13

Wie sich weiter erwies, war mein Freund außerordentlich gut mit Greenwich vertraut. Schließlich war er schon mehrmals dort gewesen, jeweils mit verschiedenen Aufgaben, unter anderem als Küchenjunge. Da er auch auf Frachtbooten gearbeitet hatte, die Vieh von London die Themse hinauftransportierten, und die Tiere persönlich zu ihren neuen Eigentümern geführt hatte, konnte er auf Anhieb meine Fragen über den Palast beantworten. Und nicht nur das. Er wusste sogar zu berichten, dass der Greenwich Palace – wie die meisten der von den Tudors bevorzugten Residenzen – auf den Überresten einer verfallenen Burg errichtet worden war. Als ich das hörte, erkundigte ich mich natürlich sofort nach den Geheimgemächern und deren Zugängen.

»Die Gentlemen of the Privy wachen über diese Gemächer«, klärte mich Peregrine auf, als wir in den inneren Burghof traten. »Sie haben die Aufgabe, die Galerie zu den königlichen Gemächern zu sichern und jedem Unbefugten den Zugang zu verwehren. Natürlich kann man auch sie bestechen, aber das zu versuchen ist nicht ungefährlich. Verrät ein Gentleman of the Privy den König, kann ihn das leicht seine Stellung und den Kopf kosten, je nachdem, wie wütend der König darüber ist.«

»Kennst du irgendwelche von Edwards Leibdienern?«

»Du kennst einen. Dein Herr, Lord Robert, gehört dazu.«

»Ich meine, einen, dem wir trauen können.«

Er überlegte. »Da wäre Barnaby Fitzpatrick. Er ist seit frühester Kindheit mit dem König befreundet. Hin und wieder hat er Edward in die Stallungen begleitet. Er hat nie viel geredet, sondern hat einfach nur dagestanden und über Edward gewacht. Allerdings weiß ich nicht, ob er noch im Palast ist. Ich habe gehört, dass die meisten von Edwards Vertrauten wegen seiner Erkrankung verbannt worden sein sollen. Angeblich hätten sie Seine Majestät einer Ansteckung ausgesetzt, obwohl er mir noch ganz gesund erschien, bevor ihn der Herzog in die Finger bekam.«

»Peregrine, du bist eine wahre Goldmine, was Wissen betrifft.« Ich setzte meine Kappe auf. »Wenn du je auf die Idee kommst, mich zu verraten, bin ich verloren.«

Er bedachte mich mit einem enttäuschten Blick. »Soll ich Barnaby suchen? Vielleicht kennt er einen zweiten Zugang zu den Geheimgemächern, oder willst du nun doch nicht dort rein?«

Verstohlen blickte ich über die Schulter. Im selben Moment erkannte ich, dass das Ausspähen der Umgebung bei mir zur zweiten Natur geworden war. »Sprich leise. Doch, ja, Fitzpatrick könnte nützlich sein. Such ihn, aber verrate ihm nichts. Ich weiß nicht, wo du mich antreffen wirst, aber …«

»Ich werde dich finden. Das ist mir ja schon einmal gelungen. So groß ist Greenwich schließlich nicht.«

Ich nickte. »Dann viel Glück. Aber was immer du tust, halte dich von Ärger fern.«

In seiner Ausstattung für den Stalldienst, wenn auch ohne die Schürze, jagte Peregrine durch den Hof und eine Treppe hinauf. Ein Stoßgebet für seine Sicherheit flüsternd, marschierte ich in die entgegengesetzte Richtung, wo sich der Flügel für die adeligen Herrschaften befand. Ich hatte mich entschlossen, den Sattel und mein Gepäck in einem von Stroh bedeckten Versteck in Cinnabars Nähe zu lassen, wo niemand es stehlen konnte, ohne zertrampelt zu werden. Bei aller Gutmütigkeit hatte mein Pferd etwas gegen Fremde, die seine Box durchsuchten. Nur meinen Dolch hatte ich mitgenommen, der sich gut im Stiefel unterbringen ließ, sodass ich mich frei von jeder Last bewegen konnte.

