseren gotischen Kameraden angegriffen worden waren.

Die Gefangenen berichteten, daß König Thraustila nach

Höherem strebte. Er hätte sich zwar wie König Feletheus mit Theoderich verbünden können, doch hatte er angenommen, daß kein barbarisches Heer es schaffen würde, über die Ewige Stadt Rom und Odoakers Legionen die Oberhand zu

gewinnen. So schlug er sich auf die Seite desjenigen, der seiner Meinung nach als Sieger hervorgehen würde. Ihm

war zwar klar, daß er uns nicht schlagen konnte, aber

vielleicht hoffte er, unser Heer zu dezimieren oder zumindest unseren Weitermarsch zu behindern, dadurch Odoakers

Gunst zu gewinnen und einige der Früchte zu ernten, die Odoakers Sieg über unsere Armee mit sich bringen würde.

Selbst wenn sich herausgestellt hätte, daß König Thraustila richtig kombinierte und entschied, hätte er nichts davon gehabt, denn er war einer von zwei Königen, die in der Schlacht zu Vadum den Tod fanden. Das andere Opfer war der zwar eingebildete, doch unbestreitbar tapfere rugische Feletheus.

Theoderich hätte die überlebenden Gepiden auffordern

können, sich seinem Heer anzuschließen. Das war üblich -

und außerordentlich praktisch - nach Schlachten, die sich Barbaren lieferten. In diesem Fall jedoch bot Theoderich diese Möglichkeit nicht an, weil die Gepiden versucht hatten, ihn von einem Ziel abzuhalten, von dem ihr eigenes Volk ebenso reichlich profitiert hätte wie alle anderen Goten.

Theoderich ließ die Gefangenen einfach frei und forderte sie auf, ehrlos, entwaffnet und entlassen zu ihrem Stamm

zurückzugehen. Verächtlich schlug er ihnen beim Abschied vor: »Nehmt euch eine Frau unter den Witwen eurer

gefallenen Kameraden, laßt euch nieder und macht es euch in euren Familien bequem. Zu mehr taugt ihr nicht.«

Wir anderen blieben noch lange genug in Vadum, um die

Gefallenen zu begraben. Die sterblichen Überreste der

Rugier und anderer gefallener Heiden, wie die der

arianischen Ostgoten und Gepiden, wurden mit dem Kopf

gen Westen begraben. Dies ist ein uralter Brauch aller germanischen Völker - viel älter als der arianische oder katholische oder irgendein anderer christlicher Glaube - der auf der Vorstellung beruht, daß die Toten so weiterhin »den Sonnenaufgang sehen können«. Die Kirche hätte solch eine heidnische Sonnenanbetung gerne abgeschafft, doch es

gelang ihr nicht, und sie verfügte daraufhin heuchlerisch, daß Christen fürderhin mit den Füßen gen Osten begraben werden sollten, weil dies »die Richtung sei, in die Christen am Jüngsten Tag aufbrechen sollten«.

Während die Gefallenen begraben wurden und die uns

begleitenden Wundärzte und Geistlichen die Verwundeten versorgten, wandte Theoderich sich an mich und seine

anderen Marschälle und Offiziere: »Jetzt haben unsere

rugischen Verbündeten einen Burschen zum König. Was

meint Ihr? Soll ich einen älteren und erfahreneren Mann benennen, der ihm hilft, das Kommando zu führen? Der

Junge ist schließlich erst fünfzehn oder sechzehn Jahre alt.«

Herduich sagte: »Ich beobachtete, wie Frido im dichtesten Kampfgetümmel die Waffe schwang. Der Junge ist zwar

noch nicht stark genug für den Schwerthieb, aber er

beherrscht den Stoß.«

»Ja«, stimmte Pitzias zu. »Er verteidigte sich standhaft gegen seine Gegner.«

Daraufhin sagte ich: »Ich habe Frido zwar noch nicht

kämpfen sehen, doch ich kann bestätigen, daß er sich in anderer Hinsicht wie ein erwachsener Mann verhält.«

»Ihr solltet daran denken, Theoderich«, meinte Soas, »daß Alexander, den Ihr so sehr verehrt, schon im Alter von sechzehn Jahren in Makedonien befehligte.«

»Also abgemacht«, erwiderte Theoderich jovial. »Soll sich der Bursche beweisen! Habai ita swe.«

So fand also, bevor wir Vadum verließen, eine Zeremonie statt, in deren Verlauf der Treueeid geschworen wurde. Der junge König schwor im Namen des Göttervaters Wotan, daß er klug und gütig über sein Volk herrschen würde, die

rugischen Soldaten schworen, daß sie ihrem König

gehorsam und mutig folgen würden, wohin auch immer er

sie führe. Er fügte hinzu: »Ich nehme die Herrschaft über die Rugier an, und zugleich nehme ich einen neuen Namen an -

aber keinen weibischen römischen Namen. Fortan bin ich Friderich, König freier Menschen.« An dieser Stelle brachen die Rugier in Hochrufe aus, und Theoderich und ich und jeder weitere Ostgote und alle unsere Verbündeten stimmten mit ein.

Der junge Friderich führte sein erstes Kommando in

Siscia, der nächsten Stadt auf unserer Marschroute, die an der Save in der Provinz Savien liegt. Die Bürger Siscias freuten sich genausowenig wie die Bürgerschaft von

Sirmium als sie unser Heer anrücken sahen, und sie setzten alles daran, uns wissen zu lassen, daß wir nicht willkommen waren. Da die Stadt keine Garnison besaß, die uns hätte abwehren können, und die Stadtmauern zu schwach waren, als daß man uns hätte ausschließen können - nicht einmal ein fauler Gestank hing in der Luft, der uns vertrieben hätte -

machte sie sich die Verteidigungstaktik einer Schnecke oder Schildkröte zu eigen: Siscia zog sich in eine harte Schale zurück und forderte uns auf, sie zu knacken.

Seit die Stadt vor ungefähr einem halben Jahrhundert von den Hunnen geplündert und verwüstet worden war, hatte sie nie mehr ihre einstige Größe und Pracht wiedererlangt. Doch vor Attilas Zeit war Siscia eine der Städte des römischen Reiches gewesen, in der Münzen geprägt wurden und in der sich ein Schatzhaus befand. Dieses Gebäude war noch

unverwüstet, obwohl es seinen Zweck nicht mehr erfüllte. Mit seinen dicken, fensterlosen Mauern aus Stein, seinen mit Eisen beschlagenen und mittels Schraubenbolzen

gesicherten massiven Eichenholztoren und dem

feuersicheren Bronzedach war dies Gebäude sogar für die Hunnen unbezwingbar gewesen. Nun hatte die Bürgerschaft in Erwartung unseres Eintreffens alles, was wir hätten beschlagnahmen können, dort eingeschlossen und eine

Wache aufgestellt, welche die Tore versperrte.

Unversehens sahen wir uns vier alten Männern

gegenüber, offensichtlich den Stadtvätern, von denen jeder huldvoll, blasiert und selbstgefällig lächelte wie nur je ein Priester.

Theoderich sagte zu ihnen: »Wir sind keine Hunnen. Wir kommen nicht, die Stadt bis auf die Grundmauern

niederzureißen. Wir wollen nur unsere Vorräte aufstocken, bevor wir weiterziehen.

Öffnet das Schatzhaus, laßt uns nehmen, was wir

brauchen, und ich versichere Euch, daß Euer Gold, Eure Frauen und andere wertvolle Schätze nicht angerührt

werden.«

»Oh väi«, murmelte einer der vier Alten, hatte jedoch

immer noch ein liebenswürdiges Lächeln aufgesetzt.

»Hätten wir von Eurem Edelmut gewußt, wir hätten andere Vorkehrungen getroffen. Doch die Wachen haben ihre

Befehle. Sie dürfen die Tore nicht eher öffnen, als bis sie von ihren Fensterschlitzen aus gesehen haben, daß auch der letzte Eindringling die Stadt verlassen hat.«

»Ich schlage vor, daß Ihr diesen Befehl zurücknehmt.«

»Das wird nicht gehen.«

»Ach, ich nehme an, daß es sehr schnell gehen wird«,

sagte Theoderich leichthin, »wenn ich zu Euren Füßen ein kleines Feuer anzünde.«

»Das wird nichts nützen. Wir können befehlen, was wir

wollen - die Wachen sind verschworen, keiner Bitte, keinem Befehl und keinem Überredungsversuch nachzugeben,

selbst wenn Ihr ihre Mütter hier verbrennen würdet.«

Theoderich nickte, als würde er solchen Eigensinn

bewundern, doch dann sagte er: »Ich werde Euch nicht

mehr bitten. Wenn meine Männer die Mauern brechen

müssen, werden sie eine Belohnung für die Schinderei

erwarten. Ich werde sie nehmen lassen, was sie finden.

Jeden Leckerbissen und jedes Mädchen.«

»Oh väi«, sagte der Alte wieder, sah jedoch kein bißchen beunruhigt aus. »Dann müssen wir einfach beten, daß Ihr es nicht schafft, die Mauern zu brechen.«

»Es geht alles zu Euren Lasten, wenn wir die Schale

knacken und den Kern verschlingen«, erwiderte Theoderich.

»Geht und betet woanders.«

Als die vier Alten sich selbstgefällig davonmachten,

wandte er sich an Friderich: »Gib deinen Mannen etwas zu tun, Junge, und laß sie graben! Siehst du dort drüben? Der östliche Winkel des Gebäudes steht auf einem Abhang. Sag deinen Rugiern, sie sollen dort einen Tunnel graben.«

»Einen Tunnel graben?« wiederholte Friderich unsicher.

»Ihr schickt meine Männer in den Tod! Wenn die

Grundmauer nachgibt, werden sie von den Steinen

zermalmt.«

»Deshalb sollen sie Holzbalken schneiden und die

Grundmauern so gut wie möglich stützen. Man nimmt dazu keine grünen Baumstämme, sondern hartes, trockenes

Holz.«

»Ich verstehe nicht«, sagte der Junge. »Warum das

Gebäude untergraben, wenn Ihr es doch stehen laßt?«

Theoderich seufzte. »Geh' jetzt und befiehl, was ich dir gesagt habe. Sag deinen Leuten, daß sie als erste über die Jungfrauen drinnen herfallen können. Je schneller sie

arbeiten, desto früher bekommen sie ihre Belohnung. Habai ita swe.«

Friderich sah immer noch unsicher drein, doch er

wiederholte mechanisch »Habai ita swe«, und ging, die

Befehle zu erteilen.

»Pitzias, Ibba, Herduich«, rief Theoderich. »Sagt Euren Unterbefehlshabern, sie sollen alle unsere Männer in den Bürgerhäusern einquartieren. Laßt uns diesen ungastlichen Siscianern beibringen, was sich gehört! Wir sollten nicht in Zelten und im Freien schlafen, wenn wir es bequemer haben können, während wir warten.«

Das Graben erwies sich als Schwerstarbeit, aber es war wenigstens nicht gefährlich. »Wie tief soll die Grube werden, Theoderich?« fragte Friderich am fünften oder sechsten Tag.

»Sie ist nun ein Viertel eines Stadions tief und breit, und wir finden kaum mehr Holz für die Stützen.«

»Das ist groß genug«, erwiderte Theoderich. »Schicke nun Männer aus, alles einzusammeln, was sie in der Stadt an Olivenöl finden.«

»Olivenöl?«

»Damit sollen sie das Holz tränken und es anzünden. Und sie sollen sich in sicherer Entfernung zum Abhang

aufhalten.«

»Ah«, schnaufte Friderich, und man konnte ihm ansehen, daß er den Plan jetzt verstand. Eilends stürzte er fort, um Theoderichs Befehl auszuführen.

Teilweise verstanden auch die Siscianer, als aus dem

Graben Rauch aufstieg. Die vier Stadtväter kamen

herbeigeeilt, und sie sahen nun nicht mehr blasiert, sondern eher unsicher aus.

»Habt Ihr vor, unsere Jugend in einem Steinofen zu

braten?« winselte einer von ihnen. »Die Wachen und die anderen Soldaten - das würden die Kriegsregeln erlauben.

Aber unsere Frauen, niu? Unsere Mädchen? Unsere

Kinder?«

»Wir haben das Feuer nicht gelegt, um jemanden zu

braten«, erwiderte Theoderich. »Sie werden nur ein wenig schwitzen, bevor die Stützen brennen. Dann stürzt die eine Seite des Gebäudes in sich zusammen und...«

»Oh vai, das ist ja noch schlimmer!« Die Alten rangen die Hände. »Das einzig annehmbare Gebäude, das unserer

einst so prächtigen Stadt Siscia erhalten blieb! Selbst Attila hat es ausgespart! Bitte, mächtiger Sieger, löscht das Feuer.

Wir werden Euch die Tore öffnen. Laßt uns nur nahe genug herankommen, um den Wachen das verabredete Zeichen zu

geben.«

»Das habe ich mir gedacht«, meinte Theoderich trocken.

»Doch Ihr hattet Eure Chance. Ich nehme mein Wort nicht so schnell zurück. Unsere Männer mußten wegen Eures

Trotzes hart arbeiten. Sie werden dafür belohnt. Eure

Frauen, Mädchen und Kinder werden sich wünschen, sie

wären gebraten worden.«

Die Alten stießen ach!

und

väi!

und andere

Schreckensrufe aus. Doch dann berieten sie sich, und einer von ihnen ergriff das Wort: »Laßt uns das Gebäude, und wir geben Euch alle, die sich darin aufhalten.«

Theoderich warf ihm einen bitteren Blick zu. »Ihr seid mir die wahren Stadtväter, gewiß aber nicht die Väter

derjenigen, die da drin gefangensitzen. Euch ist die Stadt wichtiger als deren Bürger. Doch womit wollt Ihr verhandeln?

Was könnt Ihr mir geben, das ich nicht schon habe?«

»Dann habt Erbarmen mit uns! Das Schatzhaus ist das

einzige, was Siscia zur Stadt macht.«

»Das stimmt. Es liegt auch in meinem Interesse, auf die Stadt Rücksicht zu nehmen. Wenn das Westreich mir

gehört, gehört mir auch Siscia. Ich werde meinen eigenen Besitz nicht plündern. Gut, ich nehme Euer Angebot an. Die Schale bleibt, der Kern ist unser. Geht jetzt und gebt das Zeichen.«

Als die Alten von der Wache abgeführt wurden, winkte

Theoderich einen Boten heran und befahl: »König Friderich soll das Schatzhaus umzingeln. Wenn sich die Tore öffnen, soll er das Feuer löschen und die erwachsenen Männer

unversehrt aus dem Gebäude kommen lassen. Wie

versprochen können seine Soldaten dann mit den anderen verfahren, wie sie wollen.«

Saio Soas brummte: »Ich billige, daß Ihr das Gebäude

verschont, Theoderich. Aber ich kann nicht verstehen,

warum Ihr die vier kriecherischen Alten laufen laßt.«

»Ich habe nicht vor, sie laufen zu lassen. Erteilt Befehl, Soas, daß die ganze Bevölkerung von Siscia Zeuge dessen ist, was geschieht, wenn das Schatzhaus geöffnet wird.

Danach gebt Ihr bekannt, daß die Orgie zu Lasten ihrer eigenen Stadtväter geht. Ich wage zu behaupten, daß die Väter, Ehemänner und Brüder der Bürgerschaft den Alten eine Strafe zuteil werden lassen, die sie verdienen und die vermutlich viel schlimmer sein wird als alles, was wir uns ausdenken könnten.«

Frisch versorgt mit Vorräten aus dem Schatzhaus Siscias, brachen wir wieder auf. Doch wir waren gerade fünfzig

Meilen stromaufwärts marschiert, als sich uns ein weiteres Hindernis in den Weg stellte. Diesmal traten uns Sarmaten und Skiren in Lamellenpanzern und Kegelhelmen entgegen.

Zwei Beweggründe veranlaßten sie dazu: Zum einen waren ihre Stämme so oft überwältigt und geteilt worden, daß sie zu einem elenden Nomadendasein gezwungen waren. Sie

hofften nun, wie auch der unglückliche Gepide Thraustila gehofft hatte, unseren Marsch nach Venetien aufzuhalten und damit Odoakers Gunst, ein Stück Land und einen

besseren Ruf als den eines Wandervolkes zu gewinnen.

Außerdem nagte die Kränkung früherer Niederlagen immer noch an den Herzen der Krieger, und viele wollten sich einfach nur an uns Ostgoten rächen.

Doch ihre Aussichten, Rache zu üben, waren gering,

geringer noch als die Thraustilas. König Thraustila war wenigstens der alleinige Befehlshaber über ein einheitliches gepidisches Soldatenheer gewesen. Die Führer dieser

kleinen Stämme hingegen waren außerstande gewesen,

einem einzigen von ihnen, die militärische Verantwortung zu übertragen. Ihr zusammengewürfeltes Heer war in

Kampfstrategien ungeübt. Uns stellte sich eigentlich nur eine unorganisierte Bande entgegen, die zwar mutig war und

Kampfgeist zeigte, nicht aber als Streitmacht vorgehen konnte.

Ich brauche die Schlacht nicht bis in alle Einzelheiten wiederzugeben. Sie verlief genauso, wie Theoderich sie geplant hatte, und war vorüber, bevor die Sonne unterging.

Dann lagen mehr als zweitausend Männer - größtenteils

Skiren und Sarmater - niedergestreckt auf dem Schlachtfeld, und die meisten davon rührten sich nicht mehr. Theoderich nahm keine Gefangenen und verschwendete auch nicht die kostbare Zeit und das Können seiner Heilkundigen für den verwundeten Feind, so daß unsere Fußsoldaten rasch alle verletzten Gegner, die noch ein Lebenszeichen von sich gaben, ins Jenseits beförderten. Doch unser Heer blieb noch lange genug, um nach altem Brauch unsere eigenen

Gefallenen geziemend zu begraben. Friderich war in der Nähe auf ein Dorf namens Andautonia gestoßen, das

ungefähr einhundert Einwohner zählte. Dort verpflichtete er jeden Mann und jede Frau und trieb sie auf das blutige Schlachtfeld mit dem Befehl, alle gefallenen Sarmaten und Skiren zu begraben oder sich ihrer sonstwie zu entledigen, und unser Heer brach ohne weitere Verzögerung wieder auf.

Mitte Juli kamen wir bei großer Hitze in Aemona an. Die Hauptstadt der Provinz Noricum Mediterraneum ist sehr alt -

sie soll von dem Argonauten Jason gegründet worden sein -, und es muß dort im Frühjahr und Herbst sehr schön sein.

Die Stadt liegt an beiden Ufern eines Nebenflusses der Save und besitzt einen einzigen kleinen Berg, von dessen Spitze aus die weiter entfernten Julischen Alpen und einige näher gelegene Berge zu bewundern sind. Leider liegt der restliche Teil der Stadt in einer von Sumpfland umgebenen Senke, so daß im Sommer die Luft verpestet und alles voller

Insektenschwärme ist.

Auf Aemonas einzigem Berg befand sich eine Festung, die in ihrer gewaltigen Größe dem Schatzhaus in Siscia

nahekam. Die Bürger der Stadt hätten sicher versucht, ihre Schätze und Besitztümer dort zu verbarrikadieren, wenn nicht die Kunde, daß es Siscia nicht gelungen sei, die Plünderung abzuwehren, unserem langsam sich

vorwärtsbewegenden Heer vorausgeeilt wäre. So

marschierten wir ungehindert in Aemona ein, und man ließ uns resigniert an dem teilhaben, was es an Vorräten, Waren und Zerstreuungen zu bieten hatte. Davon gab es genug -

einschließlich der Thermen, Huren und Weinstuben -, doch wir stöberten keine größeren Schätze an Gold und

Edelsteinen auf, weil die Stadt einst von unserem Vorfahren, dem Westgoten Alarich, und danach von Attilas Hunnen

geplündert worden war und seither nie wieder zu ihrem

einstigen Reichtum zurückgefunden hatte.

Schließlich ließen wir die Stadt und den Sumpf hinter uns, was ein Segen war, doch das Wetter blieb drückend schwül.

Gott sei Dank kamen wir bald darauf an den Isonzo, der durch eine hübschere Landschaft floß, mit fruchtbaren

Ackerflächen, Gras und Blumen. Wir waren erleichtert und froh, als wir dorthin kamen, obwohl nicht weit weg die italische Provinz Venetien beginnt, wo Odoakers Legionen uns in großer Stärke erwarteten.

4

Die unseren Heereskolonnen vorausreitenden

Kundschafter waren die ersten, die einen Blick auf das Aufgebot an Streitmächten werfen konnten, das die Grenze zu Venetien verteidigte. Unauffällig spähten sie die Front von Süden nach Norden aus - das heißt, das Gebiet zwischen der Bucht von Triest, wo der Isonzo in das Adriatische Meer mündet, bis an den Fuß der Julischen Alpen, wo der Fluß entspringt - und erstatteten uns dann Meldung.

