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Obwohl Guilford schon seit über drei Jahren am Hof war, in denen er sich vermutlich nicht nur mit der Befriedigung seiner Gelüste befasst hatte, brachte er es fertig, dass wir uns innerhalb von Sekunden verliefen. Ich malte mir aus, wie man uns Jahrhunderte später entdecken würde, zwei Skelette, meine Hände um seinen Hals geklammert, und nahm es auf mich, jemanden nach dem Weg zu fragen. Dank einer Goldmünze, die ich dem murrenden Guilford abknöpfte, brachte ein Page uns zum Südeingang des Thronsaals, wo die Söhne des Herzogs in ihren Prunkgewändern warteten. Nur der Älteste, Jack, war nicht zugegen.
»Na endlich«, näselte Ambrose Dudley, der Zweitälteste. »Wir dachten schon, Brendan hätte dich ans Bett fesseln müssen, um dich anzuziehen.«
Guilford grinste verächtlich. »Das soll er mal versuchen.«
Die Brüder lachten. Mir fiel auf, dass Roberts Lachen nicht seine Augen erreichte. Sie schweiften unruhig durch den Saal, als erwartete er jemand Bestimmten.
Henry Dudley, der jüngste, am wenigsten wohlgestaltete und daher der hinterhältigste der Brüder, schlug mir auf die Schulter, als wären wir die besten Freunde. Nicht ohne Genugtuung sah ich, dass ich jetzt einen Kopf größer war als er.
»Und wie ist das werte Befinden, Waisenknabe?«, frotzelte er. »Du siehst aus, als wärst du keinen Zoll gewachsen.«
»Nicht, soweit Ihr sehen könnt«, entgegnete ich mit einem gezwungenen Lächeln. Es hätte alles noch schlimmer kommen können. Ich hätte auch Henry Dudley unterstellt werden können, der als Junge gern Katzen ertränkt hatte, um sie jaulen zu hören.
»Nein«, fauchte Henry, »aber selbst ein Hund kann erkennen, wer seine Mutter ist. Kannst du es?«
Er beäugte mich streitsüchtig. Seine Attacken waren schon immer von Hass erfüllt gewesen, doch heute sagte er nichts, was ich nicht schon oft zu hören bekommen oder sogar selbst in nächtlicher Einsamkeit bedacht hatte. Ich ließ mich nicht von ihm provozieren.
»Wenn sich die Möglichkeit dazu böte, hoffe ich sehr, dass ich es könnte.«
»Zweifellos«, schnaubte Guilford. »Ich würde dasselbe sagen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Gott sei Dank bin ich es nicht.«
Robert funkelte seine Brüder an, als sie erneut in schallendes Gelächter ausbrachen. »Herrgott, ihr klingt wie ein Haufen Waschweiber! Wen interessiert denn der Bursche? Kümmert euch lieber um eure Angelegenheiten. Seht nur, die Herren vom Kronrat scharen sich dort hinten um das Podest wie ein Krähenschwarm.«
Ich folgte seinem Blick zu einer Gruppe düster dreinblickender Männer, die so dicht beieinanderstanden, dass ihre schwarzen Roben wie ein einziger Tintenfleck zusammenflossen. Sie hatten sich tatsächlich um ein Podest versammelt, das mit Goldbrokat behängt war. Mitten darauf prangte ein breiter, mit Samt bezogener Thron, darüber ein Baldachin mit eingestickter Tudor-Rose. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich heute Abend vielleicht den König höchstpersönlich sehen würde, und ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln, während ich mir den Saal näher ansah.
Er war hell erleuchtet. Seine bunt bemalte Decke stand in völligem Kontrast zu einem schwarz-weißen Fliesenboden, über den die Edelleute wie über ein riesiges Schachbrett schritten. Auf der Galerie griffen die Hofmusiker in die Saiten, während die Höflinge zu den langen, mit erlesenen Speisen und Karaffen beladenen Tischen strebten oder sich in kleinen Gruppen versammelten, um zu tuscheln, sich eitel in die Brust zu werfen oder zu gaffen.
Wenn Intrige einen Geruch hätte, würde Whitehall zum Himmel stinken.
Hinter uns hörte ich Schritte. Ich drehte mich um und gewahrte eben noch eine hohe Gestalt in eisengrauem Damast, bevor ich mich so tief verbeugte, wie ich nur konnte.
