14

Sobald ich Roberts Gemach verlassen hatte, rannte ich durch die Galerie, um an einer menschenleeren Ecke stehen zu bleiben und das Siegel auf Lord Roberts Antwort zu untersuchen. Ich stieß einen Fluch aus. Das Wachs war noch nass. Wenn ich jetzt versuchte, das Siegel zu brechen, würde ich das Papier zerstören. Mit dem Vorsatz, so lange zu trödeln, bis es hinreichend trocken war, trat ich in den Hof.

Jetzt nur nicht überstürzt handeln, hielt ich mir vor. Alles, was ich unternahm, konnte sich gegen mich wenden. Dennoch konnte ich Roberts Antwort nicht einfach überbringen und dann abwarten, was als Nächstes geschehen würde. Die Jagd hatte begonnen. Wenn ich mich nicht täuschte, würde Elizabeth die erste von den zwei königlichen Schwestern sein, die im Tower endete. Das war sogar unausweichlich, wenn Robert erfuhr, dass sie nie einem Komplott zustimmen würde, das auf den Tod ihrer beiden Geschwister hinauslief. Dringend wollte ich jetzt mit Cecil sprechen, hatte aber keine Ahnung, wie ich den Sekretär erreichen konnte – was nicht gerade für meine Fähigkeiten als frischgebackener Spion sprach.

Ich würde Elizabeth also bei der Übergabe des Briefs warnen müssen.

Das bedeutete freilich, dass ich eine persönliche Begegnung bewerkstelligen musste.

Ich durchquerte den Hof und trat in einen kurzen Gang, der zu der von Robert erwähnten Treppe führte. Schon begann ich wieder, mir den Kopf über das Siegel zu zerbrechen, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Einen Moment lang verharrte ich regungslos. Dann bückte ich mich und zog meinen Dolch aus dem Stiefel. Lautlos huschte ich weiter zu einer offen stehenden Tür, durch die ich eine Gestalt hatte schlüpfen sehen.

Den Dolch in der Faust, schlich ich weiter. Obwohl ich durch die Nase atmete, klang selbst dieses Geräusch schrecklich laut in meinen Ohren. Wer immer sich hier versteckte, konnte in diesem Moment eine Waffe zücken, die noch viel tödlicher war als meine Klinge, und mir den Schädel spalten, sobald ich mich über die Schwelle wagte. Oder trachtete er mir am Ende gar nicht nach dem Leben? Immerhin war er mir schon durch ganz London gefolgt und hätte gewiss mehrmals die Möglichkeit gehabt, mich zu töten. Wahrscheinlich war er mir nach Greenwich gefolgt. Und jetzt lauerte er in diesem Zimmer.

Ich verharrte. Kalter Schweiß perlte über meine Stirn. Ein Schritt noch, und ich wäre drinnen, doch zu meinem Entsetzen erkannte ich, dass ich einfach nicht den Mut aufbrachte, die Tür aufzustoßen und frech auf mich aufmerksam zu machen.

Feigling! Geh rein! Stell den elenden Kerl zur Rede, und bring’s hinter dich!

Ich streckte die Hand aus, jeden Finger bis an die Schmerzgrenze gespannt. Dann berührte ich Holz. Mit erhobener Klinge und einem gedämpften Schrei trat ich endlich die Tür auf und sprang ins Zimmer.

Dort stand ein ganz in Schwarz gehüllter dürrer Mann.

»Himmel!«, keuchte ich wütend. »Ich hätte Euch umbringen können!«

Walsingham erwiderte meinen zornigen Blick. »Das bezweifle ich. Schließt die verdammte Tür. Ich möchte nicht gesehen werden.«

Ich trat die Tür mit dem Fuß zu. Dieser Mann war der Letzte, mit dem ich gerechnet hätte.