»König Theoderich«, sagte der Optio, und man merkte,

daß er beeindruckt war, »die Zahl der Feinde ist so groß, daß man sie kaum einschätzen kann. Sie sind vier Meilen am Westufer des Flusses entlang postiert. Die meisten

Truppen sind natürlich am anderen Ende der Isonzobrücke konzentriert, der einzigen Brücke über den Fluß, genau auf Eurer Marschroute.«

»Das habe ich erwartet«, entgegnete Theoderich

gleichmütig. »Odoaker hatte schließlich genug Zeit, seine Männer um sich zu versammeln. Wie hat er die Zeit genutzt, Optio? Welche Verteidigungsmaßnahmen werden seine

Legionen gegen uns ergreifen?«

»Sie scheinen sich ganz auf ihre Überzahl zu verlassen«, antwortete der Späher. »Sie haben nur am Fluß entlang ihre Lager aufgeschlagen, saubere, ordentliche Reihen großer Schmetterlingszelte für die Nacht, dazwischen Schuppen mit Vorräten, Pferdekoppeln, Rüstungs-, Schmiede-und

Kochzelte, Schweineställe und Pferche für die Schafe, die sie als Verpflegung mit sich führen, alles, was zu einem gewöhnlichen militärischen Lager gehört. Aber sie haben keine Gebäude, Mauern oder Barrikaden errichtet.«

Theoderich nickte. »Sie gehen zu Recht davon aus, daß

dies in einen Kampf von Mann zu Mann ausarten wird. Sie wollen sich Spielraum und Bewegungsfreiheit bewahren.

Wie steht es mit dem Flußgebiet, Optio?«

»Von der Bucht bis zum Fuß der Alpen ist alles Flachland wie hier auch, nur haben sie an ihrem Flußufer den Wald etwa eine Viertelmeile weit ins Landesinnere hinein gerodet.

Ob sie damit genügend Platz für das Lager schaffen wollten, oder ob sie sich Bewegungsfreiheit für die Schlacht sichern oder einfach nur Feuerholz schlagen wollten, weiß ich

nicht.«

»Und auf unserer Seite blieb der Wald bis zum Ufer

stehen?«

»Ja, König Theoderich. Wie Ihr schon sagtet, hätten sie genug Zeit gehabt, auch dieses Ufer zu roden, wenn sie gewollt hätten. Vielleicht spekulieren sie darauf, daß die Bäume Euch bei der Aufstellung Eurer Truppen hindern

werden.«

Theoderich nickte wieder. »Noch etwas, Optio?«

»Ja, etwas ist uns noch aufgefallen.« Der Optio kniete nieder und zeichnete mit einem Stock zwei parallele Linien in den Sand, die den Verlauf des Flusses darstellen sollten, und ein Kreuz, das unseren augenblicklichen Standort

markierte. »Auf der Anhöhe gen Norden errichteten sie zwei Terrassen, von denen aus sie Signale senden können. Die Feuer- oder Rauchzeichen werden den ganzen Fluß

hinunter gut sichtbar sein.«

»Terrassen?« fragte Theoderich. »Keine Türme?«

»Nein, Terrassen.« Der Optio zeichnete zwei kleine

Rechtecke am oberen Ende des Flusses ein. »Ungefähr

hier. Sie sind nur leicht erhöht und nicht besonders befestigt, und sie sind nicht weit voneinander entfernt.«

»Gut, gut«, sagte Theoderich. »Es scheint das alte

polybische System zu sein. Ich reite in einer der kommenden Nächte hin und schaue mir die Signale an. Thags izvis, Optio. Auch Euren Kameraden sei gedankt. Odoaker wird

sicher seinerseits Spähtrupps ausgesandt haben, um unser Vorrücken zu beobachten. Sie werden herausgefunden

haben, wie viele wir sind, doch es wäre von Vorteil, wenn die Aufstellung unserer Truppen geheim bliebe. Nehmt Euch so viele zusätzliche Männer, wie Ihr braucht, Optio, und reitet nochmals aus. Räumt die Späher aus dem Wege, bevor wir den Fluß erreichen. So sei es!«

In einer lauen Nacht bat mich Theoderich, mit ihm

stromaufwärts zu reiten, um herauszufinden, ob der Fluß an irgendeiner Stelle zu durchwaten sei.

Unterwegs erzählte er mir: »Weil dies gewiß der

bedeutendste Feldzug ist, den ich je führen werde, habe ich vor nach alter Sitte den Krieg offiziell zu erklären, bevor ich ihn beginne, und dabei werde ich sowohl römischen als auch barbarischen Traditionen genau folgen. Zum geeigneten

Zeitpunkt werde ich auf die Brücke treten und meine

Herausforderung verkünden. Ich werde verlangen, daß

Odoaker sich kampflos ergibt, bevor er besiegt wird, daß er sich mir auf meinem Marsch nach Rom nicht in den Weg

stellt und mich als seinen Nachfolger und Oberherrn

anerkennt. Darauf wird er natürlich nicht eingehen. Er oder einer seiner Untergebenen wird ebenfalls auf die Brücke hinaustreten und selber eine Kriegserklärung abgeben.

Dann werden wir gemeinsam erklären, daß nunmehr

Kriegszustand herrsche. Die Kriegsregeln verlangen nur, daß uns beiden danach genug Zeit gelassen wird, auf

unsere jeweiligen Posten zurückzukehren. Erst dann kann der Befehl zum Losschlagen erteilt werden.«

»Aber wann willst du das tun, Theoderich? Willst du

unseren Männern vor der Entscheidung noch etwas Ruhe

gönnen? Oder willst du Odoaker verspotten, indem du ihn noch länger warten läßt?«

»Weder das eine noch das andere«, antwortete

Theoderich. »Übrigens haben sich nicht alle unsere Männer ausgeruht. Wie du weißt, haben wir ehemalige Legionäre darunter, und die tragen römische Harnische. In den

vergangenen Nächten schickte ich sie über den Fluß und gab Befehl, sie sollen sich, sobald ihre Kleider trocken sind, unbemerkt unter den Feind mischen und die Ohren

aufsperren. Außerdem habe ich genug Wachen aufgestellt, um sicherzugehen, daß vom anderen Flußufer her keine

Spione infiltrieren. «

»Und was haben die unsrigen berichtet?«

»Nicht viel. Odoaker ist selbstverständlich ein erfahrener und fähiger Soldat, aber er ist alt. Mindestens sechzig. Mir wurde berichtet, daß er das Kommando über sein Heer

einem Jüngeren übertragen hat, der in unserem Alter ist. Der Mann heißt Tufa und ist von Geburt Rugier.«

»Ach, dann wird dieser Tufa alle germanischen Kampf

Strategien kennen.«

»Nun, Odoaker auch. Er hat in seinem Leben genug

germanische Stämme bekämpft. Nein, daran dachte ich

nicht. Ich überlegte nur - wenn dieser General Tufa von derselben Herkunft ist wie unser junger König Friderich, wäre es dann nicht möglich, daß er sich von einem

rugischen Landsmann umstimmen ließe...«

»Du meinst, er würde Odoaker verraten? Das römische

Verteidigungssystem untergraben? Vielleicht sogar die Front wechseln?«

»Es ist reizvoll, darüber nachzudenken, aber verlassen kann ich mich darauf nicht.« Theoderich ließ an dieser Stelle das Thema fallen, weil wir bei den stromaufwärts postierten Truppen angelangt waren, die darauf warteten, bei Bedarf den Wald zu roden, und er sagte zum Befehlshaber: »Eure Männer können anfangen, Dekurio. Selbst wenn wir den

Fluß hier durchwaten könnten, wären wir zu weit nördlich.

Eure Männer sollen uns genug Baumstämme schneiden, für den Fall, daß wir sie brauchen. «

Der Dekurio bellte irgendwelche Befehle in die Nacht

hinein, und wenige Augenblicke später hörten wir die ersten Axtschläge. Kurz darauf sagte Theoderich plötzlich: »Schau mal, Thorn!« und zeigte auf das gegenüberliegende Ufer.

Dort war die Dunkelheit auf einmal von einem Licht

durchbrochen, dann von zweien, dann von vielen.

»Fackeln«, sagte ich.

»Das sind die polybischen Signale«, erwiderte Theoderich.

»Fackelschwinger auf jenen Terrassen, von denen man uns berichtet hat.« Er stieg von seinem Pferd. »Laß uns einen Platz auf der Lichtung suchen, von wo aus wir besser sehen und lesen können, was sie zu sagen haben.«

»Ich konnte nicht einmal die Leuchtturmfeuer von

Konstantinopel lesen«, gestand ich, als wir uns am Ufer niederließen.

»Das polybische System ist recht einfach. Licht des

Nachts und Rauch bei Tag. Die zwanzig Buchstaben des

römischen Alphabets sind in fünf Vierergruppen aufgeteilt. A, B, C, D und dann E, F, G, H und so weiter. Die fünf Fackeln auf der linken Plattform dort drüben zeigen die Gruppe an.

Siehst du? Eine der Fackeln wird für einen Augenblick über die anderen erhoben. Auf der rechten Plattform wird eine der vier Fackeln erhoben, um anzuzeigen, um welchen

Buchstaben es sich handelt.«

»Ja, jetzt kann ich es erkennen«, sagte ich. »Auf der

linken Seite wird die zweite Fackel erhoben. Auf der rechten Seite die erste. Und nun sind alle wieder auf gleicher Höhe.

Jetzt auf der linken Seite die erste Fackel. Auf der rechten Seite die vierte.«

»Sprich weiter«, sagte Theoderich und beugte sich zur

Erde. »Ich versuche, was du sagst, mit Hilfe von Zweigen festzuhalten.«

»Gut. Also, links die vierte Fackel, rechts die dritte. Links dann die dritte - und rechts auch die dritte. Jetzt links die vierte und rechts die zweite.«

Theoderich wartete einen Moment und meinte dann

ungeduldig: »Und weiter?«

»Nichts mehr. Sie signalisieren jetzt dieselbe Reihenfolge nochmals. Vermutlich handelt es sich um ein einziges Wort mit fünf Buchstaben.«

»Dann müßte ich eigentlich meine Zweige hier enträtseln können. Hm... zweite Gruppe, erster Buchstabe... ist ein E.

Erste Gruppe, vierter Buchstabe... ein D.«

»Macte virtute«, murmelte ich bewundernd. »Es

funktioniert.«

»Ein P... ein L... ein O. Edplo. Edplo? Hm... scheint doch nicht zu funktionieren. Edplo gibt es nicht. Weder im

Lateinischen noch im Gotischen, noch im Griechischen.«

Ich beobachtete die Fackeln wieder und sagte. »Sie

signalisieren dieselbe Sequenz noch einmal. Nun zum

vierten oder fünften Mal.«

Theoderich knurrte ärgerlich. »Wir haben es also. Aber, zum Teufel, welche Sprache...?«

»Warte«, unterbrach ich ihn. »Ich hab's! Die Sprache ist Latein, das stimmt, aber es ist nicht das römische Alphabet.

Raffiniert. Sie benutzen das Futhark, das alte runische Alphabet. Also nicht A, B, C, D, sondern faihu, urus, thorn, ansus... Schau her: zweite Gruppe, erster Buchstabe... das ist raida. Erste Gruppe, vierter Buchstabe... ansus. Jetzt haben wir R und A... dann teiws... und eis... und sauil. Das Wort lautet rads. Siehst du? Latein!«

Theoderich freute sich wie ein kleiner Junge. »Ja! Rads!

Floß!«

»Sie hörten unsere Holzfäller! Sie signalisieren Odoaker oder Tufa, daß wir hier oben Floße bauen.«

»Gut so«, sagte Theoderich gutgelaunt, als wir zu unseren Pferden zurückkehrten. »Wenn Odoaker und Tufa dumm

genug sind zu glauben, daß wir dumm genug sind, für

zwanzigtausend Mann und halb so viele Pferde Floße zu

bauen, dann sollten wir sie in diesem Glauben lassen.«

»Und was werden wir inzwischen tatsächlich tun?«

»Mit voller Kraft angreifen«, sagte Theoderich, als wir wieder aufsaßen und denselben Weg zurückritten, den wir gekommen waren. »Ich habe mich entschieden. Morgen früh kurz vor Tagesanbruch werde ich meine Herausforderung

verkünden. Dann beginnt die Schlacht.«

Es war nicht Odoaker, sondern der romanisierte Rugier

Tufa, der Theoderich auf der Isonzobrücke gegenübertrat.

Nachdem beide Männer auf traditionelle Weise ihre

Herausforderung verkündet und sich offiziell den Krieg erklärt hatten, zog sich Tufa wieder auf seinen Posten am Ende der Brücke zurück. Theoderich blieb, wo er war, zog sein Schwert und schwang es mit gestrecktem Arm, indem er gebieterisch »Impetus!« rief. Doch Ibba führte uns Reiter noch nicht zum Angriff. Statt des Donnerns von Pferdehufen hörten wir laute, donnerartige Knalle hinter uns, danach in Abständen erderschütternde, dumpfe Aufschläge und

danach wiederum ein Geräusch, das an das Rauschen

gewaltiger Flügel erinnerte. Das fahle Licht des Morgens war plötzlich hell erleuchtet von einer Kaskade feuriger Meteore, die von irgendwo hinter uns durch die Luft sausten und funkensprühend am anderen Ende der Brücke explodierten.

Diese glühenden Gegenstände in Rauch-

und

Funkenwolken waren natürlich keine Feuerkugeln, die vom Himmel fielen. Es waren Wurfgeschosse, die von den

Ballisten und Onagern, welche in den Wäldern hinter uns in Stellung gebracht waren, abgeschossen wurden - genauer gesagt waren es Felsblöcke, die in trockenes Gezweig

gehüllt, in Öl getränkt und kurz vor dem Abschuß

angezündet wurden. Der Geschoßhagel über uns riß nicht ab, da Friderichs Mannen flink die Wurfarme ihrer

Belagerungskatapulte spannten, aufluden und erneut

abfeuerten. Eine Balliste, die beim Abschuß die Spannung ihrer eng zusammengedrehten Seilwinden entlädt, kann

einen Felsbrocken mit dem Gewicht von zwei erwachsenen Männern zwei Stadien weit katapultieren. Ein massiver

Onager kann beim Hochschnellen des Wurfarms dasselbe

Gewicht über die doppelte Distanz schießen. Daher zielten die Ballisten auf das andere Ende der Brücke und auf die Legionen, die nördlich und südlich am Ufer entlang

aufgestellt waren. Die Onager schössen ihre Geschosse

weiter, in die Infanterie und Kavallerie, die auf der Lichtung zwischen dem Ufer und der westlichen Baumreihe

zusammengezogen worden war.

Wenn ein Geschoß eines der Vorrats- und Waffenzelte

aus Leinwand in Brand setzte, gab es noch mehr

Funkensprühen und Rauch. Die Schmetterlingszelte aus

Leder, in denen jeweils acht Mann untergebracht waren, brannten nicht, aber die losgerissenen Fetzen wehten im Wind und wickelten sich um Füße und Pferdehufe. Es

entstand solch ein Chaos, daß die Römer nicht mehr

wußten, wo ihnen der Kopf stand, als unsere Bogenschützen auch noch einen Regen von Pfeilen und Feuerpfeilen auf sie herniedergehen ließen, und sie konnten nicht mehr als

gesammelte Streitmacht vorgehen.

Natürlich dauerte es nicht lange, bis sich Odoakers

Truppen gefangen hatten. Und diesmal hatten wir es nicht mit einer unorganisierten Bande von Nomaden oder der eilig zusammengezogenen Abwehr einer wenig hilfsbereiten

Stadt zu tun. Wir kämpften gegen die römische Armee.

Obwohl die Römer anfänglich hohe Verluste erlitten hatten und vor unserem Angriff zurückwichen, waren sie doch

keineswegs besiegt oder auch nur bedrängt. Über dem

Kampfeslärm, dem Gebrüll der Soldaten und Tiere, dem

Geräusch aufeinandertreffender Waffen, Schilde und

Rüstungen, dem Aufprall von Wurfgeschossen und dem

Dröhnen vieler Stiefel und Pferdehufe war das Schmettern römischer Trompeten zu hören, die das »Ordinern!« bliesen und damit ihre Schwadronen, Dekaden und Zenturien um

ihre jeweiligen Standarten und Befehlshaber

zusammenriefen. Auch in der Ferne waren Trompeten zu

hören, die von den langen, am Ufer des Isonzo postierten Reihen Verstärkung herbeiriefen. Sobald die Römer sich jedoch von ihrer ersten Niederlage erholt hatten, kämpften sie beherzt und weitaus verbissener als sonst - vermutlich waren sie beschämt, daß man sie vor den Wurfgeschossen hatte fliehen sehen -, und es lag auf der Hand, daß wir in einen bedeutenden Kampf verwickelt waren.

Es ist durchaus möglich, daß ich im Kampfgetümmel mit

so angesehenen Gegnern wie Odoaker oder Tufa die

Klingen kreuzte, aber im Kampfgetümmel erkannte ich

niemanden. Wie jeder andere auf dem Schlachtfeld, vom

König bis hinunter zu den Lagerköchen und Waffenträgern, hatte ich nur ein einziges Ziel; ein Ziel, das jeder Krieger in ferner Zukunft wie auch in dunkler Vergangenheit kennt: den Feind zu töten, bevor man selbst getötet wird.

Nun, wir gewannen schließlich die Oberhand. Als die

römischen Trompeten zum letzten Mal ihre Legionen zu den Standarten riefen, bliesen sie eilig und traurig zum Rückzug.

Alle versammelten Streitkräfte bewegten sich nun zurück, und diejenigen, die noch in den Kampf mit uns verwickelt waren, kämpften sich den Weg frei, und das gesamte Heer trat den Rückzug nach Westen an, indem es hie und da

noch Teile seiner Ausrüstung und Vorräte aufgriff,

liegengebliebene Waffen und reiterlose Pferde und

Verwundete, die sich noch bewegen konnten. Während der vielen Jahrhunderte, in denen die römische Armee Krieg führte, hatte sie sich wahrlich nicht oft zurückziehen müssen, doch die Soldaten wußten rasch und geordnet dabei

vorzugehen. Natürlich setzten unsere Männer dem Feind

hinterher und bedrängten dessen Nachhut, die Seiten und dessen Versprengte, doch Theoderich erteilte Befehl, daß sich die Truppen wieder sammeln sollten, und schickte dem fliehenden römischen Heer nur einen Spähtrupp nach, um herauszufinden, wohin sie ritten.

Die Römer ließen außer einigen Ärzten zur Versorgung

ihrer Verwundeten keine gesunden Männer zurück. Es gab keine Abtrünnigen, keine Deserteure. Wie vielen der

Verletzten unsere und die römischen Ärzte das Leben

retteten und wie viele gepflegt wurden, weiß ich nicht, doch allein unser Heer verzeichnete einen Verlust von mindestens viertausend Soldaten und Odoaker hatte etwa die

anderthalbfache Anzahl verloren.

Auch unsere Schmiedsoldaten machten sich sogleich an

die Arbeit, reparierten beschädigte Harnische, beulten Helme aus, bogen gekrümmte Klingen wieder gerade und

schärften solche, die stumpf geworden waren. Anderen

wurde aufgetragen, alles aufzusammeln, was die in die

Flucht geschlagenen Römer an Ausrüstung und Vorräten

hatten zurücklassen müssen. Von einigen dieser Dinge

machten wir sofortigen Gebrauch - zum Beispiel aß jeder von uns eine gewaltige Portion frischen Schweine- und

Hammelfleisches in guter römischer Fischsauce -, und die anderen verwertbaren Güter wurden auf die von den

Römern zurückgelassenen Karren und Wagen verladen und

mitgenommen. Unsere Holzfäller, die stromaufwärts am

Ostufer Bäume gefällt hatten, bekamen jetzt die

Gelegenheit, die Stämme zu Flössen zusammenzubinden.

Da die Isonzobrücke für den Transport unserer

Belagerungskatapulte zu schmal war, wurden diese über

den Fluß geschifft.

In der Zwischenzeit waren die Späher wieder

zurückgekommen, die Theoderich Odoaker nachgeschickt

hatte. Sie berichteten, daß sich nur einen Tagesmarsch entfernt im Westen eine große, schöne Stadt mit Namen

Aquileia befinde. Da die Stadt an der flachen Küste

Venetiens liege, auf das Meer hinausblicke und keine

Stadtmauern besäße, hätte vermutlich ihre Verwundbarkeit Odoaker dazu veranlaßt weiterzumarschieren. Wie die

Späher weiter berichteten, habe sich Odoakers Heer auf die gut ausgebaute römische Straße begeben, die in Aquileia beginnt, und sei im Eilmarsch gen Westen marschiert.