In den Gängen war es ruhig. Mir gegenüber entdeckte ich eine Reihe identischer Türen, die teils geschlossen, teils weit offen waren. Ich hätte Robert fragen sollen, welche davon seine Kammer war, hielt ich mir vor. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als mein Glück mit den Riegeln zu versuchen und in die Kammern zu spähen. Sie waren ähnlich geschnitten und durch einen Leder- oder ausgebleichten Stoffvorhang in einen kleinen Vorderraum und eine Schlafkammer unterteilt. Von Letzteren waren ein paar sogar mit primitivem Abort ausgestattet. Wie im Whitehall-Palast waren die Wände weiß getüncht und die Holzdielen schmucklos. Die karge Einrichtung der Kammern – Hocker oder Holzbank, Tisch, abgenutztes Bett oder Liege auf wackeligen Füßen – war zweckdienlich, nicht mehr. Für höfische Verhältnisse waren die Kammern nicht luxuriös, aber wenigstens frei von Flöhen, Nagern und den in den Burgen überall ausgestreuten, süßlich riechenden Binsen.

Es bedurfte mehrerer Versuche, bis ich Roberts Gemach am hinteren Ende dank seiner Satteltasche und eines aus Whitehall mitgebrachten Lederbeutels identifizieren konnte. Sein mit Schlamm bespritzter Reitumhang hing schief über einer Stuhllehne, als hätte er ihn in aller Eile darübergeworfen.

Er selbst war nicht da. Anscheinend erstattete er gerade seinem Vater Bericht. So hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was ich als Nächstes tun sollte, und vielleicht seine Abwesenheit auszunutzen und seine Statteltaschen nach Hinweisen zu durchwühlen?

Plötzlich schreckte ich hoch. Schritte näherten sich. Mit einem gewaltigen Satz rettete ich mich in die Schlafkammer hinter dem Vorhang, kauerte mich mit angehaltenem Atem nieder und spähte durch ein Loch in dem von Motten zerfressenen Stoff.

In der Tür erschien eine verhüllte Gestalt. Eine Sekunde lang befiel mich die lähmende Angst, das wäre mein eigener Schatten. Ich musste mich zwingen, trotz meiner Furcht hinauszuschauen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich erkannte, dass diese Person trotz Kapuzenmantel und abgewetzten Stiefeln kleiner und schmaler war als ich. Wenn Peregrine sich nicht getäuscht hatte, konnte das unmöglich der geheimnisvolle Unbekannte sein.

Die Gestalt blickte sich in dem Zimmer um. Dann zog sie einen zusammengefalteten Bogen Pergament unter ihrem Umhang hervor und legte ihn auf den Tisch. Damit er dem Bewohner gleich beim Eintreten auffiel, schob sie die dort stehenden Kerzenständer zur Seite. Danach verließ sie den Raum so zügig, wie sie gekommen war.

Ich zählte lautlos bis zehn, ehe ich in den vorderen Teil huschte. Das Pergament war sehr zart und demnach aus teurem Material. Aber es war das Siegel, das meinen Blick bannte. Jenes filigran ausgeschmückte E, das wie von Weinranken umrahmt wirkte, konnte nur einer Person gehören. Ich musste an mich halten, um das Siegel nicht auf der Stelle zu brechen. Darin konnte etwas enthalten sein, das ich wissen musste, etwas, das von Bedeutung für meine Mission sein konnte. Andererseits konnte ich einen Brief von der Prinzessin an Robert doch nicht einfach lesen! Es sei denn …

Mit dem Fingernagel kratzte ich das Wachs am Rand des Siegels weg. Es war noch frisch und ließ sich leicht anheben. Mit hämmerndem Herzen entfaltete ich das Pergament. Von aristokratischer Hand waren zwei kurze Sätze niedergeschrieben worden, und darunter prangte die unverkennbare Initiale.

Mylord, mir scheint, es liegt eine Angelegenheit von einiger Bedeutung vor, die wir erörtern müssen. Wenn es nach Eurem Ermessen möglich ist, dann antwortet bitte auf dem bewährten Wege, und wir treffen uns nach dem zwölften Glockenschlag im Pavillon.

