13

ornament.jpg

Rom, Anno Domini 1505

Im zweiten Saal thronte in einem ausladenden Sessel, der mitten im Raum stand, ein untersetzter Hüne, von dessen glänzendem Schädel ein Kranz grauer Haare abstand. Seine mächtigen Arme, die entspannt auf den Lehnen ruhten, strahlten eine schlummernde, aber gefährliche Kraft aus. Er war ganz in das Geplänkel mit zwei drallen Göttinnen vertieft – die eine auf seinem Schoß, die andere zu seinen Füßen. Der Anblick dieses ungefügen Kerls, der mit seinen Gespielinnen schnäbelte, entbehrte nicht einer gewissen Komik. Wider Erwarten entging ihm jedoch nichts, am allerwenigsten die Ankunft der beiden Künstler.

»Ah, Giuliano, wer ist der junge Rabe neben Euch?«, grunzte er.

»Messèr Michelangelo, ehrenwerter Donato.«

»Ihr scherzt!«

»Warum?«

»Dieser Hänfling? Den Schöpfer des David hab ich mir wahrlich anders vorgestellt. Älter, gewichtiger, nicht so ein schmächtiger Vogel. Na, macht nichts! Gottes Wege sind ja bekanntermaßen unerforschlich.« Bramante räusperte sich, blickte mit spöttischer Feierlichkeit in die Runde und rief: »Meine Lieben, vor euch steht ein Bildhauer von erheblichem Talent. Erweist ihm die Ehre!«

Dann schob er die Schöne von seinem Schoß, die ein leises Quieken von sich gab, weil er sie dabei neckisch gezwickt hatte, erhob sich ächzend aus seinem Sessel, griff nach einem Glas mit Rotwein und reichte es Michelangelo. Ein zweites Glas erhielt Sangallo. Bramante langte nach dem dritten und fragte mit einem breiten Grinsen: »Sagt, Giuliano, was meint eigentlich Eure Frau dazu, dass Ihr alles hier ausgebt und nichts für zu Hause übrig lasst?«

»Meine Verhältnisse, Messèr Donato, sind bestens geordnet. Es bleibt ihr mehr als genug«, gab Sangallo zurück.

Bramante erhob sein Glas. »Ich dachte dabei nicht ans Geld, Giuliano. Zum Wohl!«

»Auch ich sprach nicht vom Geld, Messèr Donato. Zum Wohl!«

Bramante, der Sangallos Antwort nicht abgewartet hatte, sondern schon in vollen Zügen sein Glas leerte, verschluckte sich vor Lachen.

»Wohl geantwortet, mein Freund«, prustete er. Rötliche Rinnsale sickerten ihm aus den Mundwinkeln und suchten sich ihren Weg über das Kinn. Dann fasste der Baumeister des Papstes Michelangelo scharf ins Auge. »Und was ist mit Euch, mein junger Freund? Habt auch Ihr ein Weib zu versorgen wie unser braver Giuliano?«

»Gott bewahre!«

Sangallo klopfte seinem Schützling auf die Schulter. »Der Arme hat schon an seiner habgierigen Familie genug zu tragen. Ich sage Euch, eine Bande echt florentinischer Taugenichtse!«

Wütend machte sich Michelangelo von seinem lachenden Freund los und funkelte ihn zornig an. »Lass meine Familie aus dem Spiel, Giuliano, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Bramante merkte auf, legte den Zeigefinger auf die Lippen und blinzelte den jungen Mann mit gerunzelter Stirn an. »Ruhig, mein Heißblut, ruhig! Ehre den älteren Meister, und lass ab von solch eitlen Drohungen. Sie ziemen sich auch nicht für uns Künstlerpack. Oder bist du etwa von Adel?«

»Ja, im Gegensatz zu Euch bin ich das!«, sagte Michelangelo fest, während er über den drohenden Unterton nachdachte, den er in Bramantes Beschwichtigung gespürt hatte. Eine kleine vergiftete Stille trat ein. Der Baumeister musste Michelangelos Worte – ganz gleich, wie sie gemeint gewesen waren – als Kampfansage verstehen, zumal sie vor allen Anwesenden offen ausgesprochen worden waren.

