17

Ich schrie, bis mir die Stimme versagte. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich so enden sollte, wollte die Mauern zu Staub brüllen, mich mit bloßen Händen ins Freie graben. Jetzt glaubte ich zu verstehen, wie es den für das Schlachten vorgesehenen Tieren ergehen musste, wenn sie auf ihren Metzger warteten.

Ohne zu merken, was ich tat, hatte ich begonnen, auf und ab zu schreiten. Es war verblüffend, wie viel mir auf einmal klar wurde – verblüffend und erschreckend. Meine Ankunft am Hof musste von Lady Dudley bis in alle Einzelheiten geplant gewesen sein, damit sie die Herzogin zwingen konnte, auf ihren Rang in der Thronfolge zu verzichten. Und wenn das zutraf, wusste Lady Dudley etwas Bestimmtes über mich. Das wiederum war der Grund, warum sie mich in ihre Obhut genommen hatte. Die Frau, die mich verachtet und erniedrigt, zum Ausmisten in den Stall geschickt und meine Auspeitschung befohlen hatte, als ich ein Buch lesen wollte – diese Frau hütete das Geheimnis um meine Vergangenheit.

Il porte la marque de la rose

Eine Welle der Verzweiflung schlug über mir zusammen. Doch ich kämpfte dagegen an, weigerte mich aufzugeben. Das alles konnte ja eine Illusion sein, sagte ich mir, irgendeine Manipulation.

Während ich, von Schmerz und Zorn erfüllt, in meiner Zelle auf und ab lief und im Sinnlosen einen Sinn zu finden suchte, achtete ich nicht auf die feinen Veränderungen in der Luft um mich herum, auf das Gurgeln, das den Anfang vom Ende ankündigte. Doch auf einmal hörte ich Wasser über den Steinboden plätschern, spürte es kalt meine Füße umspülen.

Jäh wirbelte ich herum, nur um zu sehen, wie sich von unten schwarze Fluten auf das Gitter zuwälzten.

Wie angewurzelt stand ich da. Die Flut wurde mächtiger, schneller und trug einen Geruch nach Fäulnis und Meer heran. Mit unaufhaltsamer Gewalt strömte sie durch unterirdische Kanäle in die kleine Zelle. Binnen weniger Minuten war der Boden überschwemmt.

Ich wich zur Tür zurück. Einen Riegel oder ein Schlüsselloch gab es nicht. Mehrere wütende Tritte bestätigten mir, dass ich gar nicht davon zu träumen brauchte, sie aufzubrechen. Angst schnürte mir die Brust zu. Das Flusswasser würde einfach weiter hereindrängen, bis es die Zelle bis zur Decke gefüllt hatte.

Wenn ich keinen Ausweg fand, ertrank ich darin.

Einen Moment lang verweigerte mein Körper jede Bewegung. Dann stürmte ich vorwärts und folgte nur noch meinem Instinkt. Ich erreichte den Rand des Gitters, wobei ich mich der Strömung entgegenstemmen musste, und beugte mich darüber. Dann kniete ich mich auf den Boden, packte die äußere Stange und zerrte unter Aufbietung meiner letzten Kraftreserven an dem Rost. Mochten meine Muskeln von der Anstrengung brennen, die Knie schmerzen und das Wasser mir mittlerweile bis zu den Hüften steigen, ich zog verzweifelt daran.

Nichts. Ich verstärkte meinen Griff, spannte wieder sämtliche Kräfte an. Rostige Metallsplitter bohrten sich mir in die Hände.

»Rühr dich«, flüsterte ich. »Rühr dich. Rühr dich!«

Mit einem Knirschen löste sich das Gitter. Ich riss meine Arme nach oben, um meinen Kopf zu schützen, als ich nach hinten stürzte. Keuchend und schleimiges Wasser ausspuckend, rappelte ich mich auf. Das Gitter hatte sich nur nach außen gedreht. Darunter gähnte ein enger Schlund. Ich konnte mich unmöglich hindurchzwängen.

Unaufhaltsam stieg das Wasser weiter an.

Immer noch konnte ich nicht glauben, dass ich sterben würde.

Szenen meiner kurzen Zeit am Hof zogen an mir vorüber. Wieder sah ich das Tollhaus, das Labyrinth von Whitehall, die Gesichter derer, die ich kennengelernt hatte und die meinen Untergang herbeigeführt hatten. Ich dachte an Peregrine. Von ihnen allen würde er vielleicht als Einziger um mich trauern. Und als ich meine Wehmut nicht mehr ertragen konnte, rief ich mir Kate Stafford ins Gedächtnis und den Moment, als sie mich geküsst hatte. Und ich betrachtete die Zwillingssonnen in Elizabeths Augen.

Elizabeth.

Glühend strömte das Blut durch meine Glieder. Ich konnte spüren, wie das Wasser an mir hochkroch, mit klammen Fingern gierig meine Brust betastete. Dann stellte ich mir den Geschmack des Todes in meinem Mund und die Lungen voller Schlick vor. Wütend fuhr ich herum, hämmerte gegen den noch nicht unter Wasser stehenden oberen Teil der Tür und stieß erneut wilde Schreie aus. Es muss ein Gebrüll wie von wilden Tieren gewesen sein. Ob jemand antwortete, war mir in diesem Moment nicht so wichtig. Ich wehrte mich schlichtweg dagegen, in Stille zu ertrinken.