Ein leichtes Kräuseln seiner Lippen mochte als Lächeln durchgehen. »Ich bin hier, um Eure Meldung zu hören.«

»Meldung? Was für eine Meldung?«

»Für unseren gemeinsamen Auftraggeber natürlich. Es sei denn, Eure zweifelhafte Treue gilt wieder der Meute von niederträchtigen Verrätern, die Euch aufgezogen haben.«

Ich blickte ihm fest in die Augen. »Ich bin Euch keine Rechenschaft schuldig.«

»Ach nein? Das sehe ich anders. Mehr noch, unser Auftraggeber hat mir Euer Wohlergehen anvertraut. Ab sofort nehmt Ihr Eure Weisungen von mir entgegen.« Walsingham machte eine Kunstpause. »Das bedeutet, dass Ihr, was immer Ihr zu melden habt, mir persönlich berichtet.« In der Dunkelheit des Raumes wirkte er noch größer und so mager, dass man meinen konnte, der geringste Lichtstrahl könnte seine Haut durchdringen und jede Kante seines kadaverhaften Gesichts entblößen. Seine eingesunkenen Augen waren schwarz und matt wie kalte Asche, die Augen eines Mannes, der Dinge gesehen und getan hatte, von denen mir jede Vorstellung fehlte.

Widerstrebend steckte ich den Dolch ein. Ich traute diesem Mann nicht. Er strahlte einen Mangel an Moral und eine Verderbtheit aus, die er wie eine zweite Haut trug. Er war wohl wirklich dazu fähig, ohne lang zu fackeln alles zu tun, was seinen Zwecken diente. Gleichwohl war er Cecil gegenüber verantwortlich, und in meiner momentanen Notlage blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad. Während meine linke Hand immer noch Roberts Brief umschloss, erklärte ich: »Ich bin gerade erst angekommen und habe nichts zu melden.«

»Ihr lügt.« Sein Blick durchbohrte mich. »Ich mag keine Mätzchen von Grünschnäbeln und halte auch nichts davon, sie in meine Dienste zu nehmen. Aber ich werde dem fehlgeleiteten Vertrauen unseres Auftraggebers in Euch Rechnung tragen, fürs Erste zumindest. Darum frage ich Euch noch einmal: Was habt Ihr zu berichten?«

Ich zögerte so lange, bis ich sah, wie er die Zähne aufeinanderpresste. Erst dann öffnete ich, mein Missfallen deutlich bekundend, die Hand und offenbarte das zerknüllte Schreiben. »Gut, da habt Ihr es.«

Er nahm es mir ab. Eigentümlicherweise hatte er die Hände einer Frau, weich und weiß, aber mit Sicherheit eisig kalt. Geschickt schob er einen langen Fingernagel unter das Siegel und löste es mit der Präzision eines Fachmannes vom Papier. Sobald er den Brief überflogen hatte, faltete er ihn wieder zusammen und klebte das Siegel zurück an seinen Platz.

Mit den Worten »Ein idealer Ort für ein Schäferstündchen« gab er mir das Schreiben zurück. »Abgelegen, einsam und doch nahe einer Geheimpforte ins Freie. Ihre Hoheit versteht sich vortrefflich auf dieses Spiel.«

Die kühle Bewunderung in seiner ansonsten leidenschaftslosen Stimme überraschte mich. »Ihr billigt das? Aber … ich dachte …« Ich stockte. Mir war selbst nicht klar, was ich dachte. Ich war angewiesen worden, mir Roberts Vertrauen zu bewahren, zu lauschen und alles zu melden und – falls möglich – der Prinzessin bei der Flucht zu helfen. Plötzlich begriff ich, dass niemand mich fürs Denken angeworben hatte, und sah mich auf einmal als genau das, was er mich genannt hatte: ein Grünschnabel und eine Marionette, die an den Fäden eines unbekannten Puppenspielers hing.

Walsingham musterte mich. »Habt Ihr etwa geglaubt, wir hätten tagelang Zeit, um unsere Pläne auszutarieren? Das beweist nur wieder, wie ungeeignet Ihr seid. In Angelegenheiten wie dieser hängt der Erfolg von zügigem Handeln ab. Ein erfahrener Spion würde das sofort verstehen.«

»Hört zu!« Zu meinem Verdruss schaffte ich es nicht, ein Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. »Ich habe nicht darum gebeten, in diese Geschichte verwickelt zu werden. Ihr habt mich da hineingezwungen, oder habt Ihr das vergessen? Weder Ihr noch Cecil habt mir eine Wahl gelassen. Wenn ich mich nicht damit einverstanden erklärt hätte, Euch zu helfen, läge ich jetzt zweifellos am Grund des Flusses.«