E

Atemlos stand ich da. Das Stakkato der durch den Gang donnernden Schritte hörte ich erst, als sie fast schon die Tür erreicht hatten. Gerade noch rechtzeitig rettete ich mich in mein Versteck.

Diesmal stürmte Robert herein. Er trug immer noch seine Reitausstattung. Seine Züge waren verzerrt. »Warum muss immer ich der Dumme sein, der ihm die Schmutzarbeit abnimmt?« Wütend riss er sich die Handschuhe herunter und schleuderte sie zu Boden.

Hinter ihm erschien, gelassen und makellos wie immer, seine Mutter, Lady Dudley.

Mir schnürte sich die Kehle zu. Mit fahrigen Fingern brachte ich hastig das Siegel wieder über dem Brief an. Mit einem leisen Klicken schloss sie die Tür. »Robert, lass das. Du bist kein Kind mehr. Einen solchen Wutanfall werde ich nicht dulden. Dein Vater kann dich um Gehorsam bitten, aber ich verlange ihn.«

»Ihr habt ihn. Ihr habt ihn ja immer gehabt. Ich habe sogar diese dumme Robsart-Schlampe geheiratet, weil Ihr und Vater das für das Beste hieltet. Ich habe immer alles getan, was Ihr von mir verlangt habt. Immer.«

»Niemand hat bestritten, dass du ein mustergültiger Sohn bist.«

Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Verzeiht mir, wenn ich Euch bitte, widersprechen zu dürfen. Meiner Erfahrung nach werden Mustersöhne nicht auf absurde Botengänge geschickt.«

»Das ist keine absurde Mission.« Lady Dudleys ausdrucksloser Ton hatte etwas Gespenstisches. »Im Gegenteil, das, worum wir dich bitten, setzt hohes Vertrauen in deine Fähigkeiten voraus.«

»Welche Fähigkeit denn? Diejenige, von einem Moment zum nächsten loszureiten, um eine alte Jungfer zu verhaften, die jeder Schwachkopf mit einer halben Eskorte im Handumdrehen finden könnte? Es ist ja nicht so, als ob sie kämpfen würde. Ich gehe mit Euch jede Wette ein, dass sie nicht mehr als ein halbes Dutzend Soldaten dabeihat, wenn überhaupt.«

»Gewiss.« Zu meiner Erleichterung hatte Lady Dudleys Stimme wieder die gewohnte Strenge und Kälte angenommen. »Und doch könnte ebendiese alte Jungfer deinen Ruin bedeuten.« Ihre Blicke bohrten sich in seine Augen. »Mary hat einen ausführlichen Bericht über den Gesundheitszustand ihres Bruders, des Königs, verlangt. Bleibt der aus, droht sie, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Ich brauche dir wohl nicht zu erklären, dass das nur eines heißen kann: Sie erhält Informationen von jemandem hier am Hof.«

»Zweifellos. Sie ist ja nicht dumm. Es gibt hier immer noch genügend Papisten, die mit ihr sympathisieren.«

»Allerdings«, erwiderte Lady Dudley. »Und das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist, dass einer dieser Papisten ihr zur Flucht außer Landes verhilft, damit sie sich ihrem Cousin, dem Kaiser, an die Brust werfen und sich ihm auf Gedeih und Verderb ausliefern kann. Mary muss verhaftet und zum Schweigen gebracht werden, und du bist der Einzige, den wir damit beauftragen können. Keiner deiner Brüder hat die dazu erforderlichen Fähigkeiten. Du dagegen bist schon in Schlachten geritten, kannst Männer befehligen und deinen Willen durchsetzen. Die Soldaten werden deine Anweisungen nicht infrage stellen und Mary anstandslos festnehmen.«

Ich presste die Zähne aufeinander. Sie sprachen über Prinzessin Mary, die ältere Schwester des Königs. Mir fiel wieder ein, was Cecil über sie gesagt hatte, über ihren eisernen Katholizismus und warum sie eine Bedrohung für den Herzog darstellte. Ich beugte mich näher zum Vorhang und verbarg Elizabeths Schreiben unter meiner Jacke. Mir war durchaus bewusst, dass ich in diesem Augenblick den Initiationsritus zur Aufnahme am Hof, den Cecil erwähnt hatte, zum zweiten Mal absolvierte. Der Unterschied war nur: Wenn ich diesmal ertappt wurde, konnte ich die Hoffnung vergessen, lebendig davonzukommen.

