25
Colonnata, Anno Domini 1505
Die Raben kreisten über dem Steinbruch, als Michelangelo und Francesco, nur von Matteo begleitet, früh am nächsten Tag in den Berg stiegen, um Steine auszusuchen. Es war, als warteten die Raben auf die Menschen. Matteo fluchte leise. Er hielt das für ein böses Omen, doch Michelangelo meinte nur, dass irgendein Stück Aas im Bruch läge, ein Hase, ein Fuchs oder ein Wolf.
Zur gleichen Zeit waren Fritz und Guido unterwegs, um die Steinmetze und Transporteure für das Unternehmen anzuheuern. Die Beförderung vom Berg bis zum Hafen wollte Fritz organisieren, von da ab musste Michelangelo sich selbst darum kümmern. Die Marmorblöcke sollten mit der Lizzatura und mit Ochsenkarren ins Tal nach Carrara gebracht, im nahe gelegenen Hafen auf Schiffe verfrachtet und dann nach Ostia verschifft werden. Dort angekommen, würden sie sogleich auf die bauchigen Tiberschiffe umgeladen und auf dem Fluss nach Rom gebracht werden. Zu diesem Zweck hatte Michelangelo mit einem Reeder aus Lavagna einen Vertrag über den Schiffstransport geschlossen.
Der Bildhauer untersuchte pedantisch genau die Äderung des Gesteins an der Sohle des Steinbruchs, der einem umgestülpten Trichter glich. Er erinnerte Michelangelo an Botticellis Darstellung der Hölle in der Ausgabe der »Divina Commedia«, die er seinerzeit von Landino geschenkt bekommen hatte und in der er fast täglich las. Nach eingehender Prüfung malte er schließlich mit dem Zeigefinger ein imaginäres Rechteck an die Felswand, um die Größe des zu brechenden Brockens darzustellen.
»Diesen!«, sagte er und wies auf die Stelle.
Während Francesco und Matteo den Block, der später herausgebrochen werden sollte, durch eingeschlagene Eisen markierten, kletterte der Bildhauer, die Tasche mit seinen Skizzenutensilien über der Schulter, auf einen kleinen Sporn. Nachdem er den Fels Zoll für Zoll eingehend betrachtet hatte, liebkoste seine Hand den Marmor, und ein hingerissenes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Der Stein war makellos, nicht eine Ader deutete auf Fremdkörper oder Risse im Gestein hin – es war der schönste Marmor, den er je gesehen hatte. Hieraus wollte er seinen Moses für das Grabmal hauen! Er dachte darüber nach, den Block gleich an Ort und Stelle zu bossieren, sobald er aus dem Felsen gebrochen war, als ihn ein unbestimmbares Geräusch aus seinen Überlegungen riss.
Etwa zwölf Fuß unter ihm stand auf einem winzigen Felsplateau Giovanni, der junge Bursche, den er in der Kirche gesehen hatte. Unwillkürlich wich die fast nackte Gestalt unter Michelangelos Blick zurück bis auf die Spitze des Vorsprungs. Sein verfilztes Haar stand in alle Richtungen ab, und auf seine Stirn hatte der Schmutz dunkle Furchen gezeichnet. Sein Blick war womöglich noch verwirrter geworden, als verfolgten ihn die rachedurstigen Erinnyen, die in seinem Herzen hausten. Gebückt stand der Junge da, die Schultern eingezogen, die rechte Hand in der linken Armbeuge. Mit der linken Hand bedeckte er sein linkes Auge, während das rechte schreckgeweitet auf den Bildhauer starrte. Die Unterlippe hatte er leicht nach vorn geschoben. Nie hatte Michelangelo einen vollkommeneren Ausdruck des Erschreckens gesehen, in dem sich das Entsetzen über das eigene Tun ebenso spiegelte wie die Angst davor, was unweigerlich folgen musste.
