–19–
Für Kassandra wirkte alles, was um sie herum
vorging, als gehörte sie nicht dazu. Verzerrt erreichte seine
Stimme ihren Geist, in dem der einzig beherrschende Gedanke etwas
zu Trinken war. Irgendetwas passierte um sie herum, doch sie konnte
nicht wirklich aufnehmen was. Er sprach mit dieser Frau in der
Zelle neben ihr, doch sie schien ihm zu drohen. Dann stand er
plötzlich vor ihrem Gitter und stellte eine Frage, die ihr völlig
abstrus vorkam, und sie antwortete einfach mit „nein“. Nun stellte er ihr ein Glas Wasser vor die
Zelle, doch ihr Hirn weigerte sich, diesem Anblick zu glauben.
Statt auf ihn zu achten, wunderte sie sich darüber, dass ihr Körper
noch in der Lage war, eine Träne hervorzubringen, schaffte es aber
nicht, diese mit ihrer Zunge einzufangen und musste dabei zusehen,
wie diese ungenutzt auf ihre Kleidung fiel und darin
versickerte.
Als sie wieder nach oben sah, war er verschwunden; doch nun stand
ein weiteres Glas neben dem Ersten, und er schien ihr etwas zu
sagen, was fast wie ein Auftrag klang. Erst der Schlag einer
zufallenden Tür holte ihren Verstand etwas aus der Lethargie, und
als sie zwei Mal weg und wieder hingesehen hatte, und die Gläser
immer noch dort standen, glaubte sie langsam daran.
»Na los, mach schon!«, hörte sie die Stimme der Frau links von ihr,
wusste aber nicht, was sie machen sollte.
»Gib uns endlich die Gläser, ich verdurste!«, kam nun von der
rechten Seite und in wesentlich schärferen Ton. Eine Hand erschien
am Boden seitlich vor ihrer Zelle, schaffte es allerdings nicht die
Gläser zu erreichen. Wieder folgte ein Fluch, dann verschwand die
Hand.
»Kassandra?« Dieses Mal kam die Stimme von links und klang etwas
freundlicher. Sie versuchte einen Ton hervorzubringen, aber es ging
nicht. Völlig benebelt schob Kassandra ihre Beine von der Pritsche,
doch der Raum drehte sich zu schnell, als dass sie aufstehen
konnte. Stattdessen ließ sie sich auf die Knie hinunter und begann
auf allen Vieren den Gläsern entgegen zu krabbeln. Endlich am
Gitter angekommen, griff sie mit ihrer zitternden Hand nach dem
ersten Glas und zog es so vorsichtig wie möglich durch eine der
Lücken.
»Wage es ja nicht, alles für dich zu behalten!«, drohte Sabrina nur
zwei Meter neben ihr, doch Kassandras Geist kramte die Worte ihres
Entführers aus der Erinnerung: Du kannst das
Glas selbst trinken, oder an eine der beiden weitergeben …aber nur
an eine der beiden! Du darfst es nicht erst der einen und dann der
anderen geben. Du hast die Wahl! Ich verlasse jetzt diesen Raum und
rate dir, dich meiner Anweisung nicht zu widersetzten, sonst weißt
du ja, was Nummer Eins passiert ist! Doch eigentlich kam ihr
der Gedanke, überhaupt etwas von dem kostbaren Wasser abzugeben,
völlig abstrus vor. Ihr Körper schrie mit jeder Zelle danach, und
ihr Hals brannte wie Feuer. Zitternd brauchte sie beide Hände, um
das Glas an ihren Mund zu führen, und trotzdem schwappte etwas
seines Inhalts über den Rand und tropfte ungenutzt in den Staub
unter ihr. Dann hatte sie ihre spröden Lippen erreicht und musste
all ihre Willenskraft zusammennehmen, um ihre Gier zu zügeln.
Schluck für Schluck rann das Wasser ihren Rachen herunter, und fast
augenblicklich ging es ihr etwas besser. Doch ihr Körper gab sich
mit dem einen Glas nicht zufrieden. Zu lange hatte man ihm dieses
Elixier verweigert, und das salzige Sandwich hatte sein Übriges
getan.
Als alles bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken war, stellte sie
das Glas zurück auf den Boden und verharrte einige Sekunden.