»Das alles kann ich ja verstehen.« Als Robert sich verzweifelt mit einer Hand durch das wirre Haar fuhr, musste ich unwillkürlich an einen unsicheren Jüngling denken, der, gefangen zwischen dem eisernen Willen seiner Eltern und seinem eigenen Drang nach etwas ganz anderem, nicht mehr ein noch aus wusste. »Ich weiß, wie viel wir zu verlieren haben. Aber Vater und ich sind uns darin einig, dass Mary keine unmittelbare Gefahr darstellt. Sie hat keine Armee, keine Barone, die bereit wären, sie zu unterstützen, und kein Geld. Vielleicht hegt sie einen Verdacht, aber sie hat keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Elizabeth dagegen ist hier in Greenwich. Mehr als alles andere ist sie jemand, der immer auf die Füße fällt. Ich weiß, dass sie die Vorteile unseres Vorschlags erkennen wird. Und haben wir erst einmal ihre Einwilligung, bleibt uns mehr als genug Zeit, um ihre lästige Schwester zu jagen.«

Ich verharrte regungslos in meinem Versteck und wagte kaum zu atmen, während ich auf Lady Dudleys Antwort wartete.

»Mein Sohn«, sagte sie mit einem leichten Flackern in der Stimme, als müsste sie ein Gefühl unterdrücken, das sie sonst womöglich überwältigt hätte, »dein Vater vertraut mir dieser Tage nichts an. Doch ich weiß, dass er ein gewaltiges Risiko eingegangen ist. Er lenkt dieses Königreich, seit Lord Protector Seymour das Schafott bestiegen hat, und beliebter hat ihn das wahrlich nicht gemacht. Nachdem er zuvor als die rechte Hand des Lord Protector gegolten hat, sieht man ihn jetzt als diejenige Hand, die seinem Herrn den Kopf abgeschlagen hat. Auch wenn ich dir zugestehe, dass dein Vorschlag wohlbegründet ist, müssen wir uns trotzdem immer noch gegen die Suffolks und den Kronrat durchsetzen. Fürs Erste stellen sie nur Fragen. Bald werden sie jedoch Antworten verlangen.«

»Sobald wir Elizabeth haben, haben wir auch Antworten. Das habe ich Vater zu sagen versucht, aber er wollte einfach nicht hören. Sie ist der Schlüssel zu allem. Mit ihr kommen wir an alles heran, was uns noch fehlt.«

»Du bist zu ungeduldig«, tadelte Lady Dudley ihn. »Ohne die Einwilligung des Kronrats kannst du deine Hoffnungen auf eine Annullierung deiner Ehe mit Amy Robsart begraben. Und solange du ihrer nicht ledig bist, gibt es keine Hoffnung auf mehr als eine bloße Freundschaft mit Elizabeth Tudor.«

Aus Roberts Gesicht wich alle Farbe. »Aber Vater hat es mir versprochen!«, brachte er in wütendem Flüsterton hervor. »Er hat mir versprochen, dass sich weder die Suffolks noch der Kronrat mir in den Weg stellen werden. Er hat gesagt, dass die Annullierung kein Problem sein wird und er ihnen zur Not die Klinge seines Schwertes an die Kehle pressen wird, bis sie unterschreiben.«

»Die Umstände ändern sich nun mal«, sagte sie. »Beim jetzigen Stand der Dinge kann dein Vater keine weiteren Zugeständnisse erzwingen. Es steht einfach zu vieles auf dem Spiel. Elizabeth hätte nie nach London kommen dürfen. Damit hat sie das Feuer unter unseren Füßen nur angefacht. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hat, den Kronrat zu bitten, sie ihren Bruder besuchen zu lassen, oder – Gott behüte – das vor aller Öffentlichkeit von uns zu verlangen, dann …« Sie verstummte und ließ die unausgesprochenen Folgen eines solchen verhängnisvollen Schritts bedeutungsschwer zwischen ihnen schweben.