»Die Straße ist die Via Postumia«, erklärte Theoderich uns Offizieren. »Sie führt nach Verona, einer Stadt, die von dicken Mauern und zu zwei Dritteln von einem Fluß

umgeben und daher leicht zu verteidigen ist. Es wundert mich nicht, daß Odoaker sich dorthin zurückzieht. Doch ich freue mich, daß er uns Aquileia überläßt. Aquileia ist die Hauptstadt dieser Provinz Venetiens und war überaus

wohlhabend, bevor die Hunnen vor fünfzig Jahren

hindurchtrampelten. Die Stadt bildet jedoch immer noch einen der Hauptstützpunkte der römischen Kriegsflotte, und ein Teil der Adriatischen Flotte ist in ihrem am Meer

gelegenen Vorort Grado stationiert. Ich könnte mir

vorstellen, daß wir uns dort nach diesem anstrengenden Jahr herrlich erholen und unseren großen Sieg geziemend feiern können. Den Berichten von Reisenden nach zu

urteilen, gibt es in Aquileia viele elegante Bäder,

schmackhafte adriatische Meeresfrüchte und Meisterköche, die sie zubereiten können, auch schöne Römerinnen und

Venetianerinnen. Wir werden also hier verweilen, aber nicht zu lange. Sobald wir uns erholt haben, setzen wir hinter Odoaker her. Sofern uns unsere Späher nicht davon

unterrichten, daß er die Via Postumia verlassen hat, werden wir ihn in Verona finden. Wir sollten ihm keine Zeit lassen, die Stadt noch sicherer zu machen, als sie ohnehin schon ist. Er wird sich dort verbarrikadieren - wie ich hoffe, zum letzten Mal.«

5

Selbstverständlich war Aquileia es müde, in fast jeder Generation von Barbaren überwältigt zu werden - zuerst kam der Westgote Alarich, dann Attila, nun wir. Es beruhigte die Bürgerschaft nicht sonderlich, daß Theoderich von ihnen nur die Abgabe solcher Güter verlangte, die unser Heer brauchte. In dem Gedanken, daß ihm die Stadt bald gehören würde, verbot er den Truppen, die Stadt zu zerstören oder sie zu ihren persönlichen Gunsten zu plündern. Allerdings gebrauchten unsere Soldaten die Frauen, Mädchen und

vielleicht auch einige Jungen der Stadt, wie es Kriegern vorbehalten ist. Die Anständigen unter ihnen und deren Familien verabscheuten dies, und die einheimischen Dirnen und Nachtschwärmer waren vermutlich noch mehr dagegen, weil sie es gewohnt waren, für solche Dienste bezahlt zu werden.

Während also jedes Weib in Aquileia uns Eindringlinge

haßte, gab es zumindest zwei sehr schöne Frauen -

diejenigen, die von Theoderich und Friderich in Besitz genommen wurden - die absolut hingerissen davon waren, eine Zeitlang das Bett mit echten Königen, noch dazu

Eroberern, zu teilen. In der kurzen Zeit, in der sie das Amt der »Königinnen« bekleideten, gaben sie bereitwillig

Informationen über die Umgebung preis, wie zum Beispiel:

»Wenn Ihr die Via Postumia weiter entlangmarschiert,

kommt Ihr nach ungefähr zwanzig Meilen nach Concordia.

Das war früher eine Garnison, und es wurden dort auch

Waffen für die römische Armee hergestellt. Seit die Hunnen Concordia verwüsteten, liegt die Stadt in Schutt und Asche, aber sie stellt immer noch einen wichtigen

Verkehrsknotenpunkt dar. Ihr werdet dort auf eine weitere gute römische Straße stoßen, die nach Südwesten

abzweigt...«

Als unser Heer schließlich weiterzog und zu den Ruinen von Concordia kam, ließ Theoderich einen Hundertführer der Kavallerie kommen und erklärte ihm: »Zenturio Brunjo, diese linke Abzweigung gehört zu der Via Aemilia. Während der Rest von uns nach Verona vorstößt, werdet Ihr und Eure hundert Reiter die Straße da drüben nehmen. Aus

zuverlässiger Quelle weiß ich, daß Ihr auf dieser Strecke nicht vom Feind behelligt werdet. Die Straße führt Euch über die Flüsse Etsch und Po bis nach Bononia, wo sie wieder auf die Via Aemilia stößt. Ihr postiert sodann Eure Leute rings um die Stadt, in beiden Richtungen entlang der Straße, und überwacht jeden möglichen Umweg. Sollte Odoaker

versuchen, mit Rom oder Ravenna Kontakt aufzunehmen -

entweder, um Verstärkung anzufordern oder aus

irgendeinem anderen Grund - sind die Boten gezwungen,

die Via Aemilia zu nehmen. Ich will, daß Ihr jeden Boten abfangt und daß seine Botschaft mir von einem schnellen Reiter aus unseren Reihen überbracht wird. So sei es!«

Einhundert römische Meilen westlich von Concordia

erreichte unser Heer Verona. Die sehr alte und schöne Stadt hatte bis jetzt das Glück gehabt, von Kriegen und Kriegern weitgehend verschont zu bleiben. Obwohl der Westgote

Alarich öfter als ein Mal hierher marschiert war, war er stets zu sehr in Schlachten in der Umgebung verwickelt gewesen, um Gelegenheit zu haben, die Stadt zu verwüsten. Und

Attilas Hunnen, die wild durch Venetien stampften, waren so weit nicht vorgedrungen. So kam es, daß Verona seit

Konstantin bis zu unserer Ankunft keine Belagerung mehr erlebt hatte, und das war zwei Jahrhunderte her. Deshalb war Verona nicht darauf vorbereitet, sich einer solchen zu widersetzen.

Innerhalb von zwei Tagen brachten wir mit unseren

Wurfmaschinen die Flügel des Stadttores zum Bersten, dann griffen wir mit einem Rammbock an. Unsere kräftigsten

Männer hoben und schwangen diesen unter einem Panzer

erhobener Schilde, bis er durch das noch vorhandene Holz und Eisen stieß, und die ersten Glieder unserer Lanzenreiter und Schwertkämpfer folgten auf dem Fuß. Odoaker und sein General Tufa waren sich offensichtlich bewußt darüber

gewesen, daß die Tore der Stadt eigentlich keinen Schutz boten, und hatten keine Mühe darauf verschwendet, sie zu befestigen.

Theoderich stand mit dem rugischen König Friderich und einigen seiner Oberbefehlshaber etwas abseits des

Schlachtfeldes, von wo aus er alles am besten überblicken konnte. Auch ich befand mich unter ihnen, als einer unserer Reiter an der Stadtmauer entlanggeprescht kam, um uns

davon zu unterrichten, daß zwei der drei Stadttore von innen geöffnet worden waren und einen Sturzbach fliehender

Menschen freigaben.

»Es sind keine Soldaten darunter«, berichtete der Bote.

»Nur Bürger der Stadt sind herausgelassen worden, um sich in Sicherheit zu bringen.« Theoderich grunzte und entließ den Mann wieder auf seinen Posten. Dann wandte er sich an uns: »Das bedeutet, daß Odoaker es darauf ankommen

läßt, wer am längsten aushält. Wir müssen uns Straße um Straße und Haus um Haus vorkämpfen, und es wird auf

beiden Seiten viele Tote und Verletzte geben. Welch

unkönigliche Art der Kriegsführung!«

Ibba murmelte: »Wie eine Hure, die sich spreizt und doch gleichzeitig kratzt und beißt.«

»In vergangenen Kriegen stand Odoaker immer aufrecht.

Er muß mit fortschreitendem Alter sein Rückgrat verloren haben«, sagte Herduich.

»Es erstaunt mich«, meinte Friderich, »daß sein General Tufa dieser Strategie zustimmt. Schließlich ist er Rugier.«

Pitza schlug vor: »Da die Bürger freigelassen wurden,

könnten wir einfach die Tore mit Wachen besetzen, die

römische Armee in Verona einsperren und als Sieger ohne Blutvergießen aus der Auseinandersetzung hervorgehen. Mit der Zeit würden die da drinnen verhungern und verfaulen.«

Theoderich schüttelte den Kopf. »Es genügt mir nicht,

Odoaker einfach zu begraben. Ich muß es jedem Römer -

und auch Zeno beweisen, daß ich ihn ganz und gar besiegt habe.« Indem er wie ein einfacher Fußsoldat Schild und Schwert erhob, fügte er hinzu: »So, Kameraden. Wenn

Odoaker und Tufa sich einen langwierigen Nahkampf

wünschen, werden wir uns diesem Wunsch beugen.«

Noch etwas lernte ich in Verona. Während des Kampfes

von Haus zu Haus sollte ich herausfinden, warum jede

Wendeltreppe auf der Welt sich aufwärts nach rechts dreht: Ein Eindringling, der versucht, sich den Weg nach oben freizukämpfen, wird von der Mittelsäule der Treppe

gehindert, mit der Rechten das Schwert zu schwingen,

während der das Haus Verteidigende von oben kommend -

genug Freiraum für den Hieb besitzt. So kam es, daß ich mir in einem Haus irgendwo in der Mitte der Stadt eine

Schwertwunde an meinem linken Arm zuzog. Die Wunde

setzte mich nicht außer Gefecht, blutete jedoch so stark, daß ich mich kurzfristig aus dem Kampf zurückziehen mußte, um von einem griechischen Arzt verbunden zu werden. Ich

tröstete mich damit, daß ich nun auf jeder Seite

gleichermaßen mit Narben versehen war - die auf meinem linken Arm passte zu der auf meinem rechten Arm, die von damals stammte, als Theoderich mich wegen eines

Schlangenbisses behandelt hatte.

Ich weiß nicht, wie weit sich unsere Männer in die Stadt vorgekämpft hatten, als mich der Arzt schließlich gehen ließ.

Ich eilte zurück ins Kampfgetümmel, beugte unterwegs

meinen verbundenen Arm und fragte mich, ob ich damit wohl kräftig genug mein Schild wieder würde packen können. Ich gelangte auf einen kleinen Platz, auf dem sich viele Soldaten wütend im Nahkampf bekämpften, während viele andere

schon bewegungslos oder sich windend auf dem Pflaster

lagen. Gerade, als ich mich unter die Kämpfenden begeben wollte, betraten zwei weitere Männer den Hof von der

gegenüberliegenden Seite, hoben ihre leeren Hände über die Köpfe und schrien laut, so daß man sie über dem

Kampfeslärm hörte: »Waffenruhe! Indutiae! Gawairthi!«

Die hellere Stimme gehörte dem jungen Friderich, die

tiefere einem großen Mann in römischer Kampfmontur. Die römischen Kämpfer gehorchten dem älteren Mann und

legten die Waffen nieder. Unsere Leute gehorchten Friderich und taten dasselbe, worauf er einigen von ihnen befahl, Theoderich zu suchen und ihn herzubringen. Als der junge König mich erblickte, rief er fröhlich: »Ach, Saio Thorn! Ihr seid verletzt? Hoffentlich nicht schlimm! Erlaubt mir, Euch meinem rugischen Vetter, dem Heerführer Tufa

vorzustellen.«

Der General begrüßte mich nur mit einem Grunzen, also

grunzte auch ich. Während die Stadt um uns ob der

Nachricht der Waffenruhe ruhiger wurde, erzählte mir

Friderich stolz, wie sein »Vetter« ihn aufgespürt hatte, um einen vorübergehenden Waffenstillstand zu erbitten. Tufa trug die elegante Rüstung, die seinen hohen Rang auswies, und sie stand ihm gut. Als Theoderich uns fand, sagte sich Tufa bitter von der gesamten römischen Armee los. »Im

Kampfgetümmel erspähte ich den König der Rugier«, sagte er und nickte Friderich zu. »Ich erbat von ihm einen

Waffenstillstand, um zu Euch vorgelassen zu werden, König Theoderich.« Tufa hatte Lateinisch gesprochen. Nun

wechselte er in den rugischen Dialekt des Gotischen, als wolle er seine Verwandtschaft mit Friderich hervorheben.

»Ich ergebe mich nicht nur, sondern ich will Euch auch den Treueeid leisten und Eure Sache zu der meinen machen.«

»Weniger geschwollen ausgedrückt«, stellte Theoderich

trocken fest, »wollt Ihr Euer hohes Amt und Eure Männer verlassen.«

»Die Meinigen werden sich mir anschließen, doch es

werden nicht mehr sein, als meine persönliche Leibwache -

Rugier wie ich, die sich geehrt fühlen, unter unserem König Friderich zu dienen. Der Rest des Heers wird Rom treu

bleiben, obwohl Roms König Odoaker von keinem mehr

geschätzt wird.«

»Und warum werdet Ihr, Heerführer der römischen Armee, abtrünnig?«

»Väi! Seht Euch doch um!« rief Tufa voll Verachtung. »Ein Kampf um Häuserecken! Ich bin für Rom, ja, und ich würde Rom auch weiterhin verteidigen - doch ist dies eine Art zu kämpfen? Dies geht genauso zu Lasten Odoakers wie auch unser schändlicher Rückzug am Isonzo. Ihr kämpft

wenigstens kühn und frei und kommt dabei voran. Ich sage nochmals, ich bin für Rom. Und genau aus diesem Grunde, weil ich davon ausgehe, daß Ihr es mannhaft verteidigen werdet, wenn es Euch gehört, bin ich auf Eurer Seite.«

»Soviel zu Euren Gründen. Nun zu meinen. Warum sollte

ich Eure Eide entgegennehmen?«

»Weil ich Euch als erstes etwas Wichtiges berichten

werde: Odoaker ist Euch bereits entschlüpft. Als er das Volk durch die Tore am Flußufer entließ, mischte er sich unter die Menge und entkam unbemerkt. Und just in diesem

Augenblick, während Eure Soldaten in Straßenkämpfe mit einer entbehrlichen Nachhut verwickelt sind, strömt der größte Teil des römischen Heeres aus ebendiesen Toren

hinaus.«

»Davon wurde ich soeben unterrichtet«, sagte Theoderich gleichmütig. »Ihr erzählt mir also nichts Neues. Und die Tore ließ ich absichtlich offen.«

»Selbstverständlich. Doch Ihr ließet sie offen für den Fall, daß Ihr Odoaker ein für allemal besiegt haben würdet. Und das wäre Euch nie gelungen. Odoaker läßt grausam alle

seine Toten und Verwundeten zurück, damit sein Heer so schnell wie möglich vorwärtskommt. Er und seine Männer werden sich nicht weit von hier einer weiteren vollständigen Armee anschließen. Verona war eine Falle, die Euch gestellt wurde, Theoderich. Was Ihr Odoaker nicht zugefügt habt, beabsichtigt er Euch zuzufügen. Ich hatte Befehl, Euch hier zu beschäftigen, bis er mit genug Leuten eintrifft, um Euch einzuschließen und mit Leichtigkeit den Garaus zu

machen.«

Mein Mitmarschall Soas und unser General Herduich

waren in der Zwischenzeit zu uns gestoßen - zweifellos etwas verwirrt, weil der Kampf so urplötzlich abgewürgt worden war - und hörten interessiert dem Gespräch zu.

»Und nun, Tufa?« fragte Theoderich, immer noch

gleichmütig, »was hält mich nun, da Ihr den Plan verraten habt, davon ab, Euch mit einem Schwerthieb zu danken statt mit einer brüderlichen Umarmung?«

»Mein brüderlicher Rat könnte Euch von Nutzen sein«,

fuhr Tufa fort. »Ich schlage vor, daß Ihr nicht länger um Verona kämpft. Die Stadt gehört Euch, laßt also keine

weiteren Männer kommen. Laßt jene, die noch außerhalb

der Mauern sind, dort, wo sie beweglich sind. Außerdem bezweifle ich, daß Ihr so grausam seid wie Odoaker.

Während Ihr also Eure Verwundeten versorgt und Eure

Toten begrabt, solltet Ihr Eure Truppen nicht in der Stadt unterbringen. Laßt sie rund um die Stadt lagern, so daß Odoakers Späher berichten, daß Ihr hier nicht so ohne

weiteres zu umzingeln seid. Damit wird er seinen Plan

aufgeben, und Ihr werdet nicht Gefahr laufen...«

»Genug!« schnappte Theoderich. »Mir kommt es nicht

darauf an, Gefahr zu vermeiden. Ich will den Feind in Gefahr bringen!«

»Ich schlage nichts anderes vor. Laßt mich gehen und

dies für Euch tun.«

»Euch?« schnaubte Theoderich.

»Ich weiß, wo Odoaker am ehesten hingehen wird. Ich

kann ihn einholen, bevor...«

»Ach, es wird nicht schwierig sein, ihn zu verfolgen. Meine Kavallerie, die ihm bereits nachsetzt, greift die Flanke seines Heeres an. Wir können Odoakers Marschroute an der Zahl der Toten ablesen, die sie zurücklassen.«

»Was nicht heißt, daß sie ihr Tempo verlangsamen. So

schnell könnt Ihr Euer Heer gar nicht bewegen, wie es die Umstände verlangen; Ihr müßtet Odoaker einholen, bevor er eines von zwei Zielen erreicht: Er flieht gen Westen, zum Adduafluß, wo dieses andere Heer daraufwartet, Euch zu konfrontieren. Wenn Odoaker jedoch erfährt, daß sein Plan scheitert, könnte er beschließen, sich stattdessen gen Süden, nach Ravenna, zu begeben. Und wenn er einmal

dort ist, werdet Ihr ihn nie wieder herausbekommen. Die Stadt liegt in den Sümpfen und ist uneinnehmbar. Ich

schlage vor, Theoderich, daß Ihr mich sofort ausschickt, Odoaker zu fangen, bevor er eines dieser beiden Ziele

erreicht.«

»Euch?« fragte Theoderich wieder. »Euch und Eure

Leibwachen?«

»Und so viele Eurer eigenen Leute, wie Ihr mir

anvertrauen wollt. Diejenigen, die bereits die Verfolgung aufgenommen haben, und noch ein paar Mann dazu. Ich

brauche eine bewegliche Streitmacht - klein genug, um

schnell und wendig zu sein, groß genug, um zuschlagen zu können, wenn es zum Kampf kommt. Ich hege keine

Hoffnung, das gesamte fliehende Heer zu besiegen. Ich will sie nur zwingen anzuhalten und sich zu verteidigen. Das wird Eurem Heer Zeit geben aufzuholen. Also, Theoderich, Ihr braucht mir nur einen Teil Eurer Kavallerie

abzukommandieren. Oder Ihr schließt Euch selbst an, wenn Ihr...«

»Nein, laßt mich mitkommen«, unterbrach ihn der junge

Friderich. »Draußen vor den Mauern warten meine

rugischen Reiter ungeduldig darauf, daß etwas geschieht.

Theoderich, laßt mich, Tufa und alle unsere Rugier hinter Odoaker hersetzen.«

Als Theoderich nicht sofort antwortete, sondern erst über den Vorschlag nachdachte, meinte Herduich hilfsbereit:

»Das wird Odoaker bestimmt bedrücken, zu sehen, wie sein einstiger Heerführer und alle Rugier sich plötzlich von ihm abwenden.«

»Er wird verzweifeln«, fügte Friderich enthusiastisch hinzu.

»Er wird die Arme hochwerfen und sich auf der Stelle

ergeben.«

»Das kann ich nicht versprechen«, erwiderte Tufa. »Doch was immer auch geschehen mag, Theoderich, was verliert Ihr, wenn Ihr uns schickt?«

»Eins jedenfalls ist sicher«, knurrte der alte Soas. »Je länger wir reden, desto mehr Vorsprung gewinnt Odoaker.«

»Ihr habt recht«, antwortete Theoderich. »Ihr habt alle recht. Nimm also zehn Schwadronen deiner Reitersoldaten, Friderich. Und Ihr, Tufa, begleitet ihn, und helft ihm. Vergeßt nicht, daß Ihr nur ein Verbündeter auf Probe seid. In dieser Mission befiehlt Euer rugischer König. Schickt Boten und haltet mich davon unterrichtet, was wo geschieht. So sei es!«

Tufa antwortete wie Friderich mit dem germanischen

Salut, nicht mit dem römischen, und beide ritten in Richtung des Tores davon, durch welches wir die Stadt betreten

hatten.

Ich wandte mich an Theoderich: »Vor nicht allzu langer Zeit hast du darauf spekuliert, daß Tufa abtrünnig wird.

Weshalb zögerst du jetzt?«

»Ich will mehr als nur sein Wort. Er soll seine

Überzeugung mit Taten beweisen. Und selbst dann - einem Verräter kann weder vertraut noch Respekt

entgegengebracht werden, das weiß Tufa so gut wie ich.

Kommt nun, Soldaten, wir wollen wieder Ordnung schaffen, damit die Bürger zurückkommen und Leben in die Stadt

bringen. Verona ist zu schön, als daß es lange in Unordnung gelassen werden dürfte.«

Nun, wir hatten Verona durch diese ruinöse Abschlachterei tatsächlich gewonnen. Und wir konnten uns dazu

gratulieren, nun ein gutes Drittel der gesamten Strecke über die italische Halbinsel zurückgelegt zu haben und damit tief in die römischen Lande vorgedrungen zu sein. Dennoch,

diese Schlacht - und alle unsere bisherigen Schlachten -

hatte keine Entscheidung herbeigeführt. Was Odoaker

betraf, so war er noch immer unbesiegt und weit davon

entfernt, um Frieden zu bitten, und das Volk akzeptierte uns Eindringlinge nicht als seine Befreier. Daß Verona nun uns gehörte, schien für niemanden etwas zu ändern.

Es ist vielleicht nicht verwunderlich, daß keiner unserer Generäle sich sorgte, als Friderich und Tufa uns nicht sofort durch einen Boten Bericht erstatteten, wohin sie geritten waren und was sie unternahmen. Theoderich jedoch nahm

dies zur Kenntnis und knurrte: »Vier Tage ohne Nachricht.

Ist es möglich, daß der junge Pfau mich hier in Unwissenheit hält, damit er ohne Aufsicht umherstolzieren kann?«

»Ich glaube nicht, daß der Bursche sich dir widersetzen würde«, entgegnete ich. »Doch es könnte sein, daß er dich großtuerisch vor vollendete Tatsachen stellen will.«

»Darauf werde ich nicht warten«, brummte Theoderich.

