–24–
Es war bereits später Mittwochnachmittag, als
die Bürotür aufging und Kommissarin Köbler ihre beiden neuen
Kollegen aus einer Unterhaltung riss. In der linken Hand ein
Käsebrötchen und in der rechten eine dünne Akte, schloss sie die
Tür mit dem Fuß und winkte anschließend mit der Akte.
»Hallo Natalie! Hast du etwas gefunden?«, begrüßte Mike sie und
betonte dabei ganz bewusst ihren Vornamen, um Peter zu
ärgern.
Natalie kaute den aktuellen Bissen herunter, bevor sie antwortete:
»Habe ich! Zuerst war ich etwas verzweifelt. Ich wusste überhaupt
nicht, wie viele Fälle unsere Richter im Jahr zu verhandeln haben.
Da Sie … eh … du mir jedoch gesagt hast, dass diese Sache mit Nina
Krause schon eine Weile zurückliegt, habe ich von hinten
angefangen. Und tatsächlich, war es Richterin Magwarts erster Fall,
nachdem sie vom Familien- zum Strafgericht gewechselt
hatte.«
»Und um was ging es bei der Verhandlung?«, fragte Peter. Doch bevor
er eine Antwort bekam, legte sie die Akte weg, gab ihm die Hand und
sagte: »Natürlich können auch wir zum ‘du‘ wechseln. Ich bin
Natalie.« Peter konnte sich das Lächeln nicht verkneifen: »Und ich
Peter!«
»Wenn ihr dann fertig seid, wüsste auch ich gerne, was das für ein
Fall war«, drängte Mike, worauf Natalie die Akte aufschlug: »Es
ging um eine Vergewaltigung! Ein gewisser Wodan Döring hat in der
Damentoilette der Ausländerbehörde die noch minderjährige Sabrina
Cricic vergewaltigt. Ihre kroatischen Eltern waren gerade bei einem
Sachbearbeiter, und die damals 14-Jährige musste in einem anderen
Bereich warten, als es passierte.«
»Und was hat Nina Krause damit zu tun?«, hakte Mike nach, dem es
wieder einmal nicht schnell genug gehen konnte.
Offensichtlich kannte Natalie bereits den gesamten Inhalt der Akte,
da sie nicht einmal nachsehen musste: »Nina Krause hatte ihre
Freundin mit zu der Behörde begleitet und gegen Wodan Döring
ausgesagt. Obwohl auch sie noch minderjährig war, führte alleine
ihre Aussage dazu, dass Wodan Döring zu fünf Jahren Haft verurteilt
wurde.« Die Kommissarin trank einen Schluck, schlug dann doch den
Pappdeckel auf und nahm das oben liegende Blatt heraus.
Anschließend ging sie zu Mike und gab es ihm: »Was soll ich
damit?«, fragte er und warf einen Blick darauf.
»Das ist das Inhaltsverzeichnis über alle Unterlagen, die
eigentlich in dieser Akte sein sollten.« Nun nahm sie die
restlichen Blätter heraus und breitete diese auf ihrem, noch leeren
Schreibtisch aus. Anschließend bat sie Mike: »Vergleiche bitte das
Inhaltsverzeichnis mit diesen Unterlagen.« Mike runzelte zwar die
Stirn, tat aber trotzdem, um was seine Kollegin gebeten
hatte.
»Da fehlen zwei Gesprächs- und ein Vernehmungsprotokoll!«, stellte
Mike nach der Durchsicht fest.
»Seid ihr sicher?«, fragte Peter zweifelnd und warf selbst einen
Blick auf die Blätter.
Mike nickte, dachte kurz nach und beschloss: »Egal jetzt, darum
kümmern wir uns später! Sabrina Cricic und Wodan Döring sind jetzt
wichtiger! Wenn das unser Entführer ist, haben wir endlich eine
aussichtsreiche Spur. Mal sehen, was der Computer über die beiden
hergibt. Peter, du suchst nach Sabrina, ich nach Wodan.«
»Und ich?«, fragte Natalie. Da es vor dem Fester bereits dunkel
geworden war, sah Mike erst auf die Uhr, dann zu seiner Kollegin:
»Hast du noch etwas Zeit?«, und als sie nickte, »Kannst du auf dem
Nachhauseweg noch einmal am Gericht vorbeifahren und den für die
Akten zuständigen Mitarbeiter fragen, wie es sein kann, dass etwas
fehlt. Und vielleicht könnt ihr einen Blick, in die Akten, die das
Jahr der Tat betreffen, werfen. Vielleicht wurde da nur etwas
falsch eingeordnet. Ich habe keine Lust, Richterin Magwart damit zu
konfrontieren, und dann stellt sich alles nur als Irrtum oder
Schlamperei heraus.«
»Mach ich, kein Problem! Auf mich wartet sowieso keiner zu Hause,
und das Fitnessstudio hat die ganz Nacht offen.« Dann zog sie sich
ihre Jacke über, ging zur Tür und fragte in Mikes Richtung: »Soll
ich dich später noch anrufen, oder reicht es morgen
früh?«
»Es reicht morgen früh! Wir machen auch bald Schluss«, antwortete
Mike und begann dann Wodan Dörings Namen in das Computerprogramm zu
tippen.