Dann fügte sie hinzu: »Dein Vater braucht Zeit, Robert. Wenn er entschieden hat, dass es besser ist, noch nicht mit Elizabeth zu sprechen, dann musst du seinem Urteilsvermögen trauen. Er tut nie etwas ohne Grund.«

Während sie sprach, sah ich, wie ihre Augen sich ein wenig hoben und vorbei an Robert zum Vorhang blickten. Das Blut gefror mir in den Adern, denn in diesem Moment erkannte ich die Tücke in ihrem Blick. Genau so hatte sie ausgesehen, als sie mich der Herzogin von Suffolk vorgeführt hatte. Wie ein Blitzschlag traf mich die Erkenntnis, dass sie ihrem Sohn ins Gesicht log. Sie führte ihn absichtlich in die Irre.

»Er hat dich nicht im Stich gelassen.« Ihr Ton war auf einmal sanft geworden. »Nur hält er es einfach für klüger, sich erst um Mary zu kümmern. Wer kann bei ihr schon vorhersagen, was sie als Nächstes anstellt? Du sagst, dass sie weder Geld noch Unterstützung hat, aber irgendjemand am Hof füttert sie offenbar mit Nachrichten, und der spanische Botschafter hat immer Geld, wenn sie welches braucht.«

Mir schnürte sich der Magen zu. Warum vermengte sie Lügen mit der Wahrheit? Aus welchem Grund konnte ihr daran gelegen sein, Robert vom Hof und von Elizabeth zu entfernen? Welchen Vorteil versprach sie sich davon, ihren begabtesten Sohn, noch dazu den einzigen, der mit Elizabeth auf vertrautem Fuß stand, in einer Zeit der größten Gefahr für ihre Familie fortzuschicken?

Robert starrte seine Mutter an, als sähe er sie zum ersten Mal. Es lag auf der Hand, dass auch er den Verrat witterte, nur war ihm nicht klar, worin er bestehen mochte. Sein Zögern steigerte die Anspannung bei beiden, bis er sie mit einem spöttischen Lachen auflöste.

»Der einzige Schaden, den Mary anrichten kann, besteht darin, dass sie sich lächerlich macht. Sie hätte schon vor Jahren verheiratet werden sollen – und zwar mit einem Lutheraner. Der hätte ihr dann schon Vernunft in ihren katholischen Dickschädel geprügelt.«

»Sei es, wie es wolle«, konterte Lady Dudley, »du musst zugeben, dass sie ein Hindernis darstellt. Solange sie frei ist, kann sie durch das Land ziehen und Anhänger hinter sich scharen. Der Pöbel liebt verlorene Sachen. Ich meinerseits würde beruhigter schlafen, wenn ich sie im Tower wüsste. Ein, zwei strenge Tagesritte, eine etwas unfreundliche Behandlung von ein paar Stunden Dauer, und die Angelegenheit ist erledigt. Danach kannst du an den Hof und zu deiner Elizabeth zurückkehren. Bis dahin wird sie gewiss nicht eingehen.«

Ich beobachtete die zwiespältigen Gefühle auf Roberts Gesicht, die die Worte seiner Mutter auslösten, und war nicht überrascht, als er schließlich – wenn auch widerstrebend – nickte und missmutig brummte: »Das wird sie mit Sicherheit nicht. Diese Dame ist stur wie ein Esel, ganz wie ihre Schwester. Sie wird sich nicht vom Fleck rühren, solange nicht jede ihrer Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet ist. Wenn ich Mary ins Gefängnis stecken muss, damit dieser hohlköpfige Kronrat Vernunft annimmt, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich bringe sie in Ketten nach London.«

Lady Dudley neigte den Kopf. »Es erfreut mich, das zu hören. Dann sage ich deinem Vater Bescheid. Er beratschlagt gerade mit Lord Arundel. Sie werden dir selbstverständlich verlässliche Männer an die Seite stellen. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind, wirst du alles Weitere erfahren. Möchtest du dich bis dahin nicht noch ein wenig ausruhen? Du siehst so müde aus.« Die Geste, mit der sie ihm die Hand an die Wange legte, hätte zärtlich sein sollen. Doch das war sie nicht.