John Dudley, Herzog von Northumberland, sagte mit ruhiger Stimme: »Ich sehe, ihr seid alle da. Gut. Ambrose, Henry, geht und steht dem Kronrat zur Seite. Die Herren bedürfen offenbar einer Erfrischung. Robert, ich habe gerade gehört, dass jemand mit Autorität in einer dringenden Angelegenheit im Tower benötigt wird. Bitte geh, und kümmere dich darum.«
Selbst mit gebeugtem Kopf vernahm ich die Ungläubigkeit in Roberts Stimme. »Im Tower? Ich war doch erst heute Nachmittag dort, und alles schien in bester Ordnung. Da muss ein Irrtum vorliegen. Darf ich den Herrn Vater bitten, mich später darum kümmern zu dürfen?«
»Leider nein«, erwiderte der Herzog. »Wie gesagt, die Sache ist dringend. Wir haben heute eine frühe Sperrstunde verhängt, und es darf nichts passieren, was die Bevölkerung in Aufruhr versetzt.«
Die Wut, die von Robert ausging, war fast körperlich zu spüren. »Mylord«, knurrte er mit einer knappen Verbeugung und stelzte davon.
Der Herzog wandte sich an den letzten Sohn, der noch übrig war. »Guilford, finde einen Stuhl am Kamin, und bleib dort. Wenn Ihre Hoheiten von Suffolk eintreffen, betreue sie deinem Rang gemäß. Und sieh bitte zu, dass du dich heute bei deinem Weinkonsum ein wenig zurückhältst.«
Missmutig schlurfte Guilford aus dem Saal. Mit einem nachdenklichen Seufzer richtete der Herzog seine gleichgültigen schwarzen Augen auf mich. »Junker Prescott, erhebt Euch. Es ist lange her, seit ich Euch zuletzt gesehen habe. Wie war die Reise?«
Ich musste den Hals recken, um Northumberlands Blick zu begegnen. Nur selten hatte ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, da sein Dienst beim König ihn die meiste Zeit am Hof zurückhielt, und wie jedes Mal war ich von seiner Erscheinung beeindruckt. John Dudley hatte sich seine schlanke Gestalt dank lebenslanger Disziplin erhalten, und seine Größe wurde von dem maßgeschneiderten, knielangen Brokatmantel noch betont. Eine dicke Goldkette um seine Brust bezeugte seinen Reichtum und Erfolg. Niemand konnte übersehen, dass er in diesem Mann einen Mächtigen vor sich hatte; nur wenige bemerkten wohl darüber hinaus die Anzeichen von Schlaflosigkeit in den tiefliegenden Augen oder die Sorgenfalten um den Mund, den ein gestutzter Spitzbart umrahmte.
Eingedenk Master Sheltons Worten über den Preis der Macht antwortete ich vorsichtig: »Die Reise war ereignislos, Mylord. Ich danke für die Gelegenheit, zu Diensten sein zu dürfen.«
Northumberland blickte zerstreut in den Thronsaal, als registrierte er kaum, was ich vorbrachte. »Mir braucht Ihr nicht zu danken. Ich habe Euch nicht an den Hof geholt. Das war der Wunsch meiner Frau Gemahlin, obwohl ich finde, dass Robert den Luxus eines eigenen Junkers gar nicht verdient.« Seufzend wandte er sich wieder mir zu. »Wie alt seid Ihr jetzt?«
»Ich glaube, zwanzig, Mylord. Oder vielmehr: Es ist zwanzig Jahre her, dass ich bei Euch aufgenommen wurde.«
»Tatsächlich.« Das eiskalte Lächeln vermochte seine Lippen kaum zu lösen. »Vielleicht erklärt das die Hartnäckigkeit meiner Gemahlin. Ihr seid jetzt ein Mann und solltet Euch in unseren Diensten bewähren dürfen.« Er wedelte mit der Hand. »Geht jetzt. Steht meinem Sohn treu bei und tut, was er befiehlt. Dies sind gefährliche Zeiten. Wer seine Loyalität beweist, wird nicht unbelohnt bleiben.«
Wieder verbeugte ich mich tief und hörte den Herzog vor sich hin murmeln: »Doch wer uns verrät, den werden wir ebenso wenig vergessen.« Er wandte sich ab und betrat den Saal, wo das Stimmengewirr augenblicklich verstummte.
