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Rom, Anno Domini 1505

Auf den Tisch hatte Bramante ein großes Pergament gespannt und zeichnete darauf seine Vision der neuen Peterskirche. Schon seit einer Woche hatte er unablässig wie im Rausch daran gearbeitet. Immer wieder unterbrach er sich und blätterte in der Übersetzung des »Buches der Baumeister«. Dann rechnete er wieder. Wie hoch durfte er die Pfeiler der Vierung treiben? Und vor allem: Welche Fläche konnte eine Kuppel maximal überspannen, ohne einzubrechen? Mit einem Wort: Welche Ausmaße würde sein Himmel einnehmen? Ihn zu gering zu denken verbot sich von allein. Also, welchen Durchmesser sollte er ansetzen? Fünfzehn Fuß? Fünfundzwanzig? Fünfzig? Dann würde sein Himmel die Breite des Tibers übertreffen.

Er rechnete nach, setzte die Zahlen zueinander ins Verhältnis und erkannte, dass er nicht nur eine riesige Vierung mit gigantischen Segmenten brauchen würde, um die Kräfte der Kuppel aufzufangen. Es blieb auch fraglich, ob die Kuppel selbst die ungeheuren Kräfte in ihrem Innern ableiten konnte und nicht einfach barst. Die Kuppel des Pantheons maß nahezu fünfzehn Fuß, die des Domes von Florenz kam auf ähnliche Maße, war zweischalig und mit geringer Wölbung, aber stattdessen mit vielen Streben versehen, im Grunde gotisch. Also zählte sie nicht. Auch wenn seine Berechnungen etwas anderes ergaben, reizte es ihn, die Flussbreite des Tibers an der Schleife nahe Sankt Peter, dort, wo die Engelsburg stand, als Maß für den Durchmesser der Kuppel des neuen Petersdomes zu nehmen. Er warf sich in seinen Stuhl, sodass das ausgetrocknete Holz unter seinem Gewicht ächzte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte nach.

Es würde genügend Neider geben, die ihm vor- und nachrechnen würden, dass sein Plan undurchführbar war. Er beschloss, von der Größe der Kuppel des Pantheons auszugehen. Sie in ihrer flachen Eleganz als Himmel auf den neuen Dom zu heben, würde ihm genügend Ehre einbringen. Während er zeichnete, kam ihm eine vage Idee, die sich seiner nach und nach vollkommen bemächtigte. Schließlich ließ er die Skizze ruhen, denn es trieb ihn zum Vatikan. Drei Tage verbrachte er dort mit Vermessungsarbeiten. Obwohl er darin geübt war, probierte er eine neue Methode aus, die bussola, bei der er den Magnetkompass dazu benutzte, über mathematische Proportionen Längen zu berechnen.

Das Gelände unterhalb des Südarmes der Basilika, wo sich die beiden berühmten Kapellen, die Capella Santa Maria della Febrella und die Kapelle der heiligen Petronilla, befanden, erregte sein besonderes Interesse. Vor Santa Maria della Febrella erhob sich eine uralte römische Säule, in deren Kugel unterhalb der Spitze sich die Asche des Julius Cäsar befand. Einst hatte sie im Zircus des Kaisers Nero gestanden, den inzwischen der Staub und der Schutt der Zeit bedeckten. Die Säule brachte Bramante auf eine kühne Idee, so kühn, dass es ihm selbst die Sprache verschlug. Die Vermessungen sollten nun zeigen, ob sie aufging. Zur Verneigung vor seiner eigenen Genialität war es noch zu früh, erst wollte er seine Vision durch genaue Messungen absichern.

Er prüfte die Lage des Petrusgrabes und des Grabmals von Julius’ Onkel, Papst Sixtus IV. Nun musste er die gewonnenen Daten nur noch auf die Skizze übertragen. Der Plan ging auf, wie von Gott gewirkt. Bramantes Augen begannen zu leuchten. Seine Idee war elegant, groß und in ihrer Einfachheit genial. Durch die Zeichnung hindurch sah er die Gestalt des neuen Petersdomes. Und es war das Schönste, was er in seinem ganzen Leben gesehen hatte – er wollte, er musste es in der Realität sehen. Nichts und niemand durfte es wagen, ihn daran zu hindern!