Langsam trat ihre Umgebung - und damit auch die beiden anderen
Frauen - wieder in den Vordergrund.
»Scheiße, sie hat es tatsächlich ausgetrunken«, stellte Nina links
neben ihr aggressiv fest, und Sabrina forderte von rechts: »Los
jetzt, gib mir das andere Glas herüber.«
»Warum dir?«, fauchte Nina. »Ich komme um vor Durst.«
»Weil ich ihr sonst die Nase einschlage, wenn wir hier wieder
herauskommen!«, antwortete Sabrina bedrohlich ruhig.
»Dann lass es uns teilen. Dieser Idiot kann doch unmöglich merken,
dass wir beide davon getrunken haben!«, versuchte Nina die
Situation für sich zu gewinnen.
Kassandra hörte den beiden einfach nur zu, und mit den immer klarer
werdenden Gedanken wurde ihr auch immer bewusster, dass sie ein
Problem hatte. Wenn sie das Glas nur der einen gab, und sie
tatsächlich ohne diese Gitter aufeinandertreffen sollten, hätte sie
keine Chance gegen diese Agrotussen. Trank sie es selbst, hätte sie
ein Problem mit beiden, und gab sie es beiden, würde er sie
bestrafen. Die einzige Lösung wäre es zu verschütten, aber das ließ
ihr Selbsterhaltungstrieb nicht zu.
»Also dann los, wer weiß, wann der zurückkommt! Gib erst mir das
Glas und dann Nina!«, forderte Sabrina und streckte ihren Arm zu
Kassandras Käfig hinüber.
»Aber ihr habt ihn doch gehört. Ich darf es nicht euch beiden
geben!«, versuchte sich diese zu wehren.
»Stell dich nicht so an und mach endlich!«, schrie Sabrina fast,
und ihre Stimme hallte von den Wänden wieder. »Tu, was sie sagt!«,
forderte nun auch Nina.
Kassandra sah sich in dem Gewölbe um, und tatsächlich gab es
nichts, was darauf hinwies, dass er mitbekommen könnte, was hier
geschah. Jetzt etwas sicherer, nahm sie das zweite Glas, zog es zu
sich in die Zelle und ging damit zur rechten Wand. Dann reichte sie
es durch das Gitter zu der immer noch wartenden Hand. Ohne sich zu
bedanken, nahm ihr Sabrina das Wasser ab und nahm einen kräftigen
Schluck. Nina stand auf der anderen Seite und sah zu ihr hinüber.
Bei dem Anblick ihrer trinkenden Freundin wurde ihre Gier noch
stärker, und fast flehend sagte sie: »Lass mir bitte etwas drin.«
Sabrina sah sich das Glas in ihren Händen an, nahm noch einen
Schluck und reichte es an Kassandra zurück, deren Durst ebenfalls
noch lange nicht gestillt war. Ohne auf Ninas Aufschrei zu hören,
setzte sie an und gönnte sich selbst noch einen kleinen Schluck,
dann ging sie zu der anderen Wand und streckte es Nina entgegen,
die es ihr fast aus der Hand riss.
Doch noch bevor sie das Glas bis an ihren Mund geführt hatte, wurde
die Stahltür aufgerissen. Nina erstarrte erst, wich dann aber bis
zu der Wand hinter sich zurück. Das Glas umklammerte sie dabei so,
als wäre es etwas Heiliges, dass sie um keinen Preis hergeben
dürfte.
