Das Märchen von der Libelle im Rochen

In einem großen Wasser, auf dem finsteren Grund, lebten vor langer Zeit eine Libellenlarve und ein Rochen. Der war sehr gefräßig und wollte bald auch die Libellenlarve verschlingen. Du darfst mich nur fressen, sagte sie, wenn du mich in ein Mädchen verwandelst. Der Rochen sperrte das Maul auf und verschluckte die Larve. Kaum im Bauch angelangt, wurde sie zu dem Mädchen und lebte fortan im Innern des Fisches. Manchmal erhob er sich aus dem Schlamm und stieg in die oberen Schichten, wohin noch die Strahlen der Sonne drangen, so dass durch seine weiße Unterseite der Umriss eines Kindes schimmerte. Das Mädchen wuchs heran und wurde größer, bald konnte der Rochen es nicht mehr beherbergen. Er schwamm ans Ufer und spuckte seine Bewohnerin aus. Ich lass dich frei, sagte er, aber dafür bringst du mir dein Kind. Andernfalls verwandle ich dich zurück in eine Libelle.

Die schöne junge Frau brachte einen Sohn zur Welt und lebte mit ihm viele Jahre glücklich in einem Haus am Wasser. Als der Junge schon fast ein Mann war, spürte die Mutter, wie sie sich zu verändern begann. Ihr wuchsen Flügelhäute, und sie magerte ab. Immer wieder trieb es sie ans Wasser, wo der Rochen schon wartete. Eines Tages nahm sie ihren Jungen dorthin mit, und trotz seiner Angst vor dem Wasser schwamm er mit ihr hinaus. Als sie weit genug vom Ufer entfernt waren, umarmte sie ihn ein letztes Mal, dann drückte sie ihn in die Tiefe, dem Rochen direkt ins Maul.

Doch als er in den Bauch des Fisches rutschte, verwandelte er sich in eine Libellenlarve. Die war so klein, dass sie durch die Eingeweide hindurch aus dem Rochen herausschwamm und sich im Schlamm versteckte. Dort wartet sie nun auf den Sommer, in dem sie schlüpfen und davonfliegen wird, zurück zur Mutter.