»Messèr Donato, Messèr Donato!«, sprach ihn jemand leise an.

Der Architekt sah von seiner Zeichnung auf. Vor ihm stand der Kammerdiener des Papstes, der mit der ganzen bewunderungswürdigen Zurückhaltung eines obersten Domestiken auf sich aufmerksam machte, nachdrücklich, aber nicht aufdringlich.

»Ja, bitte?«

»Seine Heiligkeit erwartet Euch nach dem Komplet in ihren Privatgemächern.«

»Richte dem Heiligen Vater aus, es sei mir eine Ehre.«

Kaum war er wieder allein, rief Bramante nach seinem Hausdiener. »Giorgio, elender Lumpenhund, wo steckst du schon wieder?« Als er sich rufend und fluchend umwandte, stand der Gesuchte seelenruhig vor ihm.

»Sag doch, dass du hinter mir stehst! Elender Schleicher! Richte mir ein Bad, spare aber nicht mit Lavendel und Rosenblüten. Und ruf den Barbier. Das Kraut muss ab!« Mit Daumen und Zeigefinger umfasste er den Vollbart, der ihm in der Woche gewachsen war. Seit die Haare auf dem Kopf ausblieben, sprossen sie an Kinn und Wangen – und leider auch aus der Nase – nur umso williger.

Eine Woche hatte Julius II. ihn warten lassen. Sicher, der Papst konnte sich nicht ausschließlich mit dem Bauprojekt beschäftigen, ihn plagten größere Sorgen. Auch hatte Bramante die Zeit gebraucht und gut genutzt. In diesen Tagen drehte Fortuna ihr Rad nur für ihn. Er wäre ein Narr gewesen, wenn er das nicht ausgenutzt hätte. Im Grunde war es ein Wunder, dachte Bramante, dass der alte Mann im Vatikan trotz all seiner politischen Projekte noch Zeit und Kraft fand, um sich um Kunst und Architektur zu kümmern. Doch der Heilige Vater war eben klug genug, um zu wissen, dass beides zusammengehörte: die Macht und die Architektur der Macht. Nicht nur die großen Feldherren, auch die Baumeister würden Rom wieder zur Welthauptstadt und zum neuen Jerusalem machen. Die einen nicht ohne die anderen.

Bramante beschloss, nach dem Bad ein einfaches Abendessen zu sich zu nehmen und dann aufzubrechen. An diesem Tag sollte es entschieden werden. Seine Idee war fertig ausgearbeitet, überdies göttlich und einfach unwiderstehlich. Er wies seinen Diener an, zur Feier des Tages um Mitternacht ein ausgiebiges Festmahl zu richten und außer Musikern ein paar Damen dazuzuladen, von der Art, wie der Hausherr sie mochte. Zu dieser Stunde, schätzte er, würde er von der Audienz zurück sein. Sobald er Julius von seinem Projekt überzeugt hätte, woran er nicht zweifelte, wollte er nur noch feiern.

Gott, wie lange hatte er sich nicht mehr in das warme Fell einer Frau gebohrt! Er und alt? Unfug! Bramante verstand nicht mehr, weshalb er die letzten Wochen in Trauer und Verzweiflung, Skepsis und Kraftlosigkeit zugebracht hatte. Als sei er verhext und ein anderer gewesen. Der Verlust Imperias hatte ihn tief getroffen, gut. Aber lag es nicht in der Ordnung der Welt, dass die Frauen kamen und gingen? Nichts hatte Bestand, nur der Wechsel. Immer neue Generationen würden sich in den gleichen ebenso lächerlichen wie Lust spendenden Verrenkungen ergehen.