»Los, trink ruhig!«, fauchte ihr Entführer. »Trink und erlebe mit,
was du damit Nummer Zwei antust. Bis jetzt hat sie meinen Befehl
nur teilweise missachtet, da sie das Wasser an dich weitergegeben
hat. Aber solltest du jetzt davon trinken, würdest du mir keine
andere Wahl lassen, und ich müsste sie bestrafen!«
Kassandra hörte es in seiner Stimme. Sie wusste, dass er es ernst
meinte … absolut ernst! Ohne auf ihn zu achten, drückte sie sich an
das Gitter und versuchte etwas von Nina zu sehen, doch diese stand
zu weit hinten und damit außerhalb ihres Blickfeldes. Flehend rief
sie hinüber: »Nina, bitte trink nicht.«
Ruckartig drehte er sich um, und seine Stimme donnerte durch das
Gewölbe: »Verdammt noch mal, sprecht euch gefälligst mit euren
Nummern an!« Keiner der Drei hatte mitbekommen, dass er eine
Peitsche unter dem weiten Ärmel seiner Robe gehalten hatte. Der
Schlag war gezielt und präzise. Erst hörte Kassandra den Knall,
dann setzte das Brennen auf ihrem Arm ein, und aus einem feinen
Schnitt bahnten sich einzelne Blutstropfen ihren Weg. Irgendwie
schaffte sie es, ihre Wut herunterzuschlucken und noch einmal an
Nina zu appellieren, doch deren Ausspruch machte ihr keine
Hoffnung. Mit Hass in der Stimme brüllte diese: »Du glaubst wohl,
nur weil du hier den Cowboy spielst, habe ich Angst vor dir?« Dann
folgten laut hörbare Schluckgeräusche.
Kassandra begann zu zittern und rief verzweifelt: »Seid ihr beide
ein bisschen bescheuert?« Dann streckte sie ihren blutenden Arm aus
dem Gitter: »Sieht das hier wie Spaß aus? Begreift ihr denn nicht,
dass wir nur zusammen weiterkommen?« Nun wandte sie ihren Blick zu
ihm, hielt einen Augenblick inne und fragte dann mit einem Kloß im
Hals: »Was wollen Sie eigentlich von uns? Wollen Sie
Geld?«
Er ging dicht vor ihr Gesicht und antwortete flüsternd: »Geld ist
mir scheißegal. Ich will, dass ihr und die Welt da draußen
versteht, wie es ist, wenn man sich über andere erhebt. Wie es sich
anfühlt, hilflos ausgeliefert zu sein. Ich werde euer Innerstes
nach außen kehren und dafür sorgen, dass ihr alles, was ihr anderen
angetan habt, herausschreien werdet. Ich werde der Welt vor Augen
führen, zu was Menschen fähig sind, und glaube mir, noch ahnst du
nicht im Ansatz, was für ein Tier in dir steckt.«
Als seine Stimme verklungen war, zog er sich wieder ein Stück
zurück, sah Kassandra in die Augen und verkündete mit fester
Stimme: »Und jetzt bereite dich auf deine Strafe vor!« Anschließend
verließ er das Gewölbe, zog die Tür hinter sich zu, und im selben
Augenblick erlosch das Licht. Für eine Sekunde war Kassandra froh,
dass die beiden anderen ihre Tränen in der Dunkelheit nicht sehen
konnten. Schreckliche Angst streckte ihre eisigen Krallen nach ihr
aus.
Wodan ließ sich rücklings gegen die geschlossene Stahltür fallen
und atmete tief durch. Alles, was bisher geschehen war, hatte er
mit Bedacht getan. Alles bis auf den Moment, als er den Sohn der
Richterin getötet hatte. Doch dieser kurze Moment hatte ihm einen
Vorgeschmack auf die Macht geliefert, die er jetzt hatte. Die drei
Frauen waren ihm nun vollkommen ausgeliefert. All die Jahre im
Gefängnis, wo er ganz unten in der Nahrungskette gestanden hatte,
war dies sein Traum gewesen. Jetzt war er es, der über allem stand.
Und dass ab morgen die Öffentlichkeit an seinem Traum teilhaben
durfte, machte das Ganze noch befriedigender und würde am Ende
diejenigen bestrafen, die glaubten, unantastbar zu sein.
Für einen Augenblick blitze so etwas wie ein Gewissen in ihm auf,
da er wusste, dass es Nummer Zwei am wenigsten verdient hatte, aber
hey, scheiß drauf! Wer wusste besser als er selbst, dass das Leben
nicht gerecht war. Nummer Zwei hatte seine Ansage ignoriert, und
das bedeutete eine Demonstration seiner Macht!
Er hatte das Ritual tausendmal in seinem Kopf durchgespielt, jetzt
würde er es zum ersten Mal praktizieren. Bereits als er seinen
kleinen Privatstollen betrat, vergiftete Wut das Blut, welches
durch seine Adern floss. Fast augenblicklich waren all die Bilder
wieder da. Erst raste die Kindheit, dann die Jugend durch seine
Gedanken. Er war behütet aufgewachsen, ein guter Schüler und in
seiner Ausbildung zum Elektroniker einer der besten gewesen. Er
lebte das Leben eines ganz normalen jungen Erwachsenen, bis er zur
falschen Zeit am falschen Ort war, und man ihn zu einer Marionette
gemacht hatte.