»Alles klar. Dann einen schönen Abend!«, verabschiedete sich
Natalie, aber ihre neuen Kollegen waren schon viel zu vertieft, um
es noch wahrzunehmen.
Peter hatte als Erster etwas gefunden und fragte über seinen
Monitor hinweg: »Wann war diese Verhandlung?«
»2007«, antwortete Mike und blickte erst auf, als Peter sagte:
»Also irgendetwas ist an der Sache faul!«
Nun, da Peter sich sicher war, dass sein Partner zuhörte, fuhr er
fort: »Eine Woche, nachdem dieser Wodan verurteilt wurde, bekam
Familie Cricic die deutsche Staatsbürgerschaft.«
»Und was ist so merkwürdig daran?«, fragte Mike.
»Sie hatten damals weder einen festen Wohnsitz, noch konnten sie
einen Arbeitsplatz nachweisen. Also wenn du mich fragst, hat da
jemand mit Einfluss nachgeholfen.«
Im selben Augenblick öffnete sich die Akte von Wodan Döring an
Mikes PC und lenkte seine Aufmerksamkeit darauf: »Da ist ja unser
Freund …«, murmelte er mehr zu sich selbst, was aber Peter dazu
veranlasste, um den Schreibtisch herum zu kommen und sich hinter
ihn zu stellen.
»So wie es aussieht haben wir hier unseren Entführer vor uns.
Döring wurde vor einem halben Jahr aus dem Gefängnis entlassen.
Außerdem ist hier ein Eintrag, dass er letzte Woche nicht bei
seinem Bewährungshelfer erschienen ist.« Beide Kommissare starrten
wie gebannt auf den Bildschirm, wo ihnen ein eigentlich nicht
unsympathischer Mann entgegen blickte.
»Haben wir einen Wohnort?«, fragte Peter, worauf Mike einige Tasten
drückte und dann feststellte: »Ja, haben wir! Es ist in der Nähe
des Hafens, am Kanal.« Ohne Absprache, griffen sich beide ihre
Jacken und verließen, nachdem Mike kurz Karl Bescheid gesagt hatte,
das Büro. Nach dem falschen Einsatz an der Kongresshalle, und da
sie sich ziemlich sicher waren, dass Wodan Döring sich nicht in
seiner Wohnung befand, verzichteten sie dieses Mal auf Verstärkung
und fuhren allein zu der angegebenen Adresse.
Zwanzig Minuten später bog Peter in die Zielstraße ein und sah sich
verwundert um. Weit und breit war kein einziges Wohnhaus zu sehen,
stattdessen reihten sich eine Vielzahl der unterschiedlichsten
Firmen aneinander. »Welche Nummer?«
Mike sah auf sein Handy und antwortete: »Nummer 43.«
»Das hier war gerade die 31, allerdings wüsste ich nicht, wo man
hier wohnen sollte. Das sind alles Firmen?« Weiter kam Peter nicht,
da Mike nach vorne zeigte: »Da ist es!« Tatsächlich prangte eine
übergroße, aus Stahlrohren zusammengeschweißte 43, auf dem
Schiebetor, hinter dem sich Berge aus verschrotten Autos
auftürmten.
»Ein Schrottplatz!«, stellte Peter unnötigerweise fest und stellte
das Auto am Straßenrand ab. Da es bereits nach 18 Uhr war, brannte
in fast keiner der umliegenden Firmen noch Licht, und auch der
Zugang zu dem Schrottplatz war nur mäßig beleuchtet. Beide
Kommissare bewaffneten sich mit einer Taschenlampe und gingen
langsam auf das mit Rost behaftete Schiebetor zu. Peter zog daran
und sah dann, als es sich nicht rührte, unschlüssig zu
Mike.