»Wir haben immer eine Wahl. Ihr habt Euch einfach für die Seite entschieden, die Euch die meisten Vorteile bietet. Jeder würde so handeln. Gibt es sonst noch etwas, worüber Ihr Euch beschweren wollt?«

Erneut nahm er mir den Wind aus den Segeln. Mir fiel beim besten Willen niemand ein, bei dem es mich noch mehr gestört hätte, ihm meine Informationen mitzuteilen. Aber sie für mich zu behalten wäre für Elizabeth nicht hilfreich. »Ich habe ein Gespräch zwischen Lady Dudley und Robert belauscht«, teilte ich ihm in unpersönlichem Ton mit. »Seine Lordschaft wird Robert entsenden, damit er Lady Mary ergreift. Außerdem hat er Roberts Bitte abgeschlagen, Ihre Hoheit zu treffen und ihr seinen, wie er das nennt, ›Vorschlag‹ zu unterbreiten. Ihr solltet Cecil sagen, dass der Herzog vielleicht eine ganz andere Absicht verfolgt als diejenige, die wir vermuten.«

Ich verstummte. Walsingham gab immer noch keine Regung preis.

»Da drängt sich der Schluss auf, dass es sich um etwas handeln muss, von dem sein Sohn nichts erfahren soll«, fuhr ich fort. »Warum würde er Robert sonst wegschicken?«

Walsingham schwieg.

»Habt Ihr gehört? Was immer der Herzog plant, es kann nicht gut für die Prinzessin sein. Ihr habt mir gerade erklärt, dass Erfolg von zügigem Handeln abhängt. Jetzt haben wir die Chance dazu. Wir sollten Ihre Hoheit, sobald wir können, möglichst weit von den Dudleys fortschaffen.«

Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht, ihm wäre das vollkommen gleichgültig. Dann sah ich in seinen verhüllten Augen ein verstohlenes Glimmen. Fast unmerklich spannte er die Lippen an. Was ich ihm berichtet hatte, war wichtig, und er wollte nicht, dass ich das wusste.

»Ich werde Eure Sorgen weitergeben«, sagte er schließlich. »Doch zuvor muss dieser Brief überbracht werden, damit Euer Herr keinen Verdacht schöpft. Sobald Ihr Euren Auftrag ausgeführt habt, kehrt Ihr zu Lord Robert zurück. Falls Eure Dienste noch einmal benötigt werden, werdet Ihr davon in Kenntnis gesetzt.«

Ich starrte ihn entgeistert an. »Und was ist mit Ihrer Hoheit? Wollt Ihr sie nicht warnen?«

»Damit braucht Ihr Euch nicht zu befassen. Ihr habt lediglich Eure Befehle zu befolgen.«

Zu meinem fassungslosen Entsetzen wandte er sich zur Tür. »Wenn Ihr sie nicht warnt, tue ich das!«, platzte ich heraus.

Er drehte sich um, musterte mich aus halb zusammengekniffenen Augen. »Wollt Ihr mir drohen? Wenn das wirklich so ist, dann lasst Euch daran erinnern, dass Junker, die ihr Wissen über ihre Herren weitertragen, nicht unersetzlich sind.«

Ich hielt seinem Blick stand, bis ich schließlich den Brief wieder unter mein Wams steckte. Plötzlich ertönte ein dumpfes Geräusch zu meinen Füßen.

»Für Eure Dienste«, sagte Walsingham. »Ich schlage vor, dass Ihr es umsichtig verwendet. Diener, die unredlich erworbenen Wohlstand verprassen, enden genauso oft auf dem Grund von Flüssen wie untreue Junker.« Ohne jedes weitere Wort ließ er mich stehen. Ich wollte das Säckchen, das er auf den Boden geworfen hatte, nicht anrühren, steckte es dann aber doch ein, ohne seinen Inhalt zu untersuchen.

Verstohlen huschte ich zur Tür hinaus. Von Walsingham fehlte jede Spur. So bog ich wieder in den Gang ein und ging weiter zur Treppe.