Von seinen Worten verwirrt, bewegte ich mich in die Richtung, die Robert eingeschlagen hatte. Auch Master Shelton hatte gesagt, die Dudleys würden meine Loyalität belohnen. Damals hatte ich gedacht, er meinte, sie würden mich irgendwann als Sheltons Nachfolger akzeptieren. Jetzt wurde ich das Gefühl nicht mehr los, in ein Schlangennest gefallen zu sein, wo jeder falsche Schritt ins Verderben führen konnte. Je länger ich das bedachte, desto eindringlicher regten sich in mir Zweifel an den Gründen, die man mir für meine Berufung genannt hatte. Waren sie am Ende nur vorgeschoben worden? Anders als ihr Gemahl, der Herzog, war Lady Dudley stets Teil meiner Kindheit gewesen – eine hochmütige Frau, die es unbedingt zu meiden galt. Sie hatte mich immer mit Verachtung behandelt, sofern sie mich überhaupt zur Kenntnis nahm. Nie schritt sie ein, wenn ihre Söhne mich quälten; und ich hatte den Eindruck, dass sie mich nur deshalb von Mistress Alice versorgen ließ, damit man ihr nicht nachsagte, sie habe ein Findelkind auf ihrem Grund und Boden verhungern lassen. Aber warum wollte sie mich jetzt auf einmal als Diener ihres Sohnes am Hof haben, just in einer Zeit, die ihre Familie vor solch große Herausforderungen stellte?
So vertieft war ich in meine Grübelei, dass ich gar nicht auf meine Umgebung achtete. Mitten in einem Korridor schoss plötzlich ein Arm auf mich zu und packte mich in einem Würgegriff. Ich wurde in ein stinkendes Kabuff gezerrt. Das kotbespritzte Loch im Boden und der ekelerregende Gestank ließen keinen Zweifel am Zweck des Raumes. Als ich gegen die Wand taumelte, streckte ich die Hand aus, um meine Kleider nicht zu besudeln, und fasste mit der anderen nach dem Dolch, den ich unter dem Wams trug.
»Ich könnte dir mit meinem Schwert die Hand abschlagen, bevor du deine mickrige Klinge ziehst.«
Ich drehte mich um. Ein Schatten trat vor. Lord Robert wirkte übermächtig in der engen Kammer. »Nun?«, schnarrte er. »Was hat mein Vater zu dir gesagt?«
Ich bemühte mich, mit ruhiger Stimme zu antworten. »Er sagte, ich solle Euch beistehen und tun, was Ihr sagt.«
Er trat noch einen Schritt näher. »Und?«
»Das ist alles.«
Robert trat so dicht heran, dass mir sein edler Moschusduft in die Nase stieg. »Du sagst mir besser die Wahrheit. Wenn nicht, dann bete, dass ich es nicht herausfinde.« Er blickte mich forschend an. »Elizabeth hat er nicht erwähnt?«
»Nein«, entgegnete ich schnell, noch ehe mir bewusst wurde, von wem er sprach.
Er schnaubte. »Ich weiß nicht, warum Mutter sich überhaupt mit dir abgibt, einem unbedarften Dorftrottel, der mir hier die Stiefel putzen soll.« Er wandte sich ab. Ich hörte, wie ein Feuerstein geschlagen wurde. Kurz danach flammte ein Wachslicht in seiner Hand auf. Er stellte es auf dem Boden ab. »Eines gestehe ich dir zu: Du hast noch nicht gelernt zu lügen.« Er musterte mich über die flackernde Flamme hinweg, die groteske Schatten über sein Gesicht tanzen ließ. »Mein Vater hat also nicht über sie gesprochen?«
Ich entsann mich dessen, was ich gehört hatte, als wir in London einritten. Als ob eine Alarmglocke in meinem Kopf läutete, beschloss ich, mich unwissend zu stellen. »Hätte er es getan, würde ich es Euch sagen.«
Er lachte. »Du bist mir vielleicht ein Leisetreter! Ich hatte ganz vergessen, wie geschickt du dich immer im Hintergrund gehalten hast, nie etwas gehört oder gesehen hast, was dich nichts anging. Jetzt verstehe ich, wieso Mutter dich hier haben wollte. Du bist wirklich ein Niemand.«
Sein dröhnendes Lachen verstummte so abrupt, wie es ausgebrochen war. »Ja, ja«, murmelte er vor sich hin. »Junker Niemand. Perfekt.«
Ich rührte mich nicht. Der bösartige, lauernde Ausdruck, der über sein Gesicht kroch, war mir nicht geheuer. Er wiegte sich auf den Absätzen. »Also, Junker Niemand, was würdest du sagen, wenn ich dich heute Abend mit einem Auftrag betraute, der dir ein Vermögen einbringen könnte?«
Die dicke Luft im Raum legte sich mir wie eine Schlinge um den Hals.
