DAS SIEBZEHNTE KAPITEL

ist voll von Mord und Totschlag aber das genügt bei einem Volke leider nicht als Beweis, daß es geschichtlich noch lebt. Und tatsächlich, es lohnt sich nicht mehr, noch länger etwas zu verfolgen, was nicht mehr das Rom der Antike ist.

Als Marc Aurel mit dem Prinzip der Adoptivnachfol-ger, an das man sich gewöhnt hatte, brach und seinen Sohn Commodus als Erben einsetzte, glaubte er wahrscheinlich, dem Kaisertum in dem dynastischen Gedanken eine starke Stütze zu geben. Er irrte sich. Dem Volk war das schnuppe, und der Senat, überhaupt die gesamte Nobilität, war unangenehm berührt. Jetzt, so empfand man, war man also wieder bei dem gefährlichen alten Zopf angelangt, und das im aufgeklärten Jahre 180!

Das alte Trauma der Patrizier! Eine Einbildung, aber auch Einbildungen tun weh.

Die und der Plebs fanden dagegen den neuen Imperator Klasse: und daß er die strahlende Jugend verkörperte, entzückte sie. Rom war senil geworden, ließ sich die Haare lang wachsen und geilte sich an der Jugend auf. Die Jugend antwortete darauf ohne Zögern mit Arroganz und Verachtung. Keiner hatte wie sie eine so weiche Haut, keiner wie sie so gesunde Zähne, keiner wie sie so pralle Hoden. Alles konnten die alten Säcke kaufen und erreichen, Jugend nicht. Jugend war nicht mehr ein biologischer Zustand, Jugend war ein Beruf. Commodus war neunzehn Jahre alt. Verheißungsvoll?

Caligula war vierundzwanzig gewesen, Nero siebzehn. Der spätere Elagabal vierzehn!

*

In Commodus wiederholte sich der Fall Nero, nur auf einer viel trostloseren Basis. Neros infantiler Ehrgeiz war gewesen, ein Pindar, ein Anakreon zu werden. Commodus’ Ehrgeiz lag auf anderem Gebiet: Er war überzeugt, ein neuer Herakles zu sein. Sein Marmorbildnis im Konservatorenpalast in Rom zeigt ihn mit einem Löwenrachen auf dem Kopf und der Keule des Herkules über der Schulter. Seine Gesichtszüge sind die eines Schwächlings, der Ausdruck der Augen irre.

Aber er war nicht irre im medizinischen Sinne, er war nur ein Aas. Er wünschte den Wachtraum eines verwöhnten, bösartigen Lümmels zu leben und seine eingebildete Einmaligkeit mit gefährlicher Gewalt durchzusetzen. Die Schmeicheleien, die er verlangte, grenzten ans Bodenlose. Jeder schiefe Blick, jedes Lächeln, jede Widerrede war lebensgefährlich. Die Menschen, die deshalb sterben mußten oder verschwanden, sind nicht zu zählen. Er mordete, wie Kinder Puppen zerschlagen — aus unvoraussehbaren Anlässen.

Der Senat bekam Krämpfe, als Commodus die Eroberungen und Friedensabschlüsse Marc Aurels aufgab, Gesetze aufhob, Heerführer kassierte, Vermögen einzog und bald endgültig mit den Senatoren brach. Er verschwendete keine Minute darauf, zu regieren, er wünschte aber auch nicht, daß andere regierten; es reizte seine Wut.

Er befahl, das Imperium Romanum in die Bezeichnung Orbis Commodianus zu ändern und nannte Rom nur noch Colonia Commodiana.

Das Neujahrsfest 192 — zwölf Jahre war der Verrückte bereits an der Macht — beging er als Gladiator, das heißt, er stach aus gesicherter, gittergeschützter Stellung wilde Tiere ab, ein lächerliches Schauspiel, das seine aktuelle Mätresse Marcia zu einem verächtlichen Lachen hinreißen ließ.