Falls ich zuvor noch Zweifel gehabt hatte, stand meine Entscheidung jetzt fest. Ich musste die Prinzessin warnen. Robert war nicht zu trauen, und allmählich beschlich mich das Gefühl, dass dasselbe auch für alle anderen galt. Das Säckchen, das ich bei mir trug, mochte klein sein, enthielt aber sicher genug, um mein Schweigen zu erkaufen. Walsingham war Cecils Geschöpf, und ich hatte keine Ahnung, welchen Zweck der Sekretär letztlich verfolgte. Wie ich mehr und mehr vermutete, war diese Angelegenheit vielschichtiger, als man mich hatte glauben lassen. Allerdings fiel mir die Vorstellung schwer, Cecil würde der Prinzessin etwas antun. Doch vielleicht spielte Walsingham mit gezinkten Karten. Ihm traute ich das durchaus zu. Aber wie konnte ich an Elizabeth herankommen? Würde sie mich überhaupt empfangen? Nun gut, sagte ich mir, wenn ich einfach stur blieb und mich nicht abwimmeln ließ, würde ihr nichts anderes übrig bleiben.

Entschlossen stapfte ich die Treppe hinauf.

Vor mir erstreckte sich eine Galerie, an deren Ende ein mächtiges, von geschnitzten Cherubinen geschmücktes Tor aufragte. Rechts von mir wachten Schießscharten über einen Garten. Die Butzenscheiben darüber wiesen genug Risse auf, um den Nachmittagswind hereinzulassen.

Auf halbem Weg zum Tor standen drei Wächter in der Uniform des Königshauses.

Ich kannte sie nicht. Auch hatte ich keine Zeit, näher hinzusehen, denn als ich zögernd den ersten Schritt auf sie zu wagte, vernahm ich in meinem Rücken eine Stimme. »Beim heiligen Kreuz, wo willst du denn jetzt schon wieder hin?« Eine vertraute Gestalt rauschte mir entgegen und hielt mir drohend den Zeigefinger vor das Gesicht.

Es war Elizabeths Dienerin, die junge Frau, die ich schon im Whitehall-Palast gesehen hatte – Kate Stafford.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass in diesem Flügel keine Küchen sind, du Dummkopf?«, bellte sie. Aus der Nähe war zu erkennen, welche lebhafte Intelligenz aus ihren braunen Augen sprach, die ihr sorgloses Gebaren Lügen strafte. Und sie verströmte einen betörenden Duft nach frischen Äpfeln und Federnelken. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weglaufen sollte, bis ich die Warnung in ihrem Blick bemerkte.

»Mylady, vergebt mir«, stammelte ich. »Ich habe mich schon wieder verirrt.«

»Verirrt?« Sie fuhr zu einem Mann herum, der sich ihr von hinten näherte. »Pferde können sich verirren, aber nur Maulesel kehren immer wieder in denselben leeren Stall zurück. Seid Ihr nicht auch dieser Meinung, Master Stokes?«

»O ja.« Master Stokes war von mittelgroßer, schlanker Statur. Sein Gesicht wirkte zu verschlagen, als dass man es schön hätte nennen können, wies aber elegant geschwungene Wangenknochen auf, die von dem nach hinten gekämmten, hellbraunen Haar betont wurden. An seinen Fingern prangten mehrere mit Juwelen besetzte Ringe; von seinem linken Ohr baumelte ein glitzernder Rubinanhänger herab. Letzterer zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Noch nie hatte ich einen Mann Ohrringe tragen sehen, auch wenn ich später erfahren sollte, dass das im Ausland als modisch galt.

»Apropos Esel, will dieser Knecht Euch belästigen?«, fragte Stokes träge. »Soll ich ihn lehren, unsere schönen Damen in Ruhe zu lassen, Mistress Stafford?«

Stokes’ unverschämter Blick senkte sich auf Kates Dekolleté. Sie wedelte mit der Hand, während ein zwitscherndes Lachen über ihre Lippen perlte. »Er und mich belästigen? Wohl kaum. Er ist ja nur ein Diener und völlig neu am Hof. Anscheinend glaubt er, dass wir die Küche unter dem Federbett Ihrer Hoheit eingerichtet haben!«