Dann, wie von der anderen Seite einer Schlucht, vernahm ich plötzlich einen schwachen Ruf. »Brendaaaan!«

Ich hielt inne, presste das Ohr an die Tür, lauschte.

»Brendan! Brendan, bist du da?«

»Ich bin hier! Hier!« Ich trommelte gegen das Holz, bis meine Knöchel bluteten. »Hier! Ich bin hier!« Meine Knie wollten nachgeben, als das gedämpfte Platschen von den durch Wasser watenden Füßen lauter wurde und geradewegs auf mich zukam. »Mach auf! Mach auf!« Unsichtbare Hände ruckelten am Riegel, zogen ihn zurück.

»Vorsicht!«, schrie ich. »Die Zelle ist überflutet. Spring zurück, bevor …«

Ich wurde von den Füßen gerissen und von den hinausflutenden Wassermassen an die Wand gegenüber geschleudert. Nur noch ein formloser, tropfnasser Lumpen, glitt ich zu Boden.

Über dem Tosen herrschte Stille. Sie wurde durchbrochen von einer verängstigten Stimme. »Lebst du noch?«

»Wenn ich tot bin, musst du es auch sein«, murmelte ich. Arme so massiv wie Marmor wuchteten mich hoch. Vor mir standen zwei Gestalten; eine davon war Peregrine. Die andere, ein Riese mit karottenrotem Schopf, kantigem Kinn und von Pickeln verunstaltetem Gesicht, war ein Fremder.

»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Peregrine entsetzt. »Du siehst ja schrecklich aus.«

»Das würdest du auch, wenn dich jemand als Bärenköder benutzt hätte.« Ich blickte den Fremden an. »Danke.«

Der Riese nickte. Seine von Sommersprossen bedeckten Hände, groß wie Schaufeln, hingen reglos an ihm herab. Ich wandte mich Peregrine zu. »Wie habt ihr mich gefunden?«

»Das hier.« Er zeigte mir mein zerknittertes Wams. »Wir haben es am Eingang liegen sehen. Und als Barnaby einen Mann weglaufen sah, haben wir uns auf die Suche nach dir gemacht.«

»Dieses alte Kloster mit den unterirdischen Kreuzgängen und Zellen gehörte früher den Greyfriars«, ergänzte der Mann namens Barnaby, »aber dann hat Henry sie rausgeworfen. Es ist seit Jahren verwaist. Wenn sich jetzt noch jemand hier herumtreibt, verfolgt er höchstwahrscheinlich keine guten Absichten. Und als ich diesen Mann sah, war mir sofort klar, dass etwas nicht stimmte.«

Ich zog das Wams wieder an, dankbar, etwas Trockenes am Leib zu haben. Ich war bis auf die Knochen durchgefroren.

»So richtig konnten wir ihn nicht sehen«, berichtete Peregrine weiter. Er war aufgeregt, jetzt, da ihm dämmerte, dass sie mir gerade das Leben gerettet hatten. »Es war schon zu dunkel, und er war ganz in Schwarz gekleidet. Aber Barnaby ist er trotzdem aufgefallen. Der Bursche hat richtige Habichtsaugen – zu deinem Glück. Und wenn wir nicht zufällig dein Wams entdeckt hätten, wären wir nie auf die Idee verfallen, hier unten nach dir zu suchen.« Er verstummte und betrachtete mich voller Ehrfurcht. »Jemand muss sich deinen Tod wirklich dringend gewünscht haben.«

»Allerdings. Hatte dieser Mann jemanden dabei?« Eigentlich hatte ich es gar nicht mehr nötig, mich nach dem Mann in Schwarz zu erkundigen. Ich wusste ja längst, wer er war.

Barnaby schüttelte den Kopf. »Er war allein. Merkwürdig – man hätte meinen können, er wollte von uns gesehen werden. Er hätte alle möglichen Wege nehmen können, legte es aber darauf an, unmittelbar vor unseren Augen herumzuspazieren.«

Endlich hatte ich Zeit, mich zu sammeln. Ich fuhr mir mit der Hand durch das schlammbedeckte Haar, dann verbeugte ich mich vor dem jungen Riesen. »Ihr müsst Master Fitzpatrick sein, König Edwards Freund. Darf ich mich Euch vorstellen? Ich bin Brendan Prescott. Ich verdanke Euch mein Leben.«

Er konnte nicht älter als achtzehn Jahre sein. Groß und von der Statur eines Wachturms, war er trotz seines pickligen Gesichts und seiner unter der Kappe hervorquellenden strähnigen roten Mähne alles andere als hässlich – im Gegenteil. Der Größe seiner Hände und des durchnässten Wamses nach zu schließen, musste er derjenige gewesen sein, der die Tür zur Zelle geöffnet hatte.

In beiläufigem Ton erklärte Barnaby: »Peregrine hat mir gesagt, wer Ihr seid. Ihr gehört zu den Bediensteten der Dudleys. Außerdem hat er mir erzählt, dass Ihr ein Freund Ihrer Hoheit seid. Sie ist wie eine Schwester für mich. Und das ist der Grund, warum ich sofort bereit war, Euch zu helfen. Aber ich muss Euch warnen. Wenn Ihr Böses gegen sie im Schilde führt« – zur Bekräftigung seiner Worte schüttelte er seine gewaltigen Fäuste –, »werden Euch die Folgen nicht gefallen.«

Ich nickte. »Vertraut mir ruhig. Ich will ihr nichts Böses. Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich Euch alles ausführlich erklären, aber leider müssen wir schleunigst handeln. Die Prinzessin ist in Gefahr.« Ich richtete mich auf und riss die knisternde Fackel aus ihrer Verankerung in der Mauer.

