–17–

Trotz der sich leise öffnenden Tür, riss es alle drei Frauen sofort aus ihrem Halbschlaf. Dieses Mal verzichtete ihr Entführer auf die starken Scheinwerfer, und nur der einfallende Lichtschein beleuchtete das Verlies ein wenig. Soweit Kassandra erkennen konnte, war der Mann ganz in Schwarz gekleidet und hatte eine fast schon albern wirkende Kapuze mit Sehschlitzen über den Kopf gezogen. In der einen Hand hielt er einen kleinen viereckigen Gegenstand, den sie nicht identifizieren konnte und in der anderen eine Art Essensbox.
Anders als die zurückhaltende Kassandra, war Sabrina sofort bis an das Gitter gestürmt und begann ihn schwer zu beschimpfen, doch er ignorierte dies, stellte sich einfach in die Mitte des Raumes und schwieg. Nachdem Sabrina offenbar all ihre verfügbaren Schimpfwörter und Beleidigungen von sich gegeben hatte, beruhigte sie sich ein wenig, und eine seltsame Stille beherrschte das Gewölbe. Wodan sah eine nach der anderen einige Sekunden lang an, ging dann vor bis zu Kassandras Zelle, öffnete die Box und legte ein Sandwich vor das Gitter.
»Hey, du Schwuchtel, ich will auch etwas zu essen!«, protestierte Sabrina sofort.
»Und etwas zu trinken!«, forderte Nina, die sich durch das freche Verhalten ihrer Freundin etwas sicherer fühlte.
Wodan ignorierte Sabrina, drehte sich nach links, legte auch Nina etwas vor die Zelle und stellte die kleine Box in der Mitte des Raumes ab. Anschließend ging er zu Sabrinas Zelle, blieb zwei Meter davor stehen und schien einfach abzuwarten. Zum ersten Mal zeigte die junge Frau so etwas wie Unsicherheit.
»Was ist?«, spie sie ihm nach einigen Sekunden entgegen, doch er rührte sich nicht. Er stand einfach da und sah sie mit seinen stechend blauen Augen an. Sabrina versuchte, den Blick zu halten. Sie wusste von der Straße, dass man schon halb gewonnen hatte, wenn das Gegenüber dem nicht standhielt, doch im Augenblick war sie diejenige, die einzuknicken drohte. Nicht nur, dass sie Hunger hatte, es konnte auch nicht angehen, dass dieser Typ sie unter Kontrolle hatte.
Nachdem sie alle Möglichkeiten kurz im Kopf durchgespielt hatte, löste sie den Blick, sah scheinbar geläutert auf den Boden und sagte versöhnlich: »Kann ich bitte auch eins haben?«
Wodan deutete ein Nicken an, holte das letzte Sandwich und legte es gerade soweit entfernt vom Gitter ab, dass sie es gerade noch erreichen konnte. Auf diesen Augenblick hatte Sabrina nur gewartet. Mit einer schnellen Bewegung griff sie durch das Gitter und versuchte Wodans Arm zu erreichen, was ihr tatsächlich auch gelang. Scheinbar unbeeindruckt ließ er sich ein Stück weit bis zu den kalten Gitterstäben ziehen, dann kam seine andere Hand zum Einsatz. Die Berührung dauerte nicht sehr lange, sorgte aber dafür, dass sich jeder von Sabrinas Muskeln zusammenzog und ihr den Dienst versagten. Nach einem kurzen Schrei sackte sie kraftlos zusammen und fiel auf den staubigen Boden. Die Wirkung des Elektroschockgerätes hielt nicht lange an, fast schon panisch robbte sie erst vom Gitter weg und sah ihn dann hasserfüllt an.
Gelassen schob Wodan ihr das Essen bis knapp vor die Zelle und sagte dann: »Netter Versuch, aber du unterschätzt mich!« Anschließend verließ er den Raum, und die drei Frauen sahen ihm unsicher hinterher. Erst nach einer Weile löste sich Nina aus ihrer Schockstarre und fragte leise: »Glaubt ihr, da ist Gift drin?«
Kassandra wusste nicht, ob ihr vor Hunger und Durst schlecht war, oder weil ihr der Vorfall wieder einmal gezeigt hatte, dass das hier tödlicher Ernst war. Komischerweise hatte sie, als einige Zeit nichts passierte war, das Ganze hier schon nicht mehr ganz so ernst genommen. Doch jetzt war die Angst wieder da, und immer neue Schreckensbilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf.
»Kassandra, ich rede mit dir!«, motzte Nina, als sie einige Sekunden keine Antwort bekommen hatte und holte sie damit aus ihren Gedanken. Verwirrt stotterte sie: »Was hast du gesagt?«
Genervt wiederholte Nina: »Glaubst du, dass er die Sandwiches vergiftet hat?«
Kassandra dachte kurz darüber nach und meinte dann: »Nein, das würde keinen Sinn machen. Er entführt uns doch nicht erst und bringt uns dann so unspektakulär um.« Selbst erschrocken über diese Erkenntnis, spürte sie, wie sich eine Träne ihren Weg bahnte; wischte sich diese aber schnell von ihrer Wange, da sie vor den beiden anderen nicht wie ein Weichei dastehen wollte.
»Wie geht es dir?«, fragte Nina Sabrina, während sie sich dem Sandwich näherte, als wäre es eine Bombe, die jeden Moment explodieren könnte.
»Geht schon wieder«, antwortete ihre Freundin immer noch etwas geschockt und rappelte sich langsam auf. Inzwischen hatte Nina das Essen erreicht und sah es sich misstrauisch an. Dann hob sie den Deckel und roch daran: »Sardellen!«, stellte sie schließlich angewidert fest.
Nun ging auch Kassandra bis ans Gitter und bestätigte Ninas Worte.
»Bei mir auch!«, stellte Sabrina als letzte fest und fügte dann etwas geläutert hinzu: »Aber ich fürchte, wir haben keine Wahl. Vielleicht hilft ja das Salatblatt ein wenig gegen den Geschmack.« Dann wandte sie sich an Kassandra und forderte: »Los, du fängst an. Wir müssen uns ja nicht alle gleichzeitig vergiften!«
Für Kassandra bestätigte sich das, was sie schon als ersten Eindruck von den beiden gehabt hatte; und inzwischen war sie ganz froh, dass sie nicht alle zusammen in einem offenen Raum eingesperrt waren. Zum Feind sollte man diese Frauen ganz sicher nicht haben, daher ging sie nicht auf die Provokation ein und biss ein kleines Stück des Weißbrotes ab. Nina und Sabrina sahen ihr offen dabei zu, und fast schien es, als würden sie erwarten, dass sie jeden Moment umfallen würde. Doch Kassandra befand das Sandwich für gar nicht mal so schlecht, und da sie schon mehr als Hunger hatte, nahm sie einen weiteren Bissen zu sich.
Als sie alles aufgegessen hatte, sagte sie zu den immer noch glotzenden beiden: »Alles gut! Es hat geschmeckt, und mir geht es gut!« Nun traute sich auch Nina und biss in ihr Brot, wenige Sekunden später tat es ihr Sabrina gleich, und bald darauf hatten sie alles aufgegessen.

Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann erkannte Kassandra als Erste die Falle. Ihr zuvor brennender Durst, war nun durch die Sardellen zu einem unbarmherzigen Durst angeschwollen. Offenbar hatte ihr Peiniger genau das geplant, denn was sie zuerst verwundert beobachtet hatten, stellte sich jetzt als Foltermethode heraus.
Nachdem sie gegessen hatten, war er noch einmal zurückgekommen und hatte genau in die Mitte des Raumes drei mit Wasser gefüllte Gläser gestellt und war dann wortlos wieder verschwunden.
Kassandra leckte sich über die schon spröden Lippen, doch ihre Zunge vermochte es nicht, diesen Feuchtigkeit zu spenden. Mit rauer Stimme stellte sie fest: »Wir hätten das nicht essen sollen, er wollte, dass wir Durst bekommen.«
»Der Gedanke kam mir auch schon. Kommen wir irgendwie an die Gläser?«, meldete sich Nina zu Wort, deren Stimme fast genau so kratzig klang.
Als wäre das sein Kommando gewesen, trat Wodan durch die Tür und verkündete mit gebieterischer Stimme: »Das habt ihr selbst in der Hand! Folgt ihr meinen Anweisungen, bekommt jeder von euch ein Glas. Widersetzt sich eine von euch, bekommt keiner etwas!«
»Und was müssen wir dafür tun?«, wagte sich Kassandra aus der Deckung.
»Schweig!« Sein Schrei ließ sie zusammenzucken und bis an die Rückwand ihrer Zelle zurückweichen. Dann fuhr er mit ruhiger, aber fester Stimme fort: »Jede von euch bekommt jetzt einen Zettel auf dem steht, was ihr zu sagen habt. Lernt es auswendig! Anschließend werde ich jede von euch filmen. Ihr werdet euch auf die Pritsche setzen und das vortragen, was auf dem Zettel stand. Sagt ihr etwas anderes, wird es euch nichts nutzen und das Wasser hier …«, er deutete auf die Gläser in der Mitte, » … wird im Boden versickern!«

BENUTZT: Psychothriller
titlepage.xhtml
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_000.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_001.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_002.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_003.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_004.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_005.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_006.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_007.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_008.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_009.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_010.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_011.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_012.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_013.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_014.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_015.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_016.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_017.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_018.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_019.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_020.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_021.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_022.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_023.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_024.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_025.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_026.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_027.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_028.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_029.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_030.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_031.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_032.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_033.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_034.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_035.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_036.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_037.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_038.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_039.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_040.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_041.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_042.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_043.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_044.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_045.html
CR!EK4JXN96W11J179M2XEHT0A0R3GB_split_046.html