Einundzwanzigstes Kapitel

Wie ein Mönch von Seuillé den Abteigarten vor der Feinde Plünderung schützte

Und trieben's immer schindend und plagend, raubend und stehlend also fort, bis sie gegen Seuillé kamen; zogen Mann und Weib aus, nahmen, was sie nur erlangen mochten: es war ihnen nichts zu heiß noch zu schwer. Wiewohl die Pest in den meisten Häusern war, liefen sie doch in alle hinein, mausten alles heraus und keiner nahm einen Schaden. Welches wohl ein fast erstaunlicher Fall war; denn die Priester, die Prediger, die Pfarrherrn, Ärzte, Feldscherer und Apotheker, die die Kranken besuchten, Beichte hörten, warnten, warteten, kurierten, trösteten und verbanden, waren schon alle an dem Gift gestorben, und diese Teufelsräuber und Mörder kam auch nicht ein Schauder an. Woher kommt dies, ihr Herrn? Ich bitt', denkt doch nach. Als nun der Flecken so ausgesackt war, stürmten sie mit erschrecklichem Getümmel auf die Abtei los, fanden sie aber sehr wohl verriegelt und verwahrt; demnach das Hauptheer fürbaß auf den Furt von Vede zuzog, bis auf sieben Fähnlein Fußvolks und zweihundert Lanzen, die dablieben und die Gartenmauern zerrissen, damit sie vollends den Weinberg verdürben. Die armen Teufel, die Mönche, wußten nicht, welchem Heiligen sie in der Angst sich geloben sollten. Gleichwohl aber ließen sie auf allen Fall zur Kapitelsitzung läuten. Darin ward beschlossen, daß sie einen stattlichen Umgang halten wollten mit schönen Litaneien contra hostium insidias und mit schönen Responsen pro pace.

In der Abtei war dazumal ein Klostermönch, Bruder Jahn von Klopffleisch mit Namen, ein Wagherz, jung, rüstig, wacker, wohlgemut, behend, keck, hitzig, lang und hager, mit gutem Maulwerk und fester Nas, ein tüchtiger Horahetzer, Vigilienbürster und Meßabzäumer: in Summa ein echter Mönch, so jemals einer, seit die mönchende Welt mit Mönchen bemönchelt gewesen, erfunden ward. Im übrigen ein Kreuzlateiner bis an die Zähne in Breviermaterien. Selbiger, als er den Lärm, den die Feinde in ihrem Weingarten machten, vernahm, lief aus, zu sehen, was los wär. Und als er sie fand, wie sie den Garten abernteten, daran ihr Tischtrunk des ganzen Jahrs hing, rannt' er wieder ins Chor der Kirche, wo die andern Mönch, schier verdutzt wie die Glockengießer, in einem fort Im-im-pe-e-e-e-e-e-tum, in-i-ni-mi-co-o-o-o-o-o-rum-um sangen, und rief: »Ich scheiß auf euer Gesings! Potz heiliger Gott, so singt doch lieber: Ade, ade Partie, der Wein der ist dahin! Ich sei des Teufels, wo sie nicht schon in unserm Garten sind und Stöck und Trauben so rein ausfegen, daß – bei des Herrn Leichnam! – in vier Jahren nix drin wird nachzubeeren sein. Ei, beim Sankt Jakobsränzl! Was sollen wir armen Teufel derweil trinken? O du mein Herr Gott da mihi potum!« – Da sprach der Prior des Klosters: »Was will doch der Trunkenbold hier! Man führ ihn gleich in Verwahrsam! Also die Handlung im Glauben zu stören!« – »Mitnichten«, antwortet' der Mönch, »die Wandlung der Trauben lasset uns vor Zerstörung schützen. Denn ihr, Herr Prior, trinkt selbst gern vom besten; und das tut jeder Ehrenmann; ein adlig Blut haßt nimmermehr den guten Wein, ist ein echtes Mönchswort. Aber diese Responsen, die ihr da singt, bei Gott die schicken sich jetzt schlecht. Warum sind unsre Horen zur Ernt- und Herbstzeit kurz, und um Advent und den ganzen Winter über so lang?

Bruder Matz Schlehdorn, dessen Seel Gott tröste, ein wahrer Eifrer für unsern Glauben, sagt' mir einst, ich entsinn mich noch wohl, die Ursach wär, daß wir um die Zeit den Wein fein einbringen sollten und warten, im Winter aber ihn saugen. So folgt mir denn, ihr Herrn, die ihr den Wein liebhabt, und beim Kreuz Gottes, mir nach! Denn Sankt Anton soll mich zu Kohlen brennen, wenn der von euch auch nur einen Tropfen sieht, der nicht die Reben wacker beschützt hat. Heilige Marter Gottes! Was? Das Kirchengut? Ha nein, nein, Teufel! Dafür ließ Sankt Thomas von Engelland sein Leben, und wenn ich's nun auch dafür ließ, würd ich nicht eben auch wie er ein Heiliger? Aber ich laß es darum noch nit, es sollen es für mich wohl andre lassen.«