»Seine Majestät ist in Greenwich, in den Geheimgemächern«, meldete sich Peregrine zu Wort. »Barnaby hat mir gesagt, dass er sich hier schon seit Wochen aufhält. Habe ich dir nicht versprochen, dass ich alles für dich auskundschafte, worum du mich bittest?«

Mein Blick wanderte über die Flamme hinweg zu Barnaby. Der starrte mich mit grimmigem, entschlossenem Blick an. Wir setzten uns in Bewegung. Dabei mussten wir immer wieder durch knöcheltiefes Wasser waten. Als wir die Treppe erreicht hatten, wagte ich zu fragen: »Ist Seine Majestät sehr krank, Master Fitzpatrick?«

»Edward liegt im Sterben«, murmelte Barnaby mit brechender Stimme.

Nach längerem Schweigen erklärte ich: »Das tut mir leid. Nicht nur um ihn, sondern auch, weil Ihre Hoheit doch so sehr hoffte, ihn wiederzusehen. Jetzt fürchte ich, dass das nicht mehr möglich sein wird. Ich kann nur dafür beten, dass sie auf mich hört.«

»Auf mich wird sie hören«, verkündete Barnaby mit einer Selbstsicherheit, die ich als äußerst beruhigend empfand. »Ihre Hoheit, Seine Majestät und ich sind zusammen aufgewachsen. Sie und ich haben zusammen an Edwards Unterrichtsstunden teilgenommen. Wir waren sogar diejenigen, die Edward das Reiten beigebracht haben.« Ein Lächeln flackerte über seine Lippen. »Der alte König Henry brüllte immer vor Lachen, wenn Edwards Lehrer angerannt kamen und jammerten, dass wir bestraft gehörten, weil wir Seine Hoheit in große Gefahr brächten.«

Er richtete seine dunkelblauen Augen auf die meinen. Sein Lächeln erstarrte zu einer Grimasse. »Sie weiß, dass ich nie von Edwards Seite weichen würde, außer man zwingt mich dazu. Und genauso weiß sie, dass ich sogar im Exil einen Weg finden würde, über ihn zu wachen. Auf mich wird sie hören, vor allem, wenn ich ihr über den Herzog berichte.«

Wir erreichten den Park. Noch nie war ich für frische Luft so dankbar gewesen wie jetzt. Über dem Palast stiegen Lichtfontänen in den Himmel und drehten sich Feuerräder, bis sie explodierten, um dann in vielen Farben glitzernde Sterne auf die Zuschauer herabregnen zu lasssen, die eng aneinandergedrängt auf den Balkonen standen und gebannt in den Himmel schauten.

Siedend heiß fiel mir das Rendezvous ein. »Das Feuerwerk! Schnell, wo geht es zum Pavillon?«

Peregrine stürzte nach links davon. Wir folgten ihm sogleich, und nachdem wir durch eine Serie von überwucherten Zierhecken gebrochen waren, erkannte ich vor mir den Pavillon. Im stillen Wasser des Sees spiegelte sich das kunstvolle Spektakel, ja, fast schien es, als brächte er es selbst hervor. Im Näherkommen erspähte ich eine Silhouette in Schwarz, die vor der Balustrade stand. Ein, zwei Schritte von ihr entfernt bemerkte ich eine zweite Person, die in den Park hinaussah.

»Gebt mir einen Moment mit ihr«, bat ich Barnaby. »Ich will sie nicht überrumpeln.« Er zeigte mit einem Nicken sein Einverständnis, und während er und Peregrine sich niederkauerten, wagte ich mich in das von Mondlicht und künstlichem Feuer erhellte Freie.

Die Gestalt in Schwarz wandte sich zu mir um. Ich trat näher und sank vor ihr auf die Knie. Kate, die an ihrer Seite stand, schnappte erschrocken nach Luft. Ich hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich mit meiner verschmutzten Kleidung, den Blutergüssen, Schnittwunden und meinem blutverkrusteten Gesicht einen fürchterlichen Anblick bieten musste.

Es sprach für Elizabeth, dass sie sich eines Kommentars enthielt, auch wenn ihr die Sorge deutlich anzumerken war. »Junker Prescott, erhebt Euch bitte.« Sie hielt kurz inne. »Ist es nicht ein bisschen spät für ein Bad im See?«

Ich grinste schief. »Ein Unfall, Eure Hoheit. Es sieht schlimmer aus, als es ist.«

»Gott sei Dank.« Ihre Augen glänzten. Ihr mit eingeflochtenen Perlen geschmücktes Haar lockte sich in ihrem Nacken. Sie wirkte entwaffnend jung, und die Strenge ihres schwarzen Umhangs mit der Halskrause und den Seidenbündchen an den Handgelenken betonte ihre zierliche Figur. Nur ihre Hände verrieten sie, diese zarten Finger, die nervös ein Taschentuch kneteten.

»Nun?«, forderte sie mich auf. »Werdet Ihr sprechen? Hat ein Unfall auch Euren Herrn aufgehalten?«

»Eure Hoheit, leider überbringe ich eine Nachricht über Seine Majestät, Euren Bruder. Und über Eure Cousine, Lady Jane.« Ich zögerte und benetzte meine ausgetrockneten Lippen. Auf einmal wurde mir klar, wie unwahrscheinlich, ja grotesk meine Geschichte klingen würde, zumal ich keinerlei Beweise in Händen hatte. Und dann erfasste mich auch noch eine beunruhigende Vorahnung, dass sie bereits genau wusste, was ich ihr mitteilen würde.