Geistesabwesend schaltete er das Licht in dem Stollen, der
eigentlich mehr eine große Mulde im Fels war, ein. Zwei kleine
Lichtkegel fielen genau auf die Stelle seines Schreins, an welchem
Fotos die Gesichter der beiden Menschen hingen, die er vernichten
wollte. Seine Wut hatte inzwischen eine Intensität erreicht, dass
es in seinen Adern brannte. Sekundenlang starrte er auf das Bild
der Richterin, dann ging er bis knapp davor, brachte seinen Mund
bis wenige Millimeter vor das Bild und sagte laut: »Du und deine
kleine Tochterschlampe werden nun erleben, was es heißt, wenn man
gebrochen wird!« Langsam und genussvoll lies er seine Zunge über
das Bild gleiten und schloss dabei die Augen. Anschließend wandte
er sich wie in Trance davon ab, ging zu einer Art Werkbank und
suchte zusammen, was er für die erste Lektion brauchte. Eigentlich
hatte er vorgehabt es nur für sich zu tun, entschied sich aber
anders und band sich die kleine Nachtsichtkamera um die Stirn.
Anschließend setzte er noch das Nachtsichtgerät auf und nahm vier
Paar Handschellen von einem Haken an der Wand. Als alles
eingeschaltet und funktionstüchtig war, löschte er alle Lichter und
trat vor die Stahltür zum Verlies.
Noch einmal lief ein kurzer Film durch seinen Kopf, dann öffnetet
er die Tür und trat hinein. Nummer Eins und Drei hatten sich auf
ihre Liegen gelegt und schienen zu dösen, Nummer Zwei saß dagegen
zusammengekauert in einer Ecke ihrer Zelle und weinte leise vor
sich hin, was ihn noch wütender machte.
Kassandra hört die Tür. Doch so sehr sie in die Dunkelheit starrte,
es war nichts zu erkennen. Da ihre Augen sowieso nutzlos waren,
schloss sie sie, lauschte den leisen Geräuschen, und schon nach
wenigen Augenblicken war sie sich sicher, dass er sich in dem
Gewölbe befand. Sand knirschte unter den Sohlen seiner Schuhe, und
dieses Knirschen kam eindeutig näher. Kassandra zog die Beine noch
enger an ihren Körper und versuchte nicht einmal mehr hörbar zu
atmen. Da er sie unmöglich sehen konnte, war ihre einzige Hoffnung,
dass er sie nicht fand.
Nun verharrten die Schritte nicht weit von ihr entfernt, und das
Geräusch von Metall auf Metall endete mit einem ziemlich lauten
»Klick«. Angst stieg in ihr hoch und schnürte ihr die Kehle zu. Er
war in ihrer Zelle! Was sollte sie tun? Die Käfigtür war genau
gegenüber von ihr, und wenn sie sich an der Wand entlang tastete,
könnte sie diese auch finden. Vielleicht hat er sie offen gelassen,
und sie hatte die einmalige Chance zu entkommen. Dem Geräusch
seiner Schritte nach zu urteilen, war er nicht auf sie zu, sondern
erst an das andere Ende der Zelle gegangen, von wo erneut und
mehrmals das Geräusch von Metall auf Metall ertönte. Was trieb dieser Irre?
Es war ihre einzige Chance und jetzt, wo sie hörte, wo er war,
musste sie es wagen. Kassandra nahm allen Mut zusammen, tastete
nach der Wand, und als sie diese gefunden hatte, gab es kein zurück
mehr. Ohne darauf zu achten, besonders leise zu sein, sprang sie
auf die Beine und folgte der Wand bis zu den schweren Gitterstäben.