Commodus sah es. Ihr Schicksal war besiegelt. Um der Ermordung zuvorzukommen, verschwor sich Marcia mit den Prätorianern, die den Kaiser noch in der Kaserne erdrosselten.

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Das war der Sohn des guten Marc Aurel.

Das Jahr 193 brachte Rom fünf neue Kaiser. Der alte Senator Pertinax, einstiger Freund Marc Aurels, bezog am 1. Januar 193 den Palatin und wurde im März von den Prätorianern ermordet.

Jetzt wurde die Krone meistbietend versteigert. Aus der Auktion ging ein reicher Herr Didius Julianus als Sieger hervor. An der Donau riefen darauf die Legionen den General Septimius Severus zum Kaiser aus, das Heer im Osten dagegen den Pescennius Niger und die Truppen in Britannien den Oberbefehlshaber Clodius Albinus.

Als Septimius Severus vor Rom erschien, ließ der Senat seinen Didius Julianus hinrichten. 194 wurde Pescennius Niger erschlagen, etwas später Clodius Albinus getötet, der Nobelste der ganzen Bande.

Septimius Severus, der Überlebende, hielt sich achtzehn Jahre lang. Sein Sohn Caracalla, ein reiner Verbrecher, wurde 222 von den Prätorianern ermordet.

Sein Adoptiverbe, ein Halbsyrer, war ein Scharlatan, ein harmloser Irrer, der in Syrien Priester des Sonnengottes Heliogabal gewesen war, nach dem er sich auch Elagabal nannte. Er war ein vierzehnjähriger Tempel-Kinäde (bitte im Lexikon nachschlagen), kam mit seinem Fetisch nach Rom und gedachte, die Stadt in einen großen religiös-sexuellen Kinderspielplatz zu verwandeln. »Regieren« tat seine Großmutter, bis die Prätorianer ihn nach fünf Jahren totschlugen.

Jetzt kam sein Vetter Alexander Severus. Wieder ein Vertreter der herrlichen Jugend. Er war vierzehn Jahre alt und ein indianerspielender Knabe. Aber allmählich wurde er älter, ohne ein Mann zu werden. 235 entledigten sich die Soldaten seiner, indem sie ihn ins Jenseits beförderten.

Die Invasionen der »Barbaren« setzten ein. Die Germanen rollten den Limes auf, die Goten die untere Donau, die Perser Kleinasien. Die Götterdämmerung kündigte sich an.

235 eroberte sich Maximius, ein thrakischer Bauernsohn, den Thron — die Rache Thrakiens für Spartakus! Drei Jahre später sorgte der Senat dafür, daß er erschlagen wurde.

Der nächste war Gordianus minor, ein reizender, vornehmer Versuchsmensch von dreizehn Jahren, Püpp-chen der Plebs. Gedungene Bravos ermordeten ihn auf Geheiß des nächsten Kaisers. Sein Vater, Mitregent und anachronistischer Ehrenmann, nahm sich das Leben. Der neue Mann hieß Philippus und war der Sohn eines Araberscheichs.

*

So, und nun mag ich nicht mehr.

Von vierzig Kaisern starben nur vierzehn eines natürlichen Todes.

Auf dem geheiligten alten Forum wurde der ahnungslose alte Galba erschlagen. Dorthin schleppte man auch, halbnackt und mit einem Kälberstrick um den Hals, Vitellius, ehe man ihn erstach und seine Leiche in den Tiber warf. Caligula wurde im Circusgang ermordet; vier Kaiser auf dem Palatin. Commodus und Elagabal in den Kasernen der Gladiatoren und der Garde. Das Schwert, die Schlinge, die Fäuste und das Gift sind die Kaisermacher eines dem Untergang geweihten Volkes gewesen.

Hören Sie die Wölfin keuchen?

Halb blind, halb gelähmt ahnt sie die Meute derer jetzt kommen, die sie ein halbes Jahrtausend lang ge-demütigt hatte.

Vae victis.