»Ich höre«, sagte sie.

»Seine Majestät, Euer Bruder, liegt im Sterben«, erklärte ich leise. »Der Herzog hält seine Krankheit geheim, damit er Lady Jane und seinen Sohn Guilford auf den Thron setzen kann. Er plant, Euch und Eure Schwester, Lady Mary, gefangen zu nehmen und im Tower unter Hausarrest zu stellen. Wenn Ihr in Greenwich bleibt, kann niemand für Eure Sicherheit bürgen.«

Ohne die Augen von mir abzuwenden, fragte Elizabeth: »Kate, trifft das zu?«

Kate Stafford trat vor. »Leider ja.«

»Und du wusstest Bescheid? Cecil … wusste Bescheid?«

»Nicht über alles.« Kate wich meinem Blick nicht aus, obwohl sie gerade bestätigt hatte, dass sie mit Cecil zusammenarbeitete. »Aber ich habe nicht die geringsten Zweifel an Junker Prescotts Wort. Er hat offenbar gute Gründe, das zu melden.«

Elizabeth nickte. »Auch ich habe nicht die geringsten Zweifel. Seit dem Tag, als Northumberland mir die Bitte nicht gewährte, Edward zu besuchen, hege auch ich den Verdacht, dass etwas dieser Art im Gange ist. Wahrscheinlich kann ich von Glück reden, dass ich noch frei bin.« Sie hielt inne. Ihre Augen ruhten weiter auf mir. »Wisst Ihr, warum man mich noch nicht verhaftet hat?«

Ich nickte. »Ich glaube, Seine Lordschaft hat es noch nicht gewagt. Er fürchtet, es könnte Eurer Schwester zu Ohren kommen und sie dazu veranlassen, außer Landes zu fliehen. Damit wäre auch erklärt, warum er meinem Herrn, Lord Robert, befohlen hat, zuerst sie gefangen zu nehmen. Es heißt, jemand am Hof würde sie mit Informationen versorgen.«

»Dessen bin ich mir sicher«, bestätigte Elizabeth. »Schließlich sprechen wir von John Dudley. Inzwischen hat er sich mehr Menschen zu Feinden gemacht, als Mary das jemals könnte.«

»Dann dürfen wir Euer Glück nicht länger herausfordern. Ich habe Freunde, die Euch helfen können, ihm zu entkommen. Selbst der Gefährte Seiner Majestät, Master Fitzpatrick …«

»Nein.«

Einen Moment lang schienen sogar die letzten Explosionen des Feuerwerks innezuhalten.

»Nein?« Ich war überrascht. Sicher hatte ich mich verhört.

»Nein.« Ihr Gesicht zeigte feste Entschlossenheit. »Ich verlasse Greenwich nicht. Noch nicht.«

»Nach allem, was wir gerade vernommen haben, kann Eure Hoheit doch nicht planen hierzubleiben!«, rief Kate. »Das wäre Wahnsinn. Wir haben Master Cecil versprochen, dass Ihr …«

»Ich weiß, was wir versprochen haben. Ich habe gesagt, dass ich seinen Rat in Erwägung ziehen würde. In Erwägung ziehen, Kate, nicht beherzigen. Und jetzt muss ich mein Vorhaben ausführen. Ich könnte nicht in dem Bewusstsein weiterleben, das versäumt zu haben.«

»Mylady«, begehrte ich auf und bekam dafür die volle Wucht ihres Blicks zu spüren. »Ich bitte Euch«, fuhr ich gedämpfter fort, »überlegt es Euch noch einmal. Was Ihr auch tut, Ihr habt es nicht in der Hand, den Herzog von seinem Weg abzubringen. Ebenso wenig könnt Ihr hoffen, Seine Majestät zu retten. Unter den augenblicklichen Bedingungen müsst Ihr zusehen, dass Ihr Euch selbst rettet, um Englands willen.«

Sie schürzte die Lippen. »Ich höre Cecil durch Euch sprechen, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Bleibt Euch selbst treu, Prescott. So seid Ihr mir lieber – frech, tollkühn und zu allem entschlossen, was eben nötig ist.«

Ich hätte vielleicht gelächelt, wäre die Lage nicht so ernst gewesen. »Gut. Frech, wie ich bin, muss ich dann darauf hinweisen, wie gefährlich es für Euch wäre, die Verabredung mit meinem Herrn einzuhalten. Lord Robert strebt nach höheren Zielen, als es Eure Hoheit ahnt. Er wird Euch auf jede ihm mögliche Weise täuschen. Er hat sich geweigert, Eure Schwester zu verfolgen, weil er glaubt, dass Ihr seinen Hochzeitsantrag annehmt.«

Auf ihrem Gesicht ging eine Veränderung vor sich, fast unmerklich zwar, doch ich nahm sie wahr. Die zarte Haut um ihre Mundwinkel straffte sich, und durch ihre Augen zuckte ein dunkler Strahl.