Mit langsamen Bewegungen, als wolle er verhindern, einen scheuen Vogel zu verscheuchen, holte er Skizzenblock und Bleigriffel hervor und begann zu zeichnen. Nur das Krächzen der Raben unterbrach von Zeit zu Zeit die vollkommene Ruhe. Wie der Junge dort hingelangt war, was er dort wollte und weshalb er dort wie erstarrt stand, sah man vom Zittern der Lippen ab, interessierte Michelangelo nicht, auch nicht, welchem Zufall er dieses Bild verdankte. Er zeichnete nur und zeichnete.
Als er die Skizze fertiggestellt hatte, fragte er sanft: »Was ist, mein Junge?« Obwohl der Angesprochene schwieg, spürte Michelangelo, dass er ihn verstanden hatte. Nach einer kleinen Ewigkeit bewegten sich die Lippen, aber es kam kein Ton heraus. Lautlos, er sprach lautlos, er schrie lautlos um Hilfe.
»Ich verstehe dich. Du bereust, was du getan hast.«
»Gott ist schuld!«, flüsterte Giovanni.
»Gott?« Michelangelo fröstelte.
»Gott ist der Teufel!«, krächzte der Junge nun lauter.
Was würde er noch zu hören bekommen? Michelangelos Herz krampfte sich zusammen. Zwar stand es ihm frei, den Jungen schlicht für verwirrt zu halten, aber glaubten nicht die alten Griechen, dass aus dem Mund der Wahnsinnigen die Wahrheit kam, freilich als Orakel?
»Wie konnte er Anna an dem Morgen allein an den Bach stellen? So schön! So schön im Morgenlicht. Wie konnte er nur als Bock in mich fahren?«, brachte Giovanni heiser hervor.
»Wer?«
»Gott!«
»Du meinst doch sicher den Teufel, mein Sohn.«
Giovanni schüttelte den Kopf. »So schön und so rein kann der Teufel nicht sein. Gott hat mich verführt!«
In diesem Moment erklommen Matteo und Francesco den Sporn und traten neben Michelangelo. Als der Bruder des geschändeten Mädchens den Täter erblickte, zog er sofort das Messer und kletterte zu ihm hinunter.
»Nein, nein, tu das nicht, Matteo!«, rief Michelangelo.
Der Junge jedoch sah Annas Bruder unverwandt an und rührte sich nicht. Je näher ihm Matteo kam, umso zärtlicher wurde sein Blick und drückte Einverständnis aus. Ergeben und glücklich wie ein Hund, dachte Michelangelo und schlug die Augen nieder, weil er den Anblick dessen, was nun geschehen würde, nicht ertrug. Es war ein einfaches kurzes Bauernmesser mit einer kräftigen Klinge, mit dem Matteo dem gleichaltrigen Jungen die Kehle durchschnitt, aus der sich ein Strahl roten Blutes über den gelblich weißen Marmor ergoss und ihn färbte. Dem Marmor tat das nichts, man konnte ihn abschleifen.
Michelangelo schüttelte den Kopf. »Giovanni und du, ihr werdet beide im neunten Kreis der Hölle landen, wie Dante es beschrieben hat!«
»Das, Herr, liegt nicht in meinem und nicht in Eurem Ermessen, sondern allein an Gottes Richterspruch.« Matteo bückte sich fast geschäftsmäßig, riss den Fetzen beiseite, der Giovannis Scham bedeckte, trennte ihm mit dem Messer den Penis ab und warf ihn ins Tal. Michelangelo erstarrte, während Francesco sich übergeben musste. Mit seiner blutigen Hand reichte der junge Steinebrecher dem Diener die Weinflasche. Francesco würgte, ehe er nach der Flasche griff und einen großen Schluck nahm und dann noch einen zweiten. Allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Und seine Familie?«, fragte er.
»Die weiß, dass die Welt jetzt wieder im Gleichgewicht ist. So sind unsere Gesetze.«
»Was wird mit seiner Leiche?«
Matteo wies nur mit dem Kopf nach oben, zu den Raben.