Da sie sich das Bild ihrer Zelle ziemlich gut eingeprägt hatte, war
die Tür schnell gefunden. Und tatsächlich: Als sie daran zog, gab
diese nach innen nach. Wild nach dem Durchgang tastend, fand sie
diesen und machte einen Schritt in die Richtung, von der sie
dachte, dass er hinausginge. Dann drehte sie sich um und wollte das
Gitter hinter sich zuziehen, doch anstatt das kalte Metall zu
erreichen, wurde ihre Hand gepackt und ihr Körper fast mühelos in
die Zelle zurückgeschleudert. Sich zwei Mal überschlagend blieb sie
schließlich mit dem Gesicht im Staub liegen und rang nach Luft.
Doch noch bevor sie sich halbwegs erholen konnte, spürte Kassandra,
wie sie am Kragen ihrer Bluse gepackt und am Hals nach oben gezogen
wurde. Endlich auf den Beinen wurde sie von ihm bis zum Gitter
mitgezogen, dass sie unsanft stoppte, als sie dagegen stieß.
Verzweifelt versuchte sie um sich zu schlagen, und ihre Schreie
brachen sich mehrfach in der Dunkelheit des Gewölbes, doch seine
Hände hatten sich wie Schraubstöcke um ihre Handgelenke gelegt und
ließen kaum eine Bewegung zu.
»Was läuft da? Lass sie in Ruhe, du Arsch!«, hörte Kassandra Nina
aus der Nachbarzelle brüllen, und auch Sabrina stimmte in die
Verfluchungen ein. Doch Kassandra wusste, dass ihr niemand helfen
konnte. Nun wurden ihre Arme unbarmherzig nach oben gezogen, und
das kalte Metall von Handschellen legte sich um ihre Handgelenke.
Seine Hände ließen von ihren Armen ab, doch nur um eine Sekunde
später ihre Fußknöchel zu umgreifen und auch hier die Metallringe
anzubringen. Nun hörten seine Berührungen auf, doch jede kleine
Bewegung wurde sofort und schmerzhaft von den vier Handschellen
gestoppt. Mit dem Gesicht voran an ihr Zellengitter gefesselt,
überkam sie das Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein. Zuerst völlig
mit sich selbst beschäftigt, dauerte es eine Weile, bis sie
mitbekam, dass absolute Ruhe eingekehrt war. Trotz der totalen
Dunkelheit, glaubte sie eine Bewegung neben sich wahrzunehmen,
musste sich aber geirrt haben. Leise fragte sie: »Nina? Sabrina?
Seid ihr noch da?«
Statt einer Antwort folgte ein leises Zischen, dann setzte ein
Brennen ein, das sich einmal quer über ihren Rücken zog und sie
aufschreien ließ. Wieder donnerte seine Stimme direkt in ihr Ohr:
»Ich sage es dir nun zum letzten Mal: Wenn du Nummer Eins und Drei
noch einmal beim Namen nennst, schneide ich dir deine Zunge
heraus!« Nun kam sein Mund ihrem Ohr so nahe, dass sie seinen
heißen Atem spüren konnte, und seine Stimme wurde zu einem
Flüstern: »Hast du das verstanden?«
Trotz ihres Zähneklapperns, schaffte sie es ein kurzes ‘Ja‘ heraus zu bekommen, was er mit einem fast
schon versöhnlich klingenden „Gut“
quittierte und ihr sanft mit dem Handrücken über die Wange
streichelte. Kassandra widerte diese Berührung an, doch sie wagte
es nicht, ihren Kopf abzuwenden. Seine Hand verschwand und alles,
was sie hörte, waren seine Atemgeräusche irgendwo hinter ihr.
Vorsichtig versuchte sie erst das linke, dann das rechte Bein zu
bewegen, doch weiter als ein paar Zentimeter in alle Richtungen
ging es nicht. Die über ihrem Kopf an das Gitter gefesselten Hände
begannen langsam schwer zu werden, aber bei jedem Versuch diese zu
entlasten, schnitten die Handschellen mehr in ihre Haut. Mit jeder
Sekunde wurde ihr bewusster, wie ausgeliefert sie war. Sie hatte
nicht die kleinste Chance sich zu wehren, egal was er mit ihr
vorhatte. Wie ein Stück Vieh, das auf der Schlachtbank fixiert war,
hing sie an diesem Gitter und wartete darauf, dass etwas
passierte.