Nach dem Bad und dem Imbiss, bei dem er mehr trank als aß, zog er ein weißes Damasthemd über und eine rote, geschlitzte Hose, die den noblen schwarzen Unterstoff sehen ließ. Zum Schluss schlüpfte er in ein samtenes Wams in der Farbe der Hose. Ein mächtiger Federhut vollendete seinen Aufzug. In seiner beschwingten Stimmung, die auch auf den sizilianischen Nero d’Avola beim Abendessen zurückzuführen war, bemerkte er nicht, dass er etwas zu auffällig für sein Vorhaben gekleidet war. Seine Idee war stärker als alle Reize der Welt, verführerischer als Frauen, berauschender als Wein und unwiderstehlicher als die feinste Speise. Bramante verneigte sich in tiefer, ehrlicher Bewunderung vor seinem Spiegelbild und verließ das Haus.

Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich Pico, und er kniete innerlich nieder vor dem Philosophen, denn nun würde er dessen Vermächtnis erfüllen, Rom und die Welt würde er erobern. Getrieben von dem Vorsatz, das zu verwirklichen, was er einst in San Vitale in Ravenna gelobt und an Picos Leiche geschworen hatte, stürmte er durch die nächtlichen Gassen und Straßen zum Vatikan.

Vor der Petersbasilika blieb er stehen und sagte laut: »Nicht mehr lange, bis du armseliger Steinhaufen einer wirklichen Architektur weichen musst!«

Als er in das kleine Lesezimmer des Papstes im Borgia-Turm trat, erwarteten ihn neben Julius II. bereits Kardinal Catalano, Egidio da Viterbo und Giuliano da Sangallo. Agostino Chigi ließ sich entschuldigen, seiner Frau ging es nicht gut.

»Die arme Margarita Saraceni, sie hat doch sehr viel zu leiden und ist dennoch immer froh gelaunt. Ein Vorbild, ein Vorbild für uns alle, die Prüfungen zu ertragen, die der Herr uns auferlegt«, sagte der Papst nachdenklich. Dann sprach er die erlösenden Worte. »Wir haben Uns entschlossen, den Neubau von Sankt Peter zu wagen. Setze Uns deinen Plan näher auseinander, Donato.«

Bramante entfuhr ein erleichterter Seufzer. Dann beeilte er sich, seinen Entwurf auszubreiten. Der Papst erblickte einen Zentralbau.

»Heiliger Vater, es ist so einfach wie folgerichtig. An dieser Stelle errichten wir den Tempel. Und schaut, hier im Nordarm würde Euer Mausoleum stehen, und wenn man Richtung Süden geht, käme hier die Memoria des Apostels Petrus, und in gerader Linie folgt das Grabmal Eures teuren Onkels, des Papstes Sixtus IV.«

Julius’ Augen begannen zu strahlen. Dann lächelte er listig. »Aber ich sehe noch etwas auf der Geraden!«

»Ja«, erklärte Bramante, »wir verlegen den Haupteingang von der Ost- zur Südseite. Dadurch eröffnet die Säule mit der Asche des Julius Cäsar die Verbindungslinie vom Grabmal Eures Onkels über das Grab Petri zu Eurem Mausoleum. Stellt Euch das vor, Heiliger Vater: Von den großen Taten des Julius Cäsar vor der Zeit Christi und seiner Kirche kommend, betreten wir den Dom und verneigen uns vor dem großen Sixtus, knien dann vor Petrus, dem Apostelfürsten, um schließlich bei Euch, Eurer Heiligkeit, zu verweilen. Zum Ruhme der Kirche. Und zum Ruhm der della Rovere!«

Stille trat ein. Alle betrachteten die Zeichnung.

»Ihr setzt also den Papst über Petrus?«, bemerkte Giacomo spitz.