»Keine Sorge, Herr«, wandte er sich dann an Michelangelo, »ich bringe ihn woandershin. Er wird Euch nicht beim Arbeiten stören.« Dann bückte er sich und lud sich behutsam den Toten auf die Schulter. »Ach, Vano, warum hast du das nur getan?«, murmelte er dabei mit Tränen in den Augen. »Du warst mein bester Freund, fast wie ein Bruder!«
In der Nacht plagten Michelangelo fürchterliche Traumbilder. Engel, die in die Posaunen der Vergeltung bliesen, der heilige Bartholomäus, der in der rechten Hand ein Messer hielt, das dem Matteos ähnelte und von dem Blut tropfte. In der linken Hand hielt der Heilige eine abgezogene Menschenhaut mit dem Gesicht des Bildhauers. Die Welt war bereits ein einziges Gericht. Michelangelo sah im Traum, wie alle Menschen zum Himmel strebten. Die meisten jedoch wurden ein Opfer der Teufel, die sie in die Hölle rissen. Er schrie so laut im Schlaf auf, dass jedermann im Haus hochschreckte. Zuerst war Francesco bei ihm, der in der Kammer neben ihm schlief.
»Was ist mit Euch, Herr?«, fragte er und beugte sich besorgt über ihn.
Durch seinen eigenen Schrei geweckt, blickte sich Michelangelo verwirrt um, dann fasste er sich.
»Nichts, nichts«, stammelte er.
»Aber Ihr schwitzt ja.« Francesco wischte ihm mit einem Tuch den Schweiß ab und legte die Hand auf seine Stirn. »Euer Kopf glüht!«
In der offenen Tür der niedrigen Kammer erschien die mächtige Gestalt des Steinmetzen. Er musste Kopf und Schultern einziehen, damit er nicht anstieß.
»Den Herrn verbrennt das Fieber!«, rief ihm Francesco mit angsterfüllter Stimme entgegen.
»Ich sage meiner Frau, sie soll kalte Wadenwickel vorbereiten«, entschied Fritz und begab sich hinunter, um das Notwendige anzuordnen.
Eine Woche ging ins Land, in der Michelangelo nur trockenes Brot und moussierenden Wein bei sich behielt. Anna kümmerte sich rührend um ihn, aber sie sprach dabei kein einziges Wort. Und sie lächelte nicht. Der Bildhauer fühlte sich schwach, und jede Faser im Leib schmerzte ihn. Noch immer schrie er, gepeinigt von den Schreckbildern im Schlaf, häufig auf. Man musste um sein Leben fürchten. Sie hatten einen Arzt aus Carrara zurate gezogen, der empfahl, den Kranken mehrmals kräftig zur Ader zu lassen. Fritz behagte das nicht, und so schickte er nach der alten Annunziata, einem vertrockneten Weiblein, das sich in allerlei Dingen des menschlichen Körpers auskannte. Sie riet, den Kranken vor Zugluft zu schützen, warm zu halten und recht viel zum Schwitzen zu bringen, damit der böse Geist, der in ihm hauste und die bösen Träume machte, vertrieben würde. Einmal am Tag solle er heißen Rotwein, mit Grappa, Ei und Honig versetzt, trinken, in den getrocknete Kräuter, Ringelblume, Salbei und Kamille gegeben wurden. Dazu täglich mindestens zwei Liter von einem Tee aus Zitronenmelisse, Johanniskraut und Tausendgüldenkraut.
Michelangelo, dem man ein Bett in der großen Wohnstube gerichtet hatte, fürchtete sich inzwischen vor dem Schlaf, der den Albdruck brachte. Er tat alles, um seine Augen, die immer glasiger und größer wurden, offen zu halten, und vergeudete damit seine letzte Kraft.