»Du bist das begabteste von unseren Kindern«, murmelte sie. »Geduld. Deine Zeit kommt schon noch.« Damit drehte sie sich um und rauschte mit wehenden Kleidern davon.

Kaum hatte sie die Tür geschlossen, ergriff Robert den Kerzenhalter und schleuderte ihn an die Wand. Putz spritzte nach allen Seiten. In der Stille, die nun eintrat, keuchte er wie ein in die Enge getriebenes Tier.

In meiner Magengrube breitete sich ein flaues Gefühl aus. Ich gab mir einen Ruck, zerzauste mir kurzentschlossen das Haar, löste die Schnüre meiner Jacke und trat herzhaft gähnend hinter dem Vorhang hervor.

Robert wirbelte herum. »Du? Du warst hier? Du … hast alles gehört?«

»In dieser Situation hielt ich es für das Beste, mich nicht blicken zu lassen, Mylord«, murmelte ich.

Seine Augen verengten sich. »Du erbärmlicher Köter hast mich belauscht!«

Ich senkte die Augen. »Vergebt mir, aber ich war so müde. All der Wein gestern Abend, der Ritt hierher … Da bin ich auf dem Bett Eurer Lordschaft eingeschlafen. Bitte verzeiht mir. Es wird nie wieder vorkommen.«

Er musterte mich scharf. Dann baute er sich vor mir auf und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Benommen taumelte ich zurück. Einen sich ewig hinziehenden Moment lang starrte er mich stumm an. Schließlich knurrte er: »Du hast geschlafen, sagst du? Dann solltest du lernen, den Wein zu vertragen. Oder weniger zu trinken.« Erneut verstummte er.

Ich wagte nicht zu atmen. Meine Ausrede war durchaus plausibel, wenn auch nicht unbedingt überzeugend. Aber immerhin hatte sie ihm eine Blamage erspart. Und vielleicht nahm er in seiner Überheblichkeit tatsächlich an, dass ich von dem Wortwechsel zwischen ihm und seiner Mutter kaum etwas verstanden hatte. Sehr viel Intelligenz hatte er mir schließlich noch nie zugetraut, und ich hatte mich nie zu meinem Wunsch geäußert, mehr zu erreichen, als seiner Familie zu dienen. Freilich war die Gefahr nicht gebannt, dass er mich am Ende doch umbrachte, falls ich eine Bedrohung für seine Sicherheit darstellte. Ich konnte nur zu Gott beten, dass er mich auch weiter als einen Hund betrachtete, der die Hand, die ihn fütterte, nie beißen würde.

Zu meiner Erleichterung begnügte er sich mit einem Tritt gegen den Kerzenständer und stürmte zum Tisch. »Zum Teufel mit meinem Vater! Gerade jetzt, wo ich die Karten so schön in der Hand hatte. Allmählich frage ich mich, ob er mir absichtlich einen Strich durch die Rechnung macht. Erst schickt er mich mit irgendeinem dummen Auftrag zum Tower, während er sie an den Hof lädt, und jetzt hat er schon wieder eine Ausrede gefunden, um mich hinzuhalten.«

Ich bekundete Verständnis, während ich fieberhaft versuchte, die Fragmente zusammenzusetzen, die ich gerade in Erfahrung gebracht hatte.

Zum einen schien die vielgepriesene Einheit der Familie Dudley zu zerbröckeln. Lady Dudley hatte verkündet, dass ihr Gemahl kein Vertrauen mehr zu ihr hatte, obwohl sie stets sein Halt gewesen war, die Eisenstange, an der seine Seidengewänder hingen. Was immer der Herzog mit Elizabeth vorhatte, Robert war jetzt davon ausgeschlossen, obwohl er wiederholt ein Versprechen erwähnt hatte, das ihm offenbar gemacht worden war. Ich traute mich fast zu wetten, worauf diese Zusage hinausgelaufen war.