»Schicke Boten aus, sie sollen gen Westen und gen Süden reiten, ihn aufstöbern und Meldung erstatten.«

Es war jedoch schon zu spät. Ein Bote kam von Süden her in vollem Galopp ins Lager gesprengt und zügelte sein

schwitzendes Reittier abrupt vor dem Zelt mit Theoderichs Standarte. Er fiel vor Müdigkeit fast hin, als er aus dem Sattel stieg. Aber er gehörte nicht zu einer der zehn

Schwadronen, die unter Friderichs Befehl standen. Er kam von der Hundertschaft, die Theoderich von Concordia aus entlang der Via Aemilia als Wachtposten aufgestellt hatte.

»Zenturio Brunjo läßt Euch grüßen, König Theoderich«,

keuchte der Entsandte und rang nach Atem. »Ihr wolltet über jeden Boten unterrichtet sein, der von Odoaker nach

Ravenna oder Rom geschickt wird. Ich erstatte Meldung, daß er keinen Boten schickte. Er reitet selber eilends nach Ravenna, er und sein General Tufa an der Spitze einer, wie es scheint, vollständigen Armee, die unsere Männer

aneinandergekettet als Gefangene mit sich führt.«

»Odoaker und Tufa?« fragte Theoderich durch

zusammengebissene Zähne hindurch. »Und welche unserer Leute?«

»Nun, König Friderich und zwei- bis dreihundert seiner Rugier, alle verwundet. Der Zenturio nahm an, daß Ihr hier eine schwere Niederlage erlitten haben müßt, wenn Ihr so viele Männer...«

»Schweig!« fuhr Theoderich ihn an, und sein Gesicht war blaß vor Wut. »Eine schallende Ohrfeige habe ich

bekommen. Abgesehen von Spekulationen - was habt Ihr

gesehen, und welche Maßnahmen wurden ergriffen?«

»Ja waila!« Der Bote stand plötzlich sehr aufrecht und berichtete in gewandten Worten: »Odoakers Kolonne kam

von Westen her nach Bononia, zog im Eilmarsch durch die Stadt hindurch und in südöstlicher Richtung weiter. Ihr hattet für diesen Fall keine Befehle erteilt, also beschloß der Zenturio, mit den Männern, die er zur Verfügung hatte, anzugreifen. Er hoffte, die Kolonne in ihrem Fortkommen zu hindern, obwohl er sich gleichzeitig bewußt war, daß der Angriff für ihn und seine Mannen Gefangenschaft oder Tod bedeutete. Ich kehrte nur deshalb um und ritt davon, weil ich Befehl hatte, Euch Meldung zu erstatten. Ich wäre lieber geblieben und...«

»Sicher, sicher. Gibt es sonst noch etwas zu berichten?«

»Da Odoakers Heer in schnellem Tempo vorrückt und sich in Bononia nicht auf der kürzesten Strecke gen Süden

wandte, hat Odoaker offenbar nicht vor, nach Rom zu

marschieren. Wie unsere Kundschafter herausfanden, führt die Via Aemilia entweder nach Ravenna oder nach

Ariminum, und Zenturio Brunjo vermutete, daß Odoaker sich nach Ravenna begibt. Mehr weiß ich nicht zu berichten, König Theoderich, außer daß mein Zenturio und meine

Kameraden ganz sicher...«

»Ja, ja, ich weiß. Wie ist Euer Name, junger Mann?«

»Witigis, Optio der zweiten Schwadron, Brunjos

Hundertschaft der Kavallerie, Euch zu Diensten, König

Theoderich...«

»Gut, Optio Witigis. Geht jetzt und meldet General Ibba, er solle seine gesamte Kavallerie auf einen sofortigen

Abmarsch und baldigen Kampf vorbereiten. Außerdem soll er Euch in der vordersten Linie einer seiner Schwadronen aufstellen; Eurem Wunsch wird also bald entsprochen

werden.«

Der junge Mann grüßte und ritt davon, und Theoderich

murmelte finster: »Vielleicht wird uns allen dieser Wunsch bald in Erfüllung gehen, ob wir wollen oder nicht, wenn ein Narr wie ich das Kommando hat. Wie konnte ich mich von diesem Verräter Tufa nur so täuschen lassen?«

»Er hörte sich aufrichtig an«, gab ich zur Antwort.

»Vai! Herduich auch, als er sagte, Odoaker habe keine

Knochen mehr im Leibe. Wie soll ich mich dann nennen? Ich muß Mark und Willen verloren haben, mich derart täuschen zu lassen!«

»Theoderich«, sagte ich, »ich bitte, mich persönlich vom Schicksal der gefangenen Rugier überzeugen zu dürfen.«

»Kannst du überhaupt reiten, Thorn? Du bist verwundet.«

»Ach was, nur ein Kratzer. Heilt schon wieder. Er hindert mich nicht daran, gut mein Pferd zu zügeln und mein

Schwert zu schwingen.«

»Dann geh'. Wenn du willst, kannst du weitere zehn

Schwadronen mitnehmen. Der Rest der Rugier wird nach

Rache dürsten.«

»Nein, danke. Ich komme allein besser voran. Und damit ich dich wiederfinde: Darf ich erfahren, was du als nächstes vorhast?«

»Ja«, antwortete Theoderich grimmig. »Ich werde mich

aufmuntern, indem ich ein paar Römer umbringe.« Und sich selbst verspottend fügte er hinzu: »Außerdem werde ich mich darauf verlassen, was Tufa erzählt hat.«

»Was?«

»Er erwähnte eine weitere römische Streitmacht am

Addua, und ich glaube, er hat die Wahrheit gesprochen.

Odoaker wird annehmen, daß ich ihm blind vor Wut gen

Süden, nach Ravenna, hinterhersetze. In diesem Fall wird er dem Heer am Addua befehlen vielleicht mit seinem System polybischer Signale - uns von hinten anzugreifen.«

Ich nickte. »Damit hätte er dich in der Zange.«

»Stattdessen werde ich, sobald Ibbas Kavallerie bereit ist, einen Ausfall machen und das Heer am Addua attackieren.

Ich werde sie überraschen, so hoffe ich inbrünstig, und zu Staub zermahlen. Ich lasse Pitza, Herduich und unsere

Infanterie hier in Verona, für den Fall, daß sich noch mehr römische Heere in der Nähe befinden.«

Um ihn zu ermutigen, grinste ich und sagte: »Dann mache ich mich am besten auf den Weg, oder du hast den Krieg gewonnen, bevor ich zurückkehre.«

Als ich mich verabschiedete, legte Theoderich seine

Kampfmontur an, doch ich ließ meine im Lager zurück, auch mein Krummschwert und mein Messer und alles, was mich

als Ostgoten und Krieger zu erkennen gegeben hätte. Am Leib und in den Satteltaschen trug ich nur unauffällige Reisekleider, und am Sattelknauf machte ich ein erbeutetes, abgenutztes römisches Kurzschwert fest. Ich führte Velox vorsichtig über die Brücke des Etsch. Auf der anderen Seite angelangt, lenkte ich ihn auf den mit Gras bewachsenen Streifen der Via Postumia, gab ihm die Sporen, und wir flogen in gestrecktem Galopp gen Süden.

An einem strahlend blauen Oktobertag stand ich einige

Meilen östlich von Bononia in den Stoppeln eines vor

kurzem abgeernteten Kornfeldes am Rande der Via Aemilia und betrachtete dessen frische Saat: die Leichen von mehr als zweihundert Soldaten.

Die meisten waren rasch getötet worden, und ihre Kadaver wiesen nur eine Stich- oder Schnittwunde auf. Um das

Leben eines Menschen auszulöschen, bedarf es oft nur

eines einzigen gutplazierten Loches. Doch Odoakers

Kolonnen waren im Eilmarsch begriffen. Sie konnten keinen Aufschub dulden. Sie mußten ihre Gefangenen in aller Eile abschlachten. So kam es, daß einige ihrer Opfer - auch Zenturio Brunjo und König Friderich - so nachlässig in Stücke gehackt worden waren, daß ihre Leichen

ausgemeißelt, ausgehöhlt und mit Löchern versehen waren wie die häßliche Karstlandschaft, durch die wir einst

zusammen geritten waren.

6

Ich hätte mütterliche Tränen um Friderich vergießen

können, wie ich so auf das Schlachtfeld starrte, nicht zuletzt weil ich wußte, daß seine leibliche Mutter dies nie tun würde.

Gleichzeitig erlitt meine Seele die Pein männlicher Trauer, und ich betrauerte den Verlust Friderichs, wie ein älterer Bruder es getan hätte.

Trotz dieser gemischten und wenig erhabenen Gefühle

war ich von dem kalten Entschluß beseelt, das hier

begangene Unrecht zu rächen.

Inzwischen war mir aufgefallen, daß sich in dem

Stoppelfeld auch lebendige Menschen aufhielten;

einheimische Arbeitstrupps hoben träge Massengräber aus und fluchten über diese Abfallhaufen, die man ihnen zum Wegräumen überlassen hatte. Unweit von Friderichs Leiche gruben vier alte Bauern. Derjenige, der mir am nächsten war und meinen Blick auffing, schulterte seine Hacke, kam zu mir herüber und meinte jovial: »Fragt Ihr Euch, Freund, warum wir alle murren, wo wir doch dankbar sein sollten?

Außer den zahlreichen Bastarden, die unser vornehmer Herr unseren Töchtern gemacht hat, bleibt dies großzügige

Geschenk an Bodendünger das einzige bisher.«

»Welcher Herr?« fragte ich. »König Odoaker?«

Er schüttelte den Kopf. »Der Clarissimus Tufa, magister militum der Armee Odoakers, Besatzungskommandant dieser Provinz Flaminia und Legat der Stadt Bononia.«

Ich wies mit der Hand auf das Feld. »Diese Abschlachterei geht zu Lasten eines römischen

Besatzungskommandanten?«

»Ein Römer? Nullo modo. Kein Römer, sondern ein

Barbarenschwein. Ein Barbarenschwein in einer gefärbten Toga bleibt doch ein Barbarenschwein. Ihr scheint hier fremd zu sein. Ich hoffe, Ihr reist nicht mit Frau und Tochter. Tufas größtes Vegnügen ist nämlich, abgesehen von seinen

Wutanfällen, die Entjungferung von Mädchen und die

Entehrung von Matronen.«

Wieder zeigte ich auf das Feld. »Warum hat Tufa diesen Wutanfall bekommen?«

Der Alte zuckte nur mit den Schultern. »Sus barbaricus«, wiederholte er. Da er mir redselig erschien, beschloß ich, so viel an Information wie nur möglich aus ihm herauszuholen.

»Ich nehme an, daß Euer sus barbaricus Tufa sein Heer

nach Rom führt«, sagte ich. »Führt diese Straße auch

dahin?«

Er hob den Kopf und fragte bitter: »Wollt Ihr Euch die Bestie anschauen?«

»Vielleicht will ich ihm im Namen aller hier versammelten Schmeißfliegen für das überaus großzügige Geschenk

danken.«

Mein Gesprächspartner kicherte und antwortete: »Die Via Aemilia endet im adriatischen Hafen von Ariminum.

Allerdings«, er zeigte gen Osten, »gibt es wenige Meilen von hier entfernt eine kleine, schlecht ausgebaute Straße, die nach links abzweigt und sich durch die Sümpfe nach

Ravenna schlängelt. Man hätte annehmen können, daß in all den Jahren, seit Ravenna zur Hauptstadt des Reiches

wurde, von einem der Herrscher eine bessere Straße gebaut worden wäre, doch keiner wollte sein Besitztum leicht

zugänglich machen.«

»Und es gibt keinen anderen Weg?«

»Doch. Wenn Ihr Euer schönes Pferd gegen ein Boot

eintauscht, könnt Ihr Ravenna vom Meer aus erreichen. Die einzige Alternative ist die Via Popilia, die nördlich und südlich entlang der Küste verläuft. Doch auch das ist keine rechte Straße. Dort verkehren fast nur Maultierzüge, die Salz von den Alpen zum Hafen bringen.«

»Gut«, sagte ich. »Ich nehme die Sumpfstraße.«

»Ihr solltet aber vorsichtig sein. Wenn Odoaker sich in Ravenna aufhält, sind rings um die Stadt Wachen postiert.

Man wird sich Euch zumindest in den Weg stellen. Oft

werden ungeladene Besucher auf der Stelle umgebracht.«

»Dies Risiko muß ich auf mich nehmen, schon allein

wegen der Schmeißfliegen«, erklärte ich gleichgültig.

»Das braucht Ihr nicht, wenn Ihr nur dem Wohltäter der Schmeißfliegen Euren Dank überbringen wollt. Odoaker

schließt sich oft monatelang ein, aber Tufa ist durch seine militärischen Pflichten zum Reisen gezwungen. Außerdem bekleidet er das Amt des Legaten von Bononia. Ihr könntet einfach dort warten, und er wird früher oder später in seinem Palast eintreffen. Gewiß, es wird nicht einfach sein

hineinzukommen. Ihr werdet grob befragt, entkleidet und durchsucht werden. Es haben schon andere vor Euch

versucht, dem Clarissimus Grüße zu überbringen.«

Unsere Unterhaltung wurde dadurch unterbrochen, daß

die anderen Totengräber in unsere Richtung schrien, ihr Kamerad solle sich gefälligst nicht vor der Arbeit drücken und sich wieder zu ihnen gesellen. Der grunzte nur, grüßte mich, indem er seine Hacke schwang, und meinte fröhlich:

»Wie dem auch sei, Fremder. Tut uns einen Gefallen und nehmt ein paar Schmeißfliegen mit. Vale, viator.«

Damit ging er fort und half den anderen, die sterblichen Überreste von Friderich und sechs oder sieben anderen

Rugiern in ein gemeinsames Grab zu werfen.

Obwohl die Sumpfstraße schlecht gepflastert und

ausgetreten war und viele Löcher hatte, war ich froh, sie unter mir zu haben. Ich ritt in tiefster Dunkelheit, und die Kurven nach rechts und links verliehen mir wenigstens die Sicherheit, außerhalb von Treibsand und anderen Gefahren des Moores zu bleiben, das mich und Velox umgab. Seit ich von der Via Aemilia abgebogen war, hatte ich ungefähr zwölf Meilen zurückgelegt. Ich wußte nicht, wie weit es noch war bis Ravenna, ich sah keinen Lichtschein und über mir keine Wolken, die einen Widerschein zurückgeworfen hätten. Ich ging zu Fuß und führte Velox am Zügel, um so wenig

Geräusche wie möglich zu verursachen und in der

sternklaren Nacht so unauffällig wie möglich

voranzukommen.

Ich wußte, ich konnte in dieser Nacht nicht viel weiter vordringen, ohne von irgendwelchen Wachtposten

wahrgenommen zu werden. Ich hielt inne und überlegte, was besser sei: Velox anzupflocken und alleine

weiterzuschleichen oder ganz einfach hier auf den Morgen zu warten, um meine Situation besser einschätzen zu

können. Doch während ich überlegte, wurde mir die

Entscheidung abgenommen. In einiger Entfernung vor mir -

ich konnte nicht schätzen, wie weit - wurde ein Licht

entfacht, und so plötzlich, daß ich es für fliegende

Sumpfeidechsen hielt, welche in diesen Mooren oft

vorkommen. Doch dann teilte sich das eine Licht in neun verschiedene, und diese zerfielen wiederum in zwei

Gruppen, fünf zur Linken, vier zur Rechten; ich erkannte die Fackeln des polybischen Signalsystems.

Zuerst war ich verwirrt, weil sie nicht sofort eine Nachricht signalisierten, sondern nur auf und ab tanzten, doch dann kam mir der Gedanke, mich umzudrehen, und ich erblickte ebenfalls in einiger nicht kalkulierbarer Entfernung eine identische Reihe von neun Lichtern. Es war klar, daß weit nordwestlich von diesen Sümpfen römische Legionäre,

Kundschafter oder einfache römische Bürger eine Botschaft für die Truppen innerhalb Ravennas vorbereiteten. Die

Fackelreihe im Westen begann eine Botschaft, und der

Gedanke, daß diese Nachricht von überall in der Welt her kommen, durch Lichtzeichen weitergegeben und bald von

Odoaker und Tufa in ihren Quartieren und von mir hier

draußen in den Sümpfen gelesen werden konnte, war

unfaßbar für mich.

Doch dann geschah etwas, was mich zunächst ziemlich

verwirrte. Als die Lichter außerhalb der Mauern von

Ravenna sich bewegten - wobei die erste Fackel zur Linken und die erste Fackel zur Rechten erhoben wurde -, war die einzige Botschaft der dritte Buchstabe des alten runischen Alphabets (wenn Odoaker sein System nicht kurzfristig

geändert hatte).

Dann aber hörten die Lichter auf, den Buchstaben thorn zu wiederholen, hielten kurz inne und signalisierten dann ansus, dags, urus und wieder ansus - ADUA -, und ich

verstand. Solch ein Buchstabiersystem mußte sich auf ein Minimum an Worten beschränken und diese komprimieren.

Bei dem Wort ADUA war ein überflüssiges D weggelassen

worden. Der Buchstabe thorn meldete nur den Th-Laut, für den diese Rune steht, in diesem Fall das Zeichen für den Namen »Theoderich«. Soviel verstand ich, daß die Nachricht etwas über Theoderich und den Addua-Fluß mitteilte.

Allerdings wurde nun noch ein weiteres Wort gesendet oder vielmehr ein Teil davon: die runischen Buchstaben winja, eis, nauths und kaun - VIN und C. Dann tanzten beide

Lichterreihen wieder auf und ab und wurden abrupt gelöscht.

Ich stand wieder in der Dunkelheit, die nun schwärzer

schien als zuvor, und dachte nach. Die übermittelte

Nachricht TH ADUA VINC war bewundernswert knapp und

zweifellos äußerst informativ für diejenigen, die sie erhielten, doch ich verstand nur die Hälfte. Mir war nur klar, daß Theoderich sich am Addua-Fluß befand, wo Odoakers

andere römische Streitmacht postiert war, oder daß er sich vor nicht allzu langer Zeit dort befunden hatte. Und VINC

stand in diesem Zusammenhang für »vincere«, besiegen. Es war vermutlich zuvor vereinbart worden, was durch das Verb ausgedrückt werden sollte - dessen Genus, Modus und

Tempus -, doch ich war nicht eingeweiht, und deshalb

konnte die Abkürzung VINC für mich eine Vielzahl von

Dingen bedeuten: daß Theoderich siegreich war oder

besiegt, daß er das ein oder andere sein würde oder

gewesen war.

Wohl, dachte ich, was immer auch signalisiert wurde, die Botschaft müßte Tufa eiligst aus den Mauern Ravennas

herauslocken. Nur Odoaker konnte sich dort verstecken, während sein Land von den Eindringlingen gesäubert würde, nicht aber sein militärischer Oberbefehlshaber. Ich beschloß also, auf Tufa zu warten, und dafür schien Bononia - wie der alte Totengräber vorgeschlagen hatte - der beste Ort zu sein. Ich wendete mein Pferd zur Via Aemilia zurück und war froh, daß ich nicht irgendwie versucht hatte, mich nach Ravenna einzuschmuggeln.

Ich wurde empfindlich in meinen Gedanken gestört, als ich gegen etwas Spitzes stieß, das sich schmerzhaft in meinen Bauch bohrte. Tief in Gedanken hatte ich Velox' warnendes Schnauben überhört und den Schatten übersehen, der vor mir in der Dunkelheit kauerte, bis ich direkt in dessen Speer lief. »Ich kenne Euch, Saio Thorn«, sagte eine heisere Stimme drohend.

Jesus, dachte ich, die Römer wußten, daß ich ihr Gebiet betreten hatte. Doch nein, der Mann hatte Gotisch

gesprochen. Ich mußte mich irren. Zu meiner weiteren

Verwirrung fuhr der Mann fort:

»Sagt die Wahrheit, Marschall, oder ich durchbohre Euch auf der Stelle. Gehört Ihr zu Odoaker, niu?«

»Ne«, antwortete ich, koste es, was es wolle. »Ich bin hier, um einen von Odoakers Leuten zu töten.«

Der Speer durchbohrte mich nicht, wurde aber auch nicht zurückgezogen. »Ich gehöre zu Theoderich und bin in

dessen Auftrag unterwegs«, fügte ich hinzu. Nach einem weiteren, womöglich noch spannenderen Augenblick der

Stille wagte ich zu sagen: »Speerträger, Ihr kennt mich in der Dunkelheit. Würde ich Euch bei Licht erkennen?«

Endlich nahm er die Lanze weg und stand aufrecht, doch in der Dunkelheit sah ich nur einen Schatten. Er seufzte und sagte: »Mein Name ist Tulum. Ihr hattet bislang noch keinen Grund, von mir Notiz zu nehmen. Ich war Signifer der dritten Schwadron der Hundertschaft der Reiter Brunjos.

Theoderich kommandierte unsere Hundertschaft in

Concordia ab und schickte uns als Kundschafter gen Süden.