»Und ich«, sagte sie sanft, »weiß am besten, wie ich mit ihm umzugehen habe.« Sie reckte das Kinn vor. »Außerdem ist es jetzt zu spät. Da kommt er.«

Ich wirbelte herum. Kate riss mich zurück. »Schnell!«, zischte sie. »Versteckt Euch!«

Ich kletterte über die Balustrade und landete mit einem – wie es mir vorkam – ohrenbetäubenden Lärm in den Hagedornbüschen auf der anderen Seite. »Sehr anmutig«, murmelte Peregrine. Er und Barnaby waren lautlos herangeschlichen. Beide waren mit Dolchen bewaffnet. Peregrine reichte mir einen. Mein alter Dolch, den mir Master Shelton geschenkt hatte, fiel mir wieder ein. Ich hatte mit Stokes noch ein Hühnchen zu rupfen, allein schon wegen des Diebstahls des guten Stücks. Was meine Kappe betraf, war sie anscheinend endgültig verloren.

Durch das Laub beobachtete ich, wie Robert den Weg entlanglief. Er hatte mich aufgefordert, heute Abend pünktlich zurückzukehren, damit ich ihm beim Ankleiden helfen konnte. Obwohl er das nun hatte allein erledigen müssen, war es ihm gut gelungen. In einem Wams aus Goldbrokat, besetzt mit funkelnden Opalen, das ihn ein Vermögen gekostet haben musste, gab er eine beeindruckende Figur ab. Kurz blieb er stehen, um seine mit Feder und Juwelen geschmückte Kappe abzunehmen, dann stieg er die Stufen zum Pavillon hinauf. Dort oben kamen seine hohen Lederstiefel und die goldenen Sporen erst richtig zur Geltung.

Vor Elizabeth ließ er sich auf ein Knie sinken. »Ich bin von Freude überwältigt, Eure Hoheit sicher und bei bester Gesundheit anzutreffen.« Selbst in dem nach allen Seiten offenen Pavillon war sein Moschusparfum schier überwältigend, und irgendwie erinnerte er in der Tat an einen mächtigen Stier im besten Mannesalter.

Weder reichte ihm Elizabeth die Hand, noch gestattete sie ihm, sich zu erheben. Während sie ihr Taschentuch unter die Halskrause schob, antwortete sie: »Über meine Gesundheit kann ich nicht klagen. Wie es um meine Sicherheit steht, wird sich noch erweisen. Dieser Hof war noch nie eine Zufluchtsstätte für mich.«

Er blickte auf. Sie hatte in leichtem, fast beiläufigem Ton gesprochen, doch selbst er hätte nicht missverstehen können, was sie in Wahrheit meinte. Dennoch stellte er sich unwissend. Mit rauer Stimme erwiderte er: »Wenn Ihr es mir gestattet, mache ich diesen Hof und das ganze Königreich zu Eurer Heim- und Zufluchtsstätte zur Mehrung Eures Ruhms.«

»Ja.« Sie lächelte. »Das würdet Ihr für mich tun, nicht wahr, mein lieber Robin? Seit unseren Kindertagen habt Ihr mir schon immer das Blaue vom Himmel herunter versprochen.«

»Das tue ich immer noch. Ihr könnt von mir alles haben, was Ihr Euch wünscht. Ihr braucht nur darum zu bitten, und es gehört Euch.«

»Nun gut.« Sie fixierte ihn. »Ich möchte meinen Bruder sehen, bevor er stirbt, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen.«

Robert erstarrte. Immer noch zu dieser unbequemen Haltung auf den Knien gezwungen, benötigte er eine ungewöhnlich lange Zeit, bis er stammelte: »Ich … ich darf nicht wagen, darüber zu sprechen. Und auch Ihr dürft das nicht.«

»Oh?« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Warum nicht? Freunde haben doch sicher nichts voreinander zu verbergen?«

»Wir nicht. Aber es ist Hochverrat, über eine solche Angelegenheit zu spekulieren, wie Ihr sehr wohl wisst.«

Sie lachte hellauf. »Es erleichtert mich zu hören, dass wenigstens ein Mitglied Eurer Familie noch ein Gewissen hat! Und dass mein Bruder – dem Anschein nach – noch lebt. Sonst wäre es ja kein Hochverrat mehr, über sein Ableben zu spekulieren, nicht wahr?« Sie machte eine Pause. »Habt Ihr nicht gesagt, ich könnte alles haben, was ich mir wünsche? Würdet Ihr mich tatsächlich in der Stunde meiner größten Not im Stich lassen?«

»Ihr spielt mit mir!« Er sprang auf – ein übermächtiger Hüne im Vergleich zu ihrer zierlichen Gestalt. »Ich bin nicht zum Spielen gekommen. Ich bin gekommen, um Euch zu warnen: Euer Recht auf den Thron ist in Gefahr.«

»Ich habe gar kein Recht darauf«, konterte sie schlagfertig. Gleichwohl bemerkte ich, dass ihre Stimme etwas weniger entschlossen klang, nachgiebiger. »Meine Schwester Mary ist die Erbin, nicht ich. Wenn Ihr also jemanden warnen müsst, dann sie.«

Robert ergriff ihre Hand. »Ich bitte Euch. Wir sind keine Kinder mehr. Wir müssen nicht mehr herausfinden, wer wen übertölpeln kann. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das Volk Eure Schwester nicht als seine Königin haben will. Sie steht für Rom und die Vergangenheit, für alles, was es verabscheut.«

»Und doch ist sie die rechtmäßige – die einzige – Erbin«, wandte Elizabeth ein. Sie entzog ihm ihre Hand. »Und wer kann schon sagen, was kommt? Mary könnte die Konfession wechseln, wozu dieser Tage ja viele neigen. Schließlich ist sie eine Tudor, und wir gehören bekanntlich nicht zu denjenigen, die sich von der Religion behindern lassen.«

Robert betrachtete sie mit beunruhigender Vertrautheit. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie viel gemeinsame Geschichte sich in zwanzig Jahren ansammeln mochte, wie zwei Kinder, die in einer Welt der Intrige und Täuschung aufgewachsen waren, dazu kommen konnten, sich in fast allem aufeinander zu verlassen.