Francesco und die Familie des Steinmetzen gaben alle Hoffnung auf und wollten schon nach dem Pfarrer schicken, als Anna sich mit unbewegtem Gesicht zu dem Kranken setzte und ihm einfache, schlichte Weisen vorsang. Es waren Bauern- und Steinmetzlieder, die von Feldern und Wölfen, von den Steinen, von gierigen Pfarrern und gewitzten Bauern, vor allem aber von der Liebe handelten. Michelangelo nahm die Bilder der Lieder mit in den Schlaf, wo sie wie mutige kleine Ritter die Fratzen des Bösen vertrieben. Zum Erstaunen und zur Erleichterung aller fand er allmählich wieder zur Ruhe. Vielleicht begannen auch die Kräuter zu wirken.
Zwei Wochen später erhob sich der Bildhauer von seinem Krankenlager, bat um eine Fleischbrühe und verkündete, er wolle zur Kirche gehen. Nachdem er die heilige Messe gehört hatte, wünschte er, seine Arbeit fortzusetzen. Es verlangte ihn danach, das Mädchen Anna zu malen, aber sie ließ es nicht zu. Liebend gern hätte er die Unschuld gezeichnet, aber sie war zu rein und unschuldig, als dass sie dies erlaubt hätte. Schließlich gab er es auf, in sie zu dringen. Er widmete sich wieder seiner Arbeit und ging vollkommen darin auf. Wie gut tat es, wieder im Steinbruch zu sein!
Eine Frage quälte ihn indes noch immer. Aus welchem Grund hatte Giovanni geglaubt, dass Gott ihn verführt habe und nicht der Teufel? So viel und so oft Michelangelo auch darüber nachsann, er konnte nicht ergründen, was den Jungen auf diesen Gedanken gebracht hatte. Andererseits gelang es ihm auch nicht, das Ganze als Geplapper eines Verrückten abzutun. Gott ist schuld – wie ein Stachel im Fleisch verhakte sich dieser Satz in seinem Denken.
Rom, Anno Domini 1505
Den ganzen Tag, die ganze Nacht und auch den nächsten Tag und die darauffolgende Nacht hatte Bramante mit Blei- und Rötelstiften Skizzen auf ein großes Pergament gezeichnet. Es gelang ihm nur selten, zwischendurch ein wenig Schlaf zu erhaschen, denn sein Gehirn gab keine Ruhe. Selbst wenn ihm die Augen zufielen, vermochte er sie nicht geschlossen zu halten. Während der Arbeit plagte ihn immer wieder die Gicht. Manchmal, wenn er freihändig oder mit dem Lineal eine Linie zog, schrie er vor Schmerzen auf. Zuweilen sah er sich gezwungen, die gesunde linke Hand zu Hilfe zu nehmen, um mit der gichtigen Hand, so gut es ging, die Linie zu halten. Auf diese Weise hatte er inzwischen den halben Vierungsraum mit dem Westchor und den ebenfalls halben Kreuzarmen entworfen.
Er lehnte sich zurück und betrachtete eine Weile die unfertige Zeichnung. Er würde sie nicht vollenden, fuhr es ihm durch den Kopf. Nicht Zeitgründe waren es, die ihn zu diesem Entschluss brachten. Nein, es war das Zwingende, vor allem Bezwingende, das von dieser halb fertigen Skizze ausging. Sie schrie förmlich nach Fertigstellung, nicht nur auf dem Papier, sondern als Bauwerk in der Welt. Konnte er etwas Besseres bei Julius II. hervorrufen als diese Sehnsucht?
Bramantes Augen blitzten auf, als er seinen Gedanken weiterspann, und sein Gesicht nahm den Ausdruck diebischer Freude an. Das Fragment hatte noch einen ausgesprochen vorteilhaften Nebeneffekt, indem es die Frage der alten Basilika weitgehend offenließ. Würde er die andere Hälfte des Entwurfs in gleicher Weise wie die bereits fertiggestellte ausführen, dann würde der Plan seine Absicht verraten. So aber konnte er lange argumentieren, dass der Zentralbau in den Langbau der alten Kirche münden solle. Und während die Diskussion darüber andauerte, konnte er vollendete Tatsachen schaffen.