Als wir in Bononia ankamen, postierte Brunjo einige von uns, auch mich, als Späher in unterschiedlichen Entfernungen außerhalb der Stadt.«

»Ach«, rief ich erleichtert. »Ihr seid dem Tod entronnen!«

Fast bedauernd seufzte er wieder und fuhr fort: »Als auf meinem Posten nichts Interessantes geschah, ritt ich in die Stadt, um meinem Zenturio Bericht zu erstatten. Ich fand ihn nicht, und die Bürger der Stadt sprachen davon, daß Römer im Eilmarsch durchgezogen seien, mit einer Menge

barbarischer Gefangener. Ihr wißt, was ich vorfand, als ich Brunjo folgte und schließlich an das Stoppelfeld östlich der Stadt kam...«

»Und dort seid Ihr auch auf mich gestoßen.«

»Ja. Auf den einzigen der Barbaren, der noch am Leben

war. Der die römischen Totengräber beobachtete und sich offensichtlich ruhig mit ihnen unterhielt. Saio Thorn, ich werde mich nicht dafür entschuldigen, daß ich Verdacht schöpfte.«

»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Signifer Tulum.

Es gab tatsächlich genug Verrat.«

»Als Ihr Euch wie die römischen Kolonnen nach Süden

begeben habt, sah ich meinen Argwohn bestätigt, daß Ihr schon lange und heimlich mit dem Feind kollaboriert. Ich folgte Euch die ganze Nacht in einiger Entfernung und rückte immer näher, bis wir das Sumpfland so weit überquert

hatten, daß ich erwartete, jeden Augenblick von Wachen eingeschlossen zu werden. Ich nahm an, daß sie Euch

willkommen heißen würden, nicht aber mich, und ich wollte es mir nicht entgehen lassen, einen Verräter umzubringen.«

Er stieß ein verlegenes Lachen aus. »Jetzt kann ich es Euch ja sagen. Hättet Ihr, nachdem die Lichter ausgegangen

waren, Euren Weg wieder aufgenommen und nur einen

weiteren Schritt in Richtung Ravenna getan, ich hätte Euch aufgespießt. Doch Ihr habt gewendet und seid

zurückgekommen. Das hat mich irritiert. Ich beschloß, Euch Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben. Jetzt bin ich froh, daß ich das tat.«

»Ich allerdings auch. Thags izvis, Tulum. Kommt, der Tag bricht bald an. Wir sollten zur Hauptstraße zurückeilen. Es ist viel geschehen, seit Ihr in den Süden gekommen seid.

Zunächst einmal wird es Euch freuen, daß zumindest ein weiterer Soldat Eurer Hundertschaft überlebte. Brunjo

schickte einen Boten mit Namen Witigis aus, um Theoderich Bericht zu erstatten. Deshalb bin ich hier. Ich sollte hinzufügen, daß es Witigis nicht gefallen hat, verschont geblieben zu sein.«

»Das glaube ich Euch. Ich kenne Witigis.«

»Nun sagt: Wie viele Wachen waren außer Euch unweit

von Bononia postiert? Wie viele hat Brunjo nicht mehr

auflesen können, bevor er die römischen Kolonnen angriff?«

»Ich weiß nur, daß vor mir drei weitere postiert wurden.«

»Hoffentlich sind sie noch auf ihrem Posten oder irgendwie auffindbar. Ich habe Arbeit für sie. Ich plane, nach Bononia zu reiten und dort zu verschwinden. Ihr werdet die Stadt in weitem Abstand umkreisen. Versucht, alle überlebenden

Kundschafter zu finden, und sagt ihnen, sie sollen mich aufsuchen. Dann reitet Ihr in gestrecktem Galopp nach

Norden. In Verona berichtet Ihr Herduich - oder irgendeinem anderen Offizier, den Ihr vorher trefft -, was hier passiert ist und was ich vorhabe. Vergewissert Euch, daß Theoderich diese Nachricht erhält, damit er weiß, warum ich nicht zurückkomme. Es kann lange dauern, bis sich die

Gelegenheit ergibt, Tufa niederzustrecken. Sobald Ihr

Bericht erstattet habt, nun... Ihr habt viel von unserem Krieg verpaßt, Tulum. Geht und schließt Euch der Schlacht am Addua an, oder wo immer sie auch stattfindet.«

»Gern, Saio Thorn. Doch wie sollen Euch die Männer in

Bononia finden, wenn Ihr vorhabt zu verschwinden?«

»Ich werde jemanden an meiner Stelle schicken. Wenn ich mich richtig erinnere, befindet sich auf dem Marktplatz der Stadt ein Brunnen. Im dortigen Gedränge werden Fremde

nicht weiter auffallen. Die Soldaten sollen ihre Rüstungen und Waffen ablegen und verstecken. In Straßenkleidern

sollen sie sich - wenn nötig tagelang - am Brunnen

aufhalten, bis sie von einer Frau angesprochen werden.«

»Von einer Frau?«

»Sie sollen ihr den gebührenden Respekt

entgegenbringen und ihr gehorchen, als trüge sie meine eigenen Insignien. Prägt Euch ihren Namen ein. Sie heißt Veleda.«

In Bononia mietete ich einen Stall für Velox und ließ dort auch die meisten meiner Habseligkeiten, die ich aus Verona mitgebracht hatte, sogar mein geborgtes Schwert. Ich nahm nur das wenigste mit, darunter zwei Gegenstände, die zu meiner Veleda-Ausstattung gehörten und die ich für den Fall eingepackt hatte, daß ich sie irgendwann brauchen würde.

Das eine war das perlenbesetzte Schamband, das ich als Veleda immer trug, um mein männliches Organ zu

verbergen und um so bescheiden wie eine Römerin zu

wirken. Das andere war der spiralförmige Brustschutz aus Bronzedraht, den ich als Veleda manchmal trug, um meine Brüste hervorzuheben.

In den Läden rund um den Marktplatz kaufte ich »für

meine Gemahlin« eine rudimentäre weibliche Ausstattung: ein Kleid, ein Kopftuch, Sandalen. Dann schlüpfte ich in eine stille, enge Gasse und zog mich schnell um. Meine

Männerkleider und Stiefel ließ ich einfach dort, für jeden Bettler, der sie haben wollte. Dann ging ich in eine billige Herberge für reisende Händler und mietete eine Kammer.

Ich warte auf meinen Gatten, sagte ich dem Wirt, damit er sich nicht sträubte, eine Frau, die allein unterwegs war, aufzunehmen. Während der nächsten drei oder vier Tage

kaufte ich noch mehr an Kleidung und Schmuck, alles von bester Qualität, teure Kosmetika und Putz aus korinthischem Kupfer. Dann verließ ich mein Quartier fein gekleidet und geschmückt und stellte mich in Bononias elegantestem

Gasthaus vor. Wie erwartet, war der Wirt nicht abgeneigt, seine teuren Gemächer an eine schöne, redegewandte und offenbar wohlhabende Dame zu vermieten.

Wieder begab ich mich zum Marktplatz. Im Geschäft eines Werkzeugmachers beobachtete ich die Menschenmenge

draußen, während ich etliche Wetzsteine begutachtete und schließlich einen davon kaufte - um »meine Fingernägel zu feilen«, wie ich dem amüsierten Händler erklärte. In einer belebten römischen Stadt wie Bononia bewegen sich

Menschen aus aller Herren Länder, und ich kannte

selbstverständlich nicht jedes Gesicht in Theoderichs Heer.

Doch auf dem Marktplatz war fast jeder mit irgend etwas beschäftigt. Es fiel mir nicht schwer, einen Mann

auszumachen, der gelangweilt am Marktbrunnen herumhing.

Ich wartete, bis ich sicher war, daß ich die einzige war, die ihn beobachtete. Dann schlenderte ich hinüber und fragte mit gesenkter Stimme: »Seid Ihr von Signifer Tulum hier postiert?«

Sein Arm schnellte hoch, und er bellte: »Ja, Frau Veleda!«

Einige Passanten drehten sich nach uns um.

Ich unterdrückte ein Lächeln und beschwichtigte ihn:

»Ruhig. Immer mit der Ruhe. Wir tun so, als seien wir

Freunde, die sich zufällig treffen. Setzt Euch hier zu mir auf den Brunnenrand.« Das tat er auch, blieb aber sehr formell.

»Wie viele von Euch hat Tulum ausfindig gemacht?« fragte ich.

»Drei, verehrte Dame. Der Signifer ist unterwegs nach

Norden. Wie befohlen, warteten wir drei auf Euch und

wechseln uns hier am Brunnen ab.«

»Holt die anderen. Sie sollen sich uns anschließen.«

Die drei Reitersoldaten hießen Ewig, Kniva und Hruth.

Wenn sie es seltsam fanden, von einer Frau Befehle

entgegenzunehmen, so zeigten sie es nicht. Tatsächlich legten sie ein solch soldatisches Verhalten an den Tag, daß ich ihnen wiederholt zuflüstern mußte, sie sollten ihre Förmlichkeit ablegen.

»Soweit wir feststellen konnten«, sagte Ewig, »sind wir und Tulum die einzigen Überlebenden von Brunjos

Hundertschaft. Tulum sagte uns, daß Ihr und der Saio Thorn hier seid, um unsere gefallenen Kameraden durch die

Ermordung des bestialischen Generals Tufa zu rächen, und wir sind bereit - nein, wir brennen darauf - Euch beizustehen, wie Ihr befehlt.«

»Laßt uns Spazierengehen, während wir reden«, schlug

ich vor. Wir erregten Aufmerksamkeit. Ich zog die neidischen Blicke mehrerer Frauen auf mich, auch die vornehmer

Damen, weil ich von drei so strammen Kerlen begleitet

wurde.

»Unser Opfer, der verachtenswerte General Tufa, befindet sich gerade in Ravenna, etwa vierzig Meilen östlich von hier«, erklärte ich, indem ich meine Begleiter in die Richtung dirigierte, in der mein Quartier lag. »Doch ich warte hier auf ihn, denn er wird hierher zurückkehren, um seinen Pflichten als Legat nachzukommen.« Meine Mitverschworenen sahen

mich von der Seite her an, also fügte ich hinzu: »Saio Thorn und ich, sollte ich vielleicht besser sagen. Nur muß Thorn außer Sichtweite bleiben, bis die Zeit zum Losschlagen gekommen ist. In dem Gasthaus dort drüben wohne ich,

merkt Euch das, und dort habt Ihr mir auch Bericht zu

erstatten. In dieser Stadt spricht man viele Sprachen, auch die unsrige, doch Latein kommt am häufigsten vor.

Beherrscht einer von Euch diese Sprache?«

Kniva bestätigte, daß er Latein recht gut verstehe und auch sprechen könne. Die beiden anderen verneinten.

»Kniva, dann werdet Ihr mir hier in Bononia helfen, und Ihr, Hruth und Ewig, werdet für mich außerhalb der

Stadtmauern kundschaften. Ewig, ich will, daß Ihr Euch in den Sattel schwingt und auf der Via Aemilia bis zur

Abzweigung der Straße nach Ravenna reitet. Dort legt Ihr Euch auf die Lauer, und sobald Tufa Ravenna verläßt,

benachrichtigt ihr mich so schnell wie möglich. Ich hoffe, bald von Euch zu hören, daß er in unsere Richtung reitet.

Doch auch wenn er einen anderen Weg nimmt, will ich

davon unterrichtet sein. Geht jetzt. Los! Habai ita swe!«

Ewig war im Begriff, seinen Arm zum Salut hochzureißen, aber ich legte die Stirn in Falten, worauf er den Arm wieder sinken ließ. »Zu Befehl, meine Dame«, murmelte er und ging davon.

Dann wandte ich mich an Hruth: »Ich will, daß auch Ihr dorthin reitet und dasselbe Gebiet überwacht, doch

hauptsächlich bei Nacht. Mit Hilfe von Fackelzeichen wird Ravenna über den Fortgang des Krieges informiert gehalten.

Ihr werdet diese Botschaften für mich abfangen.«

Da ich mir ziemlich sicher war, daß ein einfacher

Reitersoldat weder lesen noch schreiben, noch Zahlen

notieren konnte, versuchte ich nicht lange, Hruth das

komplizierte polybische System zu erklären. Ich gab nur Befehl, daß er jedesmal, wenn er die Lichter erblickte, auf einem Blatt oder auf einem Stück Rinde eine Linie mit fünf und eine mit vier Fackeln kritzeln und mit zusätzlichen Zeichen die Reihenfolge markieren solle, in der diese Lichter erhoben wurden, um einen Buchstaben zu signalisieren.

»Wenn Ihr das fertigbringt«, sagte ich, »ist es mir möglich, die Zeichen zu lesen.« In Hruths Blick lag etwas wie

Ehrfurcht, als er schwor, er würde den Auftrag so

gewissenhaft wie möglich ausführen. Dann fuhr ich fort: »Ich will, daß Ihr jede Botschaft genau so niederschreibt und auf dem schnellsten Wege zu mir bringt. Das heißt, daß Ihr fast jeden Tag hin- und herreiten müßt, nachdem Ihr die ganze Nacht Wache geschoben habt. Doch es muß sein. Habai ita swe!«

»Und wie lauten meine Befehle?« fragte Kniva, als Hruth gegangen war.

»Ich will, daß Ihr Euch besauft und besoffen bleibt.«

Kniva blinzelte. »Was?«

»Ich will, daß Ihr in ganz Bononia, in jeder Taverne,

Weinstube und Gaststätte trinkt und auch die anderen Gäste auf ein Glas einladet. Hier ist ein Beutel voll Silbermünzen, damit Ihr Euch das leisten könnt. Auf Lateinisch und auf Gotisch verkündet Ihr überall, daß Ihr feiert, weil Ihr eine ganze Nacht lang die köstlichsten und phantastischsten fleischlichen Wonnen genossen habt.«

Kniva sah mich verblüfft an.

»Ihr werdet betrunken und laut in beiden Sprachen damit angeben, jene Nacht mit der schönsten, talentiertesten und freizügigsten Hure verbracht zu haben, mit der Ihr je

geschlafen habt. Erzählt, daß sie neu sei in Bononia, daß sie fürchterlich viel Geld verlange und daß sie sehr wählerisch sei, was ihre Kunden anbetrifft, daß sie aber in den

sexuellen Künsten unvergleichlich und ihr Geld wie auch das Werben wert sei.«

Kniva sah mir erschüttert ins Gesicht. »Ihr?«

»Ja, natürlich, die Dame Veleda. Und vergeßt nicht zu

erwähnen, wo ich zu finden bin.«

7

Anfangs sah es so aus, als würde ich nicht lange auf Tufa warten müssen. Nur wenige Tage, nachdem ich Hruth und

Ewig gen Osten entsandt hatte, kam Hruth wieder

angaloppiert und überreichte mir im Gasthof ein Bündel Borkenrinde.

»Vergangene Nacht«,keuchte er. »Fackeln... aus

Nordwest...«

Ich machte mich sofort daran, die Nachricht zu

entschlüsseln, und es gelang mir: Nach allem, was ich über Theoderichs derzeitigen Aufenthaltsort wußte, schien die Botschaft TH MEDLAN POS zu lauten. »Mediän« sah zwar

nicht wie ein lateinisches Wort aus, doch ich erriet, daß es sich um die komprimierte Form des Namens der größten

Stadt im Umkreis des Addua-Flusses handelte -

Mediolanum. Das dritte Wort mußte eine Flexion des Verbs

»possidere« sein. Nun, das war eine gute Nachricht, und ich frohlockte. Es hieß, daß Theoderich am Addua nicht besiegt und nicht einmal aufgehalten worden war. Er und sein Heer waren vom Fluß aus nach Westen vorgerückt, um die nach Rom volkreichste Stadt Italiens zu besetzen. Und dies war entweder schon geschehen, geschah gerade oder würde

bald geschehen.

Nur ungefähr zwei Stunden später kam Ewig in den Hof

des Gasthauses geritten. Er taumelte in meine Gemächer und keuchte: »Tufa... heute morgen... hat Ravenna

verlassen...«

»Gut, gut!« gurrte ich. »Das habe ich erwartet. Wieviel Vorsprung habt Ihr?«

Ewig schüttelte den Kopf und rang nach Atem. »Er kommt nicht in diese Richtung... Tufa reitet nach Süden...«

»Scheiße!« fluchte ich ganz und gar undamenhaft.

Sobald er zu Atem gekommen war, berichtete Ewig: »Tufa kam nicht an meinem Posten vorbei. Da ich nur die

Sumpfstraße überwachen konnte, unterhielt ich mich mit Händen und Füßen mit den Bauern, und sie waren sehr

willig, mir zu erzählen was sie über Tufa wußten.«

»Das habe ich auch schon bemerkt«, sagte ich, »daß

seine Untertanen ihn nicht sonderlich in Schutz nehmen.«

»Wenn man ihren Berichten glauben kann, verließ Tufa

Ravenna mit nur einer einzigen Kavallerieschwadron - seiner persönlichen Leibwache, wie ich annehme. Sie ritten im Eiltempo gen Süden, nach Ariminum, und nahmen dort die Via Flaminia, die ebenfalls gen Süden führt.«

»Die Hauptstraße nach Rom«, sagte ich. Ich war

enttäuscht, doch es lag auf der Hand, daß Tufa - nachdem Theoderich die zweitgrößte Stadt auf der Halbinsel erobert hatte - zur größten Stadt ritt, um deren Verteidigungsanlagen zu überprüfen. So sprach ich eher zu mir selbst, als ich fortfuhr: »Es wäre jetzt dumm von mir, ihm über die ganze Strecke nachzusetzen. Bononia ist keine unbedeutende

Stadt; er wird sie kaum dem Feind überlassen. Irgendwann kommt er hierher zurück.« Dann sagte ich zu Ewig: »Holt Tufas Schwadron ein, wenn möglich, und verfolgt sie

heimlich, ohne entdeckt zu werden. Fragt weiterhin die italischen Bauern aus. Schickt mir einen Boten, wenn Tufa in Rom eintrifft. Dann bezieht Ihr dort Posten, damit Ihr mich davon unterrichten könnt, wann er Rom wieder verläßt und wohin er reitet.«

Das wichtigste an einem Mordplan ist, daß der Täter

Gelegenheit hat, an das Opfer heranzukommen. Und nur

das verlangte ich, denn der Rest meines Plans war

ungeheuer einfach. Doch Tufa entzog sich mir immer

wieder, obwohl er von meiner Gegenwart und meinen

Absichten unmöglich Wind bekommen haben konnte. Kurz

gesagt: Ich saß den ganzen Winter über in Bononia fest, und das war frustrierend und ärgerlich.

Ich muß zugeben, daß ich mich keineswegs langweilte,

obgleich ich mich oft genug über meine Trägheit ärgerte.

Dank meiner klugen Vorkehrungen langweilte ich mich nie.

Ich fand genügend Zerstreuung.

Während der ersten Tage und Wochen in Bononia führte

Kniva seine Befehle auf das emsigste aus. Er ging von einer Trinkstube zur anderen und pries überall die Vorzüge und Tugenden (wenn dies das richtige Wort ist) der Dame

Veleda, die neu war in der Stadt.

Ich wollte, daß mein Ruf Tufa zu Ohren kommen würde,

sobald er Bononia betrat, und daß er sehr bald begierig darauf wäre, der

Gepriesenen selbst beizuwohnen. Daher zog ich scharfe

Grenzen, wenn es darum ging, aus den Herden der Freier die Richtigen auszuwählen. Zum Beispiel bewarben sich

viele junge gutaussehende Männer um meine Gunst, die

ihre Geldbörsen großzügig öffneten und auch in Lumpen

gehüllt begehrenswert gewesen wären, doch ich lehnte ab.

Von den vielen reichen und prominenten Bewerbern zog ich nur jene in Erwägung, von denen ich annahm, daß sie zu Tufas unmittelbarem Gesellschaftskreis gehörten. Da selbst diese zahlreich genug waren, konnte ich es mir erlauben, nur diejenigen auszuwählen, die ich attraktiv fand.

Ich brauchte Kniva nun nicht mehr, um Veledas Talente in der Stadt zu verkünden - das besorgte ich jetzt selbst. Daher entließ ich den armen Kerl, der sich halb totgesoffen hatte und nur noch von einer Taverne zur anderen torkelte, und bat ihn, er solle sich ausruhen. Als er wieder nüchtern war und sich etwas gefangen hatte, schickte ich ihn gen Norden, zu Theoderich nach Mediolanum. Ich unterrichtete

Theoderich davon, was ich von meinen Kunden bisher über Tufas Reisen gehört hatte und welche Schlußfolgerungen ich daraus zog. Zwar wußte ich nicht, ob diese Informationen für Theoderich von großem Wert sein würden, doch die

Nachricht gab mir das Gefühl, meine Zeit wenigstens nicht vollständig in ausschweifendem, schwelgerischem

Müßiggang zu vergeuden.

Erst Anfang April überbrachte mir Hruth eine weitere

abgefangene polybische Botschaft, die etwas mehr

aussagte, als daß TH immer noch in MEDLAN in Garnison

stehe. Zumindest nahm ich an, daß diese Botschaft

ungewöhnlich sei, weil sie als erste und einzige vor Beginn nicht den Buchstaben thorn dreimal wiederholte. Mehr konnte ich allerdings nicht sagen, denn die Nachricht war mir unverständlich. Im Ganzen lautete sie VISIGINTCOT. Diese Buchstabenreihe konnte auf vielerlei Weise aufgesplittet und gelesen werden, doch ich traute keiner meiner

Interpretationen.

Ich überlegte laut: »Die ersten Buchstaben könnten sich auf die Westgoten beziehen. Das ergibt aber keinen Sinn.