»Haltet Ihr mich für einen Narren?«, beschwerte sich Robert. »Ihr wisst genau, dass Mary ihren Glauben zur Not mit dem eigenen Leben verteidigen würde. Ihr wisst das. Der Kronrat weiß es. Euer Bruder, der König, weiß es, und …«

»Euer Vater weiß es von allen am besten«, unterbrach ihn Elizabeth. »Man könnte sogar sagen, er baut darauf.« Sie musterte ihn mit einem – trotz aller Vertrautheit – abschätzenden Blick, der ihn wie einen Anfänger wirken ließ. »Ist das der Grund, warum Ihr mich treffen wolltet? Sind wir einander in den letzten zwei Tagen aus dem Weg gegangen, nur damit Ihr mir sagen könnt, dass meine Schwester den Thron wegen des Glaubens, zu dem sie erzogen wurde, nicht besteigen darf?«

»Himmelherrgott! Ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass in den Augen des Volkes nur Ihr – und sonst niemand – das Recht habt, Königin zu sein. Ihr seid die Prinzessin, die es verehrt; Ihr seid diejenige, auf die es wartet. Es würde zu den Waffen greifen, um Euch auf den Thron zu helfen. Ihr bräuchtet es nur zu befehlen. Die Leute würden Euch mit ihrem Leben verteidigen.«

»Würden sie das?« Elizabeths Worte waren eine grausame Liebkosung. »Es gab eine Zeit, als sie dasselbe für Marys Mutter getan hätten. Damals war Katharina von Aragón für das Volk die rechtmäßige Königin, und meine Mutter war die verhasste Usurpatorin. Wollt Ihr, dass ich die Rolle einer Toten übernehme?«

Die Luft knisterte, die Spannung war förmlich mit Händen zu greifen. Zwischen den beiden gab es tatsächlich eine lange Geschichte, und es waren Gefühle im Spiel – zu viele, wie ich fand. So erhielt ich meinen ersten Einblick in eine Leidenschaft, die so tief, so explosiv war, dass sie, wurde sie erst einmal entfesselt, alles um sich herum zerstören konnte.

»Warum müsst Ihr mich immer verspotten?«, beklagte sich Robert mit bebender Stimme. »Ihr fürchtet doch ebenso wie ich, dass Mary den Thron besteigt. Ihr wisst, dass damit das Ende der Kirche besiegelt wäre, die Euer Vater gegründet hat, um Eure Mutter heiraten zu können. Dann wären alle Hoffnungen auf Frieden und Wohlstand ein Trümmerhaufen. Mary wird uns in kürzester Zeit die Inquisition auf den Hals hetzen. Darum stehen das Volk und der größte Teil des Adels auf Eurer Seite. Und ich! Wer es wagt, Euer Recht anzuzweifeln, bekommt mein Schwert zu spüren!«

Sie musterte ihn schweigend. Von meinem Versteck aus konnte ich sie zögern sehen und erkannte an ihrer bestürzten Miene, dass sie mit einem Mal begriff, was alles auf dem Spiel stand und wie viel sie gewinnen konnte. Zugleich führte ich mir vor Augen, welchen inneren Kampf sie in diesem Moment ausfocht, denn sie musste sich ja irgendwie mit der von dem Blut ihrer Mutter besudelten Vergangenheit aussöhnen, nachdem Henry diese hatte hinrichten lassen. Schließlich brach sie ihr Schweigen. »Mein Recht, sagt Ihr? Ist es wirklich mein Recht? Oder meint Ihr unseres

»Das ist doch ein und dasselbe«, erwiderte Robert hastig. »Ich lebe, um Euch zu dienen.«

»Hehre Worte. Sie könnten mich anrühren, hätte ich nicht schon einmal ähnliche gehört.«

Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich Zeuge, wie es Robert Dudley die Sprache verschlug.

»Wollt Ihr wissen, von wem?«, fragte Elizabeth. »Das war Euer Vater. Jawohl, liebster Robin – Euer Vater hat mir heute Nachmittag so ziemlich dasselbe angeboten. Er hat sogar dieselben Argumente benutzt und mich mit denselben Verlockungen zu ködern versucht.«

Robert stand da wie vom Donner gerührt.

»Ihr könnt Mistress Stafford fragen, wenn Ihr mir nicht glaubt«, sagte Elizabeth. »Sie hat ihn meine Gemächer verlassen sehen. Er ist hereingeplatzt – als ich im Bett lag – und hat mir in Aussicht gestellt, mich zur Königin zu machen, wenn ich in eine Hochzeit mit ihm einwillige. Er hat mir versprochen, mir zuliebe seine Frau – Eure Mutter – aus dem Weg zu räumen. Oder vielmehr meiner Krone zuliebe. Denn natürlich müsste ich ihn zum König krönen. Nicht zum Prinzgemahl, sondern zum König aus eigenem Recht. Dann könnte er nämlich im Falle meines Todes – zum Beispiel wegen Kindbettfieber, wie das so häufig geschieht – weiterhin herrschen und den Thron seinen eigenen Erben hinterlassen, unabhängig davon, ob sie von mir stammen oder nicht.«