Das Allerwichtigste aber war, dass dieses Fragment Größe ausstrahlte. Mit Speck fängt man Mäuse und mit imperialen Ideen den Papst, sagte sich der Baumeister, als er den Plan verpackte und sich auf den Weg zum Vatikanpalast machte.
Mit einer großen Rolle unter dem Arm, zwei Ellen lang, ging er eilig in Richtung Petersdom, fast lief er. Als er auf dem Vorplatz der Basilika ankam, umfasste sein Blick triumphierend das alte, heruntergekommene Gemäuer. Für ihn war es bereits Geschichte. Bald schon würde er diese wild gewachsenen Mauern niederlegen und einen neuen, größeren und schöneren Dom errichten.
Nicht einen Augenblick lang tat es ihm leid um das alte Bauwerk, das in seiner Geschichte schon so vieles gesehen hatte: Andacht, Krönung, Plünderung und Krieg, Heilige und Teufel und sogar den stinkenden Leichnam eines Papstes, den man aus dem Grab gerissen und in das Ornat gekleidet hatte, um über den Verwesenden Gericht zu halten, Sünde und Tugend, göttliche und menschliche Liebe. Ganz gleich, dieses Gemäuer war alt, es war baufällig, und es hatte ausgedient, und vor allem war es schlecht gebaut! Wer einen bildhaften Eindruck davon gewinnen wollte, wie ein muffiges Christentum die heitere und schöne Welt der Alten erstickt hatte, so fand Bramante, musste sich nur dieses Ungetüm anschauen, dem es an der Grazie der Formen und dem Humor des Lebens gebrach. Eine Architektur des schlechten Gewissens, des Verdruckstseins, nicht des Frohsinns.
Zudem entsprach es in seinem wilden Durcheinander der Proportionen und Stile in keiner Weise den Regeln der guten Baukunst. Wenn man überhaupt von Proportionen und Stilen reden konnte. Bramante fühlte sich mit einem Mal wie ein junger Ritter, der den alten Drachen aus Stein erlegen würde. Er lachte so heftig über den albernen Vergleich, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb und sich die Leute auf der Straße nach ihm umdrehten. Ein Verrückter, ein Narr in Christo, mochten sie denken. Aber es gelang ihm einfach nicht, seiner Heiterkeit Zügel anzulegen. Der Cavaliere Donato Bramante saß jetzt auf einem sehr hohen Ross, und er wusste und genoss es. So jung, so gut, so kraftvoll hatte er sich lange nicht mehr gefühlt!
Mit dem guten Christengott hatte das alles, was er plante, herzlich wenig zu tun. Vielmehr mit einer Wiederkehr der großen alten Zeit unter einem neuen Julius, zwar nicht Cäsar, sondern della Rovere, der aber ebenso kriegerisch, kraftvoll und klug war. Der zweite Julius würde das Römische Reich wiederaufrichten und die Muslime aus Byzanz und Jerusalem vertreiben. Das Genie Gaius Julius Cäsars war in der Person dieses Papstes zurückgekehrt, wenngleich dieser alt war und sich sputen musste. Julius’ Pläne lieferten sich auf der Kampfbahn der Zeit ein gnadenloses Rennen mit seinem Alter. Doch nie hatte es einen Stellvertreter Christi gegeben, der dem Titel eines Pontifex maximus, des größten Brückenbauers, gerechter wurde als Giuliano della Rovere, der in der Tat eine Brücke schlug vom Altertum über die dunkle mittlere, die gotische Zeit hinweg bis zur Gegenwart.
Bramante und Julius II., Baumeister und Herrscher, Hiram und König Salomon, auf diesem Paar ruhte die Geschichte der Menschen. Er, Bramante, würde den Tempel für die Rückkehr des Weltenherrschers, des Cäsars Julius, erschaffen. Der Sohn eines Bauern aus Monte Asdrualdo in der Nähe von Urbino konnte die Ewigkeit, in die er eingehen würde, bereits mit den Händen fühlen. Wenn er nur einen Bruchteil seiner Begeisterung im Papst erwecken könnte, dann wäre das Projekt gewonnen. Er ermahnte sich streng, einen kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt nur keinen Fehler machen! Nicht zu hastig sein!