Die nächsten Westgoten befinden sich weit weg in

Aquitanien. Hm, laß mich nachdenken. Vis ignota? Visio ignea? Skeit! Hruth, Ihr müßt einfach nach weiteren Signalen Ausschau halten und mir die Botschaft schnellstens

herbringen.«

Doch die folgenden Meldungen waren genauso

verwirrend: VISAUGPOS und VISNOVPOS. Könnte POS

wieder »possidere« bedeuten? Und wenn ja, wer nahm was in Besitz? Dann brachte Hruth diese Nachricht:

VISINTMEDLAN. Was immer auch vor sich ging, es betraf

Mediolanum, wo Theoderich immer noch sein Lager

aufgeschlagen hatte. Doch das war alles, was ich verstand.

Die nächste Nacht war eine der drei, die ich jeden Monat dem Richter Diorio reserviert hatte. Nachdem ich ihm

freizügig Lust geschenkt hatte, legte ich mich hin und sagte neckisch: »Ich hoffe, daß Ihr mich an Eure Freunde

weiterempfehlt.«

»Wie kann ich?« antwortete er träge und amüsiert

zugleich. »Von meinen Freunden erfahre ich, daß du ihnen dasselbe nahelegst. Bist du unersättlich, Weib?«

Ich kicherte mädchenhaft. »Einen Eurer Freunde kenne

ich noch nicht. Den General Tufa.«

»Dazu wirst du bald Gelegenheit haben. Wie ich höre,

befindet sich der Dux auf dem Rückweg von seiner Reise in den Süden.«

In der Art eines dummen und eitlen Weibsbilds rief ich:

»Euax! Von so weit her kommt er, nur um die

unwiderstehliche Veleda kennenzulernen!«

»Bilde dir nichts ein. Der Dux hat in den vorstädtischen Provinzen ein neues Heer mobilisiert. Der Weg zu deinen Vettern, den Eindringlingen, und zu deren neuesten

Verbündeten, führt ihn hier durch diese Stadt.«

Ich zog eine niedliche Schnute. »Ihr Männer seid so

langweilig, ihr nehmt alles so wörtlich. Lieber Diorio, daß ich von germanischer Abstammung bin, bedeutet noch lange

nicht, daß ich mit den Eindringlingen verwandt oder an ihnen interessiert bin. Ich beschränke mein Interesse jeweils auf nur einen Mann.«

»Eheu!« seufzte er und tat so, als ob er enttäuscht sei.

»Jetzt, wo du mich erschöpft hast, interessierst du dich also.

Treuloses Weib!«

»Nur eine gewöhnliche Dirne würde annehmen, daß Ihr

erschöpft seid«, neckte ich ihn. »Ich möchte wetten, daß dies ungewöhnliche Weib... gleich ungeahnte Reserven in Euch weckt...«

Nachdem ich dies kunstgerecht getan, legte ich mich

wieder zurück und wartete geduldig, bis Diorio aufhörte zu stöhnen und sich zum Schlafen ausstreckte. Dann murmelte ich, indem ich vorgab, selbst schläfrig zu sein und der Frage keine besondere Bedeutung beizumessen: »Was meintet Ihr mit ›ihre neuesten Verbündeten‹ ?«

»Westgoten«, antwortete er.

»Unsinn. Seit Alarich in Italien einfiel, war kein Westgote mehr in diesem Land.«

»Ein anderer Alarich«, entgegnete er. Dann stützte er sich auf und sagte mit gespieltem Ernst: »Meine Liebe, zu einem Richter sagt man nicht, er rede Unsinn - selbst wenn er das tut. In diesem Falle jedoch bin ich gut informiert. Ich spreche von Alarich II., dem derzeitigen König der Westgoten, der weit weg im Westen, in Aquitanien, regiert.«

»Er ist hier? In Italien?«

»Nicht persönlich, glaube ich. Aber wie ich höre, hat er ein Heer entsandt. Alarich geht offensichtlich davon aus, daß deine Vettern, die Ostgoten, dieses Gebiet erobern werden.

Und offensichtlich will er sich mit ihnen solidarisieren. Also schickte er eine beträchtliche Streitmacht aus seinen Landen östlich über die Alpen.«

In Gedanken zerlegte ich jene letzte verwirrende Mitteilung VISIGINTCOT in ihre Bestandteile: Westgoten, das Verb

»intrare« und der Bergpaß, der Alpis Cottia heißt.

»Wie ich höre«, fuhr Diorio fort, »marschierten sie zuerst auf unsere Festungsstadt Augusta Taurinorum an unserer nordwestlichen Grenze, nahmen dann die nächste östliche Stadt, Novaria, ein und schlössen sich dann - so lauten die Berichte - deinen Vettern in Mediolanum an. Deswegen,

liebe Veleda, und nicht wegen deines stadtbekannten

Talents, kommt Tufa so eilig aus dem Süden zurück. Darf ich nun bitte schlafen?«

Ich seufzte und zog nochmals eine Schnute. »Bei all

seinen Sorgen wird Dux Tufa kaum Zeit für meine Wenigkeit haben.«

Diorio stieß ein verächtliches Lachen aus. »So wahr ich Tufa kenne...«

»Und das tut Ihr, nicht wahr? Werdet Ihr mich empfehlen?

Versprecht es mir! Schwört es!«

»Ja, ja. Gewiß werden dich alle deine Freunde an ihn

weiterempfehlen. Jetzt will ich aber wirklich schlafen.«

Als Hruth das nächste Mal von seinem Posten zurückkam, war er sehr aufgeregt und trug ein dickes Bündel Rinde unter dem Arm. Noch bevor er den Mund aufmachen konnte, sagte ich: »Laß mich raten. Diesmal kamen die Signale aus dem Süden.«

Hruth blinzelte. »Woher wißt Ihr...«

»Die Nachricht eilte Euch voraus. Es muß noch andere

geben, die Kundschafter aussenden. Doch laßt mich die

Rinden sehen, nur um sicherzugehen.«

»Es gab mehrere Mitteilungen, nicht nur eine«, berichtete Hruth, während er die Rinden der Reihe nach auslegte. »Nur die erste kam von Süden. Darauf folgte ein ungewöhnlich langes Signal aus Ravenna, das - soweit ich erkennen

konnte - von den uns bekannten Fackeln im Nordwesten

wiederholt wurde.«

»Ja, sie geben dieselbe Nachricht weiter«, sagte ich und begann, die Zeichen zu entziffern. Mir wurde bestätigt, was Diorio erzählt hatte. Die Botschaft aus dem Süden kündigte Tufas baldige Ankunft in dieser Gegend an. Die Nachricht aus Ravenna war für die nördlichen römischen Streitmächte bestimmt, die wie Theoderichs Heer dort überwintert hatten.

Ravenna instruierte jene Truppen, sie sollten ausharren, Tufa werde bald mit Verstärkung anrücken.

»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, murmelte ich zu mir selbst und wandte mich dann an Hruth: »Ihr braucht Euch jetzt nicht mehr im Moor herumzutreiben. Von heute an

werdet Ihr in der Nähe des Gasthofes bleiben. Sobald Ihr seht, daß Tufas Palast-oder Leibwache mich

hinauseskortiert, begebt Ihr Euch zu dem Stall, den ich Euch gezeigt habe. Von dort holt Ihr Thorns Pferd gesattelt und gepackt. Haltet auch Euer Pferd bereit und wartet auf mich.

Unsere Mission wird bald erfüllt sein.«

Als Tufas Einladung endlich eintraf, kam sie nicht in Form eines höflichen Ersuchens um meine Gunst, sondern in

Form eines zwingenden Befehls. Zwei seiner rugischen

Leibwachen kamen zu mir, in voller Kampfmontur, und der größere von beiden sagte barsch: »Ihr werdet Dux Tufa

Gesellschaft leisten, meine Dame. Und zwar sofort.«

Sie ließen mir noch etwas Zeit, damit ich mein schönstes Kleid anziehen, etwas Puder und Schminke auflegen, ein Parfüm, eine hübsche Halskette und Fibeln auswählen

konnte, und beim Hinausgehen ergriff ich noch meinen

kleinen Kosmetikkoffer. Dann wurde ich zum Palast

eskortiert. Dort angekommen, wurde ein schweres Tor nach dem ändern vor uns geöffnet und hinter uns wieder

versperrt. Die Wachen brachten mich in einen fensterlosen Raum tief im Innern des Gebäudes. Er enthielt nur ein

breites Bett, auf welchem ich mich in einer aufreizenden Stellung ausstreckte. Kurz darauf flog die Tür auf, und Tufa kam herein. Wir hatten uns zwar schon damals in Verona getroffen, und ich erkannte ihn sogleich wieder, aber ich hegte nicht die leiseste Befürchtung, daß er in mir jemand anderes vermuten würde als die Dame Veleda. Er trug eine elegante römische Toga, welche er beim Eintreten fallenließ, und darunter war er nackt. Ich kannte ihn ja schon als stattlichen Mann im besten Alter, doch erst jetzt erkannte ich, daß er wirklich sehr gut ausgestattet war, denn als er sich mir näherte, trug er sein beachtliches Fascinum auffällig vor sich her. Ich lächelte, weil ich annahm, daß er nicht nur bereit, sondern geradezu begierig darauf war, die Freuden zu genießen, welche die talentierte Veleda ihm würde zuteil werden lassen. Doch kurz vor dem Bett hielt er inne und fragte grob: »Warum bist du nicht ausgezogen? Glaubst du, ich hätte Zeit für Getändel? Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Mach dich bereit.«

Ich wich zurück, wie es jede Frau getan hätte, und

antwortete gelassen: »Entschuldigt, Clarissimus, doch hier muß ein Mißverständnis vorliegen. Ich bin nicht gekommen, damit mir ein Dienst erwiesen wird. Ich stehe zu Euren Diensten.«

»Ja, ja«, sagte er ungeduldig. »Aber meine Zeit ist knapp.

»Zieh dich aus und mach die Beine breit.«

»Wartet, Clarissimus«, zischte ich mit

zusammengebissenen Zähnen. »Ihr solltet daran denken,

daß Euch dies eine ganze Stange Geld kostet. Ihr wollt doch, daß ich mein Geld wert bin?«

»Väi, Weib, ich bin bereit, kannst du das nicht sehen? Zieh dich gefälligst aus und laß mich hinein!«

»Mehr wollt Ihr nicht?« Mein weibliches Ressentiment war nicht gespielt. »Geht und sucht Euch ein Loch in der Wand!«

»Slavaith! Jeder in meinem Bekanntenkreis gibt damit an, dich gehabt zu haben. Was bleibt mir anderes übrig?«

»Mehr wollt Ihr nicht?« Ich kochte wirklich vor Wut. »Ich stelle Euch frei zu sagen, Ihr hättet mich gehabt, und Ihr werdet keine Minute Eurer kostbaren Zeit verschwenden, und ich verspreche Euch, niemals zu verraten...«

»Slavaith!« Er ballte seine riesige Faust und brüllte: »Ich sagte, du sollst den Mund halten, Dirne. Leg deine Kleider und dieses Metallding ab! Mach die Beine breit und hält's Maul!«

Ich gehorchte, weil ich nicht wollte, daß er mich

umbrachte, bevor ich ihn tötete (und ich bin überzeugt davon, daß jede Frau an meiner Stelle den Wunsch verspürt hätte, ihn zu töten). Aber ich zog mich langsam aus,

aufreizend langsam, indem ich ein Kleidungsstück nach dem ändern ablegte, den spiralförmigen Brustschutz, den er

»Metallding« genannt hatte, zuerst. Verführerisch sagte ich währenddessen: »Ob Ihr es wünscht oder nicht, Clarissimus

- ich werde mein Geld wert sein.«

Bevor er Einwände erheben konnte, bewies ich es ihm.

Die Behandlung, die ich ihm angedeihen ließ, mußte neu für ihn gewesen sein, denn er rief schockiert aus: »Das ist unanständig!« Er zog sich allerdings nur ein klein wenig zurück und riß sich nicht vollständig von mir los, also hob ich den Kopf, lachte und sagte: »Nein, das ist nur das Vorspiel, Clarissimus. Keine Angst, das Unanständige kommt später.«

Dann beugte ich mich wieder über ihn, und einen Augenblick später stöhnte er vor Lust.

Um ehrlich zu sein - auch ich wurde immer erregter. Doch ich versuchte, bei klarem Verstand zu bleiben, während meine Hände sich an die Arbeit begaben. Ich glaube nicht, daß die Finger einer Frau kräftig genug gewesen wären, das Drahtende meines bronzenen Brustschutzes

zurechtzubiegen, wie ich es in diesem Moment unbemerkt fertigbrachte. Ich konnte zwar nicht sehen, was ich tat, doch ich schaffte es irgendwie, ein ungefähr ellenlanges Stück Draht geradezubiegen - nicht kerzengerade, aber doch

gerade genug für meine Zwecke - und es war so scharf wie ein Pfeil, weil ich schon einige Monate zuvor das stumpfe Ende des Metalls mit einem Wetzstein bearbeitet hatte.

Kaum war ich sicher, daß meine Waffe fertig war,

schenkte ich Tufa eine letzte pikante Liebkosung. Sein Fascinum schien dadurch noch mehr an Länge, Umfang und Härte zu gewinnen, bis er unwillkürlich laut aufschrie: »Jetzt!

Ja! Liufs Guth! Jetzt!« Beim letzten »Jetzt!« zog ich mich zurück, rollte mich auf den Rücken und zog ihn auf mich.

Obwohl er sich fast im Delirium befand, fing er sich wieder und pfählte mich brutal bis zum Schaft. Dann hob und

senkte er sich auf mir leidenschaftlich in schnellem

Rhythmus und drang dabei immer tiefer in mich ein. Ich klammerte meine Arme um seinen breiten Rücken und

meine Beine um seine auf- und abhüpfenden Hüften. Ich

bewegte mein Becken und grub die Fingernägel meiner

freien Hand tief in Tufas Rücken, als befände auch ich mich in Ekstase. Zugegebenermaßen erfaßte mich tatsächlich die Leidenschaft, doch ich benutzte meine Fingernägel nur, damit Tufa nicht merkte, wenn der scharfe Bronzedraht in meiner ändern Hand seinen nackten Rücken berührte.

Ich wartete noch auf den richtigen Moment zum Zustoßen jenen Augenblick, in dem ein Mann sich vergißt und völlig verwundbar und hilflos ist, jenen Augenblick letzten

sexuellen Zuckens und des Sich-Ergießens, in dem einem Mann alles andere gleichgültig erscheint. Ich ließ mir Zeit, den Angriffspunkt sorgfältig auszuwählen - aus meiner Sicht rechts der Wirbelsäule, unterhalb des Schulterblatts,

zwischen zwei Rippen. Dann stieß ich kraftvoll zu, ließ den Draht flink durch meine beiden Hände abwechselnd gleiten, als würde ich energisch und geschwind an ihm hochklettern, und trieb ihn durch Tufas Oberkörper, bis die Spitze durch seine Brust brach und meine Brüste berührte.

Tufas Augen blieb noch genug Zeit, mich mit einem

gleichzeitig erstaunten und ärgerlichen Blick anzusehen, bevor sie brachen. Ich erinnere mich noch an den

Gedanken, der mir in diesem Moment durch den Kopf

huschte: »Tufa stirbt glücklicher als der arme Friderich«, dachte ich, und dann - ich konnte nichts dafür, ich konnte es nicht zurückhalten - erbebte ich in meinem eigenen

Ausbruch. (Sicherlich sei dies nach all der unvermeidlichen Erregung zu rechtfertigen, sagte ich mir später. Sicher kam es daher, daß Tufa auf mir gebockt hatte; sicher nicht daher, daß ich an den guten Friderich gedacht hatte.) Als sich der süße innere Ausbruch entlud und meine Ausscheidungen

sich mit jenen vermischten, die vorher schon dagewesen waren, stieß ich einen lauten Jubelschrei aus.

Als ich zu zittern aufgehört und Verstand, Atem und Kraft wiedererlangt hatte, blieb nicht mehr viel für mich zu tun.

Tufas Wunde blutete nicht stark, ich hatte nur ein kleines Loch durch ihn gebohrt. Ich zog den Draht heraus, und sie war kaum mehr zu erkenner md blutete nicht mehr. Ich

schlüpfte unter dem Gewicht seines tot Körpers hervor und reinigte meine Brüste von Blut und meinen Unterleib von den anderen weißlichen Säften. Dann zog ich mich wieder an, bog den Brustschutz in seine ursprüngliche Form zurück, ohne mir dazu besonders viel Zeit zu nehmen, und trug auch diesen wieder. Danach ging ich zur Tür, vorsichtig, weil meine Beine noch zitterten, und trat zwischen den beiden wartenden Wachen aus der Kammer. Diese bedachte ich mit einem schamlosen Lächeln und gab ihnen mit einer

unbekümmerten Geste zu verstehen, daß Tufa sich noch im Bett befinde.

»Der Clarissimus Dux ist gesättigt«, sagte ich und

kicherte. »Er schläft. Nun...« Ich streckte meine hohle Hand aus.

Die Wachen lächelten zurück, allerdings leicht verächtlich, und einer ließ eine klirrende Geldbörse in meine

erwartungsvoll ausgestreckte Hand fallen. Ich machte mich davon, nach außen hin ruhig und gefaßt, in meinem

Innersten aber zitterte ich vor Angst, daß einer der

Wachtposten oder Diener es wagen würde, nach Tufa zu

sehen.

Doch ich kam unbehelligt bei Hruth an, der bei den

Pferden auf mich wartete. Er betrachtete mein zerzaustes Haar und die verschmierte Schminke auf meinen Wangen,

und sein Gesicht sprach Bände: Neugier, gemischt mit

Betroffenheit und auch einer Spur moralischer Mißbilligung.

»Es ist vollbracht«, sagte ich.

»Und was ist mit dem Marschall?«

»Er kommt. Ich werde sein Pferd halten. Ihr reitet voraus, Thorn wird Euch einholen.«

Das tat Thorn, sobald ich mich in ihn zurückverwandelt hatte. Hruths Pferd trabte langsam vor sich hin, als Velox ihn auf der Via Aemilia einholte, und dann gab Hruth seinem Pferd die Sporen und paßte sich dem schnelleren Tempo

an. Erst als wir das westliche Randgebiet von Bononia

schon lange hinter uns gebracht hatten und ich das Tempo verlangsamte, konnte Hruth fragen: »Reist die Dame Veleda nicht mit uns nach Norden?«

»Nein, sie bleibt - gut versteckt - für den Fall, daß König Theoderich ihre Dienste im Kampf gegen den Feind

nochmals benötigt.«

»Seltsame Dienste«, sinnierte Hruth. »Aber sie scheint ihre Selbstachtung nicht zu verlieren, wenn sie das, was sie tut, für den König tut. Ich denke, sie müßte gelobt werden für den Mut und die Treue, die sie beweist, wenn sie die einzige Waffe schwingt, die ein Weib besitzt. Dennoch, ein Mann kann froh sein, als Mann geboren zu sein und nicht als Weib

- nicht wahr, Saio Thorn?«

8

»Tufa gehörte mir«, sagte Theoderich, und seine leise

Stimme verriet viel mehr Zorn, als lautes Schreien es hätte tun können. »Das war mein Privileg und meine Pflicht, Saio Thorn. Du hast dich der Autorität deines Königs

entgegengestellt und deine eigene weit überschritten. Nur ein König hat das Recht, Richter, Liktor und Vollstrecker in einem zu sein.«

Er, ich und einige Oberbefehlshaber waren in der Basilika des heiligen Ambrosius zusammengekommen, welche

Theoderich sich als Palast auserkoren hatte. Die anderen sahen ernst aus und schwiegen, während unser Herrscher fortfuhr, mich zu schelten. Ich stand mit gesenktem Kopf und nahm die Vorwürfe ergeben hin, denn ich wußte nur zu gut, daß ich sie herausgefordert hatte. Mir fiel ein, wie

kurzentschlossen Theoderich bei ähnlichen Gelegenheiten mit anderen Übeltätern verfahren war: Er hatte nicht lange überlegt und mit seinem Schwert Camundus, den Legaten

von Singidunum, und Strabos Sohn Rekitach durchbohrt. Ich führte es auf unsere lange Freundschaft zurück, daß er mich

»nur« verbal strafte.

So ließ ich denn die Strafpredigt gelassen über mich

ergehen, während ich an angenehmere Dinge dachte. Ich

erinnerte mich daran, wie ich vor langer Zeit den jungen Theoderich bewundert und mir gewünscht hatte, eine Frau zu sein. Nun, da ich den reiferen Theoderich noch glühender bewunderte, konnte ich es mir nicht erklären, wie sich die geflügelte Phantasie der Veleda auf einen anderen Mann konzentrieren konnte als ihn, nämlich auf Friderich. Erst vor wenigen Tagen hatte Veleda im Geiste einen illusorischen Friderich gegen den zwar reellen, doch ihr unwichtigen Tufa ausgetauscht, mit dem sie sich aus Notwendigkeit paarte.

Das gab mir zu denken: Konnte es sein, daß ich in meiner schwärmerischen Einbildung Friderich und Theoderich

beständig gegeneinander ausgetauscht hatte? Konnten

Gedanken so komplex werden und sich derart

verselbständigen?

Theoderich sah mich finster an und verlangte: »Sprich für dich selbst! Kannst du dich rechtfertigen, das Recht des Königs beansprucht und Tufa verurteilt zu haben? Hast du zur Milderung deines Verbrechens etwas vorzutragen?«

Ich hätte Theoderich nun mit berechtigter Entrüstung

nahelegen können, daß er es mir als Marschall zutrauen müsse, daß ich meine eigenen Entscheidungen treffen

konnte, wenn es um wichtige Angelegenheiten ging und ich mich nicht in unmittelbarer Nähe meines Königs befand.