Lange saß Wodan auf der Pritsche hinter Nummer Zwei und betrachtete
sie einfach. Bis jetzt hatte er die junge Frau nur als Mittel zum
Zweck gesehen, aber selbst im milchigen Bild seines
Nachtsichtgerätes waren ihre weiblichen Formen deutlich zu sehen
und die Tatsache, sie so völlig hilflos an das Gitter gefesselt zu
sehen, weckte eine Lust in ihm, die er schon viel zu lange
unterdrückt hatte. Fasziniert stellte er fest, dass seine bisherige
Vorstellung von Macht nicht im Ansatz das wieder gespiegelt hatte,
was dieses Gefühl in Wirklichkeit sein konnte. Ihm wurde klar, dass
er jetzt und hier der Besitzer dieser drei Frauen war, und dieses
Bewusstsein sorgte für einen Kick, den keine Droge der Welt
erzeugen konnte.
Er sah, wie Nummer Zwei mit jeder Minute die sie länger an dem
Gitter hing, kämpfte. Er spürte ihr Wechselbad aus Angst und
Erschöpfung. Er genoss ihre Unsicherheit, weil sie nicht wusste,
was mit ihr geschehen würde. Gier stieg im ihm hoch, doch er wollte
ihr nicht nachgeben. Seine Definition von Lust hatte sich
gewandelt. Sich jetzt einfach an ihr zu bedienen, würde ihm nichts
geben. Er wollte ihre Angst riechen und sich an ihrer Verzweiflung
weiden. Mit vor Erregung zitternden Knien stand er auf, trat hinter
sie und betrachtete den sich windenden Körper. Dann streckte er
seine Hand aus und fuhr ihr langsam durch ihr langes Haar, bis
hinunter in den Nacken. Nummer Zwei erstarrte unter seiner
Berührung und flüsterte ein »Bitte nicht«, was ihn nur noch mehr
anmachte. Langsam ließ er seine Hand ein Stück über ihren Rücken
hinunter gleiten, trat noch dichter hinter sie und tastete sich
dabei, jetzt mit beiden Händen, unter ihren nassen Achseln nach
vorne. Die Berührung ihrer Brüste beschleunigte seinen Herzschlag,
und es kostete ihn das letzte bisschen Beherrschung, seinen
Unterleib nicht gegen ihren Hintern zu drücken. Er hielt seiner
Lust stand, suchte aber mit den Fingern nach den Knöpfen ihrer
Bluse. Nicht sicher, ob das Zittern von seinen Händen oder ihrem
Körper herrührte, öffnete er einen Knopf nach dem
anderen.
»Bitte nicht!«, hörte er sie, wie von weit entfernt flehen, was ihm
einen erneuten Schauer durch den Körper jagte. Seine Hände spürten
die Wärme ihres Körpers und ließen eine tief vergrabene Sehnsucht
ihn ihm aufkeimen. Langsam und so vorsichtig, als wäre sie aus
dünnem Glas, schob er ihre geöffnete Bluse zur Seite und berührte
unendlich sanft die weiche Haut ihres Bauches. Trotz seiner Gier
kostete er das Gefühl unter seinen Fingern bis zum letzten bisschen
aus und steigerte es dadurch, dass er seine Hände ihren nackten
Brüsten näher brachte. Als er diese wahrscheinlich noch weichere
Haut fast erreicht hatte, spürte er, wie etwas Nasses auf seine
Hand fiel und im selben Augenblick der Erkenntnis, dass Nummer Zwei
unter seinen Berührungen zu weinen angefangen hatte, brach alle
Lust in ihm zusammen. Wütend zog er die Hände zurück, machte drei
Schritte zurück und zog die Peitsche aus seinem Gürtel. Ohne etwas
dabei zu empfinden, zog er zweimal brutal durch, nahm ihre Schreie
in sich auf und wartete anschließend einen Moment, bis sich ihr
zuckender Körper wieder beruhigt hatte. Dann verließ er die Zelle,
schloss die Gittertür hinter sich und löste die Handschellen von
außen durch das Gitter.
Als er die letzte Fessel an ihrem Handgelenk entfernt hatte, sackte
Nummer Zwei zusammen und blieb leise wimmernd am Boden liegen. Er
selbst verließ das Gewölbe, setzte sich inmitten seines Schreins
und begann zu weinen.