Mit diesen Worten warf er sein weit Gewand ab und erwischt' den Kreuzstock, der von hartem Kernholz, lang wie ein Reisspieß, rund in der Faust, und hie und da mit halb erloschenen Lilien bemalt war. Also in Hosen und Wams fuhr er hinaus, hing seine Kutte als Schärpe um die Achsel und strich mit dem Kreuzstock haarscharf unter die Feinde, die ohn all Ordnung, Fahnen, Trommeln noch Drommeten im Garten den Wein abzwackten. Denn die Fähndrich und Bannerleut hatten ihre Banner und Fähnlein an die Mauern angelehnt, die Trommler ihre Trommeln oben entledert und mit Trauben geladen, und die Drommeten staken voller Beerenbüschel. Alles war in bunter Reih. Er aber stieß, ohne einmal Wer da! noch Kopf weg! zu rufen, so gröblich darunter, daß er sie links und rechts wie die Schweine niederdrosch nach der alten Parade. Etlichen zerrührt' er das Hirn, andern zerschmiß er Arm und Bein, andern versprengt' er die Wirbel im Hals, andern zermatscht' er die Weichen und Lenden, knickt' Nasen, bohrt' Augen auf, spaltet' Kiefern, schlug Zähn im Hals entzwei, zerknirscht' die Schulterblätter, zermalmt' die Schienbein, entheftelt' Hüften, barst Röhren. Wo einer sich unter die dichtesten Rebstöck verkriechen wollt', zerbläuet' er ihm das ganze Rückgrat und schlug ihn platt wie einen Frosch.

Wenn einer sich durch die Flucht retten wollt', gab er ihm eins aufs Hirn, daß ihm der Schädel in Stücke sprang. Wenn einer auf einen Baum stieg und dacht', er wär da sicher, spießt' er ihn mit seinem Stock von unten durch den Hintern auf.

Wenn einer von alter Kundschaft her ihm zuschrie: »Ha, mein Bruder Jahn, mein Freund, ich ergeb mich, Bruder Jahn!« – »Das mußt du wohl«, versetzt' er, »aber ergib nur auch deine Seel allen Teufeln!« Und gab ihm stracks den Nickfang. Und wo einer sich von Tollheit gar so weit verblenden ließ, daß er ihm offen hätt' trutzen wollen, da zeigt' er die Kraft seiner Muskelwülst und Fäust; denn Brust und Herz und Bauchfell durchrannt' er ihnen auf einen Stoß. Glaubt nur, es war das greulichste Spektakel, so je ersehen ward.

Etliche riefen Sankt Barbara, etliche den Ritter St. Jörgen, etliche Sankt Schonemein, andre unsre Liebfrauen von Cunault, von Laureto, von der guten Mär. Einige gelobten sich zum Sankt Jakob, andre zum heiligen Schweißtuch gen Chambrey (doch brannt' dies drei Monat hernach so glatt weg, daß man auch nicht ein Fäslein davon hat retten mögen), etliche gen Cadouin, andre zum Sankt Johann von Angely, und tausend andern guten kleinen Heiligenmännlein. Etliche starben, ohne zu sprechen, andre sprachen, ohne zu sterben; etliche starben sprechend, andre sprachen sterbend. Welche schrien mit lauter Stimm: »Beicht! Beicht! confiteor, miserere! In manus,« Es war ein solch Geschrei der Zermetzelten, daß der Prior des Klosters mit all seinen Mönchen selbst hinauszog; und als sie die armen Leut im Garten so tödlich blessiert und zerbläuet sahen, hörten sie ihrer etlich die Beicht ab. Während aber die Priester sich mit Beichten Zeit und Weil vertrieben, liefen die kleinen Mönchlein dahin, wo Bruder Jahn war, und fragten ihn, worin sie ihm behilflich sein könnten.

Da befahl er ihnen, alle die abzumurxen, die auf der Erd lägen. Worauf sie ihre großen Kutten auf den nächsten Rebhalter warfen und stracks anhuben, die von ihm bereits Zerbläuten vollends zu würgen und abzutun. Und wißt ihr auch mit was für G'wehr? Mit saubern Kneiflein: das sind die kleinen Taschenmesser, womit die Kinder bei uns zu Land die Nüß schälen. Hierauf pflanzt' er sich mit seinem Kreuzstock in die Bresch, die der Feind gemacht hatt'. Und wie die, so gebeichtet hatten, durch selbige Bresch davonziehen wollten, drosch sie der Mönch mit Streichen darnieder und sprach dabei: »Die haben gebeichtet und bereuet und haben den Ablaß davon; sie fahren grad wie eine Sichel gen Himmel.« Also ward dann durch seine Mannheit der ganze Heereshaufen erlegt, der in den Garten eingefallen, an 13622, ohne Weiber und kleine Kinder, wie sich allzeit von selbst versteht. Nimmer hat sich der Klausner Maugis mit seinem Pilgerstab so tapfer wider die Sarazenen gehalten, von denen man in den Geschichten der vier Haimonskinder liest, als unser Mönch mit seinem Kreuzstock wider die Klosterfeind hantierte.