Genau dies sagte ich ihm auch, doch ich zeigte keine

Entrüstung, sondern machte einen Scherz daraus: »An der Übeltat hast du allein schuld, mein König.«

»Eh?« Seine blauen Augen leuchteten, und vor lauter

Überraschung blieb ihm der Mund offen stehen. Alle

Anwesenden hielten den Atem an.

»Du hast diesen Niemand Thorn zum Herzog erhoben. Du

hast diesen Emporkömmling Thorn zum Marschall ernannt.

Kann man es mir übelnehmen, daß ich davon ausging,

meine Sünden müßten meinem Status entsprechen?«

Alle starrten mich an. Dann brach Theoderich in

schallendes Gelächter aus und nach ihm alle seine Offiziere, selbst der sauertöpfische alte Soas. Es kam schließlich nicht von ungefähr, daß ich - wie übrigens alle seine Untertanen -

unseren König bewunderte und verehrte: Er war der lebende Beweis dafür, daß ein Regent herzlich und gewinnend und gleichzeitig majestätisch und stark sein konnte.

Während der darauffolgenden Diskussion erfuhr ich, daß Theoderich die Römer an der Adda so vernichtend

geschlagen hatte wie am Isonzo. Nachdem das Heer der

Römer zerstreut war, genügte es, einige Tage lang an die Tore von Mediolanum zu hämmern, und dieselben flogen

auf. Nun war die erste bedeutende Schlacht in diesem

Frühjahr von den Westgoten geführt worden, die von der anderen Seite der Alpen kamen. Unter General Respa

hatten sie eine weitere römische Streitmacht besiegt, die die Stadt Ticinum besetzt hielt. Sie schlugen dort auch ihr Lager auf, während sie auf weitere Anweisungen Theoderichs

warteten.

Ich fragte vorsichtig: »Wird Alarich behaupten, euch mit zum Sieg verhelfen zu haben und deshalb einen Teil der Beute - möglicherweise einen Teil Italiens - für sich

beanspruchen?«

»Ne«, antwortete Theoderich. »Der Alarich unserer Zeit ist nicht so habgierig wie sein Großvater gleichen Namens. Er will seine Herrschaft nicht ausbauen. Wie viele andere unserer zeitgenössischen Könige möchte er, daß das

römische Reich wieder so ist wie früher, als jedes einzelne Königreich die Sicherheit und die Wohlfahrt der Pax Romana genoß.«

»Ihr dürft nicht vergessen«, sagte Soas zu mir, »daß viele germanische Herrscher Odoaker unterstützten, als es so schien, als würde er die Glanzzeit Roms zurückbringen. Und nun setzen sie ihre Hoffnungen auf Theoderich. Alarich sandte seine Krieger. Aber sein General Respa überbrachte uns auch Botschaften von Chlodwig, dem König der

Franken, von dem alten Vandalenkönig Geiserich und sogar von dem jungen Herminafrid, König der Thüringer hoch oben im Norden. Sie alle bekunden ihre Freundschaft und ihr Wohlwollen und bieten uns jegliche Unterstützung an, die wir verlangen.«

General Herduich grinste breit und fügte hinzu: »König Chlodwig bot sogar seine Schwester an. Sie trägt den alten gotischen Namen Audofleda.«

»Und wozu?« wollte ich wissen. »Nun, Theoderich soll sie zur Frau nehmen.« Ich muß zugeben, daß diese Worte mir einen Stich versetzten, was mich wiederum überraschte, denn ich war auf die verstorbene Dame Aurora nie

eifersüchtig gewesen, ja, ich hatte sie sogar gemocht. Und es hatte mir nie etwas ausgemacht, wenn Theoderich von Zeit zu Zeit eine andere Frau mit ins Bett nahm. Nun, dachte ich traurig, irgendwann würde er eine formelle Ehe eingehen müssen, denn bislang hatte er nur Töchter gezeugt, und diese im Konkubinat. Natürlich wünschte er sich einen Sohn königlichen Geblüts. Aber ich konnte mich noch so sehr anstrengen - dieser Gedanke beruhigte mich nicht.

Dann ergriff General Ibba das Wort: »Chlodwigs Angebot beweist seine Überzeugung, daß wir bald ganz Italien

besitzen werden und daß seine Schwester über kurz oder lang Theoderichs Herrschaft teilen wird - nicht nur über Italien, sondern über das geeinte Römische Reich. Sie wird nicht nur Königin sein, sondern Kaiserin. Und wenn

Chlodwig so sicher von unserem Sieg ausgeht, dann tun

dies auch all die anderen Könige.«

»Auch unser König?« fragte ich kühn.

Theoderich nickte nüchtern und meinte: »Wir beherrschen nun den gesamten Norden Italiens von den Alpen bis zum Isonzo. In einem Jahr werden wir auch den südlichen Teil der Halbinsel erobert haben. Tatsächlich ist bis auf den Triumph alles vollbracht. «

Ich tat so, als sei ich enttäuscht: »Wie ich befürchtete, habt ihr den Krieg ohne mich gewonnen.«

»Nicht ganz«, brummte Soas. »Ein Triumph kann nicht

ohne die Verleihung des Lorbeers gefeiert werden. Bis

Odoaker das zugibt...«

»Komm, komm, Saio Kassandra«, spottete ich. »Gewiß

verlangt Kaiser Zeno nicht, daß wir ihm Odoakers Kopf

bringen, wie wir es mit Camundus und Babai taten.« Ich wandte mich wieder an Theoderich und drängte: »Überlasse Odoaker doch seine Sümpfe. Er soll sich dort verstecken, bis er verfault. Unterdessen gehört dir der Rest Italiens, und der Rest der Welt weiß, daß es so ist. Zeno wird keine andere Wahl haben, als dich...«

Theoderich unterbrach mich, indem er die Hand hob. »Ne, Thorn. Das Schicksal will es anders. Wie ich höre, ist Zeno sehr krank. Er könnte sterben. Und bis dahin kann kein Nachfolger für ihn bestimmt werden. Wenn ich also während dieses Interregnums Lorbeeren pflücken will, muß die Welt mir dabei zusehen. Es ist nun mehr denn je vonnöten, daß ich Odoaker ein für allemal besiege.«

Ich seufzte. »Ich bin ungern derjenige, der dir das sagt, aber dies wird uns mit dem Heer allein nicht gelingen. Ich habe das Gebiet um Ravenna in Augenschein genommen.

Ein Landangriff ist nicht möglich, und eine Belagerung auf der Landseite aussichtslos. Als Odoaker sich in den Schutz seiner Feste zurückzog, war die Ernte gerade eingebracht worden; wir können also davon ausgehen, daß er reichlich mit Lebensmitteln versorgt ist.«

»Womöglich«, murmelte Pitzia, »hat Tufa aus diesem

Grund unsere Männer abgeschlachtet: damit sie die Vorräte der Stadt nicht erschöpfen.«

»Das wäre unnötig«, sagte ich. »Die Einwohner Ravennas hätten selbst dann für lange Zeit genug zu essen, wenn die Ernte nicht schon eingebracht worden wäre. Als ich Strabos Gefangener in Constantiana am Schwarzen Meer war, gab

er immer damit an, daß kein Heer Europas es verhindern könne, daß die Stadt von der See her versorgt würde. Auch Ravenna ist eine Hafenstadt, deshalb erzähle ich euch das.

Der einzig durchführbare Weg ist, uns die römische

Kriegsflotte nutzbar zu machen. Sie soll unsere Truppen transportieren und an Land setzen und...«

»Das geht nicht«, sagte Theoderich matt.

»Ich weiß«, entgegnete ich. »Als stolzer Krieger willst du, daß wir Ravenna ohne Hilfe von außen einnehmen. Das

kann ich verstehen. Doch glaube mir, wir haben keine

andere Wahl. Jener Nauarch Lentinus der Adriatischen

Flotte schien doch sehr...«

»Lentinus ist der Grund, weshalb ich die römische Flotte nicht in Anspruch nehmen kann. Väi, Thorn, du warst doch dabei, als ich ihm mein Wort gab, daß ich sein rechtmäßiger Befehlshaber sein würde, bevor ich ihm den ersten Befehl erteile. Zeno hat mir diese Autorität nicht erteilt, kann dies jetzt auch nicht, und das weiß Lentinus. Selbst wenn ich mein Wort brechen würde, könnte ich den Nauarchen nicht zwingen, meinen Befehlen zu gehorchen. Er müßte nur

seine Schiffe aus meiner Reichweite bringen.«

»Und solch eine Abfuhr«, bemerkte Ibba unnötigerweise,

»würde Theoderich in den Augen seiner zukünftigen

Untertanen mehr erniedrigen als die verheerendste

Niederlage.«

Theoderich fuhr fort: »Ich habe schon erwogen, von der See her zu kommen und zu landen, oder mit Katapulten vom Meer aus Ravenna anzugreifen. Als letzten Ausweg zog ich eine Blockade der Häfen in Betracht, um die

Lebensmittelzufuhr abzuschneiden. Doch nein, es geht

nicht. Lentinus hat mir freundlicherweise schon einen

Gefallen getan, indem er mir seine schnellsten Schiffe geliehen hat, um Boten zwischen Aquileia und

Konstantinopel hin- und herzutransportieren. So erfuhr ich von Zenos Krankheit. Doch mehr kann ich von Lentinus nicht erbitten oder gar verlangen.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir keinen anderen Rat geben. Belagere Ravenna, wenn du willst, sobald

unsere Heere nach Flaminia gelangen. Es wird nichts

nützen, Odoaker wird sich weiterhin verbarrikadiert halten, und du willst ihn doch herauslocken. Vielleicht wird Odoaker, wenn wir Eroberer uns niederlassen und außer dem

Sumpfgebiet jeden Morgen italienischen Bodens friedlich bebauen, schließlich erkennen, daß er geschlagen ist, und freiwillig herauskommen.«

»Habai ita swe«, sprach Theoderich, doch diesmal nicht im Befehlston, sondern so, als wolle er das Schicksal

beschwören.

Die nun folgenden Schlachten waren eher flüchtige

Angelegenheiten und rasch vorüber, ohne daß es auf beiden Seiten bedeutende Verluste gegeben hätte. Die römischen Legionen, ihres Heerführers beraubt und von ihrem König verlassen, waren verständlicherweise ungehalten und

entmutigt. Als wir südwärts der Halbinsel entlang vorrückten, stellte sich uns niemand entgegen, und als wir an die

römischen Verteidigungsanlagen kamen und unsere

hochmütige Forderung »tributum aut bellum«

vorausschickten, brachten sie eben nur so viel Widerstand auf, daß sie nachher nicht zugeben mußten, sie hätten sich kampflos ergeben. Doch ergeben haben sie sich.

Ende August beherrschten wir rechtens das ganze Land

Italien - außer Odoakers Zufluchtsort Ravenna -, obwohl Theoderich beschloß, östwestlich die Via Aemilia hinab nicht weiter vorzurücken als die halbe Distanz zwischen der

venetischen Grenze Italiens und dessen Herzstadt Rom.

Wie aus Konstantinopel berichtet wurde, lag Zeno immer noch krank darnieder, und es stand jeden Tag schlechter um ihn. Es war jedoch kein Nachfolger benannt. Da Theoderich im Reich noch nicht als König Roms ausgerufen werden

konnte und da er es tugendhaft ablehnte, die Macht dieses Amtes für sich in Anspruch zu nehmen, fehlte ihm die

Autorität, Gesetze zur Regierung der von ihm eroberten Gebiete zu erlassen und zu verwirklichen. Er rief jedoch das Kriegsrecht aus und legte bestimmte Regelungen fest, die die Ordnung im Staate sichern sollten. Diese Regelungen waren keineswegs streng, was Theoderichs neue

Untertanen überraschte und ihnen gefiel. Sie waren

bezeichnend für den gütigen Despotismus, mit dem

Theoderich sein Reich später regieren würde.

Ich möchte behaupten, daß es in unserer Geschichte

keinen Eroberer gibt, der seinen neu dazugewonnenen

Untertanen so viel Sorge und Aufmerksamkeit

entgegenbrachte wie Theoderich. Umgekehrt brachte das

italienische Volk seinem Eroberer so viel Vertrauen, Respekt und Zuneigung entgegen wie noch keinem Eroberer zuvor.

Damit meine ich nicht nur das lange unterdrückte gemeine Volk. Selbst der hochgestellte Lentinus, Nauarch der

Adriatischen Flotte der römischen Kriegsmarine, verließ seinen Posten in Aquileia, um bei Theoderich vorzusprechen und ihm einen Vorschlag zu unterbreiten, der sich für uns als außerordentlich hilfreich erweisen sollte.

Während Theoderich mit der Aufstellung seiner

Besatzungstruppen, der Ausrufung des Kriegsrechts und all den anderen Verwaltungsangelegenheiten der

Kriegsführung beschäftigt war, hatte General Herduich den Auftrag erhalten, Odoakers Ravenna zu belagern - oder

zumindest teilweise zu belagern, denn wie ich

vorausgesehen hatte, boten die Sümpfe um die Stadt keinen festen Boden, auf dem man Katapulte oder ein Heer von

Bogenschützen hätte aufstellen können. So konnte Herduich seine Infanterie nur in einer langen, dünnen Linie nördlich und südlich um die landeinwärts gelegenen Stadtgebiete herum aufstellen. Diese Männer konnten nichts weiter tun, als die Lebensmittelversorgung der Stadt zu verhindern, die von der Sumpfstraße, über das Moor, über den Nebenfluß des Po oder über die Via Popilia, die von Ravenna aus

nördlich und südlich an der Küste entlangführte, erfolgte. Nur die wenigen Ausfälle der Bogenschützen, welche bei

Gelegenheit und aus Langeweile die Mauern mit Pfeilen und Feuerpfeilen beschossen, erinnerten an eine Belagerung.

Der Feind hinter den Mauern lachte sicher höhnisch über diese lustlosen Angriffe, die so sinnlos waren wie die Blockade selbst. Herduichs Küstenbeobachter berichteten, daß mindestens einmal wöchentlich ein Handelsschiff oder etliche von einer Galeere gezogene über die Adria im Hafen Classis, dem Kriegshafen von Ravenna, eintrafen und dort in aller Ruhe eine beträchtliche Fracht abluden. Dagegen

konnten wir nicht das geringste tun, wir wußten nicht einmal, woher diese Schiffe kamen.

»Nicht von den adriatischen Stützpunkten, die unter

meinem Befehl stehen«, beteuerte Lentinus uns Offizieren, die wir uns im Palast zu Mediolanum versammelt hatten. In seinem kuriosen venezianischen Akzent fuhr er fort: »Ich versichere Euch, Theoderich, daß diese Schiffe weder aus Aquileia noch aus Altinum, noch aus Ariminum kommen. Ich leihe Euch zwar keine Schiffe, um Euch zum Sieg zu

verhelfen, aber ich unterstütze auch nicht Odoakers letzten Verteidigungsversuch.«

»Das ist mir bekannt«, antwortete Theoderich, »und ich respektiere Eure Neutralität.«

Ich sagte: »Wir müssen annehmen, daß selbst ein

gescheiterter, ehrloser ehemaliger Regent noch eine

Handvoll Anhänger hat, die ihm bis zuletzt treu bleiben. Wir vermuten, daß eine kleine Schar von Odoakers Leuten sich bereits sicher irgendwo im Exil befindet, vielleicht in Dalmatien oder sogar noch weiter weg in Sizilien.«

Der brummige Saio Soas ließ sich vernehmen: »Odoakers

Anhänger könnten auch Auswanderer sein, die aus

irgendeinem Grund den Status quo ante bewahren wollen.

Es ist erstaunlich, wie viele Leute, die lange außerhalb ihres Vaterlands gelebt haben, sich aus sicherer Entfernung

begeistert in dessen Angelegenheiten einmischen.«

»Meine Moral verbietet es mir, mich einzumischen«, sagte Lentinus, »und meine Neutralität hält mich davon ab, Euch römische Schiffe anzubieten. Aber ich schlage Euch vor, daß Ihr Euch Eure eigenen Schiffe baut.«

»Danke für den Vorschlag«, sagte Theoderich mit einem

Lächeln. »Aber ich glaube nicht, daß sich in meinen Reihen auch nur ein einziger Mann befindet, der sich im Schiffsbau auskennt.«

»Vermutlich nicht«, entgegnete Lentinus. »Aber ich kenne mich darin aus.«

Theoderichs Lächeln wurde breiter. »Ihr würdet uns

helfen, Kriegsschiffe zu bauen?«

»Keine Kriegsschiffe. Das würde meine Neutralität

verletzen. Außerdem würde es Jahre dauern, eine Flotte von Kriegsschiffen zu bauen. Nein, was Ihr wirklich braucht, das sind große Kästen, die im Kriegshafen von Ravenna

herumgerudert werden können. Diese besetzt Ihr mit genug bewaffneten Kriegern, die sich den eintreffenden

Versorgungsschiffen entgegenstellen. Ihr habt doch sicher fähige Schmiedsoldaten und Wagenbauer in Euren Reihen.

Ruft sie zusammen, und ich werde sie die Via Aemilia hinab zu den Schiffswerften in Ariminum führen, wo man ihnen beibringen wird, was sie zu tun haben.«

»So sei es!« rief Theoderich recht fröhlich und schickte seine Generäle Pitza und Ibba los, um die Handwerker

zusammenzurufen.

Das Frühjahr kam, und die Vorbereitungen für eine völlige Blockade Ravennas waren noch nicht abgeschlossen. Aus

Konstantinopel traf eines der schnellen Boote des Lentinus mit einem griechischen Boten ein, der die neuesten

Nachrichten aus dem Östlichen Imperium überbrachte. Zeno war gestorben, und sein Nachfolger im Purpur-Palast hieß Anastasius. Er war fast so alt wie Zeno und hatte bislang nur ein unbedeutendes Amt im kaiserlichen Schatzamt

innegehabt. Doch er war persönlich von Zenos Witwe, der Basilissa Ariadne, zum Kaiser erwählt worden. Zum

Ausgleich heiratete er sie unmittelbar nach seiner

Thronbesteigung.

»Überbringe dem Kaiser meine Glückwünsche und mein

Beileid«, trug Theoderich dem Boten auf. »Ich werde auf Mitteilung von ihm warten. Hat er keine Nachricht

mitgeschickt, was meine eigene Thronbesteigung

anbetrifft?«

»Oukh, nein. Tut mir leid.« Der Bote zuckte mit den

Schultern. »Ihr werdet mir die Dreistheit meiner Worte verzeihen, Theoderich, aber Ihr solltet nicht erwarten, daß Anastasius Euch etwas von sich aus anbietet. Wie alle

Männer, die viel Geld zu verwalten haben, ist er ein

knausriger Geizhals. Wenn Ihr etwas von ihm wollt, müßt Ihr darum betteln.«

Und so kam es, daß Theoderich ohne den kaiserlichen

Befehl und nur kraft des Kriegsrechts und seiner

wachsenden Beliebtheit ganz Italien regierte.

9

Bei Corfinium, einer Stadt in den Bergen und Knotenpunkt mehrerer Römerstraßen, schlugen wir für einige Tage unser Lager auf, während Theoderich die Kapitulation der Stadt entgegennahm, den Stadtgouverneur mit den Regeln des

Kriegsrechts vertraut machte, den üblichen Gerichtshof ernannte und nur fünf Zeltgemeinschaften der Infanterie als Besatzungsmacht abkommandierte. Wir verließen die Stadt auf der Via Salaria, und ich befand mich gerade mit

Theoderich an der Spitze unserer Kolonnen im Gespräch, als wir südlich von Corfinium einer weiteren, viel kleineren Kolonne begegneten: einer Anzahl von Reitern, die eine vornehme Karosse eskortierten, die von einem Esel

gezogen wurde. Wir hielten alle an, und ein weißhaariger, glattrasierter und würdevoll aussehender Mann stieg aus der Karosse und grüßte uns. Seine roten Sandalen und seine gesäumte Tunika waren unverkennbare Abzeichen seines

Ranges, und er sprach Theoderichs Namen römisch aus:

»Salve, Theodericus. Ich bin Senator Festus und bitte Euch um ein Gespräch.«

»Salve, Patricius«, entgegnete Theoderich höflich, aber nicht demütig. Es mag sein, daß ich ein wenig beeindruckt war von dem ersten römischen Senator, den ich zu Gesicht bekam, Theoderich jedenfalls war es nicht. Immerhin war er Konsul des Östlichen Imperiums gewesen.

»Ich kam von Rom, Euch aufzusuchen«, fuhr Festus fort.

»Doch ich hatte Euch im Umkreis der Stadt erwartet, und nun erfahre ich, daß Ihr überhaupt nicht nach Rom

marschiert.«

»Ich bewahre mir Rom für zuletzt auf«, sagte Theoderich leichthin, »es sei denn, Ihr bringt unerwartet die

Kapitulation.«

»Darüber wollte ich mit Euch sprechen. Können wir es uns am Wegrand bequem machen?«

»Dies ist ein Heer. Wir führen keine Sitzgelegenheiten oder sonstige senatorische Bequemlichkeiten mit uns.«

»Aber ich selbstverständlich.«

Während Theoderich seine anderen Offiziere zu sich rief und der Reihe nach vorstellte, errichteten die Bediensteten des Senators auf dessen Wink rasch einen herrlichen

Pavillon, verteilten Kissen darin und schafften Schläuche mit Falerner und Kelchgläser aus Kristall herbei, in welchen sie den Wein servierten. Festus wollte mit oberflächlicher Konversation beginnen, doch Theoderich bemerkte steif, er hoffe, die nächste Stadt, Aufidena, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, also kam der Senator gleich zur Sache.