In der Stanza della Segnatura wurde Bramante bereits vom Papst erwartet. In seiner Gesellschaft befanden sich der Augustiner-Eremit Egidio da Viterbo, der Erzpriester des Petersdomes, Frà Giacomo, der Architekt Giuliano da Sangallo und – zur großen Freude des Baumeisters – der Bankier Agostino Chigi. Bramante hatte ihm eine Nachricht geschickt, und er war tatsächlich gekommen.
»Na, mein Sohn, so guter Laune?«, fragte der Papst.
»Oh ja«, sagte Bramante noch ein wenig außer Atem. »Verzeiht mir altem, sündigem Mann, dass ich lache, dass ich mich freue, dass ich tanzen möchte, wo ich Gott auf Knien danken müsste, still und in aller Demut. Denn hier«, verkündete er und hielt die Rolle mit dem Entwurf wie eine Trophäe in die Höhe, »hier habe ich die Lösung für alle Probleme, die mit der Aufstellung des Grabmals verbunden sind!«
Als Julius sich fragend im Kreis umsah, nutzte Bramante die Gelegenheit, Frà Giacomo verschwörerisch zuzuzwinkern.
»Dann zeig sie Uns endlich!«, forderte der Papst. »Oder willst du Schabernack mit Uns treiben?«
Mit vor Aufregung zitternden Händen breitete Bramante den Plan auf dem großen Tisch im Studierzimmer des Papstes aus. Man konnte die Erregung förmlich spüren, die von Julius II. Besitz ergriff, als er sich über den Entwurf beugte.
»Es ist nur halb ausgeführt, aber das macht nichts, das macht gar nichts. Wir können alles klar erkennen. Das ist der Plan einer Kirche. Hast du vergessen, Donato, dass Wir bereits eine haben?«
Bramante frohlockte innerlich, Julius war gleich zum Wesentlichen gekommen. Er verbeugte sich höflich vor dem Papst und wandte sich an Frà Giacomo. »Sankt Peter ist baufällig, Eminenz. Ist das richtig?«
»Ja«, antwortete der Dominikaner mehr gezwungen als freiwillig, jedenfalls mit deutlicher Reserve. Er misstraute Bramante.
»Steine lösen sich aus dem Verbund, an einigen Stellen regnet es sogar durch?«, fuhr dieser unbeeindruckt fort.
Giacomo nickte.
»Das ist alles behebbar, sicher«, Bramante geriet in Fahrt. »Bedenklicher ist es da schon, dass ganze Wände aus dem Lot geraten sind. Da ist es mit kleineren Reparaturen nicht getan.«
Julius II. schmunzelte. »Und da hast du gedacht, du baust gleich mal eine neue Kirche? So ganz nebenbei?«
»Heiliger Vater, das neue Jerusalem benötigt einen neuen Tempel!«, verkündete der Baumeister mit Inbrunst.
»Einen neuen Tempel für das neue Jerusalem!«, wiederholte der Papst nachdenklich.
Dass der Papst Rom zu einem neuen Jerusalem zu machen gedachte, hatte Bramante von Agostino Chigi erfahren. Ganz bewusst hatte er deshalb mit unschuldigem Blick diesen Begriff in die Diskussion gebracht, in dem sich die Ziele des Heiligen Vaters bündelten.
»Und warum nicht einfach ausbessern, Herr Baumeister?«, erkundigte sich Frà Giacomo mit gerunzelten Brauen.
Für diese Frage hätte Bramante den Erzpriester umarmen können! Auch wenn sie anders gemeint war, spielte sie ihm dennoch in die Hände.