Michelangelo fühlte sich von dem starren Blick des älteren Mannes wie von einer Lanze durchbohrt. Ihn beschlich das Gefühl, in einen Machtkampf geraten zu sein. Ein Machtkampf im Bordell? Wie lächerlich! Andererseits hatte ihn doch Lorenzo gelehrt, dass nichts zufällig sei, nichts zu klein und nichts zu unbedeutend, es gehe immer und bei allem um Macht. Erst in diesem Moment erkannte er, wie viel Klugheit und Wissen er seinem Mäzen verdankte, der sein eigentlicher Lehrer gewesen war.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, zog Bramante ganz langsam die Mundwinkel nach unten.

»Ach, verzeiht mir, ich vergaß«, rief er dann mit einem höhnischen Lächeln. »Ihr seid ja der Graf Einfaltspinsel, der Baron von Hammer und Meißel. Darf ich vorstellen, liebwerte Madonnen und hochedle Messères, der Cavaliere von der hängenden Rute!«

»Ruhig, Michelangelo, ruhig!«, mahnte Sangallo halblaut und umfasste das rechte Handgelenk des Bildhauers. Die Situation drohte sich zu verschärfen. Die Musik brach mit einem Mal ab, und die Gespräche versiegten. Eine Atmosphäre lauernden Schweigens breitete sich aus. Alle warteten gespannt, wie Michelangelo auf die Kränkung reagieren würde. Dieser befreite mit einem Ruck seinen Arm aus Sangallos Griff. Seine Stirnadern schwollen an und traten bläulich an den Schläfen hervor. »Meine Familie stammt von den Grafen von Canossa ab!«

Die Stimmung vereiste zusehends. Bramante lächelte, aber es war ein wildes, zorniges Lächeln, das seine Lippen unablässig knetete, als suche er nach der passenden Antwort. Dann vollführte er mit schiefem Grinsen einen vollendeten Kratzfuß und tat erschrocken. »Verzeiht, Messèr, dass ich in dem zerlumpten Kerl vor meinen Augen nicht den hochedlen Grafen von Canossa erkannt habe. Dabei hätte es mir gleich auffallen müssen, hat doch bereits der Ahnherr Eures Geschlechts Eure Kleider getragen. Ein Wunder, dass sie nicht zerfallen sind, als Ihr sie abgestaubt habt, um hier nicht nackt erscheinen zu müssen.«

»Wollt Ihr mich wegen meiner Armut verspotten?«, entgegnete Michelangelo finster. Nichts in seiner Miene und Körperhaltung deutete darauf hin, dass er es dabei bewenden lassen würde.

»Keineswegs, Messèr Michelangelo, eher wegen Eures Reichtums an Dünkel. Es ist ein Kreuz mit Euch, lasst uns deshalb die Klingen kreuzen. Mein Adel ist nicht geringer als der Eurige. Ich leite mich von Hiram her.«

Michelangelo wollte die Herausforderung annehmen, als plötzlich aller Zorn und alle Härte aus Bramantes Augen verschwanden und einem fast kindlichen Leuchten wichen. Erstaunt wandte sich Michelangelo um.

In der Tür stand eine junge Frau, nicht gertenschlank, weder mager noch üppig. Sie trug ein blaues Kleid und darüber einen roten Mantel mit geschlitzten Ärmeln. Ihre Haare, die in Locken das runde Gesicht umrahmten, hatten im Schein der Kerzen die Farbe von dunklem Kupfer. Der Schein der Kerzen ließ einen feuchten Schimmer in ihren blauen Augen aufglänzen, was ihnen etwas Sphärisches verlieh, in dem sich Wissen und Melancholie umfingen. Der helle Elfenbeinton der Haut, zart wie chinesisches Porzellan, schenkte ihr ein edles Aussehen, welches jedoch von der kecken Stupsnase ein wenig geschmälert wurde. Sie bot einen verwirrenden Anblick, denn man konnte nicht recht entscheiden, ob man es mit einem ätherischen Wesen, das nicht ganz von dieser Welt war, zu tun hatte, oder mit einer beherzten jungen Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Sie war schön, oh ja, aber sie beeindruckte Michelangelo nicht. Bramante dagegen war scheinbar vollkommen überwältigt und hatte nur noch Augen für die Unbekannte. Der Streit mit dem jungen Bildhauer, ja der junge Mann selbst war, von einem Augenblick auf den anderen vollkommen vergessen.

»Imperia, endlich!«, rief Bramante leise, als hätte er sie sehnsüchtig erwartet. Die beiden Kurtisanen, mit denen er sich die Zeit vertrieben hatte, erhoben sich und begaben sich auf die Suche nach neuen Kavalieren. Als Bramante auf die junge Frau zuging, wandte er sich zu den drei Musikern in der Ecke und brummte sie an: »Warum habt ihr aufgehört zu spielen?«

Diese begannen erneut, ihre Instrumente zu traktieren, wild und fröhlich, als wollten sie durch die Saltarella den unschönen Streit vergessen machen.