Er antwortete mit einem ebenso hohen, fast weiblichen Lachen. »Wenn das ihre Kopfschmerzen heilt!«, kicherte er. »Was nun unseren Maulesel betrifft …« Sein Blick wanderte über ihren Kopf hinweg zu mir. »Vielleicht kann ich ihn auf den richtigen Weg bringen.«

Obwohl Mistress Stafford mit dem Rücken zu mir stand, konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie sie verführerisch mit den Wimpern flatterte. »Wieso Eure Zeit mit einem billigen Helfer vergeuden? Lasst mich den Jungen zurück zur Treppe führen. Ich bin gleich wieder bei Euch.«

»Wenn Ihr es mir versprecht«, brummte Stokes. Ohne ersichtlichen Grund flößte mir der Finger, mit dem er ihr über die entblößte Kehle fuhr, Grauen ein.

Im nächsten Moment drehte sich der Mann auf den Absätzen seiner eleganten Stiefel um und kehrte zu den anderen Männern zurück, die feixend dastanden, während Kate Stafford sich bei mir einhängte und mich zurück zur Galerie zog.

Sobald wir außer Sicht waren, zerrte sie mich in einen Fenstererker. Mit einem Schlag verschwand aller Anschein von nachsichtiger Koketterie. »Was bedeutet Euer Gebaren?«

Da sie ihre Maske abgelegt hatte, sah ich keinen Grund mehr, ihrem Beispiel nicht zu folgen. »Ich war auf dem Weg zu Ihrer Hoheit. Ich bringe ihr eine wichtige Nachricht, die sie sofort hören muss.«

Sie streckte die Hand aus. »Gebt mir das Schreiben, wer immer Ihr seid.«

»Ihr wisst, wer ich bin.« Ich stockte. »Ich habe nicht gesagt, dass ich ein Schreiben habe.«

Sie trat näher, und ihr Apfelblütenduft stieg mir verlockend in die Nase. »Ich nahm an, Ihr hättet eines dabei. Schließlich seid Ihr Lord Roberts Junker.«

»Ah, Ihr erinnert Euch also an mich!« Ich beugte mich vor, sodass wir uns fast mit den Nasen berührten. »Ich brauche Euch wohl nicht daran zu erinnern, dass auch Ihr eine Antwort auf das Schreiben erwarten müsst, das Ihr soeben überbracht habt.«

Sie prallte zurück. »Ich verstehe kein Wort.«

»Ach? Das wart vorhin nicht Ihr in den Gemächern meines Herrn? Gibt es am Hof noch eine andere Dame, die Stiefel unter ihrem Umhang trägt?«

Sie erstarrte. Lächelnd sah ich zu, wie sie den verräterischen Fuß unter den Saum ihres Kleides zog.

»Ich habe hinter dem Vorhang gestanden«, klärte ich sie auf. »Und jetzt muss ich die Antwort meines Herrn überbringen.« Ich machte Anstalten, mich abzuwenden. Erneut ergriff sie mich am Arm. Dabei bewies sie für eine so zierliche Frau erstaunlich viel Kraft.

»Seid Ihr verrückt?«, zischte sie. »Ihr dürft nicht in ihrer Nähe gesehen werden! Ihr seid sein Diener. Falls die beiden sich treffen, darf niemand davon erfahren.« Sie spähte verstohlen zum Eingang, um sich dann wieder mir zuzuwenden. »Gebt mir seine Antwort. Ich sorge dafür, dass sie sie liest, da könnt Ihr beruhigt sein.«

Ich tat so, als überlegte ich. Dann zog ich den Brief unter meinem Wams hervor, doch als sie danach griff, verbarg ich ihn blitzschnell hinter meinem Rücken. »Ich muss schon sagen, das trifft sich wirklich günstig – dass Ihr gerade in dem Moment da seid, in dem ich hier ankomme.«

Sie hob das Kinn. »Was soll das heißen?«

»Na ja, zuerst habe ich Euch im Whitehall-Palast gesehen.«

»Ja, und …?«

»Dort schient Ihr nicht so sehr um Eure Herrin besorgt, als sie den Saal verließ. Dabei war sie in dem Moment erkennbar in argen Nöten. Mehr noch, ich habe Euch mit Master Walsingham sprechen sehen. Darum glaube ich, dass ich erst ein paar Antworten brauche, bevor ich das Schreiben aushändige.«

Sie warf den Kopf zurück. »Dafür habe ich keine Zeit. Behaltet den Brief Eures Herrn. Ich weiß ohnehin, was darin steht.« Sie wollte schon an mir vorbeistürmen.