»Hier ist eine Klingel.«, stellte dieser fest, ließ den Schein
seiner Lampe aber erst über den einsehbaren Teil des Schrottplatzes
gleiten. Da dort nichts zu erkennen war, drückte er auf den Knopf
und wartete ab, was passieren würde.
»Hier ist bestimmt niemand mehr!«, meinte Peter pessimistisch, als
sich einige Sekunden lang nichts rührte. Aber Mike, der das Gelände
weiter im Blick hatte, antwortete: »Stimmt nicht.«
Tatsächlich war nun in der hintersten Ecke ein Lichtschein zu
erkennen, der vorher nicht da gewesen ist. Dann zeichnete sich die
Silhouette eines Mannes zwischen zwei Schrottbergen ab, der langsam
näher kam. Peter legte die Hand auf seine Waffe, zog sie aber
nicht.
»Was wollen Sie? Ich habe schon geschlossen!«, drang die Stimme
eines offensichtlich ziemlich alten Mannes zu ihnen herüber, worauf
Mike antwortete: »Wir sind von der Polizei und haben ein paar
Fragen an Sie. Könnten Sie uns bitte herein lassen?«
Bevor der Mann antwortete, kam er noch etwas näher und rief dann:
»Das könnte ja jeder behaupten, aber wenigstens klingen Sie nicht
wie ein verdammter Russe.«
Mike leuchtete erst sich selbst mit der Taschenlampe ins Gesicht,
dann auf seinen Dienstausweis, den er durch das Gitter hielt: »Hier
sehen Sie! Ich bin Hauptkommissar Köstner, und das ist mein Kollege
Kommissar Groß. Es wäre wirklich wichtig!«
Nun kam der Mann bis auf eine Armlänge an das Tor heran, nahm Mike
den Dienstausweis aus der Hand und hielt ihn ins Licht. Dann zog er
einen großen Schlüsselbund aus der Bauchtasche seiner ehemals
blauen Arbeitshose und gab ihm den Ausweis mit den Worten: »Bitte
entschuldigen Sie meine Begrüßung, aber in letzter Zeit treibt sich
hier nachts ein Haufen Gesindel herum. Erst vor zwei Tagen wollten
mir drei osteuropäische Männer meine Tageskasse abnehmen.« Jetzt
grinste der Mann: »Bekommen haben sie allerdings nur ein Stahlrohr
auf den Kopf.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, wandte sich der
Mann ab, ging zu einer schweren Kette und öffnete das große
Vorhängeschloss. Dann schob er das Tor gerade soweit auf, das Mike
und Peter eintreten konnten und verschloss es anschließend wieder
sorgfältig.
Sich die Hände reibend, sagte er zu dem Kommissaren: »Kommen Sie
mit hinter in mein Haus, es wird abends schon verdammt
frisch!«
»Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte Peter, während sie Slalom um
einige Schrotthaufen auf ein kleines, flaches Haus zugingen. Der
Mann blieb stehen, drehte sich um und reichte Peter die Hand: »Oh,
tut mir leid! Ich habe soviel mit Pack zu tun, dass ich inzwischen
meine Manieren vergessen habe. Mein Name ist Hopfengärtner, Georg
Hopfengärtner.«
Als auch Mike ihm die Hand gab, ertappte er sich wieder einmal
dabei, dass er diesen Menschen aufgrund seines Äußeren falsch
eingeschätzt hatte. Vor ihm stand ein Handwerker der alten Schule,
der offensichtlich noch Werte hatte.
Inzwischen hatten sie das Haus erreicht und betraten die
Privaträume. Die Einrichtung im Wohnzimmer des Schrotthändlers
passte zu dem alten Mann, und das Sofa aus den siebziger Jahren
stellte sich als überraschend bequem heraus. »Möchten Sie etwas
trinken?« Da die Frage nicht nach einer Floskel klang, und man mit
solchen Männern am besten bei einem Bier reden konnte, ließen sich
Mike und Peter ein Radler geben. Doch bevor Mike den ersten Schluck
nahm, fragte er: »Ist Wodan hier?«
Georg Baumgärtner, der sich gerade sein eigenes Glas einschenkte,
hielt inne und sah Mike mit einem Gesichtsausdruck an, den keiner
der beiden Kommissare deuten konnte. »Sagen Sie bitte nicht, der
Junge hat Mist gebaut.«
»Wissen wir noch nicht, aber dazu später. Ist er hier?«, antwortete
Mike.