Ein anmutiges und doch unversöhnliches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ihr müsst mir also verzeihen, wenn ich jetzt nicht die Begeisterung zeige, die Ihr Euch erhofft habt. Was die Dudleys betrifft, bin ich fürs Erste von jeder Begeisterung kuriert.«

Ich lauschte gebannt. Mir gegenüber hatte sie kein Wort von alldem erwähnt. Jetzt war mir freilich klar, warum Northumberland sich dafür entschieden hatte, Jane Grey auf den Thron zu setzen. Als erfahrener Höfling hatte er immer einen Ersatzplan, falls seine erste Wahl scheiterte. Seine Erklärung in Whitehall am Abend von Elizabeths Ankunft war nichts anderes als eine verhüllte Warnung gewesen, dass er bereit war, sie zu vernichten, wenn sie sich ihm in den Weg stellte. Und genau das hatte sie getan: Sie hatte ihn abgewiesen, all seinen Machenschaften eine Absage erteilt und ihm damit ihrerseits den Krieg erklärt.

Wie Cecil vermutet hatte, hatte der Herzog sie unterschätzt.

Robert starrte sie fassungslos an. Aus seinem sonnenverbrannten Gesicht wich jede Farbe. Er tat mir beinahe leid, als er benommen stammelte: »Mein … Vater … hat um … Eure Hand … angehalten?«

»Ihr wirkt überrascht. Das verstehe ich nun wirklich nicht. Der Apfel fällt doch nicht weit vom Stamm, wie es so schön heißt.«

Mit einem Mal richtete er sich mit solcher Wut vor ihr auf, dass ich mich unwillkürlich dazwischenwerfen wollte, doch Barnabys Pranke schloss sich wie ein Schraubstock um meine Schulter und hielt mich zurück. Und Kate, die bis dahin regungslos geblieben war, warf einen drohenden Blick in meine Richtung. Gleichwohl griff ich nach meinem Dolch. Unterdessen wanderte Kates Hand unter ihren Umhang, wo sie zweifellos einen ähnlich scharfen Gegenstand verbarg. Das bestätigte mir, dass sie ihrer Herrin treu ergeben war.

Robert packte Eizabeth wütend am Arm und riss sie mit solcher Brutalität an sich, dass sich ihre Haare lösten, über ihre Schultern fielen und die Perlen über den Boden des Pavillons kullerten.

»Du lügst! Du lügst, und du spielst mit mir! Wie eine läufige Hündin. Und trotzdem will ich dich, so wahr mir Gott helfe!« Er umfasste ihren Nacken und presste seine Lippen auf die ihren. Sie riss sich mit einer schneidenden Bemerkung los, die wie ein Peitschenhieb durch die Luft gellte, und versetzte ihm mit der flachen Hand einen Schlag quer über das Gesicht. Dabei kratzten ihre Ringe ihm die Haut auf und zerfetzten seine Lippen.

»Lasst mich auf der Stelle los!«, zischte sie. »Oder ich dulde Euch nie wieder in meiner Nähe, das schwöre ich bei Gott!«

Ihre Worte trafen ihn noch härter als der Schlag. Benommen und mit blutenden Lippen stand Robert da, dann wich er zurück. Eine Weile beäugten sie sich wie zwei Ringer, beide schwer atmend, aber schließlich löste sich die Wut in seinem Gesicht nach und nach auf, und seine Augen nahmen einen kummervollen Ausdruck an.

»Dann zieht Ihr es nicht in Erwägung? Ihr würdet ihn nicht heiraten, um mir eins auszuwischen?«

»Wenn Ihr das glaubt, seid Ihr noch verblendeter als er«, entgegnete sie, doch jetzt zitterte ihre Stimme, als kämpfte sie gegen eine Unsicherheit an, die ihr die Kraft zu rauben drohte. »Als ob ich, von Geburt und Erziehung eine Prinzessin, jemals einen Dudley von niedrigerem Geblüt seine Brunst in meinem Bett austoben ließe. Lieber sterbe ich!«

Er zuckte zusammen. Dann versteinerten seine Züge. Es war ein schrecklicher Moment, der nichts weniger als das Ende ihres seit Kindertagen bestehenden Vertrauens bedeutete. Noch nie hatte eine Frau Robert Dudley gedemütigt. Bisher hatte er jede, die er gewollt hatte, auch bekommen. Doch bei all seinem Einfallsreichtum, seiner Eitelkeit und seiner Verstellungskunst begehrte er nur eine Frau wirklich, und die hatte ihn gerade mit einer Kaltschnäuzigkeit zurückgewiesen, die ihn wie ein Lanzenhieb mitten ins Herz traf.

Er straffte sich. »Ist das Euer letztes Wort?«

»Es ist mein einziges Wort. Ob König oder Gemeiner, ich werde keines Mannes Opfer sein.«

»Und was, wenn dieser Mann Euch seine Liebe erklärt?«

Sie schnaubte. »Wenn das gerade die Liebe eines Mannes war, dann möge mir Gott mehr davon ersparen.«

»Von mir aus!«, brüllte er. »Dann verliert Ihr eben alles – Land, Krone, Freiheit! Sie werden Euch alles wegnehmen und Euch nichts mehr lassen außer Eurem verdammten Stolz. Ich liebe Euch. Ich habe Euch immer geliebt, aber da Ihr nichts davon wissen wollt, lasst Ihr mir keine andere Wahl, als dem Befehl meines Vaters zu gehorchen. Dann verfolge ich eben Eure Schwester, verhafte sie und sperre sie in den Tower. Und, Elizabeth, so wahr Gott mein Zeuge ist, wenn er mich das nächste Mal an die Spitze eines Trupps Soldaten stellt, kann ich Euch nicht versprechen, dass dann nicht ich vor Eurem Haus in Hatfield stehen und an die Tür klopfen werde.«

Sie reckte das Kinn vor. »Sollte das geschehen, werde ich dankbar dafür sein, ein vertrautes Gesicht zu sehen.«

Eine wütende Verbeugung, dann drehte sich Robert um und rannte die Treppe in Richtung Palast hinunter. Binnen Sekunden hatte ihn die Nacht verschluckt. Kaum war er verschwunden, begann Elizabeth zu schwanken. Kate stürzte zu ihr.