»Für das Grabmal müssen wir erweitern. Dazu bietet sich, wie Messèr Michelangelo sehr richtig vorgeschlagen hat, die Erweiterung des Westchores an, die bereits unter Nikolaus V. begonnen wurde. Aber wenn wir das tun, bekommen wir Probleme mit der Statik«, erläuterte Bramante eifrig.
»Du meinst, der Anbau könnte Alt Sankt Peter ins Wanken bringen?«, fragte der Papst, worauf der Architekt eifrig nickte.
»Was denkst du?«, fragte Julius, an den Baumeister Giuliano da Sangallo gewandt.
»Möglich«, erwiderte dieser und wog nachdenklich den Kopf. Der alte Fuchs, dachte Bramante, er hält sich alle Türen offen.
»Gut, dass du da bist, Agostino.« Der Papst sah Chigi an. »Hypothetisch gefragt: Lässt sich so etwas denn überhaupt finanzieren?«
»Finanzieren lässt sich alles, was sinnvoll ist«, sagte der Bankier lächelnd.
»Es ist aber nicht sinnvoll!«, rief Giacomo mit ungewohnter Heftigkeit. »Der Petersdom ist das steingewordene, unvergängliche Gedächtnis der Christenheit!« Die Augen des jungen Kardinals blitzten vor Ärger, und seine Wangen glühten.
»Das ist ja gerade der Vorteil meines Planes, lieber Bruder«, erklärte Bramante dem Dominikaner so freundlich, als habe er nur dessen Wohlergehen im Sinn. »Über dem Grab des Apostelfürsten wird sich wie Gottes behütende Hände die Kuppel des Himmels erheben.«
Agostino Chigi sprang ihm zur Seite:
»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und die Erde war wüst und leer,
und es war finster auf der Tiefe;
und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Und Gott sprach: Es werde Licht!
Und es ward Licht.
Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Da schied Gott das Licht von der Finsternis
und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.
Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.«
Erstaunlich bibelfest, dachte Bramante und fuhr mit leidenschaftlicher Stimme fort: »Denn die mächtige Vierung mit den Fenstern im Gebälk und den Fenstern in der Kuppel wird für Gottes Licht in der Kirche sorgen. Lieber, guter Heiliger Vater, mit der ewigen Dunkelheit in Sankt Peter wird es ein Ende haben!«
Wer wollte da widersprechen? Aus Bramantes Mund klang das alles wie eine Verheißung, mehr noch, wie eine göttliche Vision. Und Visionen Gottes zog man nicht in den Zweifel.
»Ein neuer Tempel«, sagte Julius nachdenklich und sah dabei den Augustiner-Eremiten an. Egidio erwiderte den Blick, kniete vor dem Papst nieder und breitete die Arme aus.
»Erlaubt, Heiliger Vater, dass ich spreche. Ich sehe es deutlich vor meinen Augen!«
Bramante hoffte auf den Beistand des Augustiner-Eremiten. Nach allem, was er über ihn gehört hatte, galt Egidio da Viterbo als einer der größten Prediger und der klügsten und gebildetsten Köpfe nicht nur seines Ordens, sondern der Kirche überhaupt. Seine Sprachgewalt würde dem Projekt entweder den gewünschten Auftrieb verleihen oder es unter vernichtenden Satzkaskaden begraben. Wohl und Wehe lagen im Mund des knienden Mannes.
Julius II. nickte. »Nun denn, mein kluger Freund.«
Egidio reckte seine Arme zum Himmel und ließ seine predigterprobte Stimme durch den Raum hallen.