»In welcher Weise?«

»Weil man die Linie von Julius Cäsar über Petrus zum Heiligen Vater auch als aufsteigend betrachten kann.«

Bramante begriff, dass in diesen Worten der Vorwurf der Ketzerei lauerte. Egidio da Viterbo trat zu dem Dominikaner und legte ihm beschwichtigend den Arm auf die Schulter, bevor er ihm ausgesprochen weitschweifig erläuterte, dass man die Gerade nicht als aufsteigend betrachten, sondern in der Kirche als gleichzeitig, als Tableau, begreifen müsse. Dennoch hatte der Einwurf den Papst nachdenklich gestimmt.

Giacomo hatte sich von Egidios Belehrungen nicht beirren lassen und fuhr mit feiner Ironie fort: »Wenn ich Eure Zeichnung richtig verstehe, dann nutzt Ihr die Fundamente und die mannshohe Mauer des Westchores nicht, die Nikolaus V. und Pius II. haben errichten lassen, sondern verschiebt die Kirche einfach nach Osten?« Bramante nickte. »Wenn Ihr diese Konstellation erhalten wollt und der Apostelfürst direkt in der Mitte, unter der Laterne der Kuppel, ruhen soll, dann müsst Ihr wohl das Grab des Apostels Petrus verlegen?«, erkundigte sich der Dominikaner mit allerunschuldigstem Gesichtsausdruck.

»Ist das wahr?«, fragte der Papst schroff.

Bramante begriff, dass Giacomo il Catalano den einzigen schwachen Punkt in seiner Planung erkannt und herausgefischt hatte. »Es ist wahr, wir würden den Apostelfürsten umbetten.«

»Es ist klug von Messèr Donato, die Kirche nicht in Richtung des Westchores und der vorhandenen Mauern zu erweitern, weil es nur Kosten und Ungemach verursacht«, sprang ihm Sangallo bei.

»Und weshalb?«, erkundigte sich der Papst.

»Weil der Boden dort aufgeschüttet wurde und möglicherweise ins Rutschen kommt. Wollten wir die Fundamente für einen so großen Bau nutzen, müssten wir den Abhang unterfüttern und befestigen.«

»Aber es wäre möglich?« Julius war noch nicht überzeugt.

»Ja, nun, möglich ist viel.«

»Ist es möglich?«

Bramante vermochte seinen Zorn kaum zu bändigen. Religiöses Geschwätz und Kleingeisterei standen auf, um seine göttliche Idee zu zerstören. Das durfte nicht geschehen!

»Heiliger Vater, lasst den Gedanken einmal in Euch wirken. Stellt Euch vor, dass der Tempel, den Ihr, ein weitaus größerer Cäsar, aufrichten werdet, das majestätische Denkmal des ersten Julius gleichsam im Vorhof haben wird. Wie wird dieser gewaltige Obelisk die Seelen der Christen erschüttern und dadurch noch empfänglicher machen für die Größe Christi, die sie im Dom erwartet! Sorgt Euch doch nicht um das Grab unseres geliebten Apostels, es wird dabei nicht zu Schaden kommen. Mit meinen eigenen Händen werde ich es verlegen!«, beteuerte Bramante und hob beschwörend die Arme. »Wäre Petrus unter uns, er wäre der Erste, der seine Zustimmung erteilte, weil es um die Größe der Kirche geht, die Christus auf Petrus gründete.«

»Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein«, zitierte Egidio zustimmend.

»Aber es steht nicht geschrieben, dass man den Felsen beliebig verschieben darf. Es ist Sünde, sich aus Eitelkeit am Grab des Apostelfürsten zu vergehen«, rief Giacomo mit erhobenem Zeigefinger. »Und viele, viele werden es so sehen!«

»Was werden sie sehen, mein Sohn?«, fragte der Papst lauernd.