Michelangelo spürte, dass ihn jemand am Ärmel zog. Er blickte in die Augen Petronillas, die ihm lächelnd, aber unmissverständlich zuraunte: »Und Ihr, Ihr seht zu, dass Ihr aus meinem Haus verschwindet! Und lasst Euch nicht einfallen, Euch hier noch einmal blicken zu lassen!«

Damit ließ sie ihn stehen. Sangallo zuckte bedauernd mit den Schultern, als wollte er sagen, ich habe versucht, dich zurückzuhalten. Aber gegen Petronilla konnte niemand etwas ausrichten. Sie war die Fürstin im eigenen Palazzo. Selbst Kardinäle fügten sich ihrer Entscheidung.

Michelangelo drehte sich auf dem Absatz um und stürmte die Treppen hinunter. Was hatte er hier zu suchen gehabt?, schalt er sich. Es geschah ihm recht. Wie konnte er nur die wenige Zeit, die Gott ihm schenkte, an diesen Ort der Eitelkeit verschwenden? Seit langer Zeit war er im tiefsten Inneren davon überzeugt, dass er sich im Leben beeilen musste, weil er kein hohes Alter erreichen würde. Bald, in nicht allzu ferner Zukunft schon, würde ihn der Tod holen. Bei seiner schwachen Gesundheit wäre es ohnehin ein Wunder, wenn er die vierzig erreichen sollte. Mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge trat er auf die Straße hinaus und lenkte seine Schritte mitten hinein in die Finsternis.

Er hatte gerade die gegenüberliegende Straßenseite erreicht, als er hinter sich eine Stimme vernahm: »Wartet, Messèr Michelangelo, wartet!« Er blieb stehen und wandte sich um.

Er kannte die Stimme – sie gehörte dem jungen, heiseren Tenor, der nun in der Kühle der Nacht allein vor dem von Fackeln erleuchteten Palazzo der Petronilla stand. Über einem Paar trostloser Augen wies eine kräftige Nase auf einen kleinen Mund mit verhältnismäßig vollen Lippen. Die Wangen glühten, entweder hatte er getrunken oder fieberte oder hatte sie nur geschminkt, wie es die Lustknaben gern taten.

»Nehmt mich mit. Ich will Euch auch nicht zur Last fallen, sondern ehrlich dienen.«

»Warum mir?«

»Ich weiß es nicht. Mein Genius sagt es mir.«

Michelangelo musterte ihn spöttisch. »Soso, dein Genius. Und hat dir dein Genius auch gesagt, dass es bei mir nichts zu holen gibt außer Hungerbeulen und Schwielen?«

»Ich habe Eure Pietà gesehen.«

»Schmeichle mir nicht, du Schuft!«

»Ich will kein Geld! Nehmt mich auf, ernährt mich, und Ihr sollt es nicht bereuen!«

Michelangelo dachte nach, wurde aber nicht schlau aus dem hübschen Kerl. »Wie heißt du?«

»Man nennt mich das Französlein, wegen der schlimmen Krankheit, die ich überstanden habe.«

»Und wie soll ich dich nennen?«

»Französlein.«

»Also gut, Francesco, aber warum?«

»Weil ich immer daran erinnert werden möchte, dass Gott mir die Franzosenkrankheit gesandt hat, damit ich dem unsittlichen Lebenswandel entsage!«

»Und was verhalf dir zu dieser Einsicht?«

»Eure Pietà eben, Maestro!«

Michelangelo fuhr zusammen, schlug die Augen nieder und dachte einen Moment lang nach. Wenn es stimmte, was der Junge sagte, dann hatte dieser ihm etwas voraus – er hatte zumindest sein Leben geändert. Darüber durfte er nicht gleichgültig hinweggehen.

»Komm«, sagte Michelangelo knapp, drehte sich um und schritt die Straße entlang. Ein wenig wunderte er sich doch über sich selbst. Es war nur allzu wahrscheinlich, dass hier ein durchtriebener Kerl ihm einen gewaltigen Bären aufband und seinen Schabernack mit ihm trieb. Andererseits, was riskierte er schon? Einen Diener konnte er in der Tat gebrauchen.

Rasch eilte der junge Mann ihm nach und schwieg für den Rest des Weges.