»Schon einige Tage nicht mehr …« In Georg Baumgärtners Stimme
schwang eine Spur Traurigkeit mit. Dann füllte er den Rest seines
Glases auf und prostete den Kommissaren zu. Diese nahmen ebenfalls
ihre Gläser und tranken einen Schluck.
»Aus Ihrer Antwort schließe ich, dass Sie Wodan Döring kennen«,
begann Mike das Gespräch.
Georg Baumgärtner nickte, stellte sein Glas ab und antwortete
offen: »Ja! Er kam vor etwa einem halben Jahr zu mir und fragte
nach einem Job. Sah damals fertig aus, der Junge. Erst wollte ich
nicht, doch als er mir offen und ehrlich erzählt hatte, dass er
gerade aus dem Gefängnis kommt und endlich wieder ein normales
Leben führen möchte, ließ ich mich auf eine Probezeit ein. Hinzu
kam, dass er nur eine Unterkunft und etwas Taschengeld wollte.« Der
Alte lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah nachdenklich in
den Raum, bevor er weiter redete: »Nun ja, was soll ich sagen. Ich
finde jeder sollte noch eine zweite Chance bekommen. Und Wodan war
ein wirklich anständiger junger Mann, dem keine Arbeit zu viel war.
Ich bin nicht mehr der Jüngste und konnte seine Hilfe gut
gebrauchen, also blieb er … «, Baumgärtners Stimme wurde etwas
leiser, » … bis Mitte letzter Woche.«
»Hat er sich verabschiedet, oder war er einfach verschwunden?«,
warf Peter ein. Der Alte nahm noch einen Schluck, dann erst
antwortete er: »Er sollte Wertstoffe rüber nach Hersbruck in eine
Verwertungsanlage bringen und kam nicht wieder. Erst dachte ich, es
ist etwas passiert. Eine Panne mit dem Wagen oder etwas anderes.
Als er aber auch nach zwei Tagen noch nicht zurück war, war mir
klar, dass er abgehauen sein musste.«
», was für ein Wagen?«, Mikes Puls ging etwas schneller. Das war
eine Chance ihn zu finden.
Georg Baumgärtner deutete an die Wand neben Mike, wo einige Fotos
hingen: »Dieser da!« Das Bild zeigte einen älteren
Kleintransporter, der vor dem Haus stand, in dem sie sich gerade
befanden.
»Haben Sie das angezeigt?«, fragte Peter, doch der Alte schüttelte
den Kopf: »Nein. Ich hatte bis vorhin, als Sie vor meinem Tor
standen, die Hoffnung, dass er doch noch zurückkommt. Ich konnte
mir einfach nicht vorstellen, dass Wodan mir das Auto klaut. Er
weiß doch, wie sehr ich darauf angewiesen bin.«
Georg Baumgärtner wollte noch weiter reden, aber Mike hatte schon
sein Handy in der Hand und unterbrach ihn mit einer Handbewegung:
»Haben Sie das Kennzeichen im Kopf?« Der Alte bestätigte die Frage
mit einem Nicken, worauf Mike die Nummer des Präsidiums wählte und
sich das Kennzeichen sagen ließ.
»Was hat er denn angestellt?«, fragte der Alte kraftlos, als Mike
das Telefon wieder weggesteckt hatte. Mike dachte einen Augenblick
darüber nach, wie viel er erzählen konnte: »Vielleicht eine
Entführung, aber wir sind uns noch nicht ganz sicher.«
»Scheiße!«, stieß der Alte aus, und Mike fragte weiter: »Können wir
sein Zimmer sehen, oder wo hat er gewohnt?«
Georg Baumgärtner erhob sich mühevoll und antwortete: »Im Anbau.
Der Zugang ist draußen.«
Alle drei umrundeten den Flachbau und kamen auf der Rückseite an
etwas, das wie eine Garage aussah. Der Alte zog erneut den
Schlüsselbund aus der Tasche und wollte schon aufschließen, als
Mike ihn zurückhielt. Die beiden Kommissare streiften ihre dünnen
Gummihandschuhe über, dann fragte Mike: »Darf ich?«, und nahm
Baumgärtner den Schlüssel aus der Hand.
Als er aufgeschlossen hatte und von außen einen ersten Blick in das
einzige Zimmer geworfen hatte, drehte sich Mike noch einmal um:
»Können Sie bitte hier warten?« Da er die Frage als Anweisung
betont hatte, wartete er auf keine Antwort, schaltete das Licht ein
und trat hinein. Obwohl sich auch Peter ziemlich sicher war, hier
niemanden anzutreffen, hatte er seine Waffe gezogen, hielt sie aber
nach unten.