»Der römische Senat ist derzeit - wie alle römischen

Bürger verwirrt und unsicher. Unser ehemaliger König hat sich verbarrikadiert, auf dem östlichen Thron sitzt ein neuer Kaiser, Ihr selbst seid unbestritten, doch inoffiziell unser neuer Herr. Wenn es nach mir ginge, würde der

Machtwechsel so früh und so reibungslos wie möglich vor sich gehen und die Frage der Anerkennung Theoderichs als König zu einem Abschluß gebracht. Nur, ich kann nicht

behaupten, das Denken des gesamten Senats

wiederzugeben...«

»Der römische Senat«, unterbrach ihn Theoderich höflich,

»war seit den Tagen Diokletians nicht mehr gezwungen zu denken.«

»Das ist wahr. Nur allzu wahr. Und während des

vergangenen Jahrhunderts tat er nicht viel mehr als die Handlungen desjenigen zu ratifizieren, der sich gerade hervortat.«

»Ihr meint, desjenigen Barbaren, der sich gerade

hervortat. Ihr braucht Euch nicht zu schämen, das Wort zu gebrauchen, Senator. Seit den Tagen Stilichos, des ersten barbarischen Staatsmanns, hatte der Senat Roms keine

andere Funktion, als nur zu allem seine Zustimmung zu

geben.«

»Kommt, kommt«, erwiderte Festus und schien überhaupt

nicht beleidigt zu sein. »Diese Funktion ist nicht überflüssig.

Allein das Wort ›Senat‹, abgeleitet von ›senex‹, bedeutet

›Rat der Alten‹. Schon in frühester Zeit bestand die Aufgabe der Alten eines Stammes darin, ihre Zustimmung zu den

Plänen der Jungen zu geben. Ebenso wünscht Ihr,

Theoderich, daß Eure Taten anerkannt werden und daß

Euer Anspruch auf den Königstitel legitimiert wird.«

»Das kann nur der Kaiser, nicht der Senat.«

»Aus diesem Grunde bin ich hier. Wie gesagt,

repräsentiere ich nicht die Mehrheit des Senats. Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß die Mehrheit sich freuen würde, wenn Ihr - und jeder andere Barbar - Euch wieder tief in die Wälder Germaniens zurückziehen würdet und sie allein

bestimmen könnten, wer regiert. Allerdings repräsentiere ich diejenigen, die es gern sehen würden, wenn Italien seinen Frieden und seine Sicherheit zurückgewänne. Wir Senatoren wissen aus unserer Erfahrung mit Anastasius - als er noch ein unbedeutender Schatzkämmerer war -, daß er dazu

neigt, zu zögern und abzuwarten. Deshalb schlage ich Euch folgendes vor: Wenn Ihr mir eine Eskorte bereitstellt und mir freies Geleit gebt, gehe ich nach Konstantinopel. Ich werde Anastasius dazu drängen, sofort zu verkünden, daß

Odoaker entthront ist und daß Ihr fürderhin Theodericus Rex Romani Imperii Occidentalis seid.«

»Rex Italiae genügt«, entgegnete Theoderich mit einem

Schmunzeln. »Ich kann solch ein Angebot schwerlich

abschlagen, Senator, und ich weiß Eure guten Absichten zu schätzen. Geht, auf daß Ihr erfolgreich sein möget. Wenn Ihr Euch von hier nach Norden wendet, kommt Ihr auf die

flaminische Straße, welche nach Ariminum führt, wo

Lentinus, der Nauarch der Adriatischen Flotte, gegenwärtig an einem gewissen Projekt arbeitet. Mein Marschall Thorn kennt die Straße und den Nauarchen. Er wird Euch und Eure Leute begleiten und dafür sorgen, daß Lentinus Euch an Bord des ersten Schiffes setzt, das nach Konstantinopel segelt.«

So zogen Theoderich und sein Heer ohne mich weiter, und ich führte Festus' kleinen Zug den Weg zurück, den wir gekommen waren.

In Ariminum lieh Lentinus Festus bereitwillig ein schnelles Küstenboot mit Besatzung und schickte ihn geradewegs

nach Konstantinopel. Dieses Schiff war das kleinste der dromones, schneller Boote zum Transport von Gütern, und der Senator konnte nur zwei Leute aus seinem Gefolge

mitnehmen; der Rest wurde bis zu seiner Rückkehr gegen Bezahlung in Ariminum einquartiert. Das kostete allerhand, da der Senator mindestens vier Wochen lang unterwegs

sein würde.

Lentinus ließ mir keine Zeit, die Stadt zu besichtigen. Er drängte mich, mir doch anzuschauen, was sich in der

Zwischenzeit hinsichtlich einer Blockade Ravennas getan hatte. Am späten Nachmittag erreichten wir die Stelle, an der unsere Belagerungslinie landeinwärts am südlichen Seeufer der Stadt endete. Unsere Wachen waren vorsichtigerweise außerhalb der Schußweite der die Stadt verteidigenden

Bogenschützen postiert, aber doch nahe genug, daß wir die Reede sehen konnten.

»Ravenna selbst ist von hier aus nicht zu sehen«, sagte Lentinus, als wir zwischen den Besatzungstruppen absaßen.

»Was Ihr dort drüben seht, das Hafenbecken, die

Landungsbrücken, die Baracken und so weiter, das ist das Arbeiter- und Handelsviertel der Stadt, der Hafen Classis.

Der patrizische Teil, Ravenna selbst, liegt noch zwei bis drei Meilen landeinwärts. Es ist mit Classis durch einen Damm verbunden, der durch die Sümpfe führt und an dem entlang die Hütten der Arbeiter liegen. Dieser Vorort heißt

Caesarea.«

Gewöhnlich hätten wir sogar aus dieser Entfernung die

vielen Träger, Karren und Wagen sehen können, die

normalerweise am Kai herumfuhrwerkten, doch heute war

kein Zeichen menschlichen Treibens zu beobachten. Die

Häuser am Hafen waren verriegelt, kein Schmiedefeuer

brannte, und die Kräne standen still.

Im ganzen Hafen bewegten sich nur sechs Gegenstände:

plumpe Schiffe, die schwerfällig hintereinander von einem Ende des Hafens zum anderen paddelten. Sie schwankten

und schaukelten im Wasser, doch irgendwie gelang es

ihnen, in einem gewissen Abstand zwei parallele Reihen zu bilden. Drei Schiffe segelten in die eine, drei in die entgegengesetzte Richtung. Wären die Schilde der Krieger nicht gewesen, die über die Bordwände hinausragten, und die vielen Lanzen, die in den Himmel stachen, die Schiffe hätten wie große, harmlose Kisten ausgesehen. Jedes wies zwei Ruderbänke auf, aber keinen Mast, jedes war an den Seiten verkleidet und quadratisch, so daß jedes Ende

entweder Bug oder Heck sein konnte.

»So müssen die Ruderer beim Hin- und Herfahren nicht

immer manövrieren«, erklärte Lentinus. »Es ist viel einfacher für sie, sich auf ihrer Bank umzudrehen, als die ganze schwerfällige Kiste zu wenden. Und so wie sie über den Hafen verteilt sind, können trotz ihrer Langsamkeit immer zwei davon - eines vorwärts- und eines rückwärtsgerichtet -

jedes Schiff in die Zange nehmen, das versucht, zwischen ihnen durchzukommen. Jede Kiste ist mit vier

Zeltgemeinschaften von Speerwerfern besetzt, die auch mit Schwertern bewaffnet sind: genug, um ein Handelsschiff zu entern und dessen Besatzung zu überwältigen.«

»Hatten die Männer schon das Vergnügen, ein feindliches Schiff anzugreifen?« fragte ich.

»Nein, noch nicht, und ich glaube nicht, daß es so weit kommen wird. Seit unsere Schiffe die Küste kontrollieren, kam nur eines jener riesigen Getreideschiffe und danach noch eine Reihe kleiner Boote, die von einer Galeere

gezogen werden, in die Nähe des Hafenbeckens. Als sie

den glitzernden Stahl sahen, der da auf sie wartete, segelten sie wieder aufs Meer hinaus. Ich möchte behaupten, daß Ravenna die längste Zeit von der See her versorgt wurde.«

Jetzt grinste Lentinus übermütig. »Außerdem bereiten wir gerade noch etwas vor, das Odoakers bequemes Leben

etwas ungemütlicher gestalten dürfte. Wir werden die Nacht hier bei den Trupper verbringen, Saio Thorn. Morgen früh reitet Ihr mit mir an der Besatzungslinie entlang, bis zu der Stelle, an der sie auf den Flufi stößt. Dort zeige ich Euch etwas viel Unterhaltsameres als schwimmende Kisten.«

Ich war davon ausgegangen, daß wir wieder auf die Via

Popilia zurück müßten, um Ravenna zu umreiten, aber es stellte sich heraus, daß unsere Soldaten - weil sie gerade nichts anderes zu tun gehabt hatten - durch das Moor und den Treibsand einer festen Pfad abgesteckt hatten. Daher konnten wir am nächster Tag fast so schnell und bequem über Land reiten, als wären wir auf der schadhaften

Hauptstraße. Der Pfad führte uns landeinwärts und

schließlich über die Sumpfstraße, auf der ich die polybischen Signale beobachtet hatte. Wir überquerten sie allerdings weitaus näher an den Stadtmauern Ravennas, die wir ir der Ferne erkennen konnten. Dann kamen wir zum Fluß, der

unsere Belagerungslinie unterbrach, aber die Reihe der Soldater wurde am anderen Ufer fortgesetzt. Auf dieser Seite war eine größere Anzahl unserer Männer mit nackten Oberkörpern in der Hitze schwitzend dabei, das Projekt auszuführen, das Lentinus mir vorführen wollte.

»Dies ist der südlichste Mündungsarm des Po«, sagte er.

»Er gabelt sich östlich von hier in zwei Abzweigungen und fließt um Ravenna herum ins Meer. Der Kanal wurde von

Menschenhand geschaffen, damit die Stadt mit Wasser

versorgt wird. Wie Ihr sehen und riechen könnt, ist das Wasser des Flusses nicht sehr sauber, weil es durch die Sümpfe fließt. Doch es ist Ravennas einzige

Wasserversorgung, weil das Aquädukt der Stadt schon vor langer Zeit zerfiel. Das Wasser fließt also an den

Stadtmauern entlang und wird hie und da durch niedrige Brückenbögen in das Netz der Kanäle geleitet, das sich durch die ganze Stadt zieht. Ich will über diese Kanäle eine kleine Überraschung in das Innere der Stadt schmuggeln.«

Bewundernd sagte ich: »Für einen neutralen Beobachter, Nauarch, scheint Ihr doch ziemlich dem Eroberungsgeist verfallen.

Bauen die Männer dort drüben Boote? Sie sehen zu

zerbrechlich aus, um Soldaten zu tragen.«

»Ja, es sind Boote, aber unbemannte, deshalb brauchen

sie nicht sehr stabil zu sein. Und sie sind absichtlich so klein gebaut, damit sie unter den niedrigen Mauerbögen der Stadt hindurchpassen.«

»Weshalb weisen sie dann Mast und Segel auf? Sind das

keine Hindernisse?«

Mit einem fröhlichen Grinsen antwortete Lentinus: »Sie werden verkehrt herum hineinsegeln. Wie jedes Boot

schwimmt auch dieses auf der Wasseroberfläche, allerdings mit dem Segel unterhalb der Wasserlinie. So wird es von der Strömung schnell vorangetrieben und läuft nicht Gefahr, sich am Ufer im Schilfrohr zu verfangen oder sich unter einem Bogen oder in einem engen Kanal querzustellen.

Währenddessen trägt die flache Aushöhlung über der

Wasserlinie die Fracht.«

»Sehr geistreich«, murmelte ich und meinte es auch so.

»Die Erfindung stammt nicht von mir. Die alten Griechen, als sie noch kriegerisch waren, nannten es khele, die Krebsschere. Wenn eine feindliche Flotte in einem ihrer Häfen ankerte, schickten sie die Khele-Boote heimlich

flußabwärts, damit sie die Flotte infiltrierten und sich von unten wie Krebse an den feindlichen Schiffen

festklammerten.«

»Festklammern - womit?« fragte ich. »Woraus besteht die Fracht?«

Er zeigte es mir, denn eine der fertigen Krebsscheren

wurde gerade beladen. »Wir Seeleute nennen es›Nasses

Feuer‹- auch eine Erfindung der Griechen, bevor sie sich in eine Nation von Schwächlingen verwandelten. Die Fracht ist ein Gemisch aus Schwefel, Leuchtpetroleum, Pech und

Ätzkalk. Wie Ihr vielleicht wißt, Saio Thorn, erhitzt sich Ätzkalk, wenn er mit Wasser in Berührung kommt - und zwar genug, um die anderen Bestandteile zu entzünden, und

diese brennen sogar unter Wasser. Wie Ihr bereits bemerkt habt, sind die khelai nicht besonders stabil. Ich habe folgendermaßen kalkuliert: Wenn ich sie nur wasserdicht genug mache, daß sie sicher nach Ravenna hineingelangen, werden sie - wenn sie am Ziel sind - mit Wasser vollaufen, der Ätzkalk wird sich erhitzen und...« Für einen Mann

mittleren Alters lachte er wie ein kleiner Junge, »... und euax! Nasses Feuer!«

»Phantastisch!« rief ich und meine Begeisterung war echt.

Dennoch fühlte ich mich verpflichtet, eine Warnung zu

äußern. »Ich könnte mir vorstellen, daß Theoderich Ravenna mehr oder weniger intakt einnehmen will. Es wird ihm nicht gefallen, daß Ihr die Hauptstadt des Landes in Schutt und Asche legt.«

Lentinus lachte. »Eheu, darum braucht Ihr Euch keine

Sorgen zu machen. Ich will Odoaker nur ein bißchen ärgern und verhindern, daß seine Krieger des Nachts gut schlafen.«

Nach Einbruch der Dunkelheit schwammen einige

Soldaten auf Lentinus' Befehl mit einem khele zur Mitte des Flusses und ließen es flußabwärts treiben. Dann glitten noch zwei weitere hinaus in die Dunkelheit. Als alle drei zu Wasser gebracht waren, ließen wir uns am Flußufer nieder und beobachteten den fernen Abendhimmel, der vom

Widerschein der Lampen und Herdfeuer Ravennas rot

überhaucht war. Wenn die Wachen auf den Stadtmauern die sich nähernden khelai überhaupt erblickten, hielten sie sie vermutlich für im Wasser treibende Baumstämme, weil der Fluß mit Treibholz angefüllt war. Jedenfalls schaffte es zumindest eine der Krebsscheren, durch die Stadtmauer und in die Kanäle der Stadt zu kommen. Wir beobachteten, wie der Himmel plötzlich aufglühte, und wir sprangen alle auf, schrien »Sau« und »Euax!« und schlugen uns gegenseitig auf den Rücken. Das griechische Feuer brannte lange, und wir stellten uns frohlockend vor, wie die Leute dort drüben entsetzt durcheinanderwurlten und vergeblich versuchten, eines Feuers Herr zu werden, das sich unerklärlicherweise nicht mit Wasser löschen ließ.

Als der Abendhimmel wieder seine übliche Farbe

zurückerlangt hatte, sagte ich zu Lentinus: »Ich danke Euch für die Unterhaltung. Morgen werde ich Euch und Eure

Männer Euren Streichen überlassen. Ich reite südwärts und berichte Theoderich, was hier vor sich geht. Und ich werde Eure Erfindungsgabe in den höchsten Tönen loben.«

»Bitte«, sagte er und hob die Hand. »Bitte respektiert meine Neutralität.«

»Also gut. Dann lobe ich eben Eure Neutralität. Neutral oder nicht, Ihr werdet derjenige sein, der uns sofort einen Boten gen Süden schickt, wenn Ravenna des griechischen Feuers überdrüssig wird, seine Speisekammern

leergegessen oder es einfach satt hat, belagert zu werden, und endlich aufgibt.«

Doch Ravenna gab nicht auf.

Gleichgültig blieb es in der Isolation, von seiner Umwelt abgeschlossen. Nicht ein einziger Bote tauchte auf, um über die Bedingungen zu verhandeln, nach denen die Übergabe der Stadt erfolgen sollte. Da für uns nichts mehr zu tun blieb als darauf zu warten, daß die lange Belagerung Odoaker und seine Leute zermürbte, beschloß Theoderich, die Lage zu ignorieren. Er widmete die folgenden Monate der

Regierung seiner neu dazugewonnenen Gebiete, als würde deren verschlossene Hauptstadt und deren verbarrikadierter ehemaliger König nicht existieren.

So begann er beispielsweise, unter seinen Kriegern das gute Land zu verteilen, das sie für ihn gewonnen hatten. Da offenkundig keine weiteren bedeutenden Schlachten

anstanden, verteilte Theoderich seine Truppen in kleinen Streitkräften über das Land. Dann bewilligte er jedem

Soldaten dieser Streitkräfte -

mehr oder weniger in

Nachahmung des traditionellen römischen Systems des

Kolonats - in der jeweiligen Umgebung eine Parzelle (wenn der Soldat Land wollte), die ihm zur freien Verfügung stand: Er konnte das Land bewirtschaften, Vieh darauf weiden oder es bebauen. Natürlich wählten viele auch eine dem Wert der Parzelle entsprechende Summe Geldes, mit dem sie einen Laden, eine Schmiede, einen Stall oder irgendein anderes Geschäft in einer Stadt oder einem Dorf aufmachten.

Tavernen waren sehr beliebt.

Odoaker war durch die Signale seiner Kundschafter

zweifellos über alles informiert, was bei uns geschah. Sicher war er sich auch bewußt, daß sein ehemaliges

Herrschaftsgebiet ihm nicht mehr gehörte und ihm nie mehr gehören würde. Außerdem mußte das Leben hinter

Ravennas Mauern langsam unerträglich sein. Jeder

vernunftbegabte Mensch hätte mittlerweile über einen

Waffenstillstand verhandelt. Noch ein Winter ging vorbei, und kein Laut, kein Bote kam aus den Mauern der Stadt.

Ravenna gab nicht auf.

Da die Siegesveteranen sich nun größtenteils als

Grundbesitzer niederließen und nur zu den Waffen griffen, wenn es unbedingt notwendig war, brachten viele - mit

Theoderichs Erlaubnis und Unterstützung, sogar auf dessen Rat hin - ihre Familien von Moesien nach Italien. Die Kähne, die zuvor unseren Militärbedarf die Donau und die Save hinauftransportiert hatten, waren nun mit Greisen, Frauen und Kindern und Haushaltswaren beladen. Vom Quellfluß

der Save in Noricum Mediterraneum an reisten die Familien über Land, in Wagenkolonnen, die von den Quartiermeistern des Heeres bereitgestellt worden waren, durch Venetien und weiter zu ihrem jeweiligen Reiseziel.

Doch es gibt noch andere Dinge, die ich bezüglich dieser Ansiedlungen erwähnen sollte. Als Theoderich damit

begann, das Land unter seinen Kriegern zu verteilen,

zitterten die Geistlichen in der Annahme, daß ein

»verdammenswerter Arianer« sich selbstverständlich, nach Rache dürstend und frohlockend, des Grunds und Bodens

der Kirche und ihrer persönlichen Besitztümer bemächtigen würde. Tatsächlich ging das Gerücht um, daß der Patriarch Roms, Felix III., als Folge dieser Ängste einem Schlaganfall zum Opfer fiel. Doch ganz nach Odoakers Beispiel unterließ es Theoderich, den Besitz der Kirche auch nur anzutasten, was die Kleriker allerdings nicht hinderte, ihn trotzdem zu verdammen. Dieselben Priester und Bischöfe, die auf den Katholiken Odoaker Loblieder angestimmt hatten, weil er die

»Heiligkeit« ihres Besitzes respektierte, behaupteten nun, Theoderich wage es nicht, ihren Besitz zu beschlagnahmen.

Er sei nicht nur ein verachtenswerter Feind, sondern auch ein Feigling. Wie dem auch sei - Patriarch Felix starb jedenfalls. Sein Nachfolger war ein mürrischer, alter Mann namens Gelasius, der Theoderich neue Sorgen bereitete.

»Bischof Gelasius, oder der Pontifex, wenn Ihr so wollt«, sagte Senator Festus, »steht in Konstantinopel in

schlechtem Rufe.« Der Senator war gerade von seiner

Mission in Konstantinopel zurückgekehrt und zu Theoderich geführt worden. Dies waren seine ersten Worte. Wir starrten ihn alle erstaunt an.

»Was im Namen Plutos schert mich das?« entgegnete

Theoderich. »Ihr wolltet die Frage meiner Anerkennung zum Abschluß bringen. Ist Euch das gelungen?«

»Nein«, antwortete Festus. »Ich wollte Euch schonend

erklären, weshalb Anastasius Euch die Anerkennung

verweigert.«

»Verweigert?«