»Dass dem Heiden Cäsar zuliebe Petrus weichen muss!«

»Unser Sohn Giacomo hat recht«, entschied Julius II. Dann erhob er seine Stimme und verkündete: »Wir wollen, dass der Neubau erfolgt, aber die Lage der alten Basilika darf nicht berührt werden. Der Apostel Petrus bleibt, wo er ist. Das heilige Grab des ersten Papstes darf nicht angerührt werden. Schaff Uns einen Entwurf, der das berücksichtigt, Donato. Wie du es mit dem Obelisken hältst, ist deine Angelegenheit. Aber merke dir: Immer werden Wir das Christliche dem Heidnischen, die Religion der Pracht und die Pietät dem Schmuck vorziehen, die Wahrheit der prunkenden Äußerlichkeit.«

Bramante wollte etwas erwidern, hielt sich dann aber doch zurück. Wenn er auch mit seinem Plan Schiffbruch erlitten hatte, so lag er weiterhin gut im Rennen, mehr noch, er war derjenige, der vom Papst beauftragt worden war.

»Da es nun einmal beschlossene Sache ist, Sankt Peter zu erweitern und zu erneuern, wollen wir nicht einen kleinen Wettbewerb der Ideen veranstalten?«, schlug Giacomo vor.

»An wen denkst du?«, fragte der Papst.

»An Frà Giocondo.«

»An den Architektenmönch? Aber ist der nicht in Frankreich?«

»Nein, gerade eben nach Venedig zurückgekehrt.«

Eines musste Bramante dem Dominikaner lassen, er hatte sich gründlich vorbereitet.

»Eine schöne Idee, mein Sohn! Und auch du, Giuliano, denke mit!«, schloss der Papst die Audienz. »Für das Haus Petri bedürfen Wir des Rates aller guten Meister der Baukunst.«

Hatte Bramante gerade eben noch den Auftrag sicher gehabt, so würde er jetzt um ihn kämpfen müssen. Er beschloss, sich mit Giuliano da Sangallo abzustimmen. Sie durften sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Der Erzpriester, den er benutzen wollte, hatte ihm soeben ein Schnippchen geschlagen. Das durfte sich nicht wiederholen. Er fühlte sich herausgefordert. Man wollte, dass er kämpfte. Nun gut, dann würde er sich eben schlagen. Der Petersdom war sein Projekt, die Aufgabe, die das Leben für ihn bereithielt. Und für niemanden sonst!

Die Dunkelheit seines Herzens ergoss sich über Regola, als Bramante, laut über den lästigen Dominikaner fluchend, durch die Straßen schritt. In seinem Alter wurde Zeit von Tag zu Tag wertvoller als Gold. Als er von der Via del Bianchi mit seiner in Ziegenleder eingerollten Skizze unter dem Arm in eine Gasse bog, die direkt zu seinem kleinen Palazzo in der Nähe der deutschen Kirche führte, sprang eine kräftige Gestalt aus einem Hauseingang und versperrte ihm den Weg. In der Hand hielt der Angreifer einen Degen. Bramante wandte sich ruckartig um und entdeckte einen zweiten, ebenfalls bewaffneten Spitzbuben, der einen Kopf kleiner war als sein Komplize. Er saß in der Falle.

Wie dumm, ausgerechnet jetzt, da er das Höchste erreichen wollte und darum zu kämpfen hatte, trat ihm das Schicksal plump entgegen! In seiner Eitelkeit und guten Stimmung hatte er zwar an den Federhut, nicht aber an sein Rapier gedacht.

»Ich habe keine Zeit. Ich gebe euch alles Geld, was ihr wollt, aber lasst mich gehen«, bat er in der Hoffnung, sich loskaufen zu können, und wusste schon im selben Moment, indem er das Angebot unterbreitete, dass er einen Fehler beging. Denn diesem Pack gegenüber dufte man keine Schwäche zeigen.

»Dein Geld interessiert uns nicht«, sagte der Größere mit rauer Stimme. Der Architekt presste sich mit dem Rücken an eine Hauswand, um nicht rücklings erstochen zu werden. »Ruhig, mein Alter, wir tun dir nichts. Wir wollen nur den Ring von deiner Hand. Ehrenwort!«

»Auf welche Ehre hin kannst du denn ein Wort geben?«, knurrte Bramante.