Schon auf den ersten Blick fiel es schwer zu glauben, dass hier ein
junger Mann alleine gewohnt haben sollte. Alles war ordentlich und
sauber und sogar die Decke auf dem Bett im hinteren Teil des Raumes
war akkurat zusammengelegt. Es gab nur zwei Orte, wo man so etwas
lernte: entweder bei der Bundeswehr oder im Gefängnis.
Mike, der seine Waffe nicht gezogen hatte, überließ es Peter, im
Badezimmer nachzusehen, aber auch das war leer. »War er immer so
ordentlich, oder hat das mit seinem Verschwinden zu tun?«, rief
Mike nach vorne zur Tür, wo immer noch der Alte stand und ihnen
zuschaute.
»Immer! Sie sollten mal seinen Arbeitsplatz in meiner Werkstatt
sehen, dort würde sich ein Blinder zurechtfinden!«, lautete die
Antwort, welche Mike schon erwartet hatte. Es war fast typisch für
solche Menschen. Nach außen präsentierten sie sich absolut
aufgeräumt, und in ihrem Inneren herrschte Chaos.
Peter war inzwischen zu dem einzigen Schrank gegangen und hatte die
beiden Türen geöffnet, als er das Wort »Bingo!« ausstieß. Mike trat neben ihn und blickte
in die Gesichter der drei Frauen, die jetzt irgendwo in einem
Rattenloch saßen. Die Fotos waren allesamt heimlich aufgenommen
worden, was die ungewöhnlichen Blickwinkel zeigten. Offenbar war
ihnen dieser Wodan schon vorher näher gekommen, als die Drei ahnen
konnten. Mike vermutete, dass er die Kamera bei der Entstehung der
Fotos so in der Hand gehalten hatte, als würde er sie einfach nur
tragen. Alle Fotos zeigten die Frauen in Alltagssituationen, und
immer war er kaum mehr als eine Armlänge von ihnen entfernt
gewesen. »Das war lange geplant!«, stellte Peter fest, und Mike
ergänzte: »Auch, dass wir das hier finden! Er will uns seine
Überlegenheit demonstrieren. Lass uns die Spurensicherung anrufen,
auch wenn ich mir sicher bin, dass die nichts finden werden, was
auf den Ort der Entführung hinweist. Vielleicht hat er doch
irgendwo einen Fehler gemacht.«
Die beiden suchten den Raum noch einmal flüchtig ab, erklärten
Georg Baumgärtner, dass noch ein paar mehr Polizisten auftauchen
würden, und er sich von der Wohnung fernhalten solle. Anschließend
verließen sie das Grundstück. Am Tor fragte der Alte noch: »Bekomme
ich mein Fahrzeug zurück, falls Sie es finden? Ohne den Transporter
kann ich meinen Laden dicht machen, und für was Neues habe ich kein
Geld.«
»Falls wir ihn finden, muss er zwar noch untersucht werden, aber
danach bekommen Sie ihn sicher zurück!«, beruhigte Mike den Alten
und verabschiedete sich anschließend.
»Und jetzt?«, fragte Peter mit müden Augen, als sie wieder im Auto
saßen. Mike dachte einen Augenblick nach, machte dann eine
Handbewegung in Richtung Straße und verkündete: »Feierabend! Die
Fahndungen sind mit höchster Dringlichkeitsstufe draußen. Und wenn
das, was unsere neue Kollegin herausgefunden hat, stimmt, haben wir
morgen früh ein Gespräch mit der Richterin.« Dann machte er sich
eine Zigarette an und fragte: »Kannst Du mich zu Hause
absetzen?«
»Kein Bier mehr?«, warf Peter ein.
»Heute nicht! Wir sollten uns mal wieder ein bisschen um unsere
eigenen Frauen kümmern.«
Nachdem Peter seinen Partner vor dessen Haus abgesetzt hatte, fuhr
er um die nächste Häuserecke, ließ den Motor ausgehen und schloss
die Augen. Nach einigen Minuten schlug er wütend gegen das Lenkrad,
öffnete die kleine Packung mit den Kapseln und quälte sich das
Medikament, ohne etwas zu trinken, hinunter. Anschließend fuhr er
zu einem abgelegenen Parkplatz am Rande eines Waldes, stieg aus und
lief die halbe Nacht durch die Dunkelheit.