»Dies sagt der Herr, der Allherrscher: Ordnet eure Herzen auf euren Wegen! Steigt auf zum Gebirge hin und schlagt Holz und baut das Haus, dann werde ich dran Wohlgefallen haben und ich werde verherrlicht werden. Ihr blicktet auf vieles hin, und es wurde weniges: Und nach Hause wurde etwas hineingebracht, und ich habe es weggeblasen. Weil mein Haus wüst ist, ihr aber jeder nach eurem Haus strebt, deswegen wird der Himmel Tau zurückhalten, und die Erde wird ihr Gewächs verweigern. Und ich werde herbeiführen ein Schwert gegen die Erde und gegen die Berge und gegen das Getreide und gegen den Wein und gegen das Olivenöl und was die Erde wachsen lässt und gegen die Menschen und gegen das Vieh und gegen alle Früchte ihrer Hände.«
Egidio erhob sich und ließ seine Arme sinken. »Ja, Heiliger Vater, ich stimme diesem Mann zu. Bauen wir das Haus unseres Herrn, das zerfallen ist, neu! Dann wird Gott alle unsere Unternehmungen segnen, so wie es der Prophet Haggai verheißt.«
Stille breitete sich aus. Keiner wagte zu sprechen. Bramante hatte plötzlich das Gefühl, dass der Heilige Geist unter ihnen weilte. Sollte er auf seine alten Tage etwa noch fromm werden? Dieser Egidio ist ein gefährlicher Mann, dachte er, seine Worte ersetzen einen ganzen Heerhaufen.
Nach einer endlosen Weile, in der man einen Federkiel hätte zu Boden fallen hören können, räusperte sich Julius schließlich. Dann sagte er leise, wie zu sich selbst: »Wohl gesprochen, mein Sohn. Rom als Mittelpunkt eines neuen Imperium Romanum und als neues Jerusalem braucht einen neuen Tempel.«
In diesem Moment wusste Bramante, dass der Papst von dieser Idee fasziniert war. Sie enthielt alles, was er schätzte: Sie war groß, sie war eines Cäsar würdig. Sie begann, seine Idee zu werden.
»Der Entwurf ist von großer Schönheit«, ließ sich Sangallo vernehmen.
»Und an diesen neuen Tempel schließen wir den alten einfach an«, schloss Bramante und bemühte sich um einen gelassenen Ton, während der Triumph ihn innerlich erzittern ließ. »Vergangenheit und Zukunft des Christentums in einem!«
»Also unsere Gegenwart! Denn sind wir Christen, so sind wir es im Heute, das für uns Vergangenheit und Zukunft in einem ist.« Mit diesen Worten beendete der gelehrte Egidio die Diskussion.
Dagegen konnte selbst Giacomo nichts einwenden. Nur Sangallo verzog das Gesicht. Bramante kannte seinen alten Bundesbruder aus den Tagen der Fedeli gut genug, um zu wissen, dass ihm die Vorstellung, die kühne Idee würde durch den Kompromiss, den der Anschluss an die alte Basilika bedeutete, verdorben, Unbehagen bereitete. Aber vorerst konnte er keinen Krieg mit dem mächtigen Dominikaner gebrauchen. Ach, der gute alte Sangallo! Sein Talent in Gesellschaft eines listigen Geistes hätte ihm durchaus Konkurrenz machen können. Aber Giuliano war zu gutmütig oder einfältig, je nachdem wie man es nennen mochte.
Der Papst sah sie einen nach dem anderen kurz an und sagte dann: »Lasst mich allein. Ich will nachdenken!« Er konnte seine Besucher offensichtlich nicht schnell genug loswerden. Zum Schein griff Bramante nach dem Plan, um ihn mitzunehmen.
»Das bleibt hier!«, fuhr ihn Julius an. »Und nun hinaus mit euch allen!«
Giacomo passte Bramante auf der Treppe ab und fragte ihn mit zornfunkelnden Augen, wie er denn auf diese Weise das heidnische Mausoleum verhindern wolle. Der Architekt lächelte vielsagend und erwiderte ruhig: »Genau auf diese Weise. Lasst das nur getrost meine Sorge sein. Der größte Teil von Alt Sankt Peter bleibt erhalten. Und das Grabmal des Bildhauers wird niemals in Sankt Peter errichtet werden. Das Projekt ist heute gestorben, darauf mein Wort, Frà Giacomo!«