»Quatsch nicht so lange«, sagte der Wortführer und spuckte aus. »Gib uns den Ring freiwillig oder stirb! Wir bekommen ihn sowieso. Ob von einem toten oder einem lebendigen Mann, ist uns egal!«

Bramante fiel auf, dass der Zweite kein Wort gesagt hatte, vielleicht war er ja stumm. Er tastete sich an der Wand entlang und hoffte inständig, in seinem Rücken einen offenen Hauseingang zu finden. Doch plötzlich war da keine Mauer mehr! Er tat einen großen Schritt rückwärts und stieß gegen eine Holztür. Rasch drehte er sich um und stemmte sich dagegen. Die Tür rührte sich nicht.

Enttäuschung drang in seine Adern wie flüssiges Blei. Konnten die Götter so grausam sein? Jetzt, wo er kurz vor der Erfüllung des größten Ziels in seinem Leben stand, sollte er das Zufallsopfer zweier abgerissener Straßenräuber werden? Ach, Fortuna, was war sie nur für eine Metze? Hatte sie aus Überdruss sein Rad plötzlich angehalten, nachdem sie ihm zuvor noch einen so kräftigen Schwung verliehen hatte?

Harte Hände griffen von hinten nach ihm und rissen ihn zu Boden. Das Ziegenlederfutteral mit der Skizze von Neu Sankt Peter rollte wegen des Gefälles ein paar Schritte weiter an den gegenüberliegenden Straßenrand. Während der Stumme auf Bramantes Armen kniete und dadurch dessen Oberkörper am Boden fixierte, zog sein Kumpan ein kleines, krummes Messer mit breiter und stabiler Klinge aus der Tasche. Bramante spürte, wie Übelkeit in ihm hochstieg. Das Pack machte wirklich nicht viele Umstände und würde ihm den Ring mitsamt dem Finger abschneiden, den er doch zum Malen und Zeichnen brauchte. Wie am Spieß brüllte er um Hilfe und wusste doch, dass es vergebens sein würde, denn niemand wollte sich Ärger einhandeln. Wusste man denn, wer da mit wem rang? Ehe man sich versah, hatte man eine Klinge zwischen den Rippen oder den Zorn eines mächtigen Mannes erregt, was nicht weniger gefährlich sein konnte.

Einer so jähen wie hilflosen Eingebung folgend, zog Bramante den Rotz hoch und spie dem auf ihm hockenden Mann ins Auge, der für einen verschwindend kurzen Moment aus Überraschung etwas lockerer ließ. Dieser Augenblick aber genügte dem Architekten, um sich aufzubäumen und nach rechts zu winden. Dadurch bekam er den linken Arm frei und stieß nun mit Zeige- und Ringfinger kraftvoll in die Augen des Stummen. Es glitschte unangenehm und knirschte, als hätte er die Schale eines ausgeblasenen Eis durchstoßen. Er spürte eine unangenehme Nässe an den Fingerkuppen. Der Stumme brüllte vor Schmerz wie ein Tier und sprang auf. Dann riss er die Hände vor die Augen und rannte schreiend im Kreis herum. Diesen Moment nutzte Bramante, um die Hand des anderen Straßenräubers mitsamt dem Messer zu packen, umzudrehen und an seinen Hals zu führen. Als Bramante ihm mit der Klinge über die Kehle strich, spritzte Blut auf sein Samtwams, auf die Ärmel und auch auf das Kragenbündchen des weißen Hemdes, wie er mit Bedauern feststellte. Vor Schreck ließ der Kräftige das Messer fallen. Bramante hob es rasch auf und vertiefte mit Schwung den Schnitt in die Kehle des Mannes. Nun spritzte das Blut nicht mehr, sondern floss im breiten Strom aus dem Hals. Die Augen des Sterbenden weiteten sich. Er röchelte erbarmungswürdig.