Darüber hinaus hatte Lady Dudley die Suffolks erwähnt, mit denen die Dudleys jetzt verschwägert waren. Konnte es sein, dass sie, als Blutsverwandte des Königs, sich der für Guilford geplanten Verbindung widersetzten? Jane Grey war eine Großnichte von Henry VIII. Dank ihrer Mutter, der Tochter von König Henrys Schwester, floss Tudor-Blut in ihren Adern. Damit ließe sich erklären, warum der Herzog sich entschieden hatte, Robert auf Mary zu hetzen. Die Einkerkerung der Thronerbin im Tower könnte sich als schlagendes Argument gegen die Vorbehalte der Suffolks erweisen. Oder steckte hinter diesen Machenschaften gar ein noch teuflischeres Motiv?

Ich wollte diese Aspekte noch mehr erforschen, insbesondere, was die Suffolks betraf. Sie spielten hier eine wichtige Rolle, allen voran die Herzogin. Ich musste unbedingt ergründen, welche Absichten sie verfolgte. Elizabeths Sicherheit und auch meine eigene konnten davon abhängen. Doch ein Diener, der nichts erlauscht hatte, sollte auch keine Fragen zum besseren Verständnis stellen.

Schließlich wagte ich die Antwort: »Initiativen wie die von Mylord verdienen Lob.«

Es war ein schwacher Versuch, doch wie die meisten, die verletzt worden waren und nach Rache dürsteten, ging Robert begierig darauf ein. »Eben! Das sollte man meinen. Aber mein Vater sieht das offenbar anders. Und was meine Mutter betrifft … Himmelherrgott, da weiß ich, dass sie nur einen Liebling hat: Guilford. Der Rest von uns könnte von ihr aus auf der Stelle sterben, wenn sie sich zwischen ihm und uns entscheiden müsste.«

Darauf antwortete ich nicht direkt. »Ich habe gehört, dass Mütter ihre Kinder eines wie das andere lieben.«

»Und deine?«, höhnte er. »Hat sie dich etwa nicht zum Sterben vor dem Häuschen unter unserer Burg ausgesetzt?«

Das war eine rhetorische Frage, die nicht nach einer Antwort verlangte. Ich schwieg und ließ ihn weiterreden.

»Sie schert sich einen feuchten Kehricht um mich. Guilford war von Anfang an ihr Liebling, weil er der Einzige ist, den sie beherrschen kann. Sie hat mit Macht seine Vermählung mit Jane Grey betrieben. Vater hat gesagt, dass sie sogar auf Janes Mutter losgegangen ist, als die Herzogin sich am Anfang weigerte, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ihre Tochter sei von königlichem Geblüt, soll sie gesagt haben, wohingegen wir Emporkömmlinge wären, die sich höchstens auf die Gunst des Königs berufen könnten. Aber irgendwie hat meine Mutter die Herzogin dann doch noch dazu gebracht einzulenken. So, wie ich sie kenne, hat sie der alten Hexe wahrscheinlich das Messer an die Kehle gehalten.«

Seine Worte gingen mir durch Mark und Bein. Ein Messer an der Kehle der Herzogin: Plötzlich war mir, als wäre ich in einem dunklen Netz gefangen – ohne Aussicht, mich je daraus befreien zu können.

Robert knüpfte sein Wams auf und warf es aufs Bett. »Schande über sie! Schande über sie alle, sage ich! Ich habe jetzt meine eigenen Pläne und bin nicht bereit, sie aufzugeben, bloß weil sie sich das einbildet. Soll sie Mary doch selbst verfolgen, wenn sie meint, dass diese Papistin eine Bedrohung ist. Ich bin kein Lakai, den man nach Belieben herumkommandieren kann.« Er blickte sich im Zimmer um. »Gibt es in diesem gottverlassenen Loch denn nichts zu trinken?«

»Ich bringe Euch Wein, Mylord.« Ich lief sogleich zur Tür, auch wenn ich nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wo ich welchen finden würde. Aber wenigstens würde ich Zeit gewinnen, um meine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen.