»Na?« Mit einem Grinsen ließ Robert makellose weiße Zähne aufblitzen. »Hast du nichts dazu zu sagen? Komisch – ein flinkes Wiesel wie du. Ich biete dir die Gelegenheit deines Lebens, die Chance, dir einen Ausweg aus der Knechtschaft zu verdienen und dein eigener Herr zu werden. Das ist doch dein Traum, oder? Du willst doch nicht ewig ein Niemand bleiben! Du doch nicht, du gerissenes kleines Findelkind! Stimmt’s? Lesen und schreiben kannst du ja schon, nachdem dir Shelton diesen alten Mönch zum Lehrer gegeben hat. Bestimmt hat er dir sogar Latein beigebracht, neben so allerlei mönchischen Schweinereien. Na, habe ich recht?«
Ich hob die Augen und nickte.
Sein Lächeln bekam einen grausamen Zug. »Dachte ich’s mir doch. Ich wusste schon immer, dass du nicht so dumm bist, wie du dich stellst.« Seine Stimme wurde leiser, nahm einen Unheil verkündenden, vertraulichen Klang an. »Und ich weiß, dass unsere stolze Bess heute Abend hier sein wird, obwohl mein Vater vorgibt, nichts davon zu wissen.«
Unversehens begann mir das Herz heftig zu klopfen. Es stimmte also. Elizabeth Tudor war hier, in London. Ich hatte ihre Ankunft miterlebt.
Roberts Miene verdüsterte sich. Seine Stimme bekam eine zornige Färbung, als wäre ich tatsächlich zu einem Nichts verblasst, einem unsichtbaren Wesen, vor dem er seine Worte nicht abwägen musste. »Mein Vater hat mir versprochen, dass ich nicht unberücksichtigt bleibe, wenn die Zeit reif ist. Er hat gesagt, niemand sei der höchsten Ehren würdiger als ich. Aber jetzt scheint er mir Guilford vorzuziehen, und ich soll stattdessen die Dreckarbeit für ihn verrichten. Bei Gott, ich habe alles getan, was er verlangt hat. Sogar dieses fade Schaf Amy Robsart habe ich geheiratet, weil er das für das Beste hielt. Was kann er denn noch von mir fordern? Wann werde ich endlich bekommen, was ich verdiene?«
Nie hatte ich einen der Dudley-Söhne etwas anderes als vollkommene Übereinstimmung mit den Wünschen ihres Vaters ausdrücken hören. So geziemte es sich für den Adel: Väter setzten ihre Söhne auf einflussreiche Posten, damit sie der Familie von Nutzen sein konnten. Dudleys Söhne besaßen keinen anderen Willen als den seinen; dafür würden sie dereinst seine Reichtümer ernten. Aus meiner Sicht hatte Robert keinen Grund zur Klage. Er hatte in seinem Leben niemals Hunger oder Mangel gelitten, und so würde es vermutlich auch bleiben. Ich hatte keinen Grund, ihn zu bemitleiden, doch ich sah, dass Robert Dudley wie so viele Söhne, die sich hilflos fühlen, gegen die väterliche Kandare aufzubegehren begann.
»Genug!« Er schlug sich mit der Faust in die Handfläche. »Es wird Zeit, dass ich zeige, was in mir steckt. Und du, du Wurm, wirst mir dabei helfen.« Er beugte sich zu mir vor. »Oder willst du lieber für den Rest deines armseligen Lebens die Ställe ausmisten?«
Ich zögerte. Ich wusste, ich hätte die Ställe vorziehen sollen, wo das Leben wenigstens vorhersehbar war, doch ich hielt Roberts Blick stand und sagte: »Vielleicht könntet Ihr mir erklären, was Ihr von mir erwartet, Mylord.«
Er wirkte verdutzt. Nervös blickte er über die Schulter und biss sich auf die Unterlippe, als wären ihm plötzlich Zweifel gekommen. Dann drohte er: »Wenn du mich in irgendeiner Weise betrügst, das schwöre ich dir, wird es in ganz England keinen Ort geben, wo du dich verstecken kannst. Verstehst du mich? Ich werde dich finden, Prescott. Und ich werde dich mit meinen bloßen Händen umbringen.«
Ich reagierte nicht. Dass er mich einschüchtern würde, war ja zu erwarten gewesen. Ich sollte ihn genug fürchten, um ihn nicht zu hintergehen. Das machte mich freilich nur noch neugieriger. Was konnte er so dringend wollen?