»Möge Gott mir helfen«, flüsterte sie. »Was habe ich getan?«

»Das, was Ihr tun musstet«, erklärte Kate. »Das, was die Würde von Eurer Hoheit erfordert.«

Elizabeth starrte sie an. Ein zittriges Lachen entwich ihr. »Junker Prescott!«

Ich richtete mich auf und klopfte mir totes Laub von der feuchten Hose. Beim Näherkommen bemerkte ich in Elizabeths Augen eine Angst, zu der sie sich nie bekennen würde. »Ihr habt mir gesagt, mein Leben sei in Gefahr. Anscheinend hattet Ihr recht. Was machen wir nun?«

»Diesen Ort verlassen, Hoheit«, sagte ich rasch. »Und zwar, bevor Lord Robert seinem Vater alles beichtet. Sobald er das getan hat, werden sie Euch ergreifen müssen. Ihr wisst ohnehin schon zu viel.«

»Merkwürdig«, murmelte sie, während Kate ihren Umhang von der Balustrade nahm und ihr über die schmalen Schultern legte. »Offenbar kennt Ihr ihn nicht so gut, wie man das unter Jungen, die zusammen aufgewachsen sind, eigentlich tun sollte. Robert wird mit dieser Sache nie zu seinem Vater rennen. Ich habe ihn an seiner verwundbarsten Stelle getroffen und verletzt, und das wird er mir nie vergeben oder vergessen, aber er wird nicht mithilfe des Herzogs nach Rache streben. Nein, seit heute hasst er Northumberland noch mehr als ich. Vielleicht tut er, was ihm sein Vater befiehlt, und führt Mary als Jagdbeute heim, denn das verlangt allein schon sein Mannesstolz, aber freiwillig wird er niemals die Meute seines Vaters auf mich hetzen.«

»Was immer er tun wird, wir können nicht warten, bis wir es wissen.« Ich wandte mich an Kate. »Gibt es Anweisungen von Cecil, die wir kennen müssen?«

Eine Geringere als Kate wäre angesichts meines Tonfalls zurückgeprallt, doch sie sah mir fest in die Augen. »Ich soll Ihre Hoheit zur Pforte bringen. Dort warten Pferde und Geleitschutz auf uns. Aber mit Euch hat niemand gerechnet.«

Elizabeth räusperte sich. »Mich überwältigen die Sorgen und die Anstrengungen, die man mir zugemutet hat, aber ich habe nicht die geringste Absicht, meinen Araberhengst, Cantila, zurückzulassen, damit der Herzog ihn reiten kann. Dafür ist er mir als Freund zu wertvoll.« Ihre Lippen kräuselten sich. »Apropos Freunde, habt Ihr nicht gesagt, Ihr hättet welche hier in der Nähe?«

Wie auf Kommando sprang Peregrine aus seinem Versteck. »Ich hole sofort das Pferd Eurer Hoheit!« Hinter ihm erhob sich Barnaby, sank steif auf die Knie und offenbarte mit einer Verneigung das in seinem Haar hängen gebliebene Laub. »Mylady«, sagte er mit einer Wärme, wie sie nur in Jahren der Vertrautheit entstehen kann.

»Barnaby Fitzpatrick!« Sie seufzte. »Wie ich mich freue!« Mit einem schiefen Lächeln wandte sie sich Peregrine zu. »Arbeitest du nicht in den Stallungen von Whitehall? Wo ist mein Hund?«

Peregrine blickte sie mit unverhohlener Bewunderung an. »Urian ist in Sicherheit. Er ist bei Cantila im Stall. Ich bringe ihn mit, wenn Ihr wollt. Braucht Ihr sonst noch etwas? Es wäre mir eine Ehre.«

»Er macht keine leeren Versprechungen«, ergänzte ich, dann warf ich Peregrine einen Blick zu. »Mein Freund, Cinnabar ist auch dort, falls du das vergessen haben solltest. Und sein Sattel liegt unter dem Stroh.«

Peregrine nickte verlegen. »Dann ist das also geregelt«, stellte Elizabeth fest. »Unser Freund hier holt meinen Hund und die Pferde und trifft uns bei der Pforte. Ich habe einen Freund außerhalb von Greenwich, wo wir Zuflucht finden, falls der Herzog Truppen nach uns entsendet. Im Augenblick halte ich es nicht für allzu klug, nach Hatfield zurückzukehren.« Sie hielt inne. Und als ich sah, wie ihre Züge sich anspannten, überlief mich ein kalter Schauer. Auch wenn ich schon ahnte, was sie sagen würde, brachte es mich dennoch aus der Fassung.

»Aber bevor wir irgendwohin reiten, muss ich Edward sehen.«