Doch Robert hielt mich zurück. »Nein, vergiss den Wein. Hilf mir beim Entkleiden. Hat keinen Sinn, mir den Verstand zu benebeln. Ich finde schon einen Weg, Elizabeth zu treffen, gleichgültig, ob mit oder ohne Zustimmmung meines Vaters. Ich treffe sie und bekomme ihre Einwilligung, und wenn ich sie habe, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als uns seinen Segen zu geben. Das wäre ja gelacht.«

Ich zog Robert Hose, Hemd und Stiefel aus. Aus seiner Satteltasche nahm ich dann ein Tuch, mit dem ich ihm den Schweiß vom Oberkörper tupfte. »Sie werden aus allen Wolken fallen!«, rief er. »Vor allem Guilford und meine Mutter. Ich kann es kaum noch erwarten, ihre Gesichter zu sehen, wenn ich ihnen die Nachricht mitteile.« Unter dröhnendem Lachen spreizte er die Beine, damit ich die Lederriemen lösen und seine Strumpfhose herunterziehen konnte. »Was ist? Hast du gar nichts dazu zu sagen?«

Während ich seine Unterwäsche zusammenfaltete und auf die Truhe legte, antwortete ich: »Es genügt mir vollauf, Eurer Lordschaft so zu dienen, wie Ihr es für das Beste erachtet.«

Er lachte auf. »Vorwitz und Mut, Prescott, nur damit kann man in dieser Schlangengrube, die wir Leben nennen, vorankommen. Nicht, dass du eine Ahnung davon hast.« Nackt wandte er sich zu seinem Bett um. »Am Nachmittag kannst du tun, was du willst. Sieh nur zu, dass du rechtzeitig wieder da bist, um mir beim Ankleiden für heute Abend zu helfen. Und dass du dich diesmal nicht verläufst! Mein Äußeres muss heute tadellos sein.«

»Mylord!« Einem Impuls folgend, griff ich unter mein Wams. Die Würfel waren gefallen. Niemand sollte Elizabeth Rede und Antwort darüber stehen müssen, warum Lord Robert auf ihre Botschaft nicht reagiert hatte. »Ich habe das hier bei meinem Eintreten auf dem Tisch entdeckt.« Ich hielt ihm die Nachricht entgegen.

Robert riss sie mir aus den Fingern. »Kluges Kerlchen. Es wäre wahrlich nicht gut gewesen, wenn meine Mutter das hier gesehen hätte. Du hast dein Nickerchen gerade zur rechten Zeit gehalten.« Er riss den Brief auf. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. »Was habe ich dir gesagt? Sie kann mir nicht widerstehen! Sie schreibt, dass sie mich heute Nacht an keinem anderen Ort als dem alten Pavillon treffen will. Das ist doch etwas! Sie hat wirklich einen makabren Humor, unsere Bess. Es heißt, dass ihre Mutter ihre letzte Nacht in Freiheit in diesem Pavillon verbracht und vergeblich auf Henry gewartet hat.«

»Und das ist eine gute Nachricht?« Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund.

»Eine gute Nachricht? Herrgott, es ist die beste, die ich seit Langem gehört habe! Steh nicht herum wie ein Ölgötze. Hol mir aus meiner Tasche Tinte und Papier. Ich muss ihr gleich eine Antwort schicken, bevor sie es sich anders überlegt.«

Er kritzelte seine Mitteilung, streute Sand über den Bogen und brachte sein persönliches Siegel darüber an. »Bring ihr das. Sie ist vor wenigen Stunden eingetroffen und hat Gemächer mit Blick auf den Garten verlangt. Nimm die Galerie, die zum Burghof führt, lauf zur Treppe hinüber, und steige zur Galerie hinab. Du wirst sie nicht zu Gesicht bekommen. Am Nachmittag schläft sie gerne. Aber ihre Hofdamen werden auf den Beinen sein. Eine davon ist Kate Stafford. Die hat ihr Vertrauen.« Er feixte. »Ein richtiger Leckerbissen. Was immer du tust, gib den Brief bloß nicht diesem Drachen von Ashley! Sie hasst mich, als wäre ich der Leibhaftige.«

Ich steckte den Brief unter mein Wams. »Ich werde mein Bestes tun, Mylord.«

Er bedachte mich mit einem grausamen Grinsen. »Sieh zu, dass du dein Wort hältst. Denn wenn alles nach Plan geht, könntest du bald Junker des nächsten Königs von England sein.«