Ich stellte mich ihr in den Weg. »Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.«

»Ich kann schreien«, warnte sie mich. »Ich bin die Vertraute der Prinzessin. Die Herren dort drüben wären binnen Sekunden zur Stelle, und das wäre gar nicht gut für Euch.«

»Das könntet Ihr. Aber Ihr werdet es nicht tun. Schließlich wollt Ihr nicht, dass Euer Bewunderer dort drüben erfährt, was Ihr noch alles macht, außer mir die Küchen zu zeigen.« Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf. »Also, wer hat Euch gesagt, dass ich komme? Walsingham? Seid Ihr seine Geliebte? Wenn ja, wird Ihre Hoheit nicht sehr erbaut davon sein zu erfahren, dass ihre eigene Kammerfrau, der sie ihre persönliche Korrespondenz anvertraut, dafür bezahlt wird, dass sie sie ausspioniert.«

Kate brach in Lachen aus, schlug sich aber sofort die Hand vor den Mund. »Für diese Art von Dingen seid Ihr wirklich zu unerfahren«, sagte sie leise. »Ich sollte Euch ohne jedes weitere Wort wegschicken. Aber da die Zeit drängt, sage ich Euch: Nein, ich bin nicht Walsinghams Geliebte. Ich kenne ihn nur deshalb, weil Ihre Hoheit mit Master Cecil bekannt ist. Oder vielmehr: Ich weiß von ihm. Er ist ein bezahlter Informant. Und wenn die Gerüchte zutreffen, wurde er in Italien zum Mörder ausgebildet.«

»Von daher also seine galanten Manieren.«

Ein ironisches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Richtig. Er stand zufällig in meiner Nähe, als Ihre Hoheit den Saal verließ. Ich versichere Euch: Wir haben nur die üblichen Freundlichkeiten ausgetauscht.«

»Wahrscheinlich habt Ihr auch nie ihre Gespräche belauscht«, bemerkte ich trocken.

»Doch, das habe ich getan. Sie nennt mich ihre Ohren. Ich bin der Grund, warum sie sich nicht auf Klatsch verlassen muss, was sich für jemanden ihres Ranges in der Tat nicht ziemen würde. Und bevor Ihr mich fragt: Ich habe auch zu lauschen versucht, als Ihr der Herzogin von Suffolk vorgestellt wurdet. Ich habe mir gesagt, dass Ihre Hoheit gewiss erfahren will, warum Ihr zu ihrer Cousine geführt wurdet.«

Sie hielt inne und studierte mein Gesicht. Mit einem Schlag wurde ihre Miene weicher und nahm einen beinahe mitleidigen Ausdruck an. Das verblüffte mich nun wirklich, zumal er aufrichtig wirkte. »Ich verstehe, dass Ihr keinen Grund habt, mir zu vertrauen, aber ich würde sie nie verraten. Ihre Tante, Mary Boleyn, die Schwester ihrer Mutter Königin Anne, war die Gönnerin meiner Mutter. Obwohl wir nicht miteinander verwandt sind, könnte ich sie nicht mehr lieben als jemanden von meinem eigen Fleisch und Blut.«

»Verwandte lieben sich nicht immer«, entgegnete ich, doch mein Misstrauen hatte sich aufgelöst. »Mehr noch, meistens scheint das Gegenteil der Fall zu sein.« Meine Stimme bebte auf einmal. Zu meinem Verdruss hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle. »So wahr mir Gott helfe, ich weiß nicht mehr, wem oder was ich jetzt noch glauben kann!«

Nach langem Schweigen antwortete sie: »Traut Ihrer Hoheit. Das ist doch der Grund, warum Ihr hier seid, nicht wahr? Sie hat mir erzählt, dass Ihr ihr Eure Hilfe angeboten habt, sie das aber abgelehnt hat. Wisst Ihr, warum?«

Ich nickte. »Ja. Sie wollte nicht, dass mir ihretwegen etwas zustößt.« Nach kurzem Zögern überreichte ich ihr den Brief. Sie steckte ihn sogleich unter ihr Mieder.