»Na gut«, sagte er gedehnt. »Vor allem musst du wissen, dass sie einen gern dann überrascht, wenn man es am wenigsten erwartet. Ich kenne sie, seit sie ein kleines Mädchen war, und ich sage dir, nichts gefällt ihr besser, als alle zu verblüffen. Sie ergötzt sich an Konfusion.«
Der vorsichtige Unterton, der sich in seine Stimme geschlichen hatte, ließ darauf schließen, dass es um mehr ging als nur das Aufbegehren eines Sohnes gegen seinen Vater.
»Zum Beispiel ihre Ankunft heute«, fuhr er fort. »Sie stiehlt sich ohne Vorwarnung in die Stadt, und erst, als sie ihre Residenz erreicht hat, lässt sie anfragen, wann sie ihren Bruder besuchen darf, so wie es ihre Schwester, Lady Mary, vor ein paar Monaten getan hat.« Er lachte auf. »Wenn das nicht pure Berechnung ist! Gott behüte, dass sie sich unserer Gnade anvertraute oder sich von ihrer papistischen Schwester überflügeln ließe! Und sie weiß, dass wir es nicht wagen würden, ihr diesen Wunsch abzuschlagen, denn die ganze Stadt schwirrt schon vor Gerüchten über ihre Ankunft, genau, wie sie es geplant hat. Sie will uns zeigen, dass kein Dudley mächtiger ist als sie.«
Er tat gerade so, als wäre das alles ein ausgeklügeltes Spiel, obwohl doch klar war, dass Elizabeth nach London gekommen sein musste, weil sie Gerüchte vom bevorstehenden Tod ihres Bruders gehört hatte. Wieder drängte ich das ungute Gefühl zurück, dass ich alles tun sollte, um diesem Auftrag zu entgehen. Wozu mich in Teufels Küche begeben? Wozu riskieren, dass ich einmal mehr zu Lord Roberts Opfer wurde? So verheißungsvoll sie auch war, die Befreiung aus der Knechtschaft schien momentan nur eine sehr entfernte Möglichkeit zu sein.
Ich holte tief Luft. »Warum sollte sie mich überhaupt anhören? Wir sind uns nie begegnet.«
»Sie wird dich anhören, weil ich ihr Freund bin, an dem zu zweifeln sie noch nie Grund hatte. Sie weiß, dass ich nicht wie mein Vater bin. Ich werde kein falsches Spiel mit ihr treiben.« Er angelte einen Ring unter dem Handschuh hervor und warf ihn mir zu. »Gib ihr den. Sie wird schon verstehen. Aber geh diskret vor. Ihre wichtigtuerische Gouvernante, diese Mistress Ashley, darf nichts davon erfahren. Sag ihr, ich sei aufgehalten worden, würde mich aber bald bei ihr einfinden – auf dem üblichen Weg.« Wieder baute er sich bedrohlich vor mir auf. »Und lass sie ja nicht aus den Augen, nicht einmal, wenn sie dich fortschickt! Ich will einen exakten Bericht über alles, was sie tut – von dem Augenblick, in dem sie den Palast betritt, bis zu dem Augenblick, in dem sie ihn verlässt.« Er nestelte eine Geldbörse vom Gürtel und ließ sie neben die Wachskerze fallen, die auf dem Boden schmolz. »Davon gibt es noch mehr, wenn du Erfolg hast. Wer weiß? Du könntest ein reicher Mann werden, Prescott. Die Zugbrücke liegt direkt vor dir. Wenn du getan hast, was ich dir aufgetragen habe, darfst du dich amüsieren gehen. Elizabeth zieht sich immer früh zurück. Such dir eine Dirne, sauf, friss, bis du kotzt. Nur verrate keinem ein Sterbenswörtchen, und finde dich morgen auf den Glockenschlag um neun bei mir ein.«
Er stieß die Tür auf. Als seine Schritte verhallten, griff ich mir die Börse und stürzte hinaus. Im Korridor schnappte ich nach Luft, während ich mit bebenden Fingern die Börse aufknöpfte. Sie enthielt mehr Geld, als ich mir je hätte vorstellen können. Noch ein wenig mehr davon, und ich konnte mir, wenn nötig, den Weg in die Neue Welt erkaufen.
Alles, was ich tun musste, war, Lord Roberts Ring abzuliefern.