»Mein Bruder, was wird …?« In seinen Augen wetteiferten Sorge und Zärtlichkeit für den Bruder miteinander.

»Was schon! Gerädert und gevierteilt wird er!«, stieß Bramante in seinem Zorn umbarmherzig hervor. In einer letzten verzweifelten Anstrengung versuchte der Kräftige, sich noch einmal aufzurichten, um Bramante zu töten und den Bruder vor der Hinrichtung zu bewahren. Dann sackte der große Körper wie ein gefällter Baum auf die Straße und rührte sich nicht mehr.

Der Stumme stach blind und schluchzend mit dem Rapier nach dem Architekten. Der Stich traf ihn in die Seite, ging durch die Rippen hindurch und verfehlte um Haaresbreite das Herz. Bramante bückte sich nach dem Rapier des Toten, als ihn ein zweiter Hieb des Stummen traf. Doch er spürte keinen Schmerz und keine Angst, sondern nur einen so unbändigen Jähzorn, dass er vor Wut schielte. Mit einer Volte schlug er dem Mann den Degen aus der Hand. Und während er wie im Rausch auf seinen Gegner eindrosch, brüllte er ihn immer wieder an, er solle endlich seinen Auftraggeber nennen. Er hatte ganz und gar vergessen, dass der Kerl nicht sprechen konnte. Im Gegenteil, das hilflose Stammeln und Jammern, die tierischen Laute der Angst und der Qual, die die Natur in ihrer Grausamkeit dem Mann als Einziges zur Verfügung stellte, versetzten Bramante noch stärker in Raserei, weil er sie als Weigerung auffasste.

Irgendwann spürte er nur noch Erlahmen und Müdigkeit. Er ließ den roten Stahl sinken und blickte zu Boden. Er stand in einer Blutlache. Der stumme bravo war wohl schon seit geraumer Zeit tot. Vor ihm lag nur noch ein schmutziges Bündel zerhauenen Fleisches, bei dem man nicht mehr zwischen Blut, Fleisch und Kleidung unterscheiden konnte. Der Architekt wankte, hinter ihm lag der Kräftige, ebenfalls tot. Seine Augen waren auf ihn gerichtet, groß und kalt wie die eines Fisches, aber noch im Ausdruck des Schmerzes gefangen, der sich im Tod in die Pupillen eingebrannt hatte, als der Blick stehen blieb und die Seele entwich, wohin auch immer.

Bramantes Blick fiel auf die Rolle mit der Zeichnung. Er kramte in seiner Tasche und fand einen Rötelstift. Er musste sich setzen, weil sich alles um ihn herum zu drehen begann. Mit Bedacht ließ er sich neben der am Boden liegenden Skizze nieder. Er fischte sie mit seinen roten, nassen Fingern aus der Rolle, wobei er zahllose blutige Fingerabdrücke hinterließ. Auf seine Skizze des Petersdomes zeichnete er das Gesicht des Älteren der beiden Brüder, denn er wollte überall nach ihm fragen. Die beiden bravi hatten von dem Ring gewusst und versucht, ihm diesen zu stehlen. Gewiss waren sie im Auftrag von Picos Mörder unterwegs gewesen, den er nur den Sekretär nannte. Endlich war Bewegung in die Sache gekommen. Der Mörder jagte ihn. Oder genauer: den Ring.

Bramante spürte, wie ihn die Fähigkeit verließ, klar zu denken. Alles verschwamm vor seinen Augen. Er sah an sich herab und dachte noch, dass er so nicht mehr auf seiner Feier erscheinen konnte. Was würden die Huren sagen? »Bramante hat sich löchern lassen«, würden sie spotten. Darüber musste er plötzlich kichern. Bramante hat sich löchern lassen … hat sich löchern lassen … Ihn überkam das Gefühl, den Wahnsinn der Welt zu umarmen … hat sich löchern lassen …