Schritte näherten sich. Kate erstarrte. Wir hatten keine Zeit, uns zu verbergen, noch gab es hier ein Versteck. Ohne Vorwarnung warf sie sich mir an den Hals, umfasste mich am Kopf und presste ihre Lippen auf die meinen. Ich schaffte es gerade noch, die Schemen der vorbeilaufenden Gestalt und der drei Männer wahrzunehmen, die ihr folgten. Keiner blieb stehen oder gab einen Kommentar zu unserem Treiben ab.

Einen lähmenden Augenblick lang dachte ich, ich hätte mir die Männer nur eingebildet.

Kate Stafford schmiegte sich an mich, und dann spürte ich ihren Atem an meinem Mund. »Nicht bewegen«, flüsterte sie.

Ich gehorchte. Erst als die Echos der Stiefel verhallt waren, löste sie sich von mir. »Er hat sie verlassen. Ich muss gehen.« Sie zögerte. Mit ernster Miene fügte sie hinzu: »Ihr dürft niemandem ein Wort davon sagen. Nicht einmal Cecil. Wenn Ihr das tut, bringt Ihr sie in noch größere Gefahr, als sie es ohnehin schon ist.«

Ich hatte es mir also nicht eingebildet. »Das war der Herzog. Er war bei ihr. Warum? Was will er?«

»Das weiß ich nicht. Er ist vor Euch eingetroffen und hat Einlass verlangt. Sie ruhte gerade auf ihrem Bett. Sie hat ihn dann in ihren Audienzraum gebeten und uns alle weggeschickt.«

Was Kate da sagte, gefiel mir nicht. »Dann muss ich mit ihr sprechen.«

»Nein, das ist nicht sicher. Er könnte zurückkommen; jemand könnte Euch sehen. Das dürfen wir nicht riskieren. Wir dürfen uns nicht offen zeigen. Wenn irgendjemand das erfährt …«

»Erfährt?« Fast hätte ich das Wort geschrien. »Was erfährt? Was, zum Teufel, wird hier gespielt?«

»Beizeiten werdet Ihr alles herausfinden. Jetzt muss ich gehen.«

Sie wandte sich ab. Ich folgte ihr bis zur nächsten Ecke. Als sie die Galerie betreten wollte, fasste ich sie an die Schulter. »Richtet ihr Folgendes aus: Sagt ihr, dass ein Komplott zur Verhaftung ihrer Schwester im Gange ist. Sie darf meinen Herrn nicht treffen. Sie muss diesen Ort verlassen, bevor es zu spät ist.«

Über den Gang hallte es laut: »Kate? Kate, bist du hier?«

Die Stimme ließ uns erstarren. Kate stieß mich fort vom Eingang, aber ich konnte noch Elizabeths Silhouette erkennen. Ihr Haar war offen, und mit einer Hand hielt sie sich den Kragen ihres purpurnen Umhangs zu. »Kate!«, rief sie erneut. Ich hörte die Angst in ihrer Stimme.

»Ich bin hier, Eure Hoheit! Ich komme schon!«, antwortete Kate.

»Beeil dich«, drängte die Prinzessin mit zitternder Stimme. »Ich brauche dich.«

Kate setzte sich in Bewegung. Obwohl ich jetzt die ideale Gelegenheit gehabt hätte, vor Elizabeth zu treten, hielt mich irgendetwas zurück. »Werdet Ihr es ihr sagen?«, fragte ich leise.

»Sie wird nicht auf mich hören.« Kate hielt meinem Blick stand. »Sie liebt ihn, versteht Ihr? Sie hat ihn schon immer geliebt. Was wir auch sagen, nichts wird sie aufhalten.« Sie lächelte. »Galanter Junker, wenn Ihr ihr wirklich helfen wollt, dann findet Euch heute Nacht zusammen mit Eurem Herrn im Pavillon ein.«

Sie ließ mich fassungslos zurück.

Ich wollte es nicht glauben, obwohl es in jeder Hinsicht Sinn ergab. Das also war der Grund, warum sie trotz aller warnenden Hinweise immer noch am Hof blieb.

Sie liebte ihn. Elizabeth liebte Robert Dudley.