Gargantua Und Pantagruel
titlepage.xhtml
dummy_split_000.html
dummy_split_001.html
dummy_split_002.html
dummy_split_003.html
dummy_split_004.html
dummy_split_005.html
dummy_split_006.html
dummy_split_007.html
dummy_split_008.html
dummy_split_009.html
dummy_split_010.html
dummy_split_011.html
dummy_split_012.html
dummy_split_013.html
dummy_split_014.html
dummy_split_015.html
dummy_split_016.html
dummy_split_017.html
dummy_split_018.html
dummy_split_019.html
dummy_split_020.html
dummy_split_021.html
dummy_split_022.html
dummy_split_023.html
dummy_split_024.html
dummy_split_025.html
dummy_split_026.html
dummy_split_027.html
dummy_split_028.html
dummy_split_029.html
dummy_split_030.html
dummy_split_031.html
dummy_split_032.html
dummy_split_033.html
dummy_split_034.html
dummy_split_035.html
dummy_split_036.html
dummy_split_037.html
dummy_split_038.html
dummy_split_039.html
dummy_split_040.html
dummy_split_041.html
dummy_split_042.html
dummy_split_043.html
dummy_split_044.html
dummy_split_045.html
dummy_split_046.html
dummy_split_047.html
dummy_split_048.html
dummy_split_049.html
dummy_split_050.html
dummy_split_051.html
dummy_split_052.html
dummy_split_053.html
dummy_split_054.html
dummy_split_055.html
dummy_split_056.html
dummy_split_057.html
dummy_split_058.html
dummy_split_059.html
dummy_split_060.html
dummy_split_061.html
dummy_split_062.html
dummy_split_063.html
dummy_split_064.html
dummy_split_065.html
dummy_split_066.html
dummy_split_067.html
dummy_split_068.html
dummy_split_069.html
dummy_split_070.html
dummy_split_071.html
dummy_split_072.html
dummy_split_073.html
dummy_split_074.html
dummy_split_075.html
dummy_split_076.html
dummy_split_077.html
dummy_split_078.html
dummy_split_079.html
dummy_split_080.html
dummy_split_081.html
dummy_split_082.html
dummy_split_083.html
dummy_split_084.html
dummy_split_085.html
dummy_split_086.html
dummy_split_087.html
dummy_split_088.html
dummy_split_089.html
dummy_split_090.html
dummy_split_091.html
dummy_split_092.html
dummy_split_093.html
dummy_split_094.html
dummy_split_095.html
dummy_split_096.html
dummy_split_097.html
dummy_split_098.html
dummy_split_099.html
dummy_split_100.html
dummy_split_101.html
dummy_split_102.html
dummy_split_103.html
dummy_split_104.html
dummy_split_105.html
dummy_split_106.html
dummy_split_107.html
dummy_split_108.html
dummy_split_109.html
dummy_split_110.html
dummy_split_111.html
dummy_split_112.html
dummy_split_113.html
dummy_split_114.html
dummy_split_115.html
dummy_split_116.html
dummy_split_117.html
dummy_split_118.html
dummy_split_119.html
dummy_split_120.html
dummy_split_121.html
dummy_split_122.html
dummy_split_123.html
dummy_split_124.html
dummy_split_125.html
dummy_split_126.html
dummy_split_127.html
dummy_split_128.html
dummy_split_129.html
dummy_split_130.html
dummy_split_131.html
dummy_split_132.html
dummy_split_133.html
dummy_split_134.html
dummy_split_135.html
dummy_split_136.html
dummy_split_137.html
dummy_split_138.html
dummy_split_139.html
dummy_split_140.html
dummy_split_141.html
dummy_split_142.html
dummy_split_143.html
dummy_split_144.html
dummy_split_145.html
dummy_split_146.html
dummy_split_147.html
dummy_split_148.html
dummy_split_149.html
dummy_split_150.html
dummy_split_151.html
dummy_split_152.html
dummy_split_153.html
dummy_split_154.html
dummy_split_155.html
dummy_split_156.html
dummy_split_157.html
dummy_split_158.html
dummy_split_159.html
dummy_split_160.html
dummy_split_161.html
dummy_split_162.html
dummy_split_163.html
dummy_split_164.html
dummy_split_165.html
dummy_split_166.html
dummy_split_167.html
dummy_split_168.html
dummy_split_169.html
dummy_split_170.html
dummy_split_171.html
dummy_split_172.html
dummy_split_173.html
dummy_split_174.html
dummy_split_175.html
dummy_split_176.html
dummy_split_177.html
dummy_split_178.html
dummy_split_179.html
dummy_split_180.html
dummy_split_181.html
dummy_split_182.html
dummy_split_183.html
dummy_split_184.html
dummy_split_185.html
dummy_split_186.html
dummy_split_187.html
dummy_split_188.html
dummy_split_189.html
dummy_split_190.html
dummy_split_191.html
dummy_split_192.html
dummy_split_193.html
dummy_split_194.html
dummy_split_195.html
dummy_split_196.html
dummy_split_197.html
dummy_split_198.html
dummy_split_199.html
dummy_split_200.html
dummy_split_201.html
dummy_split_202.html
dummy_split_203.html
dummy_split_204.html
dummy_split_205.html
dummy_split_206.html